Der Junker von Denow; Ein Geheimnis; Ein Besuch; Auf dem Altenteil: Erzählungen - 5

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gegeben; das war ja immer, als brenne der Scheuerlappen zwischen uns.
Vorwärts, Margot! einen Kuß und an die Arbeit, mein Liebchen, auf daß
das Haus rein werde.«
Liebe Freunde, wer das Leben Stefano Vinacches beschreibt, der muß recht
acht geben, daß er seinen Weg im Nebel nicht verliere. Schattenhaft
gleitet die Gestalt des Abenteurers vor dem Erzähler her, bald zu einem
Zwerg sich zusammenziehend, bald riesenhaft anwachsend, gleich jener
seltsamen Naturerscheinung, die den Wanderer im Gebirge unter dem Namen
des Nebelgespenstes erschreckt. Bald klarer, bald unbestimmter tritt
Stefano Vinacche aus den Berichten seiner Zeitgenossen uns entgegen. Wir
wissen nicht, was ihn mit seiner Frau so schnell aus Anjou nach Paris
zurücktrieb; wir wissen nur, daß am neunten April 1693, an dem Tage, an
welchem Roger von Rabutin, Graf von Bussy, sein wechselvolles Leben
beschloß, der Papa Bullot in höchster Verblüffung die Hände über dem
Kopfe zusammenschlug, als er Tochter und Schwiegersohn zu Fuß,
kotbespritzt, mit höchst winziger Bagage, durch die Gasse Quincampoix
auf das Dauphinswappen zuschreiten sah. Der gute Alte traute seinen
Augen nicht und überzeugte sich nicht eher von der Wirklichkeit dessen,
was er erblickte, bis ihm Madame Vinacche schluchzend um den Hals fiel,
und Stefano ihn herzzerbrechend anflehte, ihn und sein Weib für eine
Zeit wieder unter sein Dach zu nehmen.
»Wir wollen auch recht artige Kinder sein!« bat Madame Vinacche.
»Und wir werden nicht lange Euch zur Last sein!« rief Stefano.
»_Diable! diable!_« ächzte Meister Claude Bullot, und Margot, die
Picarde, gab ihm verstohlen einen Rippenstoß, daß er fest bleibe und
sich nicht beschwatzen lasse.
Wer hätte aber den beredten Worten Stefano Vinacches widerstehen können?
Das Ende vom Liede war, daß das junge Ehepaar mit seinen armen
Habseligkeiten einzog in die Kneipe zum Dauphinswappen, und daß Meister
Bullot und Margot, die Kellnerin, nachdem Madame Vinacche die Schwelle
überschritten hatte, seufzend sich in das Unvermeidliche fügten.
»Ach, Margot, Margot, nun sind die schönen Tage wieder vorüber!« seufzte
Meister Claude, und während die Heimgekehrten im oberen Stockwerk des
Hauses ihre Einrichtungen trafen, saßen am Kamin in der leeren
Schenkstube der Wirt und seine Kellnerin trübselig einander gegenüber
und konnten sich nur durch das weise Wort, daß man das Leben nehmen
müsse, wie es komme, -- trösten. Dann schlossen die beiden Parteien
einen Kompromiß, in welchem festgestellt wurde, daß weder Monsieur
Etienne noch Madame in die Angelegenheiten des Papas und der Kellnerin
Margot sich mischen sollten, und daß sie durch ihnen passend scheinende
Mittel für ihrer Leiber Nahrung und Kleidung selbst zu sorgen hätten.
Wohnung, Licht und Feuerung versprachen Meister Bullot und Margot die
Picarde zu liefern.
Feierlich wurde dieser Vertrag von einem Stammgast der Gargotte, dem
Sieur Le Poudrier, einem Winkeladvokaten, verbrieft und besiegelt, und
man lebte fortan miteinander, wie man konnte.
Da der Herzog von Chaulnes seine Verpflichtungen gegen das junge Ehepaar
glänzend abgetragen zu haben glaubte, so floß die Quelle seiner Gnaden
immer spärlicher und versiegte zuletzt ganz. Die Haushaltung im zweiten
Stockwerk des Dauphinswappens mußte für Eröffnung anderer Geldquellen
sorgen, zumal da noch im Laufe des Sommers ein kleiner Vinacchetto das
Licht der Gasse Quincampoix erblickte. Die Not und der Zug der Zeit
machten Stefano zu einem Charlatan; aber jedenfalls zu einem genialen
Charlatan.
»_Anima mia_, laß den Mut nicht sinken, wir fahren doch noch
vierspännig!« sagte er zu seiner hungernden Frau und fing an, den
Nachbarn und Nachbarinnen, sowie den Gästen, welche die Gargotte seines
Schwiegervaters besuchten, Mittel gegen das Fieber und andere
unangenehme Übel zu verkaufen.
Allmählich verwandelte sich das Wohngemach der kleinen Familie in ein
schwarzangeräuchertes chemisches Laboratorium; mit wahrer Leidenschaft
warf sich Stefano Vinacche, obgleich er bis an sein Ende weder lesen
noch schreiben lernte, auf das Studium der Simpla und der Mineralien.
Eine gewaltige Veränderung ging mit dem seltsamen Menschen vor; -- nicht
mehr war er der vagabondierende Abenteurer, der das Glück seines Lebens
auf den Landstraßen, in den Gassen suchte. Tag und Nacht schritt er
grübelnd einher, das Haupt zur Brust gesenkt, die Arme über der Brust
gekreuzt. Wer konnte sagen, was er suchte?
Eine fast ebenso überraschende Veränderung kam über das junge Weib
Vinacches. Die frühere Mätresse des Herzogs von Chaulnes verehrte den
ihr aufgedrungenen Mann auf den Knien, sie war die treuste, liebendste
Gattin geworden, und ist es über den Tod Stefanos hinaus geblieben.
=Sie= konnte lesen, =sie= konnte schreiben: --wie viele alte vergilbte
Bouquins hat sie dem suchenden Forscher, in stillen Nächten, während sie
ihr Kind wiegte, vorgelesen!
Der Vater Bullot hatte nicht mehr Ursache, sich über das wilde,
unbändige Gebaren seiner Tochter zu beklagen. Die eigentümliche Gewalt,
welche Stefano Vinacche späterhin über die schärfsten, klarsten Geister
hatte, trat auch jetzt in der engeren Sphäre schon bedeutend hervor.
Papa Claude, Margot die Picarde, Gratien Le Poudrier der Rabulist, alle
Nachbaren und alle Nachbarinnen beugten sich dem schwarzen, funkelnden
Auge Stefanos. Der Stein war ins Wasser gefallen, und die Wellenringe
liefen in immer weitern Kreisen fort; -- weit, weit über die Gasse
Quincampoix hinaus verbreitete sich der Ruf Stefano Vinacches!
Unterdessen schlug man sich in Deutschland, Flandern, Spanien, Italien
und auf der See. In Deutschland verbrannte Melac Heidelberg, und der
Feldmarschallleutnant von Hettersdorf, der »die _poltronnerie_ seines
Herzens mit großen _Peruquen_ und bebremten Kleidern zu bedecken
pflegte«, -- Hettersdorf, der elende Kommandant der unglücklichen Stadt,
wurde auf einem Schinderkarren durch die Armee des Prinzen Ludwig von
Baden geführt, nachdem ihm der Degen vom Henker zerbrochen worden war.
Aus Flandern schickte der Marschall von Luxemburg durch d'Artagnan die
Nachricht vom Sieg bei Neerwinden. Roses in Katalonien wurde erobert. Zu
Versailles, zu Paris in der Kirche unserer lieben Frau sang man _Te Deum
laudamus_; aber im Bischoftum Limoges starben gegen zehntausend Menschen
Hungers. Zu Lyon wie zu Rouen fiel das Volk in den Gassen wie Fliegen,
und ihrer viel fand man, welche den Mund voll Gras hatten, ihr elendes
Leben damit zu fristen.
Stefano Vinacche, nach einer Reise in die Bretagne, verließ die Gasse
Quincampoix und das Haus seines Schwiegervaters und zog in die Gasse
Bourg l'Abbé. Strahlend brach die Glückssonne Stefanos durch die Wolken.
Fünf Monate war er in der Bretagne gewesen, und niemand hat jemals
erfahren, was er dort getrieben, -- gesucht, -- gefunden hat! Zu Fuß
zog er aus, in einer zweispännigen Karosse kehrte er zurück. Zwei
Lakaien und ein Kammerdiener bedienten ihn in der Straße Bourg l'Abbé,
wohin er aus der Gasse Quincampoix zog. Von neuem errichtete er in
seiner jetzigen Wohnung seine chemischen Feuerherde, von neuem braute er
seine Rezepte, und das Gerücht ging aus, Monsieur Etienne Vinacche suche
den Stein der Weisen, und es sei Hoffnung vorhanden, daß er denselben
binnen kurzem finden werde; und wieder tritt dem Erzähler der alte
Gönner des unbegreiflichen Mannes, der Herzog von Chaulnes, entgegen,
welcher ihm zum Ankauf von Kohlen, Retorten und dergleichen Apparaten
zweitausend Taler gibt.
Im Jahr der Gnade Eintausendsiebenhundert war das große Geheimnis
gefunden; -- Stefano Vinacche hatte das Projektionspulver hergestellt,
Etienne Vinacche machte --
=Gold!=
In demselben Jahre Eintausendsiebenhundert kaufte =Monsieur de Vinacche=
aus dem Inventar von Monsieur, dem Bruder des Königs, für sechzigtausend
Livres Diamanten.


III.
Glück und Glanz.

Wir schauen wie in ein Bild von Antoine Watteau durch das zarte
frühlingsfrische Blätterwerk zu Coubron -- fünf Meilen von Paris -- wo
Monsieur Etienne de Vinacche auf seinem reizenden Landsitze ein
glänzendes Fest gibt. Die untergehende Maisonne des Jahres
Siebzehnhunderteins übergießt die Landschaft mit rosigem Schein; --
Lachen und Kosen und Flüstern des jungen Volkes ertönt im Gebüsch;
geputzte ältere Herren und Damen durchwandeln gravitätisch die
gradlinigen Gänge des Parkes. Karossen und Reitpferde mit ihrer
Begleitung von Kutschern, Lakaien und Läufern halten vor dem vergoldeten
Gittertor; Monsieur de Vinacche und seine Frau sind eben im Begriff, von
einem Teil ihrer Gäste, der nach Paris oder den umliegenden Landhäusern
zurückkehren will, Abschied zu nehmen.
Die Dame Rochebillard, die Geliebte Tronchins, des ersten Kassierers
Samuel Bernards, des »_fils de Plutus_«, -- wird von Madame de Vinacche
zu ihrer Kutsche geleitet; Monsieur Etienne befindet sich im eifrigen
Gespräch mit einem jungen Edelmann, dem Sieur de Mareuil. Für
fünftausend Livres will Vinacche dem Herrn von Mareuil einen
konstellierten Diamant, vermöge dessen man immerfort glücklich spielen
soll, anfertigen. Ein wenig weiter zurück unterhalten sich die beiden
reichen Bankiers van der Hultz, der Vater und der Sohn, mit Herrn
Menager, _Sécrétaire du Roi_ und Handelsdeputierten von Rouen; -- auf
einem Rasenplatz tanzen einige junge Paare nach den Tönen einer Schalmei
und eines Dudelsacks ein Menuett; bunte Diener tragen Erfrischungen
umher, für die abfahrenden Gäste erscheinen andere; der Chevalier von
Serignan, Monsieur Nicolaus Buisson, der Sieur Destresoriers, Edelleute
von der Robe, Edelleute vom Degen, Finanzleute, Beamte und so weiter mit
ihren Frauen und Töchtern, allgesamt angezogen von dem Glanz, der Pracht
und dem großen Geheimnis des einstigen neapolitanischen Bettlers Stefano
Vinacche.
Hat sich aber um Mitternacht dieser Schwarm der Gäste verloren, so
erscheinen andere Gestalten. Aus verborgenen Schlupfwinkeln tauchen
Männer auf, finstere bleiche Männer mit zusammengezogenen Augenbrauen
und rauhen, rauchgeschwärzten Händen. Da ist Konrad Schulz, ein
Deutscher, den Herr von Pontchartrain später verschwinden läßt, ohne daß
man jemals wieder von ihm hört. Da sind Dupin und Marconnel,
hocherfahren in der geheimen Kunst. Da ist Thuriat, ein wackerer
Chemiker; da ist ein anderer Italiener, Martino Polli. Geheimnisvolle
Wagen, von geheimnisvollen Fuhrleuten begleitet, langen an und fahren
ab, und Säcke werden abgeladen und aufgeladen, die, wenn sie die Erde
oder einen harten Gegenstand berühren, ein leises Klirren, als wären sie
mit Goldstücken gefüllt, von sich geben, geheimnisvolle Feuer in
geheimnisvollen Öfen flammen auf, -- Wacht hält Madame de Vinacche, daß
die nächtlichen Arbeiter nicht gestört werden in ihrem Werke.
Hüte dich, Stefano Vinacche! Im geheimen Staatsrat zu Versailles hat man
von dir gesprochen: Monsieur Pelletier von Sousy, der Intendant der
Finanzen, hat den Mann mit dem Kopf voll böser Anschläge, hat Monsieur
d'Argenson aufmerksam auf dich gemacht.
Hüte dich, Stefano Vinacche! --
Wer klopft in dunkler Nacht an das Hinterpförtchen des Landhauses zu
Coubron?
Salomon Jakob, ein Jude aus Metz, welcher die Verbindung des
»Unbegreiflichen« mit Deutschland vermittelt.
Wer klopft in dunkler Nacht an die Pforte des Landhauses zu Coubron?
Franz Heinrich von Montmorency-Luxemburg, Pair und Marschall von
Frankreich, welchen Stefano Vinacche die Kunst lehren soll, den Teufel
zu beschwören.
In dunkler Nacht fährt nach Coubron der Herzog von Nevers, um sich in
die geheimen Wissenschaften einweihen zu lassen.
In dunkler Nacht fährt nach Coubron Karl d'Albert, Herzog von Chaulnes,
und Madame de Vinacche empfängt ihn in brokatnen Gewändern, geschmückt
mit einer Cordeliere und einem Halsband im Wert von sechstausend Livres.
»_Notre Dame de Miracle_, wie habe ich für Euer Glück gesorgt,
Allerschönste!« sagt der Herzog von Chaulnes, und die Tochter des Wirts
zum Dauphinswappen verbeugt sich mit dem Anstand einer großen Dame und
führt den hohen Gast und Gönner in ihren Salon, welcher den Vergleich
mit jedem andern zu Paris aushält.
Stefano Vinacche trägt nicht mehr sein eigenes Haar; eine wallende
gewaltige Lockenperücke bedeckt sein kluges Haupt. Mit feiner Ironie
sagt er, in den wallenden Stirnlocken dieser seiner Perücke halte er
seinen _Spiritus familiaris_, sein »_folet_« verborgen und gefesselt.
»_Notre Dame de Miracle_, Ihr seid ein großer Mann, Etienne!« sagt der
Herzog von Chaulnes, und der Hausherr von Coubron verbeugt sich
lächelnd:
»O Monseigneur!«
»Ja, ja, wer hätte das gedacht, als ich Euch in Italien von der
Landstraße aufhob? Wer hätte das gedacht, als ich Euch durch den Grafen
von Auvergne vom Galgen errettete; -- Vinacche, Ihr müßt mir sehr
dankbar sein.«
Stefano legt die Hand auf das Herz.
»Monseigneur, ich habe ein gutes Gedächtnis für empfangene Wohltaten.
Glaubt nicht, daß das Glück und die errungene Wissenschaft mich stolz
mache. Fragt meine Frau, was gestern geschehen ist.«
»Wahrlich, Monseigneur, es war eine tolle Szene. Stellt Euch vor, es
befindet sich gestern eine glänzende Gesellschaft bei uns, Monsieur
Despontis, Monsieur von Beaubriant und viele andere, als ein abgelumpter
Mensch Etienne zu sprechen verlangt. Die Diener wollten ihn abweisen;
aber Etienne hört den Lärm und läßt den Vagabunden kommen. _Mon Dieu_,
was für eine Szene!«
»Nun?!«
»Nicolle war's, gnädigster Herr! Nicolle, meines Mannes Kamerad aus dem
Regiment Royal-Roussillon!«
»Oh, oh, oh! ah, ah, ah!« lacht der Herzog. »Dem Wiederfinden hätt' ich
beiwohnen mögen. Das muß in der Tat eine eigentümliche Überraschung
gegeben haben.«
»Ich fiel in Ohnmacht, und Etienne -- fiel dem Vagabunden um den
Hals --«
»Und die Gesellschaft?«
»Stand in starrer Verwunderung! Es war ein tödlicher Augenblick,« ruft
Madame de Vinacche klagend, doch Etienne sagt:
»Ich hatte dem Manne einst ein schweres Unrecht zugefügt, jetzt war mir
die Gelegenheit gegeben, es wieder gutzumachen, und ich benutzte diese
Gelegenheit.«
»_Notre Dame de Miracle_, ich werde der Frau von Maintenon diese
Geschichte erzählen. Ihr seid ein braver Gesell, Etienne. Ah, oh, _ou la
vertu va-t-elle se nicher_? wie Monsieur Molière sagt, -- sagt er nicht
so?«
»Ich glaube, gnädiger Herr,« meint Vinacche, die Achsel zuckend, und
setzt hinzu, als eben jemand an die Tür des Salons mit leisem Finger
klopft: »Da kommt Konrad, uns zum Werk zu holen. Wenn es also beliebt,
Monseigneur, so können wir unsere Arbeit von neuem aufnehmen; Zeit und
Stunde sind günstig, jeder Stern steht an seinem rechten Platz, und gute
Hände schüren die Flamme!«
In die geöffnete Tür schaut das finstere Gesicht des deutschen Meisters
Konrad Schulz:
»Es ist alles bereit!«
»Wir kommen!« sagt der Herzog von Chaulnes, mit zärtlichem Handkuß von
Madame Vinacche Abschied nehmend. In das chemische Laboratorium herab
schreiten die Männer.
Um den schwarzen Herd stehen regungslos die Gehilfen des großen
Goldmachers. Atemlos verfolgt der Herzog jede Bewegung des Alchymisten.
Der Meister arbeitet!
Tiegel voll Salpeter, Antimonium, Schwefel, Arsenik, Qecksilber gehen
von Hand zu Hand. Die Phiole mit dem »Sonnenöl« reicht Martino Polli,
das Blei bringt Konrad Schulz zum Fluß; -- der große Augenblick ist
gekommen. Aus einem Loch in der schwarzen feuchten Mauer ringelt sich
eine bunte Schlange hervor, sie steigt an dem Beine Stefano Vinacches
empor, sie umschlingt seinen Arm und scheint ihm ins Ohr zu zischen. Ein
Zittern überkommt den Goldmacher, aus der Brust zieht er ein winziges
Fläschchen; -- im Tiegel gärt und kocht die metallische Masse, -- die
Flammen züngeln, -- aus der Phiole in der Hand des Meisters fällt das
Projektionspulver in den Tiegel -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- --
Das Werk ist vollbracht! In die Form gießt Konrad Schulz die kostbare,
im höchsten Fluß befindliche Masse -- nach einigen Augenblicken wiegt
der Herzog von Chaulnes eine glänzende Metallbarre in der Hand.
»Reinstes Gold, Monseigneur!« sagt Stefano Vinacche. --


IV.
Was man in Versailles dazu sagte.

Vinacche fuhr mit seiner Frau vierspännig durch die Straßen von Paris.
Lange war Claude Bullot tot und erinnerte sie nicht mehr an die
Dunkelheit ihrer Herkunft. In der Gasse Saint Sauveur besaß Stefano
jetzt ein prächtiges Haus, wo er die beste Gesellschaft von Paris bei
sich sah. Sein Leben strahlte im höchsten Glanz. Die Teilnehmer seiner
wunderlichen Operationen hatte er durch Drohungen, Versprechungen, List
und Überredung zu seinen Sklaven gemacht; er durfte ihnen drohen, sie
bei der geringsten Auflehnung gegen seinen Willen als Fälscher, Kipper
und Wipper hängen zu lassen. Seine Geschäftsverbindungen mit Samuel
Bernard, Tronchin, Menager, mit den beiden van der Hultz, mit
Saint-Robert und dem Sieur Buisson Destresoriers nahmen ihren
ungestörten Fortgang. Man sah in seinen Gemächern oft fünfzehn, zwanzig,
dreißig Säcke voll nagelneuer Louisdors aufgestellt. Neu geprägte
Goldstücke fanden die Diener und Dienerinnen, von denen das Haus
überquoll, im Kehricht, in den Winkeln, unter der schmutzigen Wäsche; --
sie verkauften Stückchen von Goldbarren an die Juden, und Madame de
Vinacche erschrak eines Tages heftig genug, als sie, ungesehen von
ihnen, ein Gespräch zwischen ihrer Kammerfrau La Martion und einigen
Lakaien ihres Mannes belauschte. --
Der spanische Erbfolgekrieg hatte begonnen. War das Geld im Hause
Stephano Vinacches im Überfluß vorhanden, so mangelte es um desto mehr
im Hause des Königs Ludwig des Vierzehnten. Herrschte im Hause Stefano
Vinacches Jubel und Übermut, so herrschte Mißmut, Angst, Sorge und Not
zu Versailles. Ein gewaltiger Umschwung aller Dinge trat in diesem
früher so glänzenden Frankreich mehr und mehr hervor. Auf die Zeit des
phantastischen, lebenvollen Karnevals folgte der Aschermittwoch mit
seinen Grabgedanken. Zu Grabe gegangen waren die Schriftsteller und
Dichter: Pascal und Franz von La Rochefoucauld ergründeten nicht mehr
die Tiefe des menschlichen Herzens. Jean de Lafontaine hielt nicht mehr
den lustigen Spiegel der Welt vor, Jean war »davongegangen wie er
gekommen war«; -- verstummt war die mächtige Leier des großen Corneille,
Jean Racine hatte sein Schwanenlied gesungen und war hinabgesunken in
die blaue Flut der Ewigkeit. Tot, tot war Molière, der gute Kämpfer
gegen Dummheit, Heuchelei, Aberglauben und Laster; tot war Jean Baptiste
Poquelin, genannt Molière, aber Tartuffe lebte noch!
Die Heiterkeit des Daseins war erblaßt, auch die feierlichen Stimmen der
großen Kanzelredner Bossuet, Bourdaloue, Flechier verstummten! König in
Frankreich war der Pater La Chaise, Königin in Frankreich war Franziska
d'Aubigné, die Witwe Paul Scarrons. Die Schutzherrschaft über das Land
nahm man dem heiligen Michael und gab sie der Jungfrau Maria, wie man
sie vorher dem heiligen Martin und vor diesem dem heiligen Denis
genommen hatte. Schaffe Geld, schaffe Geld, Geld, Geld, o heilige
Jungfrau Maria! Schaffe Geld, holde Schutzherrin, Geld zum Kampf gegen
deine und unsere Feinde! Schaffe Geld und abermals Geld und wiederum
Geld, süße Mutter Gottes! Schaffe Geld, Geld, Geld, o Schutzpatronin von
Frankreich und Versailles, Marly und Trianon!
Wiederum war ein Staatsrat gehalten worden zu Versailles über die besten
Mittel, Geld zu bekommen, und niemand hatte Rat gewußt; weder
Pontchartrain, noch Pomponne, noch du Harlay, Barbezieux, d'Argouges,
d'Agnesseau. Wohl war manche neue Steuer vorgeschlagen worden; doch ohne
zu einem Resultat gelangt zu sein, hatte Louis der Vierzehnte seine Räte
entlassen müssen. Verstimmt im höchsten Grade, ratlos bis zur
Verzweiflung schritt er auf und ab in seinem Gemach und seufzte:
»O Colbert, o Louvois!«
Der König von Frankreich befand sich vollständig in der Seelenstimmung
Sauls, des Königs der Juden, als er Verlangen trug nach dem Geiste
Samuels, des Hohenpriesters.
Dazu war die Frau Marquise nach Saint Cyr zu ihren jungen Damen
gefahren, und der Vater La Chaise gab einigen Brüdern in Christo in
der Vorstadt Saint Antoine in seinem Hause ein kleines Fest. Armer,
großer Louis! zu seinem letzten Mittel mußte er greifen, um sich zu
zerstreuen; -- Fagon, sein Leibarzt, wurde gerufen. In der Unterhaltung
mit diesem klugen Manne ging dem Monarchen, freilich doch langsam
genug, dieser trübe Oktobernachmittag des Jahres 1703 hin, und zuletzt
kam auch Madame von Maintenon zurück. Der König seufzte auf, gleich
einem, der von einer schweren Last befreit wird; Fagon machte seine
Verbeugungen und entfernte sich, ebenfalls höchlichst erfreut über seine
Erlösung.
Im klagenden Tone erzählte nun der König seiner Ratgeberin von seiner
trüben Nachmittagsstimmung, von seiner Sehnsucht nach ihr, seiner
einzigen Freundin, von der Dummheit der Ärzte und von der vergeblichen
Ratssitzung.
»Sire,« sagte die Marquise lächelnd, »ich bin Eure demütige Dienerin;
die besten Ärzte sind die, welche die Seele zu heilen verstehen, was
aber die Ratlosigkeit Eurer Räte betrifft, so ist hier ein Billett,
welches die Mittel angibt, dem Staat Geld zu schaffen. Von unbekannter
Hand wurde es mir in den Wagen geworfen. Leset es, Sire, wir haben schon
einmal über den Mann gesprochen, von dem es handelt.«
Der König nahm das Schreiben und überflog es.
»Vinacche?! der Goldmacher!« murmelte er und zuckte die Achseln.
»Ich höre Erstaunliches über den Mann,« meinte die Marquise. »Sein
Luxus geht ins Grenzenlose. Die größten Herren Eures Hofes, Sire, gehen
bei ihm ein und aus. Der Herzog von Brissac hat mir neulich stundenlang
von dem geheimnisvollen Menschen gesprochen. Neulich war auch Madame von
Chamillard bei mir; sie steht in Verbindung mit dem reichen
holländischen Bankier van der Hultz. Auch dieser Mann soll vollständig
überzeugt sein, Monsieur de Vinacche habe das Projektionspulver
gefunden, Monsieur de Vinacche mache in Wahrheit Gold.«
»Ach, Marquise, von wie vielen haben wir das geglaubt!«
»Sire, wäre ich an Eurer Stelle, ich würde d'Argenson beauftragen,
diesen Italiener etwas genauer zu beobachten.«
Der König zuckte abermals die Achseln und gab das Billett zurück.
»Wenn d'Argenson das für nötig hält, so mag er seine Anordnungen
treffen; -- ich will nichts damit zu tun haben. Was beginnen Eure
Fräulein zu Saint Cyr, Marquise?«
Nachdem der König das Gespräch auf eine andere Bahn geleitet hatte, war
es vergeblich, von neuem den verlassenen Punkt zu berühren; aber die
Marquise schob das Billett in ihre Tasche und faßte einen Beschluß. Am
andern Tage schickte sie ihren Stallmeister Manceau in die Gasse Saint
Sauveur zu Vinacche, unter dem Vorgeben: er solle Diamanten kaufen für
eine fremde Prinzessin. Manceau, von seiner Herrin bestens instruiert,
ließ nichts in dem Hause des Alchymisten außer Augen und erzählte
nachher Wunder von der Pracht und dem Glanze, die darinnen herrschten.
Pferde, Gemälde, Silbergeschirr, Meubles, alles taxierte er, wie ein
Auktionskommissär; auf seine Frage nach Juwelen antwortete aber
Vinacche, er besitze deren wohl sehr schöne, aber er handle nicht damit.
Fast schwindelnd von dem Geschauten kam der Abgesandte der Marquise nach
Versailles zurück und stattete seiner Herrin Bericht ab. Einige Tage
nachher wurde Stefano Vinacche selbst nach Versailles beschieden und
daselbst sehr höflich und zuvorkommend von Herrn von Chamillard
empfangen! Ein langes Gespräch hatten die beiden Herren miteinander, und
hinter einem Vorhange lauschte die Marquise von Maintenon demselben.
Aber aalglatt entschlüpfte Vinacche jeder Frage, die sich auf seine
große Kunst bezog; er nahm Abschied und bestieg seine Karosse wieder,
ohne daß die Marquise und Chamillard ihrem Ziel im geringsten
nähergekommen wären.
»Lassen wir d'Argenson kommen!« sagte Frau von Maintenon. »Um keinen
Preis darf uns dieser Mann entgehen.«
Monsieur de Chamillard verbeugte sich bis zur Erde, und -- d'Argenson
ward gerufen.


V.
Das Ende.

Und Monsieur d'Argenson streckte seine Hand aus; -- es fiel ein
schwarzer Schatten über das glänzende, fröhliche Leben in der Gasse
Saint Sauveur; nach allen Seiten hin zerstob das Getümmel der vornehmen,
reichen und geistreichen Gäste. Die Flucht nahmen die Herzöge, die
Marquis, die Chevaliers, die Abbés, die Poeten. Wer durfte wagen, da zu
weilen, wohin Monsieur d'Argenson den Fuß gesetzt hatte?
Aus dem Nebel ragt düster drohend die Bastille! Sie halten den Stefano
Vinacche, auf daß ihnen sein köstliches Geheimnis »nicht entgehe«,
und -- am 22. März 1704, einem Sonnabend -- scharren sie ihn ein auf dem
Kirchhof von Sankt Paul, unter dem Namen =Etienne Durand=.
Wer hat je das Genie durch Gewalt gezwungen, seine Schätze mitzuteilen?
So liest man in den Registern der Bastille:
»In der Nacht vom Mittwoch auf den grünen Donnerstag, als am 20. März
1704, morgens um ein Viertel auf zwei Uhr verschied in Nummer drei der
Bertaudiere Monsieur de Vinacche, ein Italiener, in der Gegenwart des
Schließers La Boutonnière und des Korporals der Freikompagnie der
Bastille, Michel Hirlancle. Nach dem Tode des Gefangenen gingen die
beiden Wächter, Monsieur de Rosarges davon zu benachrichtigen, und erhob
sich dieser und verfügte sich in die Zelle des Sieur Vinacche, welcher
sich selbst getötet hat, indem er sich gestern, als am Mittwoch,
ungefähr um zwei Uhr nachmittags mit seinem Messer die Kehle unter dem
Kinn zerschnitt und sich also eine sehr große und weite Wunde
beibrachte. Obgleich ihm alle mögliche Hilfe geleistet wurde, konnte man
ihn doch nicht retten. Da der Sterbende einige Zeit hindurch das
Bewußtsein wieder erlangte, so hat unser Almosenierer sein Bestes getan,
ihn zur Beichte zu bewegen, jedoch ganz und gar vergeblich. Gegen neun
Uhr abends habe ich Monsieur d'Argenson von dem Unglück Nachricht
gegeben, und ist derselbe in aller Eile sogleich erschienen, um zu dem
Sterbenden zu reden, jedoch auch ihm hat der Unglückliche keine Antwort
gegeben.
In diesem Schlosse der Bastille 20. März 1704.
=Dujonca=,
Königsleutnant in der Bastille.
Wohl mochte nachher d'Argenson in seinem Bericht an Chamillard von
»_billonage_«, von Kipperei und Wipperei sprechen, es glaubte niemand
daran, selbst der Berichterstatter glaubte nicht daran; man brauchte nur
eine Rechtfertigung dem aufgeregten Publikum gegenüber. Zu Versailles
wirkte die Nachricht von dem Tode Stefano Vinacches gleich einem
Donnerschlag; der König Ludwig der Vierzehnte wurde darob ebenso zornig
und niederschlagen, wie später in demselben Jahre über die Kunde von den
Niederlagen auf dem Schellenberge und bei Höchstedt. Die Frau Marquise
und die Herren de Chamillard und d'Argenson hatten einige bittere
Stunden zu durchleben; aber was half das? Stefano Vinacche war tot und
hatte sein Geheimnis mit in das Grab genommen!
Der Witwe des Unglücklichen meldete man offiziell, ihr Gemahl sei in der
Bastille am Schlagfluß verschieden; sie blieb im ungestörten Besitze
aller der auf so geheimnisvolle Weise erworbenen ungeheuren Güter. Der
alte Bericht, dem wir dieses seltsame Lebensbild nacherzählen,
vergleicht den gemordeten Stefano mit jenem Künstler, welcher dem
Imperator Tiberius ein köstliches Gefäß von biegsamem, hämmerbarem Glas
überreichte. Der Kaiser bewunderte die vortreffliche Erfindung und
fragte, ob dieselbe schon andern Menschen bekannt sei, welches der
Künstler verneinte. Auf diese Antwort hin ließ der Tyrann dem genialen
Erfinder den Kopf abschlagen und die Werkstatt desselben zerstören,
damit nicht »Gold und Silber gemein und wertlos würden, wie der Kot in
den Gassen von Rom«.
»_Par notre Dame de Miracle_, Madame, Euer Gemahl war ein großer Mann,«
sagte der Herzog von Chaulnes zu der trauernden Witwe Stefanos, »Euer
Gemahl war in Wahrheit ein großer Mann; aber =einen= Fehler hatte er, er
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