Die Ratten: Berliner Tragikomödie - 8

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Paul, du hast jehert, det Freilein is ieberhaupt jar nich mehr
wiederjekomm. Da draus kannst de sehn ...
John
Det sachst de zu mich mit blaue Lippen und machst Augen, wie wennste
jerädert bist.
Frau John
verändert.
Jawoll! Wat läßte mir jahrelang alleene, Paul? wo ick in mein Käfiche
sitzen muß und keen Mensch nich is, mir ma auszusprechen. Manch liebet
Mal hab' ick hier jesessen und jefracht, warum det ick immer rackern du?
warum det mir abdarbe, Jroschens mühsam zusammenscharre, dein Verdienst
jut anleche und wie ick uf jede Art wat zuzuverdien mir abjrübeln du.
Warum denn? Det soll allens for fremde Leite sind? Paul, du hast mir
zujrunde jerichtet!
Sie legt den Kopf auf den Tisch und bricht in Schluchzen aus.
In diesem Augenblick ist, katzenartig leise, Bruno Mechelke
eingetreten. Er hat seine Sonntagskluft an, hat Flieder an der Mütze
und einen großen Fliederzweig in der Hand. John trommelt ans Fenster
und bemerkt ihn nicht.
Frau John
hat Bruno wie eine Geistererscheinung nach und nach ins Auge
gefaßt.
Bruno, bist du's?
Bruno
der blitzschnell den Maurerpolier erkannt hat, leise.
Na jewiß doch, Jette.
Frau John
Wo kommst de denn her? Wat wiste denn?
Bruno
Na, ick habe de Nacht durchjescherbelt, Jette. Det siehste doch, det ick
bei jute Laune bin.
John
hat Bruno bis jetzt unverwandt angesehen, wobei eine gefährliche
Blässe sein Gesicht überzogen hat. Jetzt geht er langsam zu einem
kleinen Schrank und zieht einen alten Kommißrevolver hervor, den
er ladet. Dies wird von Frau John nicht beobachtet.
Du! -- Hör ma! -- Nu will ick dir ma wat sachen! -- Wat, wat de
vielleicht verjessen hast -- det de weiter nu keene Ausrede hast, wenn
ick det Dinges hier uf dir abdricke! -- Du Lump! Unter Menschen jeherst
du nich! Ick ha dir jesacht, det ick dir niederknalle, det war vorichten
Herbst, wo du mich jemals wieder uf meine Schwelle unter de Auchen
trittst -- Nu jeh! sonst kracht et! -- Hast de verstanden?
Bruno
Vor deine Musspritze furcht ick mir nich.
Frau John
die bemerkt, daß John, seiner selbst nicht mächtig, den Revolver
langsam gegen Bruno erhebt.
Denn mach mir dot, Paul! Et is mein Bruder!
Sie ist John in den Arm gefallen, so daß sein Revolver gegen sie
gerichtet ist.
John
sieht sie lange an, scheint zu erwachen, wird anderen Sinnes.
Jut! -- (Er legt den Revolver wieder sorgfältig in das Schränkchen.) --
Hast och recht, Jette! -- Pfui Deibel, Jette, det dein Name och in de
Fresse von so 'n Schubiack is! -- Jut! -- Det Pulver wär och zu schade!
-- Det Dinges hat Blut von zwee franzesche Reiter jekost! Zwee Helden!
-- Nu soll et am Ende Dreck saufen.
Bruno
Det kann immer sind, det Dreck ... in dein Schädel ist! Und wenn du nich
jerade, det de bei meine Schwester uf Schlafstelle wärscht, denn hätt'
ick dir woll ma wat Luft jemacht, Rotzjunge, det de häst vierzehn Dache
't Loofen jekricht.
John
gewaltsam ruhig.
Sach noch ma, Jette, det det dein Bruder is.
Frau John
Paul, jeh man, ick wer' ihm schon wieder fortschaffen! Det weeßt de
doch, det ick et nu ma doch nich ändern kann, det Bruno von mich der
Bruder is.
John
Na, denn bin ick hier iebrig, denn schnäbelt euch man. -- (Er ist fertig
gekleidet und schickt sich zum Gehen an. Dicht bei Bruno steht er
still.) -- Schuft! du hast deinem Vater im Jrabe jeärgert! Deine
Schwester hätte dir sollen hinterm Zaune in Jraben verhungern lassen,
statt jroßjezogen, und det eenen Lumpenkanaille mehr uf de Erde is. In
eene halbe Stunde komm ick zurück! aber nich alleene! Ick komm mit'n
Wachmeester!
John geht durch die Flurtür ab, seinen Kalabreser aufstülpend.
Bruno wendet sich, sowie John hinaus ist, und spuckt ihm nach, gegen
die Eingangstür.
Bruno
Wenn ick dir ma in de Wuhlheide hätte.
Frau John
Woso kommste nu, Bruno? Sache, wat is!
Bruno
Pinke mußte mich jeben, sonst jeh ick verschütt, Jette.
Frau John
verschließt und verriegelt die Flurtür.
Wacht ma, ick schließe die Diere zu! -- Nanu, wat is? -- Wo kommste her?
Wo biste jewesen?
Bruno
Jetanzt ha ick, Jette, de halbe Nacht, und denn wa' ick 'n bißken jejen
Morchenjrauen in't Jrüne jejang.
Frau John
Hat dir Quaquaro sehn reinkomm, Bruno? Denn nimm dir in Obacht, det de
nich in de Falle sitzt.
Bruno
I Jott bewahre. Ick bin ieber'n Hof, denn bei mein Freind durch'n
Knochenkeller und hernach ieber'n Oberboden rinjekomm.
Frau John
Na? Und wat is nu jewesen, Bruno?
Bruno
Wuddel nich, Jette. Jieb Reisejeld! Ick jeh verschütt, oder ick muß
abtippeln.
Frau John
Und wat haste nu mit det Mächen jemacht?
Bruno
I, et hat Rat jejeben, Jette!
Frau John
Wat heeßt det?
Bruno
Ick ha ihr soweit wenigstens bißken jefiege jemacht.
Frau John
Und det se nich wiederkommt is nu sicher!
Bruno
Jawoll! Det se nu nochma kommt, jlob ick nich! Aber det wa keen leichtet
Stick Arbeet, Jette. Du hast mich mit deine verdammte Pillenkrajerei --
ick ha Durscht, Jette, jieb mich zu saufen, Jette! ... hast du mir
kochend heeß jemacht.
Er trinkt eine Wasserflasche leer.
Frau John
Se haben dir vor de Diere jesehn mit det Mächen.
Bruno
Ick ha mir mit Artur verabred, Jette. Von mich wollt se nischt wissen.
Denn is Artur in feine Kluft anjetänzelt jekomm und hat ihr och richtig
verschleppt in Bolljongeller. Det hat se jejlobt, uf dem Leim is se
jekrochen, det ihr Breitjam dort warten tut!
Er trällert und tänzelt krampfhaft.
Unser janzet Leben lang
von det eene Ristorang
in det andre Ristorang
Frau John
Na und denn?
Bruno
Denn wollt se fort, weil Adolf jesacht hat, det ihr Breitjam jejangen
is! Denn ha ick wollen ihr noch 'n Stickchen bejleiten, Artur und Adolf
sind mitjejang. Denn sind wir bei Kalinich in de Hinterstube injefallen,
und denn is se ja och von den vielen Nippen an Groch und Schnäpse molum
jeworn. Und denn hat se in'n Bullenwinkel bei eene jenächtigt, wo Arturn
seine Jeliebte is. Den nächsten Dach sind wir immer zwee drei Jungs
hinterher jewesen, nich losjelassen, immer von frischen Quinten jemacht,
und in de Schublade is et ja nu och lustig zujejang.
Die Kirchenglocken des Sonntagmorgens beginnen zu läuten.
Bruno
fährt fort.
Aber 't Jeld is futsch. Ick brauche Märker und Pfenniche, Jette.
Frau John
kramt nach Geld.
Wieviel mußte haben?
Bruno
lauscht den Glocken.
Wat denn?
Frau John
Jeld!
Bruno
Der olle Verkümmler unten in Knochenkeller meent, det ick an liebsten
muß ieber de russische Jrenze jehn! -- Her ma, Jette, de Jlocken läuten.
Frau John
Weshalb mußte denn ieber de Jrenze jehn?
Bruno
Nimm ma 'n nasses Handtuch, Jette, un du och 'n bißken Essig druf. Ick
weeß nich, wat mich det Nasenbluten janze Nacht schon jeärjert hat.
Er drückt sein Taschentuch an die Nase.
Frau John
holt ein Handtuch, atmet krampfhaft.
Wer hat dir an Handjelenk so 'ne Striemen jekratzt, Bruno?
Bruno
lauscht den Glocken.
Heute morchen halb viere hätt' se det Jlockenläuten noch heren jekonnt.
Frau John
O Jesus, mein Heiland, det is ja nich wahr! det kann ja nich
menschenmeglich sein! Det ha ick dir nich jeheeßen, Bruno! Bruno! ick
muß mir setzen, Bruno. -- (Sie tut es.) -- Det hat ja Vater noch uf'n
Sterbebette zu mich vorausjesacht.
Bruno
Mit Brunon is nich zu spaßen, Jette. Wenn de zu Minnan hinjehst, denn
sache, det ick ma och uf sowat vastehe und det mit Karln und Fritzen det
Jehänsel 'n Ende hat.
Frau John
Bruno, wenn se dir aber festsetzen.
Bruno
Na jut, denn mache ick Bammelmann, und denn ha'm se uf Charité wieder ma
wat zum Sezieren.
Frau John
gibt ihm Geld.
Det is ja nich wahr! Wat hast du jetan, Bruno?
Bruno
Du bist 'ne olle vadrehte Person, Jette. -- (Er faßt sie nicht ohne
Gemütsanwandlung.) -- Ihr sagt immer, det ick zu jar nischt nitze bin,
aber wenn't jar nich mehr jeht, denn braucht ihr mir, Jette.
Frau John
Na und wie denn? Haste den Mächen jedroht, det se soll nich mehr blicken
lassen? -- Det haste jesollt, Bruno. Haste det nich?
Bruno
De halbe Nacht hab' ick mit ihr jetanzt. Nu sind wir uf de Straße
jejang. Denn war 'n Herr mitjekomm, vastehste! Und wie det ick jesacht
habe, det ick von meinswechen mit die Dame 'n Hihnchen zu pflicken habe
und 'n Schneiderring aus de Bucksen jezogen, hat er natierlich Reißaus
jenomm. -- Nu ha ick zu ihr jesacht: ängsten sich nich, Freilein! wo
jutwillig sind und wo keen Lärm schlachen, und nie nich mehr bei meine
Schwester nachfrachen nach ihr Kind, soll allet janz jitlich in juten
vereinigt sind! und denn is se mit mich jejondelt 'n Sticksken.
Frau John
Na und?
Bruno
Na und? -- Und da wollte se nich! -- Und da fuhr se mit eemal nach meine
Jurjel, det ick denke ... wie 'n Beller, der toll jeworden is! und hat
noch Saft in de Knochen jehabt ... det ick jleich denke, det ick soll
alle werden! Na, und da ... da war ick nu och 'n bißken frisch -- und
denn war et -- denn war et halt so jekomm.
Frau John
in Grauen versunken.
Um welche Zeit war et?
Bruno
So 'rum zwischen vier und drei. Der Mond hat 'n jroßen Hof jehat. Uf'n
Zimmerplatz hinter de Planken is een Luder von Hund immer rufjesprung
und anjeschlagen. Denn dreppelte et und denn is 'n Jewitter
niederjejang.
Frau John
verändert, gefaßt.
'S jut! Nu jeh! Die verdient et nich besser.
Bruno
Atje! Na nu sehn wa uns ville Jahre nich.
Frau John
Wo wiste denn hin?
Bruno
Erst muß ick ma Stunde zweee längelang uf'n Ricken liechen. Ick och! Ick
jeh zu Fritzen, wo eene Kammer in't olle Polizeijefängnis jejenieber de
Fischerbrücke zu Miete hat. Dort bin ick sicher. Wo Ufstoß is, kannste
mich Nachrich zukomm lassen.
Frau John
Wiste det Kindeken nochma ankieken?
Bruno
zittert.
Nee.
Frau John
Warum nich?
Bruno
Nee Jette, in diesen Leben nich! Atje Jette! -- Wacht ma Jette: hier is
noch 'n Hufeisen! -- (Er legt ein Hufeisen auf den Tisch.) -- Det ha ick
jefunden! Det bringt Glick! Ick brauche ihm nich.
Bruno Mechelke, katzenartig, wie er gekommen, ab. Frau John blickt
mit entsetzt aufgerissenen Augen nach der Stelle, wo er verschwunden
ist, wankt dann einige Schritte zurück, preßt die wie zum Gebet
verkrampften Hände gegen den Mund und sinkt in sich zusammen, immer
mit dem vergeblichen Versuch, Gebetsworte gegen den Himmel zu
richten.
Frau John
Ick bin keen Merder! ick bin keen Merder! det wollt ick nich!


Fünfter Akt

Zimmer bei Johns. Frau John liegt schlafend auf dem Sofa. Walburga
und Spitta treten vom Flur her ein. Man vernimmt von der Straße
herauf laute Militärmusik.
Spitta
Es ist niemand hier.
Walburga
Frau John! Doch Erich! Hier liegt ja Frau John.
Spitta
mit Walburga an das Sofa tretend.
Schläft sie? Wahrhaftig. Das begreife einer, wie man bei diesem Lärm
schlafen kann. --
Die Militärmusik ist verklungen.
Walburga
Ach Erich, pst! diese Frau ist mir grausenvoll. Verstehst du denn
übrigens, weshalb unten am Eingang Polizeiposten stehn und weshalb sie
uns nicht auf die Straße lassen? Ich hab' eine solche furchtbare Angst,
daß man womöglich arretiert wird und mit zur Wache muß.
Spitta
Aber gar keine Idee! Du siehst ja Gespenster, Walburga.
Walburga
Als der Mann in Zivil auf dich zutrat und uns anblickte und du ihn
fragtest, wer er sei und er seine Legitimationsmarke aus der Tasche
nahm, wahrhaftig, da fing sich Treppe und Flur auf einmal um mich im
Kreise zu drehen an.
Spitta
Sie suchen einen Verbrecher, Walburga. Das ist eben eine sogenannte
Razzia, eine Art Kesseltreiben auf Menschen, wie die Kriminalpolizei sie
zuweilen veranstalten muß.
Walburga
Und außerdem kannst du mir glauben, Erich, ich habe Papa'ns Stimme
gehört, der laut mit jemand geredet hat.
Spitta
Du bist nervös. Du kannst dich getäuscht haben.
Walburga
die John spricht im Schlaf, Walburga erschrickt.
Horch mal, die John.
Spitta
Große Schweißtropfen stehen ihr auf der Stirn. Komm mal, sieh mal das
alte rostige Hufeisen, das sie mit beiden Händen umklammert hat.
Walburga
horcht und erschrickt wieder.
Papa!
Spitta
Ich verstehe dich nicht. Laß ihn doch kommen, Walburga. Die Hauptsache
ist, daß man weiß, was man will und daß man ein reines Gewissen hat. Ich
bin bereit. Ich ersehne die Aussprache.
Es wird laut an die Tür geklopft.
Spitta
fest.
Herein!
Frau Direktor Hassenreuter erscheint, mehr als sonst außer Atem.
Über ihr Gesicht geht ein Ausdruck der Befreiung, als sie ihrer
Tochter ansichtig wird.
Frau Direktor Hassenreuter
Gott sei gelobt! Da seid ihr ja, Kinder. -- (Walburga fliegt zitternd in
ihre Arme.) -- Mädel, wie du deine alte Mutter geängstet hast! --
Längeres Atmen und Stillschweigen.
Walburga
Verzeih, Mama: ich konnte nicht anders.
Frau Direktor Hassenreuter
Nein! Solche Briefe mit solchen Gedanken schreibt man an eine Mutter
nicht. Besonders an eine Mutter wie mich nicht, Walburga! Hast du
Seelensnöte, so weißt du auch, daß du mich noch immer mit Rat und Tat
dir zur Seite hast. Ich bin kein Unmensch und auch früher mal jung
gewesen. Aber ins Wasser springen ... ins Wasser springen und so
dergleichen, mit solchen Drohungen spielt man nicht. Ich habe doch
hoffentlich recht, Herr Spitta. Und nun auf der Stelle ... wie seht ihr
denn aus? -- auf der Stelle kommt mit mir beide nach Hause mit! -- Was
hat denn Frau John?
Walburga
Ja hilf uns! steh uns bei! nimm uns mit, Mama! Ich bin so froh, daß du
da bist. Ich hab' plötzlich eine so lähmende Angst gehabt.
Frau Direktor Hassenreuter
Also kommt, das wäre noch schöner, daß man sich von Ihnen, Herr Spitta,
und diesem Kinde solcher verzweifelter Torheiten zu gewärtigen hat. Man
hat Mut in Ihren Jahren! Man verfällt nicht auf Ausflüchte, wenn alles
nicht gleich nach dem Schnürchen geht, bei denen man nur -- man lebt ja
nur einmal! -- zu verlieren und nichts zu gewinnen hat.
Spitta
O ich habe Mut! Ich denke auch nicht daran, etwa als Lebensmüder feige
zu endigen! außer wenn mir Walburga verweigert wird. Dann freilich ist
mein Entschluß gefaßt! Daß ich vorläufig arm bin und meine Suppe hie und
da in der Volksküche essen muß, untergräbt meinen Glauben an mich und
eine bessere Zukunft nicht. Auch Walburga ist sicherlich überzeugt, es
muß ein Tag kommen, der uns für alle trüben und schweren Stunden
entschädigt.
Frau Direktor Hassenreuter
Das Leben ist lang. Und ihr seid heut noch Kinder. Es ist vielleicht
nicht so schlimm, wenn ein Student oder Kandidat in der Volksküche essen
muß. Für Walburga als Ehefrau wäre das ärger. Und ich möchte doch für
euch beide hoffen, daß da erst etwas vorher wie ein eigner Herd mit dem
nötigen Holz und der nötigen Kohle und so weiter geschaffen wird. Im
übrigen habe ich bei Papa eine Art Waffenstillstand für euch ausgewirkt.
Es war nicht leicht und wäre vielleicht unmöglich gewesen, wenn nicht
die Morgenpost seine definitive Ernennung und Wahl zum Direktor in
Straßburg gebracht hätte.
Walburga
freudig.
Mama! ach Mama! das ist ja ein Sonnenblick.
Frau John
hat sich mit einem Ruck emporgerichtet.
Bruno!
Frau Direktor Hassenreuter
entschuldigend.
Wir haben Sie aufgeweckt, Frau John.
Frau John
Is Bruno wech?
Frau Direktor Hassenreuter
Wer? Welcher Bruno?
Frau John
Na Bruno! Kenn Se denn Brunon nich?
Frau Direktor Hassenreuter
Richtig, so heißt ja Ihr jüngerer Bruder.
Frau John
Ha ick jeschlafen?
Spitta
Fest! Aber Sie haben eben im Schlaf laut aufgeschrien, Frau John.
Frau John
Ham Se jesehn, Herr Spitta, wo Jungs in Hof ... ham Se jesehn, wo Jungs
in Hof Adelbertchen sein Jräbken jesteenicht ham? Aber ick war zwischen,
wat? und ha rechts und links jar nich schlecht Maulschellen ausjeteilt.
Frau Direktor Hassenreuter
Demnach haben Sie also von Ihrem ersten verstorbenen Kindchen geträumt,
Frau John?
Frau John
Nee nee, det war wahr, ick ha nich jetraumt, Frau Direktor. Und denn
jing ick mit Adelbertchen, jing ick bein Standesbeamten hin.
Frau Direktor Hassenreuter
Aber wenn Adelbertchen nicht mehr am Leben ist ... wie können Sie denn
...
Frau John
I, wenn een Kindchen meinswechen jeboren is, denn is et jedennoch noch
in de Mutter, und wenn es meinswechen jestorben is, denn is et immer
noch in de Mutter. Ham Se den Hund jehert hintern Plankenzaun? Der Mond
hat'n jroßen Hof jehat! Bruno, du jehst uf schlechte Weche.
Frau Direktor Hassenreuter
rüttelt Frau John.
Wachen Sie auf, gute Frau! Frau John! Frau John! Sie sind krank! Ihr
Mann soll mit Ihnen zum Arzte gehen.
Frau John
Bruno, du jehst uf schlechte Weche. -- (Die Glocken beginnen wieder zu
läuten.) -- Sind det de Jlocken? --
Frau Direktor Hassenreuter
Der Gottesdienst ist zu Ende, Frau John.
Frau John
erwacht völlig, starrt um sich.
Warum wach ick denn uf? Warum habt ihr mir denn in Schlaf nich mit de
Axt iebern Kopp jehaut? -- -- -- -- -- -- Wat ha ick jesacht? Pst! Bloß
zu niemand een Sterbenswort, Frau Direktor. --
Sie ist aufgesprungen und ordnet ihr Haar mit vielen Haarnadeln.
Der Direktor erscheint durch die Flurtür.
Direktor Hassenreuter
stutzt beim Anblick der Seinigen.
Sieh da, sieh da Timotheus, die Kraniche des Ibikus! -- Sagten Sie
nicht, es wohne hier ganz in der Nähe ein Spediteur, Frau John? -- (zu
Walburga.) -- Jawohl, mein Kind: während du in deinem jugendlichen
Leichtsinn auf dein Vergnügen und wieder auf dein Vergnügen denkst, ist
dein Papa schon wieder drei Stunden lang in Geschäften herumgelaufen. --
(zu Spitta.) -- Sie würden es nicht so eilig haben, junger Mann, eine
Familie zu begründen, wenn Sie auch nur die geringste Ahnung davon
hätten, wie schwer es ist, es durchzusetzen, von Tag zu Tag mit Weib und
Kind wenigstens nicht ohne das elende und verschimmelte bißchen
täglichen Brotes dazustehn. Möge das Schicksal jeden davor bewahren,
sich eines Tages mittellos in die Suburra Berlins geschleudert zu
finden, um mit andern Verzweifelten, Brust an Brust, in unterirdischen
Löchern und Röhren, um das nackte Leben für sich und die Seinen zu
ringen. Gratuliert mir! In acht Tagen sind wir in Straßburg. -- (Frau
Direktor, Walburga und Spitta drücken ihm die Hand.) -- Alles übrige
findet sich.
Frau Direktor Hassenreuter
Papa, du hast wirklich für uns, und zwar ohne dir etwas zu vergeben, die
Jahre einen heroischen Kampf gekämpft.
Direktor Hassenreuter
Wie bei Schiffbruch, wenn der Kampf um die Balken im Wasser beginnt.
Meine edlen Kostüme, gemacht, um die Träume der Dichter zu
veranschaulichen, in welchen Lasterhöhlen, auf welchen schwitzenden
Leibern haben sie nicht, _odi profanum vulgus!_ damit nur der Groschen
Leihgebühr im Kasten klang, ihre Nächte zugebracht. Sessa! Wenden wir
uns zu heiteren Bildern. Der Rollwagen, alias Thespiskarren ist schon
angeschirrt, um den Transport unsrer Penaten in hoffentlich glücklichere
Gefilde zu bewerkstelligen. -- (plötzlich zu Spitta.) -- Und daß ihr
beide nicht etwa aus sogenannter Verzweiflung irreparable Dummheiten
macht, darauf verlang ich Ihr Ehrenwort, werter Herr Spitta. Zur
Kompensation verspreche ich Ihnen jeder wirklich vernünftigen Äußerung
Ihrerseits gegenüber nicht taub zu sein. -- Im übrigen komme ich zu Frau
John: erstlich weil Schutzleute in den Eingängen niemanden auf die
Straße lassen, ferner, weil ich gerne von Ihnen wissen will, weshalb ein
Mann wie ich, gerade in diesem Augenblick, wo seine Wimpel wieder
flattern, Gegenstand einer niederträchtigen Zeitungskampagne geworden
ist.
Frau Direktor Hassenreuter
Lieber Harro, Frau John versteht dich nicht.
Direktor Hassenreuter
Dann wollen wir also _ab ovo_ anfangen. Hier habe ich Briefe, -- (er
zeigt einen Stoß Briefschaften) -- eins, zwei, drei, fünf, zirka ein
Dutzend Stück! Darin wird mir in boshafter Weise von Unbekannten zu
einem Ereignis gratuliert, das angeblich oben auf meinem Magazinboden
vor sich gegangen ist. Ich würde die Sache nicht beachten, wenn nicht
gleichzeitig diese Lokalnotiz, wonach in der Bodenkammer eines
Maskenverleihers, _sic!_ ... eines Maskenverleihers in der Vorstadt ein
neugeborenes Kindchen gefunden worden ist! ... Ich sage, wenn diese
Lokalnotiz mich nicht stutzig machte. Zweifellos handelt sich's hier um
eine Verwechselung. Dennoch mag ich die Sache nicht auf mir sitzen
lassen. Besonders da dieser Lümmel von einem Reporter von dem Herrn
Maskenverleiher auch noch als einem verkrachten Schmierendirektor
spricht. Lies Mama: Adebar beim Maskenverleiher. Der Kerl bekommt
Ohrfeigen! Heut abend soll meine Ernennung in Straßburg durch die
Zeitungen gehn und gleichzeitig werde ich _urbi et orbi_ als
humoristischer Bissen ausgeliefert. Als ob man nicht wüßte, daß von
allen Flüchen der Fluch der Lächerlichkeit der schlimmste ist.
Frau John
An Hauseingang stehn Schutzleute, Herr Direktor?
Direktor Hassenreuter
Ja! Und zwar so, daß sogar das Kinderbegräbnis der Witfrau Knobbe ins
Stocken gekommen ist. Man läßt sogar den kleinen Sarg mit dem greulichen
Kerl von der Pietät, der ihn trägt, nicht in den Wagen hinaus.
Frau John
Wat wär' denn det for'n Kinderbejängnis?
Direktor Hassenreuter
Wissen Sie das nicht? Das Söhnchen der Knobbe, das auf eine mysteriöse
Weise von zwei fremden Weibsbildern zu mir heraufgebracht wurde und
förmlich unter meinen Augen, wahrscheinlich an Entkräftung gestorben
ist. A propos ...
Frau John
Det Kind von de Knobbe is jestorben?
Direktor Hassenreuter
A propos, Frau John, wollt' ich sagen, Sie sollten doch eigentlich
wissen, wie die Sache mit den beiden übergeschnappten Frauenspersonen,
die sich des Kindchens bemächtigt hatten, schließlich verlaufen ist?
Frau John
Nu sachen Se, is det nich Jottes Finger, det se womöglich nich
Adelbertchen erwischt haben und det nich mein Adelbertchen mit Dot
abjejang is?
Direktor Hassenreuter
Wieso? Diese Logik verstehe ich nicht. Dagegen habe ich mich schon
gefragt, ob nicht die wirren Reden des polnischen Mädchens, der
Kleiderdiebstahl auf meinem Boden und das Milchfläschchen, das Quaquaro
im Stiefel herunterbrachte, irgendwie mit der Zeitungsnotiz
zusammenzubringen sind.
Frau John
Da mang, Herr Direkter, is jar keen Zusammenhang. Haben Se Pauln jesehn,
Herr Direkter?
Direktor Hassenreuter
Paul? Ach so: Ihren Mann! jawohl! und zwar, wenn ich recht gesehen habe,
im Gespräch mit dem fetten Kriminalinspektor Puppe, der wegen des
Diebstahls auch schon mal bei mir gewesen ist.
Maurerpolier John tritt ein.
John
Na Jette, ha ick nu recht? Det is schnell jekomm.
Frau John
Wat denn?
John
Soll ick mich tausend Marcht verdien, wo mit Anschläche von
Polizeipräsidium an de Litfaßsäulen als Belohnung for Denungsiation is
bekannt jejeben?
Frau John
Woso denn?
John
Weeßte denn nich, det det janze Manöver mit Schutzleute und
Jeheimpolizisten Brunos wechen in Jange is?
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