Walther von der Vogelweide: Ein altdeutscher Dichter - 5

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Wer mir verkehret, das ich heure von dem Kaiser sang
&c. (=Man.= II 121b)
Vgl. v. =Singenberg= (I 156b 3)
Die Gegner scheinen aber gesiegt zu haben und hieher kann es bezogen
werden, wenn der Dichter sich jetzt an den Herzog von Oesterreich
wendet:
_In nomine domini!_ ich will beginnen, sprechet _Amen!_
das ist gut für Ungelücke und für des Teufels Samen.
Daß ich nun singen müsse in dieser Weise also,
Wer höfischen Sang und Freude störe, daß der werde unfroh!
Ich habe wohl und hofelich daher gesungen,
Mit der Höfischheit bin ich nun verdrungen,
Daß die Unhöfischen nun zu Hofe werther sind, denn ich.
Das mich ehren sollte, das unehret mich.
Herzog aus Oesterreiche, Fürste, nun sprich!
Du wendest es alleine, sonst verkehre ich meine Zungen.
(I 131b)
=verkehre ich= &c. d. h. singe auch ich unhofelich.
In einem ähnlichen Liede droht er, sich jetzt auch des =scharfen
Sanges= befleißen zu wollen:
Da ich stets mit Furchten bat, da will ich nun gebieten,
Ich sehe wohl, daß man Herrengut und Weibesgruß
Gewaltiglich und ungezogenlich erwerben muß.
Er beschwert sich weiter, wenn er seinen höfischen Sang singe,
so klagen sie es =Stollen=, vermuthlich einem von den unhöfischen
Verkehrern seines Gesangs. Der Schluß des Liedes geht wieder auf den
Herzog Leopold:
Zu Oesterreiche lernte ich singen und sagen,
Da will ich mich allererst beklagen.
Finde ich an Lüpold höfischen Trost, so ist mir
mein Muth entschwollen.
(I 131b f.)
Mehrere Lieder zeigen uns nun den Dichter wirklich an dem ersehnten
Hofe zu Wien. Einige derselben gestatten eine ungefähre Zeitbestimmung,
namentlich beziehen sich zwei davon auf den Kreuzzug des Herzogs.
Leopold VII. ließ sich schon 1208 mit mehreren Edeln des Landes zu
Neuenburg mit dem Kreuze zeichnen. Im Jahr 1213 begab er sich mit
großem Gefolge nach Spanien, um die Mauren zu bekriegen. Sodann im
Jahr 1217 fuhr er mit dem Könige von Ungarn und vielen Andern nach
dem heiligen Lande. Dort betrieb er die Belagerung von Damiata,
kehrte aber, bevor noch diese Stadt eingenommen war, im Jahr 1219 nach
Oesterreich zurück[44]. Walther feiert des Herzogs glückliche Heimkehr.
Ihr seyd wohl werth, sagt er, daß wir die Glocken gegen euch läuten,
dringen und schauen, als ob ein Wunder kommen sey; ihr kommet uns
sünden- und schandenfrei, drum sollen wir Männer euch loben und die
Frauen sollen euch kosen. Im Uebrigen geht das Lied darauf hinaus, daß
der ehrenvolle Empfang den Herzog für den Vorwurf entschädigen solle,
als hätte es seiner Ehre angestanden, noch länger über Meer zu bleiben
(I 135).
[44] _Chron. Claustro-Neoburg. ad ann. 1208-1219._
Nach der Rückkehr des Herzogs ist ein Lied gedichtet, worin die
Kargheit des österreichischen Adels gerügt wird. Als Leopold spart' auf
die Gottesfahrt, da sparten sie alle, als wagten sie nicht zu geben.
Das war billig, daß sie ihn an Milde nicht überhöhen wollten; man soll
immer nach dem Hofe leben. Die Helden aus Oesterreich hatten stets
gehofeten Muth. Sie =behielten= ihm zu Ehren, das war gut. Nun =gebet=
ihm zu Ehren, wie er nun thut, und lebet nach dem Hofe, so ist eure
Zucht unbescholten! (I 132b)
In einem andern Gedichte lehnt Walther es ab, den Herzog nach dem Walde
zu begleiten. Zu Felde folgt er ihm gern, zu Walde nicht. Zu Walde
will ihn der Herzog, Walther hat stets bei Leuten gelebt. Selig sey der
Wald und die Heide, da möge Leopold mit Freuden leben! Zieh' er dahin,
Walthern lass' er bei Leuten, so haben sie Wonne beide (I 132b).
Aeusserst wohl ergeht es dem Dichter um diese Zeit. Er benennt dreier
Fürsten Höfe, so lange er diese weiß, braucht er nicht um Herberge fern
zu streichen, sein Wein ist gelesen und seine Pfanne sauset. Die drei
Fürsten sind: der biderbe Patriarch; zuhand dabei Leopold, der Fürst
zu Steier und Oesterreich, dem Niemand lebender zu vergleichen; der
dritte: des vorigen Vetter, der wie der milde Welf gemuth ist, des Lob
nach dem Tode besteht (I 133b).
Den Herzog Leopold kennen wir. Sein Vetter ist wohl niemand anders,
als seines Vaters einziger Bruder, =Heinrich=, der bis in das Jahr
1223 lebte[45]. Der biderbe Patriarch aber ist uns der Patriarch von
Aquileja, =Berthold=, aus dem Geschlechte der Grafen von Andechs, der
von 1218 an diese geistliche Würde bekleidete und erst 1251 starb[46].
[45] _Chron. cit. ad ann. 1223._ Wer der =milde Welf= sey, mit
welchem Leopolds Vetter verglichen wird, getraue ich mir nicht
zu bestimmen. Auch der =Tanhuser= (=Man.= II 64a) gedenkt eines
=Welf von Schwaben= unter den verstorbenen Fürsten, welche
manchem Mann viel reicher Kleider gaben.
[46] Frölich I. _c. Tab. IV_
Ein Blick in das Leben eines andern Dichters kann diese Verhältnisse
erläutern. =Ulrich= von =Lichtenstein=, aus dem steirischen
Geschlechte, das jetzt gefürstet ist, einer der liederreichsten
Minnesänger, hat bekanntlich selbst sein ritterliches Leben in dem
Buche: =Frauendienst=[47] beschrieben. Dieses Buch, dem geschichtliche
Grundlage nicht abzusprechen ist, giebt die merkwürdigsten Aufschlüsse
über die Sitten damaliger Zeit, über Minnedienst und Minnesang,
besonders über das Leben und Treiben der Fürsten und des Adels in
Oesterreich, Steiermark, Kärnthen und Istrien. Eben diese Gegenden,
wo wir Walthern zuletzt getroffen, hat Ulrich von Lichtenstein, bald
als Königin Venus, bald als der aus dem Paradies zurückgekommene König
Artus verkleidet, auf Ritterfahrt durchzogen. Eben die Fürsten, an
deren Hofe Walther gesungen, hat auch Ulrich gekannt und mit einigen
derselben sich im Ritterspiele getummelt. Ulrich ist jünger, als
Walther, und keiner gedenkt ausdrücklich des andern, aber sie sind
Zeitgenossen und gerade in dem Zeitabschnitte, bei dem wir jetzt
verweilen, begegnen sich ihre Bahnen; auch möchte sich aus Ulrichs
Liedern nachweisen lassen, daß Walthers Gedichte auf ihn eingewirkt
haben.
[47] =Frauendienst= &c. Nach einer alten Hdschr. bearbeitet und
herausgegeben von =Ludwig Tieck=. Stuttg. u. Tüb. 1811. Ein
Abdruck der Urschrift dieses wichtigen Denkmals wird noch immer
vermißt.
Den Herzog Leopold, Walthers Beschützer, finden wir im Buche Ulrichs
von Lichtenstein[48], wenn dieser (Cap. II) erzählt:
»Darauf ward ich Ritter, zu =Wien=, bei einer Hochgezeit', die ich
seitdem nimmer so schön gesehen habe: da war großes Ungemach von
Gedränge. Der Fürst =Leupold= aus Oesterreich gab seine minnigliche
Tochter einem Fürsten von Sachsen zum Gemahl. Der edle Fürst gab
dritthalb hundert Knappen Schwerdt; den Grafen, Freien, Dienstmann,
wohl tausend Rittern, gab der edle Fürst Gold, Silber, Roß und Kleider.
Fünf tausend Ritter aßen da des werthen Fürsten Brod, da war viel
Buhurt (eine Art des Turniers) und Tanzes, und manches Ritterspiel: da
waren die reiche Herzogin und ihre minnigliche Tochter, und manche gute
Fraue.«
[48] Auch den vorerwähnten Vetter Leopolds würden wir in dem
Markgrafen Heinrich von Oesterreich erkennen, bei welchem
Ulrich von Lichtenstein Lehrling war und von dem er so viel
Schönes zu rühmen weiß. =Frauend.= Cap. I S. 3-4. Es ist aber
zweifelhaft, ob hier nicht =Isterreich= statt =Oesterreich=
zu lesen sey? denn späterhin tritt der Markgraf Heinrich von
Isterreich auf.
Das Hochzeitfest, welches Ulrich beschreibt, hatte nach den
Geschichtschreibern im Jahr 1222 statt[49]. Ein ähnliches Fest, wenn
nicht dasselbe, hat Walther vor Augen, wenn er so anstimmt:
Ob Jemand spreche, der nun lebe,
Daß er gesehn je größre Gebe,
Als wir zu Wien durch Ehre haben empfangen?
Man sah den jungen Fürsten geben,
Als wollt' er nicht mehr länger leben,
Da ward mit Gute Wunders viel begangen.
Man gab da nicht bei dreißig Pfunden,
Nein! Silber, gleich als wär's gefunden,
Gab man hin und reiche Wat.
Auch hieß der Fürste durch der Gehr'nden Hulde
Die Mallen von den Stellen leeren.
Roß', als ob es Lämmer wären,
Viel Mancher weggeführet hat.
Es galt da Niemand seiner alten Schulde.
Das war ein minniglicher Rath!
(I 129b)
[49] »_Solemnitas magna in Wienna fit Duce auctore Liupoldo, cujus
etiam filia Duci Saxonum nuptiali thalamo est copulata._«
_Chron. Cl. Neoburg. ad ann. 1222._
=Gebe=, Ausspendung. =Als wollt' er= &c. vgl. =Nibel.= V. 171.
=durch der Gehrn'den Hulde=, zum Besten der Gehrenden, der
Sänger und andrer begehrlichen Leute, die sich bei solchen
Festlichkeiten zudrängten. =Mallen=, Koffer. =Stellen=, Gerüste,
worauf die Mallen standen. =galt=, bezahlte; man pflegte bei
solchen Anlässen den Gehrenden die Pfänder auszulösen.
Im Verfolg seiner Geschichte (Cap. VI) meldet Ulrich von Lichtenstein
von einer Fürstensprache, die zu Freisach stattgefunden. Der Markgraf
Heinrich von Isterreich[50] wollte den Fürsten von Kärnthen angreifen.
Als aber Leopold von Oesterreich dieses vernahm, sprach er: »Das
gestatte ich nicht, sondern ich will es versühnen und in kurzem einen
Tag machen.« Diese Gelegenheit benützten Ulrich und sein Bruder, auf
einem Anger bei der Stadt Freisach Ritterspiele zu veranstalten, woran
die Fürsten selbst Theil nahmen und über welchen man mehrere Tage
lang nicht zum Hauptgeschäfte kam. Am Ende ward jedoch die Aussöhnung
vermittelt. Unter den weltlichen Fürsten, die für dieses Geschäft
versammelt waren, erscheinen Leopold von Oesterreich und Bernhard
von Kärnthenland, unter den geistlichen der Patriarch von Aquileja.
Wir sehen also hier drei von den Gönnern unsres Dichters zu Ernst und
Spiel vereinigt, der Verkehr zwischen ihren Höfen ist eröffnet, es sind
belebte Pfade, worauf der Sänger wandelt.
[50] Dieser Markgraf Heinrich, aus dem Hause Andechs, ein Bruder des
Patriarchen Berthold, war des Antheils an der Ermordung König
Philipps verdächtig und wurde deshalb 1209 seiner Würden, Lehen
und Einkünfte verlustig erklärt. Das Haus Andechs behauptete
aber seine Ansprüche auf die Markgrafschaft. Heinrich starb um
1228.
So melden auch die Geschichtbücher, daß noch im Jahr 1229 der Patriarch
von Aquileja, Leopold von Oesterreich und der Herzog von Isterreich
nach Italien hinunter ritten, um den Kaiser Friedrich mit dem Pabste
auszusöhnen. Leopold starb 1230 zu St. Germano in Campanien und nur
seine Gebeine kamen nach Oesterreich zurück[51].
[51] _Chron. Ursp. ad ann. 1229, Chron. Cl. Neoburg. ad ann. 1230._
Wie heimisch Walther von der Vogelweide in jenen östlichen Gegenden
war, giebt er deutlich zu erkennen. Wenn er sagt: von der Seine bis an
die Mur, vom Po bis an die Drave hab' er der Menschen Weise gemerket
(I 131b), so hat er offenbar seinen Standpunkt in der Steiermark, die
von Mur und Drave durchströmt wird. Dahin zieht er seine Linien von der
Seine aus, als der nordwestlichen, vom Po, als der südlichen Gränze
seiner Wanderungen. In einem andern Liede (I 105b 4) scheint er die
Fürsten von Oesterreich, im Gegensatze zu andern Herren, die auf einem
Hoftage zu Nürnberg waren, die =heimlichen= (heimischen) zu nennen.
Hinwider zeigt eine Stelle im =Frauendienst= S. 119, wie gangbar
Walthers Gesang eben in jenen Gegenden war. Als Ulrich von Lichtenstein
auf der Ritterfahrt, die er als Königin Venus unternommen, gen
Wien reitet, begegnet ihm einer seiner Knechte, der ihm erfreuliche
Botschaft von der Frau seines Herzens zu melden hat. Der Bote darf den
verkleideten Herrn nicht anreden, er reitet daher bloß hinter demselben
her und singt ein Lied, wodurch er kund giebt, daß er gute Botschaft
bringe. Dieses Lied ist die erste Strophe eines Gedichts von Walther,
welches oben geliefert worden:
Ihr sollt sprechen: willekommen!
Der euch Mähre bringet, das bin ich &c.
»Das Lied -- sagt Ulrich -- klang mir in mein Herze und that mir
inniglich wohl.«
Noch hören wir Walthern den Verfall des Hofes zu Wien beklagen. Die
Ursache dieses Wechsels aber giebt er nicht an. Ob solche in dem
1230 erfolgten Tode Leopolds und in dem kriegerischen Geiste seines
Nachfolgers, Friedrichs des Streitbaren, zu suchen sey, lassen wir
dahingestellt seyn. Daß Friedrich dem Gesange nicht abhold war, ergiebt
sich aus dem, was =Nithart=, =Tanhuser=, =Pfeffel= und =Bruder Werner=
von ihm sagen. Sang er doch selbst den Frauen den Reigen, und der
=Tanhuser= mit (=Man.= II 59b). Soviel meldet übrigens die Geschichte,
daß nach Leopolds Tode fast alle seine Dienstleute sich gegen seinen
Sohn Friedrich verschworen, diesen des väterlichen Erbes beraubten und
nachher beinahe ganz Oesterreich mit Raub und Brand verwüsteten[52].
[52] _Chron. Cl. Neoburg. ad ann. 1230._
Reinmar der Alte giebt ein Trauerlied auf den Tod =Leopolds=, der darin
der Herr aller Freuden genannt wird (I 68a), Walther hinwider betrauert
den Tod Reinmars (I 105a) und hätte hiernach, wenn in jenem Klageliede
wirklich Leopold von Oesterreich gemeint ist, allerdings noch in den
Tagen Friedrichs des Streitbaren gelebt.
Das Gedicht selbst, worin er den Wechsel der Dinge am Hofe zu Wien
schildert, ist folgendes:
Der Hof zu Wiene sprach zu mir:
»Walther! ich sollte lieben dir,
Nun leide ich dir, das müsse Gott erbarmen!
Meine Würde, die war weiland groß,
Da lebte nirgend mein Genoß,
Denn Artuses Hof. Nun weh mir armen!
Wo nun Ritter, wo nun Frauen,
Die man bei mir sollte schauen?
Seht! wie jämmerlich ich steh'.
Mein Dach ist faul, es tropfen meine Wände,
Mich minnet Niemand, leider!
Gold, Silber, Ross' und dazu Kleider,
Die gab ich und noch hatt' ich meh.
Nun hab' ich weder Schapel, noch Gebände,
Noch Frauen zu einem Tanze, o weh!
(I 129b)
=lieben=, =leiden=, lieb, leid seyn. =mein Genoß=, meines Gleichen.
=Gebände=, Kopfbänder.


Siebenter Abschnitt.
Walthers Kunst und Kunstgenossen. Nithart.
Der Meissner. Reinmar. Walthers Standpunkt
in der Geschichte der deutschen Dichtkunst.

Wie sehr Walther von der Vogelweide seiner Kunst wegen von den
Zeitgenossen geschätzt war, beweist nicht bloß die Gunst, der er sich
von den angesehensten Fürsten, zumal demjenigen, der, auch dem Geiste
nach, vor allen glänzte, von Kaiser Friedrich II., zu erfreuen hatte;
auch die gleichzeitigen Meister des Gesanges zollen ihm hohe Achtung.
Dem gepriesenen =Wolfram= von =Eschenbach= ist er wohl bekannt, wie
wir bereits aus einer Stelle des =Parcifal= ersehen haben, in welcher
ein jetzt verlorenes Lied von ihm angeführt ist. Im =Titurel=, woselbst
Walther als einer der =hohen Meister= genannt wird[53], und im =Wilhelm
von Orleans= des =Rudolf= von =Ems=[54] ist gleichfalls auf Aussprüche
von ihm Bezug genommen. Der Rolle, die er im Kriege auf Wartburg
spielt, haben wir erwähnt.
[53] Im 6. Cap. des =Titurel= wird der =Aventeure= d. h. der
romantischen Ueberlieferung, welche von dem seligen Leben der
Hüter des heiligen Grales Kunde giebt, entgegengehalten, daß
sie mit =hohen Meistern= in Widerspruch gerathe:
Ich mein', daß mein Herr Walther konnte sprechen:
Hulde Gottes und Gut und weltlich' Ehre
Mitsammt wär' Niemand habende.
Das Lied von Walther, worin die angezogene Stelle vorkömmt
(=Man.= I 102), ist zuvor, Abschn. II, ausgehoben worden.
[54] Nach v. d. =Hagen's= Anführung aus der Kasseler Handschrift
(=Mus.= I 2 S. 563):
Nun seyd ihr doch einander gram,
Frau Minne und auch die Kindheit,
Als uns Meister Walther seit
Von der Vogelweide,
Der sang, daß ihr beide
Wäret gar einander gram.
Walthers Worte sind diese:
Minne und Kindheit sind einander gram.
(I 112a)
Meister =Gottfried= von =Straßburg=, der selbst als ein feiner
Hauptschmidt güldene Gedichte wirkte[55], hat in der Stelle seines
=Tristan=, welche von den deutschen Dichtern handelt, auch den unsrigen
verherrlicht. Die Liederdichter vergleicht er mit Nachtigallen,
die ihre süße Sommerweise singen. Wer aber, fragt er, soll dieser
Nachtigallen Panier jetzt tragen, seit die von =Hagenau=[56] verstummt
ist? wer soll die lebende Schaar führen und weisen? Ihre Meisterin
kann es wohl, die =von der Vogelweide=. Hei! wie die über Heide mir
hoher Stimme schallet! was Wunders sie stellet! wie spähe (kunstvoll)
sie organieret! wie sie ihren Sang wandelieret! Die soll der andern
Leiterin seyn, die weiß wohl, wo man suchen soll der Minne Melodie.
(=Tristan=, v. =Groote's= Ausg. V. 4750 ff.)
[55] So spricht von ihm =Konrad= von =Würzburg= in seiner =goldenen
Schmiede=, V. 97 ff. (=Grimm=, =Altd. Wäld.= Bd. II S. 219)
[56] =Docen= (=Mus.= I 1 S. 167) vermuthet unter dieser Bezeichnung
nicht unwahrscheinlich =Reinmarn= den =Alten=; v. =Groote=
(Anm. zu V. 4778) glaubt, daß =Hartmann= von =Aue= darunter
verstanden sey, was mir, schon nach dem Zusammenhang der
Stelle, bedenklicher scheint.
Auch die Späteren erkennen Walthers Meisterschaft an. Insbesondere
rühmt noch ein Meistergesang des vierzehnten Jahrhunderts seine schönen
und reinen Töne[57].
[57] Diesen Meistergesang des =Lupolt Hornburg= hat Docen im =Mus.=
II 1 S. 18 ff. aus der Würzburger Handschrift geliefert.
Von einer Handschrift, welche mit den Singweisen seiner Lieder
ausgestattet war, sind nur noch traurige Ueberreste vorhanden[58].
Aber der innere Wohllaut seiner Gesänge, der sich in schönen und
manigfaltigen Formen ausdrückt, welchen man oft ihre Singweise
anzuhören meint, giebt den Lobpreisungen Gottfrieds von Straßburg und
dem Zeugnisse des Meisterliedes volle Glaubwürdigkeit.
[58] =Docen= a. a. O. S. 26
Das Gepräge der Meisterschaft erkennen wir an den Liedern unsres
Dichters vornemlich in dem Einklange von Inhalt und Form. Der
Gegenstand ist durch die Form harmonisch begrenzt und die Form ist
durch den Gegenstand vollständig ausgefüllt. Für das bloße Spiel mit
Formen ist Walther zu gedankenreich. Eben darum sind auch seine Formen
in der Manigfaltigkeit einfach.
Es ist eine ansehnliche Stufenleiter von Tönen, auf der er sich vom
einfachsten Volksliede bis zu jenen großartigen Königsweisen erhebt.
Nach Abzug Desjenigen, was sich der Unächtheit verdächtig macht, kann
man in seinen Gedichten noch immer etliche und achtzig verschiedene
Töne zählen. Er führt uns durch den hohen, den niedern und den mittlern
Sang (I 105b). Er singt, wie ein Andrer von ihm meldet, was er will,
des Kurzen und des Langen viel (I 113b). Aber stets geht der Inhalt
gleichen Schrittes mit der Form und schon der äussre Bau seiner
Gedichte läßt auf ihren Gegenstand schließen. Der fröhlichen Weise des
Volkslieds entspricht die Lebensfrische des Inhalts und die volleren,
gezogenen Töne sind in Uebereinstimmung mit der Würde der Person, an
die das Lied gerichtet ist, mit der Wichtigkeit des Gegenstandes, mit
der Fülle der Gedanken. Die Spiele der Reimkunst sind ihm zwar nicht
unbekannt, doch bedient er sich ihrer mäßig und versteht sie scherzhaft
anzuwenden[59]. Er hat zu gewissen Formen Vorlieben und kehrt häufig
zu ihnen zurück, aber auch hierin verfährt er nach richtigem Ermessen.
Die Betrachtung und die bildnerische Darstellung lieben Stetigkeit,
die Leidenschaft, die Empfindung den Wechsel der Formen. Wir haben
es bei seinen Minneliedern schön gefunden, wenn es das Erscheinen
einer herrlichen Frau in derselben Weise darstellt, worin er sonst
die Könige feiert. Jene Gesänge vom ersten Auftreten Friedrichs II.
bis wo der Dichter das Lehen empfängt, sind alle in gleicher oder
verwandter Form gedichtet, sie treten dadurch in näheren Zusammenhang
und bilden gewissermaßen ein episches Ganzes. Eben die Einfachheit
der Formen macht sie geeignet, vielfacherem Inhalte zu dienen. Selbst
die großartigsten, und gerade diese wiederholt Walther am oftesten,
sind nicht vielfach verschlungen, fast kunstlos folgt sich in drei
langhingezogenen Zeilen der dreimalige Reimschlag. Es ist der volle
Wellenzug eines anschwellenden Stromes.
[59] Z. B. in dem wunderlichen Winterliede (I 125), das durch alle
Selbstlauter reimt. Der Truchseß von =Singenberg= (I 157b) und
=Rudolf= der =Schreiber= (II 181b) haben es nachgeahmt. Reime
an Anfang und Schlusse der Zeilen finden sich in der Strophe:
»Ob ich mich selben rühmen soll &c.« (I 121b) und den drei
folgenden.
Walthers Gedichte bilden großentheils nur =eine= Strophe. Der Bau
eines solchen Gesätzes ist aber genugsam in sich gegliedert, um für
eine vollständige Darstellung auszureichen. Man darf Gesätze, die in
derselben Weise über denselben Gegenstand gedichtet sind, darum noch
keineswegs als Theile =eines= Gedichtes betrachten, Sie können sich auf
einander beziehen, eines kann aus dem andern entsprungen seyn, und doch
jedes dabei seine Selbstständigkeit behaupten, wie etwa bei einer Reihe
von Sonetten über den nemlichen Gegenstand. Unser Meister setzt seine
Gedichte nicht zusammen, er schafft sie von innen heraus. Eben diese
lebendige Entfaltung des Gedankens, des Bildes, sichert dem Gedichte
seine Selbstständigkeit und bedingt seine Begrenzung. Ist der Gedanke
dargelegt, das Bild hingestellt, so ist auch das Gedicht abgeschlossen.
Bedarf ja doch gerade der kräftigste Gedanke, das klarste Bild, zu
seiner vollständigen Erscheinung am wenigsten der Ausführlichkeit.
In einem Theile von Walthers Gedichten findet sich die Grundform,
keineswegs aber die überkünstliche Verwicklung des spätern
meistersängerischen Strophenbaues. Ebenso ist die prunkende
Gelehrsamkeit und der überladene Bilderschmuck der späteren Dichter ihm
fremd. Er ist mehr gestaltend, als bilderreich.
Wenn =Frauenlob= (st. 1317) in seinem Liederstreite mit =Regenbog= sich
selbst als den Meister Aller rühmt, die je gesungen und noch singen,
als einen Koch der Kunst und einen Vergolder des Sanges der alten
Meister, =Reinmars=, =Eschilbachs= und des =von der Vogelweide=, die
neben kunstreicher Straße den schmalen Steig gefahren seyen (=Man.=
II 214b f.), so wird uns dieses nicht abhalten, den unvergoldeten
Sang und den schmalen Naturpfad jener älteren Dichter vorzuziehen.
Wir werden auf =Regenbogs= Seite treten, der, als erklärter Kämpfe
der letzteren, behauptet: die Kunst Walthers und der Andern stehe
noch immer frisch belaubt und bewähre die Kraft ihrer Wurzeln (=Ebd.=
215b); übereinstimmend mit dem =Marner=, der ebenfalls Walthern von der
Vogelweide an die Spitze der hingegangenen Sangesmeister stellt, aus
deren Garten er, unwillkührlich, Blumen lesen müsse (II 173a).
Walther selbst ist sich seiner Meisterschaft bewußt. Er spricht von
seinem =werthen Sange= (I 118a) Er klagt, daß man ihn so arm lasse
bei =reicher Kunst= (I 131a). Er spricht es aus, daß die Frau, von der
er singe, durch seinen Sang geehrt werde; daß nicht leicht Jemand sie
besser loben könne; daß, wenn er seinen Sang lasse, Alle, die sie jetzt
loben, dann sie schelten werden; daß sie todt sey, wenn sie ihn tödte
(I 123b 124b). Ein schöner Stolz aber ist es, wenn er zugleich sich
dessen rühmt, daß sein Gesang tausend Herzen froh gemacht.
Rührend ist folgende Aeusserung:
Uns hat der Winter kalt und andre Noth
Viel gethan zu Leide.
Ich wähnte, daß ich nimmer Blumen roth
Sähe an grüner Heide.
Doch schadt' es guten Leuten, wäre ich todt,
Die nach Freuden ringen
Und die gerne tanzen und springen.
(I 138b)
Die Kunst ist Walthern eine hohe Sache. Darum entrüstet er sich denn
auch vielfältig gegen die Verderber und Entwürdiger derselben. Die
Fuge, die Höfischkeit, das höfische, hofeliche Singen stellt er dem
Unfuge, der Dörperheit[60], dem unhofelichen Singen, die Meister den
Schnarrenzern gegenüber. Die Worte: =höfisch=, =höflich=, hatten aber
dazumal einen andern und höheren Sinn, als wie sie heutzutage genommen
werden. Sie bedeuteten die edlere Bildung, die feinere Sitte, wie sie
an den Höfen gesangliebender Fürsten blühte.
[60] =Man.= I 117b. In der =Pf. Hds.= 357 Bl. 38b kömmt die Strophe:
»Uns will schiere wohl gelingen« &c. sammt den übrigen des
Mailieds unter den Liedern =Lütolts= von =Seven= vor.
Ungefüge Töne, so klagt er, haben das hofeliche Singen zu Hofe
verdrungen, seine Würde liegt darnieder, Frau Unfuge hat gesiegt.
Die das rechte Singen stören, deren ist jetzt ungleich mehr, denn die
es gerne hören. Wer will noch harfen bei der Mühle, wo der Stein so
rauschend umgeht und das Rad so manche Unweise hat? Die so freventlich
schallen, sie thun wie die Frösche in einem See, denen ihr Schreien so
wohl behagt, daß die Nachtigall davon verzagt, so sie gerne mehr sänge.
Wer doch die Unfuge von den =Burgen= stiesse! Bei den =Bauern= möchte
sie wohl seyn, von denen ist sie hergekommen (I 112).
Das Letztere deutet merklich darauf hin, was unter diesem ungefügen
Sange hauptsächlich zu verstehen sey. Es scheint damals in den
ritterlichen Gesang die Gattung von Liedern eingedrungen zu seyn,
welche man unter dem Namen der =Nitharte= begreift, Darstellungen aus
dem Dorfleben, Schwänke mit den Bauern, derb und rüstig, aber auch
manchmal sehr ungezogen und schmutzig. Den Eingang des Liedes macht
häufig eine Beschreibung des Frühlings. Mit dem Frühling rühren sich
Freude und Muthwill, und so folgt nun im Liede allerlei ländliche
Lustbarkeit, Tanz und Schlägerei.
Von der angegebenen Art sind nicht blos die meisten Lieder, welche
unter dem Namen des Herrn =Nithart= auf uns gekommen sind, auch
viele andre, ritterliche Sänger haben in derselben Weise gedichtet.
Der Schauplatz von Nitharts Darstellungen ist die Umgegend von
Wien. Einige seiner Lieder betreffen den Fürsten =Friedrich= in
=Osterland=, (Friedrich den Streitbaren,) von dessen milder Gabe
ihm ein silbervoller Schrein geworden (=Man.= II 72a). Der Bischof
=Eberhard=, an den er sich gleichfalls wendet (II 79a), ist ohne
Zweifel der Erzbischof von Salzburg dieses Namens, der von 1200 bis
1246 auf dem erzbischöflichen Stuhle saß[61]. Auch erzählt Nithart von
einem Zuge über Meer, den er mit Kaiser Friedrich gemacht und auf dem
ein heidnischer Pfeil ihn verwundet[62].
[61] _Chron. Salisb. ad ann. 1200, 1246._
[62] =Leipz. Literat. Zeitung= 1812 Nr. 162. -- v. d. =Hagen=,
Briefe in die Heimat &c. I. Bd. Bresl. 1818 S. 65.
Schon durch diese Anzeigen, denen sich weitere beifügen ließen,
wird Nithart der Zeit und dem Orte nach, wenn gleich als jüngerer
Zeitgenosse, unsrem Dichter nahe gerückt. Es sind aber auch Spuren
vorhanden, daß Nithart auf Walthers Gedichte in derjenigen Weise
angespielt, die wir Parodie nennen und die vielleicht unter dem früher
erwähnten =Verkehren= des Gesanges begriffen ist.
Die mehrfache Anspielung ist in nachstehendem Liede Nitharts, dessen
Name schon auf Schlimmes deutet, kaum zu verkennen:
Sie fragen: wer sie sey, die Säldenreiche,
Der ich so hofelichen habe gesungen?
Sie wohnt in deutschen Landen sicherliche,
Das sag' ich den Alten und den Jungen.
Sie ist in einem Kreise, der ich diene,
Von dem Po bis auf den Sand,
Von Elsasse bis Ungerland,
In =der= Enge ich sie fand,
Sie ist noch zwischen Paris und Wiene.
(II 73a)
=Säldenreiche=, Heilbringende, Wonnereiche. =Sand=, Meeresufer.
Man erinnere sich hiebei derjenigen Stellen, worin Walther von seiner
Länderkunde spricht, und seines zuvor (Abschnitt V) ausgehobenen
Gedichtes:
Sie fragen und fragen aber all zu viel
Von meiner Frauen, wer sie sey?
(I 122a)
Ergötzlich ist auch sonst der Spott, den jene derberen Dichter mit
dem Minnesang und dessen Ueberzartheit treiben. Ein solcher, =Gedrut=,
macht sich über den Minnesänger =Wachsmut= von =Künzingen= lustig: Herr
Wachsmut minne seine Fraue über tausend Meilen, dennoch sey sie ihm
gar zu nahe; es thäte ihm so sanft, wenn er sie auf einem hohen Thurme
schauen und von ihrer Hand ein Ringlein empfangen sollte, das küßt' er
tausendmal, läg' er aber bei der Wohlgethanen mit ihrem rothen Munde,
nimmer würd' er sie berühren (=Pf. Hds.= 357 Bl. 24b). Derselbe[63]
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