Die Ratten: Berliner Tragikomödie - 7

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jleichjiltig! Nämlich, Emil, wenn da nich sonst wat dahinter is!?
Quaquaro
Deshalb komm ick ja, Paul! Et is wat dahinter! Det Mächen hat nämlich
mehrmals vor Zeuchen ausjesacht: erstlich, det Wurm von de Knobbe, det
wär ihr Kind und det hätt' se ausdricklich bei deine Frau, Paul, in de
Flege jejeben.
John
stutzt, lacht befreit.
Der pickt et! der is woll ma nich janz unwohl jeworden!
Erich Spitta kommt.
Spitta
Guten Morgen, Herr John.
John
Juten Morchen, Herr Spitta. -- (Zu Quaquaro, der noch in der geöffneten
Tür steht.) -- 'S jut, Emil! Ick wer mir wissen zu richten nach.
Quaquaro ab.
John
fährt fort.
Nu sehn Se ma so 'n Männeken, Herr Spitta! Mit een Fuß steht er in't
Jefängnis, mit 'n andern is er Liebkind beim Bezirkskommissar uf't
Polizeibüro! un denn jeht er bei ehrliche Leute rumschnüffeln.
Spitta
Hat Fräulein Walburga Hassenreuter nach mir gefragt, Herr John?
John
Bis jetzt noch nich. Nee, det ick nich wißte! -- (Er öffnet die
Flurtür.) -- Selma! -- Entschuldjen Se mir ma 'n Ojenblick. -- Selma! --
Ick muß ma det Mächen wat aushorchen.
Selma Knobbe kommt.
Selma
noch in der Tür.
Wat is?
John
Mach ma de Tir zu, komm ma 'n bißken 'rin! Un nu sach mal, Mächen, wat
det hier in de Stube mit dein kleenet verstorbenet Briderchen und mit
det fremde Weibsbild jewesen is.
Selma
die, mit merkbar schlechtem Gewissen, lauernd näher getreten ist,
jetzt sehr wortgewandt.
Ick hatte den Kinderwachen hier rieber jeschoben. Ihre Frau war nicht da
und da dacht ick, det hier drieben, wo doch det Briderken sowieso krank
war und immer schrie, det hier drieben bei Sie mehr Ruhe is. Nu kam een
Herr un kam eene Dame un noch 'ne Frau kam uf eemal hier rin. Und denn
ha'm se det Kindeken hier aus 'n Wachen raus, frische Wäsche jewickelt
un mit fortjenomm.
John
Und denn hat die Dame jesacht, et wär ihr Kind und se hätt' et bei
Muttern, als wie det meine Olle is, hätt' se's, sagt se, in Flege
jejeben?
Selma
lügt.
I, jar keene Ahnung, da wißt ick wat von.
John
schlägt auf den Tisch.
Na zum Kreuzdonnerwetter, det wär ja och bledsinnig.
Spitta
Erlauben Sie mal, das hat sie gesagt: wenn nämlich von dem Vorfall
zwischen den beiden Frauen oben bei Direktor Hassenreuter die Rede ist.
John
Det haben Se mit anjesehn, Herr Spitta, wo de Knobben und de andere um
det Würmchen jezerjelt hat?
Spitta
Allerdings. Das hab' ich mit angesehn.
Selma
Weiter kann ick nischt sachen, und wenn mir och Schutzmann Schierke und
meinswechen der lange Polizeileitnam janzem zwee Stunden und länger
verhören dut. Ick weeß eben nischt. Ick kann eben nischt sachen.
John
'N Polizeileitnam hat dir ausjefracht?
Selma
knutscht.
Se wollen doch Maman in Kasten bringen, weil et Leute anjezeicht un
jelogen haben, det unser Kindeken vahungert is.
John
Ach! so! -- Na Selma, jeh, laß ma 'n Kaffee durchlofen.
Selma begibt sich an den Herd, wo sie den Kaffee für John
zubereitet. John selbst geht an den Arbeitstisch, nimmt den Zirkel
und zieht dann mit der Schiene einige Linien.
Spitta
mit Überwindung.
Eigentlich hoffte ich Ihre Frau hier zu treffen, Herr John. Mir hat
jemand gesagt, Ihre Frau hätte gegen Sicherheit mitunter kleine Beträge
an Studenten geliehen. Ich bin nämlich in Verlegenheit.
John
Det mag sind. Aber det is Mutterns Sache, Herr Spitta.
Spitta
Ganz offen gesagt, wenn ich bis heute abend kein Geld schaffe, werden
meine paar Bücher und Habseligkeiten von meiner Zimmerwirtin mit
Beschlag belegt und man setzt mich eigentlich auf die Straße.
John
Ick denke Ihr Vater ist Paster, Herr Spitta.
Spitta
Das ist er. Aber gerade deshalb, und weil ich selber nicht Pastor werden
mag, habe ich gestern abend einen furchtbaren Krach mit meinem Vater
gehabt. Ich werde von ihm keinen Pfennig mehr annehmen.
John
arbeitend.
Det jeschieht Vatern recht, wenn ick verhungern tu oder 'n Hals breche.
Spitta
Ein Mensch wie ich, wird nicht verhungern, Herr John. Geh ich aber
zugrunde, so ist mir's auch gleichgültig.
John
Det jlobt eener nich, wat unter euch Studenten for ausjehungerte arme
Ludersch sind. Aber keener will wat Reelles anfassen. -- (Ferner Donner.
John blickt durchs Fenster.) -- Heute wird schwule. Et donnert schon.
Spitta
Von mir dürfen Sie das nicht sagen, Herr John, daß ich etwas Reelles
nicht anfassen möchte: Stunden geben! für Geschäfte Adressen schreiben!
Ich habe das alles schon durchgemacht und damit, wie mit manchem anderen
Versuch, nicht nur Tage sondern auch Nächte um die Ohren geschlagen.
Dabei hab' ich gebüffelt und Bücher gewälzt.
John
Mensch, jeh nach Hamburg und laß dir als Maurer instellen! Wie ick so
alt war wie Sie, ha ick in Altona in Akkord schon bis zwelf Mark täglich
verdient.
Spitta
Das mag sein. Aber ich bin Geistesarbeiter.
John
Det kennt man.
Spitta
So?! Mir scheint nicht, daß Sie das kennen, Herr John. Vergessen Sie
aber bitte nicht: Ihre Herrn Bebel und Liebknecht sind auch
Geistesarbeiter.
John
Na jut! Denn komm Se! denn wollen wir man wenigstens frühstücken. Allens
sieht sich janz andersch an, wenn det eener 'n Happenpappen jefrühstückt
hat. Se haben woll noch nich jefrühstückt, Herr Spitta?
Spitta
Nein, offen gestanden, heute noch nicht.
John
Na denn machen Se man det Se wat Warmes in Leib kriechen.
Spitta
Das hat Zeit.
John
I nee, Se sehen sehr vakatert aus. Und ick ha och die Nacht uf de Bahn
jelejen. -- (Zu Selma, die ein Leinwandsäckchen mit Semmeln hereingeholt
hat.) -- Bring ma schnell noch 'ne Tasse ran.
Er hat breit auf dem Sofa Platz genommen, tunkt Semmel ein und
trinkt Kaffee.
Spitta
der noch nicht Platz nimmt.
Eine Sommernacht bringt man doch lieber im Freien zu, wenn man im
übrigen doch nicht schlafen kann. Und ich habe nicht eine Minute
geschlafen.
John
Dem wollt ick ma sehn, der in Dalles is und jut schlafen kann! Wer in
Dalles is, hat och in Freien de meeste Jesellschaft. -- (Er vergißt
plötzlich zu kauen.) -- Komm ma her, Selma, sache nochma janz jenau, wie
det mit det fremde Mächen und det fremde Kind, det se hier aus de Stube
jeholt hat, jewesen is.
Selma
Ick weeß nich, det frächt mich 'n jeder, frächt mir Mama jetzt 'n lieben
langen Dach! ob ick Brunon Mechelke jesehn habe! ob ick wissen soll, wer
oben uf'n Boden bei de Kammedienspieler Kleider jestohlen hat! Wenn det
so fortjeht ...
John
energisch.
Mächen, wat haste nich Lärm jeschlagen, wie der Herr und det Freilein
dir dein Brüderken aus'n Wachen jenommen hat?
Selma
Jeschieht ihm ja nischt, dacht ick! krist ma reene Wäsche.
John
faßt Selma beim Handgelenk.
Na nu komm ma mit, wollen ma rieber bei deine Mutter jehn.
John mit Selma an der Hand ab.
Sobald John verschwunden ist, fällt Spitta über das Frühstück her.
Bald darauf erscheint Walburga. Sie ist in großer Eile und sehr
aufgeregt.
Walburga
Bist du allein?
Spitta
Augenblicklich ja. Guten Morgen, Walburga.
Walburga
Komm ich zu spät? Ich habe mich ja nur mit der allergrößten Schlauheit,
mit der allergrößten Entschlossenheit, mit der allergrößten
Rücksichtslosigkeit, komme was wolle, von Hause losgemacht. Meine
jüngere Schwester hat mir die Tür vertreten. Das Dienstmädchen! Ich
sagte aber zu Mama, wenn sie mich nicht durch das Entree hinausließen,
so möchten sie nur die Fenster vergittern: sonst würde ich drei Stock
hoch durchs Fenster direkt auf die Straße gehn. Ich fliege. Ich bin mehr
tot wie lebendig. Aber ich bin zum letzten bereit. Wie war es mit deinem
Vater, Erich?
Spitta
Wir sind auseinander. Er meinte, ich würde Treber fressen wie weiland
der verlorene Sohn, und ich möchte mir ja nicht einfallen lassen, als
Luftspringer oder Kunstreiter, wie er sich auszudrücken beliebt, jemals
wieder die Schwelle des Vaterhauses betreten zu wollen. Für Gesindel
öffne sich seine Haustür nicht. Ich werd's verwinden! Nur meine arme
gute Mutter bedaure ich. -- Du kannst dir nicht denken, mit welchem
abgrundtiefen Haß ein solcher Mann gegen alles und alles, was mit dem
Theater zusammenhängt, geladen ist! Der schrecklichste Fluch ist ihm
nicht stark genug. Ein Schauspieler ist in seinen Augen von vornherein
der allerverächtlichste, schlechteste Lumpenhund, der sich denken läßt.
Walburga
Ich habe auch nun herausgekriegt, wie Papa dahintergekommen ist.
Spitta
Mein Vater hat ihm dein Bild gegeben.
Walburga
Erich, Erich, wenn du wüßtest, mit welchen schrecklichen, mit welchen
grauenvollen Ausdrücken mich Papa in der Wut überschüttet hat, und ich
mußte zu allem stillschweigen. Ich hätte ihm etwas sagen können, das
hätte ihn vielleicht mit seinen Tiraden von hoher Moral stumm und
hilflos vor mir gemacht. Beinahe wollt' ich es auch: doch ich schämte
mich so entsetzlich für ihn! Meine Zunge versagte! Ich konnte nicht,
Erich! Mama mußte schließlich dazwischentreten. Er hat mich geschlagen.
Er hat mich acht oder neun Stunden lang in den finsteren Alkoven
eingesperrt, um meinen Trotz zu brechen, wie er sagt, Erich. Nun, das
gelingt ihm nicht, Erich! Er bricht ihn nicht.
Spitta
nimmt Walburga in den Arm.
Du Brave! du Tapfere! Siehst du, jetzt weiß ich erst, was ich an dir
besitze! weiß ich erst, was für ein Schatz du eigentlich bist. -- (heiß)
-- Und wie schön du aussiehst, Walburga.
Walburga
Nicht! Nicht! -- Ich vertraue dir, Erich, weiter ist es doch nichts.
Spitta
Und du sollst dich nicht täuschen, süße Walburga. Sieh mal, ein Mensch
wie ich, in dem es gärt und der was Besonderes, Dunkles, Großes will,
was er einstweilen noch nicht recht deutlich machen kann, hat mit
zwanzig Jahren die ganze Welt gegen sich und ist aller Welt lästig und
lächerlich. Aber glaub' mir: einst wird das anders werden. In uns liegen
die Keime. Der Boden lockert sich schon! Wir sind, wenn auch noch
unterirdisch, die künftige Ernte! Wir sind die Zukunft! Die Zeit muß
kommen, da wird die ganze weite, schöne Welt unser sein.
Walburga
Sprich weiter, Erich, das ist mir so wohltätig.
Spitta
Walburga, ich habe gestern abend meinem Vater auch von der Leber weg die
Anklage des Verbrechens an meiner Schwester ins Gesicht geschleudert.
Das hat den Bruch unheilbar gemacht. Er sagte verstockt: von einer
Tochter, wie der von mir geschilderten, wisse er nichts. Sie existiere
in seiner Seele nicht und, wie es den Anschein habe, werde auch bald
sein Sohn dort nicht mehr existieren. O diese Christen! O diese Diener
des guten Hirten, der das verlorene Schaf doppelt zärtlich in seine Arme
nahm! O du lieber Heiland, wie sind deine Worte verkehrt, deine ewigen
Lehren in ihr Gegenteil umgefälscht worden. Aber als ich heut nacht bei
Donnerrollen und Wetterleuchten auf einer Bank im Tiergarten saß und
gewisse Berliner Hyänen um mich herumschlichen, da fühlte ich die
ruhelose und zertretene Seele meiner Schwester neben mir. Wie oft mag
sie selbst im Leben Nächte hindurch obdachlos auf solchen Bänken und
vielleicht auf derselben Tiergartenbank gesessen haben, um in ihrer
Verlassenheit, Ausgestoßenheit und Entwürdigung darüber nachzudenken,
wie triefend von Menschenliebe, triefend von Christentum zweitausend
Jahre nach Christi Geburt diese allerchristlichste Welt sich
manifestiert. Aber was sie auch dachte, ich denke so: Die arme Dirne,
die Sünderin, die vor neunundneunzig Gerechten geht, die von dem Drucke
der Sünde der Welt belastet ist, die arme Aussätzige und ihre
fürchterliche Anklage soll in meinem Inneren lebendig sein! Und alles
Elend, allen Jammer der Gemißhandelten und Entrechteten werfen wir mit
in die Flamme hinein! Und so soll die Schwester leben, Walburga, und
soll Herrlicheres wirken vor Gott durch das Ethos, das meine Seele
beflügelt, als die ganze kalte, herzlos böse Moralpfafferei der Welt
nicht vermag.
Walburga
Du warst die Nacht im Tiergarten, Erich? Deshalb sind deine Finger noch
so eiskalt, und du siehst so entsetzlich müde aus. Erich, du mußt mein
Portemonnaie nehmen! Erich! nein bitte, du mußt! Ich versichere dich!
Was mein ist, ist dein! Sonst liebst du mich nicht, Erich! Erich, du
darbst! Wenn du meine paar Groschen nicht nimmst, verweigere ich zu
Hause jede Nahrung! bei Gott, ich tu's! bis du vernünftig wirst.
Spitta
würgt Tränen hinunter. Muß sich setzen.
Ich bin nur nervös. Ich bin abgespannt.
Walburga
steckt ihr Portemonnaie in seine Hosentasche.
Nun sieh mal, Erich, deshalb habe ich dich eigentlich hier zu Frau John
bestellt. Zu allem Unglück bekomme ich gestern noch hier diese
gerichtliche Vorladung.
Spitta
betrachtet ein Schriftstück, das sie ihm gereicht hat.
Du? Und weshalb denn das, sag' mal, Walburga.
Walburga
Ich bin mir sicher, daß es mit den gestohlenen Sachen auf dem Oberboden
zusammenhängt. Aber es macht mich furchtbar unruhig. Wenn Papa das
erfährt ... ja, was tu ich dann?
Frau John, das Kind auf dem Arm, straßenmäßig angezogen, sehr
gehetzt, sehr verstaubt, kommt herein.
Frau John
erschrocken, mißtrauisch, halblaut.
Nu? Wat wollt ihr hier? Is Paul schon zu Hause? Ick war eben ma 'n
bißken mit det Kindken uf de Jasse jejangn.
Sie trägt das Kind hinter den Verschlag.
Walburga
Bitte, Erich, sprich doch mal über meine Vorladung mit Frau John.
Frau John
Paul is ja zu Hause, da liejen ja seine Sachen.
Spitta
Fräulein Hassenreuter wollte Sie gern mal sprechen. Sie hat nämlich,
wahrscheinlich wegen der gestohlenen Sachen, Sie wissen ja, auf dem
Oberboden, eine gerichtliche Vorladung.
Frau John
tritt aus dem Verschlage.
Wat? Eene Vorladung ham Sie jekricht, Freulein Walburga? Na, denn nehm
sich in Obacht! Ick spaße nich! un phantasieren Se womeglich von
schwarzen Mann.
Spitta
Was Sie da sagen, Frau John, ist unverständlich.
Frau John
zur häuslichen Beschäftigung übergehend.
Habt ihr jehert, det draußen in eene Laubenkolonie vor't Hallesche Tor
der Blitz heute morchen Mann, Frau und 'n Mächen von sieben unter eene
hohe Pappel erschlagen hat?
Spitta
Nein, Frau John.
Frau John
Et pladdert schon wieder.
Man hört, wie ein Regenschauer niedergeht.
Walburga
ängstlich.
Komm Erich, wir wollen trotzdem ins Freie gehn.
Frau John
lauter und lauter werdend.
Und wissen Se wat: ick habe die Frau kurz vorher noch jesprochen, wo
nachher von Blitze erschlachen is. Die hat jesacht -- nu hern Se ma zu,
Herr Spitta .... een dotet Kindeken, det man in Kinderwachen legt und
raus in die warme Sonne rickt -- det muß aber Sommersonne und
Mittagssonne sind, Herr Spitta! -- det zieht Atem! det schreit! det is
wieder lebendig! -- Det jloben Se nich? wat? det ha ick mit meine Ochen
jesehn.
Sie geht in eigentümlicher Weise im Kreise herum, ohne scheinbar
mehr etwas von der Gegenwart der beiden jungen Leute zu wissen.
Walburga
Du, die John ist unheimlich, komm!
Frau John
noch lauter.
Det jloben Se nich, det det wieder lebendig is? Denn kann Mutter kommen
und nehmen. Denn muß et jleich Brust kriejen.
Spitta
Adieu, Frau John.
Frau John
noch lauter.
Bringt, seltsam aufgeregt, die beiden jungen Leute bis zur Tür.
Sie jloben det nich! Det is aber heilig so, Herr Spitta.
Spitta und Walburga ab.
Frau John
hält die Tür in der Hand, ruft noch auf den Flur hinaus.
Wer det nich jlobt, der weeß von det janze Jeheimnis, wo ick entdeckt
habe, nischt.
Maurerpolier John steht in der Tür und tritt gleich darauf ein.
John
I, da bist du ja, Mutter! Schen willkomm! Von wat for'n Jeheimnis
sprichst du denn?
Frau John
wie aufwachend, faßt sich an den Kopf.
Ick? -- Ha ick denn von 'n Jeheimnis jesprochen?
John
Na ick denke doch, wenn ick nich schwerherig bin. Biste nu 'n Jeist oder
bistes wirklich?
Frau John
befremdet, ängstlich.
Woso soll ick 'n Jeist sind?
John
schlägt seine Frau gutmütig auf den Rücken.
Jette, beiß mir man nich. Ick freu mir ja reichlich deswechen, det de nu
wieder mit dein Patenjeschenk bei mich bist! -- (Er geht hinter den
Verschlag.) -- Et sieht aber 'n bißken miserich aus, Jette.
Frau John
Et vertrug de Milch nich. Det kommt, weil draußen uf'n Lande de Kühe
schon jrienet Futter kriejen. Hier von de vereinichte Molkerei ha ick
wieder welche, wo trocken jefüttert is.
John
erscheint wieder.
Ick sag's ja, was biste erst mit det Kind uf de Bahn und raus aus de
Stadt jeturnt! Ick spreche, die Stadt is an allerjesindsten.
Frau John
Nu bleib ick och wieder zu Hause, Paul.
John
In Altona, Jette, is och nu allet in't reene jebracht. Jejen Mittag
treff' ick mit Karln zusamm, und denn will er mir sachen, wenn ick beim
neuen Meester antreten kann! -- Hör ma: ick ha och wat mitjebracht.
Er schüttelt eine kleine Kinderklapper, die er aus der Hosentasche
nimmt.
Frau John
Wat denn?
John
Det Leben wird in de Kinderstube, weil et doch in Berlin manchma immer
'n bißken zu stille is! -- Horch ma, wie't kräht. -- (Man hört das
Kindchen allerlei vergnügte Geräusche machen.) -- Nee Mutter, wenn so 'n
Kindeken kräht, dafor jeb ick Amerika.
Frau John
Haste schonn jemand jesprochen, Paul?
John
Nee! -- Ick ha hechstens heut morchen Quaquaron jesprochen.
Frau John
scheu, gespannt.
Nu? und?
John
I, laß man, jar nischt, et war weiter nischt.
Frau John
wie vorher.
Wat hat er jesacht?
John
Wat soll er jesacht haben? -- Na, wenn de schon keene Ruhe jeben dust --
wat soll det nitzen an Sonntag morchen? -- er hat mir ma wieder nach
Brunon jefracht.
Frau John
hastig, bleich.
Wat soll denn Bruno wieder jemacht haben?
John
Jar nischt! -- Hier, komm und trink 'n Schluck Kaffee, Jette, und ärjer
dir nich! -- Wat kannst de dafür, wenn eener so 'n sauberet Brüderken
hat? -- Wat brauchen wir uns um andre bekimmern?
Frau John
Det mecht ick wissen, wat so 'ne olle dußliche Dromlade, wo 'n janzen
Tag spionieren dut, immer von Brunon zu quasseln hat.
John
Jette, mit Brunon laß mir in Frieden! -- -- -- Sieh ma ... i wat denn?
... lieber nich! ... Aber wenn ick da wieder wat sollte von sachen: det
soll mir nich wundern, wo mit Bruno ma jelejentlich in Jefängnishof,
haste nich jesehn! ma'n schnellet Ende is. -- (Frau John läßt sich am
Tisch nieder, wird grau im Gesicht, stützt sich auf beide Ellenbogen und
atmet schwer.) -- Vielleicht och nich! nimm et dir man nich jleich so zu
Herzen! -- -- Wat macht denn de Schwester?
Frau John
Ick weeß et nich.
John
Na ick denke, de bist bei se draußen jewesen.
Frau John
sieht ihn geistesabwesend an.
Wo bin ick jewesen?
John
Siehste woll, Jette, det is mit euch Weiber! de schudderst ja! bein Arzt
und bein Doktor wiste nich hinjehn! womeglich det de noch nachträglich
zum Liechen kommst. Det is wenn eens die Natur vernachlässigt.
Frau John
fällt ihrem Mann um den Hals.
Paul, du wist mir verlassen! Jott in Himmel, Paul, sach et! sach et
bloß, tu mir nich hinters Licht fihren! Sach et! Fihr mir nich hinters
Licht.
John
Wat is mit dich heute los, Henerjette?
Frau John
plötzlich verändert.
Hör man nich druf, Paul, wat ick so herschwatze. Ick ha wieder die Nacht
keene Ruhe jehat! Und denn war ick früh uf, und denn is et nich anders,
als wie det ick 'n bißken von Kräfte bin.
John
Denn leg dir man lang und ruh dir 'n bißken. -- (Frau John wirft sich
lang auf das Sofa und starrt gegen die Decke.) -- Kannst dir dann och ma
'n bißken kämmen, Jette! -- -- Uf de Bahn war et wohl sehr staubig
jewesen, det de so ieber und ieber mit Sand injepulvert bist? -- -- --
(Frau John antwortet nicht, sie starrt gegen die Decke.) -- Ick muß ma
det Bengelchen 'n bißken an't Licht holen.
Er begibt sich hinter den Verschlag.
Frau John
Wie lange sind wir verheirat, Paul?
John
Die Kinderklapper geht hinterm Verschlag, dann:
Det war achtzehnhundertundzweeundsiebzig, jleich wie ick bin aus'n
Kriege jekomm.
Frau John
Nich, denn kamst de zu Vater hin? -- und denn hast de in Positur
jestanden? -- und denn hast de't eiserne Kreuz an de linke Brust jehat.
John
erscheint, das Kind im Steckkissen auf dem Arme, die Kinderklapper
schwingend. Er sagt lustig:
Jawoll! det ha ick och heute noch, Mutter! Und wenn de't sehn willst,
denn stech ick's mir an.
Frau John
noch immer lang ausgestreckt.
Und denn kamst de zu mich, und denn hast de jesacht: ick sollte nich
immer so fleißig ... nich immer so hin und her, treppuf, treppab ... ick
sollte ma 'n bißken pomadich sind.
John
Det sach ick so jut och heute noch, Jette.
Frau John
Und denn haste mir mit dein Schnurrbart jekitzelt und hast mir links
hinter't Ohr jeküßt! -- Und denn ...
John
Denn sind wir wohl einig jeworden? --
Frau John
Denn ha ick jelacht und ha mir nach und nach, apee apee von oben bis
unten in alle Uniformknöppe abjespiejelt. Und da ha ick noch anders
ausjesehn! -- Und denn haste jesacht ...
John
I Mutter, de kannst dir wahrhaftig sehn lassen, det jlobt eener nich,
wat du for'n Jedächtnis hast.
Frau John
Und denn haste jesacht: wenn ick nu bald 'n Jungen krieje, der soll och
ma »mit Jott für Kenig und Vaterland« und »Wacht am Rhein« hinter de
Fahne her zu Felde ziehn.
John
singt, über das Kindchen, zur Klapper.
»Er blickt hinauf in Himmels Aun
wo Heldenväter niederschaun:
zum Rhein, zum Rhein, zum deutschen Rhein!« ...
Nu ha ick so'n Kerlchen, und nu bin ick wahrhaftig jar nich so wilde
druf, det ick ihm mechte womeglich als Kanonenfutter in Krieg schicken.
Er geht mit dem Kindchen in den Verschlag.
Frau John
wie vorher.
Paulicken, Paulicken, det allens is hundert Jahre her!
John
kommt, ohne das Kind, wieder aus dem Verschlag.
Janz so lange woll doch nich, Jette.
Frau John
Sach ma, wie wär det? du nähmst mir mit und jingst mit mich und mein
Kindeken jingst du fort nach Amerika?
John
Na nu her ma, Jette: wat is mit dich? Wat is det? Bin ick denn hier von
Jespenster umjeben? Du weeßt, det ick uf'n Bau, und wenn de Arbeeter mit
Klamotten ibereinander her sind, ieberhaupt mir nich ufrege und, wat se
mir nennen, Paul is immer jemitlich, bin! Aber nu: wat is det? De Sonne
scheint! et is hellichter Tag! ick weeß nich: sehen kann ick et nich!
Det kichert, det wispert, det kommt jeschlichen! und wenn ick nach
jreife, denn is et nischt. Nu will ick ma wissen, wat an die Jeschichte
mit det fremde Mächen hier in de Stube Wahret is.
Frau John
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  • Die Ratten: Berliner Tragikomödie - 10
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