Walther von der Vogelweide: Ein altdeutscher Dichter - 7

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Nun hat =sich= dieser und alle Christenheit zu
Falle geben.
Alle Zungen soll'n zu Gotte schreien: wafen!
Und rufen ihme: wie lang er wolle schlafen?
Sie widerwirken seine Werk' und fälschen seine
Wort',
Sein Kämmerere stiehlt ihm seinen Himmelhort,
Sein Sühner mordet hie und raubet dort,
Sein Hirt' ist zu einem Wolfe ihm worden unter
seinen Schafen. (I 132a)
=sein eines Leben=, sein, des Einzelnen Leben. =wafen!= wehe!
=widerwirken=, vereiteln entgegenwirkend. =Himmelhort=,
himmlischer Schatz.
Auf päbstlichen Befehl wurde, noch unter Innocenz III., in den Kirchen
der Stock (_truncus_) aufgestellt, worein die frommen Gaben fielen, die
von Männern und Frauen zur Unterstützung des heiligen Landes bestimmt
wurden[74]. Zwei Gedichte Walthers handeln von diesem Stocke:
Ahi! wie christlich nun der Pabest unser lachet,
Wenn er seinen Wälschen sagt: »ich hab's also
gemachet.«
(Das er da =sagt=, er sollt' es nimmer han
=gedacht=.)
Er spricht: »ich hab' zween Alemann' unter =eine=
Krone bracht,
Daß sie das Reiche sollen stören und wasten.
All die Weile fülle ich die Kasten.
Ich hab' sie an meinen Stock gemännet, ihr Gut ist
alles mein,
Ihr deutsches Silber fährt in meinen wälschen
Schrein.
Ihr Pfaffen, esset Hühner und trinket Wein,
Und laßt die Deutschen fasten!
(I 132a)[75]
=wasten=, verwüsten. =gemännet=, als Mannen, Vasallen, pflichtig
gemacht.
* * * * *
Saget an, Herr Stock! hat euch der Pabest her gesendet,
Daß ihr ihn reichet und uns Deutsche ärmet und schwendet?
Wenn ihm die volle Maaße kommt zu Lateran,
So thut er einen argen List, wie er eh' hat gethan,
Er sagt uns danne: wie das Reiche steh' verworren,
Bis ihn erfüllen wieder alle Pfarren.
Ich wähne, des Silbers wenig kommet zu Hülfe in Gottes Land.
Grossen Hort zertheilet selten Pfaffenhand.
Herr Stock! ihr seyd auf Schaden her gesandt,
Daß ihr aus deutschen Leuten suchet Thörinnen und Narren.
(Ebd.)
=reichet=, =ärmet=, reich, arm machet. =schwendet=, auszehret.
=List=, Kunstgriff. =bis ihn= &c., nemlich den Stock. =Gottes
Land=, das heilige Land. =zertheilet=, theilet aus. =suchet=,
aufsuchet.
[74] »_In illis autem Ecclesiis, in quibus convenit processio
generalis,_ truncus _statuatur concavus tribus clavibus
consignatus, una penes honestum presbyterum, alia apud laicum
devotum, tertia penes aliquem regularem fideliter conservandis,
in quo viri et mulieres eleemosynas ponant, in terræ sanctæ
subsidium convertendas, secundum dispositionem eorum, quibus
fuerit hæc sollicitudo commissa._« _Bulla Innocentii III. ad
Christianos pro reparanda terra sancta in Chron. Ursp. ad
ann. 1212._
[75] In der =Pf. Hds.= 357 Bl. 9a ist diese Strophe durch derbe
Variationen erweitert.
Vom Ablaßhandel hat Walther Ansichten, die man bei einem Dichter aus
der ersten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts nicht gesucht haben
möchte:
Ihr Bischöf' und ihr edlen Pfaffen! ihr seyd verleitet
(viell. =verkehret=).
Seht! wie euch der Pabest mit des Teufels Stricken sehret.
Sagt ihr uns, daß er Sankte Peters Schlüssel habe,
So sagt, warum er dessen Lehre von den Büchern schabe?
Daß man Gottes Gabe je kaufe oder verkaufe,
Das ward uns verboten bei der Taufe.
Nun lehret's ihn sein schwarzes Buch, das ihm der Hölle Mohr
Gegeben hat, und aus ihm lesen sie nun vor.
Ihr Kardinäl'! ihr decket euren Chor,
Unser Frohnaltar steht unter einer übeln Traufe.
(I 133b)
=sehret=, versehret, beschädigt. =der Hölle Mohr=, der Teufel (Vgl.
I 181b).
Die Schlußzeilen des vorstehenden Gedichtes schildern die Bereicherung
Roms im Gegensatze zu dem Zerfall der deutschen Kirche. Auch der
gleichzeitige Geschichtschreiber, selbst ein Geistlicher, erhebt
laute Klage über die Habsucht des römischen Hofes und die dadurch
eingerissenen Mißbräuche.
»Kaum blieb noch -- sagen die urspergischen Jahrbücher -- irgend ein
Bisthum, oder eine kirchliche Würde, oder auch ein Pfarre übrig, die
nicht streitig gemacht und dann die Sache nach Rom gebracht wurde,
jedoch nicht mit leerer Hand. Freue dich, unsre Mutter Rom, daß die
reichen Schatzquellen auf der Erde sich öffnen, damit Ströme Geldes zu
dir hin sich ergießen im Ueberfluß! Frohlocke über die Ungerechtigkeit
der Menschensöhne, weil bei Vergütung so großer Uebel das Sündengeld
dir entrichtet wird! Ergötze dich deiner Gehülfin, der Zwietracht, daß
sie aus den Brunnen des höllischen Abgrundes hervorbrach, damit dir die
Gelder sich anhäufen! Du hast, wonach du immer gedürstet. Stimm' an ein
Jubellied, daß du durch die Bosheit der Menschen und nicht durch deine
Heiligkeit den Erdkreis überwunden hast! Zu dir zieht die Menschen
nicht ihre Andacht oder ihr reines Gewissen, sondern die Verübung
vielfacher Verbrechen und der Streithändel Entscheidung um Geld.«[76]
[76] In gleichem Sinne spricht auch der =Freigedank=, ein
Spruchdichter des 13ten Jahrhunderts:
Sünde Niemand mag vergeben,
Wann Gott einig, dar sollen wir streben.
(=Müll.= Ausg. V 3180 f.)
Alle Schatzes Flüsse gehn
Zu Rome (=nach Rom=) bis sie da bestehn (=bleiben=),
Und doch nimmer wird voll,
Das ist ein unsinnig Hohl.
So kommet alle Sünde dar,
Die nimmt man da den Leuten gar &c.
(V. 3185 ff.)
Das Netz kam zu Rome nie,
Damit Sankt Peter Fische fie (=fieng=),
Das Netz ist ihm verschmähet.
Römisch Netz fähet
Silber, Gold, Burge und Land;
Das war Sankt Petern unbekannt.
Sankt Peter war zu Recht ein Degen,
Den hieß Gott seiner Schafe pflegen,
Er hieß ihn nicht Schafe bescheeren,
Nun will man Scheerens nicht entbehren.
Unrecht ist zu Rome erhaben,
Recht und Gericht ist da abgeschaben.
(V. 3880 ff.)
=Reinmar= von =Zweter= singt:
Der Pabest hat viel reiche Kind (=Kinder=),
Die minnet er, wo sie gesessen in den Landen sind,
Mit ihnen theilt er seinen Segen, so theilen sie mit
ihm ihr Gold.
Dieselben Kind sind ihm so traut,
Daß er ungerne käme mit Schlägen auf ihrer eines
Haut.
Wollte Gott, es wären ihm die habelosen Kind halb
also hold (=lieb=)!
Eh' daß der arme Sohn sein Recht behärte,
So ist der reiche auf seiner Vorderfährte &c.
(=Pf. Hds.= 350)
_Cf. Odon. Ernest. L. I. p. 317._
Wie das schlimme Beispiel der Geistlichkeit auch die Laien irre machen
und verderben müsse, führt der Dichter weiter aus:
Welch Herze sich bei diesen Zeiten nicht verkehret,
Seit daß der Pabest selber dort den Ungelauben
mehret,
Dem wohnt ein sel'ger Geist und Gottes Minne bei.
Nun seht ihr, was der Pfaffen =Werk= und was ihr'
=Lehre= sey.
Ehdeß war ihre Lehre bei den Werken reine,
Nun sind sie aber anders so gemeine,
Daß wir sie unrecht =wirken= sehen, unrecht hören
=sagen=,
Die uns guter Lehre Vorbild sollten tragen;
Des mögen wir dumme Laien wohl verzagen.
Ich wähne wieder, mein guter Klausener klage sehr
und weine. (I 135b)
=gemeine=, allgemein. =des=, darüber.
* * * * *
Die Christenheit, sie lebte nie so gar nach Wahne,
Die sie da lehren sollten, die sind guter Sinne ohne.
Es wär' zuviel, und thät' ein dummer Laie das.
Sie sünden ohne Furcht, darum' ist ihnen Gott gehaß.
Sie weisen uns zum Himmel und fahren selbst zur Hölle.
Sie sprechen: wer ihr'n Worten folgen wölle,
Und nicht ihr'n Werken, der sey ohne allen Zweifel dort
genesen.
Die Pfaffen sollten keuscher, denn die Laien, wesen;
An welchen Büchern haben sie das erlesen,
Des sich so mancher fleisset, wo er ein schönes Weib
verfälle?
(W. =Hds.= S. 147)[77]
=dort genesen=, jenseits gerettet. =wesen=, seyn. =erlesen=,
gelesen, erlernt. =verfälle=, zu Fall bringe.
[77] Vgl. =Ottokar= v. =Horneck=, Cap. 821 (Pez, I c. p. 83):
Gott Herre, durch dein' Güt'
Die Christenheit baß behüt'
Und weis' uns auf bessre Spur,
Denn uns die Pfaffen gehn vor,
Die da Gewalt hie tragen!
Als uns die Buch sagen,
So sollten sie uns Lehr' geben
Mit Worten und mit gutem Leben,
Des sie leider thun nicht;
Wer ihre Werk' ansicht,
Die sind viel wahrleich
Ihren Worten ungeleich.
Es ist eine alte Ueberlieferung der Singschule, daß die zwölf Stifter
des Meistergesangs als Ketzer angeklagt worden seyen und darüber vor
dem Kaiser, dem päbstlichen Legaten und einer großen Versammlung von
Gelehrten sich haben verantworten müssen. Gedichte, wie die bisher
angeführten, konnten allerdings zu einer solchen Sage Anlaß geben.
Daß die freimüthigen Aeußerungen eines so berühmten Meisters, als
der unsrige war, nicht wirkungslos verhallten, ist schon zum voraus
anzunehmen. Es sind aber auch noch späthin bestimmte Spuren der
Nachwirkung vorhanden. =Ottokar= von =Horneck=, der steirische
Chronikschreiber am Anfang des vierzehnten Jahrhunderts, der manch
hellen Blick in seine Zeit wirft, verräth deutlich seine Vertrautheit
mit Walthers Aussprüchen über die Geistlichkeit und ihr Verhältniß zur
weltlichen Gewalt[78].
[78] S. Anm. 73 und 77. Es könnten aber noch weitere Nachweisungen
über Ottokars Bekanntschaft mit Walthers Gedichten beigebracht
werden. Die Ansichten des Erstern von Pabst und Klerus hat
=Schacht= a. a. O. Abschn. XI bes. S. 276, 278-84, dargelegt.
Bei der Abreise nach Italien im Jahr 1220 hatte Friedrich seinen jungen
Sohn Heinrich unter Vormundschaft zurückgelassen und die Verwaltung
des Reichs dem Erzbischof =Engelbert= von Köln, aus dem Geschlechte
der Grafen von Berg, übertragen. Im Wintermond 1225 wurde dieser
auf dem Rückwege von Soest nach Köln von seinem Anverwandten, dem
Grafen Friedrich von Isenburg, der als Kirchenvogt von Essen mit dem
Erzbischof in Streit gerathen war, überfallen und meuchelmörderisch
erschlagen. Die Klosterbrüder zu Berg, welche bei dem Leichnam wachten
und Psalmen sangen, behaupteten, zwischen dem Gesang Engelstimmen
gehört zu haben. Einem derselben erschien Engelbert als Märtyrer im
Traume. An seinem Grabe zu Köln geschahen viele Wunder und in der
Folge ward er unter die Heiligen versetzt. Der Mörder hatte sich nach
Rom begeben, wo er sich vom Pabste Honorius III. Busse auflegen ließ.
Nach seiner Zurückkunft aber wurde er aufgegriffen und ein Jahr nach
vollbrachter That zu Köln mit dem Rade hingerichtet[79].
[79] Godefrid. _Colon. Annal. (ap._ Freher. _Germ. rer. Script. T.
I) ad ann. 1225, 1226. Chron. Salisb. cit. ad ann. 1226._
Zwei Gedichte Walthers handeln von dem werthen Bischof von Köln.
In dem einen, noch bei Lebzeiten dieses Fürsten verfaßt und an ihn
gerichtet, werden dessen Verdienste um das Reich gerühmt, er wird
als Fürstenmeister aufgeführt, als Ehrentrost eines gepriesenen
Kaisers, besser denn je ein Kanzler es war, und zum Schlusse noch,
in Beziehung auf die Heiligen von Köln, als Kämmerer von drei Königen
und eilftausend Jungfrauen (I 106a). Das andre, ein Seitenstück zu dem
vorigen, ist nach der Ermordung des Erzbischofs, aber noch vor bekannt
gewordener Hinrichtung des Thäters, abgefaßt und lautet also:
Wes Leben ich lobe, des Tod, den will ich immer klagen.
So weh' ihm, der den werthen Fürsten habe erschlagen
Von Kölne! o weh', daß ihn die Erde mag noch tragen!
Ich kann ihm nach seiner Schulde keine Marter finden;
Ihm wäre allzu sanft ein eichner Strang um seinen Kragen,
Ich will ihn auch nicht brennen, noch zerglieden, noch
schinden,
Noch mit dem Rade zerbrechen, noch auch darauf binden:
Ich warte alles, ob die Hölle ihn lebend wolle schlinden.
(Ebd.)[80]
=zerglieden=, zerreissen, viertheilen. =alles=, gänzlich, jediglich.
=schlinden=, verschlingen.
[80] Es ist zu entscheiden, ob nicht beide Gedichte ironisch
gemeint seyen. In beiden scheint die Schlußzeile diese Wendung
zu nehmen. Diese ironische Weise ist überhaupt dem Dichter
nicht fremd. Sie findet sich namentlich in seinen Gedichten
auf Otto IV. Was ihn aber veranlaßt haben mochte, sie gegen
den Erzbischof, von dem sonst Gutes gemeldet wird, und selbst
auf dessen Ermordung anzuwenden, erhellt nicht. Der Abt von
Ursperg setzt diese Begebenheit in Verbindung mit damals neu
aufgekommenen, von einem Predigermönch aus Straßburg, Johannes,
verkündigten Lehrsätzen, die, an sich nicht verwerflich, in
der Anwendung durch Mißverstand verderblich geworden und zu
den abscheulichsten Frevelthaten Anlaß gegeben. Hievon findet
sich jedoch keine Meldung bei dem Mönche von Köln, der dem
Ereigniß näher stand und nach dessen Jahrbüchern dasselbe oben
erzählt wurde. Uebrigens scheint das Urtheil der Zeitgenossen
nicht einhellig gewesen zu seyn. Nach dem Berichte eines andern
Geschichtschreibers kam zu Nürnberg bei der Vermählung des
Königs Heinrich mit der Tochter Leopolds von Oesterreich die
Ermordung des Erzbischofs zur Klage und es erhob sich über
diesen Fall Widerspruch zwischen dem Erzbischof von Trier und
dem Grafen von Truhendingen. Man griff zu den Waffen und es
kamen in diesem Auflauf gegen sechszig Menschen um. _Excerpt.
ex Catal. Rom Pontif. et Imp. (ap._ Pez, _T. II) ad ann. 1225._
-- Sonst machen einige Schriftsteller den heiligen Engelbert
zum Stifter der Fehmgerichte. Zu wirksamerer Verfolgung der
Ketzer soll er diese Gerichte, nach dem Muster der damals
aufgekommenen und bestätigten heiligen Inquisition, gestiftet
haben. Der geschichtliche Beweis für diese Meinung wir aber
vermißt. =Berck=, Geschichte der Westphäl. Fehmgerichte. Brem.
1815 S. 251
Wir haben uns dem Zeitpunkte genähert, wo Friedrich der Anmuthungen
des Pabstes, den längst gelobten Kreuzzug wirklich vorzunehmen, sich
nicht länger erwehren konnte. Schon im Jahr 1223 hatte Honorius
den Glaubigen verkündigt, daß sie sich rüsten sollten, nach zwei
Jahren mit dem ruhmreichen Kaiser Friedrich über Meer zu fahren.
Wunderbare Naturerscheinungen hatten von jeher die Prediger des
Kreuzes unterstützt. Vorstellungen von dem nahenden Weltende, vom
tausendjährigen Reiche, dessen Hauptsitz Jerusalem seyn würde, erregten
die Geister. Auch unser Dichter hat die Vorboten des heranrückenden
Weltgerichtes erkannt, nicht bloß in den Zeichen des Himmels, weit
mehr noch in der Verderbniß der Menschen. Es ist höchste Zeit, daß die
Christenheit sich aufraffe, die allzu lang im Schlafe lag:
Nun wachet! uns geht zu der Tag,
Vor dem wohl Angst verspüren mag
Ein Jeglichs: Christen, Juden und auch Heiden.
Wir haben der Zeichen viel gesehen,
Daran wir seine Kunst wohl spähen,
Wie uns die Schrift mit Wahrheit kann bescheiden.
Die Sonne hat ihren Schein verkehret,
Untreu' ihren Samen ausgeleeret
Allenthalben an den Wegen.
Der Vater bei dem Kind Untreue findet,
Der Bruder seinem Bruder lüget,
Geistlicher Orden in Kutten trüget,
Der uns zum Himmel sollte stegen.
Gewalt geht aufrecht, gut Gerichte schwindet.
Wohlauf! hier ist zu viel gelegen.
(I 128a)[81]
=stegen=, den Weg weisen oder bahnen. =Wohlauf!= die =Pf. Hds.= 357
hat: =wol hin!= was die Beziehung auf den Kreuzzug noch näher
legt.
[81] =Köpke= a. a. O. glaubt, daß dieses Gedicht im Jahr 1234, also
geraume Zeit =nach= dem Kreuzzuge Friedrichs II., abgefaßt sey.
Er deutet nemlich die Untreue des Kindes gegen den Vater auf
die Empörung des römischen Königs Heinrich wider seinen Vater,
den Kaiser, und die Worte: »Der Bruder seinem Bruder lüget«
auf die Feindschaft zwischen Heinrich und seinem jüngern Bruder
Konrad. Diese besondre Beziehung ist mir nicht wahrscheinlich.
In dem Lied eines späteren Dichters (=Müll.= Samml. II Bd.
CCCCXLVIII) kömmt die ähnliche Stelle vor:
Menschenkind, denket daran! --
Es ist in der Welt wohl Schein, daß Endes Tag will
kommmen. --
Das Kind trauet nicht dem Vater sein
Noch Vater seinem Kinde nicht, das haben wir wohl
vernommen.
(Vgl. =Reinm.= v. =Zwet.= II 134a 4.) Das Ganze beruht auf
bekannten Stellen der Schrift, wie unser Dichter selbst zu
erkennen giebt.
Gewaltiger noch ertönt die mahnende Stimme in nachfolgendem Aufruf:
Es kommt ein Wind, das wisset sicherliche,
Davon wir Beides hören: singen und sagen.
Der soll mit Grimm erfahr'n alle Königreiche,
Das höre ich Waller und Pilgerime klagen.
Bäume, Thürme liegen vor ihm zerschlagen,
Starken Leuten wehet er die Häupter abe.
Nun sollen wir fliehen hin zu Gottes Grabe!
(I 103b)
=erfahr'n=, befahren, durchfahren.
Ein seltsames Lied ist es, worin der Dichter den Engeln das Lob
versagt, so lange sie nicht kräftiger gegen die Heidenschaft
mitankämpfen (I 126a).
Hinwider läßt er einen Boten Gottes auftreten, an dessen Vogt, den
Kaiser, gesendet, um Klage zu führen über die Heidenschaft, die im
Lande seines Sohnes schmählich hause. Der Kaiser hat die Erde, Gott das
Himmelreich. Jetzt soll der Kaiser dem Herrn Recht schaffen, Gott wird
es gegenseitig thun, da wo =er= Vogt ist, und klagte der Kaiser auch
über den Teufel in der Hölle (I 135b).
Ein andres Gesätz mahnt den Kaiser, Deutschlands innern Frieden zu
befestigen und die ganze Christenheit zu sühnen; das verherrliche
ihn und mühe die Heiden sehr. Er habe zwiefache Kaisersstärke: des
=Aares= Tugend, des =Leuen= Kraft; die seyen darum Heerzeichen an dem
Schilde[82]. Diese zween Heergesellen, wollten sie an die Heidenschaft,
was widerstände ihrer Mannheit und ihrer Milde? (=Ebd.=)
[82] Der =Adler= ist das Wappen des Reichs, der =Löwe= das
Hohenstaufische. Dieser ist den altdeutschen Dichtern
das Sinnbild des Muthes, der Kraft, jener der Milde, der
Freigebigkeit. So bei =Reinmar= von =Zweter=, I 140b 146b. Vgl.
=Eneidt=, V. 12416 f. Beide sind Herrscher im Thierreich. Dem
Könige der Vögel ist es vermuthlich als Freigebigkeit ausgelegt
worden, daß er, wie man beobachtet hat, zuweilen von seiner
Beute nur das Beste verzehrt und, was ihm nicht gut genug ist,
den geringern Vögeln überläßt.
Bei all diesem Eifer für die Sache des Kreuzes bleibt doch Walther
seinem kaiserlichen Wohlthäter treu ergeben, auch nachdem dieser wegen
der gescheiterten Unternehmung im Jahr 1227, von Gregor IX. mit dem
furchtbaren Bannstrale gezeichnet ist. Den Kirchenfluch, der auch die
Anhänger des Gebannten traf, weist der Dichter unerschrocken von sich
ab, indem er dem Pabst entgegenhält, was dieser bei der Krönung des
Kaisers den Völkern geboten:
Herr Pabest! ich mag wohl genesen,
Denn ich will euch gehorsam wesen;
Wir hörten euch der Christenheit gebieten,
Wie wir des Kaisers sollten pflegen,
Da ihr ihm gabet den Gottessegen:
Daß wir ihn Herren hiessen und vor ihm knieten.
Auch sollt ihr nicht vergessen,
Ihr sprachet: »wer dich segne, daß der gesegnet sey!
Wer dir fluche, der sey verfluchet
Mit Fluche vollgemessen!«
Durch Gott! bedenket euch dabei,
Ob ihr der Pfaffen Ehre irgend suchet?
(I 105a)
=genesen=, an meinem Seelenheil unbeschädigt bleiben. =wesen=, seyn.
=durch Gott!= um Gottes willen.
Von neuem läßt Walther den alten Klausner klagen: daß man die
Guten banne und den Uebeln singe (I 103a). Dem Kaiser aber räth er,
unbekümmert um des Pabstes Irrung, dennoch abzufahren[83].
[83] So kann die Strophe: »Bote, sage dem Kaiser &c.« (I 103a)
eingereiht werden. Auch das Gedicht: »Ihr Fürsten, die des
Königes &c.« (I 131a) betrifft die Kreuzfahrt. Dasselbe ist
muthmaßlich schon um 1220 verfaßt, wo Friedrich, noch nicht
als =Kaiser= gekrönt, aber längst mit dem Kreuze bezeichnet,
Deutschland verließ.
Die Willkühr, womit die Bannsprüche erlassen wurden, mußte allerdings
ihre Wirkung schwächen. =Reinmar= von =Zweter=, der gleichfalls
politische Gedichte auf Friedrich II. und Gregor IX. verfaßt hat,
unterscheidet den Bann, der mit Gott und nach Gott sey, von demjenigen,
worin fleischlicher Zorn stecke (II 143b) Der =Freigedank= behauptet,
der Bann habe keine Kraft, der durch Feindschaft geschehe (V. 4117
f.); auch ereifert sich dieser Dichter sehr über die Schwierigkeiten,
welche den Unternehmungen Friedrichs im heiligen Lande, besonders durch
den päbstlichen Bann, in den Weg gelegt worden, und daß man den Kaiser
selbst dann nicht vom Banne losgesprochen, nachdem er die heiligen
Stätten den Christen wieder zugänglich gemacht[84].
[84] Wo gefuhr eh' Kaiser über Meer
Im Bann und ohne Fürstenheer?
Und ist nun kommen in ein Land,
Da Gott noch Mann nie Treue fand.
(V. 4026 ff.)
Was mag ein Kaiser schaffen,
Seit Christen, Heiden und Pfaffen
Streiten g'nug wider ihn?
Da verdürbe Salomons Sinn.
(V. 4046 ff.)
Der Bann und manche Christen
Mit viel manchen Listen
Wollten sie es erwendet (=hintertrieben=) han.
Nun hat Gott sein Ehre gethan,
Daß Sünder sollen das Grab gesehen.
Das muß ihm ohn' ihren Dank geschehen.
Gott und der Kaiser haben erlost
Ein Grab, das ist aller Christen Trost.
Seit er das Beste hat gethan,
So soll man ihn ausser Banne lan.
Das wollen Römer leichte nicht;
Was ohn' ihren Urlaub Gut's beschicht,
Dem wollen sie keiner Stete jehen, (=keine Dauer
zugestehen=)
Nun ist das ohn' ihren Dank (=gegen ihren Willen=)
geschehen.
(V. 4068 ff.)
Wenn wir Walthers Liedern glauben dürfen, so hat er selbst eine
Heerfahrt nach dem heiligen Lande mitgemacht. Entsteht aber die
Frage: welchem der verschiedenen Kreuzzüge, die in seine Zeit fallen,
er gefolgt sey? so spricht die meiste Wahrscheinlichkeit für den
von Friedrich II. im Jahr 1228 unternommenen, von welchem zunächst
die Rede war. Daß er nicht im Gefolge Leopolds von Oesterreich in
Palästina gewesen, ergiebt sich aus dem Liede, womit er die Rückkehr
dieses Fürsten feiert. Auch ist die Kreuzfahrt darum in seine spätere
Lebenszeit zu setzen, weil er noch in einem Gedichte, das offenbar den
vorgerückten Jahren angehört, seine Sehnsucht nach der frommen Reise
ausspricht (I 142a).
Ein Kriegsgesang in schöner, volltönender Weise erhebt sich schon wie
aus den Reihen des Kreuzheeres, das begeistert nach dem wogenden Meere
hinzieht (I 125b). Aber wirklich auf heiligem Boden stehend zeigt sich
uns der Dichter in einem andern Liede. Jetzt erst ist sein Leben ihm
werth, seit sein sündig Auge das reine Land sieht und die Erde, der
man so viel Ehre zuerkennt. Es ist geschehn, was er stets gebeten, er
ist an die Stätte gekommen, wo Gott menschlich wandelte. Was er noch
von Ländern gesehen, schönen, hehren und reichen, die Ehre aller ist
dieses, wo der göttlichen Wunder so viele geschehen sind. In dieses
Land hat auch der Herr jenen angstvollen Tag gesprochen, wo der Waise
gerächet wird und die Wittwe klagen mag. Christen, Juden und Heiden
sagen, daß dieß ihr Erbe sey. Gott mög' es zu Recht entscheiden, alle
Welt streitet darum, aber recht ist, daß er =uns= gewähre! (I 104 f.)
Den Christen wurde damals gewährt und groß mag Walthers Freude gewesen
seyn, wenn ihm vergönnt war, seinen geliebten Kaiser Friedrich im
Tempel des heiligen Grabes mit der Krone von Jerusalem gekrönt zu
sehen.


Neunter Abschnitt.
Des Dichters Alter. Seine Religionsansichten.
Sein Tod.

Es ist eine Reihe von mehr als dreißig Jahren, durch die wir unsrem
Dichter seit den ersten Liedern, denen sich die Zeit ihrer Entstehung
nachweisen läßt, d. h. vom Jahr 1198 an, unter dem Fingerzeig der
Geschichte gefolgt sind, und schon jene Lieder tragen den Ausdruck
männlicher Reife. Wir haben ihn sagen gehört, daß er vierzig Jahre und
drüber von Minne gesungen. Sonach ist nicht zu zweifeln, daß er ein
ansehnliches Alter erreicht habe.
Wie wenig sein Leben durch äussere Glücksumstände begünstigt war,
darüber läßt er sich bald schmerzlich, bald launig vernehmen. Auf
letztere Weise in Folgendem:
Frau Sälde theilet rings um mich
Und kehret mir den Rücken zu,
Da kann sie nicht erbarmen sich;
Nun rathet, Freunde, was ich thu'!
Sie steht ungerne gegen mir,
Geh' ich hinfür, ich bin doch immer hinter ihr,
Sie geruhet nicht mich anzusehen;
Ich wollte, daß ihr Aug' an ihrem Nacken stünde,
So müßt' es ohn' ihren Dank geschehen.
(I 119a)
=Frau Sälde=, Frau Glück, die Segensgöttin. =gegen mir=, mir
zugewendet, =ohn' ihren Dank=, gegen ihren Willen.
In ähnlichem Tone hat er seinen letzten Willen aufgesetzt. Er will,
eh' er hinfährt, sein fahrend Gut und Eigen austheilen, damit Niemand
darum streite, dem er es nicht zugedacht. All sein Unglück bescheidet
er Jenen, die sich dem Haß und Neid ergeben; seinen Kummer den Lügnern;
seinen Unverstand denen, die mit Falschheit minnen; den Frauen: nach
Herzeliebe sehnendes Leid (I 115b).
Eben die Ungunst des Geschickes, womit er vielfältig zu kämpfen hatte,
konnte frühzeitig seinen Sinn auf das Höhere lenken. Die manigfachen
Erfahrungen einer langen Lebensbahn waren geeignet, ihm die Nichtigkeit
der irdischen Dinge aufzudecken. Mit dem vorrückenden Alter sehen
wir ihn auch immermehr in das Gebiet ernster und frommer Betrachtung
hingezogen. Wenn wir an einem Theile seiner Minnelieder die Wärme
der Empfindung vermißten, so finden wir die Heimath seiner tieferen
Begeisterung da, wo es von Sachen des Vaterlandes und der Religion sich
handelt. Sein Zeitgenosse Reinmar der Alte ist so sehr Minnesänger, daß
er auch noch als Pilgrim seiner Gedanken nicht Meister wird: den Gott,
dem er dienen soll, helfen sie ihm nicht so loben, wie er es bedürfte
(I 72a)[85]. Unser Dichter dagegen hat mit dem ungetheiltesten Eifer
die Sache des Kreuzes ergriffen.
[85] So gesteht auch =Friedrich= von =Husen=: sein Leib wolle
gerne fechten gegen die Heiden, aber seinem Herzen liege ein
Weib nahe (=Man.= I 93b); und der von =Johannsdorf= bittet
die Minne, ihn so lange frei zu lassen, bis er die reine
Gottesfahrt vollendet habe, dann soll sie ihm wieder willkommen
seyn (I 176b).
Jetzt, da er sich am Abend seines Lebens befindet, wird es angemessen
seyn, eben die religiöse Seite seiner Dichtungen völlig hervorzuheben.
Das Irdische schwindet ihm, so wie beim Sinken der Sonne die Thäler
sich in Schatten hüllen und bald nur noch die höchsten Gipfel
beleuchtet stehen.
Den Vorzug der wahren und daurenden Freuden von den eiteln und
flüchtigen bezeichnen nachstehende Lieder:
Ich bin Einer, der nie halben Tag
Mit ganzen Freuden hat vertrieben.
Was ich je daher der Freuden pflag,
Der bin ich hier entblöst geblieben.
Niemand kann hie Freude finden, sie zergeh',
Wie der lichten Blumen Schein.
Darum soll das Herze mein
Trachten nach falschen Freuden nimmermeh.
(I 114a)
=sie zergeh'=, sie zergehe denn.
* * * * *
O weh! wir müssigen Leute, wie sind wir versessen
Zwischen zwei Freuden nieder an die jämmerliche Statt!
Aller Arbeit hatten wir vergessen,
Da uns der kurze Sommer sein Gesind' zu werden bat.
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