Kabale und Liebe: Ein bürgerliches Trauerspiel - 2

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Er plaudert-Wurm (lacht). So zeigen Ihr' Excellenz meine falschen
Handschriften auf. (er geht ab.)
Präsident. Zwar bist du mir gewiß! Ich halte dich an deiner eigenen
Schurkerei, wie den Schröter am Faden.
Ein Kammerdiener (tritt herein). Hofmarschall von Kalb-Präsident.
Kommt wie gerufen.--Er soll mir angenehm sein. (Kammerdiener geht.)

Sechste Scene.
Hofmarschall von Kalb in einem reichen, aber geschmacklosen Hofkleid,
mit Kammerherrnschlüsseln, zwei Uhren und einem Degen, Chapeaubas und
frisiert à la Hérisson. Er fliegt mit großem Gekreisch auf den
Präsidenten zu und breitet einen Bisamgeruch über das ganze Parterre.
Präsident.

Hofmarschall (ihn umarmend). Ah guten Morgen, mein Bester! Wie geruht?
wie geschlafen?--Sie verzeihen doch, daß ich so spät das Vergnügen
habe--dringende Geschäfte--der Küchenzettel--Visitenbillets--das
Arrangement der Partieen auf die heutige Schlittenfahrt--Ah--und dann
mußt' ich ja auch bei dem Lever zugegen sein und Seiner Durchleucht das
Wetter verkündigen.
Präsident. Ja, Marschall, da haben Sie freilich nicht abkommen
können.
Hofmarschall. Oben drein hat mich ein Schelm von Schneider noch
sitzen lassen.
Präsident. Und doch fix und fertig?
Hofmarschall. Das ist noch nicht Alles.--Ein Malheur jagt heut das
andere. Hören Sie nur!
Präsident (zerstreut). Ist das möglich?
Hofmarschall. Hören Sie nur! Ich steige kaum aus dem Wagen, so
werden die Hengste scheu, stampfen und schlagen aus, daß mir--ich
bitte Sie!--der Gassenkoth über und über an die Beinkleider spritzt.
Was anzufangen? Setzen Sie sich um Gotteswillen in meine Lage, Baron!
Da stand ich. Spät war es. Eine Tagreise ist es--und in dem
Aufzug vor Seine Durchleucht! Gott der Gerechte!--Was fällt mir bei?
Ich fingiere eine Ohnmacht. Man bringt mich über Hals und Kopf in
die Kutsche. Ich in voller Carrière nach Haus--wechsle die
Kleider--fahre zurück--Was sagen Sie?--und bin noch der erste in der
Antichambre--Was denken Sie?-Präsident. Ein herrliches Impromptu des
menschlichen Witzes--Doch das beiseite, Kalb--Sie sprachen also schon
mit dem Herzog?
Hofmarschall (wichtig). Zwanzig Minuten und eine halbe.
Präsident. Das gesteh' ich!--und wissen wir also ohne Zweifel eine
wichtige Neuigkeit?
Hofmarschall (ernsthaft, nach einigem Stillschweigen). Seine
Durchleucht haben heute einen Merde d'Oye Biber an.
Präsident. Man denke!--Nein, Marschall, so hab' ich doch eine
bessere Zeitung für Sie--Daß Lady Milford Majorin von Walter wird,
ist Ihnen gewiß etwas Neues?
Hofmarschall. Denken Sie!--Und das ist schon richtig gemacht?
Präsident. Unterschrieben, Marschall--und Sie verbinden mich, wenn
Sie ohne Aufschub dahin gehen, die Lady auf seinen Besuch präparieren
und den Entschluß meiner Ferdinands in der ganzen Residenz bekannt
machen.
Hofmarschall (entzückt). O mit tausend Freuden, mein Bester!--Was
kann mir erwünschter kommen?--Ich fliege sogleich--(Umarmt ihn.)
Leben Sie wohl--in drei Viertelstunden weiß es die ganze Stadt.
(Hüpft hinaus.)
Präsident (lacht dem Marschall nach). Man sage noch, daß diese
Geschöpfe in der Welt zu nichts taugen--Nun muß ja mein Ferdinand
wollen, oder die ganze Stadt hat gelogen. (Klingelt--Wurm kommt.)
Mein Sohn soll hereinkommen. (Wurm geht ab, der Präsident auf und
nieder, gedankenvoll.)

Siebente Scene.
Ferdinand. Präsident. Wurm, welcher gleich abgeht.

Ferdinand. Sie haben befohlen, gnädiger Herr Vater-Präsident.
Leider muß ich das, wenn ich meines Sohns einmal froh werden
will--Laß Er uns allein, Wurm!--Ferdinand, ich beobachte dich schon
eine Zeitlang und finde die offene rasche Jugend nicht mehr, die mich
sonst so entzückt hat. Ein seltsamer Gram brütet auf deinem Gesicht.
Du fliehst mich--du fliehst deine Zirkel--Pfui!--Deinen Jahren
verzeiht man zehn Ausschweifungen vor einer einzigen Grille.
Überlaß diese mir, lieber Sohn! Mich laß an deinem Glück arbeiten
und denke auf nichts, als in meine Entwürfe zu spielen.--Komm! umarme
mich, Ferdinand!
Ferdinand. Sie sind heute sehr gnädig, mein Vater.
Präsident. Heute, du Schalk--und dieses Heute noch mit der herben
Grimasse? (Ernsthaft.) Ferdinand!--Wem zu lieb hab' ich die
gefährliche Bahn zum Herzen des Fürsten betreten? Wem zu lieb bin
ich auf ewig mit meinem Gewissen und dem Himmel zerfallen?--Höre,
Ferdinand!--Ich spreche mit meinem Sohn--Wem hab' ich durch die
Hinwegräumung meines Vorgängers Platz gemacht--eine Geschichte, die
desto blutiger in mein Inwendiges schneidet, je sorgfältiger ich das
Messer der Welt verberge! Höre! sage mir, Ferdinand! Wem that ich
Dies alles?
Ferdinand (tritt mit Schrecken zurück). Doch mir nicht, mein Vater?
Doch auf mich soll der blutige Widerschein dieses Frevels nicht
fallen? Beim allmächtigen Gott! es ist besser, gar nicht geboren zu
sein, als dieser Missethat zur Ausrede dienen!
Präsident. Was war das? Was? Doch ich will es dem Romanenkopfe zu
gut halten!--Ferdinand!--ich will mich nicht erhitzen, vorlauter
Knabe--Lohnst du mir also für meine schlaflosen Nächte? Also für
meine rastlose Sorge? Also für den ewigen Scorpion meines
Gewissens?--Auf mich fällt die Last der Verantwortung--auf mich der
Fluch, der Donner des Richters--Du empfängst dein Glück von der
zweiten Hand--das Verbrechen klebt nicht am Erbe.
Ferdinand (streckt die rechte Hand gen Himmel). Feierlich entsag'
ich hier einem Erbe, das mich nur an einen abscheulichen Vater
erinnert.
Präsident. Höre, junger Mensch, bringe mich nicht auf!--Wenn es nach
deinem Kopf ginge, du kröchest dein Lebenlang im Staube.
Ferdinand. O, immer noch besser, Vater, als ich kröch' um den Thron
herum.
Präsident (verbeißt seinen Zorn). Hum!--Zwingen muß man dich,
dein Glück zu erkennen. Wo zehn Andre mit aller Anstrengung
nicht hinaufklimmen, wirst du spielend, im Schlafe gehoben. Du
bist im zwölften Jahre Fähndrich. Im zwanzigsten Major. Ich
hab' es durchgesetzt beim Fürsten. Du wirst die Uniform
ausziehen und in das Ministerium eintreten. Der Fürst sprach
vom Geheimenrath--Gesandtschaften--außerordentlichen Gnaden.
Eine herrliche Aussicht dehnt sich vor dir!--Die ebene Straße
zunächst nach dem Throne--zum Throne selbst, wenn anders die
Gewalt so viel werth ist, als ihr Zeichen--das begeistert dich
nicht?
Ferdinand. Weil meine Begriffe von Größe und Glück nicht ganz die
Ihrigen sind--Ihre Glückseligkeit macht sich nur selten anders, als
durch Verderben bekannt. Neid, Furcht, Verwünschung sind die
traurigen Spiegel, worin sich die Hoheit eines Herrschers belächelt.
--Thränen, Flüche, Verzweiflung die entsetzliche Mahlzeit, woran
diese gepriesenen Glücklichen schwelgen, von der sie betrunken
aufstehen und so in die Ewigkeit vor den Thron Gottes taumeln--Mein
Ideal von Glück zieht sich genügsamer in mich selbst zurück. In
meinem Herzen liegen alle meine Wünsche begraben.-Präsident.
Meisterhaft! Unverbesserlich! Herrlich! Nach dreißig Jahren die
erste Vorlesung wieder!--Schade nur, daß mein fünfzigjähriger Kopf zu
zäh für das Lernen ist!--Doch--dies seltne Talent nicht einrosten zu
lassen, will ich dir Jemand an die Seite geben, bei dem du dich in
dieser buntscheckigen Tollheit nach Wunsch exercieren kannst.--Du
wirst dich entschließen--noch heute entschließen--eine Frau zu nehmen.
Ferdinand (tritt bestürzt zurück). Mein Vater?
Präsident. Ohne Complimente.--Ich habe der Lady Milford in deinem
Namen eine Karte geschickt. Du wirst dich ohne Aufschub bequemen,
dahin zu gehen und ihr zu sagen, daß du ihr Bräutigam bist!
Ferdinand. Der Milford, mein Vater?
Präsident. Wenn sie dir bekannt ist-Ferdinand (außer Fassung).
Welcher Schandsäule im Herzogthum ist sie das nicht!--Aber ich bin
wohl lächerlich, lieber Vater, daß ich Ihre Laune für Ernst aufnehme?
Würden Sie Vater zu dem Schurken Sohn sein wollen, der eine
privilegierte Buhlerin heirathete?
Präsident. Noch mehr! Ich würde selbst um sie werben, wenn sie
einen Fünfziger möchte--Würdest du zu dem Schurken Vater nicht Sohn
sein wollen?
Ferdinand. Nein! So wahr Gott lebt!
Präsident. Eine Frechheit, bei meiner Ehre! die ich ihrer Seltenheit
wegen vergebe-Ferdinand. Ich bitte Sie, Vater! Lassen Sie mich
nicht länger in einer Vermuthung, wo es mir unerträglich wird, mich
Ihren Sohn zu nennen.
Präsident. Junge, bist du toll? Welcher Mensch von Vernunft würde
nicht nach der Distinction geizen, mit seinem Landesherrn an einem
dritten Orte zu wechseln?
Ferdinand. Sie werden mir zum Räthsel, mein Vater. Distinction
nennen Sie es--Distinction, da mit dem Fürsten zu theilen, wo er auch
unter den Menschen hinunterkriecht?
Präsident (schlägt ein Gelächter auf).
Ferdinand. Sie können lachen--und ich will über das hinweggehen,
Vater. Mit welchem Gesicht soll ich unter den schlechtesten
Handwerker treten, der mit seiner Frau wenigstens doch einen ganzen
Körper zum Mitgift bekommt? Mit welchem Gesicht vor die Welt? Vor
den Fürsten? Mit welchem vor die Buhlerin selbst, die den
Brandflecken ihrer Ehre in meiner Schande auswaschen würde?
Präsident. Wo in aller Welt bringst du das Maul her, Junge?
Ferdinand. Ich beschwöre Sie bei Himmel und Erde! Vater, Sie können
durch diese Hinwerfung Ihres einzigen Sohnes so glücklich nicht
werden, als Sie ihn unglücklich machen. Ich gebe Ihnen mein Leben,
wenn das Sie steigen machen kann. Mein Leben hab' ich von Ihnen, ich
werde keinen Augenblick anstehen, es ganz Ihrer Größe zu opfern.
--Meine Ehre, Vater--wenn Sie mir diese nehmen, so war es ein
leichtfertiges Schelmenstück, mir das Leben zu geben, und ich muß den
Vater wie den Kuppler verfluchen.
Präsident (freundlich, indem er ihn auf die Achsel klopft). Brav,
lieber Sohn. Jetzt seh' ich, daß du ein ganzer Kerl bist und der
besten Frau im Herzogthum würdig. Sie soll dir werden--noch diesen
Mittag wirst du dich mit der Gräfin von Ostheim verloben.
Ferdinand (aufs Neue betreten). Ist diese Stunde bestimmt, mich ganz
zu zerschmettern?
Präsident (einen lauernden Blick auf ihn werfend). Wo doch
hoffentlich deine Ehre nichts einwenden wird?
Ferdinand. Nein, mein Vater! Friederike von Ostheim könnte jeden
Andern zum Glücklichsten machen. (Vor sich in höchster Verwirrung.)
Was seine Bosheit an seinem Herzen noch ganz ließ, zerreißt seine
Güte.
Präsident (noch immer kein Auge von ihm wendend). Ich warte auf
deine Dankbarkeit, Ferdinand-Ferdinand (stürzt auf ihn zu und küßt
ihm feurig die Hand). Ihre Gnade entflammt meine ganze
Empfindung--Vater! meinen heißesten Dank für Ihre herzliche
Meinung--Ihre Wahl ist untadelhaft--aber--ich kann--ich
darf--bedauern Sie mich--ich kann die Gräfin nicht lieben!
Präsident (tritt einen Schritt zurück). Holla! Jetzt hab'
ich den jungen Herrn! Also in diese Falle ging er, der
listige Heuchler--Also es war nicht die Ehre, die dir die Lady
verbot?--Es war nicht die Person, sondern die Heirath, die du
verabscheutest?-Ferdinand (steht zuerst wie versteinert, dann
fährt er auf und will fortrennen).
Präsident. Wohin? Halt! Ist das der Respect, den du mir schuldig
bist? (Der Major kehrt zurück.) Du bist bei der Lady gemeldet. Der
Fürst hat mein Wort. Stadt und Hof wissen es richtig.--Wenn du mich
zum Lügner machst, Junge--vor dem Fürsten--der Lady--der Stadt--dem
Hof mich zum Lügner machst--Höre, Junge--oder wenn ich hinter gewisse
Historien komme?--Halt! Holla! Was bläst so auf einmal das Feuer in
deinen Wangen aus?
Ferdinand (schneeblaß und zitternd). Wie? Was? Es ist gewiß nichts,
mein Vater!
Präsident (einen fürchterlichen Blick auf ihn heftend). Und wenn es
was ist--und wenn ich die Spur finden sollte, woher diese
Widersetzlichkeit stammt--Ha, Junge! der bloße Verdacht schon bringt
mich zum Rasen! Geh den Augenblick! Die Wachtparade fängt an! Du
wirst bei der Lady sein, sobald die Parole gegeben ist--Wenn ich
auftrete, zittert ein Herzogthum. Laß doch sehen, ob mich ein
Starrkopf von Sohn meistert. (Er geht und kommt noch einmal wieder.)
Junge, ich sage dir, du wirst dort sein, oder fliehe meinen Zorn!
(Er geht ab.)
Ferdinand (erwacht aus einer dumpfen Betäubung). Ist er weg? War
das eines Vaters Stimme?--Ja! ich will zu ihr--will hin--will ihr
Dinge sagen, will ihr einen Spiegel vorhalten--Nichtswürdige! und
wenn du auch noch dann meine Hand verlangst--Im Angesicht des
versammelten Adels, des Militärs und des Volks--Umgürte dich mit dem
ganzen Stolz deines Englands--Ich verwerfe dich--ein deutscher
Jüngling! (Er eilt hinaus.)


Zweiter Akt.
Ein Saal im Palais der Lady Milford; zur rechten Hand steht ein Sopha,
zur linken ein Flügel.

Erste Scene.
Lady in einem freien, aber reizenden Negligé, die Haare noch
unfrisiert, sitzt vor dem Flügel und phantasiert; Sophie, die
Kammerjungfer, kommt von dem Fenster.

Sophie. Die Officiers gehen auseinander. Die Wachtparade ist
aus--aber ich sehe noch keinen Walter.
Lady (sehr unruhig, indem sie aufsteht und einen Gang durch den Saal
macht). Ich weiß nicht, wie ich mich heute finde, Sophie--Ich bin
noch nie so gewesen--Also du sahst ihn gar nicht?--Freilich wohl--Es
wird ihm nicht eilen--Wie ein Verbrechen liegt es auf meiner
Brust--Geh, Sophie--Man soll mir den wildesten Renner herausführen,
der im Marstall ist. Ich muß ins Freie--Menschen sehen und blauen
Himmel, und mich leichter reiten ums Herz herum.
Sophie. Wenn Sie sich unpäßlich fühlen, Milady--berufen Sie
Assemblee hier zusammen. Lassen Sie den Herzog hier Tafel halten,
oder die l'Hombretische vor Ihren Sopha setzen. Mir sollte der Fürst
und sein ganzer Hof zu Gebote stehen und eine Grille im Kopfe surren?
Lady (wirft sich in den Sopha). Ich bitte, verschone mich! Ich gebe
dir einen Demant für jede Stunde, wo ich sie mir vom Hals schaffen
kann! Soll ich meine Zimmer mit diesem Volk tapezieren?--Das sind
schlechte, erbärmliche Menschen, die sich entsetzen, wenn mir ein
warmes herzliches Wort entwischt, Mund und Nasen aufreißen, als sähen
sie eine Geist--Sklaven eines einzigen Marionettendrahts, den ich
leichter als mein Filet regiere!--Was fang' ich mit Leuten an, deren
Seelen so gleich als ihre Sackuhren gehen? Kann ich eine Freude dran
finden, sie was zu fragen, wenn ich voraus weiß, was sie mir
antworten werden? Oder Worte mit ihnen zu wechseln, wenn sie das
Herz nicht haben, andrer Meinung als ich zu sein?--Weg mit ihnen! Es
ist verdrießlich, ein Roß zu reiten, das nicht auch in den Zügel
beißt. (Sie tritt zum Fenster.)
Sophie. Aber den Fürsten werden Sie doch ausnehmen, Lady? Den
schönsten Mann--den feurigsten Liebhaber--den witzigsten Kopf in
seinem ganzen Lande!
Lady (kommt zurück). Denn es ist sein Land--und nur ein Fürstenthum,
Sophie, kann meinem Geschmack zur erträglichen Ausrede dienen--Du
sagst, man beneide mich. Armes Ding! Beklagen soll man mich
vielmehr! Unter Allen, die an den Brüsten der Majestät trinken,
kommt die Favoritin am schlechtesten weg, weil sie allein dem großen
und reichen Mann auf dem Bettelstabe begegnet--Wahr ist's, er kann
mit dem Talisman seiner Größe jeden Gelust meines Herzens, wie ein
Feenschloß, aus der Erde rufen.--Er setzt den Saft von zwei Indien
auf die Tafel--ruft Paradiese aus Wildnissen--läßt die Quellen seines
Landes in stolzen Bögen gen Himmel springen, oder das Mark seiner
Unterthanen in einem Feuerwerk hinpuffen--Aber kann er auch seinem
Herzen befehlen, gegen ein großes, feuriges Herz groß und feurig zu
schlagen? Kann er sein darbendes Gehirn auf ein einziges schönes
Gefühl exequieren?--Mein Herz hungert bei all dem Vollauf der Sinne;
und was helfen mich tausend beßre Empfindungen, wo ich nur Wallungen
löschen darf?
Sophie (blickt sie verwundernd an). Wie lang ist es denn aber, daß
ich Ihnen diene, Milady?
Lady. Weil du erst heute mit mir bekannt wirst?--Es ist wahr, liebe
Sophie--ich habe dem Fürsten meine Ehre verkauft; aber mein Herz habe
ich frei behalten--ein Herz, meine Gute, das vielleicht eines Mannes
noch werth ist--über welches der giftige Wind des Hofes nur wie der
Hauch über den Spiegel ging--Trau' es mir zu, meine Liebe, daß ich es
längst gegen diesen armseligen Fürsten behauptet hätte, wenn ich es
nur von meinem Ehrgeiz erhalten könnte, einer Dame am Hof den Rang
vor mir einzuräumen.
Sophie. Und dieses Herz unterwarf sich dem Ehrgeiz so gern?
Lady (lebhaft). Als wenn es sich nicht schon gerächt hätte?--Nicht
jetzt noch rächte?--Sophie! (Bedeutend, indem sie die Hand auf
Sophiens Achsel fallen läßt.) Wir Frauenzimmer können nur zwischen
Herrschen und Dienen wählen, aber die höchste Wonne der Gewalt ist
doch nur ein elender Behelf, wenn uns die größere Wonne versagt wird,
Sklavinnen eines Mannes zu sein, den wir lieben.
Sophie. Eine Wahrheit, Milady, die ich von Ihnen zuletzt hören
wollte!
Lady. Und warum, meine Sophie? Sieht man es denn dieser kindischen
Führung des Scepters nicht an, daß wir nur für das Gängelband taugen?
Sahst du es denn diesem launischen Flattersinn nicht an--diesen
wilden Ergötzungen nicht an, daß sie nur wildere Wünsche in meiner
Brust überlärmen sollten?
Sophie (tritt erstaunt zurück). Lady!
Lady (lebhafter). Befriedige diese! Gib mir den Mann, den ich jetzt
denke--den ich anbete--sterben, Sophie, oder besitzen muß.
(Schmelzend.) Laß mich aus seinem Mund es vernehmen, daß Thränen der
Liebe schöner glänzen in unsern Augen, als die Brillanten in unserm
Haar, (feurig) und ich werfe dem Fürsten sein Herz und sein
Fürstenthum vor die Füße, fliehe mit diesem Mann, fliehe in die
entlegenste Wüste der Welt-Sophie (blickt sie erschrocken an).
Himmel! Was machen Sie? Wie wird Ihnen, Lady?
Lady (bestürzt). Du entfärbst dich?--Hab' ich vielleicht etwas zu
viel gesagt? O so laß mich deine Zunge mit meinem Zutrauen
binden--höre noch mehr--höre Alles-Sophie (schaut sich ängstlich um).
Ich fürchte, Milady--ich fürchte--ich brauch' es nicht mehr zu hören.
Lady. Die Verbindung mit dem Major--Du und die Welt stehen im Wahn,
sie sei eine Hof-Kabale--Sophie--erröthe nicht--schäme dich meiner
nicht--sie ist das Werk--meiner Liebe!
Sophie. Bei Gott! Was mir ahnete!
Lady. Sie ließen sich beschwatzen, Sophie--der schwache Fürst--der
hofschlaue Walter--der alberne Marschall--Jeder von ihnen wird darauf
schwören, daß diese Heirath das unfehlbarste Mittel sei, mich dem
Herzog zu retten, unser Band um so fester zu knüpfen!--Ja! es auf
ewig zu trennen! auf ewig diese schändlichen Ketten zu brechen!
--Belogene Lügner! Von einem schwachen Weib überlistet! Ihr selbst
führt mir jetzt meinen Geliebten zu! Das war es ja nur, was ich
wollte--Hab' ich ihn einmal--hab' ich ihn--o dann auf immer gute
Nacht, abscheuliche Herrlichkeit-

Zweite Scene.
Ein alter Kammerdiener des Fürsten, der ein Schmuckkästchen trägt.
Die Vorigen.

Kammerdiener. Seine Durchlaucht der Herzog empfehlen sich Milady zu
Gnaden und schicken Ihnen diese Brillanten zur Hochzeit. Sie kommen
so eben erst aus Venedig.
Lady (hat das Kästchen geöffnet und fährt erschrocken zurück).
Mensch! was bezahlt dein Herzog für diese Steine?
Kammerdiener (mit finsterm Gesicht). Sie kosten ihn keinen Heller!
Lady. Was? Bist du rasend? Nichts?--und (indem sie einen Schritt
von ihm wegtritt) du wirfst mir ja einen Blick zu, als wenn du mich
durchbohren wolltest--Nichts kosten ihn diese unermeßlich kostbaren
Steine?
Kammerdiener. Gestern sind siebentausend Landskinder nach Amerika
fort--die bezahlen Alles.
Lady (setzt den Schmuck plötzlich nieder und geht rasch durch den
Saal, nach einer Pause zum Kammerdiener). Mann! Was ist dir? Ich
glaube, du weinst?
Kammerdiener (wischt sich die Augen, mit schrecklicher Stimme, alle
Glieder zitternd). Edelsteine, wie diese da--ich hab' auch ein paar
Söhne drunter.
Lady (wendet sich bebend weg, seine Hand fassend). Doch keinen
gezwungenen?
Kammerdiener (lacht fürchterlich). O Gott!--Nein--lauter Freiwillige!
Es traten wohl so etliche vorlaute Bursch' vor die Front heraus und
fragten den Obersten, wie theuer der Fürst das Joch Menschen verkaufe.
--Aber unser gnädigster Landesherr ließ alle Regimenter auf dem
Paradeplatz aufmarschieren und die Maulaffen niederschießen. Wir
hörten die Büchsen knallen, sahen ihr Gehirn auf das Pflaster
spritzen, und die ganze Armee schrie: Juchhe! nach Amerika!-Lady
(fällt mit Entsetzen in den Sopha). Gott! Gott!--Und ich hörte
nichts? Und ich merkte nichts?
Kammerdiener. Ja, gnädige Frau--Warum mußtet ihr denn mit unserm
Herrn gerad' auf die Bärenhatz reiten, als man den Lärmen zum
Aufbruch schlug?--Die Herrlichkeit hättet ihr doch nicht versäumen
sollen, wie uns die gellenden Trommeln verkündigten, es ist Zeit, und
heulende Waisen dort einen lebendigen Vater verfolgten, und hier eine
wüthende Mutter lief, ihr saugendes Kind an Bajonetten zu spießen,
und wie man Bräutigam und Braut mit Säbelhieben auseinander riß, und
wir Graubärte verzweiflungsvoll da standen und den Burschen auch
zuletzt die Krücken noch nachwarfen in die neue Welt--Oh, und
mitunter das polternde Wirbelschlagen, damit der Allwissende uns
nicht sollte beten hören-Lady (steht auf, heftig bewegt). Weg mit
diesen Steinen--sie blitzen Höllenflammen in mein Herz. (Sanfter zum
Kammerdiener.) Mäßige dich, armer alter Mann. Sie werden wieder
kommen. Sie werden ihr Vaterland wieder sehen.
Kammerdiener (warm und voll). Das weiß der Himmel! Das werden sie!
--Noch am Stadtthor drehten sie sich um und schrieen: "Gott mit euch,
Weib und Kinder!--Es leb' unser Landesvater--Am jüngsten Gericht sind
wir wieder da!"-Lady (mit starkem Schritt auf und nieder gehend).
Abscheulich! Fürchterlich!--Mich beredet man, ich habe sie alle
getrocknet, die Thränen des Landes--Schrecklich, schrecklich gehen
mir die Augen auf--Geb du--Sag deinem Herrn--Ich werd' ihm persönlich
danken! (Kammerdiener will gehen, sie wirft ihm ihre Geldbörse in
den Hut.) Und das nimm, weil du mir Wahrheit sagtest-Kammerdiener
(wirft sie verächtlich auf den Tisch zurück). Legt's zu dem Übrigen.
(Er geht ab.)
Lady (sieht ihm erstaunt nach). Sophie, spring ihm nach, frag' ihn
um seinen Namen! Er soll seine Söhne wieder haben. (Sophie ab.
Lady nachdenkend auf und nieder. Pause. Zu Sophien, die wieder
kommt.) Ging nicht jüngst ein Gerücht, daß das Feuer eine Stadt an
der Grenze verwüstet und bei vierhundert Familien an den Bettelstab
gebracht habe? (Sie klingelt.)
Sophie. Wie kommen Sie auf das? Allerdings ist es so, und die
mehresten dieser Unglücklichen dienen jetzt ihren Gläubigern als
Sklaven, oder verderben in den Schachten der fürstlichen
Silberbergwerke.
Bedienter (kommt). Was befehlen Milady?
Lady (gibt ihm den Schmuck). Daß das ohne Verzug in die Landschaft
gebracht werde!--Man soll es sogleich zu Geld machen, befehl' ich,
und den Gewinst davon unter die Vierhundert verteilen, die der Brand
ruiniert hat.
Sophie. Milady, bedenken Sie, daß Sie die höchste Ungnade wagen!
Lady (mit Größe). Soll ich den Fluch seines Landes in meinen Haaren
tragen? (Sie winkt dem Bedienten; dieser geht.) Oder willst du, daß
ich unter dem schrecklichen Geschirr solcher Thränen zu Boden
sinke?--Geh, Sophie--Es ist besser, falsche Juwelen im Haar und das
Bewußtsein dieser That im Herzen zu haben!
Sophie. Aber Juwelen wie diese! Hätten Sie nicht Ihre schlechtern
nehmen können? Nein, wahrlich, Milady! es ist Ihnen nicht zu
vergeben.
Lady. Närrisches Mädchen! Dafür werden in einem Augenblick mehr
Brillanten und Perlen für mich fallen, als zehn Könige in ihren
Diademen getragen, und schönere-Bedienter (kommt zurück). Major von
Walter-Sophie (springt auf die Lady zu). Gott! Sie verblassen-Lady.
Der erste Mann, der mir Schrecken macht--Sophie--Jetzt sei unpäßlich,
Eduard--Halt--Ist er aufgeräumt? Lacht er? Was spricht er? O,
Sophie! Nicht wahr, ich sehe häßlich aus?
Sophie. Ich bitte Sie, Lady-Bedienter. Befehlen Sie, daß ich ihn
abweise?
Lady (stotternd). Er soll mir willkommen sein. (Bedienter hinaus.)
Sprich, Sophie--Was sag' ich ihm? Wie empfang' ich ihn?--Ich werde
stumm sein.--Er wird meiner Schwäche spotten--Er wird--o was ahnet
mir--Du verlässest mich, Sophie?--Bleib!--Doch nein! Gehe!--So bleib
doch! (Der Major kommt durch das Vorzimmer.)
Sophie. Sammeln Sie sich! Er ist schon da!

Dritte Scene.
Ferdinand von Walter. Die Vorigen.

Ferdinand (mit einer kurzen Verbeugung). Wenn ich Sie worin
unterbreche, gnädige Frau-Lady (unter merkbarem Herzklopfen). In
nichts, Herr Major, das mir wichtiger wäre.
Ferdinand. Ich komme auf Befehl meines Vaters-Lady. Ich bin seine
Schuldnerin.
Ferdinand. Und soll Ihnen melden, daß wir uns heirathen--So weit der
Auftrag meines Vaters.
Lady (entfärbt sich und zittert). Nicht Ihres eigenen Herzens?
Ferdinand. Minister und Kuppler pflegen das niemals zu fragen.
Lady (mit einer Beängstigung, daß ihr die Worte versagen). Und Sie
selbst hätten sonst nichts beizusetzen?
Ferdinand (mit einem Blick auf die Mamsell). Noch sehr viel, Milady!
Lady (gibt Sophien einen Wink, diese entfernt sich). Darf ich Ihnen
diesen Sopha anbieten?
Ferdinand. Ich werde kurz sein, Milady!
Lady. Nun?
Ferdinand. Ich bin ein Mann von Ehre.
Lady. Den ich zu schätzen weiß.
Ferdinand. Cavalier.
Lady. Kein beßrer im Herzogthum.
Ferdinand. Und Officier.
Lady (schmeichelhaft). Sie berühren hier Vorzüge, die auch Andere
mit Ihnen gemein haben. Warum verschweigen Sie größere, worin Sie
einzig sind?
Ferdinand (frostig). Hier brauch' ich sie nicht.
Lady (mit immer steigender Angst). Aber für was muß ich diesen
Vorbericht nehmen?
Ferdinand (langsam und mit Nachdruck). Für den Einwurf der Ehre,
wenn Sie Lust haben sollten, meine Hand zu erzwingen.
Lady (auffahrend). Was ist das, Herr Major?
Ferdinand (gelassen). Die Sprache meines Herzens--meines
Wappens--und dieses Degens.
Lady. Diesen Degen gab Ihnen der Fürst.
Ferdinand. Der Staat gab mir ihn durch die Hand des Fürsten--mein
Herz Gott--mein Wappen ein halbes Jahrtausend.
Lady. Der Name des Herzogs-Ferdinand (hitzig). Kann der Herzog
Gesetze der Menschheit verdrehen, oder Handlungen münzen wie seine
Dreier?--Er selbst ist nicht über die Ehre erhaben, aber er kann
ihren Mund mit seinem Golde verstopfen. Er kann den Hermelin über
seine Schande herwerfen. Ich bitte mir aus, davon nichts mehr,
Milady.--Es ist nicht mehr die Rede von weggeworfenen Aussichten und
Ahnen--oder von dieser Degenquaste--oder von der Meinung der Welt.
Ich bin bereit, Dies alles mit Füßen zu treten, sobald Sie mich nur
überzeugt haben werden, daß der Preis nicht schlimmer noch als das
Opfer ist.
Lady (schmerzhaft von ihm weggehend). Herr Major! das hab' ich nicht
verdient.
Ferdinand (ergreift ihre Hand). Vergeben Sie. Wir reden hier
ohne Zeugen. Der Umstand, der Sie und mich--heute und nie
mehr--zusammenführt, berechtigt mich, zwingt mich, Ihnen mein
geheimstes Gefühl nicht zurück zu halten.--Es will mir nicht
zu Kopfe, Milady, daß eine Dame von so viel Schönheit und
Geist--Eigenschaften, die ein Mann schätzen würde--sich an einen
Fürsten sollte wegwerfen können, der nur das Geschlecht an ihr
zu bewundern gelernt hat, wenn sich diese Dame nicht schämte,
vor einen Mann mit ihrem Herzen zu treten.
Lady (schaut ihm groß ins Gesicht). Reden Sie ganz aus!
Ferdinand. Sie nennen sich eine Brittin. Erlauben Sie mir--ich kann
es nicht glauben, daß Sie eine Brittin sind. Die freigeborne Tochter
des freiesten Volks unter dem Himmel--das auch zu stolz ist, fremder
Tugend zu räuchern--kann sich nimmermehr an fremdes Laster verdingen.
Es ist nicht möglich, daß Sie eine Brittin sind,--oder das Herz
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