Kabale und Liebe: Ein bürgerliches Trauerspiel - 7

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gehen auf--Ich bin jetzt da, mein gegebenes Wort einzulösen und meine
Braut zum Altar abzuholen.
Miller. Hörst du ihn, meine Tochter? Hörst du ihn sein Gespötte mit
deinen getäuschten Hoffnungen treiben? O wahrlich, Baron! es steht
dem Verführer so schön, an seinem Verbrechen seinen Witz noch zu
kitzeln.
Ferdinand. Du glaubst, ich scherze. Bei meiner Ehre nicht! Meine
Aussage ist wahr, wie die Liebe meiner Luise, und heilig will ich sie
halten, wie sie ihre Eide--Ich kenne nichts Heiligeres--Noch
zweifelst du? noch kein freudiges Erröthen auf den Wangen meiner
schönen Gemahlin? Sonderbar! die Lüge muß hier gangbare Münze sein,
wenn die Wahrheit so wenig Glauben findet. Ihr mißtraut meinen
Worten? So glaubt diesem schriftlichen Zeugniß. (Er wirft Luisen
den Brief an den Marschall zu.)
Luise (schlägt ihn auseinander und sinkt leichenblaß nieder).
Miller (ohne das zu bemerken, zum Major). Was soll das bedeuten,
Baron? Ich verstehe Sie nicht.
Ferdinand (führt ihn zu Luisen hin). Desto besser hat mich Diese
verstanden.
Miller (fällt an ihr nieder). O Gott! meine Tochter!
Ferdinand. Bleich wie der Tod!--Jetzt erst gefällt sie mir, deine
Tochter! So schön war sie nie, die fromme, rechtschaffene
Tochter--Mit diesem Leichengesicht--Der Odem des Weltgerichts, der
den Firniß von jeder Lüge streift, hat jetzt die Schminke verblasen,
womit die Tausendkünstlerin auch die Engel des Lichts hintergangen
hat--Es ist ihr schönstes Gesicht! Es ist ihr erstes wahres Gesicht!
Laß mich es küssen. (Er will auf sie zugehen.)
Miller. Zurück! Weg! Greife nicht an das Vaterherz, Knabe! Vor
deinen Liebkosungen konnt' ich sie nicht bewahren, aber ich kann es
vor deinen Mißhandlungen.
Ferdinand. Was willst du, Graukopf? Mit dir hab' ich nichts zu
schaffen. Menge dich ja nicht in ein Spiel, das so offenbar verloren
ist--oder bist du auch vielleicht klüger, als ich dir zugetraut habe?
Hast du die Weisheit deiner sechzig Jahre zu den Buhlschaften deiner
Tochter geborgt und dies ehrwürdige Haar mit dem Gewerb eines
Kupplers geschändet?--O! wenn das nicht ist, unglücklicher alter Mann,
lege dich nieder und stirb--Noch ist es Zeit. Noch kannst du in dem
süßen Taumel entschlafen: ich war ein glücklicher Vater!--Einen
Augenblick später, und du schleuderst die giftige Natter ihrer
höllischen Heimath zu, verfluchst das Geschenk und den Geber und
fährst mit der Gotteslästerung in die Grube. (Zu Luisen.) Sprich,
Unglückselige! Schriebst du diesen Brief?
Miller (warnend zu Luisen). Um Gottes Willen, Tochter! Vergiß nicht!
Vergiß nicht!
Luise. O dieser Brief, mein Vater-Ferdinand. Daß er in die
unrechten Hände fiel?--Gepriesen sei mir der Zufall, er hat größere
Thaten gethan, als die klügelnde Vernunft, und wird besser bestehn an
jenem Tag, als der Witz aller Weisen--Zufall, sage ich?--O die
Vorsehung ist dabei, wenn Sperlinge fallen, warum nicht, wo ein
Teufel entlarvt werden soll?--Antwort will ich!--Schriebst du diesen
Brief?
Miller (seitwärts zu ihr mit Beschwörung). Standhaft! Standhaft,
meine Tochter! Nur noch das einzige Ja, und Alles ist überwunden.
Ferdinand. Lustig! lustig! Auch der Vater betrogen! Alles betrogen.
Nun sieh, wie sie dasteht, die Schändliche, und selbst ihre Zunge
nun ihrer letzten Lüge den Gehorsam aufkündigt! Schwöre bei Gott,
bei dem fürchterlich wahren! Schriebst du diesen Brief?
Luise (nach einem qualvollen Kampf, worin sie durch Blicke mit ihrem
Vater gesprochen hat, fest und entscheidend). Ich schrieb ihn.
Ferdinand (bleibe erschrocken stehen). Luise!--Nein! So wahr meine
Seele lebt! du lügst--Auch die Unschuld bekennt sich auf der
Folterbank zu Freveln, die sie nie beging--Ich fragte zu
heftig--Nicht wahr, Luise--Du bekanntest nur, weil ich zu heftig
fragte?
Luise. Ich bekannte, was wahr ist.
Ferdinand. Nein, sag' ich! nein! nein! Du schriebst nicht. Es ist
deine Hand gar nicht--Und wäre sie's, warum sollten Handschriften
schwerer nachzumachen sein, als Herzen zu verderben? Rede mir wahr,
Luise--Oder nein, nein, thu' es nicht, du könntest Ja sagen, und ich
wär' verloren--Eine Lüge, Luise--ein Lüge!--O wenn du jetzt eine
wüßtest, mir hinwärfest mit der offenen Engelmiene, nur mein Ohr, nur
mein Aug überredetest, dieses Herz auch noch so abscheulich
täuschtest--O Luise! Alle Wahrheit möchte dann mit diesem Hauch aus
der Schöpfung wandern und die gute Sache ihren starren Hals von nun
an zu einem höfischen Bückling beugen! (Mit scheuem bebendem Ton.)
Schriebst du diesen Brief?
Luise. Bei Gott! bei dem fürchterlich wahren! Ja!
Ferdinand (nach einer Pause, im Ausdruck des tiefsten Schmerzes).
Weib! Weib!--Das Gesicht, mit dem du jetzt vor mir stehst!--Theile
mit diesem Gesicht Paradiese aus, du wirst selbst im Reich der
Verdammniß keinen Käufer finden--Wußtest du, was du mir warst, Luise?
Unmöglich! Nein! Du wußtest nicht, daß du mir Alles warst! Alles!
--Es ist ein armes verächtliches Wort, aber die Ewigkeit hat Mühe, es
zu umwandern; Weltsysteme vollenden ihre Bahnen darin--Alles! und so
frevelhaft damit zu spielen--O, es ist schrecklich!-Luise. Sie haben
mein Geständniß, Herr von Walter. Ich habe mich selbst verdammt.
Gehen Sie nun! Verlassen Sie ein Haus, wo Sie so unglücklich waren.
Ferdinand. Gut! gut! Ich bin ja ruhig--ruhig, sagt man ja, ist auch
der schaudernde Strich Landes, worüber die Pest ging--ich bin's.
(Nach einigem Nachdenken.) Noch eine Bitte, Luise--die letzte! Mein
Kopf brennt so fieberisch. Ich brauch Kühlung--Willst du mir ein
Glas Limonade zurecht machen? (Luise geht ab.)

Dritte Scene.
Ferdinand und Miller.
(Beide gehen, ohne ein Wort zu reden, einige Pausen lang auf den
entgegengesetzten Seiten des Zimmers auf und ab).

Miller (bleibt endlich stehen und betrachtet den Major mit trauriger
Miene). Lieber Baron, kann es Ihren Gram vielleicht mindern, wenn
ich Ihnen gestehe, daß ich Sie herzlich bedaure!
Ferdinand. Laß Er es gut sein, Miller. (Wieder einige Schritte.)
Miller, ich weiß nur kaum noch, wie ich in Sein Haus kam--Was war die
Veranlassung?
Miller. Wie, Herr Major? Sie wollten ja Lection auf der Flöte bei
mir nehmen? Das wissen Sie nicht mehr?
Ferdinand (rasch). Ich sah Seine Tochter! (Wiederum einige Pausen.)
Er hat nicht Wort gehalten, Freund. Wir accordierten Ruhe für meine
einsamen Stunden. Er betrog mich und verkaufte mir Skorpionen. (Da
er Millers Bewegung sieht.) Nein, erschrick nur nicht, alter Mann.
(Gerührt an seinem Hals.) Du bist nicht schuldig.
Miller (die Augen wischend). Das weiß der allwissende Gott!
Ferdinand (aufs neue hin und her, in düstres Grübeln versunken).
Seltsam, o unbegreiflich seltsam spielt Gott mit uns. An dünnen
unmerkbaren Seilen hängen oft fürchterliche Gewichte--Wüßte der
Mensch, daß er an diesem Apfel den Tod essen sollte--Hum!--Wüßte er
das? (Heftiger auf und nieder, dann Millers Hand mit starker
Bewegung fassend.) Mann! Ich bezahle dir dein Bischen Flöte zu
theuer--und du gewinnst nicht einmal--auch du verlierst--verlierst
vielleicht Alles. (Gepreßt von ihm weggehend.) Unglückseliges
Flötenspiel, das mir nie hätte einfallen sollen!
Miller (sucht seine Rührung zu verbergen). Die Limonade bleibt auch
gar zu lang außen. Ich denke, ich sehe nach, wenn Sie mir's nicht
für übel nehmen-Ferdinand. Es eilt nicht, lieber Miller. (Vor sich
hinmurmelnd.) Zumal für den Vater nicht--Bleib' Er nur--Was hatt' ich
doch fragen wollen?--Ja!--Ist Luise Seine einzige Tochter? Sonst hat
Er keine Kinder mehr?
Miller (warm). Habe sonst keins mehr, Baron--wünsch' mir auch keins
mehr. Das Mädel ist just so recht, mein ganzes Vaterherz
einzustecken--hab' meine ganze Baarschaft von Liebe an der Tochter
schon zugesetzt.
Ferdinand (heftig erschüttert). Ha!--Seh' Er doch lieber nach dem
Trank, guter Miller. (Miller ab.)

Vierte Scene.
Ferdinand allein.

Das einzige Kind!--Fühlst du das, Mörder? Das einzige! Mörder!
hörst du, das einzige?--Und der Mann hat auf der großen Welt Gottes
nichts, als sein Instrument und das einzige--Du willst's ihm rauben?
Rauben?--rauben den letzten Nothpfenning einem Bettler? Die Krücke
zerbrochen vor die Füße werfen dem Lahmen? Wie? Hab' ich auch Brust
für das?--Und wenn er nun heimeilt und nicht erwarten kann, die ganze
Summe seiner Freuden vom Gesicht dieser Tochter herunter zu zählen,
und hereintritt und sie da liegt, die Blume--welk--todt--zertreten,
muthwillig, die letzte, einzige, unüberschwängliche Hoffnung--Ha, und
er dasteht vor ihr, und dasteht und ihm die ganze Natur den
lebendigen Odem anhält, und sein erstarrter Blick die entvölkerte
Unendlichkeit fruchtlos durchwandert, Gott sucht, und Gott nicht mehr
finden kann und leerer zurückkommt--Gott! Gott! Aber auch mein
Vater hat diesen einzigen Sohn--den einzigen Sohn, doch nicht den
einzigen Reichthum--(Nach einer Pause.) Doch wie? Was verliert er
denn? Das Mädchen, dem die heiligsten Gefühle der Liebe nur Puppen
waren, wird es den Vater glücklich machen können?--Es wird nicht, es
wird nicht! Und ich verdiene noch Dank, daß ich die Natter zertrete,
ehe sie auch noch den Vater verwundet.

Fünfte Scene.
Miller, der zurückkommt, und Ferdinand.

Miller. Gleich sollen Sie bedient sein, Baron! Draußen sitzt das
arme Ding und will sich zu Tod weinen. Sie wird Ihnen mit der
Limonade auch Thränen zu trinken geben.
Ferdinand. Und wohl, wenn's nur Thränen wären!--Weil wir vorhin von
der Musik sprachen, Miller--(Eine Börse ziehend.) Ich bin noch Sein
Schuldner.
Miller. Wie? Was? Gehen Sie mir, Baron! Wofür halten Sie mich?
Das steht ja in guter Hand, thun Sie mir doch den Schimpf nicht an,
und sind wir ja, will's Gott, nicht das letzte Mal bei einander.
Ferdinand. Wer kann das wissen? Nehm' Er nur. Es ist für Leben und
Sterben.
Miller (lachend). O deßwegen, Baron! Auf den Fall, denk' ich, kann
man's wagen bei Ihnen.
Ferdinand. Man wagte wirklich--Hat Er nie gehört, daß Jünglinge
gefallen sind--Mädchen und Jünglinge, die Kinder der Hoffnung, die
Luftschlösser betrogener Väter--Was Wurm und Alter nicht thun, kann
oft ein Donnerschlag ausrichten--Auch Seine Luise ist nicht
unsterblich.
Miller. Ich hab' sie von Gott.
Ferdinand. Hör' Er--Ich sag' Ihm, sie ist nicht unsterblich. Diese
Tochter ist Sein Augapfel. Er hat sich mit Herz und Seel' an diese
Tochter gehängt. Sei Er vorsichtig, Miller. Nur ein verzweifelter
Spieler setzt Alles auf einen einzigen Wurf. Einen Waghals nennt man
den Kaufmann, der auf ein Schiff sein ganzes Vermögen ladet--Hör' Er,
denk' Er der Warnung nach--Aber warum nimmt Er Sein Geld nicht?
Miller. Was, Herr? die ganze allmächtige Börse? Wohin denken Eure
Gnaden?
Ferdinand. Auf meine Schuldigkeit--Da! (Er wirft den Beutel auf den
Tisch, daß Goldstücke herausfallen.) Ich kann den Quark nicht eine
Ewigkeit so halten.
Miller (bestürzt). Was beim großen Gott? Der klang nicht wie
Silbergeld! (Er tritt zum Tisch und ruft mit Entsetzen.) Wie, um
aller Himmel willen, Baron? Baron? Wie sind Sie? Was treiben Sie,
Baron? Das nenn' ich mir Zerstreuung! (Mit zusammengeschlagenen
Händen.) Hier liegt ja--oder bin ich verhext,--oder--Gott
verdamm mich! Da greif' ich ja das baare, gelbe, leibhaftige
Gottesgold--Nein, Satanas! Du sollst mich nicht daran kriegen!
Ferdinand. Hat Er Alten oder Neuen getrunken, Miller?
Miller (grob). Donner und Wetter! Da schauen Sie nur hin!--Gold!
Ferdinand. Und was weiter?
Miller. Ins Henkers Namen--ich sage--ich bitte Sie um Gottes Christi
willen--Gold!
Ferdinand. Das ist nun freilich etwas Merkwürdiges.
Miller (nach einigem Stillschweigen zu ihm gehend, mit Empfindung).
Gnädiger Herr, ich bin ein schlichter, gerader Mann, wenn Sie mich
etwa zu einem Bubenstück anspannen wollen--denn so viel Geld läßt
sich, weißt Gott, nicht mit etwas Gutem verdienen.
Ferdinand (bewegt). Sei Er ganz getrost, lieber Miller. Das Geld
hat Er längst verdient, und Gott bewahre mich, daß ich mich mit
Seinem guten Gewissen dafür bezahlt machen sollte.
Miller (wie ein Halbnarr in die Höhe springend). Mein also! mein!
Mit des guten Gottes Wissen und Willen, mein! (Nach der Thür laufend,
schreiend.) Weib! Tochter! Victoria! Herbei! (Zurückkommend.)
Aber du lieber Himmel! Wie komm' ich denn so auf einmal zu dem
ganzen grausamen Reichthum? Wie verdien' ich ihn? lohn' ich ihn?
Heh?
Ferdinand. Nicht mit Seinen Musikstunden, Miller.--Mit dem Geld hier
bezahl' ich Ihm, (von Schauern ergriffen hält er inn) bezahl' ich Ihm
(nach einer Pause mit Wehmuth) den drei Monat langen glücklichen
Traum von Seiner Tochter.
Miller (faßt seine Hand, die er stark drückt). Gnädiger Herr! Wären
Sie ein schlechter, geringer Bürgersmann--(rasch) und mein Mädel
liebte Sie nicht--erstechen wollt' ich's, das Mädel! (Wieder beim
Geld, darauf niedergeschlagen.) Aber da hab' ich ja nun Alles und Sie
nichts, und da werd' ich nun das ganze Gaudium wieder herausblechen
müssen? Heh?
Ferdinand. Laß Er sich das nicht anfechten, Freund--Ich reise ab,
und in dem Land, wo ich mich zu setzen gedenke, gelten die Stempel
nicht.
Miller (unterdessen mit unverwandten Augen auf das Gold hingeheftet,
voll Entzückung). Bleibt's also mein? Bleibt's?--Aber das thut mir
nur leid, daß Sie verreisen--Und wart, was ich jetzt auftreten will!
Wie ich die Backen jetzt vollnehmen will! (Er setzt den Hut auf und
schießt durch das Zimmer.) Und auf den Markt will ich und meine
Musikstunden geben und Numero fünfe Dreikönig rauchen, und wenn ich
wieder auf dem Dreibatzenplatz sitze, soll mich der Teufel holen.
(Will fort.)
Ferdinand. Bleib' Er! Schweig' Er! und streich' Er sein Geld ein!
(Nachdrücklich.) Nur diesen Abend noch schweig' Er und geb' Er, mir
zu Gefallen, von nun an keine Musikstunden mehr.
Miller (noch hitziger und ihn hart an der Weste fassend, voll inniger
Freude). Und, Herr! meine Tochter! (Ihn werden loslassend.) Geld
macht den Mann nicht--Geld nicht--Ich habe Kartoffeln gegessen oder
ein wildes Huhn; satt ist satt, und dieser Rock da ist ewig gut, wenn
Gottes liebe Sonne nicht durch den Ärmel scheint--Für mich ist das
Plunder--Aber dem Mädel soll der Segen bekommen; was ich ihr nur an
den Augen absehen kann, soll sie haben-Ferdinand (fällt rasch ein).
Stille, o stille-Miller (immer feuriger). Und soll mir Französisch
lernen aus dem Fundament und Menuet-Tanzen und Singen, daß man's in
den Zeitungen lesen soll; und eine Haube soll sie tragen, wie die
Hofrathstöchter, und einen Kidebarri, wie sie's heißen, und von der
Geigerstochter soll man reden auf vier Meilen weit-Ferdinand
(ergreift seine Hand mit der schrecklichsten Bewegung). Nichts mehr!
Nichts mehr! Um Gotteswillen, schweig' Er still! Nur noch heute
schweig' Er still! Das sei der einzige Dank, den ich von Ihm fordre.

Sechste Scene.
Luise mit der Limonade, und die Vorigen.

Luise (mit rotgeweinten Augen und zitternder Stimme, indem sie dem
Major das Glas auf einem Teller bringt). Sie befehlen, wenn sie
nicht stark genug ist.
Ferdinand (nimmt das Glas, setzt es nieder und dreht sich rasch gegen
Millern). O beinahe hätt' ich das vergessen!--Darf ich Ihn um etwas
bitten, lieber Miller? Will Er mir einen kleinen Gefallen thun?
Miller. Tausend für einen! Was befehlen-Ferdinand. Man wird mich
bei der Tafel erwarten. Zum Unglück hab' ich eine sehr böse Laune.
Es ist mir ganz unmöglich, unter Menschen zu gehn--Will Er einen Gang
thun zu meinem Vater und mich entschuldigen?
Luise (erschrickt und fällt schnell ein). Den Gang kann ja ich thun.
Miller. Zum Präsidenten?
Ferdinand. Nicht zu ihm selbst. Er übergibt Seinen Auftrag in der
Garderobe einem Kammerdiener--Zu Seiner Legitimation ist hier meine
Uhr--Ich bin noch da, wenn Er wieder kommt.--Er wartet auf Antwort.
Luise (sehr ängstlich). Kann denn ich das nicht auch besorgen?
Ferdinand (zu Millern, der eben fort will). Halt, und noch etwas!
Hier ist ein Brief an meinen Vater, der diesen Abend an mich
eingeschlossen kam--Vielleicht dringende Geschäfte--Es geht in einer
Bestellung hin-Miller. Schon gut, Baron!
Luise (hängt sich an ihn, in der entsetzlichsten Bangigkeit). Aber,
mein Vater, Dies alles könnt' ich ja recht gut besorgen.
Miller. Du bist allein, und es ist finstre Nacht, meine Tochter.
(Ab.)
Ferdinand. Leuchte deinem Vater, Luise! (Während dem, daß sie
Millern mit dem Licht begleitet, tritt er zum Tisch und wirft Gift in
ein Glas Limonade.) Ja, sie soll dran! Sie soll! Die obern Mächte
nicken mir ihr schreckliches Ja herunter, die Rache des Himmels
unterschreibt, ihr guter Engel läßt sie fahren-

Siebente Scene.
Ferdinand und Luise.
Sie kommt langsam mit dem Lichte zurück, setzt es nieder und stellt
sich auf die entgegengesetzte Seite vom Major, das Gesicht auf den
Boden geschlagen und nur zuweilen furchtsam und verstohlen nach ihm
hinüberschielend. Er steht auf der andern Seite und sieht starr vor
sich hinaus. (Großes Stillschweigen, das diesen Auftritt ankündigen
muß.)

Luise. Wollen Sie mich accompagnieren, Herr von Walter, so mach' ich
einen Gang auf dem Fortepiano. (Sie öffnet den Pantalon.)
(Ferdinand gibt keine Antwort. Pause.)
Luise. Sie sind mir auch noch Revanche auf dem Schachbrett schuldig.
Wollen wir eine Partie, Herr von Walter? (Eine neue Pause.)
Luise. Herr von Walter, die Brieftasche, die ich Ihnen einmal zu
sticken versprochen--ich habe sie angefangen--Wollen Sie das Dessin
nicht besehen? (Wieder eine Pause.)
Luise. Ich bin sehr elend!
Ferdinand (in der bisherigen Stellung). Das könnte wahr sein.
Luise. Meine Schuld ist es nicht, Herr von Walter, daß Sie so
schlecht unterhalten werden.
Ferdinand (lacht beleidigend vor sich hin). Denn was kannst du für
meine blöde Bescheidenheit?
Luise. Ich hab' es ja wohl gewußt, daß wir jetzt nicht zusammen
taugen. Ich erschrak auch gleich, ich bekenne es, als Sie meinen
Vater verschickten--Herr von Walter, ich vermuthe, dieser Augenblick
wird uns Beiden gleich unerträglich sein--Wenn Sie mir's erlauben
wollen, so geh' ich und bitte einige von meinen Bekannten her.
Ferdinand. O ja doch, das thu'. Ich will auch gleich gehn und von
den meinigen bitten.
Luise (sieht ihn stutzend an). Herr von Walter?
Ferdinand (sehr hämisch). Bei meiner Ehre! der gescheidteste Einfall,
den ein Mensch in dieser Lage nur haben kann. Wir machen aus diesem
verdrießlichen Duett eine Lustbarkeit und rächen uns mit Hilfe
gewisser Galanterieen an den Grillen der Liebe.
Luise. Sie sind aufgeräumt, Herr von Walter.
Ferdinand. Ganz außerordentlich, um die Knaben auf dem Markt hinter
mir her zu jagen! Nein! In Wahrheit, Luise! dein Beispiel bekehrt
mich--du sollst meine Lehrerin sein. Thoren sind's, die von ewiger
Liebe schwatzen. Ewiges Einerlei widersteht, Veränderung nur ist das
Salz des Vergnügens--Topp, Luise! Ich bin dabei--Wir hüpfen von
Roman zu Roman, wälzen uns von Schlamme zu Schlamm--Du dahin--ich
dorthin--vielleicht, daß meine verlorene Ruhe sich in einem Bordell
wieder finden läßt--Vielleicht, daß wir dann nach dem lustigen
Wettlauf, zwei modernde Gerippe, mit der angenehmsten Überraschung
von der Welt zum zweiten Mal aufeinander stoßen, daß wir uns da an
dem gemeinschaftlichen Familienzug, den kein Kind dieser Mutter
verleugnet, wie in Komödien wieder erkennen, daß Ekel und Scham noch
eine Harmonie veranstalten, die der zärtlichsten Liebe unmöglich
gewesen ist.
Luise. O Jüngling! Jüngling! Unglücklich bist du schon; willst du
es auch noch verdienen?
Ferdinand (ergrimmt durch die Zähne murmelnd). Unglücklich bin
ich? Wer hat dir das gesagt? Weib, du bist zu schlecht, und
selbst zu empfinden--womit kannst du eines Andern Empfindungen
wägen?--Unglücklich, sagte sie?--Ha! dieses Wort könnte meine
Wuth aus dem Grabe rufen! Unglücklich mußt' ich werden, das
wußte sie. Tod und Verdammniß! das wußte sie und hat mich
dennoch verrathen--Siehe, Schlange! das war der einzige Fleck der
Vergebung--Deine Aussage bricht dir den Hals--Bis jetzt konnt'
ich deinen Frevel mit deiner Einfalt beschönigen, in meiner
Verachtung wärst du beinahe meiner Rache entsprungen. (Indem
er hastig das Glas ergreift.) Also leichtsinnig warst du
nicht--dumm warst du nicht--du warst nur ein Teufel. (Er
trinkt.) Die Limonade ist matt wie deine Seele--Versuche!
Luise. O Himmel! Nicht umsonst hab' ich diesen Auftritt gefürchtet.
Ferdinand (gebieterisch). Versuche!
Luise (nimmt das Glas etwas unwillig und trinkt).
Ferdinand (wendet sich, sobald sie das Glas an den Mund setzt, mit
einer plötzlichen Erblassung weg und eilt nach dem hintersten Winkel
des Zimmers).
Luise. Die Limonade ist gut.
Ferdinand (ohne sich umzukehren, von Schauer geschüttelt). Wohl
bekomm's!
Luise (nachdem sie es niedergesetzt). O wenn Sie wüßten, Walter, wie
ungeheuer Sie meine Seele beleidigen.
Ferdinand. Hum!
Luise. Es wird eine Zeit kommen, Walter-Ferdinand (wieder vorwärts
kommend). O! mit der Zeit wären wir fertig.
Luise. Wo der heutige Abend schwer auf Ihr Herz fallen
dürfte-Ferdinand (fängt an stärker zu gehen und beunruhigter zu
werden, indem er Schärpe und Degen von sich wirft). Gute Nacht,
Herrendienst!
Luise. Mein Gott! Wie wird Ihnen?
Ferdinand. Heiß und enge--Will mir's bequemer machen.
Luise Trinken Sie! Trinken Sie! Der Trank wird Sie kühlen.
Ferdinand. Das wird er auch ganz gewiß--Die Metze ist gutherzig;
doch, das sind alle!
Luise (mit dem vollen Ausdruck der Liebe ihm in die Arme eilend).
Das deiner Luise, Ferdinand?
Ferdinand (drückt sie von sich). Fort! Fort! Diese sanften
schmelzenden Augen weg! Ich erliege. Komm in deiner ungeheuern
Furchtbarkeit, Schlange! spring an mir auf, Wurm!--Krame vor mir
deine gräßlichen Knoten aus, bäume deine Wirbel zum Himmel!--so
abscheulich, als dich jemals der Abgrund sah--nur keinen Engel
mehr--nur jetzt keinen Engel mehr--Es ist zu spät--Ich muß dich
zertreten, wie eine Natter, oder verzweifeln--Erbarme dich!
Luise. O! daß es so weit kommen mußte!
Ferdinand (sie von der Seite betrachtend). Dieses schöne Werk des
himmlischen Bildners--Wer kann das glauben?--Wer sollte das glauben?
(Ihre Hand fassend und emporhaltend.) Ich will dich nicht zur Rede
stellen, Gott Schöpfer--Aber warum denn dein Gift in so schönen
Gefäßen?--Kann das Laster in diesem milden Himmelstrich
fortkommen?--O, es ist seltsam.
Luise. Das anzuhören und schweigen zu müssen!
Ferdinand. Und die süße melodische Stimme--Wie kann so viel
Wohlklang kommen aus zerrissenen Saiten? (Mit trunkenem Aug auf
ihrem Anblick verweilend.) Alles so schön--so voll Ebenmaß--so
göttlich vollkommen!--Überall das Werk seiner himmlischen
Schäferstunde! Bei Gott! als wäre die große Welt nur entstanden, den
Schöpfer für dieses Meisterstück in Laune zu setzen!--Und nur in der
Seele sollte Gott sich vergriffen haben? ist es möglich, daß diese
empörende Mißgeburt in die Natur ohne Tadel kam? (Indem er sie
schnell verläßt.) Oder sah er einen Engel unter dem Meißel
hervorgehen und half diesem Irrthum in der Eile mit einem desto
schlechteren Herzen ab?
Luise. O des frevelhaften Eigensinns! Ehe er sich eine Übereilung
gestände, greift er lieber den Himmel an.
Ferdinand (stürzt ihr heftig weinend an den Hals). Noch einmal,
Luise!--Noch einmal wie am Tag unsers ersten Kusses, da du Ferdinand
stammeltest und das erste Du auf deine brennenden Lippen trat--O eine
Saat unendlicher, unaussprechlicher Freuden schien in dem Augenblick
wie in der Knospe zu liegen--Da lag die Ewigkeit wie ein schöner
Maitag vor unsern Augen; goldne Jahrtausende hüpften, wie Bräute, vor
unsrer Seele vorbei--Da war ich der Glückliche!--O Luise! Luise!
Luise! Warum hat du mir das gethan?
Luise. Weinen Sie, weinen Sie, Walter. Ihre Wehmuth wird gerechter
gegen mich sein, als Ihre Entrüstung.
Ferdinand. Du betrügst dich. Das sind ihre Thränen nicht--Nicht
jener warme, wollüstige Thau, der in die Wunde der Seele balsamisch
fließt und das starre Rad der Empfindung wieder in Gang bringt. Es
sind einzelne--kalte Tropfen--das schauerliche ewige Lebewohl meiner
Liebe. (Furchtbar feierlich, indem er die Hand auf ihren Kopf sinken
läßt.) Thränen um deine Seele, Luise--Thränen um die Gottheit, die
ihres unendlichen Wohlwollens hier verfehlte, die so muthwillig um
das herrlichste ihrer Werke kommt--O mich däucht, die ganze Schöpfung
sollte den Flor anlegen und über das Beispiel betreten sein, das in
ihrer Mitte geschieht--Es ist was Gemeines, daß Menschen fallen und
Paradiese verloren werden; aber wenn die Pest unter Engel wüthet, so
rufe man Trauer aus durch die ganze Natur.
Luise. Treiben Sie mich nicht aufs Äußerste, Walter. Ich habe
Seelenstärke, so gut wie Eine--aber sie muß auf eine menschliche
Probe kommen. Walter, das Wort noch und dann geschieden--Ein
entsetzliches Schicksal hat die Sprache unsrer Herzen verwirrt.
Dürft' ich den Mund aufthun, Walter, ich könnte dir Dinge sagen--ich
könnte--aber das harte Verhängniß band meine Zunge wie meine Liebe,
und dulden muß ich's, wenn du mich wie eine gemeine Metze mißhandelst.
Ferdinand. Fühlst du dich wohl, Luise?
Luise. Wozu diese Frage?
Ferdinand. Sonst sollte mir's leid um dich thun, wenn du mit einer
Lüge von hinnen müßtest.
Luise. Ich beschwöre Sie, Walter-Ferdinand (unter heftigen
Bewegungen). Nein! nein! Zu satanisch wäre diese Rache! Nein!
Gott bewahre mich! In jene Welt hinaus will ich's nicht
treiben--Luise! Hast du den Marschall geliebt? Du wirst nicht mehr
aus diesem Zimmer gehen.
Luise. Fragen Sie, was Sie wollen. Ich antworte nichts mehr. (Sie
setzt sich nieder.)
Ferdinand (ernster). Sorge für deine unsterbliche Seele, Luise!
--Hast du den Marschall geliebt? Du wirst nicht mehr aus diesem
Zimmer gehen.
Luise. Ich antworte nichts mehr.
Ferdinand (fällt in fürchterlicher Bewegung vor ihr nieder).
Luise! Hast du den Marschall geliebt? Ehe dieses Licht noch
ausbrennt--stehst du--vor Gott!
Luise (fährt erschrocken in die Höhe). Jesus! Was ist das?--und
mir wird sehr übel. (Sie sinkt auf den Sessel zurück.)
Ferdinand. Schon?--Über euch Weiber und das ewige Räthsel! Die
zärtliche Nerve hält Freveln fest, die die Menschheit an ihren
Wurzeln zernagen; ein elender Gran Arsenik wirft sie um-Luise. Gift!
Gift! O mein Herrgott!
Ferdinand. So fürchte ich. Deine Limonade war in der Hölle gewürzt.
Du hast sie dem Tod zugetrunken.
Luise. Sterben! Sterben! Gott Allbarmherziger! Gift in der
Limonade und sterben!--O meiner Seele erbarme dich, Gott der Erbarmer!
Ferdinand. Das ist die Hauptsache. Ich bitt' ihn auch darum.
Luise. Und meine Mutter--mein Vater--Heiland der Welt! Mein armer,
verlorener Vater! Ist keine Rettung mehr? Mein junges Leben, und
keine Rettung! Und muß ich jetzt schon dahin?
Ferdinand. Keine Rettung, mußt jetzt schon dahin--aber sei ruhig.
Wir machen die Reise zusammen.
Luise. Ferdinand, auch du! Gift, Ferdinand! Von dir! O Gott,
vergiß es ihm--Gott der Gnade, nimm die Sünde von ihm-Ferdinand.
Sieh du nach deinen Rechnungen--Ich fürchte, sie stehen übel.
Luise. Ferdinand! Ferdinand!--O--Nun kann ich nicht mehr
schweigen--Der Tod--der Tod hebt alle Eide auf--Ferdinand!--Himmel
und Erde hat nichts Unglückseligeres als dich!--Ich sterbe unschuldig,
Ferdinand.
Ferdinand (erschrocken). Was sagt sie da?--Eine Lüge pflegt man doch
sonst nicht auf diese Reise zu nehmen?
Luise. Ich lüge nicht--lüge nicht--hab' nur einmal gelogen mein
Lebenlang--Huh! wie das eiskalt durch meine Adern schauert--als ich
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