Die Innerste: Erzählung - 2

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Alte an der Nase ziehen, drehen und wenden und das Messer gewähren; aber
nachdem das glattmachende Werk an ihm vollendet war und er den Schaum
abgetrocknet hatte, winkte er dem Sohn auf den Stuhl, und der
kriegerische Schnauzbart desselben fiel dem Messer geradeso zum Opfer
wie die Wochenstoppeln des Vaters. Der tapfere Kriegsmann ging mit einem
ganz anderen Gesicht aus der Prozedur hervor, und die Hausgenossenschaft
wie die Umgegend hatten von neuem Grund, sich zu verwundern.
Es war doch etwas an dem Wort des Alten vom Hasen im Marderpelze! Eine
gar gutmütige und augenblicklich gar melancholische Menschenvisage kam
hinter dem grimmen Bart zum Vorschein. Es fehlte weiter nichts als eine
weiße gestrickte Zipfelkappe zu einer weißen Müllerjacke, und als am
Sonntagmorgen die Mutter mit Freudentränen im Auge dem Söhnchen beides
brachte, und er mit der Kappe über den Ohren zur morgendlichen Biersuppe
schlich, da mangelte nichts an der Verwandlung zum Besseren, und die
Böswilligsten und Mißtrauischsten mußten zugestehen, daß sie doch wohl
an dem »wilden« Bodenhagen sich geirrt haben könnten. Nun fehlte bald
wenig, daß der verlorene Sohn durch das halbe Fürstentum Kalenberg und
das ganze Fürstentum Hildesheim als ein Muster aufgestellt worden wäre.
Entrüstete Väter und betrübte Mütter waren jetzo um so geneigter Beifall
zu nicken, als sie vordem den braven Albrecht als schlechtes Exemplum
für ihre eigenen wilden Sprößlinge verwünscht hatten. Auch die Jungfern
in der Stadt und auf dem Lande guckten auf und hin, und manch ein
Mägdelein machte sich ein Geschäft in der Mühle, das ein anderer ebenso
gut oder besser hätte ausrichten können.
Am 1. August fiel die Schlacht bei Minden, und am 12. desselbigen Monats
die bei Kunersdorf vor, in welcher es dem alten Fritz so herzlich
schlecht erging. Nach der letzten Bataille verschwand eines Tages der
Knappe Dörries aus der Mühle; er war nach Pattensen auf den Jahrmarkt
gezogen, sich einen vergnügten Tag zu machen und eine neue Mütze zu
kaufen. Beides soll er zustande gebracht haben, dem Gerüchte nach; aber
auf den vergnügten Tag folgte auch eine kreuzlustige Nacht; der gute
Barthold ist nicht nach der Mühle zurückgekommen; der Oberst Colignon
hatte auch ihn, und schon am 21. November hat ihn bei Maxen ein Stück
von einer Haubitzgranate des Feldmarschalls Daun zu den übrigen auf den
Boden gelegt. Es war schade um ihn, und der König Friedrich ist nachher
auch sehr ergrimmt darob auf den Herrn General von Fink gewesen, hat ihn
vor ein Kriegsgericht gestellt und auf die Festung gesetzt, aber den
guten Barthold nicht wieder lebendig dadurch gemacht.
Meister Christian Bodenhagen in der Mühle an der Innerste nahm keinen
andern an seiner Statt an. Er hatte ja seinen Sohn zurück und konnte ihm
aufladen, was ihm beliebte; und Vater, Mutter und Kind waren und blieben
allein und feierten Weihnachten im engsten Familienkreise. Man hat
diesmal aber nicht gesehen, daß sie einen Tannenbaum mit goldenen Äpfeln
und Nüssen behängten und mit Lichtern besteckten. Es wäre auch schade um
den Baum gewesen, denn in diesem Jahre schwamm der ganze Torgauer Wald
die Elbe hinunter nach Hamburg und durch des Obersten Colignons
Werbetaschen so nach und nach in die Taschen von sechzigtausend neuen
Rekruten. Und was an gutem Holz in den Lagern von Dresden, Freiberg und
Dippoldiswalde in den Brandhütten der Österreicher und Preußen in Rauch
aufging während des harten Winters, ist von der gütigen Mutter Natur
auch erst lange Zeit nachher ersetzt worden.
Um Weihnachten drehte sich das Rad noch; aber dann kam der Frost, die
Innerste wurde zu Eis, und die Mühle stand still. Da hat man Zeit
gehabt, allerlei miteinander zu überlegen, und über allerhand
Vergnügliches und Zärtliches zu einem festen Beschluß zu kommen. Bald
hat man es weit und breit gewußt, daß der Vater Bodenhagen mit großem
Nachdruck von dem Sohne verlangt habe, er solle ihm nun auch eine junge
Frau ins Haus bringen und zwar schon zu Ostern des kommenden Jahres.
Rundum haben die Jungfern aufgehorcht; aber auch nicht wenig die Näschen
gerümpfet, als sie zu dem übrigen vernahmen, daß sie keine Stimme bei
dem Handel haben sollten, daß derselbige schon so gut wie abgemacht und
durch Handschlag zwischen den Eltern besiegelt worden sei; daß der
Albrecht ja gesagt habe, ohne sich lange zu zieren und zu besinnen, und
daß die Braut zu Groß-Förste sitze und wirklich niemand anderes sei als
Lieschen Papenberg, des Brinksitzers Papenberg einzige Tochter!
Das hatten sie nicht erwartet, die Jungfern in der Stadt Sarstedt und
sonst im Fürstentum Hildesheim. Nun hatten sie sich zum zweiten Male in
dem Albrecht Bodenhagen geirrt, aber voraus zu sehen war's doch gewesen;
denn ein Mensch, der so fortlief in die Welt und so wiederkam und so
weichmäulig und so weiß, so hammelweiß vom Mehlstaub über die
Gartenhecke greinte, dem konnte man alles zutrauen, selbst den
schlechtesten Geschmack im Lande, weit über den Deister hinaus und bis
tief hinein in die Lüneburger Heide.
So dachten und zischelten die Jungfern hinter den Türen, auf den
Dorfgassen, am Brunnen und hinter den Spinnrädern; aber die Eltern
dachten anders und nannten den Meister Christian einen Hauptkerl, der es
verstehe, einen Windhund an die Leine zu nehmen, und auf die Haus- und
Staatsräson fast ebensogut ausgelernt habe wie der preußische König
Fritz und sein Herr Vater Friedrich Wilhelm.
Man hat auch das Lieschen gefragt, wie ihr denn eigentlich nun zumute
sei? und sie hat den Schürzenzipfel an den Mund genommen und gemeint,
das sei eine dumme Frage. Dabei aber hat sie gekichert, und die Fragerin
hat auch nichts weiter gewußt, als gleichfalls zu kichern, ist jedoch
hingegangen und hat, drei Häuser weiter, erzählt: ihr sei eben eine Gans
über den Zaun geflogen, der sei sie nachgelaufen bis auf Papenbergs Hof,
und da habe sie sich beinahe vergriffen und das Lieschen dafür am Flügel
genommen; solch ein kurios Gegacker sei seit Erschaffung der Welt nicht
erlebt worden, und auf die Hochzeit sei das ganze Freikorps des Obersten
Bauer geladen, dazu aus Böhmen viele schöne Fräulein; wer aber zu
allererst gebeten sei, das sei die Müllerstochter oben im Harz, die auch
an der Innerste sitze und tagtäglich ihre Grüße mit dem Wasser
herunterschicke, wie der arme Barthold Dörries das ja hundertmal erzählt
habe. Dem sei nun, wie ihm wolle, gelacht mußte Lieschen Papenberg
haben: wer das Mädchen lachen sehen wollte, der konnte überhaupt leicht
dazu kommen. Es war ein fröhliches Ding von den Kinderschuhen an
gewesen, brachte von Natur ein vergnügt geduldig Herz mit zu allem, was
die Frauen erleben können auf dieser Erde; die Innerste hüpfte da oben
in den Bergen, an ihrem Geburtsorte im Walde nicht unschuldiger, klarer
und lieblicher in die Welt hinaus.
Gegen Ende Februars, als es in Schlesien und Sachsen wieder lebendig
wurde und überall das Eis aufging, schrie die Innerste im neuen Jahre
1760 zum ersten Male, aber die junge Braut hat sie damals noch nicht
schreien hören.


Viertes Kapitel.

Es war ein Sonntag, und die Kirche war überall zu Ende im Lande. Der Tag
war regnerisch, doch konnte man gerade nicht sagen, daß es regne; es war
eben ein Tag im Hornung, und man mußte das Wetter nehmen, wie es sich
gab. Der junge Müller befand sich allein zu Hause, beide Alten mit den
Mägden waren nach Sarstedt zur Kirche und konnten kaum vor Mittage
zurück sein. Das Rad war gestellt, und der junge Müller lag faul auf der
Bank am Ofen und hörte der Uhr zu, die hinter seinem Kopfe im Winkel
tickte. Die Hauskatze saß zu seinen Füßen auf der Bank und putzte sich
über die Ohren; denn es war Feiertag, und dazu sollte am Nachmittage
Besuch kommen: Jungfer Lieschen mit Vater und Mutter, der Vetter und die
Base aus Harsum, ja, auch die Verwandtschaft aus Groß- und
Klein-Algermissen wollte kommen, und am Abend sollte es hoch hergehen in
der Mühle.
Der Haushund kam von Zeit zu Zeit und leckte dem Träumer auf der Bank
die Hand; dann sagte der junge Müller:
»Nieder, Laudon! Gib dich zu Ruhe; ich habe mich auch zu Ruhe geben
müssen.«
Er gähnte schläfrig, und doch zogen ihm allerlei bunte Bilder durch den
Kopf. Da dachte er, daß er nun bald ein junges Weib haben werde, und
lächelte. Dann fragte er sich, wie es dem Alten und der Alten wohl auf
dem Altenteil gefallen werde, und kratzte sich hinter dem Ohre. Nun
richtete er sich auf dem Ellenbogen halb empor und drehte sich gegen das
Fenster, um nach dem grauen Gewölk zu sehen, und da mußte er an die
Kriegsvölker im Westen und Osten denken, mit denen er's vor einem Jahre
noch hatte Frühjahr werden sehen, -- es war ihm, als höre er fern die
Trommeln und die Trompeten, und auf einmal die ersten Schüsse von den
Vorposten her. Er schüttelte sich, schob von neuem die Hände unter den
Hinterkopf und seufzte:
»Uh!« --
Mit einem Male aber setzte er sich aufrecht, daß die Katze erschreckt
von der Bank sprang und Laudon am Ofen verwundert den Kopf erhob. Es war
so still in der Stube, daß man außer dem Picken der Uhr nichts weiter
hörte, als dann und wann ein lauteres Rauschen der Innerste, und die
Innerste war's eben, die den jungen Müller Albrecht Bodenhagen so jach
aufgejagt hatte. Er war in seinen schläfrigen Phantasien, anfangs ohne
darauf zu achten, an dem Wasser hinaufgeschritten, und plötzlich --
Der Hund stand und bellte gegen die Tür, und der Müller sah verstört
darauf hin; es hatte gepocht, und es pochte jetzt noch einmal.
»Herein!« rief Albrecht, doch es kostete ihm Mühe, das kleine Wort
hervorzubringen. Mit stieren Augen sah er auf die Tür --
»^Bon jour!^« sagte der eintretende Besuch, den Hut abnehmend, und zwar
mit der linken Hand. Rechts trug er nur einen an die Jacke geknöpften
Ärmel. »^Bon jour!^ Richt' euch! Na, Musketier, hat Er's so schnell
verschwitzt, wie der Soldat sich gegen seinen Vorgesetzten zu behaben
hat? Tausend Donnerwetter, soll ich Ihm die Hände an die Naht bringen,
Musketier Bodenhagen? Ja, ja, so sieht die Kuh das neue Tor an, aber
Seinen alten Unteroffizier sollte Er doch noch kennen, Albrecht!
Schockschwerenot, da sieht man wieder, was es nützt, mit einem Esel
Freundschaft zu schließen und an tausend Beiwachtfeuern ihn zu
Sittsamkeit und Tugend anzuhalten! Kerl, so dumm sah Er nicht aus, als
ich Ihn zum ersten Mal in Reih' und Glied stellte. Na, geht Ihm endlich
ein Licht auf, Kamerad? Es hat mich lange nichts so sehr gefreut! Guten
Morgen, Albrecht; es ist wirklich ein Pläsier, daß du endlich den Mund
zumachst. Ich bin es und -- da bin ich und verhoffe, daß du es für einen
Affront genommen hättest, wenn ich heute an deiner Tür vorbeimarschiert
wäre, ohne vorzusprechen. Ich bleibe auch zu Mittag und nehme mit einem
Strohsack zur Nacht vorlieb: Du weißt, verwöhnen tut unsereinen weder
Seine königliche Majestät, noch Seine herzogliche Durchlaucht; aber ein
Vivat wirft's doch noch für beide ab; vorzüglich wenn das Getränk danach
ist. Gewehr ab! Rührt Euch! Musketier, auf _das_ Wiedersehen hattest du
dich wohl auch nicht eingerichtet, als die Glocke heute morgen in die
Kirche läutete?«
Er hatte den Hut auf den Tisch geworfen und sich in den Sorgenstuhl des
Meisters Christian. Der junge Müller Bodenhagen stand vor ihm:
»Ist Er es denn wirklich, Korporal? Bist du es wirklich in Fleisch und
Blut, Jochen?«
»In Fleisch und Blut bis auf das, was bei Minden liegen geblieben ist,
Joachim Brand aus der Bergstadt Grund im Harz; königlich preußischer und
kurfürstlich hannoverscher Korporal auf der Retraite, und bis auf das
Stück von ihm, das bei Minden liegt, immer noch dein guter Freund und
Kamerad, Musketier Bodenhagen.«
Der junge Müller sah sich um. Rechts über die Schulter und links.
»Das ist freilich Sonntagsbesuch, auf den ich mich nicht eingerichtet
hatte, Korporal,« stotterte er; aber der Einarm lachte:
»Will's Ihm glauben, Albrecht; aber das muß ich sagen, warm sitzt Er und
propre. Ist das das Nest, aus dem Er aufgeflogen ist, um mit uns zu
ziehen? Da kann ich es dir freilich nicht verübeln, daß du dich
beizeiten wieder aus dem Pulverdampf in den Mehlstaub verzogen hast! Was
sieht Er mich so jammerhaft an, Musketier?«
Der junge Müller sah in der Tat den Kriegskameraden ein wenig kläglich
und verlegen an. Die Uhr im Winkel hob eben aus und tat ihre zwölf
Schläge: lang konnt's nicht mehr dauern, so waren die beiden Alten aus
Sarstedt zurück; und was der Alte zu dem verwilderten Gaste mit dem
leeren Ärmel sagen würde, das wußte der junge Meister fürs erste noch
nicht zu sagen. Er erinnerte sich nur mit merkwürdiger Deutlichkeit
seines eigenen Empfangs zu Hause nach der Rückkehr aus dem Felde und
blickte jetzo nach dem Winkel neben der Uhr, aber einen Trost gewährte
es nicht, daß das spanische Rohr daselbst nicht an seinem gewohnten
Platze lehnte. Der Meister Christian führte es mit sich, würdig war er
daran zur Kirche geschritten, und unbedingt brachte er es wieder mit
heim; er hielt etwas auf den Stab, den er bereits von seinem Vater
ererbt hatte und noch um eine Generation weiter zu geben hoffte.
»Ich sehe dich nicht jammerhaft an, Jochen,« sagte der junge Müller.
»Aber mein Vater und meine Mutter --«
»Hoho,« lachte der andere, »steckt's da? Die halten das liebe Söhnchen
wohl fest am Bande? Sie haben wohl nicht Lust, es zum zweiten Mal im
weiten Felde zu suchen? He, Albrecht, Bruder, da laß du mich nur sorgen;
aus dem Quartier geh' ich bis morgen früh nicht. Schaff zu trinken; den
Hunger heb' ich mir zu Tisch auf! Nestküchelchen, Füsilier Bodenhagen,
Bruderherz, sind wir darum in so erschrecklichen Bataillen gestanden, um
uns zu Hause den Suppenlöffel ums Ohr schlagen zu lassen? ^Mordieu^, her
mit der Flasche -- schaff einen Schnaps; oder ich hetze deinen eigenen
Hund auf dich! wie heißt denn der Köter?«
»Schrei nur nicht so, Jochen. Hierher -- ruhig, Laudon! will er Ruhe
halten, Laudon? O Jochen, tu mir die Liebe an --«
»Laudon heißt das Beest? Nenn es Sackville, Kamerad! Feig und
niederträchtig genug sieht die Kreatur zu dem Namen aus! Hetz sie nur
auf den Zeltkameraden, Bruder Albrecht! He, Sackville! He, Sackville!
faß an, pack an, Lord Sackville! Mit meinem leeren Ärmel wehr' ich mich!
Siehst du, da verkriecht sich der Kujon unter der Bank, und da -- dort
verkriecht sich der Broglio aus der Affäre, und da lieg' ich im Sumpf,
und der Arm ist zum Teufel. Sackville, hoho, Sackville, Mylord
Sackville! so zieh' ich als ein Invalid mit dem Bettelsack aus dem
Feldspital nach Hause, und mein bester Freund fürchtet sich vor der Rute
hinterm Spiegel. Pfui, Satan; ich spucke aus und wünsche dir alles Glück
bei deinen Mehlsäcken, Albrecht Bodenhagen. Adjes, und wenn du es gar
nicht mehr aushalten kannst, laß dich beim Sackville unter die englische
Kavallerie anwerben, und deinem Hundevieh tu' ich Abbitte, das ist viel
zu gut für den Namen. Gott befohlen, Müller, und die englische Krankheit
in deine Knochen!«
Er hatte den Hut aufgestülpt und wollte eben zornig zur Tür hinaus, als
sich dieselbe öffnete, das heißt, als sie weiter aufgemacht wurde. Es
hatte seit mehreren Minuten bereits jemand da dem Dinge zugehört. Der
alte Meister Christian stand auf der Schwelle, und hinter ihm stand
angsthaft seine Hausehre und hielt ihn am Rockschoß; es wies sich jedoch
sonderbarerweise aus, daß das gar nicht notwendig war.
Der Invalide von Minden rannte an den Meister an und fuhr zurück.
»Wo will Er hin?« fragte der Greis. »Halt da! Daß Er das große Maul
gleich allen übrigen aus dem Kriegselend mitbringt, weiß ich schon.
Erwartet Ihn etwa auch zu Hause ein alter Vater und eine Mutter, die
Jahre lang allnächtlich ihr Kissen in ihren Tränen wäscht? Die Rute
hinterm Spiegel? Ei, ei, führt nicht der König gerade darum den Krieg,
um der ganzen Welt zu zeigen, daß die Rute immer noch hinter dem Spiegel
stecke? Lege Er Seinen Hut hin, Musje, sage ich; Er kann bleiben in der
Mühle bis morgen und auch noch einen Tag länger, wenn's Ihm beliebt. Auf
den Jungen da aber hatte Er nicht so hineinzuräsonieren das ist _mein_
Junge, und den hab' ich abzurichten! Marsch in die Küche, Mutter, wir
haben einen Gast zu Tisch, und wir haben auch heut abend einen Gast
mehr. Hänge Er Seinen Hut da an den Nagel, Kamerad -- da, stell meinen
Stock in die Ecke, Albrecht, und leg mein und der Mutter Gesangbuch ins
Schaff. Setze Er sich, Kamerad, und lasse Er mich von Sich und Seinen
Umständen ein Weiteres wissen.«
Der Korporal schüttelte mit einem eigentümlichen Blick auf den früheren
Kriegsgenossen dem Alten die Hand.
»Er ist mein Mann, Müller! Nehme Er vorlieb mit der Linken; ich würde
Ihm nur zu gern die Rechte geben, wenn's anginge. Mit Seinem Jungen da
darf Er natürlich machen, was Er will. Ich bin auch nicht umsonst sein
Unteroffizier gewesen und weiß, wie er traktieret sein muß. Hänge Er
auch meinen Hut an den Nagel, Musketier Bodenhagen.«
Der »Junge« tat verdrossen, was ihm geheißen worden war, trieb sich
kläglich-mürrisch noch einen Augenblick in der Stube herum und ging dann
hinaus und durch den Garten an den Zaun. Er stützte beide Arme auf den
Zaun und sah die mürrische Innerste vorbeifließen.
»O Jemine,« seufzte er, »jedermann hat seinen Willen mit mir, und wie
ich auch aufwerfen mag, es ist doch, als ob sie alle Bescheid in mir
wüßten. O je, es ist doch ein miserabel Dasein -- die ganze Welt hunzt
an einem herum, und nichts, gar nichts hat es genützet, daß man sein
Leben dran setzte, der wilde Albrecht zu heißen. Der Krieg hat mich
kaput gemacht -- und der tolle Albrecht, der wilde Bodenhagen ist zahm
genug geworden. Ohne die Alte sollte mich die Innerste schon längst mit
sich weggenommen haben. Und jetzo krieg ich auch ein junges Weib --«
Sie riefen ihn vom Hause her, und ohne sein letztes Wort zu Ende zu
bringen, schlich er zurück, fand die Suppe auf dem Tische stehend und
den Korporal Brand im besten Einvernehmen mit dem Vater und der übrigen
Hausgenossenschaft daran sitzend. So setzte er sich auch, tat den Mund
nur zum Essen auf und hörte den Jochen von der Schlacht bei Minden
erzählen; nach dem Essen aber, als der Alte schlief, stand er abermals
am Zaun an der Innerste, doch diesmal mit dem Korporal Jochen an seinem
Ellenbogen, und sah hin auf den aufgeweichten Feldweg, der von
Groß-Förste auf die Mühle zuführte durch die Felder und Wiesen, und auf
welchem die Verwandtschaft mit der jungen Braut jetzt herangezogen
kommen sollte. Der Korporal aber redete ihm ins Gewissen.


Fünftes Kapitel.

»Kerl,« sagte der Korporal Jochen Brand, »nun sage mir mal, was das mit
dir ist? Setze allen Respekt zur Seite; mein Korporalstock liegt mit
meinem Arm ruhig bei Minden; tu dir keinen Zwang an; sprich dich aus,
wie dir's ums Herz ist; es deucht mir, die Marschroute sei mir nur
deshalb so vorgeschrieben worden, um dir die Beichte zu hören, als ob
ich mein Lebtag nichts anderes gewesen sei als ein Hildesheimscher
Kanonikus.«
»O Jochen!« seufzte der junge Müller.
»Als ein Hildesheimscher Kanonikus! Kerl, wenn es auf die Kanonen
ankommt, so hast du die auch oft genug singen hören im freien Felde und
hinter Wall und Schanze -- schäme dich, die Ohren hinter der Front und
gar in solch einem Quartier wie dieses also hängen zu lassen. Und deine
gesunden Gliedmaßen hast du gleichfalls nach Hause mitgebracht, und
freien sollst du das properste Mädchen im Lande -- Himmeldonner,
Kamerad, setze mich an deinen Platz und sieh dir dann das Gesichte an,
was ich dann machen werde! Aber so ist's, das Gute auf Erden wird immer
an die Unrechten weggeworfen; wenn nicht dann und wann so ein Richtiger
das Pläsier hätte, so einem unverdienten Glückspilz in seiner Fortun'
beizuspringen und mit Trost aufzurichten, so wär' es gar nicht länger
auszuhalten in der Welt. Das hätt' kein Lutherscher und päpstlicher
Pfaff besser gesagt: also heraus damit, Bodenhagen, wo fehlt's Ihm? Wo
kann der einarmige Invalide Jochen Brand aus Grund seinen Trosthebel
ansetzen?«
Der melancholische junge Müller sah nach der Mühle hin; dann von neuem
auf den Weg nach Groß-Förste, und dann faßte er den Kriegskameraden am
heilen linken Arm und fragte leise:
»Sieht Er's mir wirklich auch nicht mehr an, daß sie mich hier rundherum
auf drei Meilen Weges den tollen Bodenhagen nannten, Korporal?«
»Ne!« sprach der Korporal, ohne sich nur den kürzesten Augenblick auf
die Antwort zu besinnen.
»Dann will ich Ihm sagen, was schuld daran ist; das Wasser -- da -- das
schlechte schlimme Wasser ist schuld daran! Die Innerste ist's! Kennt Er
die Innerste, Korporal Brand?«
Der Korporal machte seinen Arm so sacht als möglich von dem Griffe
seines Kameraden los.
»Ob ich die Innerste kenne?« fragte er in der festen Überzeugung, daß
sein voreinstiger Zeltgenosse zu allem übrigen auch verrückt geworden
sei.
»Die Innerste! das böse Wasser! die schlimme Innerste!«
»Kotz Blitz?« schrie der andere. »Musketier Bodenhagen, treibe Er nicht
Seinen Spaß mit Seinem Korporal! Wenn auch der Stock mit dem rechten Arm
bei Minden liegt, so hab' ich mich doch allmählich auf den linken
einexerziert, und ich weiß von Seinem Herrn Vater, daß ein spanisch Rohr
immer noch seine Wirkung auf Ihn tut. Was meint Er zu einem Knittel hier
aus dem Zaune? Rede Er Vernunft, oder ich wecke Seinen Herrn Vater, und
auf ein Wort mit der Jungfer Braut soll's mir auch nicht ankommen.«
»Nimm du endlich Vernunft an, Jochen,« sagte Albrecht Bodenhagen. »Du
hast jetzt dein Vergnügen an mir lange genug gehabt und kannst recht
gut, ohne dir was zu vergeben, das Maul halten. Daß du mein Korporal
gewesen bist, das ist richtig; daß du mich nicht schlimmer traktiert
hast als die anderen Kerle, mag auch seine Richtigkeit haben --«
»Mag auch seine Richtigkeit haben? Bursch, wie einen Prinzen hat man
dich unter der Fuchtel gehalten. Der alte Fritz zu Küstrin hat's nicht
viel besser gehabt! Hab' ich dich nicht auf dem Buckel getragen wie eine
Mutter ihr Kind?«
»Das weiß der liebe Himmel!« ächzte der junge Müller. »Aber es mag sein,
wie's will, als du mir heut morgen in die Stube rücktest, ist es mir
wahrhaftig nur ein freudiger Schrecken gewesen, und ich habe gedacht, da
ist doch zuletzt doch einmal wieder eine Seele, mit der du das Deinige
reden kannst, Bodenhagen. Verschossen ist die blaue Montur zwar, aber
dein Kamerad war er doch! will Er mich nun reden lassen oder nicht,
Korporal Brand?«
Der Korporal Brand legte seinen gesunden Arm dem niedergeschlagenen
Müller um den Nacken.
»Bruderherz, rede frei hin. Von einem Narren kann man eben nicht
verlangen, daß er Spaß verstehe, und so ist's auch von dir nicht zu
pretendieren. Sonst aber weißt du wohl noch, daß in unserem ganzen
hochlöblichen Regiment nur der Oberst ein Schnupptuch in der Tasche
führte; das ganze übrige Korps, Offiziere, Unteroffiziere, Trommler,
Pfeifer und Gemeine schnaubten sich nach Adams Art: also daß ich ein
Taschentuch der Rührung wegen an die Augen bringe, kannst du beim Satan
nicht verlangen. Jetzo mach ein Ende und deinem Herzen Luft! wo
steckt's? wo quält dich dein jung Leben? was hat dir die Innerste, das
Wasser, das deines Vaters Rad so nahrhaft treibt, zuleide getan?«
»Ehe ich zu euch zum Regiment kam, Jochen,« flüsterte der Müller, »war
ich droben bei euch im Harz. Ich hatte dem Alten wohl mein Vivat
Fridericus über den Bach zugeschrien; aber Ernst ist's mir nicht damit
gewesen. In die lustige weite Welt wollt' ich, und so bin ich
hinaufgekommen bis Wildemann, Korporal. Kennst du die Buschmühle
zwischen Wildemann und Lautenthal, Jochen Brand?«
Der Einarm trat einen Schritt zurück und tat einen langen,
verständnisvollen Pfiff.
»Hui -- die Radebreckers Mühle! Da also liegen die Kroaten im Busch?
Alle Hagel und Wetter, Musketier Bodenhagen, da möchte ich wirklich
zurückfragen, ob Er denn ganz und gar Bescheid in der Buschmühle weiß?«
Der Müller nickte, über die Schulter scheu nach seines Vaters Hause
blickend, und der Korporal fuhr fort:
»Das Wasser, das vom Stein auf das Rad springt, drehte es schon selten
genug, als ich da aus und einging. Sie haben andere Dinge zu schaffen,
als sich um ihr Mühlenwerk zu kümmern. Seit sechs Jahren stehe ich im
Felde; aber vor sechs Jahren spukte und stank es dort bedenklich, und
Doris Radebrecker war ein sechzehnjährig Ding. Die Werber holten mich
aus dem Forst am Hübichenstein und legten mir statt der Jägerbüchse des
Königs in Preußen Kommißflinte auf, sie hätten mich vielleicht noch
bequemlicher in der Buschmühle gefunden.«
»Mich faßte dort des Obersten Colignon Werbeoffizier vor dritthalb
Jahren, und damals war _die_ Innerste, die Doris wollt' ich sagen, so
zwischen Neunzehn und Zwanzig.«
»Wem möchte ich nun am liebsten die Knochen zerschlagen, dir oder ihr?«
murmelte der Invalide; dann aber lachte er von neuem, wenngleich ein
wenig grimmig, und rief, seinen leeren Ärmel schüttelnd:
»Nur weiter, du Armsündergesichte!«
»Als ich von hier, vom Hause, fortlief und dem Alten zuschrie, daß ich
in den Krieg ziehe, da meinte ich für ganz gewiß, daß ich ihm was
vorlöge. Aber gelogen hab' ich zuletzt doch nicht, wie Ihm bekannt ist,
Korporal; unter dem Stocke des Alten weg bin ich unter den Seinigen
geraten, Korporal Brand; aber in der Buschmühle bin ich bekannt, und wie
ich in den Krieg gekommen bin, davon weiß Doris Radebrecker in aller
Welt am besten auszusagen.«
»Und da mein Marsch dort vorbeigeht nach Grund, so will ich vorsprechen
und mich des weitern erkundigen, Meister Albrecht,« sprach der einarmige
Invalide mürrisch. »Sonst aber gebe ich Ihm recht: wer die Doris aus der
Sägemühle zwischen Lautenthal und Wildemann kennen gelernt hat, der weiß
sein übrig Leben davon zu erzählen, wenn er nicht lieber den Mund hält
zu seinem eigenen Besten.«
»Laß sie nicht wissen, daß ich wieder zu Hause sitze!« flüsterte
Albrecht Bodenhagen angsthaft. »Bei unserer Kameradschaft in Not und
Tod, Jochen, wenn du da vorsprechen mußt -- und ich weiß es ja, daß du
jetzo es nicht lassen kannst, und wenn der Strick drauf stünde, rede
nicht von mir. Da kommt die Verwandtschaft aus Groß-Förste; ich bin
versprochen worden mit dem Lieschen von Papenbergs Hofe, und zu Ostern
ist die Hochzeit. Sag der Innerste, der Doris, ich läge bei Bergen vor
der Stadt Frankfurt mit den anderen -- sechshundert in einer Grube! Sag
ihr, ich sei desertiert, und du habest mich zu Hameln auf Fort George
Spießruten laufen sehen -- sag ihr, ich sei verendet mit einer
zerbissenen Bleikugel zwischen den Zähnen unter den Haselruten. Sag ihr,
du habest selber mit zugehauen am Wesertor, hinter dem Hamelnschen Wall
--«
»Lüg ihr ins Blaue und Rote hinein, bis du schwarz wirst; -- o Kamerad,
wenn ich dich jetzt ansehe und mir denke, daß sie dich hier den wilden
Bodenhagen nannten, so kommt mir, der Innerste zum Trotz, ein Lachen an.
Jetzo weiß ich aber doch, weshalb es bei jeglicher Affäre meine Pflicht
gegen den König von Preußen war, dich im Feuer stets mit dem
Flintenkolben zum Gradestehen zu animieren! Hm, die Innerste! sie sagen,
daß die Innerste dann und wann schreie und dann jedesmal ein Lebendiges
für ihren Hunger verlange. Da kommt richtig die Vetter-Michelschaft von
Groß-Förste an, und jetzo will ich Seinen jetzigen Schatz mit meinen
Augen sehen, Musketier Bodenhagen, und Ihm dann meine letzte Meinung
gewißlich nicht vorenthalten. Verlaß Er sich darauf; ehe ich hier aus
meinem Quartier abmarschiere, werde ich Ihm meine Meinung sagen, grad
als ob ich sie Ihm in einem Testamente vermache. Wer aber hätte es
denken können, daß beim ersten Ausrücken aus dem Spital die liebe Doris
-- Doris Radebrecker wieder die erste sein würde, mir das Lachen zu
vertreiben und von vornherein den Spaß am ewigen Urlaub zu verderben.
Wie wird sie lachen, wenn sie mich anmarschieren sieht mit dem einen
Fittich! ^Mordieu^, wenn man nicht seine eigene Vetternschaft in Grund
sitzen hätte, so wär's freilich besser, ungehohneckt bei Bergen oder
hinterm Hamelnschen Wall seine fünf Fuß tief unterm Erdboden zu liegen.«
In diesem Moment hörte man jenseits der Innerste zwischen den kahlen
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