Die Innerste: Erzählung - 5

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ihrer ganzen Wildheit sehen wollte, der mußte sie hier in der Wildnis
aufsuchen. Grauschwarz und giftig kommt das Wasser von den Hüttenwerken
von Wildemann; daß es über mehr als drei Steine läuft, hilft ihm nichts,
es wird nicht reiner dadurch, und wütend springt es vom Stein hinter dem
Hause des Meisters Radebrecker und hohnlachend vorbei an dem gestellten,
trümmerhaften Rade.
Horch, eine Stimme, ein Lied aus dem Innern der Mühle, und Stimme und
Lied passen ganz und gar zu dieser Menschenwohnung und zu dem Tag und
Wetter. Es ist ein dunkler, windiger Oktobertag, der Sturm rauscht und
zischt durch den Tannenforst und beugt die schlanken Stämme; aber das
alte Harzschützenlied aus den Kriegen des vorigen Säkulums übertönt er
doch nicht. Es ist ein Lied, gut zu singen in der Felshöhle am Feuer in
der Winternacht, im wilden Walde -- vor der Bluttat und nach derselbigen
-- ein Lied von Blut und Feuer, vom schnellen, tückischen Überfall aus
dem Busch, ein Lied von Galgen und Rad -- seltsam zu hören aus einem
Weibermunde! Und die Innerste singt mit, und die Weise dringt weit
hinein in den Forst, und tief im Walde nimmt eine Männerstimme den
Endreim auf und sendet aus kraftvoller Brust das Gesätz zurück.
's ist der Kriegskamerad des neuen Müllers da unten an der Innerste,
oberhalb Sarstedt, der einarmige Korporal Jochen Brand, der da durch den
Wald kommt. Er trägt noch immer den militärischen Dreimaster schräg aufs
Ohr gedrückt, er trägt noch den blauen Rock, den er bei Minden trug;
aber Hut und Rock sind um ein Beträchtliches schäbiger geworden; -- sie
scheinen in der Bergstadt Grund sich nicht viel aus dem tapferen
Stadtkinde gemacht zu haben, und mit der Menage muß es auch nicht weit
hergewesen sein. Wohlgefüttert sieht der Korporal nicht aus, und die
schmutzig-roten Aufschläge an Kragen und Ärmel sind die munterste Farbe
an ihm.
Aber immer noch schwingt er den Wanderknittel in der heilen Linken zu
den alten Fechterkunststücken; es scheint ihn wenig zu kümmern, daß die
Jacke nur noch einen der Messingknöpfe mit dem ^F. R. -- Fridericus Rex^
-- aufzuweisen hat -- der Knopf genügt immer noch, den leeren rechten
Ärmel auf der braven, breiten, wetterfesten Brust festzuhalten.
Er kam den Berghang herunter aus der Dämmerung des Waldes hervor und
stieß einen lauten Hollaruf aus, als er das Dach der Mühle unter sich
sah. Drei mächtige Hunde mit Stachelhalsbändern heulten die Antwort und
stürzten sich durch den Bach dem Nahenden entgegen; als sie ihn aber
erkannten, begrüßten sie ihn freundschaftlich, und das nämliche tat der
Herr des Hauses, der jetzt in seine Tür getreten war und unzweifelhaft
einer etwas genaueren Beschreibung würdig ist.
Es war ein kleines, alraunenhaft aussehendes Kerlchen, das Meisterchen
Radebrecker. Man war durchaus nicht sicher, ob der alte Bursch nicht
einst als die schlimme Wurzel unter dem Galgen ausgerissen worden war
und den entsetzlichen Schrei der Sage ausgestoßen hatte. Aber wenn's
sich so verhielt, so war der Alraun doch allgemach gewachsen und hatte
es zu einer Höhe von fast fünf Fuß gebracht. Für ein bescheiden Gemüte
war ein ganz menschenähnliches Individuum aus der Mandragora geworden.
Ob die rauhhaarige Pudelmütze mit dem grauen, zotteligen Köpfchen des
Alten geboren worden war, konnte niemand wissen, aber niemand erinnerte
sich auch, ihn je bei Sommer und Winter, bei Tag und Nacht ohne dieselbe
erblickt zu haben. Seitwärts geneigt trug er das Köpfchen auf der einen
Schulter und als Gegengewicht ein Buckelchen auf der anderen. Sein Gehör
war so scharf wie seine Augen, obgleich manche Leute seltsamerweise
meinten, das eine sei so schwach wie die anderen; wenn sie dann des
Gegenteils zu ihrem Schaden gewahr wurden, wunderten sie sich gar noch.
Als der Einarm unter den letzten Bäumen hervortrat und über die Steine
im Bette der Innerste wegstieg, nahm der kleine Greis die kleine
Tonpfeife aus dem zahnlosen Munde und kicherte:
»He, he, auch der wieder! Sieh, sieh, guck, guck, auch Er kann es noch
immer nicht lassen; -- da ist Er ja wieder! -- Es ist ein Prachtmädchen!
Sie tut es ihnen allen an, und wie sie sich auch wehren mögen, sie
können nicht davon lassen. Der liebe Gott hat mich in Wahrheit mit einem
guten Kinde gesegnet, und es ist immer noch, wie's in dem Buche steht:
>Wohl dem, der Freude an seinen Kindern erlebt.<«
Das war nun mit einem solchen blasphemistischen Grinsen gesagt, daß
jegliche Bibel auf sechs Meilen in die Runde von Rechts wegen einen
Schreckenssprung hätte tun müssen auf ihrem Platz oder Gestell, und wie
das folgende Gespräch ausweist, kannte der Korporal Jochen seinen Mann
auch nach der Richtung.
»Guten Tag, Vater Radebrecker,« sagte der Einarm, militärisch grüßend.
»Guten Tag, mein Söhnchen,« entgegnete der alte Meister. »Der Herr segne
deinen Eingang und -- Ausgang.«
»Hm,« meinte der Soldat, »kann Er's denn gar nicht lassen, Er alter
Sünder? Weiß Er aber, ich habe mir sagen lassen von einem großen Ofen,
der immer noch geheizt wird, und anjetzo, wie einige meinen, mehr denn
je. Will Er denn absolut Pastor in der Hölle werden und von einer
glühenden Kanzel den armen verlorenen Seelen Geduld predigen,
Radebrecker?«
»Hm, -- jedermann nach seinen Gaben, Freund Jochen. Er in seinem wilden
gottlosen Kriegsleben kann nichts davon wissen, wie sanft es dem
Menschen zumute wird hier in der Eremiterei, im stillen Forste.«
»Man sollt's doch nicht für möglich halten!« brummte der Invalide mit
einem Blicke zum wolkenvollen Herbsthimmel. Dann sah er den Alten mit
einem gewissen scheuen Unbehagen von der Seite an und brachte das
Gespräch auf etwas anderes.
Er sagte mit einigem Zögern:
»Da Er's doch schon weiß und darüber sein Pläsier hat, so mach' ich's
kurz: der Innerste wegen bin ich mal wieder da, und wär's auch nur, um
mich von ihr malträtieren zu lassen, schlimmer als ein armer Sünder vom
Profossen. Wie geht's der Jungfer Tochter, Vater Radebrecker?«
»Hört Er sie nicht, mein Sohn? Sie hat eine recht feine, liebliche
Stimme. Es ist meine einzigste Lust in meinen alten Tagen, sie so in den
Wald hineinsingen zu hören.«
Der Einarm murmelte etwas zwischen den Zähnen; der greise Alraun aber
legte die Hand hinters Ohr.
»Was beliebt Ihm zu meinen, mein Herzenssöhnchen? Es wird immer
schlimmer mit meinem Gehör von Tag zu Tage?«
»Ich sage auch, daß die Innerste -- die Doris eine feine Stimme hat und
sie weit hinausschickt!« schrie der Korporal Jochen Brand. »Ich bin
nicht der erste, der sie auf sechs Meilen ins Land vernommen hat, und
den sie hergesungen hat nach dieser verdammten, gottverfluchten
Räuberhöhle. Und an Boten für ihre Wege fehlt's ihr auch nicht; wenn nur
der Botenlohn danach wäre!«
»Ei, ei, mein Söhnchen, was sagt Er da! Besinne Er sich doch, Korporal,
daß Er zu dem Buschmüller spricht, der ein Dach und einen Platz am
Tische hat für jedermann, von dem man zu Hause -- nichts wissen will,
und wenn er noch so glorreiche Bataillen gewonnen hat. Ein guter Ruf ist
das köstlichste Ding auf Erden und ein gut Gewissen --«
»Das zweitbeste Ding, Vater Radebrecker. Sapperlot, ich weiß alles und
verlange auch von Ihm keine Brühe an den Braten. Also die Innerste sitzt
in der Stube?«
»Wie's Täubchen im Neste; -- und Er ist willkommen, Jochen, wenn man Ihn
gleich in Grund über die Schulter ansieht. Geh' Er nur hinein; ich habe
noch hier draußen zu schaffen und komme nach.«
»Der Zwergenkönig vom Hübichenstein ist nichts gegen Ihn, Meister
Radebrecker!« seufzte der gute Kriegsmann des Herzogs Ferdinand und
stiefelte mit gehobenen Knien wie ein Storch über die Hausschwelle. Der
Alte schlich sich wie ein Fuchs um die Ecke seines Hauses und kicherte
vergnüglich in sich hinein.
Auf der Schwelle der Stubentür nahm der Korporal den Hut ab:
»^Bon jour, mademoiselle!^«
»He?« fragte Jungfer Doris, auf ihrem Stuhl am Fenster sich umwendend.
»Guten Tag, allerschönste Mademoisell, mein' ich. Wir haben manchen
Franzmann draußen unter uns, und von denen lernt man die Höflichkeit und
was den Damens sonst gefällt.«
»Mir gefallen Seine französischen Brocken gar nicht,« sagte die Jungfer
Radebrecker. »Wenn Er Seine Hündinnen da draußen vor den Bergen damit
vom Ofen locken kann, so hab' ich nichts dagegen einzuwenden, Kamerad.
Bringt Er mir sonst was mit, so komm' Er herein, Jochen, sonst aber
bleibe Er draußen.«
Der einarmige Soldat trat wenigstens einen Schritt weiter in die Stube
vor. Die Innerste rauschte dicht an dem Fenster vorbei, und Wald und
Fels sahen herein. Die rothaarige Jungfer saß faul an die Lehne ihres
Holzschemels sich legend und aß mit einem blutigen Messer in der Hand
ein Stück Brot. Das Messer hatte sie aus der Küche mitgebracht, und wenn
die kurfürstlich hannöverschen Förster nachgesucht hätten, so würden sie
auch wohl das ausgeweidete Schmaltier gefunden haben, dessen rote
Lebenstropfen an der Klinge hingen.
»Sakerment,« murmelte der Invalide, »am besten paßte sie doch zwischen
Mitternacht und ein Uhr auf ein Schlachtfeld, mit einem Sack auf der
Schulter und einer Blendlaterne in der Hand. Sie würde frisch aufräumen
im Notfalle unter den Blessierten. Wenn ich nur wüßte, was sie uns
eingibt, daß wir ihr immer von neuem so gutwillig ihre Säcke tragen?«
Lachend zeigte die Jungfer dem Kameraden ihre weißen Zähne und wies mit
einem Messer auf einen Schemel ihr gegenüber am Fenster.
»Nun, Korporal Brand, will Er sich nicht Seine Bequemlichkeit nehmen?
Aber -- ganz wie es Ihm beliebt.«
Schwerfällig setzte sich der Invalide auf den ihm angedeuteten Platz,
warf seinen Hut auf den Tisch und sagte mürrisch grollend:
»Deinen Vater kenne ich, Doris; aber deine Mutter hätte ich auch wohl
kennen mögen.«
»Weshalb?«
»Weil ich dann das Teufelskleeblatt voll zusammen hätte; den alten Satan
und die alte und die junge Hexe. So ist's, Jungfer Radebrecker, nehme
Sie es mir nicht vor ungut.«
Das Mädchen lachte wiederum, -- ganz und gar nicht beleidigt:
»Warte Er nur, Freund, bis ich meines Weges gegangen bin und Ihn der
Meister Hämmerling auf dem Galgenberg von der Leiter gestoßen hat. Es
wird schon eine Zeit sein, wo die ganze wilde Jagd hübsch warm beisammen
ist. Wer die richtige Geduld hat, wird manche kuriose Dinge in der Welt
zuletzt in ein Bündel knoten. Was bringt Er mir mit nach der Buschmühle,
Jochen?«
Da beugte sich der Einarm näher zu dem Mädchen und sah ihr ernst, fast
grimmig ins Gesicht und antwortete:
»Dein Narr bin ich und bleibe ich; aber den Gang geh' ich doch nicht
wieder für dich; und wenn du wirklich ein Weiberherz in der Brust
trügest, so ließest auch du das Vergangene auf sich beruhen, zumal solch
einem armen Tropf gegenüber, der, wenn er dich gekränket hat, dazu
gekommen ist, wie zu allem andern in seinem Leben, ohne wie ein rechter
Mann davon zu wissen. Doris, wäre er ein richtiger Kerl, so möchtest du
deinen Groll büßen, so wild du wolltest, und sein jung Weib müßte seine
Schuld mit auf sich nehmen. Aber er ist ein Tropf, ein Schwachherz, und
wenn du da die Unhuldin spielen willst, ist's nicht aus eigenem
Herzensjammer, sondern aus Bosheit und Lust am Schaden. Ich bin wieder
in der Sarstedter Mühle eingekehrt, und ich sage dir, du sollst die
Leute in Frieden ihr Leben leben lassen. Hier hast du dein Leben, wie du
es verlangst, und kannst kein anderes gebrauchen! Da unten sitzen sie
wie die Kinder im Winkel, und du hast nichts hinter ihrem Ofen zu
suchen. Was du zu sehen nötig hattest, hast du im Sommer selber gesehen;
-- sie haben Vater und Mutter begraben und haben in Sarstedt mit dem
Meister Tischler einer Wiege halber gesprochen. Sie haben mich zu oberst
an den Tisch gesetzt, und du -- sitzest hier oben wie eine wilde Königin
-- keine zahme hat's mehr nach ihrem Wunsche.«
»So?!« sagte oder fragte die Jungfer Radebrecker, und der Korporal
Brand, mit der gesunden Hand auf den Tisch schlagend, rief:
»Ja! so! -- Doris, Doris, ist es denn nicht so? Ich bin nicht dabei
gewesen, als der arme Flederwisch, der wilde Bodenhagen, zuerst hier in
der Buschmühle das Handwerk grüßen wollte; aber aus eigener Experienz
weiß ich, was er gefunden hat --«
»So?!«
»Ja, und weil ich das weiß, und obendrein auch noch, daß ihn der
Colignon nur zu seinem Besten abgeholt hat, sage ich zum dritten und
letzten Mal, Jungfer Radebrecker, habe Sie ein Einsehen und Erbarmen und
führe Sie nicht Krieg, wo es nicht vonnöten ist. Ich komme auch aus dem
Kriege und weiß, was es damit ist. Der Albrecht ist doch nichts weiter
als ein groß Kind, und wollte Sie sich eine Haselrute da aus dem Busch
an der Innerste holen und ihn über die Bank ziehen, so wollte ich mich
Ihr wahrhaftig nicht in den Weg stellen; ich habe ihn ja selber mehr als
einmal unter dem Prinzen Ferdinand über ein Bund Stroh gelegt. Weil aber
sein Herr Vater und andere Leute dieses schon nach besten Kräften
besorgt haben, so lasse Sie nun seinem Leben den Lauf und schreie Sie
ihm nicht hinein, denn Sie treibt nicht ihn allein ins Elend, und das
kommt Ihr nicht zu, denn das ist nur ein Recht, wie es das Wasser, der
Bach, die Innerste sich nimmt, wenn's hier in den Bergen sich allerlei
hat gefallen lassen müssen und nun hervorbricht und den armen Bauern im
Hildesheimschen die Äcker und die Wiesen ruiniert. Ich bin auch Korporal
in einem Freibataillon gewesen und habe manches mitgemacht, was gen
Himmel gestunken hat; bei Minden auf dem Feld liegt mein rechter Arm,
und -- _so_ spreche ich heute in der Buschmühle. Ich weiß wohl, daß wir
nicht in einer Welt leben, wo alles glatt ab- und hingeht wie auf einer
Potsdamer Parade vor Seiner Majestät. Aber der König Fritz kümmert sich
heute auch wenig um Puder und Zopf; er marschiert in Schlesien durch
Blut und Brand, und in seiner Residenzstadt Berlin sind anjetzo die
Russen und die Österreicher, der Tottleben und der Lascy; -- wer sich da
als ein ehrlicher braver Kerl und als ein lieb, gut Weib zurechtfindet
in der Welt, der hat Ehre davon. Ich überlegte es mir doch noch einmal
in meinem Leben, Jungfer Radebrecker.«
Die Tochter des Buschmüllers war bei dieser Rede des Korporals Jochen
Brand aufgesprungen und wild in der rauchschwarzen, wüsten Stube hin-
und hergegangen. Ihr Messer hielt sie wie einen Dolch, und nun trat sie
dicht an den Invaliden heran, legte ihm die Faust mit dem Messer auf die
Schulter und nahm ihn mit der anderen Hand an dem gesunden Arm.
»Er ist ein guter Kamerad, Jochen,« sagte sie, »und Er hat ein gutes
Wort gesprochen; aber was weiß Er denn von mir und vom Albrecht
Bodenhagen? Meinen Vater kennst du, und meine Mutter hättest du kennen
mögen, um das Teufelskleeblatt beisammen zu haben. Du hast's eben noch
selber gesagt. Hier in der Buschmühle bin ich geboren und auferzogen
worden, und jetzt bin ich, wie ich bin, und wenn ich wie das wilde
Wasser, die Innerste da vorm Fenster, bin, so kann ich's nicht ändern
--«
»Dann laß deine Tollheit an uns aus, Doris,« brummte der Korporal, »du
weißt, daß wir zu Dutzenden über jeden Stock springen, den du uns
vorhältst. Zum Exempel, mit mir kannst du machen, was du willst, aber
das Kindervolk da unten im Lande sollst du mir jetzt in seinem Spiel
ungeschoren lassen!«
Da stieß die Doris Radebrecker einen Schrei aus, der auch ein Geschluchz
war.
»Was habe ich denn mit euch? Was habe ich mit dir, Jochen Brand? Mit dem
armen Tropf, dem Weichmaul, dem blöden Schäfer, der den tollen
Bodenhagen spielte, hab' ich's. Was weißt du von mir und ihm? -- Er hat
mehr gekriegt als ihr anderen alle, und es war eine Zeit, da hätte er
mich wohl zu einem lieben, guten Weibe machen können! und jetzo soll er
die Rechnung zahlen, der Müller von Sarstedt, und ihr -- ihr sollt mich
nicht umsonst die Innerste nennen!«
Der Korporal Brand sah die Jungfer Radebrecker mit einem grenzenlosen
Erstaunen -- mit offenem Munde an; aber draußen bellten von neuem die
Hunde, und allerlei Stimmen ließen sich vernehmen. Es kamen allerlei
Gäste des Buschmüllers.


Zehntes Kapitel.

Im Oktober gehen die Tage bald zu Ende, und aus dem Wind wird schnell
Sturm. Dann muß man in den wilden Bergen wohnen und im Zwielicht vor die
Tür treten und den Wind, den Wald und das Wasser reden hören. Dann ist
es auch gut, Bescheid zu wissen in den alten Sagen seines Volkes, den
Liedern, die die Großmutter sang, und der Weisheit des Urgroßvaters. Und
wenn noch gar der Krieg von ferne donnert, dann läßt es sich gut
zurücktreten von der Schwelle, die Tür verriegeln und am Herde am warmen
Ofen niedersitzen. Ängstlich, aber auch heimelig und lieblich ist's
dann, beim Lampenschein liebe Gesichter -- junge und alte -- um sich zu
sehen und bekannte junge und alte Stimmen zu hören; -- mit sonderbar
heimlichen und unheimlichen Fingern zupfen Vergangenheit und Zukunft
dann an der Behaglichkeit der Gegenwart. Die Augen soll man ja nicht
schließen, wenn das fröhliche Gespräch zu einem Flüstern herabsinkt; es
ist, als spreche die Zukunft, in dem Sturme draußen; -- den
Verständigsten, den Nüchternsten kann eine Angst überkommen, daß er die
guten Gesichter nicht mehr im Kreise um sich her finden werde, wenn er
wieder die Lider aufschlägt und umhersieht.
Es gibt aber vielerlei Gesichter und Stimmen in der Welt. Das merkt man
recht, wenn man bedenkt, was alles sich um so einen winterlichen oder
herbstlichen Herd niedersetzen und über seine Lust und sein Leid, seine
Pläne, Sorgen, Taten und Gedanken verhandeln kann. In der Buschmühle nun
lachten und jauchzten keine fröhlichen Kinder, erzählte nicht der brave
Vetter Michel, wie es ihm den Tag über ergangen war, kam nicht die Base
und die Nachbarin mit dem Spinnrad und saßen nicht Großvater und
Großmutter von ihren Enkeln umgeben. Der Ofen glühte, als es Abend
geworden war, der Tisch war zurechtgerückt und die Gäste vorhanden. Die
Innerste saß an der einen Seite des Ofens, der Einarm an der anderen,
der Meister Radebrecker aber oben am Tisch. Das alles in den richtigen
Farben zu schildern, hätte einem kuriosen Maler zu schaffen gegeben; und
für ein Ohr, das nicht zu fein gebaut war, mocht's auch ein seltsames
Gaudium sein, das zu belauschen, was da hinüber und herüber geredet,
geschrien und geflucht wurde. Aus der Bibel wurde nicht vorgelesen. Es
gab zwar eine Bibel in der alten Sägemühle, aber sie war in einer
Bodenkammer als Ersatz für einen fehlenden Fuß einem wackelnden Schrank
untergeschoben. Eine Zeitung kam im Jahre 1760 nicht in die Bergstädte
Grund, Lautenthal und Wildemann, und also in die Buschmühle gar nicht.
Die großen Welthändel wurden damals von Mund zu Munde umgetragen, und
vielleicht stand sich die Welt dabei nicht schlechter als heute. Die
Wahrheit kam jedenfalls eben so selten zu kurz wie heutzutage.
Der Invalide von Minden war nicht der einzige gewesen in diesem Kreise,
der den Krieg gesehen, und die Jungfer Radebrecker nicht die einzige,
welche ihr Brot mit einem blutigen Messer geschnitten hatte. Wanne, die
Innerste, hatte kein zu feines Ohr, sie konnte alles anhören und über
alles mitlachen, und ihre eigenen Worte legte sie gleichfalls nicht auf
die Goldwage! Ihre helle, klare Stimme überklang oft das wüsteste Gelärm
dieser nächtlichen Mühlgäste, und als sich einmal zwei derselben über
den Tisch in die Haare gerieten, fiel sie dazwischen und zwar auch mit
einem Fluch, der die ganze Gesellschaft zum Lachen brachte und den
Meister Radebrecker zu einem abermaligen zärtlichen Lob seiner Tochter.
Sie kamen aber nicht allein wegen der Küche und des Kellers des
Buschmüllers zu dieser Stunde zusammen. Sie hatten nicht bloß zu
bramarbasieren und sich ihrer selbst zu rühmen. Es wurde auch verständig
geredet, und von Zeit zu Zeit nahm der Alte einen beiseite und flüsterte
mit ihm, oder führte ihn wohl gar vor die Stubentür, um dorten weiter
mit ihm zu flüstern.
Sie hatten ihre Geschäfte; aber das beste wird's sein, daß _wir_ unsere
Hand davon lassen. Es ist über hundert Jahre her, seit sie da im Harz an
der Innerste, im wilden Walde so vergnüglich beisammensaßen. Verjährt!
verjährt! Es ist über das alles Gras gewachsen, und ebenso arge Dinge
sind nachher ausgeführt, und ist damit renommiert worden, und die alte,
uralte Entschuldigung, daß der schwache Mensch eben zusehen müsse, wie
er sich durch die böse Welt bringe, gilt auch heute noch.
Einmal ging ein Kelch um den Tisch, der freilich verdächtig aussah, als
ob er wohl aus einem Sakristeispinde herstammen könne, und dann war ein
Stündlein später von dem Förster vom Iberge die Rede, der im Frühjahr
tot, mit einer Kugel hinter dem Ohr im Kopfe, im Dickicht am
Hübichenstein gefunden worden war. Voll und leer ging der Kelch um den
Tisch, und über den toten Jägersmann lachte man, und einer meinte, mit
dem Zwerg Hübich lasse sich schlimm spaßen. Es war auch eine Geldsumme
zwischen zwei der Gesellen zu teilen, da gab's neuen Hader, den der
Meister Radebrecker schlichtete, indem er die zwei Wildemannsgulden und
acht Mariengroschen, um die es sich handelte, für sich nahm als
Unparteiischen. Dann kam das Schmaltier gebraten herein und neues
Getränke, und es wurde auf das Wohl des Bergmeisters Wiesehahn zu
Lautenthal angestoßen, und wiederum hatte einer ein Wort zuzugeben und
meinte, der möge sich nur auch in acht nehmen, denn der Zwerg Hübich sei
mächtig unter der Erde wie über der Erde.
Hiermit ist denn die Unterhaltung auf das Feld der Sage übergegangen,
und da hätte wohl manch ein gelehrter Herr des neunzehnten Jahrhunderts
gern den Horcher an der Wand gespielt und die Strolche, Halunken und
Vagabunden des Jahres 1760 reden hören.
Ellenbogen an Ellenbogen mit dem kleinen Alraun, dem Meister
Radebrecker, saß noch ein kleiner Kerl, der auch einen Buckel trug, aber
auf der anderen Schulter als der Buschmüller. Zwei Stunden von der
Harzburg bei Wülperode im Steinfelde ist der Klöpperkrug gelegen, und
dem Wirt daselbst war am letzten Sonntag der Knecht abhanden gekommen,
aber seine zwei Kühe und seinen mageren Gaul hatte er krepiert im Stalle
gefunden. Da hatte es ein lautes Heulen gegeben um das Vieh und ein
hitziges Suchen nach dem Knecht, aber der war nicht gefunden worden,
denn bis in die Buschmühle war man von Amts wegen nicht gekommen.
Und vor dem Fenster der Buschmühle brauste der Wald und sauste der
Sturmwind; es ächzten und knirschten und krachten die hohen Tannenbäume,
und der Knecht vom Klöpperkrug sagte:
»Das ist das Wetter, wo Er waltet. Ich sollte meinen, alle Augenblick
müßte er ansprechen und sich vermelden!«
»Wer?« fragte Doris schrill über die ganze Länge des Tisches.
»Der Ritter, Jungfer! der Hackelberg, Jungfer Radebrecker. Bei solcher
Witterung jagt er am liebsten.«
Im Garten des Klöpperkruges liegt ja der wilde Jäger, der Ritter von
Hackelberg, begraben, und seine Sturmhaube wird bis auf den heutigen Tag
daselbst aufbewahrt und gern vom Wirt vorgewiesen; aber die Kumpanei in
der Buschmühle lachte doch, und der Korporal Jochen Brand sprach:
»Kamerad, den wilden Jäger habe ich wohl auch ziehen sehen, aber nicht
in den Lüften. Es stürmte auch jedesmal, wo die Jagd zog in Sachsen,
Böhmen und Schlesien; sie zieht auch heute wohl, und der alte Zieten
reitet vor dem Zuge. Wer aber den General Seidlitz jagen sah mit seinen
Kürassieren, dem wird's übel, wenn er vom Hackelberg, der Tutursel und
all dem anderen Gespensterplunder hört. Kotz Blitz, der König Fritze
läßt reiten, und von den hungarischen Husaren der Frau Kaiserin will ich
auch nichts Despektierliches sagen; aber Seinen Ritter Hackelberg muß
ich selber ziehen sehen, ehe ich glaube, daß der besser zu Pferde sitzt
als ein Franzos.«
Der Soldat hatte gesprochen, der buckelige Knecht vom Klöpperkruge aber
hat etwas von einer Großschnauze gemurmelt, und daß er wisse, was er
wisse. Die anderen haben einen Moment stockstill gesessen, denn jetzt
hat sich der Sturm im Walde ärger denn je hören lassen, und es ist ein
Heulen und sonstiger Lärm geworden, daß jeder sich geduckt hat, als
komme ihm schon das Dach über den Kopf herunter, oder die schwarze
Pferdelende durch den Schornstein, um jedweden Spötter vom Stuhl und
Tisch zu schlagen. Nach dem angsthaften Hinhorchen aber nahm ein
eisgrauer alter Sünder die Pfeife aus dem Munde und sprach, zu dem
Einarm gewendet:
»Wenn Er das Seinige im Felde mit dem Zieten erlebt hat, Korporal, so
sei Er dankbar dafür; aber wenn Er in dieser Nacht noch etwas dazu
erleben sollte, so sitze Er nur ja still und halte den Mund und sich
dazu mit beiden Händen an dem Stuhl. Man hat Exempel, daß noch ganz
andere Kerle als Er, Korporal Brand, dem Herrn von Hackelberg Hohn
gesprochen und nachgerufen haben, und es ist ihnen jedesmal übel
bekommen. Der Buckel da hat ganz recht; es ist eine Nacht für den wilden
Jäger, und vielleicht tut Euch der Ritter den Gefallen, Jochen, und
weist Euch, daß er doch noch besser reitet als Seidlitz bei Roßbach. Ich
rate Ihm aber dann, ihm nicht nachzuzischen von der Tür aus, wenn Er
sein Horn über dem Kopfe schallen hören wird.«
»Hoho!« lachte der tapfere Kriegsmann, doch die Doris Radebrecker gab
jetzt auch wieder ihr Wort dazu.
»Jawohl, hoho, Kamerad!« rief sie. »Ich rate Ihm auch, sich zu hüten vor
dem Volk in der Luft, Wald, Feuer und Wasser. Ich sage Ihm auch ein
Exempel: hat Er etwan nicht erfahren, wie die Innerste da drüben im
Lande vor dem Harz schreien kann? Weshalb sollte der Ritter Hackelberg
nicht sein Jagdhorn in der Luft blasen? Jetzo aber lasset den Mann da
aus Wülperode mit Ruhe verzählen, was sich zuletzt mit ihm -- den wilden
Jäger meine ich -- begeben hat.«
»Mit Pläsier,« sagte der Soldat lachend. Der Bucklige aber ließ nicht
lange bitten und erzählte halb flüsternd:
»Einer von den Herzogen von Anhalt Jägerei hat ihn zuletzt verspürt. Sie
haben ein groß Treiben gehalten mit den Wernigerödeschen, und nach dem
Treiben haben sie, die Bernburger und die Gräflichen, die Nacht durch am
Hartenberg in einer Köte gelegen, die vornehmen Herren in der Köte, die
Gemeinen beim Feuer im freien Forst. Der aber, den ich meine, ein Junger
vom Adel, hat ein hübsch Mädchen gewußt auf einem Försterhofe, den ich
kenne, und ich nicht allein in dieser höflichen hochlöblichen Kompagnie.
Und er hat sich schon bei Abenddämmerung weggeschlichen und ist nach
Mitternacht pfeifend durch den Wald zurückgekommen, der Köte zu, allwo
die anderen lagen. Am Buchenberge hört er's auch einmal von ferne: Hoho,
hoho, wod, wod, ho, hallo! Sie haben ihn jetzo bei einem Doktor -- er
ist nicht bei Sinnen, denn er hat sich in seinem Vergnügen lustig
gemacht über den wilden Jäger in der Luft. Am anderen Morgen hat man ihn
gefunden mit zerbrochenem Arm und einer Schlagwunde auf der Stirn, und
das ist anzusehen gewesen wie von einem beschlagenen Pferdefuß. Er ist
heute noch nicht wieder bei Verstand, und der Hund, den er bei sich
gehabt hat, hat sich auch den Verstand abgeheult, und sie haben ihn
erschießen müssen; denn der Hackelberg --«
Der Erzähler brach ab und horchte -- käsebleich.
»Wod! wod! wod! hoho, hu, kliff und klaff!« lachte der Korporal noch;
aber dann horchte auch er mit allen übrigen starr und atemlos in das
Gebrause und Gesause draußen vor Radebreckers Mühle. Durch das Tosen der
Windsbraut klang es: Hoho, wod! wod! und dazu das Uhu der Tutursel. Es
kam wie Hundeblaff und dann vom Sturm zerrissen der Klang eines
Waldhorns, das zum Halali blies! Die Jungfer Doris wollte noch einmal
den jachen Schrecken der Mannsleute hellkreischend weglachen; doch da
tat's einen Schlag an die Tür, und dann wurde mit einem Kolben ein
Fenster eingestoßen, daß die Glasscherben splitternd zwischen die
Gesellschaft fuhren. Die Öllampe erlosch im Windzug, doch von draußen
fiel Laternenschein in die Stube, und viele rauhe Stimmen ließen sich
nebst den Hunden um die Mühle hören.
»Im Namen Seiner Majestät, König Georg des Zweiten!« rief jetzt über
alle anderen Stimmen eine im Kommandotone weg, und eine zweite schrie
womöglich noch gebieterischer: »^De par le Roy -- sa Majesté Louis
Quinze, de France et de Navarre!^« Die Haustür zersplitterte gleichfalls
unter den Büchsenkolben der Einlaß Begehrenden, und es kam wieder
Vernunft in die Kumpanei!
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