Die Innerste: Erzählung - 7

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Um neun Uhr fing es an zu schneien, und um zehn Uhr fiel der Schnee sehr
dicht. Fluß und Land wurden von einer weißen reinlichen Decke überzogen,
und nur Gesträuch und Gartenzaun, sowie das Gebüsch am jenseitigen Ufer
der Innerste hoben sich schwärzlich im Schneelicht ab. Vom Zieten im
Busch kamen die Männer auf ein ander behend Geschöpf im Busch, und wie
man das in Schlingen in der Hecke fängt und sich einen billigen Braten
im Schlafe schenken läßt. Grinsend legte der Meister Albrecht den Finger
auf den Mund und rief:
»Haltet die Mäuler, wir haben sonst morgen benebst der Verwandtschaft
die ganze Sarstedter Försterei hier, um uns in die Töpfe zu riechen. Sie
wissen immer noch einen Hasen von einem Hammelviertel zu unterscheiden.«
Dabei stand er auf, ging zum Fenster, öffnete es und schob den Kopf
hinaus. Kein Lüftchen rührte sich; das weiße Gewimmel kam wie im
leichten Spiel vom dunklen Firmament herab, aber ziemlich hell ist es
die ganze Nacht durch geblieben, denn der Vollmond hat nicht nur im
Kalender, sondern wirklich hinter dem Gewölk gestanden.
»Wenn das so weiter geht, Lieschen, wie's angefangen hat, so werden
Vater und Mutter morgen auf ihrem Wege hierher die Beine hübsch hoch
heben müssen. Wir wollen aber eine Wacht stellen, daß sie sich nicht
einfallen lassen, schon dem Eis zu trauen. Die Innerste --«
Er brachte das, was er noch sagen wollte, nicht heraus. Hell und klar --
ja unendlich melodisch klang ein Ruf durch die Nacht über die Innerste
her -- ein singender harzischer Bergruf, und in demselben Moment blitzte
und krachte ein Schuß aus dem Weidenbusch, und die Kugel streifte dem
Meister Bodenhagen die Stirn, fuhr durch die Weihnachtstanne und schlug
in die Stubenwand. Zu gleicher Zeit erschütterten heftige Schläge die
Tür der Mühle, und ein zweiter Schuß schien in das Türschloß abgefeuert
worden zu sein. Die nächtlichen Angreifer waren im Hause, ehe sich ein
einziger in der Stube von dem plötzlichen Schrecken aufgerafft hatte.
Durch ein greulich Fluchen jauchzte die helle Stimme wieder.
»Jesus Christus, die Innerste!« jammerte die Müllerin, und die beiden
Mägde drückten sich mit Zetergeschrei in den Winkel. Von allen zuerst
hatte diesmal der Müller seine Sinne beisammen. Schon hatte er eine der
Flinten, von denen er vorhin sprach, vom Nagel gerissen.
»Die Marodebrüder! Ob's mir geahnt hat?! Hans, Fritz, die Büchsen
herunter -- Lieschen, unter die Bank -- Courage!«
»Courage!« schrie auch der Korporal, »das Gesindel feg' ich mit der
Linken vom Tisch. Kriecht unter, Weibervolk -- da sind sie, und es ist
auch nur ein Weihnachtsbesuch!«
Er hatte ein Handbeil aus der Ecke aufgegriffen und trat gegen die
Stubentür: »^Bon soir, messieurs!^«
Es waren drei Kerle, die in die Stube drangen; -- Gesindel, wie es sich
zwischen den Heeren umtrieb, und wie der Bauer jener Zeit es zu seinem
Schrecken und Schauder nur allzu gut seit Jahren kannte! Der Rock des
fünfzehnten Ludwig neben der zerfetzten Uniform König Friedrich des
Zweiten! Um den dritten Galgenstrick aber zu kostümieren, mußte die
ganze Reichsarmee Mann für Mann einen Fetzen hergegeben haben, und es
wäre wahrlich ein Kunststück gewesen, aus seiner äußeren Erscheinung her
bestimmt abzunehmen, welchem Herrn er zuletzt falsch geschworen hatte.
Was nun in der Mühle vorging, läßt sich schwer nacheinander erzählen.
Besinnen und Bedenken war nicht am Ort. Der Meister Müller, den sie
einst den tollen Bodenhagen nannten, schoß zuerst, und traf auch. Die
Eindringlinge feuerten ihre Pistolen ab.
»^Sacre nom de dieu! En avant les autres!^«
Der Korporal Brand schlug für den Musketier Bodenhagen zu, wie er vordem
auf ihn gehauen hatte; und ob den beiden guten Knappen Hans und Fritz
würde dem Oberst Colignon das Wasser im Munde zusammengelaufen sein. Es
wurde ein Raufen, Heulen, Sakermentieren und Ächzen im Dunkeln, denn der
Tisch stürzte um mit der Lampe und der Weihnachtstanne, und die weißen
Müllerhabiter hatten jetzo ihr Gutes; es war ihretwegen keine Not, daß
Meister, Gesell und Gast aufeinander schlugen. Der Schnee leuchtete
ihnen aber auch von draußen.
Sie trieben die Räuber bis auf die, welche zu Boden lagen, in den
Hausgang zurück und dann auch wieder aus dem Hause hinaus. Sie konnten
nur noch die Kolben gebrauchen, aber sie gebrauchten sie trefflich; daß
die Not sie beten lehrte, konnte man gerade nicht behaupten. Die Mühle
wehrte sich tapfer, und die Frauenstimme, die so melodisch das Zeichen
zum Angriff gegeben hatte und immer von Zeit zu Zeit von neuem in den
Lärm des Überfalls klang, wurde immer greller, kreischender, zorniger,
giftiger! Die drei armen Weiber, die im Winkel am Ofen in ein zitternd
Bündel zusammengeduckt knieten, vergingen am meisten vor dieser Stimme
in Schauder und Ohnmacht. Seltsamerweise hatte nächst den Frauen der
Korporal Jochen das feinste Ohr für sie; der junge Meister Albrecht
Bodenhagen, sein Haus und Weib verteidigend, achtete kaum darauf.
Es ging scharf -- scharf um das Heimwesen des Müllers an der Innerste.
Fritz und Ferdinand, Soubise und Broglio waren mit ihren Armaden
vertreten unter den dunklen Gestalten, die im Schneegestöber aus dem
Weidengebüsch am Fluß vorhuschten, über das Eis glitten und über den
Gartenzaun kletterten, um die Mühle und ihre Bewohner in ihre Gewalt zu
kriegen; aber der wilde Bodenhagen und sein Haus hielten sich gut. Wenn
es ein Glück war, daß die alte Frau diese Nacht nicht erlebte, so war es
doch schade, daß der alte Meister Christian sein Söhnchen diesmal nicht
bei der Arbeit sehen konnte.
Sie verrammelten die eingestoßene Pforte, sie luden und schossen aus den
Fenstern. Sie trafen dann und wann auch, und der einarmige Korporal
meinte:
»Wenn sie uns das Dach nicht über den Köpfen anstecken, halten wir uns
bei Gott, bis Bürgermeister und Rat aus Sarstedt zum Sukkurs kommen!
Courage! Courage! -- Uh, wer stopft die Weiberkehle da?«
Die letzte Frage hatte er zwischen den Zähnen gemurmelt. Dicht unter dem
zertrümmerten Fenster, an dem er mit seinem Beile stand, war der
schrille Schrei erklungen, und wieder wurden zwei oder drei Schüsse in
die Stube hinein abgefeuert. Ein durchdringender Jammerlaut aus dem
Ofenwinkel folgte sofort, und der eine der Knappen schoß zurück aus dem
Fenster und traf. Die dunklen Gestalten im Garten huschten durcheinander
und fluchten deutsch und französisch. Das Weib rief scharf und spöttisch
drein: und noch einmal stürzten sich die Angreifer auf die zertrümmerte
Haustür, deren Verrammelung von dem Meister Albrecht und seinem zweiten
Gesellen in Verzweiflung verteidigt wurde.
»Hans Lages, willst du mit? In dem Dampf hier vergeht einem doch der
Atem; -- ich hab's mir versprochen, und so lang' ich lebe, kriegt die
Innerste ihren Willen nicht!«
»Hops über, Herr Unteroffizier, wir springen ihnen auf den Buckel!« rief
der tapfere Mühlknappe, und sie schwangen sich ein jeder aus einem der
beiden Fenster und fielen den nächtlichen Räubern wirklich in den
Rücken, der eine mit seiner Handaxt, der andere mit dem Kolben. Wie
nicht ganz selten in dergleichen Fällen übertraf der Erfolg die
Erwartung. Der Schnee fiel stärker denn je; die Marodebrüder hatten mehr
als einen guten Mann verloren, und eine Panik fiel über sie. Sie wichen
zurück und gerieten, wie das dann gewöhnlich zu geschehen pflegt, ins
Laufen. Auch der Meister Bodenhagen und der Knappe Fritz sprangen jetzt
hervor aus ihrer Verschanzung, und es wurde eine Verfolgung durch den
Garten gegen die Innerste zu. Noch ein kurzes Ringen fand auf dem
Windeise des übergetretenen Flusses statt, und da ertönte zum letzten
Male, aber auch am markdurchdringendsten, der schlimme gespenstische
Schrei: es ging ein Knattern durch das Eis -- das Wasser bekam doch
seinen Willen in diesem Jahre Siebenzehnhundertsechzig: unter dem Eise
weg trieb eine Weiberleiche abwärts gegen die Stadt Sarstedt zu, ist
jedoch erst im März des nächsten Jahres, als der Tauwind blies, zutage
gekommen.
In Sarstedt wie in Groß-Förste hatte man nun aber allgemach die
Überzeugung gewonnen, daß das Flinten- und Büchsenfeuer mitten in der
Nacht irgendeinen Grund habe, und zwar einen bedenklichen. Im Dorfe zog
man die Sturmglocke, und von der Stadt her kamen Bürgermeister und
Bürgerschaft wirklich zum Sukkurs.
Man kam mit Laternen und Fackeln und allen möglichen Gewaffen und
verwunderte sich über die Art, in welcher die Mühle des Meisters
Bodenhagen die Weihnachten hatte feiern müssen. Drei Leichen und fünf
mehr oder weniger schwere Verwundete ließen die Marodeurs vor der Mühle
zurück, und einen toten Raubvogel hob man im Hausgange auf. Die
männlichen Bewohner der Mühle bluteten sämtlich, doch nur aus leichten
Wunden, bis leider auf den tapferen Korporal Jochen Brand, den man am
Rande der Innerste unter dem Gartenzaun bewußtlos in seinem Blute
liegend fand. Ein Messerstoß hatte ihn in die Seite getroffen über der
rechten Hüfte, und er kam nur noch einmal zum Bewußtsein, und zwar am
folgenden Morgen, als in Dorf und Stadt die Glocken zur
Weihnachtsfrühkirche läuteten und das Singen durch die Christenwelt
anhub: ^dies est laetitiae^, oder zu deutsch: der Tag, der ist so
freudenreich, wie es seit vielen, vielen hundert Jahren gesungen wird in
den Kirchen.
Da sprach der Korporal mit schwacher Stimme zu dem jungen Müller:
»Lebe wohl, adjes, Musketier Bodenhagen; du hast deine Sache gut
gemacht, und ich habe meine Lust an dir gehabt. Halte dich fernerhin gut
und halte dein lieb Weib gut. Es war die Radebreckersche; -- es war --
unsere Doris, mit der ich mich auf dem Eise zerrte! Sie ist immer so gut
gewesen wie ihr Wort; aber den Stoß hab' ich doch eigentlich nicht von
ihr verdient, denn ich war der einzige von allen Gästen der Buschmühle,
der's gut mit ihr meinte -- besser als nach ihren Meriten. Wer kann aber
wider das wilde Wasser, und wo sollte die arme Kreatur hin aus dem Turm
in Wildemann? Ich bin zu dir und deiner Liese gekommen, aber für sie war
keine Zuflucht als die Lagerkameradschaft, der Krieg mit der Welt bis
aufs Messer und was dran hängt an dem Kriege! Adjes, Albrecht, ich mache
mir nichts draus, und ich glaube, sie macht sich auch nichts draus, daß
es zu Ende ist.«
Der Müller weinte, und als dann die Müllerin in die Kammer kam, weinte
sie gleichfalls, und beide mit vollem Rechte.
»Adjes, Frau Liese,« sagte der Korporal noch schwächer als zuvor. »Vor
der Innerste braucht Sie keine Furcht mehr zu haben, junge Frau; sie hat
ihr schwarz Huhn. Aber mit meiner Gevatterschaft ist's auch nichts; --
es war kurios, aber ich habe mich die letzten Tage über gar nicht mehr
drauf gefreut. Gott helf' Euch durch die Zeit; -- König Fritzen geht's
auch hart -- vivat Fridericus! Durch kommt er doch, und Friede wird
auch; -- ich habe den meinigen heute schon versiegelt und bin ganz im
Reinen. Ein unnützer invalider Vagabond war ich doch, und der beste
Kamerad wäre auf die Länge meiner überdrüssig geworden.«
Durch sein Schluchzen wollte der Müller dem Sterbenden noch ein Wort
dreinreden in sein letztes Wort; doch es ist immer ein bedenklich Ding,
das Dreinreden in ein letztes Wort.
Wie gesagt, auch diese Mühle an der Innerste steht heute nicht mehr;
aber es haben nach dem Meister Albrecht noch zwei Bodenhagen drauf
gesessen. Erst seit dem Jahre 1803, als die Franzosen unter Mortier im
Hannoverschen waren, ist sie allgemach nahrungslos geworden und endlich
um das Jahr 1820 abgebrochen. Die Innerste ist reguliert worden wie die
Ihme und die Leine; sie hat zwar auch jetzt noch ihre Nücken und Tücken
und verlangt dann und wann wohl ein Lebendiges zum Fraß; aber daß sie
danach schreie, glaubt heute kein Mensch mehr.


Anmerkungen zur Transkription

Der Originaltext ist in Fraktur gesetzt. Hervorhebungen, die im
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gekennzeichnet. Fremdsprachige Textstellen, die im Original in Antiqua
gesetzt sind, wurden ^so^ markiert.
Offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert wie hier aufgeführt
(vorher/nachher):
[S. 18]:
... aus dem er auch vielleicht augfestiegen sein konnte,
zurücksank. ...
... aus dem er auch vielleicht aufgestiegen sein konnte,
zurücksank. ...
[S. 18]:
... an den Hut und rief von neuem über die Innerste. ...
... an den Hut und rief von neuem über die Innerste: ...
[S. 19]:
... ihr kein Quartier? Hunger, Durst und einen zerschlagenen ...
... Ihr kein Quartier? Hunger, Durst und einen zerschlagenen ...
[S. 107]:
... gemacht zu haben, und mit der Menge muß es ...
... gemacht zu haben, und mit der Menage muß es ...
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