Die Innerste: Erzählung - 6

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Sie fuhren mit den scheußlichsten Flüchen durcheinander und suchten nach
Auswegen und fanden sie allesamt versperrt und besetzt. Da kamen
allerlei Waffen -- Messer, Knittel, ja auch Feuergewehre zum Vorschein,
doch alles das und die beste Courage dazu konnte wenig mehr fruchten.
Der gute Meister Radebrecker fing mit einem Male an zu schluchzen und
laut zu weinen und setzte den Mut seiner liebsten Gäste dadurch unter
Wasser. Die Störenfriede, die Hausfriedensbrecher hatten doch über
bessere Waffen -- Jägerbüchsen, Hirschfänger und Musketen mit
aufgepflanzten Bajonetten zu verfügen, und nach einem kurzen Geraufe,
halb im Dunkel und halb im Laternenschein -- einem Tumult, in welchem
auch ein weniges Blut floß, war alles in der Buschmühle geordnet nach
Wunsche Seiner kurfürstlich hannöverischen Durchlaucht und
großbritannischen Majestät Georg ^Rex^ trotz der fränkischen Besatzung
des Landes.
Sie fingen sie alle, und eine Stunde später war alles bereit zum
Abmarsch in Kolonne nach Lautenthal. Die Jungfer Doris ging allein
ungebunden im Zuge; den übrigen waren sämtlich die Hände mit tüchtigen
Stricken auf dem Rücken zusammengeknebelt. Dem armen einarmigen Korporal
Jochen Brand hatte man wenigstens ein Seil um das linke Handgelenk
gelegt, und er marschierte im gleichen Schritte höchst verwundert hinter
dem französischen Korporal und Leutnant, die das Füsilier-Detachement
kommandierten, welches sich die kurfürstlichen Forstmeister und
Amtmänner von Wildemann und Lautenthal zu ihrer nächtlichen Expedition
als Beihülfe vom Kommandanten von Goslar verschrieben hatten. Er machte
nicht einmal den Versuch auf diesem Marsche, die fremden Kameraden zu
der Überzeugung zu bringen, daß er besser sei als die Gesellschaft, in
der man ihn gefunden hatte. Auch die Innerste ging still durch den
stürmischen Wald mit; was sonst noch von den kurfürstlichen und
königlichen Jägern, Justizleuten und den fremdländischen Kriegsmännern
mitgenommen wurde, fluchte bis auf den Meister Radebrecker, der sich am
wenigsten in das Ding zu finden wußte und seinen Tränen den freiesten
Lauf ließ. Leider hatte man aber ihm auch die Hände am festesten auf dem
Buckel zusammenschnürt.


Elftes Kapitel.

Und die Innerste wurde sehr schlimm im Laufe des nächsten Monats.
Gewaltige Regenstürme brachen mit dem rasenden Winter über das Gebirge
herein, und alle Waldwasser schwollen auf wie seit Menschengedenken
nicht. Nun toste die Hexe zwischen den Felsen und Fichten und verübte
Unheil, so viel sie vermochte. In Wildemann und in Lautenthal hatte das
Hüttenvolk bei Tag und Nacht zu wehren, daß sie nicht alles ruinierte;
aber in der Sägemühle zwischen den beiden Bergstädten befand sich
niemand mehr, der ihr wehren konnte. Da trieb sie ihr tolles Spiel nach
Herzenslust. Sie nahm das alte Rad in Trümmern mit; sie brach in das
Haus und bedeckte alles, so weit sie reichte, mit Kies und Puchsand. Sie
zerfraß die Wände und warf die Pfosten um; wie eine Tigerkatze spielte
sie da mit ihrer Beute.
Radebreckers Mühle stand für immer verlassen seit jenem Abend, wo die
ewige Gerechtigkeit ihre Hand vermittelst der Hände der nächsten
Behörden dranlegte. Nach den hannoverschen Grünröcken und den bunten
Jacken des Herzogs von Richelieu bei Nacht waren noch einmal gar würdige
Herren in schwarzen Röcken und amtsmäßigen Perücken bei Tage dagewesen,
hatten noch einmal eine genaue Untersuchung des Ortes angestellt und
auch mancherlei Dinge zum Kopfschütteln, Aha und Oho gefunden. Nachher
mochten Eule, Wolf und Luchs ihr Quartier da aufschlagen; das peinliche
Gericht kümmerte sich nicht weiter drob. Was von den Ruderibus noch für
Menschenbedürfnis zu brauchen war, das wurde im nächsten Frühjahr und
Sommer so nach und nach abgeholt von Leuten der Umgegend, die altes
Eisenwerk gebrauchen und dergleichen nicht am rechten Orte kaufen
wollten.
So war es im Harz. Wir aber folgen dem Laufe der Innerste wiederum in
die Ebene hinaus.
Greulich wälzte sich den ganzen November durch die trübe Flut in das
Hildesheimische, und manchen Ortes bekam mehr als ein braver Mann
Gelegenheit, sich ein Lied von den zeitgenössischen Poeten zu verdienen,
kriegte jedoch, so viel uns bewußt ist, keines. Auch die Mühle zwischen
Groß-Förste und Sarstedt hatte ihre liebe Not, sich der bösen,
schlammigen Strudel zu erwehren; und was man an Tischen und Bänken und
sonst dergleichen auffing an dem Wehr, damit hätte man beinahe einen
vollkommenen Haushalt einrichten können.
Aber der junge Meister Bodenhagen hatte einen eingerichteten Haushalt.
Er zog das angeschwemmte Geräte nur aufs Trockene und wartete, daß die
richtigen Eigentümer kamen und es wieder abholten. Einmal kam auch eine
leere Wiege die Innerste heruntergeschwommen, aber auch deren bedurften
Müller und Müllerin nicht; -- sie hatten vorsorglich eine solche bereits
auf dem Hausboden stehen und wollten sich von der Innerste am
allerwenigsten eine schenken lassen. Am fünfzehnten Dezember kam wieder
Besuch -- unerwarteter Besuch -- ein Gast, der jetzt zum dritten Male
eingekehrte und im Februar versprochen hatte, daß er erst zur Taufe
wieder erscheinen wolle; -- um aber zu taufen, mußte doch erst das
Kindlein vorhanden sein und die Wände beschreien! Der Gast aber sah
gerade nicht danach aus, als ob er noch sehr zu dergleichen Festivitäten
und sonstigen häuslichen und öffentlichen Lustbarkeiten aufgelegt sei.
Der Korporal Jochen Brand kam mit wunden Füßen, halb verhungert, in
Lumpen, daß es ein Abschreck war, und um allem die Krone aufzusetzen,
aus dem Gefängnis zu Wildemann.
»Wenn ich seit Torgau unter den Toten in der Grube gelegen hätte, könnte
ich mir selber nicht zum größeren Abscheu sein!« ächzte er, vor dem
erstarrten, die Hände zusammenschlagenden jungen Paare in der Mühle auf
die Bank fallend. --
Sie kriegten einen guten Schrecken durch die Art und Weise, wie er sich
plötzlich in ihrer durch die junge Hausfrau so zierlich und reinlich
gehaltenen Stube präsentierte. Der Frau Lieschen brach der Faden und
stand das Spinnrad still, dem Meister Albrecht fiel die Pfeife aus dem
Munde, und Laudon, der Spitzhund, hatte noch nie einen Bettelmann so
außer sich und so giftig angebellt als diesen zerfetzten Wanderer.
Mit ^Bonjour^ und ^Serviteur^ kam der Korporal diesmal nicht herein, und
Gegenfragen des Befindens wegen legten ihm die Müllersleute auch fürs
erste nicht vor. Nachdem sie sich von dem ersten Schrecken erholt
hatten, griffen sie um so werktätiger zu. Der Meister faßte den
erfrorenen und verhungerten Kameraden unter den Armen und setzte ihn
bequemer zurecht. Die junge Frau schürte hastig das Feuer im Ofen, und
die alte Steinkruke mit dem Weckauf, dem Nebeldrücker und dem
Lerchentriller kam vor allem anderen schnell in den Gebrauch. Der
Korporal machte jedoch heute keine lustige Bemerkung darüber.
Sie kamen mit dem letzten Schinken vom vorigen Jahre, der noch die
Hochzeit überlebt hatte, und sie brachten die beste Wurst vom letzten
Schweineschlachten. Dann aber kamen sie mit einem Kübel warmen Wassers
und warmen Tüchern, und dann -- brachte der Müller Albrecht Bodenhagen
seinen einstigen Unteroffizier zu Bett in einer warmen Kammer.
Da lag der Korporal und schlief vom Mittag bis zum Abend, worauf er
erwachte und mit matter Stimme dem Meister berichtete, was er erlebt
hatte seit seinem letzten Besuche im Auftrage der Innerste.
So schwach und hinfällig hatte er in seinem ganzen Leben nicht von
seinen Abenteuern erzählt, und der Meister Bodenhagen mußte sich oftmals
tief zu ihm niederbeugen, um ihn verstehen zu können. Wenn wir ihm Wort
um Wort folgen wollten, so dürften wir manches zu verzeichnen haben, was
die schwärzeste Tinte gelb machte, und manchen Satz, der von der Leserin
sicherlich nicht mit Bleistift oder Stricknadel unterstrichen werden
würde, auf daß die liebe Freundin ihn auch ohne Mühe auffinde,
vorauslese oder ihn gar ausschreibe.
Es gab in dieser Zeit wahrhaftig Spitäler die Hülle und Fülle auf
deutschem Boden. Der dritte schlesische Krieg wußte dafür zu sorgen und
war nicht blöde, zuzugreifen und Kirchen und Rathäuser zu nehmen, wo die
Räumlichkeiten nicht sonst ausreichten. In Torgau und um Torgau her in
den Ortschaften, die nicht in Flammen aufgegangen waren, lag's
augenblicklich, das heißt seit dem dritten November, wieder einmal recht
voll, und geflucht wurde dort sicherlich mehr als gebetet. Aber der
Korporal Jochen Brand allein in seiner kommoden Kammer in der Mühle
leistete das Seinige im ersteren vollauf, und den Rechtsherren im Harz
mochten wohl die Ohren erklingen ob der Segenssprüche und ernstgemeinten
Herzenswünsche, die ihnen da zugesendet wurden.
Wir begnügen uns mit einem Auszuge der Relation des Korporals; aber wir
können einen Eid darauf ablegen, daß sich alles so verhielt, wie der
Einarm dem früheren Kameraden erzählte, während die junge Frau drunten
das Hauswesen versorgte.
»Ich hätte es schon wissen können, wie's mir ergehen würde, als mir der
Feldscherer in Minden den Laufpaß schrieb,« seufzte der Invalide. »Aber
als ich im Februar hier die Kameradschaft grüßte, hing mir der Himmel
doch noch voller Geigen, und ich meinte, sie müßten mir doch auf mein
Heldentum ein Weniges zugute tun. Prost Mahlzeit! Ich bin nach Hause
gekommen mit meinem leeren Ärmel nach Grund, und ich bin richtig
zugrunde gegangen im Sumpfe, wie es Sitte ist seit den Feldzügen der
Könige in der Bibel und des Generals Julius Cäsar. Aber es geschah mir
schon recht: weshalb ließ ich den Feldscherer gewähren und mir den
Stumpf verbinden? weshalb setzte ich mich auf Wassersuppen und sonstige
schmale Kost? Die Vetternschaft hat mich natürlich auf die letztgewohnte
Verpflegung verwiesen, und aus dem Korporal wurde der Landstreicher im
Handumdrehen. Der Verwandtschaft zu Grund möchte ich den Hals umdrehen;
aber der Meister Radebrecker soll leben: vivat hoch! -- Musketier
Bodenhagen, es wird Ihm sonderbar sein, es zu vernehmen; aber zu ändern
ist's nicht mehr; Sein Buschmüller dreht sich im Winde, wie der Wind
will, und die Raben erlustieren sich an ihm nach ihrem Gefallen: wer
sollte ihm noch ein Vivat ausbringen, wenn ich's nicht täte -- he?! --
Philister über dir! sie hatten uns alle fest, und ich saß an seinem
Tische, an seinem Ofen, und er traktierte wie ein braver Spitzbube. Sie
kamen uns wie der Hackelberg über den Hals und nahmen uns allesamt mit
und ließen selbst die Doris nicht zurück, um das Haus zu hüten.
Paarweise ging's zwischen den Büchsen und Musketen ins Prison, und die
Innerste ging mit! Du, Albrecht, bist immerdar ein Kind gewesen und
bleibst eins; aber ich war meinerzeit ein Mann und ein Kerl, wenn ich
auch jetzo hier liege und alle Vier von mir strecke. So machte ich mir
wenig daraus und ging gutwillig mit den anderen: Gefangenkost zwischen
vier dichten Wänden war immer noch nahrhafter und wärmer als Eicheln,
Buchecker und Tannenzapfen in freier Luft; aber es wäre mir doch beinahe
zu teuer zu stehen gekommen, daß ich mich auf meine Unschuld zu feste
verließ. Auf grünem Felde, und wenn ich den Feind dreißigtausend Mann
stark anmarschieren sah, habe ich gelacht vor Fußvolk, Reitern und
Geschütz und mich auf mein Sponton verlassen; aber vor dem grünen Tisch
ist mir das Lachen doch bald vergangen. Wenn ich's der jungen Frau
verzählen würde, was da von wegen der Buschmühle zur Sprache kam, so
würde sie ihr Lebtage nicht wieder von Rosen, Goldlack und
Vergißmeinnicht träumen. Da lob' ich mir ein Kriegsgericht, damit geht's
doch wenigstens rasch: marsch zurück in Reih und Glied oder marsch vor
die neun Flintenläufe oder zwischen die Spießruten! So ging's zu
Wildemann nicht. Da mußten sie alles zu Papier haben und das meiste
doppelt und dreifach, und was wir um unsere Sünden und -- unsere
Unschuldigkeit da ausgestanden haben, das haben wir an niemandem
gesündigt. Die Doris ist die einzige gewesen, welche die Nase hoch
behalten hat. Als sie ihr mit der Tortur drohten, hat sie gelacht und
sich wirklich davon weggelacht; vom Zuchthause aber hätte sie sich wohl
nicht freigelacht, dazu mußte sie die Reserven ins Feuer rufen, und,
Musketier Bodenhagen, bei Gott -- sie fliegt frei und kann Ihm jeden
Augenblick die Hand auf die Türklinke legen. Der anderen hängen sechs
wie die Krammetsvögel im Dohnenstiege, und der Meister Radebrecker als
Galgenmajor in der Mitte. Ein halb Dutzend haben sie in Eisen nach Celle
transportieret; zwei haben sie noch sitzen im Gewahrsam, mich haben sie
mit einem lateinischen Spruch laufen lassen, und -- Seine Doris, sitze
Er still, Kamerad! -- die Innerste hat sich selber ranzionieret. Am Tage
vor dem Urtelspruch, oder vielmehr in der stichdunklen Winternacht, ist
sie an der Feuerleiter am Turm heruntergestiegen; und wenn ich meine
Ahnung habe, wer von der Jägerschaft zu Lautenthal ihr die Leiter ans
Fenster gelehnt und ihr die Feile zugeschoben hat, so will ich doch
lieber auch noch den letzten Arm drangeben, als hier gegen Ritter und
Fräulein den Angeber spielen. In der Buschmühle haben wir leider Gottes
auch von dir gesprochen, Bodenhagen, und so wahr ich wirklich und ohne
Lüge meinerzeit der wilde Brand gewesen, so wollt' ich um dein arm,
lieb, jung Weib, du wärest sicher vor der Innerste, Musketier Albrecht
Bodenhagen!« -- --
Der Müller saß in seinem reinlichen weißen Müllerhabit am Bette des
guten Kameraden, des tapferen und ehrlichen Soldaten, der sich aus aller
Verruchtheit und Verwirrung der Zeiten solch ein braves, frei und kühnes
Herze mitgebracht hatte nach Grund in den Bettelstand. Und der Müller
sah wahrlich nicht aus, als ob man ihn jemals den wilden Bodenhagen
genannt haben könne. Was Vater und Mutter nach seiner Heimkehr aus dem
Kriege von dem alten Adam an ihm übrig gelassen hatten, das hatte
Jungfer Lieschen Papenberg von Papenbergs Hofe in Groß-Förste gründlich
ihm vom Rocke abgebürstet.
Nachdem der Korporal erzählt hatte, sprach oder stotterte der Musketier
seinerseits ein Langes und Breites über die Innerste, die Buschmühle,
Radebreckers Tochter, Jungfer Doris Radebrecker, und der kriegs-, weg-
und weltmüde Kamerad hörte ihn im Halbschlafe an und murrte nur von Zeit
zu Zeit ein beifällig Wort. Aber trotz Schlaf und Mattigkeit hatte der
Müller Bodenhagen hier einen Beichtvater, wie er keinen gleichen weder
im Dom, noch zu Sankt Godehard und Sankt Michael in Hildesheim gefunden
haben würde. Mit beiden Armen umfaßte er zuletzt den treuen Freund und
seinen wackeren Unteroffizier und rief:
»Jochen, wenn einer, seit er in der Welt ist, im Traume geht, so bin ich
das. Wenn einer sich nie zu schicken gewußt hat, so bin ich's. Was mein
seliger Herr Vater aus dir gemacht haben würde, kann ich nicht sagen;
aus mir hat er das gemacht, was ich gewesen bin. Aber mit dir hab' ich
doch in mehr als einer Bataille und Scharmützel Schulter an Schulter
gestanden, und du kannst mir das Testimonium geben, daß ich getan habe,
was die anderen taten, und ein Mehreres prätendiert selbst unser
Herrgott im Himmel nicht von unsereinem. Du bist mein Kriegsbruder und
Korporal gewesen und hast auch das Deinige an mir getan --«
Hier lachte der Mann im Bette trotz seiner Schwachheit; doch der andere
fuhr fort:
»Und der Oberst Colignon hat doch zu Hunderten und Tausenden Volk vom
Ofen, von der Straße, von der Schulbank, dem Handwerk und dem
Schreibetisch weggeholt, was leichter wog als ich. Ach, Jochen Brand,
wie viele Menschen gehen auf Erden, die nichts von sich wissen, und
denen es erst die anderen sagen müssen, was sie sind. Und wenn die
Zeiten still sind, dann erfahren sie's wohl niemals und werden achtzig
Jahre und bleiben, was sie waren, als sie zuerst ins Licht guckten. Aber
anjetzo bei Krieg, Blut und Brand haben die, welche in die Welt kommen
wie aus einem Schmiedeofen, gut lachen und _die_ Nasen rümpfen. Ich aber
wollte, mein Lieschen und ich, wir säßen auf einer wüsten Insel und
wären mit uns allein und kein Zugang zu uns bis an unser seliges Ende.«
»Groß Wasser rundum! Aber schreien dürfte es nicht, wie die Innerste
schreien kann,« murmelte der Korporal, und der Müller sagte nur:
»Ja!«
Dann hörte man den leichten Tritt der jungen Frau treppaufwärts kommen,
und der Korporal brummte:
»Jetzt laß mich erst ausschlafen. Drei Tage brauche ich dazu. Schaff
aber den Laudon ab -- den Mylord Sackville meine ich; er hält dir die
Innerste doch nicht vom Leibe mit seinem Gekläff. Heute weiß ich noch
nicht, was oben und was unten an mir ist; aber komme ich wieder auf die
Beine, so will ich dir zum Dank für Quartier und Menage und um des
lieben Herzens deiner Frau willen den Hofhund spielen. An die Kette
braucht ihr mich gerade nicht zu legen, denn davon hab' ich fürs erste
genug gehabt im Turme zu Wildemann.«


Zwölftes Kapitel.

Am fünfzehnten Dezember war der Korporal in die Mühle eingerückt, aber
am zwanzigsten erst stand er wieder auf den Füßen, ohne sich an die Wand
lehnen zu müssen. Auch das hatte er einzig und allein dem Quartier zu
danken; denn selten war ein königlich preußischer einarmiger
Unteroffizier so trefflich verpflegt worden wie der brave Jochen Brand
aus Grund von dem Müller Bodenhagen und seiner Frau Liese.
»Ich wollte, mein Mütterchen könnte vom Himmel aus observieren, was Sie,
junge Frau, an ihrem Jungen tut,« sagte der Kriegsmann jeden Tag
wenigstens ein halb Dutzend Male mit möglichst fester und mannhafter
Stimme. »Wissen aber möchte ich, was solch ein armer Bettelmann Ihr
dafür wieder zugute tun kann, Frau Bodenhagen?«
»Vorlieb soll Er nehmen, Korporal,« sagte dann die Müllerin. »Warte Er
aber nur bis zum heiligen Christ, da kann Er dann beim Kuchenbacken
helfen, und wenn Er da Seine Sache so gut macht wie bei Minden oder
sonstwo, so kann Er auch sonst noch Sein blaues Wunder erleben.«
»Dieses glaube ich, ohne daß Sie es beschwört, Lieschen; denn daß man
eine Tanne aus dem Holze holt und mit Lichtern putzt und Weihnachten
feiert, das ist mir durch den Krieg, als ob's vor tausend Jahren Mode
gewesen wäre. Der König und die Kaiserin und die Franzosen, Russen und
Schweden haben solches Pläsier gründlich abgeschafft, und selbst in den
Winterquartieren hat man keine Zeit dazu gehabt. Wenn mir aber mein
leerer Ärmel es zuwege bringt, daß ich noch einmal die Festtagsglocken
läuten höre wie vordem, so schreibe ich einen Brief an den französischen
König Louis und bedanke mich noch gar schön für seine sakermentsche
Kanonenkugel bei Minden. Übrigens ändert sich das Wetter wiederum. Der
nichtsnutzige Stummel brennt heute wieder zehnmal ärger als gestern.« --
--
Das Wetter änderte sich zum Frost, und wir haben zum hundertsten Mal ein
Wort über die Innerste zu sagen.
Wenn nämlich der junge Müller vorhin meinte, daß er am liebsten mit
seiner jungen Frau von aller Welt abgeschnitten auf einer Insel im
Wasser wohnen möchte, so war sein Wunsch zu zwei Dritteln in Erfüllung
gegangen. Die Innerste stand ihm auf zwei Seiten um das Haus, trat auf
den Hof und überschwemmte den Garten bis unter die Fenster seiner Mühle.
Noch eine Spanne höher, und sie stieg ihm in das Haus und machte ihm
einen Besuch in der Stube. Seinem Wunsche zum Trotz hatte der Meister
Albrecht große Sorge darob.
Gegen Groß-Förste zu war alles ein gelber Spiegel; in der Stadt Sarstedt
war die Not ebenso groß wie das Wasser, und in der Stadt Hannover, wo
die Ihme und die Leine das Ihrige dazu taten, wie das landläufige und,
genau besehen, sehr schlimme Wort sagt, -- Holland in Not!
Den ganzen Zwanzigsten über wartete die Hausgenossenschaft mit Spannung
auf der Schwelle die weitere Bosheit der Innerste ab. Meister Albrecht
und seine beiden Knappen -- er hatte sich jetzt zwei Gesellen ins Gewerk
getan -- legten alle Viertelstunde den Zollstock an; aber gegen Abend
erwies sich des invaliden Gastes Armstumpf als ein hauptsächlicher
Prophet. Es wurde bitter kalt und das Wasser fiel.
Die Innerste zog sich wieder zurück von dem Hause, aus den Stallungen,
vom Hofe und aus dem Garten gegen ihr gewohntes Bett. Auch die Wege nach
der Stadt und den umliegenden Dörfern wurden allgemach wieder frei. In
der Nacht vom Zwanzigsten auf den Einundzwanzigsten legte sich eine
leichte Eisdecke über den Fluß, und am Dreiundzwanzigsten trug das Eis,
wenn nicht einen ausgewachsenen Mann, so doch ein Kind. Es kam auch ein
Kind, ein kleines Mädchen von Groß-Förste herüber, bestellte einen
schönen Gruß und brachte die Botschaft, daß die Leute von Papenbergs
Hofe gern am ersten Festtage nach der Kirche zur Weihnachtsfeier kommen
wollten; sonsten aber sollte das junge Ehepaar den heiligen Abend allein
und für sich nach seinem Pläsier und Gusto feiern.
»Wir sind zu drei mit den Mägden und den Gesellen uns auch genug,
Jochen,« sagte der Müller, und der Korporal meinte: »Mir ist's recht.«
Es war aber doch ein eigen Ding diese ganzen Tage durch mit dem
Korporal. Er war nicht als der Alte vom Bette aufgestanden. Es »murxte«
etwas in ihm; was das sei, wußte er freilich selber nicht. Still und
nachdenklich, doch nicht unfröhlich schlich er umher, und am
Dreiundzwanzigsten holte er sich des seligen Meister Christians große
Bilderbibel vom Schranke und saß fast den ganzen Tag darüber.
Die junge Frau guckte ihm von Zeit zu Zeit über die Schulter, und dann
sah er jedesmal ihr mit einem Kopfschütteln in die klaren, freundlichen
Augen, und mehrmals sagte er auch ganz weichmütig: »So wunderlich kurios
ist mir noch nie zumute gewesen, Frau.«
»Das macht das Ungewohnte, Herr Kamerad,« meinte die Müllerin. »Er hat
die alten Bilder eben lange nicht umgeblättert. Wenn ich Zeit hätte,
wollte ich mich wohl zu Ihm setzen und mit ihm die Hirten und Engel und
die Propheten und die ausländischen Kamele und Palmenbäume besehen. Als
Mädchen hab' ich mir in diesen Tagen immer ein Stündchen dazu
übergespart. Es ist so heimelig, wenn's draußen so kalt ist und in der
Stube so warm und der Kuchen durchs ganze Haus riecht. Es gehört alles
zueinander und --«
»Sakerment!« schrie der Korporal, auf das alte Bilderbuch schlagend,
»und kein Mensch sollt's für möglich halten, daß der Broglio heute noch
in Kassel sich verschanzt hält! O Frau Liese, Sie kann doch nicht so
darüber reden wie ich, der ich verstümmelt aus dem Kriegsleben komme und
alle großen Bataillen des Königs Fritz und des Prinzen Ferdinand
mitgemacht habe! Sie sollte es probiert haben im Spital zu Minden und
dann unter der Vetternschaft zu Grund und dann in Radebreckers Mühle und
zu guter Letzt im Prison zu Wildemann und dann sich plötzlich finden
hier in der Friedlichkeit und Stilligkeit. Kotz Blitz, will Sie Ihr
lieblich Heimwesen besser kennen als ich? Eins sage ich Ihr: keiner soll
mir dran rühren -- beim lebendigen Gott und so wahr ich Jochen Brand
heiße!«
Die junge Frau war sehr erschreckt vor der ungebührlichen Aufregung und
dem Fluchen und Räsonnieren ihres Gastes zurückgefahren.
»Nehme Sie es nicht übel, Lieschen. Ich wollte, ich könnte deutlicher
sagen, was ich im Sinn und Herzen habe,« seufzte der Korporal. »Aber da
draußen Albrecht hat recht, und in dieser Minute absolvier' ich ihn ganz
und gar, und er soll das Seinige behalten; niemand -- nicht Mann und
Weib soll ihn drin verstören, so lange ich's hindern kann.«
»Wie meint Er denn das, Korporal?« fragte die junge Frau scheu; doch
plötzlich griff sie sich an die Stirn und rief, ganz bleich werdend:
»Jesus, Jesus -- es ist ja wahr! Das Jahr geht zu Ende und sie hat ihren
Willen nicht gekriegt!«
»Jetzt gibt Sie mir eine Nuß zum Knacken, Frau Meisterin!«
»Die Innerste meine ich, Korporal Brand! An dem Tage, als die Mutter
gestorben ist, hat sie geschrien, und diesmal habe auch ich mit meinen
Ohren sie schreien hören, so wahr ich lebe!«
»Pu-u-uh!« machte der Korporal und versuchte noch einmal so auszusehen
wie in früheren Tagen, wo er den Hut am liebsten schief auf dem Ohr
trug. Es kam aber eine Visage dabei heraus, die allzu sehr nach jenem
Oktoberabend in Radebreckers Mühle aussah, um vergnüglich sein zu
können.
»Mache Sie sich selber keine Dummheiten weis,« brummte er und fügte
sonderbar mürrisch hinzu: »Übrigens aber, Frau Liese, ist ein schwarzes
Huhn im Notfall immer noch zu beschaffen.«
»Ich kriege auch meinen Albrecht noch dran!« rief die Müllerin; dann
aber wurde sie von einer eiligen Magd abgerufen, und der Korporal war
wieder allein.
»Wunderlich, wunderlich, wunderlich!« murmelte er, eine der Bildtafeln
in der großen Bibel umschlagend. »Ich habe aber mal im Lager bei Krefeld
verzählen hören, daß auch der König Fridericus solcherlei Anwandlungen
habe. Na, vor Hochkirch hatte er aber keine dergleichen; also verlassen
kann man sich auch darauf nicht.« -- --
Am vierundzwanzigsten nachmittags drei Uhr war weißer Sand frisch
gestreut in der Stube, und der Korporal wagte kaum noch aufzutreten, als
er die Blumentöpfe im Fenster scharf in Reihe und Glied rückte. Als die
Dämmerung kam, ging ihm auch die Pfeife aus, und um fünf Uhr saß er
still mit dem Müller -- seinem früheren Musketier -- auf der Ofenbank
und blickte durch die Dämmerung mit einer Art von drolligem Respekt auf
die noch dunkle Weihnachtstanne, an deren Aufputz er selber mit geholfen
hatte. Die junge Frau vernahm man in der Küche, und jetzt legte der
Einarm dem Kameraden fast zärtlich die Hand aufs Knie und sagte:
»Kerl, ich habe oft meinen Jokus an dir gehabt, aber diesmal ist's mir
Ernst mit dir! Es ist eine Kriegswelt, und ohne deinesgleichen hätten
wir anderen uns schon längst untereinander aufgefressen. Deshalb gibt's
von deinesgleichen am mehrsten auf Erden -- der Herrgott hat's so
eingerichtet, und er muß Bescheid wissen. Und weil dieses so ist, so
bleib bei deiner Natur, halte dein Haus rein, sei vergnügt mit deinem
Weibe und kümmere dich nicht um Dinge, in die du hineingeraten bist wie
der Esel in die Dragonerremonte. Augenblicklich aber habe ich dir wie
mir nichts weiter zu wünschen, als daß der Christabend zu Ende gehe, wie
er jetzo angefangen hat.«
Vergnügte Weihnachten! Eine Stunde später war die ganze Bewohnerschaft
der Mühle um die lichterglänzende Tanne versammelt, und der Korporal
Brand hielt der Abwechselung wegen den leeren Ärmel mit den Zähnen; er
hatte sich mit dem Aufschlage die Augen gewischt, und da er seit seinem
Auferstehen vom Bett ganz und gar in einem Kostüm seines Kameraden und
Wirtes stak, so wußte er mit den Knöpfen daran noch nie so gut Bescheid
wie mit jenem einzelnen Knopf, der ihm im Oktober von der Montur Seiner
Majestät des Königs Friedrich von Preußen allein übrig geblieben war.
Arm in Arm standen Müller und Müllerin vor dem Tisch mit dem
Tannenbaume, und ein jeder der zwei Mühlknappen hatte seinen Arm um die
Hüfte einer der beiden kichernden Mägde der Frau Lieschen Bodenhagen
gelegt. Daß der Marschall Broglio zu Kassel lag und die Vorposten der
Franzosen über Göttingen und Einbeck und bis in den Harz hineinstanden,
kümmerte keinen in der Mühle bei Sarstedt an der Innerste. Sie sahen die
Lichtlein und goldenen Äpfel funkeln, sie knackten ihre Nüsse wie die
Eichhörnchen im Neste, und dann saßen sie und sahen die Lichter an ihrem
Weihnachtsbaum niederbrennen, und die drei Weiber sangen ein
Weihnachtslied, in das die Mannsleute hinter ihren Tonpfeifen
hineinsummten.
»Die Welt ist im Krieg; wir aber gebrauchen die gute Stunde, Frau
Meisterin!« rief der Korporal fröhlich.
»Das sage ich auch,« sprach die Frau Meisterin.
»Für das, was sonst kommen kann, haben wir ja auch die vier Büchsen
geladen an der Wand, Jochen,« meinte der Müller. »Im vorigen Monat, als
du ruhig im Turm lagst und der Franzos bei Einbeck sich verschanzte, ist
das Gesindel oft genug an der Tür gewesen. Die Schererei reißt nicht
ab.«
Die beiden Mühlknappen gaben auch ihr Wort dazu; das letzte Lichtlein an
der Tanne brannte herunter.
»Heidi!« rief der Korporal; und der Müllerin kleine Blechlampe lieferte
wieder das einzige Licht für die Stube und Kumpanei. Nun schnurrten die
Spinnräder wieder, die Männer schmauchten und tranken und sprachen von
allerlei Abenteuern, die sie erlebt hatten, jedoch mit »Modestität«, und
daß auch das Frauenzimmer sein Behagen dran haben konnte.
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