Walther von der Vogelweide: Ein altdeutscher Dichter - 3

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zu Pferde, vermuthlich die Geige mit sich führend[21]. Daß er seine
Lieder selbst vorgetragen, ist aus einigen derselben noch hörbar[22].
Zu Hof und an der Straße läßt er sie ertönen (I 136b). In einem
Morgengebet empfiehlt er sich unter Gottes Obhut, wohin des Landes
er heute reiten möge (I 129a). Er beruhigt seine Geliebte über seine
Abwesenheit:
Meiner Frauen darf nicht werden leid,
Daß ich reite und frage in fremde Land'
Nach den Weiben, die mit Würdigkeit
Leben (der ist viel manche mir bekannt)
Und die schöne sind dazu;
Doch ist ihrer keine,
Weder groß noch kleine,
Der Versagen mir jemals wehe thu'!
(I 118b)
[21] »Wohlauf! wer tanzen wolle nach der Geigen.«
(W. Hds. S. 170) Daß Walther sich der =Harfe= bedient, ist
aus der Stelle (I 112) vermuthet worden, wo er von der =alten
Lehre= spricht, daß man nicht in der Mühle =harpfen= solle.
Der Ausdruck ist aber, wie der Dichter selbst andeutet,
sprichwörtlich zu verstehen.
[22] In den Anreden: »Ja Herre!« (I 109b 124b) »Herren und Freund'!«
(I 136b)
Er hat der Lande viel gesehen, wie wir zuvor ihn singen hörten. Von der
Elbe bis an den Rhein und wider bis in Ungerland hat er sich umgesehen,
von der Seine bis an die Mur, von dem Po bis an die Drave hat er der
Menschen Weise erkannt (I 131b). Am Hofe von Oesterreich haben wir ihn
zuerst getroffen, am Hofe von Thüringen finden wir ihn jetzt wieder.
=Hermann=, Landgraf in =Thüringen= (von 1195 bis 1215), den sich
Philipp in dem vorerwähnten Feldzuge von 1204 unterworfen[23],
behauptet eine ausgezeichnete Stelle unter den fürstlichen Freunden
der Dichtkunst. Er setzte schon den Meister =Heinrich= von =Veldecke=
in den Stand, seine Aeneide, die ihm neun Jahre lang entwendet war, zu
Ende zu führen. (=Eneidt= V. 13268 ff.) Auf seinen Anlaß bearbeitete
=Wolfram= von =Eschenbach= den Wilhelm von Oranse (H. Georg V. 34 ff.)
und für ihn verdeutschte =Albrecht= von =Halberstadt= die Verwandlungen
Ovids[24]. Vornemlich aber ist er durch den Wettstreit der Sänger an
seinem Hofe zu Wartburg berühmt geworden.
[23] Das politische Gedicht: »Nu soll der Kaiser hehre« &c. (I
136a) ist auf diese Begebenheit bezogen worden. Es ist jedoch
zu bemerken, daß Philipp niemals =Kaiser= war, daß Walther
ihn sonst überall =König= nennt und beiderlei Titel sehr wohl
unterscheidet, z. B. in dem Liede:
Herre =Kaiser=! ihr seyd willekommen,
Des =Königes= Name ist euch benommen &c.
(I 103b)
Bei dem damaligen Wechsel der Parteiung kann jenem Gedichte
leicht ein späteres Ereigniß zu Grunde liegen.
[24] S. den Prolog Albrechts vor =Wickrams= Umarbeitung seiner
Verdeutschung. Frankf. 1581.
Auch in dem Leben und den Liedern unsres Dichters spielt er eine
bedeutende Rolle. Vor 1198 fanden wir diesen in Oesterreich. Alsdann
folgen seine Lieder auf Philipp von Schwaben und es ist nicht
anzunehmen, daß er sich an dem Hofe des Landgrafen werde aufgehalten
haben, so lange dieser Philipps Gegner war. Im Sommer des Jahres 1204
unterwarf sich der Landgraf. Es ist daher ganz nicht unwahrscheinlich,
daß Walthers Aufenthalt an dessen Hofe um das Jahr 1207 stattgefunden,
in welches der Krieg auf Wartburg, worin Walther auftritt, von den
thüringischen Chroniken gesetzt wird.
Dieser Wettstreit, den das vielbesprochene Gedicht in der Manessischen
Sammlung (II 1-16) in Wechselgesang, mit untermengter Erzählung,
darstellt, hat zunächst das Lob milder Fürsten zum Gegenstand. Heinrich
von Ofterdingen erhebt den Herzog von Oesterreich, ihm treten Wolfram
von Eschenbach und Andre entgegen, die den Landgrafen von Thüringen
verherrlichen. Walther von der Vogelweide zeigt sich anfangs ungehalten
auf Oesterreich und giebt dem König von Frankreich vor allen Fürsten
den Preis. Nachher bereut er, daß er sich von dem Oesterreicher
losgesagt, den er jetzt der =Sonne= vergleicht; allein über die Sonne
noch stellt er den =Tag=: Hermann von Thüringen. Von sich selbst
meldet er, wie er zu Paris gute Schule gefunden, zu Konstantinopel,
zu Baldach, zu Babylon Kunst und Weisheit erlernt habe. Hieraus ist
wenigsten ersichtlich, daß Walther dem Verfasser des Gedichts für
einen weitgereisten und in die Tiefen der Kunst eingeweihten Meister
gegolten habe. Das Gedicht, so wie es vorliegt, hat aber wohl nicht
den Wolfram von Eschenbach, dem man es zugeschrieben, sondern einen
spätern mainzischen Meister zum Verfasser, wenn gleich Ueberlieferung
und ältere Lieder zu Grunde liegen.
Wenden wir uns zu Walthers eigenen Aeusserungen über sein Verhältniß
zu dem Hofe von Thüringen, so ist dasjenige seiner Lieder zuerst
auszuheben, mit welchem er sich dem Landgrafen erst zu nähern scheint.
Er fordert Jeden auf, der an des edeln Landgrafen Rathe sey, Dienstmann
oder Freier, den jungen Fürsten um Eines zu mahnen und zwar so,
daß er, der Dicher, den Erfolg davon spüre. Drei Tugenden werden
an dem Landgrafen gerühmt: er sey milde, stet und wohlgezogen. Aber
eine vierte noch würde ihm wohl anstehen, die nemlich: daß er nicht
säumig sey (I 106a). Der Dichter mochte damit den Wunsch ausdrücken,
baldmöglich von dem Landgrafen beschenkt oder in dessen Dienst
aufgenommen zu werden.
In einem weitern Liede (I 133b) finden wir ihn dieses Wunsches gewährt.
Er freuet sich, des milden Landgrafen =Ingesinde= zu seyn. Es ist seine
Sitte, daß man ihn immer bei den Theuresten finde. Die andern Fürsten
alle sind anfangs milde, aber sie bleiben es nicht so stetiglich. Der
Landgraf war es ehe und ist es noch, darum kann er besser, denn sie,
der Milde pflegen. Das Lied schließt mit den schönen Worten:
Wer heuer schallet und ist hin zu Jahre böse, als eh',
Des Lob grünet und salbet, wie der Klee.
Der Thüringer Blume scheinet durch den Schnee,
Sommer und Winter blühet sein Lob, wie in den ersten
Jahren[25].
=schallet=, pochet, pranget. =hin zu Jahre=, über's Jahr. =als eh'=,
wie vorher.
[25] Im =Titurel=, wo des Landgrafen Hermann mehrmals rühmliche
Erwähnung geschieht, heißt es von ihm (Kap. 7):
Hermann von Thüringen Ehre
Pflag weiland, die muß immer Preises walten &c.
Wünschenswerth allerdings mag das Leben an des Landgrafen Hofe gewesen
seyn. Der Dichter giebt eine sehr anschauliche Schilderung von diesem
Hofhalt, woraus zu entnehmen ist, daß man dort wenig von der schlimmen
Zeit verspürte:
Wer in den Ohren siech, wer krank im Haupte sey,
Das ist mein Rath, der lasse den Hof zu Thüringen frei;
Kommt er dahin, fürwahr er wird erthöret.
Ich habe gedrungen, bis ich nicht mehr dringen mag;
Eine Schaar fährt aus, die andre ein, so Nacht als Tag,
Groß Wunder ist, daß Jemand da noch höret.
Der Landgrafe ist so gemuth,
Daß er mit stolzen Helden seine Habe verthut,
Der jeglicher viel wohl ein Kämpfe wäre.
Mir ist seine hohe Art wohl kund,
Und gälte ein Fuder gutes Weines tausend Pfund,
Da stünde doch nimmer Ritters Becher leere.
(W. =Hds.= S. 170)
=erthöret=, betäubt. =Kämpfe=, Kämpe, ein Solcher, der besonders
aufgestellt ist, eine Sache im Zweikampf auszufechten, also ein
auserwählter, vorzüglicher Streiter.
Manch unnützen Gesellen mußte die Gastfreiheit dieses Hofes anziehen.
=Eschenbach= rügt dieses in seinem =Parcifal= V. 8856 ff.[26], mit
Beziehung auf ein nicht mehr vorhandenes Lied unsres Dichters:
Von Thüringen Fürsten Hermann!
Etlich dein =In=gesinde ich maß,
Das =Aus=gesinde hiesse baß.
Dir wär' auch eines =Kaien= noth,
Seit wahre Milde dir gebot
So manigfalten Anehang,
Hier ein schmählich Gedrang
Und dort ein werthes Dringen.
Drum muß Herr =Walther= singen:
»=Guten Tag, Böse und Gut!=«
Wo man solchen Sang nun thut,
Des sind die Falschen geehret.
=Kaie= hatt's ihn nicht gelehret,
Noch Herr =Heinrich= von =Rispach= &c.
[26] Aus demselben Gedicht V. 19097 f. erhellt, daß damals Thüringen
auch für das Vaterland neuer Tanzmusik galt.
=Kaie= ist des Königs Artus strenger und mürrischer Seneschall,
der solchem Unwesen, nach =Eschenbachs= Ausdruck, schärfer
war, denn der Biene Stachel. =Gedrang=, Gedränge, Zudrang. =Die
Falschen=, die Schlechten. =Heinrich von Rispach=, vielleicht der
=tugendhafte Schreiber=, der im Wartburger Kriege auftritt und
dessen Gedichte =Man.= II 101 ff. aufbewahrt sind, der _Henricus
Notarius_, _H. Scriptor_, welcher in thüringischen Urkunden von
1208-1228 vorkömmt. =Mus.= I 173.
Ein wunderlicher Mann, mit Namen =Gerhard Atze=, scheint der freudigen
Gesellschaft am thüringischen Hofe zur Zielscheibe ihres Witzes gedient
zu haben. Ihm hat Walther zwei Gedichte gewidmet. Das eine (I 105a) ist
durch persönliche Anspielung räthselhaft. Das andre (I 113a) betrifft
einen scherzhaften Rechtsstreit. Der merkwürdige Fall ist dieser: Herr
Gerhard Atze hat dem Dichter zu Eisenach ein Pferd erschossen. Walther
klagt auf Entschädigung: das Pferd war wohl dreier Marke werth. Gerhard
Atze weicht aber damit aus, daß er behauptet: das getödtete Pferd sey
dem Rosse blutsverwandt, das einst ihm, dem Beklagten, den Finger zu
Schande gebissen. Dagegen erbietet sich Walther, mit beiden Händen zu
beschwören, daß die Pferde einander nicht befreundet waren, und er ruft
auf, wer ihm =staben=, d. h. den Eid abnehmen wolle?
Ein Kampfgenosse des Landgrafen Hermann in dessen Fehde mit König
Philipp war der Graf von =Katzenellenbogen=, Wilhelm II., zugenannt
der =Reiche=[27]. Derselbe mag es seyn, von dem unser Dichter singt.
Walther ist dem =Bogener= hold, ganz ohne Gabe und ohne Sold (I 127a).
Doch der Graf versteht, er beschenkt den Sänger mit einem Diamant.
Dafür preist ihn dieser als der schönsten Ritter einen. Nicht nach dem
Scheine lobt er die Schönheit; =milder= Mann ist schön und wohlgezogen,
man soll die innre Tugend nach aussen kehren, dann ist das äussre Lob
nach Ehren, wie des von =Katzenellenbogen=. (=Ebd.=)
[27] =Dilich=, Hessische Chronik 1606 Thl. I S. 33
So wird gewöhnlich der Fürst, dem der Dichter sich nähern will, zuerst
mit einem Liede ausgeforscht. Ist der Erfolg entsprechend, dann ertönt
auch das vollere Lob.
Von einer großen, zarter oder unzarter sich äussernden Begehrlichkeit
können die Hofsänger damaliger Zeit nicht freigesprochen werden.
Sie versäumen keinen Anlaß, sich zu milder Gabe zu empfehlen. Ihre
zahlreichen Lobgedichte sind überall darauf berechnet. Die =Milde= d.
h. die Freigebigkeit, ist ihnen der Fürsten erste Tugend[28]. Wo ihnen
nicht willfahrt wird, machen sie ihr Lied zur Waffe des Tadels und des
Spottes. Sie werfen dem unmilden Herrn einen Stein in den Garten und
eine Klette in den Bart[29].
[28] Das Gedicht vom Kriege auf Wartburg erhebt diese fürstliche
Tugend zum vorzüglichen Gegenstand des Wettgesangs. Der
=Tanhuser=, um die Mitte des 13. Jahrh., mustert in einem
besondern Gedichte (=Man.= II 64) die Fürsten seiner und der
nächst vorhergegangenen Zeit nach eben dieser Beziehung.
[29] Damit droht der =Mysner= (DXCVI). Mit dem Verfalle der
Kunst nimmt die Gemeinheit zu. Sie werden trotziger und
niederträchtiger zugleich. Dem Kargen, der sich selbst
bedürftig stellt, wünscht der =Unverzagte= (III), daß seine
Hand eines fremden Mannes Kleid auf seines Weibes Bette
finden möge. Der =Urenheimer= (CCVI) sagt gerade heraus:
»also man den Meister lohnet, also wischet er das Schwerdt.«
=Rumelant von Schwaben= (CCCLXXXI) verhehlt nicht, daß er
mit seinen Lobliedern gelogen habe. Doch hat ihm ein weiser
Prediger gesagt, daß hübsche Lüge nicht große Sünde sey. Der
=Unverzagte= (XIX) äussert noch: »Man soll gnädige Heilige fern
in fremden Landen suchen, so such' ich werthe Leute, die ihr
Gut mit Ehren zehren. Welcher Herr mir Gnade thut, der soll
mein Lob hinnehmen. Sie sind heilig, die mir geben um Gottes
und der Ehre willen. Die =lebenden= Heiligen müssen selig
seyn!«
Noch ziemlich gelinde scherzt der Unsrige über die unwirthliche
Aufnahme, die er in der bairischen Abtei =Tegernsee= gefunden. Es war
ihm viel von dieses Hauses Ehre gesagt worden. Deshalb ritt er einst,
um dahin zu kommen, mehr denn eine Meile abseits der Straße. Aber
vergeblich war seine Hoffnung auf einen guten Klostertrunk:
Ich nahm da Wasser,
Also nasser
Mußt' ich von des Mönches Tische scheiden.
(I 113a)
Geld, Auslösung der für Zehrung versetzten Pfänder, Pferde, Kleider,
waren der Lohn, der den Sängern von ihren Gönnern zu Theil wurde.
Walther sagt von einer schönen Frau, sie habe ein werthes Kleid
angezogen: ihren reinen Leib. Sie sey ein wohlgekleidet Weib. Getragene
Kleider hab' er nie genommen[30], dieses nähm' er für sein Leben gerne.
Der Kaiser würde dieser Frau Spielmann um so reiche Gabe (I 121b).
[30] So sagt auch der von =Buwenburg= (II 181a):
Wer getragener Kleider gehrt,
Der ist nicht Minnesanges werth.
Herrn =Geltar= dagegen (oder =Gedrut=, =Pf. Hds.= 357
Bl. 24b) ist es noth nach =alter Wat= (II 119b). Auch der
=Chanzler= zeigt sich lüstern nach =reicher Herren alter
Wat= (II 246b).
Wenn übrigens auch unser Dichter in diesem Werben um Gunst und Gabe
der Fürsten dem Gebrauche der Zeit und dem äussern Bedürfnisse gefolgt
ist, so muß doch auf der andern Seite anerkannt werden, nicht bloß daß
er jene Tugend der Milde auf wahrhaft dichterische Weise gepriesen,
sondern auch, daß er darüber das Höhere nicht aus den Augen gesetzt,
vielmehr mitten im Getrieb der Höfe sich einen freien Blick und einen
würdigen Sinn erhalten. Es erscheint angemessen, jetzt auch diese
edlere Seite herauszuheben.
Nicht die bloße Freigebigkeit ist es, darum er die Fürsten in Anspruch
nimmt, weit umfassender hat er den Kreis ihrer Pflichten erkannt:
Ihr Fürsten tugnet eure Sinne mit reiner Güte,
Seyd gegen Freunde sanfte, gegen Feinde traget Hochgemüthe,
Stärket Recht, und danket Gott der großen Ehren,
Daß mancher Mensch seinen Leib, sein Gut muß euch zu Dienste
kehren!
Seyd milde, friedebar, laßt euch in Würde schauen!
So loben euch die reinen süßen Frauen.
Scham, Treue, ehrebringende Zucht sollt ihr gerne tragen!
Minnet Gott und richtet, was die Armen klagen!
Glaubt nicht, was euch die Lügenere sagen,
Und folget gutem Rathe, so möget ihr im Himmelreiche bauen!
(I 132b)
=tugnet=, machet tüchtig, veredlet. =minnet=, liebet; =Minne= ist
Liebe in jeder Bedeutung. =bauen=, wohnen, dereinst Bürger des
Himmelreichs werden.
Noch in andern Liedern warnt er die Fürsten vor falschem Rathe. Er will
sie lehren, wie sie jeglichen Rath wohl mögen erkennen. Der guten Räthe
sind drei, drei böse stehen zur linken Hand dabei. =Frommen=, =Gottes
Huld= und =weltliche Ehre=, das sind die guten. Wohl ihm, der diese
lehret! den möchte ein Kaiser nehmen an seinen höchsten Rath. Die drei
bösen heißen: =Schade=, =Sünde= und =Schande= (I 105b).
Besonders wird Derjenige, wes Standes er sey, für einen Schalk erklärt,
der seinen Herren lehre, zu lügen oder das Angelobte nachher zu
versagen, und der so die Biedern schamlos mache:
Erlahmen müssen ihm die Beine, so er sich zu dem Rathe biege!
Sey aber er so hehr, daß er dazu sitze,
So wünsche ich, daß sein' ungetreue Zunge müsse erlahmen.
(I 130b)
Die Herren selbst, welche so durch glänzende Versprechungen täuschen,
vergleicht Walther den Gaucklern, die unter dem Hute jetzt einen wilden
Falken, jetzt einen stolzen Pfau, jetzt gar ein Meerwunder vorweisen,
am Ende aber ist es weiter nichts, als eine Krähe. Wär' ich dir
stark genug, ruft er solchem Gauckler zu, ich schlüge dir die falsche
Gauckelbüchse an dein Haupt (I 132b).
Der Umgang mit den Mächtigen hat das Urtheil des Dichters über die
wahren Vorzüge der Menschen keineswegs getrübt. Er sucht diese nicht in
der Geburt. Kräftig spricht er sich über den Ursprung aller Sterblichen
aus gleichem Lehm und über ihre Gleichheit vor dem höchsten Herren aus:
Wer ohne Furcht, o Herr Gott!
Will sprechen deine zehn Gebot',
Und brichet die, das ist nicht wahre Minne.
Dich heisset =Vater= Mancher viel,
Der mich zum =Bruder= doch nicht will;
Der spricht die starken Wort' aus schwachem Sinne.
Wir wachsen all' aus gleichem Dinge,
Speise frommet uns, sie wird ringe,
So sie durch den Mund hin fährt.
Wer kann den Herren von dem Knechte scheiden,
Der ihr Gebeine bloßes fünde,
(Hatt' er gleich der Lebenden Kunde,)
So Gewürme das Fleisch verzehrt?
=Ihm= dienen Christen, Juden und Heiden,
Der alle lebende Wunder nährt.
(I 128b)
Der Teufel, wenn er sichtbar daher käme, sagt Walther ein andermal,
wäre mir nicht so verwünscht, als des Bösen böser Sohn. Von der Geburt
kommt uns weder Frommen noch Ehre (I 129a).
Die erworbenen, selbstverdienten Freunde zieht er den angebornen, den
=Magen=, vor:
Mann, hochgemagt, an Freunden krank,
Das ist ein schwacher Habedank;
Baß hilfet Freundschaft ohne Sippe.
Laß Einen seyn geborn von Königes Rippe,
Er habe denn Freunde, was hilfet das?
=Magschaft= ist selbstgewachs'ne Ehre,
So muß man Freunde verdienen sehre.
=Mag'= hilfet =wohl=, =Freund= vieles =baß=.
(I 126b)
=hochgemagt=, der hohe Magen, Blutsverwandte, hat. =krank=,
schwach, arm. =Habedank=, Entgelt, Ersatz. =So=, den Gegensatz
bezeichnend. =verdienen=, durch Dienst, mühsam erwerben.
Den wahren Werth des Mannes begründen ihm drei Eigenschaften:
=Kühnheit=, =Milde=, besonders aber =Treue=. An Weibes Lobe, meint er,
stehet wohl, daß man sie =schön= heiße. Manne stehet es übel, es ist
zu weich und oft zum Hohne. =Kühn= und =mild= und daß er dazu =stete=
sey, so ist er viel gar gelobt. Ihr müsset =in= die Leute sehen, wollt
ihr sie erkennen; Niemand soll aussen nach der Farbe loben (I 134a).
Gewissen Freund, versuchtes Schwerdt, soll man zu Nöthen sehen (I
131b)[31].
[31] Die =Pf. Hds.= 357 Bl. 20 hat das Lied, welches mit diesem
Satze schließt, unter denen des Truchs. von St. Gallen.
»Getreuer Freund, versuchtes Schwerdt, die zweene sind in
Nöthen gut!« sagt auch =Bruder Werner= (LVIII). Die Rede
ist sprichwörtlich, wie jenes Lied selbst andeutet. Walther
läßt zuweilen ein Sprichwort (=ein alt gesprochen Wort=, wie
=Ulrich v. Winterstetten= sich ausdrückt, =Benecke's= Ergänz.
S. 220. Vgl. _Fragm. de bell. Carol. M. contr. Sarac. v.
1011._) einfließen, als: »In der Mühle harpfen.« (I 122) (Vgl.
=Freigedank=, V. 1559 f.) »Guter Mann ist guter Seiden werth.«
(I 115a) »Sind je doch Gedanken frei.« (I 121b) Vgl. =Dietmar=
von =Ast=: »Gedanken, die sind ledig frei.« (I 40a)
Ihm grauset, wenn ihn die Lächler anlachen, denen die Zunge honiget und
das Herz Galle hat. Freundes Lächeln soll seyn ohne Missethat, lauter
wie das Abendroth, das liebe Mähre kündet. Wes Mund mich trügen will,
der habe sein Lachen hin! Von dem nähme ich ein wahres =Nein= für zwei
gelogene =Ja= (I 131a).
Gott, der ein rechter Richter heißet in der Schrift, sollte das
geruhen, daß er die Getreuen von den Falschen schiede; hienieden
noch, denn jenseits werden sie wohl gesondert. Gerne sähe ich an ihrer
Etlichem ein Schandenmal, der sich dem Manne windet aus der Hand, recht
wie ein Aal. O weh! daß Gott nicht zorniglich an denen wundert! Wer
mit mir fährt von Hause, der fahr' auch mit mir heim! Des Mannes Muth
soll fest seyn, als ein Stein, an Treue grad und eben, wie der Stab am
Pfeile (=W. Hds.= S. 151).
So streng der Dichter hier und anderwärts gegen Alles eifert, was
er für schlecht erkannt hat, so scharf er auch zu spotten versteht,
so erscheint dennoch sein Innerstes ungemein weich und milde. In
sittlicher Beziehung zeichnet ihn das Zartgefühl, ja die Aengstlichkeit
aus, womit er vorzubeugen sucht, daß sein Straflied nicht mit dem
Schuldigen zugleich den Unschuldigen verletze (z. B. I 107b 6, 120b
3). Er ist den Bösen versöhnlich, wenn sie sich bessern wollen (I 115b
4). Er duldet manche Unfuge, obwohl er sich rächen könnte (I 121b 2).
Denen, die im Winter ihm Freude benommen, wünscht er doch, daß die
Sommerzeit ihnen wohl bekommen möge. Er kann nicht fluchen, als das
üble Wort: =unselig=! das wär' aber allzuviel (I 136b 3),
Seine gedrückte Lage, seine Abhängigkeit von der Gunst oder Ungunst
Andrer, hat ihn eingeschüchtert und er lebt sein wahrstes Leben nur in
der Einsamkeit und Heimlichkeit des Gemüths. Er hütet sich, daß nicht
die Leute sein verdrieße, mit den Frohen ist er froh und lacht ungerne,
wo man weinet (I 117a 1). Er ist unschädlich froh, daß man ihm wohl
zu leben gönne. Heimlich steht sein Herze hoch (I 114a 3). Er scheut
sich froh zu seyn, wenn es nicht Andre mit ihm sind, damit er nicht ihr
Fingerzeigen leide (I 140a 1 v. u.) So verhehlt er auch sein Leid und
stellt sich freudenreich (I 140b 2 v. u.); damit hat er oft sich selbst
betrogen und um der Welt willen manche Freude erlogen, dieß Lügen war
aber löblich (I 139b 2).
Seiner selbst mächtig zu seyn, gilt ihm für eine vorzügliche Tugend:
Wer schlägt den Löwen? wer schlägt den Riesen?
Wer überwindet jenen und diesen?
Das thut Jener, der sich selber zwinget.
(I 127a)


Vierter Abschnitt.
Otto IV. und Friedrich II. Walther empfängt
ein Reichslehen. Der Truchseß von Singenberg.

Nach dem Tode Philipps von Schwaben wurde Otto von Braunschweig
allgemein als König anerkannt. Um sich der Anhänger des
hohenstaufischen Hauses zu versichern, beschloß er, sich mit Philipps
verwaister Tochter Beatrix zu verloben. Auf der Fürstenversammlung
zu Würzburg, 1209, empfieng Beatrix, von den Herzogen Leopold von
Oesterreich und Ludwig von Baiern eingeführt, des Königs Kuß und
Ring. Das Hinderniß der Verwandtschaft hatte der Pabst, auf den
hohenstaufischen Friedrich in Sicilien argwöhnisch, gerne gehoben.
Doch blieb die Vermählung ausgesetzt. Otto trat den Römerzug an und
wurde im Weinmond 1209 von Innocenz III. als Kaiser gekrönt. Die
Ansprüche der päbstlichen und der kaiserlichen Gewalt, der =Platte=
und der =Krone=[32], waren sich aber zu sehr entgegengesetzt, als
daß jemals ein gutes Vernehmen in die Dauer bestanden hätte. Die von
Otto vorgenommene Herstellung der Reichsrechte in Italien war der
Anlaß, daß sein bisheriges Einverständniß mit Innocenz sich in heftige
Zwistigkeiten auflöste. Weil Otto befürchten mußte, daß der Pabst
ihm in dem jungen Friedrich von Sicilien einen Gegenkönig aufstellen
würde, brach er mit Heeresmacht in Apulien ein. Dagegen warf Innocenz
auf ihn den Bannstral und erweckte in Deutschland durch den Erzbischof
von Mainz eine Partei für den sicilischen Friedrich. Der König von
Böhmen, die Herzoge von Oesterreich und von Baiern, der Landgraf von
Thüringen und viele Andre erklärten den für den rechten König, dem man
einst Treue geschworen, als er noch in der Wiege lag. Es wurden Boten
abgeschickt, um Friedrichen nach Deutschland einzuladen.
[32] So bezeichnet =Reinmar d. Alte= (=Man.= I 80b) die geistliche
und die weltliche Macht.
Otto, der in Apulien große Fortschritte gemacht hatte, sah sich
jetzt genöthigt, nach Deutschland zurückzukehren. Er beschleunigte
seine Vermählung mit Beatrix, aber diese starb am vierten Tage nach
der Hochzeit, und nun verließen auch die schwäbischen und bairischen
Vasallen sein Heer.
Während er in Thüringen den Landgrafen, seinen vormaligen Anhänger,
bekriegte, im Sommer 1212, kam Friedrich, jetzt fünfzehn Jahre alt,
vom Segen des Pabstes begleitet, nach Ueberstehung großer Gefahren und
Mühseligkeiten, über das unwegsamste Alpgebirge zu Chur in Rhätien
an. Der dortige Bischof und der Abt von Sankt Gallen geleiteten ihn
nach Konstanz. Zu gleicher Zeit erschien am andern Ufer des Sees, zu
Ueberlingen, Otto mit seinem Heer. Aber von Vielen verlassen, konnte
dieser sich nicht mit seinem Gegner messen. Friedrich begab sich nach
Basel, unter dem Beistand des Grafen von Kiburg und Andrer, denen er
freigebig Lehen ertheilte. Von da zog er mit stets wachsendem Anhang
den Rhein hinab. Otto mußte nach Sachsen entweichen und Friedrich
empfieng auf dem Hoftage zu Mainz die Huldigung der Fürsten. Zu
Frankfurt traf der Landgraf Hermann von Thüringen zu ihm. Friedrich
ritt diesem Fürsten mit großem Gefolg entgegen, umarmte ihn, nannte ihn
seinen Vater und führte ihn auf das ehrenvollste in die Stadt.
Auf welchem Wege Walther von der Vogelweide dem neuen Könige nahe
gekommen seyn mag, wir treffen ihn jetzt, wie er in zwei Liedern
zwischen Friedrich und Otto Vergleichung anstellt.
In dem einen versichert er spottweise: Herr Otte werde ihn noch reich
machen. Ein Vater hat weiland seinem Sohne die Lehre gegeben: dem
bösesten Manne zu dienen, damit der beste ihm lohne. Walther ist der
Sohn, Otto ist der böseste Mann, denn so recht bösen Herrn hat der
Dichter nie gehabt, König Friedrich aber ist der beste, der nun lohnen
wird (I 130a). Es erhellt aus diesem Liede, daß Walther zuvor auch
Ottos Dienste nachgezogen.
Otto IV., stolz und kriegerisch, dabei allzu sehr von Geld entblößt,
war freilich nicht der Mann nach dem Sinne der begehrlichen
Sänger[33]. Auch finden wir ihn nirgends unter den Beförderern des
Gesanges aufgeführt. Friedrich II., dessen Vortheil es mit sich
brachte, gefällig und freigebig aufzutreten, mußte unsrem Dichter um
so mehr zusagen, als sich dieser vorher schon als einen Freund des
hohenstaufischen Hauses gezeigt hatte.
[33] Auf ihn und seine Sparsamkeit zielt vielleicht auch das weitere
Spottgedicht Walthers: »Der König, mein Herre &c.« (I 130a).
Noch anschaulicher, als in dem vorerwähnten Liede, mißt Walther in
dem nachstehenden die beiden Könige mit dem Maßstab der Milde gegen
einander ab und zeigt, wie der junge Friedrich seinem Gegner über
das Haupt gewachsen sey. Zum Verständniß dieses Gedichts muß bemerkt
werden, daß Otto durch hohen Wuchs ausgezeichnet war. Der Abt von
Ursperg führt sogar Ottos Stärke und hohe Gestalt als einen Grund an,
der die Fürsten bewogen habe, ihn zum Throne zu berufen[34].
[34] »-- _pro eo, quod superbus et stultus, sed fortis videbatur
viribus, et statura procerus_.« Chron. Ursp. Der Verfasser
dieser Chronik ist ein eifriger Anhänger der hohenstaufischen
Partei.
Ich wollte Herrn Otten Milde nach der =Länge= messen,
Da hatt' ich mich an der Maße ein Theil vergessen,
Wär' er so mild, als lange, er hätte der Tugend viel
besessen.
Viel schiere maß ich ab den Leib nach seiner =Ehre=,
Da ward er viel gar zu kurz, wie ein verschroten Werk,
Mildes Muthes minder viel, denn ein Gezwerg,
Und ist doch von den Jahren, daß er nicht wachset mehre.
Da ich dem Könige brachte das Maß, wie er aufschoß!
Sein junger Leib ward beides: stark und groß.
Nun seht, was er noch wachse erst jetzo über ihn wohl
riesengroß! (I 130a)
=schiere=, bald, schleunig. =verschroten=, verhauen. =Werk=, irgend
eine Kunstarbeit, eine Waffe &c.
Dießmal aber ist es dem Dichter nicht um bloße Hofgunst, nicht um
ein Geschenk an Geld oder Kleidern zu thun. Er ist des irren Lebens
müde, ein Heimwesen soll ihm die Huld des Königs begründen. Lange
genug ist er Gast gewesen, er sehnt sich darnach, Wirth zu heißen. Ein
Reichslehen, wie wir bald sehen werden, ist es, worauf er abzielt:
=Seyd willekommen, Herre Wirth=! dem Grusse muß ich
schweigen.
=Seyd willekommen, Herre Gast=! da muß ich sprechen oder
neigen.
=Wirth= und =heim= sind zween unschämeliche Namen.
=Gast= und =Herberge= muß man sich viel ofte schamen.
Noch müsse ich erleben, daß ich den Gast auch grüsse,
So daß er mir, dem Wirthe, danken müsse!
=Seyd heutnacht hie, seyd morgen dort=! was Gauckelfuhre
ist das!
=Ich bin heim oder ich will heim=, das tröstet baß.
=Gast= und =Schach= kommt selten ohne Haß:
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