Kabale und Liebe: Ein bürgerliches Trauerspiel - 4

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Präsident. Ich hatte mein bestes Vertrauen in diesen Anschlag
gesetzt. Ich urtheilte so: Wenn das Mädchen beschimpft wird, muß er,
als Officier, zurücktreten.
Wurm. Ganz vortrefflich. Aber zum Beschimpfen hätt' es auch kommen
sollen.
Präsident. Und doch--wenn ich es jetzt mit kaltem Blut
überdenke--Ich hätte mich nicht sollen eintreiben lassen--Es war eine
Drohung, woraus er wohl nimmermehr Ernst gemacht hätte.
Wurm. Das denken Sie ja nicht. Der gereizten Leidenschaft ist keine
Thorheit zu bunt. Sie sagen mir, der Herr Major habe immer den Kopf
zu Ihrer Regierung geschüttelt. Ich glaub's. Die Grundsätze, die er
aus Akademien hieher brachte, wollten mir gleich nicht recht
einleuchten. Was sollten auch die phantastischen Träumereien von
Seelengröße und persönlichem Adel an einem Hof, wo die größte
Weisheit diejenige ist, im rechten Tempo, auf eine geschickte Art,
groß und klein zu sein! Er ist zu jung und zu feurig, um Geschmack
am langsamen, krummen Gang der Kabale zu finden, und nichts wird
seine Ambition in Bewegung setzen, als was groß ist und abenteuerlich.
Präsident (verdrießlich). Aber was wird diese wohlweise Anmerkung an
unserm Handel verbessern?
Wurm. Wie wird Ew. Excellenz auf die Wunde hinweisen, und auch
vielleicht auf den Verband. Einen solchen Charakter--erlauben
Sie--hätte man entweder nie zum Vertrauten, oder niemals zum Feind
machen sollen. Er verabscheut das Mittel, wodurch Sie gestiegen sind.
Vielleicht war es bis jetzt nur der Sohn, der die Zunge des
Verräthers band. Geben Sie ihm Gelegenheit, jenen rechtmäßig
abzuschütteln; machen Sie ihn durch wiederholte Stürme auf seine
Leidenschaft glauben, daß Sie der zärtliche Vater nicht sind, so
dringen die Pflichten des Patrioten bei ihm vor. Ja, schon allein
die seltsame Phantasie, der Gerechtigkeit ein so merkwürdiges Opfer
zu bringen, könnte Reiz genug für ihn haben, selbst seinen Vater zu
stürzen.
Präsident. Wurm--Wurm--Er führt mich da vor einen entsetzlichen
Abgrund.
Wurm. Ich will Sie zurückführen, gnädiger Herr. Darf ich freimüthig
reden?
Präsident (indem er sich niedersetzt). Wie ein Verdammter zum
Mitverdammten.
Wurm. Also verzeihen Sie--Sie haben, dünkt mich, der biegsamen
Hofkunst den ganzen Präsidenten zu danken, warum vertrauen Sie ihr
nicht auch den Vater an? Ich besinne mich, mit welcher Offenheit Sie
Ihren Vorgänger damals zu einer Partie Piquet beredeten und bei ihm
die halbe Nacht mit freundschaftlichem Burgunder hinwegschwemmten,
und das war doch die nämliche Nacht, wo die große Mine losgehen und
den guten Mann in die Luft blasen sollte--Warum zeigten Sie Ihrem
Sohne den Feind? Nimmermehr hätte dieser erfahren sollen, daß ich um
seine Liebesangelegenheit wisse. Sie hätten den Roman von Seiten des
Mädchens unterhöhlt und das Herz Ihres Sohnes behalten. Sie hätten
den klugen General gespielt, der den Feind nicht am Kern seiner
Truppen faßt, sondern Spaltungen unter den Gliedern stiftet.
Präsident. Wie war das zu machen?
Wurm. Auf die einfachste Art--und die Karten sind noch nicht ganz
vergeben. Unterdrücken Sie eine Zeit lang, daß Sie Vater sind.
Messen Sie sich mit einer Leidenschaft nicht, die jeder Widerstand
nur mächtiger machte--Überlassen Sie es mir, an ihrem eigenen Feuer
den Wurm auszubrüten, der sie zerfrißt.
Präsident. Ich bin begierig.
Wurm. Ich müßte mich schlecht auf den Barometer der Seele verstehen,
oder der Herr Major ist in der Eifersucht schrecklich, wie in der
Liebe. Machen Sie ihm das Mädchen verdächtig--Wahrscheinlich oder
nicht. Ein Gran Hefe reicht hin, die ganze Masse in eine zerstörende
Gährung zu jagen.
Präsident. Aber woher diesen Gran nehmen?
Wurm. Da sind wir auf dem Punkt--vor allen Dingen, gnädiger Herr,
erklären Sie sich mir, wie viel Sie bei der ferneren Weigerung des
Majors auf dem Spiel haben--in welchem Grade es Ihnen wichtig ist,
den Roman mit dem Bürgermädchen zu endigen und die Verbindung mit
Lady Milford zu Stand zu bringen?
Präsident. Kann Er noch fragen, Wurm?--Mein ganzer Einfluß ist in
Gefahr, wenn die Partie mit der Lady zurückgeht, und wenn ich den
Major zwinge, mein Hals.
Wurm (munter). Jetzt haben Sie die Gnade und hören--Den Herrn Major
umspinnen wir mit List. Gegen das Mädchen nehmen wir Ihre ganze
Gewalt zu Hilfe. Wir dictieren ihr ein Billetdoux an eine dritte
Person in die Feder und spielen das mit guter Art dem Major in die
Hände.
Präsident. Toller Einfall! Als ob sie sich so geschwind hin
bequemen würde, ihr eigenes Todesurtheil zu schreiben?
Wurm. Sie muß, wenn Sie mir freie Hand lassen wollen. Ich kenne das
gute Herz auf und nieder. Sie hat nicht mehr als zwo tödtliche
Seiten, durch welche wir ihre Gewissen bestürmen können--ihren Vater
und den Major. Der letztere bleibt ganz und gar aus dem Spiel; desto
freier können wir mit dem Musikanten umspringen.
Präsident. Als zum Exempel?
Wurm. Nach Dem, was Ew. Excellenz mir von dem Auftritt in
seinem Hause gesagt haben, wird nichts leichter sein, als den
Vater mit einem Halsproceß zu bedrohen. Die Person des
Günstlings und Siegelbewahrers ist gewissermaßen der Schatten
der Majestät--Beleidigungen gegen jenen sind Verletzungen
dieser--Wenigstens will ich den armen Schächer mit diesem
zusammengeflickten Kobold durch ein Nadelöhr jagen.
Präsident. Doch--ernsthaft dürfte der Handel nicht werden.
Wurm. Ganz und gar nicht--Nur in so weit, als es nöthig ist, die
Familie in die Klemme zu treiben--Wir setzen also in aller Stille den
Musikus fest--Die Noth um so dringender zu machen, könnte man auch
die Mutter mitnehmen,--sprechen von peinlicher Anklage, von Schaffot,
von ewiger Festung, und machen den Brief der Tochter zur einzigen
Bedingung seiner Befreiung.
Präsident. Gut! Gut! Ich verstehe.
Wurm. Sie liebt ihren Vater--bis zur Leidenschaft, möcht' ich sagen.
Die Gefahr seines Lebens--seiner Freiheit zum Mindesten--die
Vorwürfe ihres Gewissens, den Anlaß dazu gegeben zu haben--die
Unmöglichkeit, den Major zu besitzen--endlich die Betäubung ihres
Kopfs, die ich auf mich nehme--es kann nicht fehlen--sie muß in die
Falle gehn.
Präsident. Aber mein Sohn? Wird er nicht auf der Stelle Wind davon
haben?
Wurm. Das lassen Sie meine Sorge sein, gnädiger Herr--Vater und
Mutter werden nicht eher freigelassen, bis die ganze Familie einen
körperlichen Eid darauf abgelegt, den ganzen Vorgang geheim zu halten
und den Betrug zu bestätigen.
Präsident. Einen Eid? Was wird ein Eid fruchten, Dummkopf?
Wurm. Nichts bei uns, gnädiger Herr! Bei dieser Menschenart
Alles--Und sehen Sie nun, wie schön wir Beide auf diese Manier zum
Ziele kommen werden--Das Mädchen verliert die Liebe des Majors und
den Ruf ihrer Tugend. Vater und Mutter ziehen gelindere Saiten auf,
und durch und durch weich gemacht von Schicksalen dieser Art,
erkennen sie's noch zuletzt für Erbarmung, wenn ich der Tochter durch
meine Hand ihre Reputation wieder gebe.
Präsident (lacht unter Kopfschütteln). Ja, ich gebe mich dir
überwunden, Schurke! Das Geweb' ist satanisch fein. Der Schüler
übertrifft seinen Meister--Nun ist die Frage, an wen das Billet muß
gerichtet werden? Mit wem wir sie in Verdacht bringen müssen?
Wurm. Nothwendig mit Jemand, der durch den Entschluß Ihres Sohnes
Alles gewinnen oder Alles verlieren muß.
Wurm (nach einigem Nachdenken). Ich weiß nur den Hofmarschall.
Wurm (zuckt die Achseln). Mein Geschmack wär' es nun freilich nicht,
wenn ich Luise Millerin hieße.
Präsident. Und warum nicht? Wunderlich! Eine blendende
Garderobe--Eine Atmosphäre von Eau de mille fleurs und Bisam--und
jedes alberne Wort eine Handvoll Ducaten--und alles Das sollte die
Delicatesse einer bürgerlichen Dirne nicht endlich bestechen können?
O, guter Freund! so scrupulös ist die Eifersucht nicht! Ich schicke
zum Marschall. (Klingelt.)
Wurm. Unterdessen, daß Ew. Excellenz dieses und die Gefangennehmung
des Geigers besorgen, werd' ich hingehen und den bewußten Liebesbrief
aufsetzen.
Präsident (zum Schreibpult gehend). Den Er mir zum Durchlesen
heraufbringt, sobald er zu Stand sein wird. (Wurm geht ab. Der
Präsident setzt sich zu schreiben; ein Kammerdiener kommt; er steht
auf und gibt ihm ein Papier.) Dieser Verhaftsbefehl muß ohne Aufschub
in die Gerichte--ein Andrer von euch wird den Hofmarschall zu mir
bitten.
Kammerdiener. Der gnädige Herr sind so eben hier angefahren.
Präsident. Noch besser--aber die Anstalten sollen mit Vorsicht
getroffen werden, sagt ihr, daß kein Aufstand erfolgt.
Kammerdiener. Sehr wohl, Ihr' Excellenz!
Präsident. Versteht ihr? Ganz in der Stille!
Kammerdiener. Ganz gut, Ihr' Excellenz! (Ab.)

Zweite Scene.
Der Präsident und der Hofmarschall.

Hofmarschall (eilfertig). Nur en passant, mein Bester!--Wie leben
Sie? Wie befinden Sie sich?--Heute Abend ist große Opéra Dido--das
süperbeste Feuerwerk--eine ganze Stadt brennt zusammen--Sie sehen sie
doch auch brennen? Was?
Präsident. Ich habe Feuerwerk genug in meinem eigenen Hause, das
meine ganze Herrlichkeit in die Luft nimmt--Sie kommen erwünscht,
lieber Marschall, mir in einer Sache zu rathen, thätig zu helfen, die
uns Beide poussiert, oder völlig zu Grund richtet. Setzen Sie sich.
Hofmarschall. Machen Sie mir nicht Angst, mein Süßer.
Präsident. Wie gesagt--poussiert, oder ganz zu Grund richtet. Sie
wissen mein Project mit dem Major und der Lady. Sie begreifen auch,
wie unentbehrlich es war, unser Beider Glück zu fixieren. Es kann
Alles zusammenfallen, Kalb. Mein Ferdinand will nicht.
Hofmarschall. Will nicht--will nicht--ich hab's ja in der ganzen
Stadt schon herumgesagt. Die Mariage ist in Jedermanns Munde.
Präsident. Sie können vor der ganzen Stadt als Windmacher dastehen.
Er liebt eine Andere.
Hofmarschall. Sie scherzen. Ist das auch wohl ein Hindernis?
Präsident. Bei dem Trotzkopf das unüberwindlichste.
Hofmarschall. Er soll so wahnsinnig sein und sein Fortune von sich
stoßen? Was?
Präsident. Fragen Sie ihn das und hören Sie, was er antwortet.
Hofmarschall. Aber, mon Dieu! was kann er denn antworten?
Präsident. Daß er der ganzen Welt das Verbrechen entdecken wolle,
wodurch wir gestiegen sind--daß er unsere falschen Briefe und
Quittungen angeben--daß er uns Beide ans Messer liefern wolle--das
kann er antworten.
Hofmarschall. Sind Sie von Sinnen?
Präsident. Das hat er geantwortet. Das war er schon Willens, ins
Werk zu richten--Davon hab' ich ihn kaum noch durch meine höchste
Erniedrigung abgebracht. Was wissen Sie hierauf zu sagen?
Hofmarschall (mit einem Schafsgesicht). Mein Verstand steht still.
Präsident. Das könnte noch hingehen. Aber zugleich hinterbringen
mir meine Spionen, daß der Oberschenk von Bock auf dem Sprunge sei,
um die Lady zu werben.
Hofmarschall. Sie machen mich rasend. Wer sagen Sie? von Bock sagen
Sie?--Wissen Sie denn auch, daß wir Todfeinde zusammen sind? Wissen
Sie auch, warum wir es sind?
Präsident. Das erste Wort, das ich höre.
Hofmarschall. Bester! Sie werden hören, und aus der Haut werden Sie
fahren--Wenn Sie sich noch des Hofballs entsinnen--es geht jetzt ins
einundzwanzigste Jahr--wissen Sie, worauf man den ersten Englischen
tanzte, und dem Grafen von Meerschaum das heiße Wachs von einem
Kronleuchter auf den Domino tröpfelte--Ach Gott, das müssen Sie
freilich noch wissen!
Präsident. Wer könnte so was vergessen?
Hofmarschall. Sehen Sie! da hatte Prinzessin Amalie in der Hitze des
Tanzes ein Strumpfband verloren--Alles kommt, wie befreiflich ist, in
Allarm--von Bock und ich--wir waren noch Kammerjunker--wir kriechen
durch den ganzen Redoutensaal, das Strumpfband zu suchen--endlich
erblick ich's--von Bock merkt's--von Bock darauf zu, reißt es mir aus
den Händen--ich bitte Sie!--bringt's der Prinzessin und schnappt mir
glücklich das Compliment weg--Was denken Sie?
Präsident. Impertinent!
Hofmarschall. Schnappt mir das Compliment weg--Ich meine in Ohnmacht
zu sinken. Eine solche Malice ist gar nicht erlebt worden.--Endlich
ermann' ich mich, nähere mich Ihrer Durchlaucht und spreche:
Gnädigste Frau! von Bock war so glücklich, Höchstdenenselben das
Strumpfband zu überreichen, aber wer das Strumpfband zuerst erblickte,
belohnt sich in der Stille und schweigt.
Präsident. Bravo, Marschall! Bravissimo!
Hofmarschall. Und schweigt--Aber ich werd's dem von Bock bis zum
jüngsten Gerichte noch nachtragen--der niederträchtige, kriechende
Schmeichler!--Und das war noch nicht genug--wie wir beide zugleich
auf das Strumpfband zu Boden fallen, wischt mir von Bock an der
rechten Frisur allen Puder weg, und ich bin ruiniert auf den ganzen
Ball.
Präsident. Das ist der Mann, der die Milford heirathen und die erste
Person am Hof werden wird.
Hofmarschall. Sie stoßen mir ein Messer ins Herz. Wird? wird?
Warum wird er? Wo ist die Nothwendigkeit?
Präsident. Weil mein Ferdinand nicht will und sonst Keiner sich
meldet.
Hofmarschall. Aber wissen Sie denn gar kein einziges Mittel, den
Major zum Entschluß zu bringen?--Sei's auch noch so bizarr, so
verzweifelt!--Was in der Welt kann so widrig sein, das uns jetzt
nicht willkommen wäre, den verhaßten von Bock auszustechen?
Präsident. Ich weiß nur eines, und das bei Ihnen steht.
Hofmarschall. Bei mir steht? Und das ist?
Präsident. Den Major mit seiner Geliebten zu entzweien.
Hofmarschall. Zu entzweien? Wie meinen Sie das?--Und wie mach' ich
das?
Präsident. Alles ist gewonnen, sobald wir ihm das Mädchen verdächtig
machen.
Hofmarschall. Daß sie stehle, meinen Sie?
Präsident. Ach nein doch! Wie glaubte er das?--daß sie es noch mit
einem Andern habe.
Hofmarschall. Dieser Andre?
Präsident. Müßten Sie sein, Baron.
Hofmarschall. Ich sein? Ich?--Ist sie von Adel?
Präsident. Wozu das? Welcher Einfall!--Eines Musikanten Tochter.
Hofmarschall. Bürgerlich also? Das wird nicht angehen. Was?
Präsident. Was wird nicht angehen? Narrenspossen! Wem unter der
Sonne wird es einfallen, ein paar runde Wangen nach dem Stammbaum zu
fragen?
Hofmarschall. Aber bedenken Sie doch, ein Ehmann! Und meine
Reputation bei Hofe.
Präsident. Das ist was anders. Verzeihen Sie. Ich habe das noch
nicht gewußt, daß Ihnen der Mann von unbescholtenen Sitten mehr ist,
als der von Einfluß. Wollen wir abbrechen?
Hofmarschall. Seien Sie klug, Baron. Es war ja nicht so verstanden.
Präsident (frostig). Nein--nein! Sie haben vollkommen Recht. Ich
bin es auch müde. Ich lasse den Karren stehen. Dem von Bock wünsch'
ich Glück zum Premierminister. Die Welt ist noch anderswo. Ich
fordre meine Entlassung vom Herzog.
Hofmarschall. Und ich?--Sie haben gut schwatzen, Sie! Sie sind ein
Studierter! Aber ich,--mon Dieu!--was bin dann ich, wenn mich Seine
Durchleucht entlassen?
Präsident. Ein Bonmot von vorgestern. Die Mode vom vorigen Jahr.
Hofmarschall. Ich beschwöre Sie, Theurer, Goldner!--Ersticken Sie
diesen Gedanken! Ich will mir ja Alles gefallen lassen.
Präsident. Wollen Sie Ihren Namen zu einem Rendez-vous hergeben, den
Ihnen diese Millerin schriftlich vorschlagen soll?
Hofmarschall. Im Namen Gottes! Ich will ihn hergeben.
Präsident. Und den Brief irgendwo herausfallen lassen, wo er dem
Major zu Gesicht kommen muß?
Hofmarschall. Zum Exempel auf der Parade will ich ihn, als von
ungefähr, mit dem Schnupftuch heraus schleudern.
Präsident. Und die Rolle ihres Liebhabers gegen den Major behaupten?
Hofmarschall. Mort de ma vie! Ich will ihn schon waschen! Ich will
dem Naseweis den Appetit nach meinen Amouren verleiden.
Präsident. Nun geht's nach Wunsch. Der Brief muß noch heute
geschrieben sein. Sie müssen vor Abend noch herkommen, ihn abzuholen
und Ihre Rolle mit mir zu berichtigen.
Hofmarschall. Sobald ich sechzehn Visiten werde gegeben haben, die
von allerhöchster Importance sind. Verzeihen Sie also, wenn ich mich
ohne Aufschub beurlaube. (Geht.)
Präsident (klingelt). Ich zähle auf Ihre Verschlagenheit, Marschall.
Hofmarschall (ruft zurück). Ah, mon Dieu!--Sie kennen mich ja.

Dritte Scene.
Der Präsident und Wurm.

Wurm. Der Geiger und seine Frau sind glücklich und ohne alles
Geräusch in Verhaft gebracht. Wollen Ew. Excellenz jetzt den Brief
überlesen?
Präsident (nachdem er gelesen). Herrlich! herrlich, Secretär! Auch
der Marschall hat angebissen!--Ein Gift wie das müßte die Gesundheit
selbst in eiternden Aussatz verwandeln--Nun gleich mit den
Vorschlägen zum Vater, und dann warm zu der Tochter. (Gehen ab zu
verschiedenen Seiten.)

Vierte Scene.
Zimmer in Millers Wohnung.
Luise und Ferdinand.

Luise. Ich bitte dich, höre auf. Ich glaube an keine glücklichen
Tage mehr. Alle meine Hoffnungen sind gesunken.
Ferdinand. So sind die meinigen gestiegen. Mein Vater ist
aufgereizt; mein Vater wird alle Geschütze gegen uns richten. Er
wird mich zwingen, den unmenschlichen Sohn zu machen. Ich stehe
nicht mehr für meine kindliche Pflicht. Wuth und Verzweiflung werden
mir das schwarze Geheimniß seiner Mordthat erpressen. Der Sohn wird
den Vater in die Hände des Henkers liefern--Es ist die höchste
Gefahr--und die höchste Gefahr mußte da sein, wenn meine Liebe den
Riesensprung wagen sollte--Höre, Luise--Ein Gedanke, groß und
vermessen wie meine Leidenschaft, drängt sich vor meine Seele--Du,
Luise, und ich und die Liebe!--liegt nicht in diesem Zirkel der ganze
Himmel? oder brauchst du noch etwas Viertes dazu?
Luise. Brich ab. Nichts mehr. Ich erblasse über Das, was du sagen
willst.
Ferdinand. Haben wir an die Welt keine Forderung mehr, warum denn
ihren Beifall erbetteln? Warum wagen, wo nichts gewonnen wird und
Alles verloren werden kann?--Wird dieses Aug nicht eben so schmelzend
funkeln, ob es im Rhein oder in der Elbe sich spiegelt, oder im
baltischen Meer? Mein Vaterland ist, wo mich Luise liebt. Deine
Fußtapfe in wilden, sandigten Wüsten mir interessanter, als das
Münster in meiner Heimath--Werden wir die Pracht der Städte
vermissen? Wo wir sein mögen, Luise, geht eine Sonne auf, eine
unter--Schauspiele, neben welchen der üppigste Schwung der Künste
verblaßt. Werden wir Gott in keinem Tempel mehr dienen, so ziehet
die Nacht mit begeisterndem Schauern auf, der wechselnde Mond predigt
uns Buße, und eine andächtige Kirche von Sternen betet mit uns.
Werden wir uns in Gesprächen der Liebe erschöpfen?--Ein Lächeln
meiner Luise ist Stoff für Jahrhunderte, und der Traum des Lebens ist
aus, bis ich diese Thräne ergründe.
Luise. Und hättest du sonst keine Pflicht mehr als deine Liebe?
Ferdinand (sie umarmend). Deine Ruhe ist meine heiligste.
Luise (sehr ernsthaft). So schweig und verlaß mich--Ich habe einen
Vater, der kein Vermögen hat, als diese einzige Tochter--der morgen
sechzig wird--der der Rache des Präsidenten gewiß ist.-Ferdinand
(fällt rasch ein). Der uns begleiten wird. Darum keinen Einwurf
mehr, Liebe. Ich gehe, mache meine Kostbarkeiten zu Geld, erhebe
Summen auf meinen Vater. Es ist erlaubt, einen Räuber zu plündern,
und sind seine Schätze nicht Blutgeld des Vaterlands?--Schlag ein Uhr
um Mitternacht wird ein Wagen hier anfahren. Ihr werft euch hinein.
Wir fliehen.
Luise. Und der Fluch deines Vaters uns nach?--ein Fluch,
Unbesonnener, den auch Mörder nie ohne Erhörung aussprechen, den die
Rache des Himmels auch dem Dieb auf dem Rade hält, der uns
Flüchtlinge unbarmherzig wie ein Gespenst von Meer zu Meer jagen
würde?--Nein, mein Geliebter! Wenn nur ein Frevel dich mir erhalten
kann, so hab' ich noch Stärke, dich zu verlieren.
Ferdinand (steht still und murmelt düster). Wirklich?
Luise. Verlieren!--O, ohne Grenzen entsetzlich ist der
Gedanke--gräßlich genug, den unsterblichen Geist zu durchbohren und
die glühende Wange der Freude zu bleichen--Ferdinand! dich zu
verlieren! Doch, man verliert ja nur, was man besessen hat, und dein
Herz gehört deinem Stande--Mein Anspruch war Kirchenraub, und
schaudernd geb' ich ihn auf.
Ferdinand (das Gesicht verzerrt und an der Unterlippe nagend). Gibst
du ihn auf.
Luise. Nein! Sieh mich an, lieber Walter. Nicht so bitter die
Zähne geknirscht. Komm! Laß mich jetzt deinen sterbenden Muth durch
mein Beispiel beleben. Laß mich die Heldin dieses Augenblicks
sein--einem Vater den entflohenen Sohn wieder schenken--einem Bündniß
entsagen, das die Fugen der Bürgerwelt auseinander treiben und die
allgemeine ewige Ordnung zu Grund stürzen würde--Ich bin die
Verbrecherin--mit frechen, thörigten Wünschen hat sich mein Busen
getragen--mein Unglück ist meine Strafe, so laß mir doch jetzt die
süße, schmeichelnde Täuschung, daß es mein Opfer war--Wirst du mir
diese Wollust mißgönnen?
Ferdinand (hat in der Zerstreuung und Wuth eine Violine ergriffen und
auf derselben zu spielen versucht--Jetzt zerreißt er die Saiten,
zerschmettert das Instrument auf dem Boden und bricht in ein lautes
Gelächter aus).
Luise. Walter! Gott im Himmel! Was soll das?--Ermanne dich!
--Fassung verlangt diese Stunde--es ist eine trennende. Du hast ein
Herz, lieber Walter. Ich kenne es.--Warm wie das Leben ist deine
Liebe, und ohne Schranken wie das Unermeßliche--Schenke sie einer
Edeln und Würdigern--sie wird die Glücklichste ihres Geschlechts
nicht beneiden--(Thränen unterdrückend.) Mich sollst du nicht mehr
sehn--Das eitle betrogene Mädchen verweine seinen Gram in einsamen
Mauern, um seine Thränen wird sich Niemand bekümmern--Leer und
erstorben ist meine Zukunft--Doch werd' ich noch je und je am
verwelkten Strauß der Vergangenheit riechen. (Indem sie ihm mit
abgewandtem Gesicht ihre zitternde Hand gibt.) Leben Sie wohl, Herr
von Walter.
Ferdinand (springt aus seiner Betäubung auf). Ich entfliehe, Luise.
Willst du mir wirklich nicht folgen?
Luise (hat sich im Hintergrund des Zimmers niedergesetzt und hält das
Gesicht mit beiden Händen bedeckt). Meine Pflicht heißt mich bleiben
und dulden.
Ferdinand. Schlange, du lügst. Dich fesselt was anders hier.
Luise (im Ton des tiefsten inwendigen Leidens). Bleiben Sie bei
dieser Vermuthung--sie macht vielleicht weniger elend.
Ferdinand. Kalte Pflicht gegen feurige Liebe!--Und mich soll das
Märchen blenden? Ein Liebhaber fesselt dich, und Weh über dich und
ihn, wenn mein Verdacht sich bestätigt. (Geht schnell ab.)

Fünfte Scene.
Luise allein.--(Sie bleibt noch eine Zeit lang ohne Bewegung und
stumm in dem Sessel liegen, endlich steht sie auf, kommt vorwärts und
sieht furchtsam herum.)

Wo meine Eltern bleiben?--Mein Vater versprach, in wenigen Minuten
zurück zu sein, und schon sind fünf volle fürchterliche Stunden
vorüber--Wenn ihm ein Unfall--wie wird mir?--Warum geht mein Odem so
ängstlich?
(Jetzt tritt Wurm in das Zimmer und bleibt im Hintergrund stehen,
ohne von ihr bemerkt zu werden.)
Es ist nichts Wirkliches--Es ist nichts als das schaudernde
Gaukelspiel des erhitzten Geblüths--Hat unsre Seele nur einmal
Entsetzen genug in sich getrunken, so wird das Aug in jedem Winkel
Gespenster sehn.

Sechste Scene.
Luise und Secretär Wurm.

Wurm (kommt näher). Guten Abend, Jungfer.
Luise. Gott! Wer spricht da? (Sie dreht sich um, wird den Secretär
gewahr und tritt erschrocken zurück.) Schrecklich! Schrecklich!
Meiner ängstlichen Ahnung eilt schon die unglückseligste Erfüllung
nach. (Zum Secretär mit einem Blick voll Verachtung.) Suchen Sie
etwa den Präsidenten? Er ist nicht mehr da.
Wurm. Jungfer, ich suche Sie.
Luise. So muß ich mich wundern, daß Sie nicht nach dem Marktplatz
gingen.
Wurm. Warum eben dahin?
Luise. Ihre Braut von der Schaubühne abzuholen.
Wurm. Mamsell Millerin, Sie haben einen falschen Verdacht-Luise
(unterdrückt eine Antwort). Was steht Ihnen zu Diensten?
Wurm. Ich komme, geschickt von Ihrem Vater.
Luise (bestürzt). Von meinem Vater?--Wieder ist mein Vater?
Wurm. Wo er nicht gern ist.
Luise. Um Gotteswillen! Geschwind! Mich befällt eine üble
Ahnung--Wo ist mein Vater?
Wurm. Im Thurm, wenn Sie es ja wissen wollen.
Luise (mit einem Blick zum Himmel). Das noch! Das auch noch!--Im
Thurm? Und warum im Thurm?
Wurm. Auf Befehl des Herzogs.
Luise. Des Herzogs?
Wurm. Der die Verletzung der Majestät in der Person seines
Stellvertreters-Luise. Was? was? O ewige Allmacht!
Wurm. Auffallend zu ahnden beschlossen hat.
Luise. Das war noch übrig! Das!--Freilich, freilich, mein Herz
hatte noch außer dem Major etwas Theures--das durfte nicht übergangen
werden--Verletzung der Majestät--Himmlische Vorsicht! Rette! o rette
meinen sinkenden Glauben!--Und Ferdinand?
Wurm. Wählt Lady Milford, oder Fluch und Enterbung.
Luise. Entsetzliche Freiheit!--Und doch--doch ist er glücklicher.
Er hat keinen Vater zu verlieren. Zwar keinen haben, ist Verdammniß
genug!--Mein Vater auf Verletzung der Majestät--mein Geliebter die
Lady oder Fluch und Enterbung--Wahrlich bewundernswerth! Eine
vollkommene Büberei ist auch eine Vollkommenheit--Vollkommenheit?
Nein! dazu fehlt noch etwas--Wo ist meine Mutter?
Wurm. Im Spinnhaus.
Luise (mit schmerzvollem Lächeln). Jetzt ist es völlig!--Völlig, und
jetzt wär' ich ja frei--Abgeschält von allen Pflichten--und
Thränen--und Freuden. Abgeschält von der Vorsicht. Ich brauch' sie
ja nicht mehr--(Schreckliches Stillschweigen.) Haben Sie vielleicht
noch eine Zeitung? Reden Sie immerhin. Jetzt kann ich Alles hören.
Wurm. Was geschehen ist, wissen Sie.
Luise. Also nicht, was noch kommen wird? (Wiederum Pause, worin sie
den Secretär von oben bis unten ansieht.) Armer Mensch! du treibst
ein trauriges Handwerk, wobei du unmöglich selig werden kannst.
Unglückliche machen, ist schon schrecklich genug, aber gräßlich ist's,
es ihnen verkündigen--ihn vorzusingen, den Eulengesang, dabei stehn,
wenn das blutende Herz am eisernen Schaft der Nothwendigkeit zittert
und Christen an Gott zweifeln--Der Himmel bewahre mich! Und würde
dir jeder Angsttropfe, den du fallen siehst, mit einer Tonne Golds
aufgewogen--ich möchte nicht du sein--Was kann noch geschehen?
Wurm. Ich weiß nicht.
Luise. Sie wollen nicht wissen?--Diese lichtscheue Bothschaft
fürchtet das Geräusch der Worte, aber in der Grabesstille Ihres
Gesichts zeigt sich mir das Gespenst--Was ist noch übrig?--Sie sagten
vorhin, der Herzog wollte es auffallend ahnden? Was nennen Sie
auffallend?
Wurm. Fragen Sie nichts mehr.
Luise. Höre, Mensch! Du gingst beim Henker zur Schule. Wie
verstündest du sonst, das Eisen erst langsam bedächtlich an den
knirschenden Gelenken hinaufzuführen und das zuckende Herz mit dem
Streich der Erbarmung zu necken?--Welches Schicksal wartet auf meinen
Vater? Es ist Tod in Dem, was du lachend sagst; wie mag Das aussehen,
was du an dich hältst? Sprich es aus. Laß mich sie auf einmal
haben, die ganze zermalmende Ladung. Was wartet auf meinen Vater?
Wurm. Ein Criminal-Proceß.
Luise. Was ist aber das?--Ich bin ein unwissendes, unschuldiges Ding,
verstehe mich wenig auf eure fürchterlichen lateinischen Wörter.
Was heißt Criminal-Proceß?
Wurm. Gericht um Leben und Tod.
Luise (standhaft). So dank' ich Ihnen! (Sie eilt schnell in ein
Seitenzimmer.)
Wurm (steht betroffen da). Wo will das hinaus! Sollte die Närrin
etwa?--Teufel! Sie wird doch nicht--Ich eile nach--ich muß für ihr
Leben bürgen. (Im Begriff, ihr zu folgen.)
Luise (kommt zurück, einen Mantel umgeworfen). Verzeihen Sie,
Secretär. Ich schließe das Zimmer.
Wurm. Und wohin denn so eilig?
Luise. Zum Herzog. (Will fort.)
Wurm. Was? Wo hin? (Er hält sie erschrocken zurück.)
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