Kabale und Liebe: Ein bürgerliches Trauerspiel - 3

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dieser Brittin muß um so viel kleiner sein, als größer und kühner
Britanniens Adern schlagen.
Lady. Sind Sie zu Ende?
Ferdinand. Man könnte antworten, es ist weibliche
Eitelkeit--Leidenschaft--Temperament--Hang zum Vergnügen. Schon
öfters überlebte Tugend die Ehre. Schon Manche, die mit Schande in
diese Schranke trat, hat nachher die Welt durch edle Handlungen mit
sich ausgesöhnt und das häßliche Handwerk durch einen schönen
Gebrauch geadelt--Aber woher denn jetzt diese ungeheure Pressung des
Landes, die vorher nie so gewesen?--Das war im Namen des Herzogthums.
--Ich bin zu Ende.
Lady (mit Sanftmuth und Hoheit). Es ist das Erstemal, Walter, daß
solche Reden an mich gewagt werden, und Sie sind der einzige Mensch,
dem ich darauf antworte--Daß Sie meine Hand verwerfen, darum schätz'
ich Sie. Daß Sie meine Hand lästern, vergebe ich Ihnen. Daß es Ihr
Ernst ist, glaube ich Ihnen nicht. Wer sich herausnimmt,
Beleidigungen dieser Art einer Dame zu sagen, die nicht mehr als eine
Nacht braucht, ihn ganz zu verderben, muß dieser Dame eine große
Seele zutrauen, oder--von Sinnen sein--Daß Sie den Ruin des Landes
auf meine Brust wälzen, vergebe Ihnen Gott der Allmächtige, der Sie
und mich und den Fürsten einst gegen einander stellt.--Aber Sie haben
die Engländerin in mir aufgefordert, und auf Vorwürfe dieser Art muß
mein Vaterland Antwort haben.
Ferdinand (auf seinen Degen gestützt). Ich bin begierig.
Lady. Hören Sie also, was ich, außer Ihnen, noch Niemand vertraute,
noch jemals einem Menschen vertrauen will.--Ich bin nicht die
Abenteurerin, Walter, für die Sie mich halten. Ich könnte groß thun
und sagen: ich bin fürstlichen Geblüths--aus des unglücklichen Thomas
Norfolks Geschlechte, der für die schottische Maria ein Opfer ward.
--Mein Vater, des Königs oberster Kämmerer, wurde bezichtigt, in
verrätherischem Vernehmen mit Frankreich zu stehen, durch einen
Spruch der Parlamente verdammt und enthauptet.--Alle unsre Güter
fielen der Krone zu. Wir selbst wurden des Landes verwiesen. Meine
Mutter starb am Tage der Hinrichtung. Ich--ein vierzehnjähriges
Mädchen--flohe nach Deutschland mit meiner Wärterin--einem Kästchen
Juwelen--und diesem Familienkreuz, das meine sterbende Mutter mit
ihrem letzten Segen mir an den Busen steckte.
Ferdinand (wird nachdenkend und heftet wärmere Blicke auf die Lady).
Lady (fährt fort mit immer zunehmender Rührung). Krank--ohne
Namen--ohne Schutz und Vermögen--eine ausländische Waise, kam ich
nach Hamburg. Ich hatte nichts gelernt, als das Bischen
Französisch--ein wenig Filet und den Flügel--desto besser verstund
ich, auf Gold und Silber zu speisen, unter damastenen Decken zu
schlafen, mit einem Wink zehn Bediente fliegen zu machen und die
Schmeicheleien der Großen Ihres Geschlechts aufzunehmen.--Sechs Jahre
waren schon hingeweint.--Und die letzte Schmucknadel flog
dahin--Meine Wärterin starb--und jetzt führte mein Schicksal Ihren
Herzog nach Hamburg. Ich spazierte damals an den Ufern der Elbe, sah
in den Strom und fing eben an zu phantasieren, ob dieses Wasser oder
mein Leiden das Tiefste wäre?--Der Herzog sah mich, verfolgte mich,
fand meinen Aufenthalt,--lag zu meinen Füßen und schwur, daß er mich
liebe. (Sie hält in großen Bewegungen inne, dann fährt sie fort mit
weinender Stimme.) Alle Bilder meiner glücklichen Kindheit wachten
jetzt wieder mit verführendem Schimmer auf--Schwarz wie das Grab
graute mich eine trostlose Zukunft an--Mein Herz brannte nach einem
Herzen--Ich sank an das seinige. (Von ihm wegstürzend.). Jetzt
verdammen Sie mich!
Ferdinand (sehr bewegt, eilt ihr nach und hält sie zurück). Lady! o
Himmel! Was hör' ich? Was that ich?--Schrecklich enthüllt sich mein
Frevel mir. Sie können mir nicht mehr vergeben.
Lady (kommt zurück und hat sich zu sammeln gesucht). Hören Sie
weiter. Der Fürst überraschte zwar meine wehrlose Jugend--aber das
Blut der Norfolk empörte sich in mir: Du, eine geborene Fürstin,
Emilie, rief es, und jetzt eines Fürsten Concubine?--Stolz und
Schicksal kämpften in meiner Brust, als der Fürst mich hieher brachte
und auf einmal die schauderndste Scene vor meinen Augen stand!--Die
Wollust der Großen dieser Welt ist die nimmersatte Hyäne, die sich
mit Heißhunger Opfer sucht.--Fürchterlich hatte sie schon in diesem
Lande gewüthet--hatte Braut und Bräutigam zertrennt--hatte selbst der
Ehen göttliches Band zerrissen--hier das stille Glück einer Familie
geschleift--dort ein junges unerfahrenes Herz der verheerenden Pest
aufgeschlossen, und sterbende Schülerinnen schäumten den Namen ihres
Lehrers unter Flüchen und Zuckungen aus--Ich stellte mich zwischen
das Lamm und den Tiger, nahm einen fürstlichen Eid von ihm in einer
Stunde der Leidenschaft, und diese abscheuliche Opferung mußte
aufhören.
Ferdinand (rennt in der heftigsten Unruhe durch den Saal). Nichts
mehr, Milady! Nicht weiter!
Lady. Diese traurige Periode hatte einer noch traurigern Platz
gemacht. Hof und Serail wimmelten jetzt von Italiens Auswurf.
Flatterhafte Pariserinnen tändelten mit dem furchtbaren Scepter, und
das Volk blutete unter ihren Launen--Sie alle erlebten ihren Tag.
Ich sah sie neben mir in den Staub sinken, denn ich war mehr Kokette,
als sie alle. Ich nahm dem Tyrannen den Zügel ab, der wollüstig in
meiner Umarmung erschlappte--dein Vaterland, Walter, fühlte zum
erstenmal eine Menschenhand und sank vertrauend an meinen Busen.
(Pause, worin sie ihn schmelzend ansieht.) O daß der Mann, von dem
ich allein nicht verkannt sein möchte, mich jetzt zwingen muß, groß
zu prahlen und meine stille Tugend am Licht der Bewunderung zu
versengen!--Walter, ich habe Kerker gesprengt--habe Todesurtheile
zerrissen und manche entsetzliche Ewigkeit auf Galeeren verkürzt. In
unheilbare Wunden hab' ich doch wenigstens stillenden Balsam
gegossen--mächtige Frevler in Staub gelegt und die verlorene Sache
der Unschuld oft noch mit einer buhlerischen Thräne gerettet--Ha,
Jüngling, wie süß war mir das! Wie stolz konnte mein Herz jede
Anklage meiner fürstlichen Geburt widerlegen!--Und jetzt kommt der
Mann, der allein mir Das alles belohnen sollte--der Mann, den mein
erschöpftes Schicksal vielleicht zum Ersatz meiner vorigen Leiden
schuf--der Mann, den ich mit brennender Sehnsucht im Traum schon
umfasse-Ferdinand (fällt ihr ins Wort, durch und durch erschüttert).
Zu viel! zu viel! Das ist wieder die Abrede, Lady. Sie sollten sich
von Anklagen reinigen und machen mich zu einem Verbrecher. Schonen
Sie--ich beschwöre Sie--schonen Sie meines Herzens, das Beschämung
und wüthende Reue zerreißen-Lady (hält seine Hand fest). Jetzt oder
nimmermehr! Lange genug hielt die Heldin Stand--das Gewicht dieser
Thränen mußt du noch fühlen. (Im zärtlichsten Ton.) Höre,
Walter--wenn eine Unglückliche--unwiderstehlich, allmächtig an dich
gezogen--sich an dich preßt mit einem Busen voll glühender,
unerschöpflicher Liebe--Walter!--und du jetzt noch das kalte Wort
Ehre sprichst--wenn diese Unglückliche--niedergedrückt vom Gefühl
ihrer Schande--des Lasters überdrüssig--heldenmäßig emporgehoben vom
Rufe der Tugend--sich so--in deine Arme wirft (sie umfaßt ihn,
beschwörend und feierlich)--durch dich gerettet--durch dich dem
Himmel wieder geschenkt sein will, oder (das Gesicht von ihm
abgewandt, mit hohler bebender Stimme) deinem Bild zu entfliehen, dem
fürchterlichen Ruf der Verzweiflung gehorsam, in noch abscheulichere
Tiefen des Lasters wieder hinuntertaumelt-Ferdinand (von ihr
losreißend, in der schrecklichsten Bedrängniß). Nein, beim großen
Gott! ich kann das nicht aushalten--Lady, ich muß--Himmel und Erde
liegen auf mir--ich muß Ihnen ein Geständniß thun, Lady!
Lady (von ihm wegfliehend). Jetzt nicht! Jetzt nicht, bei Allem,
was heilig ist--in diesem entsetzlichen Augenblick nicht, wo mein
zerrissenes Herz an tausend Dolchstichen blutet--Sei's Tod oder
Leben--ich darf es nicht--ich will es nicht hören!
Ferdinand. Doch, doch, beste Lady! Sie müssen es. Was ich Ihnen
jetzt sagen werde, wird meine Strafbarkeit mindern und eine warme
Abbitte des Vergangenen sein--Ich habe mich in Ihnen betrogen, Milady.
Ich erwartete--ich wünschte, Sie meiner Verachtung würdig zu finden.
Fest entschlossen, Sie zu beleidigen und Ihren Haß zu verdienen,
kam ich her--Glücklich wir Beide, wenn mein Vorsatz gelungen wäre!
(Er schweigt eine Weile, darauf leise und schüchterner.) Ich liebe,
Milady--liebe ein bürgerliches Mädchen--Luise Millerin, eines Musikus
Tochter. (Lady wendet sich bleich von ihm weg, er fährt lebhafter
fort.) Ich weiß, worein ich mich stürze; aber wenn auch Klugheit die
Leidenschaft schweigen heißt, so redet die Pflicht desto lauter--Ich
bin der Schuldige. Ich zuerst zerriß ihrer Unschuld goldenen
Frieden--wiegte ihr Herz mit vermessenen Hoffnungen und gab es
verrätherisch der wilden Leidenschaft Preis--Sie werden mich an
Stand--an Geburt--an die Grundsätze meines Vaters erinnern--aber ich
liebe.--Meine Hoffnung steigt um so höher, je tiefer die Natur mit
Convenienzen zerfallen ist.--Mein Entschluß und das Vorurtheil!--Wir
wollen sehen, ob die Mode oder die Menschheit auf dem Platz bleiben
wird. (Lady hat sich unterdeß bis an das äußerste Ende des Zimmers
zurückgezogen und hält das Gesicht mit beiden Händen bedeckt. Er
folgt ihr dahin.) Sie wollten mir etwas sagen, Milady?
Lady (im Ausdruck des heftigsten Leidens). Nichts, Herr von Walter!
Nichts, als daß Sie sich und mich und noch eine Dritte zu Grund
richten.
Ferdinand. Noch eine Dritte?
Lady. Wir können mit einander nicht glücklich w. Wir müssen doch
der Voreiligkeit Ihres Vaters zum Opfer werden. Nimmermehr werd' ich
das Herz eines Mannes haben, der mir seine Hand nur gezwungen gab.
Ferdinand. Gezwungen? Lady? gezwungen gab? und also doch gab?
Können Sie eine Hand ohne Herz erzwingen? Sie einem Mädchen den Mann
entwenden, der die ganze Welt dieses Mädchens ist? Sie einen Mann
von dem Mädchen reißen, das die ganze Welt dieses Mannes ist? Sie,
Milady--vor einem Augenblick die bewundernswürdige Britten?--Sie
können das?
Lady. Weil ich es muß. (Mit Ernst und Stärke.) Meine Leidenschaft,
Walter, weicht meiner Zärtlichkeit für Sie. Meine Ehre kann's nicht
mehr--Unsre Verbindung ist das Gespräch des ganzen Landes. Alle
Augen, alle Pfeile des Spotts sind auf mich gespannt. Die
Beschimpfung ist unauslöschlich, wenn ein Unterthan des Fürsten mich
ausschlägt. Rechten Sie mit Ihrem Vater. Wehren Sie sich, so gut
Sie können.--Ich lass' alle Minen springen. (Sie geht schnell ab.
Der Major bleibt in sprachloser Erstarrung stehen. Pause. Dann
stürzt er fort durch die Flügelthüre.)

Vierte Scene.
Zimmer beim Musikanten.

Miller. Frau Millerin. Luise treten auf.
Miller (hastig ins Zimmer). Ich hab's ja zuvor gesagt!
Luise (sprengt ihn ängstlich an). Was, Vater? was?
Miller (rennt wie toll auf und nieder). Meinen Staatsrock
her--hurtig--ich muß ihm zuvorkommen--und ein weißes Manschettenhemd!
--Das hab' ich mir gleich eingebildet!
Luise. Um Gotteswillen! Was?
Millerin. Was gibt's denn? was ist's denn?
Miller (wirft seine Perrücke ins Zimmer). Nur gleich zum Friseur das!
--Was es gibt? (Vor den Spiegel gesprungen.) Und mein Bart ist auch
wieder fingerslang--Was es gibt?--Was wird's geben, du Rabenaas?--Der
Teufel ist los, und dich soll das Wetter schlagen!
Frau. Da sehe man! Über mich muß gleich alles kommen.
Miller. Über dich? Ja, blaues Donnermaul! und über wen anders?
Heute früh mit deinem diabolischen Junker--Hab ich's nicht im Moment
gesagt?--Der Wurm hat geplaudert.
Frau. Ah was! Wie kannst du das wissen?
Miller. Wie kann ich das wissen?--Da!--unter der Hausthüre spukt ein
Kerl des Ministers und fragt nach dem Geiger.
Luise. Ich bin des Todes!
Miller. Du aber auch mit deinen Vergißmeinnicht-Augen! (Lacht
voller Bosheit.) Das hat seine Richtigkeit, wem der Teufel ein Ei in
die Wirthschaft gelegt hat, dem wird eine hübsche Tochter
geboren--Jetzt hab' ich's blank.
Frau. Woher weißt du denn, daß es der Luise gilt?--Du kannst dem
Herzog recommendiert worden sein. Er kann dich ins Orchester
verlangen.
Miller (springt nach seinem Rohr). Daß dich der Schwefelregen von
Sodom!--Orchester!--Ja, wo du Kupplerin den Discant wirst heulen und
mein blauer Hinterer den Conterbaß vorstellen! (Wirft sich in seinen
Stuhl.) Gott im Himmel!
Luise (setzt sich todtenbleich nieder). Mutter! Vater! Warum wird
mir auf einmal so bange?
Miller (springt wieder vom Stuhl auf). Aber soll mir der
Dintenkleckser einmal in den Schuß laufen?--Soll er mir laufen? Es
sei in dieser oder in jener Welt--Wenn ich ihm nicht Leib und Seele
breiweich zusammendresche, alle zehen Gebote und alle sieben Bitten
im Vaterunser, und alle Bücher Mosis und der Propheten aufs Leder
schreibe, daß man die blauen Flecken bei der Auferstehung der Todten
noch sehen soll-Frau. Ja! fluch du und poltre du! Das wird jetzt
den Teufel bannen! Hilf, heiliger Herregott! Wo hinaus nun? Wie
werden wir Rath schaffen? Was nun anfangen? Vater Miller, so rede
doch! (Sie läuft heulend durchs Zimmer.)
Miller. Auf der Stell zum Minister will ich. Ich zuerst will mein
Maul aufthun--ich selbst will es angeben. Du hast es vor mir gewußt.
Du hättest mir einen Wink geben können. Das Mädel hätt' sich noch
weisen lassen. Es wäre noch Zeit gewesen--aber nein!--Da hat sich
was makeln lassen; da hat sich was fischen lassen! Da hast du noch
Holz obendrein zugetragen!--Jetzt sorg' auch für deinen Kuppelpelz.
Friß aus, was du einbrocktest! Ich nehme meine Tochter in Arm, und
marsch mit ihr über die Grenze!

Fünfte Scene.
Ferdinand von Walter stürzt erschrocken und außer Athem ins Zimmer.
Die Vorigen.

Ferdinand. War mein Vater da?
Luise (fährt mit Schrecken auf). Sein Vater! Allmächtiger Gott!
Frau (zugleich; schlägt die Hände zusammen). Der Präsident! Es ist
aus mit uns!
Miller (zugleich; lacht voller Bosheit). Gottlob! Gottlob! da haben
wir ja die Bescherung!
Ferdinand (eilt auf Luisen zu und drückt sie stark in die Arme).
Mein bist du, und wärfen Höll' und Himmel sich zwischen uns!
Luise. Mein Tod ist gewiß--Rede weiter--Du sprachst einen
schrecklichen Namen aus--Dein Vater?
Ferdinand. Nichts. Nichts. Es ist überstanden. Ich hab' dich ja
wieder. Du hast mich ja wieder. O, laß mich Athem schöpfen an
dieser Brust! Es war eine schreckliche Stunde.
Luise. Welche? Du tödtest mich?
Ferdinand (tritt zurück und schaut sie bedeutend an). Eine Stunde,
Luise, wo zwischen mein Herz und dich eine fremde Gewalt sich
warf--wo meine Liebe vor meinem Gewissen erblaßte--wo meine Luise
aufhörte, ihrem Ferdinand Alles zu sein-Luise (sinkt mit verhülltem
Gesicht auf den Sessel nieder).
Ferdinand (geht schnell auf sie zu, bleibt sprachlos mit starrem
Blick vor ihr stehen, dann verläßt er sie plötzlich, in großer
Bewegung). Nein! Nimmermehr! Unmöglich, Lady! Zu viel verlangt!
Ich kann dir diese Unschuld nicht opfern--Nein, beim unendlichen Gott!
ich kann meinen Eid nicht verletzen, der mich laut wie des Himmels
Donner aus diesem brechenden Auge mahnt--Lady, blick hieher--hieher,
du Rabenvater--Ich soll diesen Engel würgen! Die Hölle soll ich in
diesen himmlischen Busen schütten? (Mit Entschluß auf sie zueilend.)
Ich will sie führen vor des Weltrichters Thron, und ob meine Liebe
Verbrechen ist, soll der Ewige sagen. (Er faßt sie bei der Hand und
hebt sie vom Sessel.) Fasse Muth, meine Theuerste!--Du hast gewonnen!
Als Sieger komm' ich aus dem gefährlichsten Kampf zurück.
Luise. Nein! Nein! Verhehle mir nichts. Sprich es aus, das
entsetzliche Urtheil. Deinen Vater nanntest du? Du nanntest die
Lady?--Schauer des Todes ergreifen mich--Man sagt, sie wird heirathen.
Ferdinand (stürzt betäubt zu Luisens Füßen nieder). Mich,
Unglückselige!
Luise (nach einer Pause, mit stillem bebenden Ton und schrecklicher
Ruhe). Nun--was erschreck' ich denn? Der alte Mann dort hat mir's
ja oft gesagt--ich hab' es ihm nie glauben wollen. (Pause, dann
wirft sie sich Millern laut weinend in die Arme.). Vater, hier ist
deine Tochter wieder--Verzeihung, Vater!--Dein Kind kann ja nicht
dafür, daß dieser Traum so schön war, und--so fürchterlich jetzt das
Erwachen-Miller. Luise! Luise!--O Gott, sie ist von sich--Meine
Tochter, mein armes Kind--Fluch über den Verführer!--Fluch über das
Weib, das ihm kuppelte!
Frau (wirft sich jammernd auf Luisen). Verdien' ich diesen Fluch,
meine Tochter? Vergeb's Ihnen Gott, Baron!--Was hat dieses Lamm
gethan, daß Sie es würgen?
Ferdinand (springt an ihr auf, voll Entschlossenheit). Aber ich will
seine Kabalen durchbohren--durchreißen will ich alle diese eisernen
Ketten des Vorurtheils--Frei wie ein Mann will ich wählen, daß diese
Insektenseelen am Riesenwerk meiner Liebe hinaufschwindeln! (Er will
fort.)
Frau (eilt ihm nach, hängt sich an ihn). Der Präsident wird hieher
kommen--Er wird unser Kind mißhandeln--Er wird uns mißhandeln--Herr
von Walter, und Sie verlassen uns?
Miller (lacht wüthend). Verläßt uns! Freilich! Warum nicht?--Sie
gab ihm ja Alles hin! (Mit der einen Hand den Major, mit der andern
Luisen fassend.) Geduld, Herr! der Weg aus meinem Hause geht nur über
diese da--Erwarte erst deinen Vater! wenn du kein Bube bist--Erzähl'
es ihm, wie du dich in ihr Herz stahlst, Betrüger, oder, bei Gott!
(Ihm seine Tochter zuschleudernd, wild und heftig.) Du sollst mir
zuvor diesen wimmernden Wurm zertreten, den Liebe zu dir so zu
Schanden richtete!
Ferdinand (kommt zurück und geht auf und ab in tiefen Gedanken).
Zwar die Gewalt des Präsident ist groß--Vaterrecht ist ein weites
Wort--der Frevel selbst kann sich in seinen Falten verstecken, er
kann es weit damit treiben--weit!--Doch aufs Äußerste treibt's nur
die Liebe--Hier, Luise! Deine Hand ist die meinige! (Er faßt diese
heftig.) So wahr mich Gott im letzten Hauch nicht verlassen soll!
--der Augenblick, der diese zwei Hände trennt, zerreißt auch den
Faden zwischen mir und der Schöpfung!
Luise. Mir wird bange! Blick' weg! Deine Lippen beben! Dein Auge
rollt fürchterlich-Ferdinand. Nein, Luise! Zittre nicht! Es ist
nicht Wahnsinn, was aus mir redet. Es ist das köstliche Geschenk des
Himmels, Entschluß in dem geltenden Augenblick, wo die gepreßte Brust
nur durch etwas Unerhörtes sich Luft macht--Ich liebe dich, Luise--Du
sollst mir bleiben, Luise--Jetzt zu meinem Vater! (Er eilt schnell
fort und rennt--gegen den Präsident.)

Sechste Scene.
Der Präsident mit einem Gefolge von Bedienten. Vorige.

Präsident (im Hereintreten). Da ist er schon.
Alle (erschrocken).
Ferdinand (weicht einige Schritte zurück). Im Hause der Unschuld.
Präsident. Wo der Sohn Gehorsam gegen den Vater lernt?
Ferdinand. Lassen Sie und das-Präsident (unterbricht ihn, zu
Millern). Er ist der Vater?
Miller. Stadtmusikant Miller.
Präsident (zur Frau). Sie die Mutter?
Frau. Ach ja, die Mutter!
Ferdinand (zu Millern). Vater, bring Er die Tochter weg--sie droht
eine Ohnmacht.
Präsident. Überflüssige Sorgfalt! Ich will sie anstreichen. (Zu
Luisen.) Wie lang kennt Sie den Sohn des Präsidenten?
Luise. Diesem habe ich nie nachgefragt. Ferdinand von Walter
besucht mich seit dem November.
Ferdinand. Betet sie an.
Präsident. Erhielt sie Versicherungen?
Ferdinand. Vor wenig Augenblicken die feierlichste im Angesicht
Gottes.
Präsident (zornig zu seinem Sohn). Zur Beichte deiner Thorheit wird
man dir schon das Zeichen geben. (Zu Luisen.) Ich warte auf Antwort.
Luise. Er schwur mir Liebe.
Ferdinand. Und wird sie halten.
Präsident. Muß ich befehlen, daß du schweigst?--Nahm Sie den Schwur
an?
Luise (zärtlich). Ich erwiederte ihn.
Ferdinand (mit fester Stimme). Der Bund ist geschlossen.
Präsident. Ich werde das Echo hinaus werfen lassen. (Boshaft zu
Luisen.) Aber er bezahlte Sie doch jederzeit baar?
Luise (aufmerksam). Diese Frage verstehe ich nicht ganz.
Präsident (mit beißendem Lachen). Nicht? Nun! ich meine nur--Jedes
Handwerk hat, wie man sagt, einen goldenen Boden--auch Sie, hoff' ich,
wird Ihre Gunst nicht verschenkt haben--oder war's Ihr vielleicht
mit dem bloßen Verschluß gedient? Wie?
Ferdinand (fährt wie rasend auf). Hölle! was war das?
Luise (zum Major mit Würde und Unwillen). Herr von Walter, jetzt
sind Sie frei.
Ferdinand. Vater! Ehrfurcht befiehlt die Tugend auch im
Bettlerkleid.
Präsident (lacht lauter). Eine lustige Zumuthung! Der Vater soll
die Hure des Sohns respectieren.
Luise (stürzt nieder). O Himmel und Erde!
Ferdinand (mit Luisen zu gleicher Zeit, indem er den Degen nach dem
Präsidenten zückt, den er aber schnell wieder sinken läßt). Vater!
Sie hatten einmal ein Leben an mich zu fordern--Es ist bezahlt. (Den
Degen einsteckend.) Der Schuldbrief der kindlichen Pflicht liegt
zerrissen da-Miller (der bis jetzt furchtsam auf der Seite gestanden,
tritt hervor in Bewegung, wechselweis vor Wuth mit den Zähnen
knirschend und vor Angst damit klappernd): Euer Excellenz--Das Kind
ist des Vaters Arbeit--Halten zu Gnaden--Wer das Kind eine Mähre
schilt, schlägt den Vater ans Ohr, und Ohrfeig um Ohrfeig--Das ist so
Tax bei uns--Halten zu Gnaden.
Frau. Hilf, Herr und Heiland!--Jetzt bricht auch der Alte los--über
unserm Kopf wird das Wetter zusammenschlagen.
Präsident (der es nur halb gehört hat). Regt sich der Kuppler
auch?--Wir sprechen uns gleich, Kuppler.
Miller. Halten zu Gnaden. Ich heiße Miller, wenn Sie ein Adagio
hören wollen--mit Buhlschaften dien' ich nicht. So lang der Hof da
noch Vorrath hat, kommt die Lieferung nicht an uns Bürgersleut'.
Halten zu Gnaden.
Frau. Um des Himmels willen, Mann! Du bringst Weib und Kind um.
Ferdinand. Sie spielen hier eine Rolle, mein Vater, wobei Sie sich
wenigstens die Zeugen hätten ersparen können.
Miller (kommt ihm näher, herzhafter). Deutsch und verständlich.
Halten zu Gnaden. Euer Excellenz schalten und walten im Land. Das
ist meine Stube. Mein devotestes Compliment, wenn ich dermaleins ein
pro memoria bringe, aber den ungehobelten Gast werf' ich zur Thür
hinaus--Halten zu Gnaden.
Präsident (vor Wuth blaß). Was?--Was ist das? (Tritt näher.)
Miller (zieht sich sachte zurück). Das war nur so meine Meinung,
Herr--Halten zu Gnaden.
Präsident (in Flammen). Ha, Spitzbube! Ins Zuchthaus spricht dich
deine vermessene Meinung--Fort! Man soll Gerichtsdiener holen.
(Einige vom Gefolge gehen ab; der Präsident rennt voll Wuth durch das
Zimmer.) Vater ins Zuchthaus--an den Pranger Mutter und Metze von
Tochter!--Die Gerechtigkeit soll meiner Wuth ihre Arme borgen. Für
diesen Schimpf muß ich schreckliche Genugthuung haben--Ein solches
Gesindel sollte meine Plane zerschlagen und ungestraft Vater und Sohn
aneinander hetzen?--Ha, Verflucht! Ich will meinen Haß an eurem
Untergang sättigen, die ganze Brut, Vater, Mutter und Tochter, will
ich meiner brennenden Rache opfern.
Ferdinand (tritt gelassen und standhaft unter sie hin). O nicht doch!
Seit außer Furcht! Ich bin zugegen. (Zum Präsidenten mit
Unterwürfigkeit.) Keine Übereilung, mein Vater! Wenn Sie sich selbst
lieben, keine Gewaltthätigkeit!--Es gibt eine Gegend in meinem Herzen,
worin das Wort Vater noch nie gehört worden ist--Dringen Sie nicht
bis in diese.
Präsident. Nichtswürdiger! Schweig! Reize meinen Grimm nicht noch
mehr!
Miller (kommt aus einer dumpfen Betäubung zu sich selbst).
Schau du nach deinem Kinde, Frau. Ich laufe zum Herzog--Der
Leibschneider--das hat mir Gott eingeblasen!--der Leibschneider
lernt die Flöte bei mir. Es kann mir nicht fehlen beim Herzog.
(Er will gehen.)
Präsident. Beim Herzog, sagst du?--Hast du vergessen, daß ich die
Schwelle bin, worüber du springen oder den Hals brechen mußt?--Beim
Herzog, du Dummkopf?--Versuch' es, wenn du, lebendig todt, eine
Thurmhöhe tief, unter dem Boden im Kerker liegst, wo die Nacht mit
der Hölle liebäugelt und Schall und Licht wieder umkehren. Raßle
dann mit deinen Ketten und wimmre: Mir ist zu viel geschehen.

Siebente Scene.
Gerichtsdiener. Die Vorigen.

Ferdinand (eilt auf Luisen zu, die ihm halb todt in die Arme fällt).
Luise! Hilfe! Rettung! Der Schrecken überwältigt sie!
Miller (ergreift sein spanisches Rohr, setzt den Hut auf und macht
sich zum Angriff gefaßt).
Frau (wirft sich auf die Kniee vor dem Präsident).
Präsident (zu den Gerichtsdienern, seinen Orden entblößend). Legt
Hand an, im Namen des Herzogs--Weg von der Metze, Junge--Ohnmächtig
oder nicht--wenn sie nur erst das eiserne Halsband um hat, wird man
sie schon mit Steinwürfen aufwecken.
Frau. Erbarmung, Ihro Excellenz! Erbarmung! Erbarmung!
Miller (reißt seine Frau in die Höhe). Knie vor Gott! alte Heulhure,
und nicht vor--Schelmen, weil ich ja doch schon ins Zuchthaus muß.
Präsident (beißt die Lippen). Du kannst dich verrechnen, Bube. Es
stehen noch Galgen leer! (Zu den Gerichtsdienern.) Muß ich es noch
einmal sagen?
Gerichtsdiener (dringen auf Luisen ein).
Ferdinand (springt an ihr auf und stellt sich vor sie, grimmig). Wer
will was? (Er zieht den Degen sammt der Scheide und wehrt sich mit
dem Gefäß.) Wag' es, sie anzurühren, wer nicht auch die Hirnschale an
die Gerichte vermiethet hat. (Zum Präsident.) Schonen Sie Ihrer
selbst! Treiben Sie mich nicht weiter, mein Vater.
Präsident (drohend zu den Gerichtsdienern). Wenn euch euer Brod lieb
ist, Memmen-Gerichtsdiener (greifen Luisen wieder an).
Ferdinand. Tod und alle Teufel! Ich sage: Zurück!--Noch einmal!
Haben Sie Erbarmen mit sich selbst. Treiben Sie mich nicht aufs
Äußerste, Vater.
Präsident (aufgebracht zu den Gerichtsdienern). Ist das euer
Diensteifer, Schurken?
Gerichtsdiener (greifen hitziger an).
Ferdinand. Wenn es denn sein muß (indem er den Degen zieht und
einige von denselben verwundet), so verzeih mir, Gerechtigkeit!
Präsident (voll Zorn). Ich will doch sehen, ob auch ich diesen Degen
fühle. (Er faßt Luisen selbst, zerrt sie in die Höhe und übergibt
sie einem Gerichtsknecht.)
Ferdinand (lacht erbittert). Vater, Vater! Sie machen hier ein
beißendes Pasquill auf die Gottheit, die sich so übel auf ihre Leute
verstund und aus vollkommenen Henkersknechten schlechte Minister
machte.
Präsident (zu den Übrigen). Fort mit ihr!
Ferdinand. Vater, sie soll an den Pranger stehen, aber mit dem Major,
des Präsidenten Sohn--Bestehen Sie noch darauf?
Präsident. Desto possierlicher wird das Spektakel--Fort!
Ferdinand. Vater, ich werfe meinen Officiersdegen auf das Mädchen.
--Bestehen Sie noch darauf?
Präsident. Das Porte-Epée ist an deiner Seite des Prangerstehens
gewohnt worden--Fort! Fort! Ihr wißt meinen Willen.
Ferdinand (drückt einen Gerichtsdiener weg, faßt Luisen an einem Arm,
mit dem andern zückt er den Degen auf sie). Vater! Eh Sie meine
Gemahlin beschimpfen, durchstoß' ich sie--Bestehen Sie noch darauf?
Präsident. Thu' es, wenn deine Klinge noch spitzig ist.
Ferdinand (läßt Luisen fahren und blickt fürchterlich zum Himmel).
Du, Allmächtiger, bist Zeuge! Kein menschliches Mittel ließ ich
unversucht--ich muß zu einem teuflischen schreiten--Ihr führt sie zum
Pranger fort, unterdessen (dem Präsidenten ins Ohr rufend) erzähl'
ich der Residenz eine Geschichte, wie man Präsident wird. (Ab.)
Präsident (wie vom Blitz gerührt). Was ist das?--Ferdinand--Laßt sie
ledig! (Er eilt dem Major nach.)


Dritter Akt.
Saal beim Präsidenten.

Erste Scene.
Der Präsident und Sekretär Wurm kommen.

Präsident. Der Streich war verwünscht.
Wurm. Wie ich befürchtete, gnädiger Herr. Zwang erbittert die
Schwärmer immer, aber bekehrt sie nie.
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