Kabale und Liebe: Ein bürgerliches Trauerspiel - 6

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entgegen gingen? Würden Sie ihn ertragen, wenn Sie zurückkämen?--O
besser, besser, Sie lassen Himmelsstriche uns trennen--Sie lassen
Meere zwischen uns fließen!--Sehen Sie sich wohl für, Milady--Stunden
der Nüchternheit, Augenblicke der Erschöpfung könnten sich
melden--Schlangen der Reue könnten Ihren Busen anfallen, und
nun--welche Folter für Sie, im Gesicht Ihres Dienstmädchens die
heitre Ruhe zu lesen, womit die Unschuld ein reines Herz zu belohnen
pflegt. (Sie tritt einen Schritt zurück.) Noch einmal, gnädige Frau.
Ich bitte sehr um Vergebung.
Lady (in großer innrer Bewegung herumgehend). Unerträglich, daß sie
mir das sagt! Unerträglicher, daß sie Recht hat! (Zu Luisen tretend
und ihr starr in die Augen sehend.) Mädchen, du wirst mich nicht
überlisten. So warm sprechen Meinungen nicht. Hinter diesen Maximen
lauert ein feurigeres Interessen, das dir meine Dienste besonders
abscheulich malt--das dein Gespräch so erhitzte--das ich (drohend)
entdecken muß.
Luise (gelassen und edel). Und wenn Sie es nun entdeckten? Und
wenn Ihr verächtlicher Fersenstoß den beleidigten Wurm aufweckte,
dem sein Schöpfer gegen Mißhandlung noch einen Stachel gab?--Ich
fürchte Ihre Rache nicht, Lady--Die arme Sünderin auf dem
berüchtigten Henkerstuhl lacht zum Weltuntergang. Mein Elend ist
so hoch gestiegen, daß selbst Aufrichtigkeit es nicht mehr
vergrößern kann. (Nach einer Pause sehr ernsthaft.) Sie wollen
mich aus dem Staub meiner Herkunft reißen. Ich will sie nicht
zergliedern, diese verdächtige Gnade. Ich will nur fragen, was
Milady bewegen konnte, mich für die Thörin zu halten, die über
ihre Herkunft erröthet? Was sie berechtigen konnte, sich zur
Schöpferin meines Glücks aufzuwerfen, ehe sie noch wußte, ob ich
mein Glück auch von ihren Händen empfangen wollte?--Ich hatte
meinen ewigen Anspruch auf die Freuden der Welt zerrissen. Ich
hatte dem Glück seine Übereilung vergeben--Warum mahnen Sie mich
aufs Neu an dieselbe?--Wenn selbst die Gottheit dem Blick der
Erschaffenen ihre Strahlen verbirgt, daß nicht ihr oberster Seraph
vor seiner Verfinsterung zurückschaure--warum wollen Menschen so
grausam-barmherzig sein?--Wie kommt es, Milady, daß Ihr
gepriesenes Glück das Elend so gern um Neid und Bewunderung
anbettelt?--Hat Ihre Wonne die Verzweiflung so nöthig zur
Folie?--O lieber! so gönnen Sie mir doch eine Blindheit, die mich
allein noch mit meinem barbarischen Loos versöhnt--Fühlt sich doch
das Insekt in einem Tropfen Wassers so selig, als wär' es ein
Himmelreich, so froh und so selig, bis man ihm von einem Weltmeer
erzählt, worin Flotten und Wallfische spielen!--Aber glücklich
wollen Sie mich ja wissen? (Nach einer Pause plötzlich zur Lady
hintretend und mit Überraschung fragend:) Sind Sie glücklich,
Milady? (Diese verläßt sie schnell und betroffen, Luise folgt ihr
und hält ihr die Hand vor den Busen.) Hat dieses Herz auch die
lachende Gestalt Ihres Standes? Und wenn wir jetzt Brust gegen
Brust und Schicksal gegen Schicksal auswechseln sollten--und wenn
ich in kindlicher Unschuld--und wenn ich auf Ihr Gewissen--und
wenn ich als meine Mutter Sie fragte--würden Sie mir wohl zu dem
Tausche rathen?
Lady (heftig bewegt in den Sopha sich werfend). Unerhört!
Unbegreiflich! Nein, Mädchen! Nein! Diese Größe hast du nicht auf
die Welt gebracht, und für einen Vater ist sie zu jugendlich. Lüge
mir nicht. Ich höre einen andern Lehrer-Luise (fein und scharf ihr
in die Augen sehend). Es sollte mich doch wundern, Milady, wenn Sie
jetzt erst auf diesen Lehrer fielen, und doch vorhin schon eine
Condition für mich wußten.
Lady (springt auf). Es ist nicht auszuhalten!--Ja denn! weil ich
dir doch nicht entwischen kann. Ich kenn' ihn--weiß Alles--weiß
mehr, als ich wissen mag. (Plötzlich hält sie inne, darauf mit
einer Heftigkeit, die nach und nach bis beinahe zum Toben steigt.)
Aber wag' es, Unglückliche--wag' es, ihn jetzt noch zu lieben oder
von ihm geliebt zu werden--Was sage ich?--Wag' es, an ihn zu
denken oder einer von seinen Gedanken zu sein--Ich bin mächtig,
Unglückliche--fürchterlich--so wahr Gott lebt! Du bist verloren!
Luise (standhaft). Ohne Rettung, Milady, sobald Sie ihn zwingen, daß
er Sie lieben muß.
Lady. Ich verstehe dich--aber er soll mich nicht lieben. Ich will
über diese schimpfliche Leidenschaft siegen, mein Herz unterdrücken
und das deinige zermalmen--Felsen und Abgründe will ich zwischen euch
werfen; eine Furie will ich mitten durch euren Himmel gehen; mein
Name soll eure Küsse, wie ein Gespenst Verbrecher, auseinander
scheuchen; deine junge blühende Gestalt unter seiner Umarmung welk,
wie eine Mumie, zusammenfallen--Ich kann nicht mit ihm glücklich
werden--aber du sollst es auch nicht werden--Wisse das, Elende!
Seligkeit zerstören ist auch Seligkeit.
Luise. Eine Seligkeit, um die man Sie schon gebracht hat, Milady.
Lästern Sie Ihr eigenes Herz nicht. Sie sind nicht fähig, Das
auszuüben, was Sie so drohend auf mich herabschwören. Sie sind nicht
fähig, ein Geschöpf zu quälen, das Ihnen nichts zu Leide gethan, als
daß es empfunden hat wie Sie--Aber ich liebe Sie um dieser Wallung
willen, Milady.
Luise (die sich jetzt gefaßt hat). Wo bin ich? Wo war ich? Was
hab' ich merken lassen? Wen hab' ich's merken lassen?--O Luise, edle,
große, göttliche Seele! Vergib's einer Rasenden--Ich will dir kein
Haar kränken, mein Kind. Wünsche! Fordre! Ich will dich auf den
Händen tragen, deine Freundin, deine Schwester will ich sein--Du bist
arm--Sieh! (Einige Brillanten herunternehmend.) Ich will diesen
Schmuck verkaufen--meine Garderobe, Pferd und Wagen verkaufen--Dein
sei Alles, aber entsag' ihm!
Luise (tritt zurück voll Befremdung). Spottet sie einer
Verzweifelnden, oder sollte sie an der barbarischen That im Ernst
keinen Antheil gehabt haben?--Ha! So könnt' ich mir ja noch den
Schein einer Heldin geben und meine Ohnmacht zu einem Verdienst
aufputzen. (Sie steht eine Weile gedankenvoll, dann tritt sie näher
zur Lady, faßt ihre Hand und sieht sie starr und bedeutend an.)
Nehmen Sie ihn denn hin, Milady!--Freiwillig tret' ich Ihnen ab den
Mann, den man mit Haken der Hölle von meinem blutenden Herzen riß.
--Vielleicht wissen Sie es selbst nicht, Milady, aber Sie haben den
Himmel zweier Liebenden geschleift, von einander gezerrt zwei Herzen,
die Gott aneinander band; zerschmettert ein Geschöpf, das ihm nahe
ging wie Sie, das er zur Freude schuf wie Sie, das ihn gepriesen hat
wie Sie, und ihn nun nimmermehr preisen wird--Lady! ins Ohr des
Allwissenden schreit auch der letzte Krampf des zertretenen Wurms--Es
wird ihm nicht gleichgültig sein, wenn man Seelen in seinen Händen
mordet! Jetzt ist er Ihnen! Jetzt, Milady, nehmen Sie ihn hin!
Rennen Sie in seine Arme! Reißen Sie ihn zum Altar--Nur vergessen
Sie nicht, daß zwischen Ihren Brautkuß das Gespenst einer
Selbstmörderin stürzen wird--Gott wird barmherzig sein--Ich kann mir
nicht anders helfen! (Sie stürzt hinaus.)

Achte Scene.
Lady allein, steht erschüttert und außer sich, den starren Blick nach
der Thüre gerichtet, durch welche die Millerin weggeeilt; endlich
erwacht sie aus ihrer Betäubung.

Wie war das? Wie geschah mir? Was sprach die Unglückliche?--Noch, o
Himmel! noch zerreißen sie meine Ohren, die fürchterlichen, mich
verdammenden Worte: nehmen Sie ihn hin!--Wen, Unglückselige? das
Geschenk deines Sterberöchelns--das schauervolle Vermächtniß deiner
Verzweiflung? Gott! Gott! Bin ich so tief gesunken--so plötzlich
von allen Thronen meines Stolzes herabgestürzt, daß ich heißhungrig
erwarte, was einer Bettlerin Großmuth aus ihrem letzten Todeskampfe
mir zuwerfen wird?--Nehmen Sie ihn hin! und das spricht sie mit einem
Tone, begleitet sie mit einem Blick--Ha! Emilie! bist du darum über
die Grenzen deines Geschlechts weggeschritten? Mußtest du darum um
den prächtigen Namen des großen brittischen Weibes buhlen, daß das
prahlende Gebäude deiner Ehre neben der höheren Tugend einer
verwahrlosten Bürgerdirne versinken soll?--Nein, stolze Unglückliche!
nein!--Beschämen läßt sich Emilie Milford--doch beschimpfen nie!
Auch ich habe Kraft, zu entsagen.
(Mit majestätischen Schritten auf und nieder.)
Verkrieche dich jetzt, weiches, leidendes Weib!--Fahret hin, süße,
goldene Bilder der Liebe--Großmuth allein sei jetzt meine
Führerin!--Dieses liebende Paar ist verloren, oder Milford muß
ihren Anspruch vertilgen und im Herzen des Fürsten erlöschen!
(Nach einer Pause, lebhaft.) Es ist geschehen!--Gehoben das
furchtbare Hinderniß--zerbrochen alle Bande zwischen mir und dem
Herzog, gerissen aus meinem Busen diese wüthende Liebe!--In deine
Arme werf' ich mich, Tugend!--Nimm sie auf, deine reuige Tochter
Emilie!--Ha! wie mir so wohl ist! Wie ich auf einmal so leicht,
so gehoben mich fühle!--Groß, wie eine fallende Sonne, will ich
heut vom Gipfel meiner Hoheit heruntersinken, meine Herrlichkeit
sterbe mit meiner Liebe, und nichts als mein Herz begleite mich in
diese stolze Verweisung. (Entschlossen zum Schreibpult gehend.)
Jetzt gleich muß es geschehen--jetzt auf der Stelle, ehe die Reize
des lieben Jünglings den blutigen Kampf meines Herzens erneuern.
(Sie setzt sich nieder und fängt an zu schreiben.)

Neunte Scene.
Lady. Ein Kammerdiener. Sophie, hernach der Hofmarschall, zuletzt
Bedienter.

Kammerdiener. Hofmarschall von Kalb stehen im Vorzimmer mit einem
Auftrag vom Herzog.
Lady (in der Hitze des Schreibens.) Auftaumeln wird sie, die
fürstliche Drahtpuppe! Freilich! Der Einfall ist auch drollig genug,
so eine durchlauchtigte Hirnschale auseinander zu treiben!--Seine
Hofschranzen werden wirbeln--Das ganze Land wird in Gährung kommen.
Kammerdiener und Sophie. Der Hofmarschall, Milady-Lady (dreht sich
um). Wer? Was?--Desto besser! Diese Sorte von Geschöpfen ist zum
Sacktragen auf der Welt. Er soll mir willkommen sein.
Kammerdiener (geht ab).
Sophie (ängstlich näher kommend). Wenn ich nicht fürchten müßte,
Milady, es wäre Vermessenheit (Lady schreibt hitzig fort.) Die
Millerin stürzte außer sich durch den Vorsaal--Sie glühen--Sie
sprechen mit sich selbst. (Lady schreibt immer fort.) Ich
erschrecke--Was muß geschehen sein?
Hofmarschall (tritt herein, macht dem Rücken der Lady tausend
Verbeugungen; da sie ihn nicht bemerkt, kommt er näher, stellt sich
hinter ihren Sessel, sucht den Zipfel ihres Kleides wegzukriegen und
drückt einen Kuß darauf, mit furchtsamem Lispeln). Serenissimus-Lady
(indem sie Sand streut und das Geschriebene durchfliegt). Er wird
mir schwarzen Undank zur Last legen--Ich war eine verlassene. Er hat
mich aus dem Elend gezogen--Aus dem Elend?--Abscheulicher Tausch!
--Zerreiße deine Rechnung, Verführer! Meine ewige Schamröthe bezahlt
sie mit Wucher.
Hofmarschall (nachdem er die Lady vergeblich von allen Seiten
umgangen hat). Milady scheinen etwas distrait zu sein--Ich werde mir
wohl selbst die Kühnheit erlauben müssen. (Sehr laut.) Serenissimus
schicken mich, Milady zu fragen, ob diesen Abend Vauxhall sein werde
oder deutsche Komödie?
Lady (lachend aufstehend). Eines von beiden, mein Engel--Unterdessen
bringen Sie Ihrem Herzog diese Karte zum Dessert! (Gegen Sophie.).
Du, Sophie, befiehlst, daß man anspannen soll, und rufst meine ganze
Garderobe in diesem Saal zusammen-Sophie (geht ab voll Bestürzung).
O Himmel! Was ahnet mir? Was wird das noch werden?
Hofmarschall. Sie sind echauffiert, meine Gnädige?
Lady. Um so weniger wird hier gelogen sein--Hurrah, Herr
Hofmarschall! Es wird eine Stelle vacant. Gut Wetter für Kuppler!
(Das der Marschall einen zweifelhaften Blick auf den Zettel wirft.)
Lesen Sie, lesen Sie!--Es ist mein Wille, daß der Inhalt nicht unter
vier Augen bleibe.
Hofmarschall (liest, unterdessen sammeln sich die Bedienten der Lady
im Hintergrund):

"Gnädigster Herr!
Ein Vertrag, den Sie so leichtsinnig brachen, kann mich nicht mehr
binden. Die Glückseligkeit Ihres Landes war die Bedingung meiner
Liebe. Drei Jahre währte der Betrug. Die Binde fällt mir von den
Augen. Ich verabscheue Gunstbezeugungen, die von den Thränen der
Unterthanen triefen.--Schenken Sie die Liebe, die ich Ihnen nicht
mehr erwiedern kann, Ihrem weinenden Lande und lernen von einer
brittischen Fürstin Erbarmen gegen Ihr deutsches Volk. In einer
Stunde bin ich über der Grenze.
Johanna Norfolk."
Alle Bedienten (murmeln bestürzt durcheinander). Über der Grenze?
Hofmarschall (legt die Karte erschrocken auf den Tisch). Behüte der
Himmel, meine Beste und Gnädige! Den Überbringer müßte der Hals eben
so jücken, als der Schreiberin.
Lady. Das ist deine Sorge, du Goldmann--Leider weiß ich es, daß du
und deines Gleichen am Nachbeten Dessen, was Andre gethan haben,
erwürgen!--Mein Rath wäre, man backt den Zettel in eine
Wildpretpastete, so fänden ihn Serenissimus auf dem
Teller-Hofmarschall. Ciel! Diese Vermessenheit!--So erwägen Sie
doch, so bedenken Sie doch, wie sehr Sie sich in Disgrace setzen,
Lady!
Lady (wendet sich zu der versammelten Dienerschaft und spricht das
Folgende mit der innigsten Rührung). Ihr steht bestürzt, guten Leute,
erwartet angstvoll, wie sich das Räthsel entwickeln wird?--Kommt
näher, meine Lieben!--Ihr dientet mir redlich und warm, sahet mir
öfter in die Augen, als ich die Börse; euer Gehorsam war eure
Leidenschaft, euer Stolz--meine Gnade!--Daß das Andenken eurer Treue
zugleich das Gedächtniß meiner Erniedrigung sein muß! Trauriges
Schicksal, daß meine schwärzesten Tage eure glücklichen waren! (Mit
Thränen in den Augen.) Ich entlasse euch, meine Kinder--Lady Milford
ist nicht mehr, und Johanna von Norfolk zu arm, ihre Schuld
abzutragen--Mein Schatzmeister stürze meine Schatulle unter
euch--Dieser Palast bleibt dem Herzog--Der Ärmste von euch wird
reicher von hinnen gehen, als seine Gebieterin. (Sie reicht ihre
Hände hin, die alle nach einander mit Leidenschaft küssen.) Ich
verstehe euch, meine Guten--Lebt wohl! Lebt ewig wohl! (Faßt sich
aus ihrer Beklemmung.) Ich höre den Wagen vorfahren. (Sie reißt sich
los, will hinaus, der Hofmarschall verrennt ihr den Weg.) Mann des
Erbarmens, stehst du noch immer da?
Hofmarschall (der diese ganze Zeit über mit einem Geistesbankerott
auf den Zettel sah). Und dieses Billet soll ich Seiner
Hochfürstlichen Durchlaucht zu Höchsteigenen Händen geben?
Lady. Mann des Erbarmens! zu Höchsteigenen Händen, und sollst melden
zu Höchsteigenen Ohren, weil ich nicht barfuß nach Loretto könne, so
werde ich um den Taglohn arbeiten, mich zu reinigen von dem Schimpf,
ihn beherrscht zu haben.
(Sie eilt ab. Alle Übrigen gehen sehr bewegt auseinander.)


Fünfter Akt.
Abend zwischen Licht im Zimmer beim Musikanten.

Erste Scene.
Luise sitzt stumm und ohne sich zu rühren in dem finstersten Winkel
des Zimmers, den Kopf auf den Arm gesunken. Nach einer großen und
tiefen Pause kommt Miller mit einer Handlaterne, leuchtet ängstlich
im Zimmer herum, ohne Luisen zu bemerken, dann legt er den Hut auf
den Tisch und setzt die Laterne nieder.

Miller. Hier ist sie auch nicht. Hier wieder nicht--Durch alle
Gassen bin ich gezogen, bei allen Bekannten bin ich gewesen, auf
allen Thoren hab' ich gefragt--mein Kind hat man nirgends gesehen.
(Nach einigem Stillschweigen.) Geduld, armer, unglücklicher Vater!
Warte ab, bis es Morgen wird. Vielleicht kommt deine Einzige dann
ans Ufer geschwommen--Gott! Gott! Wenn ich mein Herz zu abgöttisch
an diese Tochter hing?--Die Strafe ist hart. Himmlischer Vater, hart!
Ich will nicht murren, himmlischer Vater, aber die Strafe ist hart!
(Er wirft sich gramvoll in einen Stuhl.)
Luise (spricht aus dem Winkel). Du thust recht, armer alter Mann!
Lerne bei Zeit noch verlieren.
Miller (springt auf). Bist du da, mein Kind? Bist du?--Aber warum
denn so einsam und ohne Licht?
Luise. Ich bin darum doch nicht einsam. Wenn's so recht schwarz
wird um mich herum, hab' ich meine besten Besuche.
Miller. Gott bewahre dich! Nur der Gewissenswurm schwärmt mit der
Eule. Sünden und böse Geister scheuen das Licht.
Luise. Auch die Ewigkeit, Vater, die mit der Seele ohne Gehilfen
redet.
Miller. Kind! Kind! Was für Reden sind das?
Luise (steht auf und kommt vorwärts). Ich hab' einen harten Kampf
gekämpft. Er weiß es, Vater. Gott gab mir Kraft. Der Kampf ist
entschieden. Vater, man pflegt unser Geschlecht zart und
zerbrechlich zu nennen. Glaub' Er das nicht mehr. Vor einer Spinne
schütteln wir uns, aber das schwarze Ungeheuer Verwesung drücken wir
im Spaß in die Arme. Dieses zur Nachricht, Vater. Seine Luise ist
lustig.
Miller. Höre, Tochter! ich wollte du heultest. Du gefielst mir so
besser.
Luise. Wie ich ihn überlisten will, Vater! Wie ich den Tyrannen
betrügen will!--Die Liebe ist schlauer als die Bosheit und
kühner--das hat er nicht gewußt, der Mann mit dem traurigen Stern--O,
sie sind pfiffig, so lang sie es nur mit dem Kopf zu thun haben; aber
sobald sie mit dem Herzen anbinden, werden die Böswichter dumm--Mit
einem Eid gedachte er seinen Betrug zu versiegeln? Eide, Vater,
binden wohl die Lebendigen, im Tode schmilzt auch der Sacramente
eisernes Band. Ferdinand wird seine Luise kennen--Will Er mir dies
Billet besorgen, Vater? Will Er so gut sein?
Miller. An wen, meine Tochter?
Luise. Seltsame Frage! Die Unendlichkeit und mein Herz haben mit
einander nicht Raum genug für einen einzigen Gedanken an ihn--Wenn
hätt' ich denn wohl an sonst Jemand schreiben sollen?
Miller (unruhig). Höre, Luise! Ich erbrechen den Brief.
Luise. Wie Er will, Vater--aber Er wird nicht klug daraus werden.
Die Buchstaben liegen wie kalte Leichname da und leben nur dem Auge
der Liebe.
Miller (liest). "Du bist verrathen, Ferdinand!--Ein Bubenstück ohne
Beispiel zerriß den Bund unsrer Herzen, aber ein schrecklicher Schwur
hat meine Zunge gebunden, und dein Vater hat überall seine Horcher
gestellt. Doch, wenn du Muth hast, Geliebter,--ich weiß einen
dritten Ort, wo kein Eidschwur mehr bindet und wohin ihm kein Horcher
geht." (Miller hält inne und sieht ihr ernsthaft ins Gesicht.)
Luise. Warum sieht Er mich so an? Les' Er doch ganz aus, Vater.
Miller. "Aber Muth genug mußt du haben, eine finstre Straße zu
wandeln, wo dir nichts leuchtet, als deine Luise und Gott--Ganz zur
Liebe mußt du kommen, daheim lassen all deine Hoffnungen und all deine
brausenden Wünsche; nichts kannst du brauchen, als dein Herz. Willst
du--so brich auf, wenn die Glocke den zwölften Streich thut auf dem
Carmeliterthurm. Bangt dir--so durchstreiche das Wort stark vor
deinem Geschlechte, denn ein Mädchen hat dich zu Schanden gemacht."
(Miller legt das Billet nieder, schaut lange mit einem schmerzlichen,
starren Blick vor sich hinaus, endlich kehrt er sich gegen sie und
sagt mit leiser, gebrochener Stimme.) Und dieser dritte Ort, meine
Tochter?
Luise. Er kennt ihn nicht? Er kennt ihn wirklich nicht,
Vater?--Sonderbar! Der Ort ist zum Finden gemalt. Ferdinand wird
ihn finden.
Miller. Hum! rede deutlicher.
Luise. Ich weiß so eben kein liebliches Wort dafür--Er muß nicht
erschrecken, Vater, wenn ich Ihm ein häßliches nenne. Dieser Ort--O
warum hat die Liebe nicht Namen erfunden! den schönsten hätte sie
diesem gegeben. Der dritte Ort, guter Vater--aber Er muß mich
ausreden lassen--der dritte Ort ist das Grab.
Miller (zu seinem Sessel hinwankend). O mein Gott!
Luise (geht auf ihn zu und hält ihn). Nicht doch, mein Vater! Das
sind nur Schauer, die sich um das Wort herum lagern--Weg mit diesem,
und es liegt ein Brautbette da, worüber der Morgen seinen goldenen
Teppich breitet und die Frühlinge ihre bunten Guirlanden streun. Nur
ein heulender Sünder konnte den Tod ein Gerippe schelten; es ist ein
holder, niedlicher Knabe, blühend, wie sie den Liebesgott malen, aber
so tückisch nicht--ein stiller, dienstbarer Genius, der der
erschöpften Pilgerin Seele den Arm bietet über den Graben der Zeit,
das Feenschloß der ewigen Herrlichkeit aufschließt, freundlich nickt
und verschwindet.
Miller. Was hast du vor, meine Tochter?--Du willst eigenmächtig Hand
an dich legen.
Luise. Nenn' Er es nicht so, mein Vater. Eine Gesellschaft räumen,
wo ich nicht wohl gelitten bin--an einen Ort vorausspringen, den ich
nicht länger missen kann--ist denn das Sünde?
Miller. Selbstmord ist die abscheulichste, mein Kind--die einzige,
die man nicht mehr bereuen kann, weil Tod und Missethat
zusammenfallen.
Luise (bleibt erstarrt stehn). Entsetzlich!--Aber so rasch wird es
doch nicht gehn. Ich will in den Fluß springen, Vater, und im
Hinuntersinken Gott den Allmächtigen um Erbarmen bitten.
Miller. Das heißt, du willst den Diebstahl bereuen, sobald du das
Gestohlene in Sicherheit weißt--Tochter! Tochter! Gib Acht, daß du
Gottes nicht spottest, wenn du seiner am meisten vonnöthen hast. O!
es ist weit, weit mit dir gekommen!--Du hast dein Gebet aufgegeben,
und der Barmherzige zog seine Hand von dir.
Luise. Ist lieben denn Frevel, mein Vater!
Miller. Wenn du Gott liebst, wirst du nie bis zum Frevel lieben--Du
hast mich tief gebeugt, meine Einzige! tief, tief, vielleicht zur
Grube gebeugt.--Doch, ich will dir dein Herz nicht noch schwerer
machen--Tochter, ich sprach vorhin etwas. Ich glaubte allein zu sein.
Du hast mich behorcht; und warum sollt' ich's noch länger geheim
halten? Du warst mein Abgott. Höre, Luise, wenn du noch Platz für
das Gefühl eines Vaters hast--Du warst mein Alles. Jetzt verthust du
nichts mehr von deinem Eigenthum. Auch ich hab' Alles zu verlieren.
Du siehst, mein Haar fängt an grau zu werden. Die Zeit meldet sich
allgemach bei mir, wo uns Vätern die Kapitale zu statten kommen, die
wir im Herzen unsrer Kinder anlegten--Wirst du mich darum betrügen,
Luise? Wirst du dich mit dem Hab' und Gut deines Vaters auf und
davon machen?
Luise (küßt seine Hand mit der heftigsten Rührung). Nein, mein Vater.
Ich gehe als Seine große Schuldnerin aus der Welt und werde in der
Ewigkeit mit Wucher bezahlen.
Miller. Gib Acht, ob du dich da nicht verrechnest, mein Kind? (Sehr
ernst und feierlich.) Werden wir uns dort wohl noch finden?--Sieh!
wie du blaß wirst!--Meine Luise begreift es von selbst, daß ich sie
in jener Welt nicht mehr wohl einholen kann, weil ich nicht so früh
dahin eile, wie sie. (Luise stürzt ihm in den Arm, von Schauern
ergriffen--Er drückt sie mit Feuer an seine Brust und fährt fort mit
beschwörender Stimme.) O Tochter! Tochter! gefallene, vielleicht
schon verlorene Tochter! Beherzige das ernsthafte Vaterwort! Ich
kann nicht über dich wachen. Ich kann dir die Messer nehmen, du
kannst dich mit einer Stricknadel tödten. Vor Gift kann ich dich
bewahren, du kannst dich mit einer Schnur Perlen erwürgen.
--Luise--Luise--nur warnen kann ich dich noch--Willst du es darauf
ankommen lassen, daß dein treuloses Gaukelbild auf der schrecklichen
Brücke zwischen Zeit und Ewigkeit von dir weiche? Willst du dich vor
des Allwissenden Thron mit der Lüge wagen: Deinetwegen, Schöpfer, bin
ich da--wenn deine strafbaren Augen ihre sterbliche Puppe
suchen?--Und wenn dieser zerbrechliche Gott deines Gehirns, jetzt
Wurm wie du, zu den Füßen deines Richters sich windet, deine gottlose
Zuversicht in diesem schwankenden Augenblick Lügen straft und deine
betrogenen Hoffnungen an die ewige Erbarmung verweist, die der Elende
für sich selbst kaum erflehen kann--wie dann? (Nachdrücklicher,
lauter.) Wie dann, Unglückselige? (Er hält sie fester, blickt sie
eine Weile starr und durchdringend an, dann verläßt er sie schnell.)
Jetzt weiß ich nichts mehr--(mit aufgehobener Rechte) stehe dir, Gott
Richter! für diese Seele nicht mehr. Thu, was du willst. Bring
deinem schlanken Jüngling ein Opfer, daß deine Teufel jauchzen und
deine guten Engel zurücktreten--Zieh hin! Lade alle deine Sünden auf,
lade auch diese, die letzte, die entsetzlichste auf, und wenn die
Last noch zu leicht ist, so mache mein Fluch das Gewicht
vollkommen--Hier ist ein Messer--durchstich dein Herz und (indem er
lautweinend fortstürzen will) das Vaterherz!
Luise (springt auf und eilt ihm nach). Halt! halt! O mein Vater!
--daß die Zärtlichkeit noch barbarischer zwingt, als Tyrannenwuth!
--Was soll ich? Ich kann nicht! Was muß ich thun?
Miller. Wenn die Küsse deines Majors heißer brennen als die Thränen
deines Vaters--stirb!
Luise (nach einem qualvollen Kampf mit einiger Festigkeit). Vater!
Hier ist meine Hand! Ich will--Gott! Gott! Was thu' ich? was will
ich?--Vater, ich schwöre--wehe mir, wehe! Verbrecherin, wohin ich
mich neige!--Vater, es sei!--Ferdinand--Gott sieht herab!--So
zernicht' ich sein letztes Gedächtniß. (Sie zerreißt ihren Brief.)
Miller (stürzt ihr freudetrunken an den Hals). Das ist meine Tochter!
--Blick' auf! um einen Liebhaber bist du leichter, dafür hast du
einen glücklichen Vater gemacht. (Unter Lachen und Weinen sie
umarmend.) Kind! Kind! das ich den Tag meines Lebens nicht werth war!
Gott weiß, wie ich schlechter Mann zu diesem Engel gekommen bin!
--Mein Luise, mein Himmelreich!--O Gott! ich verstehe ja wenig vom
Lieben, aber daß es eine Qual sein muß, aufzuhören--so was begreif'
ich noch.
Luise. Doch hinweg aus dieser Gegend, mein Vater--Weg von der Stadt,
wo meine Gespielinnen meiner spotten und mein guter Name dahin ist
auf immerdar--Weg, weg, weit weg von dem Ort, wo mich so viele Spuren
der verlorenen Seligkeit anreden. Weg, wenn es möglich ist-Miller.
Wohin du nur willst, meine Tochter. Das Brod unsers Herrgotts wächst
überall, und Ohren wird er auch meiner Geige bescheren. Ja! laß auch
Alles dahingehn--Ich setze die Geschichte deines Grams auf die Laute,
singe dann ein Lied von der Tochter, die, ihren Vater zu ehren, ihr
Herz zerriß--wir betteln mit der Ballade von Thüre zu Thüre, und das
Almosen wird köstlich schmecken von den Händen der Weinenden-

Zweite Scene.
Ferdinand zu den Vorigen.

Luise (wird ihn zuerst gewahr und wirft sich Millern laut schreiend
um den Hals). Gott! Da ist er! Ich bin verloren.
Miller. Wo? Wer?
Luise (zeigt mit abgewandtem Gesicht auf den Major und drückt sich
fester an ihren Vater). Er! er selbst--Seh' Er nur um sich,
Vater--Mich zu ermorden, ist er da.
Miller (erblickt ihn, fährt zurück.) Was? Sie hier, Baron?
Ferdinand (kommt langsam näher, bleibt Luisen gegenüber stehen und
läßt den starren forschenden Blick auf ihr ruhen, nach einer Pause).
Überraschtes Gewissen, habe Dank! Dein Bekenntniß ist schrecklich,
aber schnell und gewiß, und erspart mir die Folterung.--Guten Abend,
Miller.
Miller. Aber um Gottes willen! Was wollen Sie, Baron? Was führt
Sie her? Was soll dieser Überfall?
Ferdinand. Ich weiß eine Zeit, wo man den Tag in seine Secunden
zerstückte, wo Sehnsucht nach mir sich an die Gewichte der zögernden
Wanduhr hing und auf den Aderschlag lauerte, unter dem ich erscheinen
sollte--Wie kommt's, daß ich jetzt überrasche?
Miller. Gehen Sie, gehen Sie, Baron--Wenn noch ein Funke von
Menschlichkeit in Ihrem Herzen zurückblieb--wenn Sie Die nicht
erwürgen wollen, die Sie zu lieben vorgeben, fliehen Sie, bleiben Sie
keinen Augenblick länger. Der Segen war fort aus meiner Hütte,
sobald Sie einen Fuß darein setzten. Sie haben das Elend unter mein
Dach gerufen, wo sonst nur die Freude zu Hause war. Sind Sie noch
nicht zufrieden? Wollen Sie auch in der Wunde noch wühlen, die Ihre
unglückliche Bekanntschaft mit meinem einzigen Kinde schlug?
Ferdinand. Wunderlicher Vater, jetzt komm' ich ja, deiner Tochter
etwas Erfreuliches zu sagen.
Miller. Neue Hoffnungen etwa zu einer neuen Verzweiflung?--Geh,
Unglücksbote! Dein Gesicht schimpft deine Waare.
Ferdinand. Endlich ist es erschienen, das Ziel meiner Hoffnungen!
Lady Milford, das furchtbarste Hindernis unsrer Liebe, floh diesen
Augenblick aus dem Lande. Mein Vater billigt meine Wahl. Das
Schicksal läßt nach, uns zu verfolgen. Unsere glücklichen Sterne
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