Der Junker von Denow; Ein Geheimnis; Ein Besuch; Auf dem Altenteil: Erzählungen - 7

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geglichen, wenn wir sie behalten hätten, das liebe Kind. Sie haben alle
da unten, -- unsere meine ich, Papa! -- ein hübsches lustiges Lachen;
aber ich kann nichts dafür, ich muß es sagen: wie das Kind, unser
Ännchen, ist doch keins so glücklich in seinem Lachen gewesen. Die
andern kennen wir ja auch nun schon lange mit ihren Sorgen und ihren
Nöten und ihren unnützen Ärgernissen. Keins von ihnen lacht und kreischt
und kichert so wie mein Ännchen es tat. Hätten wir die Enkel nicht, so
würde das Haus wohl manchmal still genug sein; -- selbst dir, Großpapa.«
Da war das Lachen, das vor so langen, langen Jahren zuerst das Haus hell
und heiter gemacht hatte! Auch der alte Herr, der Großpapa, dem das
Haus nie ruhig genug sein konnte, kannte es ganz genau.
»Also, ihr wißt es doch noch, wie es war, als wir drei allein waren, und
dein Haar noch nicht so weiß, Vater; und auch deines nicht so hübsch
grau, mein Mütterchen, und ich euer liebes, einziges Mädchen! Hier sitze
ich auf meinem Stuhl und behalte mein Recht, allen meinen Schwestern und
Brüdern und allen meinen Nichten und Neffen zum Trotz. Ich bin die
Älteste! Wer auch nach mir gekommen ist, wie viele auch gesessen haben
auf diesem Schemelchen -- mir gehört es, mir habt ihr es hierher
gestellt; das ist mein Sitz am Herde! Wer kann mir meinen Platz nehmen
in eurer Seele? wer in dem Hause, das ihr gebaut habt und in dem ihr
mich einmal euer Glück nanntet?!«
»Du hast recht, Mutter,« sagte der alte Herr; »ich weiß eigentlich
nicht, wie wir gerade jetzt darauf kommen; aber das Kind hat immer zu
mir, -- zu uns gehört. Nur weil wir es wußten, haben wir nicht immer
dran gedacht. So geht es aber mit allem Wissenswürdigen in der Welt.«
»Mein Ännchen!« seufzte einfach die Greisin; doch die blonden Locken
wurden wie mutwillig von neuem geschüttelt, und wieder legte sich der
kleine Finger schalkhaft auf den Mund: »Ja, ich war immer da, wenn ihr
auch nicht an mich zu denken glaubtet: an manchem schwülen Sommertage,
in mancher kalten, dunkeln, trostlosen Winternacht. An manchem Feste in
der lichtstrahlenden Winternacht, an manchem sonnigen, seufzervollen
Frühlingsmorgen. Jetzt haben die andern da unten im Saale euere Sorgen,
Freuden und Arbeiten. Ihr aber habt Zeit für mich. Eure andern, die nach
mir gekommen sind, haben mir wohl mein altes Spielzeug verkramt und
zerbrochen; aber mein Plätzchen im Hause haben sie mir nicht nehmen
können. Ich habe es ihnen nur geliehen, einem nach dem andern; doch mein
Eigentum ist es und bleibt es; nicht wahr, Papa und Mama?! Ihr habt zwar
unter den andern gottlob nun auch wieder ein Ännchen -- ein Enkelkind
mit meinem Namen -- aber das tut nichts, wir vertragen uns schon um
diesen kleinen Stuhl und um -- euch!... Es war wohl ein kleiner Sarg,
in den ihr mich legen mußtet; aber -- ich bin immer über meine Jahre
klug gewesen. Ich habe es wohl oft heimlich erlauscht, wenn ihr das über
mich sagtet. Damals wußte ich freilich nicht recht, was ihr damit sagen
wolltet, und ob es eigentlich ein Lob für mich sei; jetzt aber weiß ich
es. Ei ja, ich bin sehr klug für meine Jahre gewesen! nun lacht nur, wie
ihr damals geweint habt, als ich von euch weggeführt wurde und nicht
über die Schulter zurücksehen durfte. Seht ihr wohl, da lächelt ihr
wenigstens schon. Die Jahre sind nun hingegangen; lange, lange Jahre!
Heute abend habt ihr euch vorgenommen, noch einmal jung zu sein mit
euren Kindern und Enkeln. Es ist euch auch wohl gelungen, doch nicht
ganz. Ganz jung seid ihr erst jetzt wieder, da ich mich zu euch gesetzt
habe, ich -- euere Älteste und euere Jüngste. Nimm meinen Krauskopf
wieder zwischen deine Hände, Mutter, laß mich wieder auf deinem Knie
sitzen, Väterchen; draußen schneit es sehr, und der Nordwind bläst, und
es ist spät in der Nacht; ihr aber schickt mich diesmal noch nicht zu
Bett; -- wir wollen jetzt einander noch nicht zu Bette schicken; wir
wollen noch einmal ein Weilchen sitzen und erzählen von =dem, was einmal
war=.«


V.

Sie hatten nur noch fünf Minuten in ihren Großväterstühlen neben dem
Ofen sitzen wollen, um sich von dem Feste, dem Händedrücken, all den
Küssen und guten Wünschen zu dem neuen kommenden Jahre ein wenig zu
erholen, wie es den ältesten Leuten in der Familie geziemt in der
Silvesternacht, während die Jugend um die lichterglänzende Festtafel
weiter jubelt und lärmt, nach der Uhr sieht und den Sekundenzeiger mit
lachendem Auge verfolgt bis heran an den neuen ernsten Grenzstein ihrer
Erdenzeit. Und sie, die bereits Greise waren, hatten nicht nach der Uhr
gesehen; sie hatten gar nicht einmal daran gedacht. Die Sekunden der
letzten Stunden des Jahres waren ihnen dahingeglitten, wie die vielen,
langen arbeitsvollen, inhaltreichen Jahre ihres Daseins selber bis in
dieses jüngste und das eben vor der Tür stehende hinein.
»Du fragst wohl, Vater, wie wir gerade jetzt darauf kommen, und sagst,
daß du an das Kind lange nicht gedacht hast,« sagte die alte Dame. »Es
ist freilich lange her, daß wir ihren kleinen Sarg dort in dem Saale, wo
sie jetzt gottlob so lustig sind, aufstellen mußten. Wie wunderlich es
doch ist, daß ich gerade jetzt darauf komme, was für eine schöne
Sommernacht es war, in welcher sie starb! Horch jetzt nur, wie der Wind
den Schnee gegen die Fenster treibt. Wir haben die andern alle behalten
und wir haben an unseren Kindeskindern Freude; aber an unsere Älteste
habe ich doch immer gedacht. Was würde aus den Kindern werden, wenn ihre
Mütter nicht immer an sie dächten. Selbst die Gestorbenen können ohne
ihre Mutter nicht auskommen. -- Horch, wie sie es da unten treiben!
eigentlich ist es recht unrecht von ihnen, daß sie auch die Jüngsten so
lange aus dem Bette zurückhalten, und ich werde ihnen morgen früh auch
jedenfalls meine Meinung darüber sagen. -- Als =sie= in ihrem Fieber
lag, saß ich auch und zerrang mir die Hände und fragte mich Tag und
Nacht, was ich hätte anders machen können, damit das Schreckliche nicht
so zu kommen brauchte. Du warst wohl vernünftiger, wenn du aus deinem
Kontor heraufkamst und mir zuredetest, Geduld zu haben. Wie konnte ich
wohl verständig sein und Geduld haben? Und man sucht doch immer so, wie
man einem andern die Schuld geben kann, und wäre man das auch selber!«
»Ich meine, Mutter, wir geben das auf, uns den Kopf darüber zu
zerbrechen, und noch dazu so spät in der Nacht, im Jahr und in den
Jahren,« sprach der alte Herr, wiederum sehr vernünftig; und dann
sprachen sie bis zu dem ersten Glockenschlage der Mitternacht nichts
mehr miteinander. Dagegen aber füllte sich ihre Stube immer mehr mit den
Bildern und den Klängen der Vergangenheit. Und der liebliche Spuk der
Silvesternacht hatte nicht das geringste vom Phantasten an sich. Das
älteste Kind des Hauses war noch einmal im vollen blühenden Leben Herrin
im Reich und fand all sein altes verkramtes Spielzeug wieder, wie -- die
zwei weißhaarigen Greise. Sie paßten wieder ganz zueinander, die Eltern
und das Kind: der dunkle, geheimnisvolle Vorhang der Zukunft hatte sich
bewegt, und es war eine Kinderhand, die sich aus den schwarzen Falten
weiß und zierlich hervorstreckte und winkte. Sie aber, die Fröhlichen da
unten im Festsaale des Hauses, hatten dem Vater und der Mutter, dem
Großvater und der Großmutter -- den beiden Alten ein glückliches, ein
segensreiches neues Jahr gewünscht und hatten zwischen Becherklang und
lustigem Lachen ihren Wunsch wehmütig ernst gemeint, wie sich das
gebührte.
»Wie gut der Papa und die Mama heute abend aussahen,« meinten sie. »Es
ist doch eine Freude, wie frisch sie sich erhalten und wie sie noch an
allem teilnehmen. Aber verständig war es doch, daß sie nicht über ihre
Zeit bei uns sitzen blieben. Morgen früh hätten wir uns doch Vorwürfe
gemacht, wenn wir sie noch länger gequält hätten, das Vergnügen nicht
durch ihr Weggehen zu stören.... Jetzt aber auf die Uhr gesehen! in
fünf Minuten wird es Zwölf schlagen; -- ein bißchen leise, Kinder, daß
=wir die alten Leute nicht wecken!=«...
Zwölf Uhr und -- ein neues Jahr! Alle guten Geister haben einen leisen
Schritt und gehen auf weichen Sohlen; so schlich sich die jüngste
Tochter des Hauses weg aus dem jubelnden Kreis, glitt die Treppe hinauf
und horchte an der Tür der »alten Leute«, die durch den Becherklang, die
lauten Glückwünsche und alles, was sonst noch in die Stunde gehört,
nicht gestört werden sollten in ihrer Ruhe auf dem Altenteil.
»O mein Gott, da sitzt ihr noch? Das ist doch ganz wider die Abrede! Sie
meinen alle da unten, daß ihr längst in den Federn liegt und euch
behaglich in das neue Jahr hinübergeträumt habt.«
»Das letztere haben wir auch getan, mein Kind,« sagte der alte Herr
nachdenklich lächelnd.
»Oh, und nun müßte ich sie alle -- alle die übrigen auch noch
heraufrufen, daß sie euch ihre Meinung sagen. Sie werden es mit Recht
sehr übel nehmen, wenn ich's nicht auf der Stelle tue, Mama!«
»Laß es lieber, mein Herz,« meinte die alte Dame, leise die blonden
Flechten vor ihr, die noch nicht Staub und Asche geworden waren,
streichelnd. »Es würde den Vater doch zu sehr aufregen, und wir gehen
nun wirklich gleich zu Bett. Wir haben vorher nur noch ein wenig an
allerlei gedacht, was vor eurer -- vor deiner Zeit war.«
»Ach ich bin so glücklich!« rief die junge Frau. »Wir sind so vergnügt
da unten an unserem Tische, und ihr hier in euerer lieben, alten, guten
Stube seht so jung aus und so hell aus den Augen, wie das Jüngste von
uns -- euern andern! Oh, und mein Franz ist so drollig; der Mensch ist
mir fast ein wenig zu ausgelassen, oh -- und also noch einmal: ein
fröhliches, glückliches, gesegnetes neues Jahr euch vor allen und -- uns
andern auch!«
»Ja, ja!« sagten die =alten Leute= leise zu gleicher Zeit und nickten
freundlich ihre Zustimmung zu dem guten Wunsch.
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