Walther von der Vogelweide: Ein altdeutscher Dichter - 2

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Liedern befindet, ist weder Helm noch Schild beigegeben. Nur das
Schwerdt ist seitwärts angelehnt. In der =Manessischen= Handschrift
sind Helm und Schild hinzugekommen; das Wappenzeichen auf beiden ist
ein Falke oder andrer Jagdvogel im Käfig, also gänzlich verschieden von
dem bei =Stumpf= abgezeichneten Wappen der =Vogelweider=, welches drei
Sterne enthält.
Ansehnlich muß das adeliche Geschlecht des Dichters in keinem Falle
gewesen seyn. Er sagt einmal: »Wie nieder ich sey, so bin ich doch der
Werthen einer.« (=Man.= I 122b). Ueber seine Armuth klagt er öfters,
und eben sie mag ihn bewogen haben, aus der Kunst des Gesanges, die von
Andern aus freier Lust geübt ward, ein Gewerbe zu machen.
»=Zu Oesterreich lernte ich singen und sagen.=«
Mit diesen Worten des Dichters treten wir zuerst aus dem Gebiete
der Fabel und der Vermuthung auf einen festeren Boden. Doch müssen
wir häufig diesen wieder verlassen und uns darauf beschränken,
einzelne sichere Punkte zu bezeichnen, welchen wir dann dasjenige,
was den Stempel von Ort und Zeit weniger bestimmt an sich trägt, nach
Wahrscheinlichkeit und nach Verwandtschaft der Gegenstände anreihen. Wo
sich der Faden der Geschichte verliert, da giebt das innere Leben des
Dichters Stoff genug, die Lücke auszufüllen.
Es lassen sich zweierlei Zeiträume bestimmt unterscheiden, in welchen
der Dichter am Hof der Fürsten von Oesterreich aus babenbergischem
Stamme gelebt hat. Er befand sich dort unter =Friedrich=, von den
Spätern der =Katholische= genannt, der von 1193 bis 1198 am Herzogthume
war, und kam dorthin zurück unter =Leopold= VII., dem =Glorreichen=,
vor dem Jahre 1217.
Diese beiden Fürsten waren Söhne =Leopolds= VI., des =Tugendreichen=,
Herzogs von Oesterreich und Steier, der zu Anfang des Jahres 1193
gestorben war. =Friedrich=, der ältere Sohn, ließ sich 1195 mit dem
Kreuze zeichnen, reiste 1197 nach Palästina ab und starb 1198 auf der
Kreuzfahrt[11].
[11] _Chron. Claustro-Neoburg._ (_ap._ Pez, _Script. Rer. Austr. T.
I_) _ad ann. 1195, 97, 98_.
Mit ihm muß dem Dichter Vieles zu Grabe gegangen seyn. In einem geraume
Zeit nachher gedichteten Liede rechnet er den Anfang seines unsteten
und mühseligen Lebens eben von dem Tode Friedrichs an. Lebendig genug
schildert er in demselben Liede seine Trauer um den fürstlichen Gönner:
»Da Friedrich aus Oesterreich also warb, daß er an der Seele genas und
ihm der Leib erstarb, da drückt ich meine Kraniche (Schnabelschuhe)
tief in die Erde, da gieng ich schleichend, wie ein Pfau, das Haupt
hängt' ich nieder bis auf meine Kniee.«
Zwar fällt in Walthers Zeit noch ein andrer Friedrich von Oesterreich,
=Friedrich= der =Streitbare=, des Obigen Neffe, der 1230 seinem Vater,
Leopold VII., nachfolgte und 1246 in der Ungarnschlacht an der =Leitta=
umkam. Es sind aber hinreichende Gründe vorhanden, das angeführte
Gedicht nicht auf den Neffen, sondern auf den Oheim, zu beziehen. Das
Genesen an der Seele bei dem Ersterben des Leibes ist bezeichnend für
den Tod auf der Kreuzfahrt, welchen der Dichter auch sonst für einen
segenreichen erklärt. Und wenn wir auch annehmen wollten, daß Walther,
der, wie sich zeigen wird, schon 1198 in sehr männlichem Geiste
gedichtet, noch um 1246 gelebt und gesungen habe, so wird doch aus
dem natürlichen Zusammenhange, worin jenes Lied späterhin erscheint,
sich ergeben, daß solches in den ersteren Jahren der Regierung Kaiser
Friedrichs II., also gar lange vor dem Tode Friedrichs des Streitbaren,
entstanden sey.
Wenn uns gleich der Dichter, ausser dem Wenigen, was angeführt wurde,
von den Schicksalen seiner früheren Lebenszeit keine bestimmtere
Nachricht giebt, so ist uns doch, bevor wir ihm weiter folgen,
ein verweilender Blick in seine Jugend gestattet. Er zeigt uns den
Zeitraum, worein solche gefallen, im Widerscheine seiner späteren
Lieder.
»=Hievor war die Welt so schön!=« ruft er klagend aus. Inniglich thut
es ihm wehe, wenn er gedenkt, wie man weiland in der Welt gelebt. O
weh! daß er nicht vergessen kann, wie recht froh die Leute waren. Soll
das nimmermehr geschehen, so kränket ihn, daß er's je gesehen. Jetzt
trauern selbst die Jungen, die doch vor Freude sollten in den Lüften
schweben (I 129a 140b 114b).
Dieses unfrohe Wesen rügt er an mehreren Stellen. Es gilt ihm,
wie andern Dichtern der Zeit, für ein sittliches Gebrechen, so wie
umgekehrt die Freude für eine Tugend. »Niemand -- sagt er -- taugt
ohne Freude.« (I 110b) Und allerdings ist es nicht selten die sittliche
Beschaffenheit des Gemüths, hier des wohlgeordneten, dort des in sich
zerfallenen, woraus Frohsinn oder Mißmuth entspringen.
Ob Walther, ausser dem Unterricht in der Kunst des Gesanges, irgend
einer Art von gelehrter Bildung genossen, ist nicht ersichtlich.
Einige Hinweisungen auf Stellen der Schrift und zwei lateinische
Segenssprüche, die er scherzhaft anbringt, können nichts entscheiden.
Von den Helden, welche dazumal in romantischen Gedichten verherrlicht
wurden, kömmt bei ihm blos Alexander vor[12]. Richard Löwenherz und
Saladin, deren er erwähnt, waren durch nahe Ueberlieferung noch in
frischem Angedenken. Nirgends eine sichre Spur, ob er des Lesens und
Schreibens kundig war. Das Leben hat ihn erzogen, er hat gelernt, was
er mit Augen sah, das Treiben der Menschen, die Ereignisse der Zeit
waren seine Wissenschaft.
[12] Auf die deutsche Heldensage findet sich nirgends eine
Beziehung, man müßte es denn für eine Anspielung auf =Walther
und Hiltegund= ansehen, wenn auch er, der Sänger Walther, seine
Geliebte =Hiltegund= nennt. (I 136b)
Manches Lied, das über seine Lebensgeschichte vollständigeres Licht
verbreiten könnte, mag verloren gegangen seyn. In denjenigen, die auf
uns gekommen sind, erscheint er als ein Mann von gereiftem Alter,
und in mehreren zeigt er sich am Ziel seiner Tage. Seine Gedichte
tragen im Allgemeinen das Gepräge der Welterfahrenheit, des Ernstes,
der Betrachtung. Bis zur eigenen Qual fühlt er sich zum Nachdenken
hingezogen, und er spricht das bedeutsame Wort:
Liessen mich Gedanken frei,
So wüßte ich nicht um Ungemach.
(I 114a)
Er stellt sich uns in einem seiner Lieder dar, auf einem Steine
sitzend, Bein über Bein geschlagen, den Ellenbogen darauf gestützt,
Kinn und Wange in die Hand geschmiegt, und so über die Welt
nachdenkend. Damit bezeichnet er treffend das Wesen seiner Dichtung,
und sinnreich ist er in zwei Handschriften vor seinen Liedern in dieser
Stellung abgebildet.


Zweiter Abschnitt.
Philipp von Schwaben. Deutschlands Zwiespalt
und Zerfall. Walther als Vaterlandsdichter.

Das Jahr 1198, in welchem der Dichter seinen fürstlichen Gönner in
Oesterreich verlor, war auch ein Wendepunkt in der Geschichte der Zeit.
In diesem Jahre wich der Friede, der in den letztern Jahren Kaiser
Friedrichs I. und während der Regierung Heinrichs VI. in Deutschland
geherrscht hatte, den langwierigen und verderblichen Kämpfen der
Gegenkönige.
Heinrich VI. war im Herbst 1197 zu Messina gestorben, sein dreijähriger
Sohn Friedrich blieb, unter Vormundschaft des Pabstes, als König
in Sicilien. Die deutschen Fürsten hatten ihn noch bei Lebzeiten
seines Vaters als Nachfolger auf dem deutschen Throne anerkannt. Aber
Innocenz III., der kurz nach des Kaisers Hintritt, im kräftigsten
Alter, zum Oberhaupt der Kirche gewählt worden, wollte nicht wieder
die Vereinigung der deutschen Krone mit der sicilischen dulden. Er fand
diese Vereinigung gefährlich für die Kirche, und erklärte: da Friedrich
noch nicht getauft gewesen, als man ihn zum römischen König erwählt,
so brauche man sich hieran nicht zu kehren. Den Deutschen war nicht mit
einem Kinde geholfen. In den sechsten Monat war das Reich verwaist.
=Philipp= von =Schwaben=, des verstorbenen Heinrichs Bruder,
hatte anfangs versucht, seinem unmündigen Neffen die Thronfolge zu
erhalten, bald richtete er selbst sein Absehen auf die Krone. Auch
diesem Hohenstaufen arbeitete der Pabst entgegen. Mit Berthold von
Zähringen und Bernhard von Sachsen wurde von den Fürsten um das Reich
unterhandelt. Nachher ordneten der Erzbischof von Köln und andre,
mehrentheils geistliche Fürsten, von päbstlichem Einfluß geleitet,
eine Gesandtschaft an Otto von Braunschweig ab, um ihn zum Throne zu
berufen. Die Reichskleinode, auf deren Besitz man damals großen Werth
legte, waren in Philipps Händen.
Schon früher war ein falsches Gerücht von Kaiser Heinrichs Tode
das Zeichen zu allgemeiner Auflösung der gesellschaftlichen Ordnung
gewesen. Jetzt, nach des Kaisers wirklichem Hintritt, erreichte die
Verwirrung den höchsten Grad. »Als ich aus Tuscien nach Deutschland
zurückgekommen -- schreibt Philipp an Innocenz III.[13] -- fand ich
das ganze Land in nicht geringerer Verwirrung, als irgend das Meer von
allen Winden zerwühlt werden könnte.«
[13] _Registr. Innocent. III. ep. 136 p. 147._
Die ersten Lieder unsres Dichters, denen wir den Zeitpunkt ihrer
Entstehung bestimmter nachweisen können, beziehen sich auf diese
Ereignisse. Ernstes Nachdenken über die Zerrüttung des Vaterlands,
Anklage des Pabstes, dessen Umtriebe den Zwiespalt herbeigeführt,
Aufruf an Philipp, der Verwirrung ein Ende zu machen.
Ich saß auf einem Steine,[14]
Da deckte ich Bein mit Beine,
Darauf setzte ich den Ellenbogen,
Ich hatte in meiner Hand geschmogen
Das Kinn und eine Wange;
Da dachte ich mir viel bange,
Wie man zur Welte sollte leben.
Keinen Rath konnte ich mir geben,
Wie man drei Ding' erwürbe,
Der keines nicht verdürbe:
Die zwei sind Ehre und fahrend Gut,
Der jedes dem andern Schaden thut,
Das dritte ist Gottes Hulde,
Der zweien Uebergulde;
Die wollte ich gerne in =einen= Schrein.
Ja leider! möchte das nicht seyn,
Daß Gut und weltlich' Ehre
Und Gottes Huld je mehre
Zusammen in =ein= Herze kommen.
Steige und Wege sind eingenommen,
Untreue ist in der Sasse,
Gewalt fährt auf der Strasse,
Friede und Recht sind beide wund,
Die =drei= haben Geleites nicht, die =zwei= werden
denn eh' gesund.
[14] Diese Strophe ist nachgeahmt von =Boppo= (=Man.= II 235):
Ich saß auf einer Grüne &c.
=geschmogen=, geschmiegt. =Uebergulde=, was mehr als jene gilt.
=In der Sasse=, seßhaft. =Die drei=, nemlich Gut (Reichthum),
weltliche Ehre und Gottes Huld, haben kein sicheres Geleit, um
zusammen zu kommen, bevor nicht =die zwei=, Friede und Recht,
wiedergenesen sind und die Strasse frei machen.
Ich sah mit meinen Augen
Der Menschen Thun und Taugen.
Da ich nun hörte, da ich sach,
Was Jedes that, was Jedes sprach:
Zu Rome hörte ich lügen
Und zweene Könige trügen.
Davon hub sich der meiste Streit,
Der eh' ward oder immer seit.
Da sich begannen zweien
Die Pfaffen und die Laien,
Das war eine Noth vor aller Noth,
Leib und Seele lag da todt.
Die Pfaffen stritten sehre,
Doch ward der Laien mehre;
Das Schwerdt legten sie da nieder
Und griffen zu der Stole wieder,
Sie bannten, die sie wollten,
Und nicht den sie sollten.
Da störte man manch Gotteshaus,
Da hörte ich ferne in einer Klaus
Viel starker Ungebäre;
Da meinte ein Klausenere,
Er klagete Gott sein bittres Leid:
»O weh! der Pabest ist zu jung, hilf, Herre, deiner
Christenheit!«
=seit=, seitdem, nachher. =zweien=, entzweien. =Pfaffen= und
=Laien=, geistliche und weltliche Fürsten, in der streitigen
Königswahl. =Ungebäre=, ungebärdige Wehklage. =Klausenere=,
der klagende Klausner, welcher mehrmals vorkömmt, bedeutet die
vormalige strenge Frömmigkeit im Gegensatze zu der nunmehrigen
Ausartung des geistlichen Standes.
Ich hörte die Wasser diessen
Und sah die Fische fließen,
Ich sah was in der Welte was,
Wald, Feld, Laub, Rohr und Gras.
Was kriechet oder flieget,
Oder Beine zur Erde bieget,
Das sah ich und sage euch das:
Der keines lebet ohne Haß;
Das Wild und das Gewürme,
Die streiten starke Stürme,
Also thun die Vögel unter ihn'n,
Nur daß sie haben einen Sinn
(Sie wären anders zu nichte):
Sie schaffen gut Gerichte,
Sie setzen Könige und Recht
Und schaffen Herren und Knecht.
O weh dir, deutsche Zunge,
Wie steht deine Ordenunge!
Daß nun die Mück' ihren König hat[15]
Und daß =deine= Ehre also zergat!
Bekehre dich, bekehre!
Die Kirchen sind zu hehre,
Die armen Könige drängen dich.
=Philippe=! setze den Waisen auf und heisse sie treten hinter
sich! (=Man.= I 102)
[15] Die Mücken haben König unter ihnen,
Die Bienen einen Weissel, dem sie folgen,
Kein' Creature lebet ohne Meisterschaft &c.
=Der Mysnere= (Bei =Müll.= DXCIII)
=diessen=, tosen, rauschen. =fliessen=, schwimmen. =was=, war.
=Was kriechet= &c. vgl. =Wernh. Mar.= S. 28, 52. =unter ihn'n=,
unter sich. =deutsche Zunge=, Land deutscher Sprache. =zergat=,
zergeht. =Die Kirchen=, die Geistlichkeit. =zu hehre=, zu
gewaltig. =die armen Könige=, die mittellosen Thronbewerber.
=den Waisen=, das Reichskleinod, den Edelstein der Kaiserkrone,
welchen Herzog Ernst aus dem hohlen Berge mitgenommen haben soll.
Noch im Frühjahr 1198 ward dem Dichter die Freude, Philippen gekrönt zu
sehen. Das hochschwebende Lied, worin er seinen Jubel ausspricht, läßt
kaum bezweifeln, daß er selbst der Krönung zu Mainz anwohnte.
Die Krone ist älter, denn der König Philippe sey;
Da möget ihr alle schauen wohl ein Wunder bei,
Wie sie ihme der Schmid so eben recht gemachet.
Sein kaiserliches Haupt geziemet ihr also wohl,
Daß sie zu Rechte niemand Gutes scheiden soll;
Jedwedes nicht des andern Tugend schwachet.
Sie lachen beide einander an
Das edel Gesteine und der junge süsse Mann;
Die Augenweide sehen die Fürsten gerne.
Wer nun das Reiches irre geh',
Der schaue, wem der Waise ob seinem Nacken steh'!
=Der= Stein ist aller Fürsten Leitesterne.
(I 127b)
=zu Rechte=, mit Recht. =Tugend=, Werth. =schwachet=, schwächet,
verringert.
Das angenehme Bild, das Walther von seinem Könige giebt, bestätigen
die Worte des Geschichtschreibers. Nach der Beschreibung der
=urspergischen= Jahrbücher war Philipp ein Mann von schöner und
edler Gesichtsbildung, blondem Haar, mittlerer Größe, zartem, fast
schwächlichem Körperbau[16].
[16] Chron. Abb. Ursperg: »_Erat autem Philippus animo lenis, mente
mitis, eloquio affabilis, erga homines benignus, largus satis
et discretus, debilis quidem corpore, sed satis virilis, in
quantum confidere poterat de viribus suorum, facie venusta
et decora, capillo flavo, statura mediocri, magis tenui quam
grossa._«
Der Dichter begnügt sich nicht, Philippen zum Throne berufen und auf
demselben begrüßt zu haben. Er giebt dem neuen Könige noch das Mittel
an, seine Herrschaft zu befestigen und auszubreiten. Dieses Mittel
findet er in der =Milde=, der dankbaren Freigebigkeit gegen Diejenigen,
die sich dem Könige versöhnt und verpflichtet haben, der rückhaltlosen
Ausspendung von Gaben und Ehre.
Philippe, König hehre!
Sie geben dir alle Heiles Wort
Und wollten Lieb nach Leide.
Nun hast du =Gut= und =Ehre=,
Das ist wohl zweier Könige Hort,
Die gieb der =Milde= beide!
Die Milde lohnet, wie die Saat,
Von der man wohl zurück empfaht,
Darnach man ausgeworfen hat;
Wirf von dir mildigliche!
Welch' König der Milde geben kann,
Sie giebt ihm, das er nie gewann,
Wie Alexander sich versann:
Der gab und gab, da gab sie ihm alle Reiche.
(I 113a)
=Das ist wohl= &c. (Lesart der =Pf. Hds.= 357) Reichthum und Ehre,
jedes für sich schon, ist der =Hort=, Schatz, eines Königs.
(Vgl. I 135b »=zwei Kaisers Ellen=«, d. h. Stärke, Kraft) =sich
versann=, inne ward.
Die Geschichte beweist, daß Philipp wirklich in diesem Sinne gehandelt.
Wie er überhaupt die gelinden Wege den gewaltsamen vorzog, so suchte
er besonders durch reiche Gaben an Geld und Ländereien Feinde zu
beseitigen und Anhänger zu gewinnen. Seinem gefährlichsten Mitbewerber
um die Krone, dem Herzog Berthold von Zährigen, hatte er für dessen
Rücktritt 11000 Mark bezahlt. Seine Freigebigkeit war so groß, daß
er damit nicht, wie Alexander, alle Reiche gewann, sondern selbst die
anererbten Lande nur noch dem Namen nach behielt.
»Als er -- so erzählen die urspergischen Jahrbücher -- kein Geld
hatte, um seinen Kriegsleuten Sold zu bezahlen, fieng er zuerst an,
die Ländereien zu veräußern, die sein Vater, Kaiser Friedrich, weit
umher in Deutschland erworben hatte, so daß er jedem Freiherrn oder
Dienstmann Dörfer oder angrenzende Kirchen versetzte. Und also geschah
es, daß ihm nichts übrig blieb, ausser dem leeren Namen des Landesherrn
und denjenigen Städten und Dörfern, worin Märkte gehalten werden, nebst
wenigen Schlössern des Landes.«
Dessen unerachtet vermochte er es nicht Allen zu Danke zu machen,
und selbst Walther wirft ihm in einem andern Liede vor, daß er sich
nicht so recht im Geben gefalle. Er erinnerte Philippen an den milden
Saladin, welcher gesagt: Königes Hände sollten durchlöchert seyn,
und an den König von Engelland (Richard Löwenherz), den man seiner
Mildigkeit wegen so theuer ausgelöst. (I 127b)[17]
[17] Richard war zu Ende des Jahres 1192, als er auf der Rückkehr
aus dem heiligen Lande durch das Gebiet Leopolds VI. von
Oesterreich, den er in Palästina beleidigt hatte, verkleidet
reisen wollte, erkannt und festgesetzt worden. Leopold überließ
seinen Gefangenen um 60000 Mark Silbers an Kaiser Heinrich, der
Richarden wegen dessen Verbindung mit Tankred von Sicilien übel
wollte. Nun wurde Richard vom Kaiser in harter Gefangenschaft
gehalten, und erst zu Anfang des Jahres 1194 gegen ein Lösegeld
von 100,000 Mark, das die Engländer mit großer Anstrengung
zusammen gebracht hatten, in Freiheit gesetzt.
Auch hatte Philipp mit all seiner Freigebigkeit nicht verhindern
können, daß gleich nach seiner Krönung Otto von Braunschweig als
Gegenkönig aufgestellt wurde, mit dem er bis an seinen Tod zu kämpfen
hatte. Wie einst in den Vätern, Friedrich dem Rothbart und Heinrich dem
Löwen, so standen jetzt in den Söhnen, Philipp und Otto, Gibelinen und
Welfen sich drohend gegenüber.
Wir haben zuvor gesehen, in welch heiterem Lichte unsrem Dichter seine
frühere Lebenszeit erscheint. Mit stets düsterern Farben malt er die
Gegenwart. Er klagt um die alte Ehre, um die alten getreuen Sitten.
Treue und Wahrheit sind viel gar bescholten. Leer stehen die Stühle,
wo Weisheit, Adel und Alter saßen ehe. Recht hinket, Zucht trauert und
Scham siechet. Die Sonne hat ihren Schein verkehret, Untreue ihren
Samen ausgestreut auf allen Wegen, der Vater findet Untreue bei dem
Kinde, der Bruder lügt dem Bruder, geistlicher Orden selber trüget,
der uns doch zum Himmel leiten sollte. Der Dichter erkennt hierin die
schreckbaren Zeichen des nahenden Weltgerichts (I 121a, 107b, 112a,
128a).
Mit tiefem Kummer hält er dem politischen und sittlichen Verfalle
seines Vaterlands dessen früheren Glanz entgegen: »O weh! was Ehren
sich fremdet von deutschen Landen! Witz und Mannheit, dazu Silber
und Gold!« (I 103b). »Ich sah hievor einmal den Tag, da unser Lob
war gemein allen Zungen, wo kein Land uns nahe lag, es begehrte Sühne
oder es war bezwungen. Reicher Gott! wie wir nach Ehren da rungen!« (I
106a).
Er rügt hiebei die Entartung und Zuchtlosigkeit des jüngeren
Geschlechts. Vormals riethen die Alten und thaten die Jungen. Jetzt
haben die Jungen die Alten verdrungen und spotten ihrer. Junge
Altherren sieht man und alte Jungherren. Und wenn gleich Walther einmal
behauptet: Niemand könne mit Gerten Kindeszucht behärten, wen man zu
Ehren bringen möge, dem sey ein Wort als ein Schlag; so tadelt er doch
anderswo die Väter, daß sie Salomons Lehre brechen, nach welcher den
Sohn versäume, wer den Besen spare (I 106, 126b, 129a).
Unrecht würde dem Dichter geschehen, wenn wir in seinem Lobe der
Vergangenheit und Tadel der Gegenwart die bloße Vorliebe für verlebte
Jugendzeit erblicken wollten. Die gleichzeitigen Geschichtschreiber
sind in vollkommener Uebereinstimmung mit seiner Schilderung des
Zustandes, in welchen Deutschland durch die doppelte Königswahl
versetzt wurde.
»Damals -- sagt der Abt von Ursperg -- fiengen die Uebel an, sich
auf der Erde zu vervielfältigen. Denn es entstand unter den Menschen
Feindschaft, Trug, Untreue, Verrath, womit sie sich gegenseitig
in Tod und Untergang hingeben, Raub, Plünderung, Verheerung,
Landesverwüstung, Brand, Aufruhr, Krieg. Jedermann ist jetzt meineidig
und in die vorbesagten Frevel verstrickt. Wie das Volk, so auch die
Priesterschaft. Die Verfolgung ist so groß, daß Niemand mit Sicherheit
von seinem Wohnort ausgehen kann, auch nur in den nächsten Ort.«
In dem allgemeinen Zwiespalt nahmen auch die Sänger verschiedene Wege.
Wenn Walther von der Vogelweide Philipps Krönung feierte, so geleitet
Wolfram von Eschenbach den Gegenkönig Otto zu seiner Weihe[18].
[18] =Oranse= S. 176b, vgl. =Titurel= Kap. 27 Str. 4096.
Zu den Anhängern Philipps gehörten der Herzog Bernhard von Sachsen,
früher selbst Bewerber um den Thron, und der Erzbischof von
Magdeburg[19]. Nach dem thüringischen Feldzug im Jahr 1204, der sich
mit der Unterwerfung des Landgrafen Hermann endigte, oder als im Jahr
1207 Philipp, mit Otto unterhandelnd, sich in jener Gegend befand[20],
mag es geschehen seyn, daß er die Weihnachten zu Magdeburg feierte.
Walther war bei dieser Feier anwesend, in einem farbenhellen Gemälde,
den altdeutschen auf Goldgrund ähnlich, zeigt er uns den Kirchgang des
Königs mit seiner Gemahlin, der griechischen Irene, und dem Gefolge der
Thüringer und Sachsen.
[19] »_De Saxonia quidem habuit (Philippus)_ Ducem Bernhardum,
_Marchionem Moesiæ et alios principes sæculares potentissimos,
insuper Archiepiscopos_ Magdeburgensem _et Bremensem et
suffraganeos eorumdem_.« Chron. Ursp.
[20] Diese Zeit vermuthet =Köpke= a. a. O. S. 16.
Es gieng ein's Tages, als unser Herre ward geborn
Von einer Magd, die er sich zur Mutter hat erkorn,
Zu Magdeburg der König Philippe schöne.
Da gieng ein's Kaisers Bruder und ein's Kaisers Kind
In =einer= Wat, wie auch der Namen zweene sind;
Er trug des Reiches Zepter und die Krone.
Er trat viel leise, ihm war nicht jach;
Ihm schlich eine hochgeborne Königinne nach,
Rose ohne Dorn, eine Taube sonder Gallen.
=Die= Zucht war nirgend anderswo,
Die Thüringer und die Sachsen dienten da also,
Daß es den Weisen mußte wohl gefallen.
(I 127b)
=Magd=, Jungfrau. =ein's Kaisers Bruder= &c., Philipp war Bruder
Kaiser Heinrichs VI. und Sohn Kaiser Friedrichs I. =Wat=, Gewand.
=Rose ohne Dorn=, =Taube sonder Galle=, Beinamen, die sonst
auch der heiligen Jungfrau gegeben werden. =Zucht=, Hofzucht,
Hofdienst. =den Weisen=, den Kennern.
Dem königlichen Paare, das uns hier im Glanze der Macht und des Glückes
erscheint, sind finstre Geschichten bereitet. Kurze Zeit nachher, 1208,
fällt Philipp durch Mörderhand, und Irene, die Rose ohne Dorn, verwelkt
am Kummer über seinen Tod.
Wir haben die schmerzliche Klage des Dichters über den Verfall
von Deutschland vernommen. Es hat uns daraus eine seiner schönsten
Eigenschaften angesprochen, die Vaterlandsliebe. Dieses edle Gefühl
ist die Seele eines bedeutenden Theils seiner Dichtungen. Ueberall
erregt es ihn zu der lebhaftesten Theilnahme an den öffentlichen
Angelegenheiten. Ihm gebührt unter den altdeutschen Sängern
vorzugsweise der Name des =vaterländischen=. Keiner hat, wie er, die
Eigenthümlichkeit seines Volkes erkannt und empfunden. Wie bitter wir
ihn vorhin klagen und tadeln hörten, mit stolzer Begeisterung singt
er anderswo den Preis des deutschen Landes, vor allen andern, deren er
viele durchwandert:
Ihr sollt sprechen: willekommen!
Der euch Mähre bringet, das bin ich.
Alles, das ihr habet vernommen,
Das ist gar ein Wind, nun fraget =mich=!
Ich will aber Miethe,
Wird mein Lohn halb gut,
Ich mag leichtlich sagen, das euch sanfte thut;
Seht, was man mir Ehren biete!
Ich will deutschen Frauen sagen
Solche Mähre, daß sie desto baß
Sollen aller Welt behagen;
Ohne große Miethe thu' ich das.
Was wollt' ich zu Lohne?
Sie sind mir zu hehr.
Drum bin ich gefüge und bitte sie keines mehr,
Als daß sie mich grüßen schöne.
Ich hab' Lande viel gesehen
Und der besten nahm ich gerne wahr.
Uebel müsse mir geschehen,
Konnt' ich je mein Herze bringen dar,
Daß ihm wohl gefallen
Wollte fremde Sitte!
Was denn hülfe mich, ob ich mit Unrecht stritte?
Deutsche Zucht geht doch vor allen.
Von der Elbe bis an den Rhein
Und herwider bis in Ungerland,
Da mögen wohl die besten seyn,
Die ich irgend in der Welt gekannt.
Kann ich recht schauen
Gut Geläß und (schönen) Leib
So mir Gott! so schwüre ich wohl, daß da die =Weib=
Besser sind, denn anderswo die =Frauen=.
Deutsche Mann sind wohlgezogen,
Gleich den Engeln sind die Weib gethan;
Wer sie schilt, der ist betrogen,
Anders könnt' ich nimmer sein verstahn.
Tugend und reine Minne,
Wer die suchen will,
Der soll kommen in unser Land, da ist Wonne viel;
Lange müsse ich leben darinne!
(I 119b)
=Mähre=, Nachricht, Botschaft. =ein Wind=, ein Nichts. =Miethe=,
Bezahlung, Botenlohn. =sanfte thut=, wohl thut. =Sie sind mir=
&c. vgl. =Nibel.= V. 2240. =dar=, dahin. =Kann ich rechte
schauen= &c. das Benehmen (=Gelässe=) und die Schönheit der
Frauen als Kenner zu beurtheilen, galt für eine schätzbare
Eigenschaft. Vgl. =Nibel.= V. 2385. =Ulr. v. Lichtenst. Frauend.=
S. 20. =Man.= II 24a, 36a. =die Weib=, die Weiber ebenso =Mann=,
Männer. =gethan=, beschaffen. =betrogen=, falsch berichtet.


Dritter Abschnitt.
Walthers Wanderleben. Der Hof zu Thüringen.
Die Hofsänger. Des Dichters Ansichten
von Fürsten und Fürstenräthen, von
Geburt, Freundschaft, Manneswerth. Blicke
in sein Inneres.

Die Sänger jener Zeit waren nothwendig wandernde. Mochten auch die
Herren, welche sich im Liede zur Kurzweile übten, auf ihren Burgen
daheim bleiben: Diejenigen, welche den Gesang zu ihrem Berufe gemacht,
mußten sich auf den Weg begeben. Um Unterhalt und Lohn zu finden,
mußten sie den Höfen und Festlichkeiten gesangliebender Fürsten
nachziehn. War doch der Hof des Kaisers selbst ein wandernder, bald
in dieser, bald in jener Stadt des Reiches sich niederlassend.
Krönungstage, Fürstenversammlungen, Hochzeitfeste, das waren die
Anlässe, bei welchen die Kunst- oder Prunkliebe der Großen sich am
freigebigsten äusserte. War dazumal das gewöhnliche und häusliche Leben
einfach, so waren dagegen festliche und öffentliche Zusammenkünfte
desto glanzvoller.
Auch vom äussern Lohne abgesehen, mußte der Dichter wandern, wenn er
mit den Angelegenheiten der Zeit bekannt werden, wenn er, bei noch
sehr unvollkommenen Mitteln der Verbreitung geistiger Erzeugnisse, sich
selbst Anerkennung, seinem Liede Wirksamkeit verschaffen wollte. Darum
war es den alten Meistern allerdings zu thun. =Reinbot= von =Dorn=, der
die Legende vom h. Georg in Gedicht gebracht hat, spricht die Hoffnung
aus (V. 56-63), daß sein Werk über alle deutschen Lande, von Tirol bis
nach Bremen und von Preßburg bis nach Metz, werde bekannt werden. Auf
der andern Seite wird im =Titurel= (Cap. 4, Str. 542) die Besorgniß
geäußert, daß der Schreiber das Rechte unrichtig machen möchte. Am
sichersten aber wurde die Fälschung vermieden, wenn der Dichter selbst
vortrug. Wollte er versichert seyn, daß seine Tonweise richtig gesungen
werde, wollte er seine eigene Fertigkeit im Gesange geltend machen, so
war ohnehin sein persönliches Erscheinen erforderlich.
So war denn auch Walthers Leben das eines fahrenden Sängers. Er reist
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