Der Junker von Denow; Ein Geheimnis; Ein Besuch; Auf dem Altenteil: Erzählungen - 3

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massakrieren und sämtlich zu Schelmen zu machen, und über sie als
Schelmen die Fähnlein abreißen und schleifen zu lassen, befugt gewesen
sein, so haben doch I. F. G. zu Deroselbst eigenen Glimpf den
gelindesten Weg für die Hand nehmen wollen und haben sich resolviret,
euch die bestrickten Knechte, welche eines Teils bei I. F. G. als die
Prinzipalisten Meutemacher angegeben sind, andernteils von ihren eigenen
Spießgesellen dafür geliefert worden sind, -- vor ein öffentlich
Malefizrecht stellen zu lassen.
So fordere ich also auf unsers allerseits gnädigen Fürsten und Herrn
gnädigen Befehl euch: Christoph von Denow, Detlof Schrader von
Rendsburg, Erich Südfeld von Hannover usw. usw. -- so fordere ich euch
auf morgen früh um sieben Uhr, das ist den fünften November dieses
Jahres Eintausendfünfhundertneunundneunzig vor kaiserliches Recht in
den Ring, wo ihr gerichtet werden sollt, wie es am Jüngsten Tage vor
Gott dem Allmächtigen, wenn Gottes Sohn kommen wird zu richten die
Lebendigen und Toten, zu verantworten ist!« -- --
Fünfundachtzig Namen rief der Notarius Friedrich Ortlepp auf, und jeder
der Gefangenen antwortete durch ein: »Ist hier gegenwärtig.« Als die
Liste zu Ende gebracht war, hob der kleine schwarze Mann noch einmal,
lächelnd, die bebrillte Nase und ließ seine Äuglein wohlwollend über die
Gefangenen hingleiten; dann nickte er dem Geharnischten zu, dieser
winkte dem Gefreiten, welcher seine Partisane anzog, sein Kommandowort
rief. Die Musketierer schulterten ihre Büchsen, und die Beamten
schritten heraus aus dem Gewölbe, dessen Tür sogleich hinter ihnen
wieder zufiel.
Noch einen Augenblick tiefster Stille, dann ein dumpfes Gemurmel, dann
wildester Losbruch aller mächtig zusammengepreßten Gefühle und
Leidenschaften der gefesselten Meuterer! Ein wildes Durcheinander, --
Ausrufe des Zorns, des Hohns, der Besorgnis, der Angst, --
Kettengerassel!
»O Junker, Junker!« rief verzweiflungsvoll der Knecht Erdwin, das Haupt
seines jungen Herrn an seine breite Brust ziehend. »O Junker, Junker,
wenn das Euer Vater erlebt hätte!«
»Ja, meine Mutter, meine Mutter! 's ist gut, daß sie tot ist!« seufzte
Christoph von Denow, die Hand über die Augen legend. -- -- -- -- -- --
In den überfüllten Schenken der Stadt erschallte der tobende Gesang der
zum Kriegsgericht eingeforderten Söldner und Hauptleute; viel Zank und
Streit blieb nicht aus in den Gassen. Die Bürger zeigten sich nicht
allzuhäufig außerhalb ihrer Haustüren, und wenn es ja einen Nachbar oder
Gevatter allzusehr drängte, die Ereignisse des Tages mit einem Gevatter
oder Nachbar zu besprechen und abzuhandeln, so schlich er so vorsichtig
als möglich im Schatten der Hauswände dahin. Der Nebel ward dichter und
dichter, je mehr die Dämmerung Besitz ergriff von Stadt und Land. Der
Herzog auf dem Schloß ließ mehr Holz in den Kamin seines Gemaches
werfen, und der Geringste seiner Untertanen ahmte ihm darin so gut als
möglich nach. Immer unfreundlicher ward die Nacht.
Auf dem Prellsteine unter dem Torgewölbe des Mühlenturmes kauerte eine
weibliche, verhüllte Gestalt. Einen grauen Mantel von schwerem,
grobem Tuch hatte sie dicht um sich geschlagen, das spitze Hütlein,
durch welches ein klein rundes Loch ging, gleich der Spur einer
Büchsenkugel -- tief in die Stirn gedrückt; ein Bündel lag neben ihr.
Das war Anneke Mey aus Stadtoldendorf!
Ihr Haupt stützte sie auf beide Hände und starrte regungslos auf die
schwarzen Massen des fürstlichen Schlosses, welches jenseits des
Ockergrabens hoch emporragte in den dunkeln Nachthimmel, und in welchem
hie und da ein erleuchtetes Fenster schimmerte. -- So hatte Anneke den
ganzen lieben langen Tag über gesessen, so saß sie noch, als es schon
vollständig Nacht geworden war, und die Ronde sich näherte, das Tor zu
schließen.
»Sitzt die Dirn da noch!« rief der Weibel. »Heda, Schätzchen, fort mit
dir, daß dir das Fallgatter nicht auf den Kopf fällt. Marsch, Liebchen!
weiß nicht, was du hier suchen könntest?« Anneke rührte sich nicht von
ihrem Platze.
»Na, wird's bald? Nimm Vernunft an, Kind, 's gibt wärmere Nester.« Damit
faßte er den Arm der Kauernden, um sie in die Höhe zu ziehen.
»O lasset mich hier! lasset mich hier!«
»Hoho, geht nicht, geht nicht. Aber nun lasset doch auch einmal Euch ins
Gesicht schauen. Hebt die Laterne hoch! Mädel, Kopf in die Höhe!«
Der Schein der Laterne fiel in das bleiche gramvolle Gesicht des
Mädchens. --
»Alle Teufel, das ist ja die Anneke, die Anneke Mey von Rees her!« rief
einer der Büchsenschützen sich vordrängend. »Weibel, mit der mußt du
säuberlich umgehen. Fürcht dich nit, Anneke -- wo kommst du her?«
»Aus dem Moor, aus dem hessischen Darlaten, Arendt Jungbluth!« sagte
Anneke tonlos.
»Wo sie die Meutmacher niedergelegt haben? Ei, ei, Anneke, und du bist
mit ihnen gezogen?«
»Sie sind im Wald über uns gekommen, weil sie der Graf von Hollach
abgedrängt hatt' von der Weser, und sie haben den Junker aufs Pferd
gezwungen, und er hat nichts anders gekonnt, er hat sie müssen führen;
nun aber haben sie doch geraubt und gebrannt und sind gezogen, wo sie
wollten, und wir haben müssen mit ihnen durch die Wiehenberge, ins Land
Hoya. Da ist es zum Ende gekommen -- da hat uns der Graf gestellt, und
Hans Niekirche ist tot, ist auch nicht heimgekommen zu seiner Mutter --
Gnade Gott uns allen!«
Lautlos umstanden die Söldner das junge Mädchen; endlich sagte der
Weibel: »So ist es geschehen, dagegen kann keiner sagen -- arm Mädel,
was sitzest nur hier auf dem kalten Stein?« Stumm deutete Anneke nach
dem Gefängnis im Turm über ihr; dann sagte sie: »Sie führten uns zuerst
auf das feste Haus Stolzenau; nun sind wir hier zum Gericht!«
»Und der Junker, von welchem du gesprochen hast, ist da oben bei den
andern?« fragte der Weibel.
Anneke nickte.
»Das ist der Knab Christoph von Denow, von den Reitern?« fragte wieder
der Gefreite Arendt Jungbluth, welcher zuerst Anneke erkannt hatte. »Ist
das dein Schatz?«
Ein leises Zittern überlief den Körper des Mädchens, sie antwortete
nicht und schüttelte das Haupt und senkte das Gesicht in die Hände und
legte den Kopf auf die Knie.
»Arm Kind! arm Mädel!« murmelten die Krieger. »Aber sie kann hier nicht
bleiben,« brummte der Weibel. »Wir müssen fort, der Böse fährt uns sonst
auf den Buckel!«
»Lasset mich einmal mit ihr sprechen,« sagte Arendt Jungbluth. Er beugte
sich nieder zu der Armen und flüsterte ihr zu; plötzlich stieß sie einen
Schrei aus, einen Freudenschrei und stand auf den Füßen: »Wirklich,
wirklich? Ihr könnt? Ihr wollt? O, Gott segne Euch tausendmal!«
»Herauf die Brücke! Herunter das Gatter! Ist's geschehen? -- Fort nach
der Schloßwach! -- Jürgen, marsch, voran mit der Laterne!« kommandierte
der Weibel. »Anneke, Ihr gehört zu uns, niemand tut Euch was zu Leid.
Marsch, marsch!«
Die Hellebarden lagen wieder auf der Schulter: inmitten der
Wachtmannschaft ging Anneke Mey, und Jürgen trug außer der Laterne auch
noch das Bündlein des Soldatenkindes.


V.

Eins schlug die Uhr des Schloßturmes, und die Krähen fuhren auf aus
ihren Nestern und umflatterten krächzend die Spitze und die Wetterfahne,
bis der Klang ausgezittert hatte.
»So geh zu ihm!« flüsterte Arendt Jungbluth. »Um drei Uhr ist meine
Wacht zu Ende, dann klopf' ich und du kommst heraus. Nun gehab dich
wohl; des Wärtels Margaret lauert drunten am Gang.«
»Dank Euch, dank Euch!« flüsterte Anneke Mey. Die Gefängnistür im
Mühlenturm öffnete sich kaum weit genug, um das schmächtige junge
Mädchen einzulassen, und schloß sich sogleich wieder.
Die qualmende Hängelampe war wie ein roter Punkt in dem dunsterfüllten
Raume anzuschauen; die meisten der Gefangenen schnarchten auf dem Stroh
die Wände entlang, viele hatten aber auch die Köpfe auf den Tisch gelegt
und schliefen so. -- Dann und wann erklirrte leise eine Fessel, oder ein
Stöhnen und Geseufz ging durch die Wölbung. Niemand hatte den Eintritt
des Mädchens bemerkt.
Einige Minuten stand Anneke dicht an die Mauer gedrückt. Sie vermochte
kaum Atem zu holen. Wie sollte sie in dieser Hölle den finden, welchen
sie suchte?
Plötzlich ward es hell in ihr: anfangs leise, dann lauter begann sie das
alte Lied vom Falkensteiner zu singen:
»Sie ging den Turm wohl um und um:
Feinslieb bist du darinnen?
Und wenn ich dich nicht sehen kann,
So komm' ich von meinen Sinnen.
Sie ging den Turm wohl um und um,
Den Turm wollt' sie aufschließen:
Und wenn die Nacht ein Jahr läng wär',
Keine Stunde tät' mich verdrießen!«
Von ihrem Lager richteten sich die Schläfer auf, stärker klirrten die
Ketten an ihren Armen und Beinen.
»Ei, dürft' ich scharfe Messer tragen,
Wie unsers Herrn sein' Knechte,
Ich tät' mit dem Herrn vom Falkenstein,
Um meinen Herzliebsten fechten!«
»Was ist das? Wer ist das? Wer singet hier?« tönte es wild
durcheinander. »Anneke, Anneke, Anneke Mey,« rief die Stimme Christoph
von Denows dazwischen, und Erdwin Wüstemann hielt das junge Mädchen in
den Armen: »Hier, hier halt' ich sie, hier ist sie, wie ein Engel vom
Himmel mit ihrer Lerchenstimme! O Kind, Kind, was willst hier in dieser
Wüstenei? Junker, Junker, wo seid Ihr?«
»O Anneke! Anneke!« rief Christoph von Denow.
»Vivat Anneke, Anneke Mey!« riefen alle andern Gefangenen. »Das ist ein
wackeres Mädel! Vivat des Regiments Schenkin!«
Es fiel keine schnöde, böse Rede: im Gegenteil, es war, als ob durch das
Erscheinen des Kindes jedes trotzige wilde Herz milder geworden wäre.
Man hätte sie gern auf den Händen getragen, da sie das aber nicht leiden
wollte, suchte man ihr den bequemsten Platz aus und breitete Mäntel
unter ihre Füße, um sie vor der feuchten Kälte der Steinplatten zu
schützen. Eine Bank wurde zerschlagen, um das erlöschende Feuer im Kamin
damit zu nähren.
»So hast du uns nicht verlassen, Anneke!« rief Christoph und hielt ihre
beiden Hände in den seinigen, und der Knecht Erdwin wischte verstohlen
eine Träne aus den grauen Wimpern. »O, wie können wir dir je das
wiedervergelten?«
»Wie könnt ich Euch verlassen? Und wenn sie Euch zum Tode führen, ich
geh' mit Euch!«
Sie saßen beieinander, Christoph und Anneke, neben dem Kamin, und die
Dirne schluchzte und lächelte durch ihre Tränen. Sie vergaßen alles um
sich her, und der alte Wüstemann stand dabei, seufzte tief und schwer
und schüttelte das greise Haupt:
»Jammer, o Jammer!«
Um drei Uhr krähte zum ersten Mal der Hahn, um drei Uhr klopfte Arendt
Jungbluth an die Tür.
»Nun muß ich scheiden!« sagte Anneke. »Gott schütze uns; wenn das
Gericht angeht, steh' ich auf Eurem Wege, Herr.«
»Anneke, Gott lohn's dir, was du an uns tust!«
»Fahre wohl! Fahre wohl, Anneke!« riefen die gefangenen Meuterer. »Gott
segne dich, Anneke!«
Christoph von Denow schlug die Hände vors Gesicht; -- die Tür war hinter
dem jungen Mädchen zugefallen. Im Osten zeigte ein weißer Streif am
Nachthimmel, daß der Morgen nicht mehr fern sei, und der Wind machte
sich auf, fuhr von den Harzbergen nach dem deutschen Meer und verkündete
dasselbe.
-- -- -- -- --
Sechs schlug die Uhr des Schloßturmes; wieder schossen die Krähen aus
ihren Nestern und umflatterten die Spitze, krochen aber diesmal nicht
wieder zurück in ihre Schlupfwinkel, sondern ließen sich, eine bei der
andern, nieder auf dem Rande der Galerie, welche nahe dem Dach, den Turm
umzieht. Neugierig reckten sie die Hälse und blickten herab in den
dichten weißen Nebel unter ihnen, aus welchem kaum die höchsten Giebel
der Stadt und Festung hervorlugten. Trommelschall erdröhnte auf dem
Schloßhofe und hallte wider von den Wällen, während eine kriegerische
Musik aus der Ferne dem Weckauf der Besatzung antwortete. Auf der
Festung trat die Soldateska unter die Waffen, und in der Heinrichsstadt
verkündete das klingende Spiel, daß die Bürgerschaft in Wehr und
Harnisch aufzog.
Von Zeit zu Zeit löste sich einer der schwarzen Vögel aus der Reihe der
Genossen los und flatterte mit kurzen Flügelschlägen hinein in den
Nebel, als wolle er Kundschaft holen über das Fest, welches ihm drunten
bereitet wurde. Kehrte er zurück, so wußte er mancherlei zu erzählen,
und freudekreischend erhoben sich die andern und wirbelten durcheinander
und überschlugen sich in der grauen Luft, um endlich wieder
zurückzufallen auf ihre Plätze in Reih und Glied.
Gegen sieben Uhr verflüchtigte sich der Schleier, welcher über der Stadt
lag, um sieben Uhr trat alles ins Licht! Vor dem fürstlichen Marstalle
waren die Schranken aufgestellt. Ein mit rotem Tuch bekleideter Tisch
und ebenso überzogene Bänke für den Gerichtsschulzen und die Beisitzer
standen in der Mitte. Das Volk umwogte dicht gedrängt den Platz. Jetzt
zog »mit dem Gespiel« die fürstliche Leibgarde aus dem Schloßtor, den
Graben entlang, und besetzte zwei Seiten der Schranken. Nach ihr rückte
in drei Fähnlein die Bürgerschaft von der Dammfestung, der Heinrichstadt
und dem Gotteslager heran und schloß die beiden andern Seiten ein. Der
Ring war gebildet; die Fahnen wurden zusammengewickelt und unter sich
gekehrt, die Obergewehre mit den Spitzen in die Erde gestoßen, nach
Kriegsgebrauch bei kaiserlichem Malefizrecht.
Abermals entstand eine Bewegung unter der Volksmenge; wieder schritt
ein Zug durch die gebildete Gasse feierlich und langsam vom Schloß her.
Das war der Gerichtsschulze Melchior Reicharts mit seinen einundzwanzig
Richtern, Hauptleuten, Gefreiten und Gemeinen, und dem Gerichtsschreiber
Fridericus Ortlepius die allesamt paarweise in den Ring eintraten.
Zuerst ließ sich der _notarius publicus_ nieder, zur linken Hand an dem
roten Tisch. Er ordnete seine Papiere, guckte in sein Tintenfaß, rückte
das Sandfaß zurecht, und der trübe Himmel und die Krähen auf dem
Schloßturm schauten ihm dabei zu. Er prüfte die Spitze seiner Feder auf
dem Daumennagel, das Murmeln und Murren der tausendköpfigen Menge machte
einer Totenstille Platz; von dem Mühlenturm her erklang ein taktmäßiges
Rasseln und Klirren und verkündete das Nahen der Gefangenen. -- -- -- --
»O mein Gott, hilf ihm und mir!« stöhnte Anneke Mey von Stadtoldendorf,
als an dem Mühlenturm die Pforte sich öffnete und die davor aufgestellte
Reiterwache, die Pferde rückwärtsdrängend, das Volk auseinander trieb.
»Da sind sie! die Meutmacher! die Schufte! Da sind die falschen
Schurken!« ging der unterdrückte Schrei durch das zornige Volk. Aus der
Gefängnispforte hervor glitt ein verwildertes, trotziges oder verzagtes
Gesicht nach dem andern an der zitternden Anneke vorüber.
Und jetzt --
»Christoph!« durchdrang grell und schneidend ein Schrei die schwere
graue Luft, daß der Herzog Heinrich Julius, welcher an einem Fenster
seines Schlosses stand und auf das Getümmel unter sich finster
herabblickte, unwillkürlich den Kopf nach der Richtung hin neigte.
Da schritt er einher, der Junker von Denow, bleich, wankend, gestützt
auf den Arm des getreuen Knechtes Erdwin.
»O Christoph! Christoph von Denow!«
Der junge Reiter erhob das Auge; es haftete auf dem jungen Mädchen,
welches hinter der Reihe der begleitenden Hellebardierer die Hände ihm
entgegenstreckte; -- ein trübes Lächeln glitt über das Gesicht
Christophs, dann schüttelte er das Haupt; er wollte anhalten.
»Hast doch recht gehabt, Anneke!« lachte höhnisch Valentin Weisser,
der Rosenecker. »Waren unsrer doch zu wenig. Puh -- 's ist am End
einerlei -- Kugel oder Strick. Vorwärts, Junker Stoffel; ich tret' dir
sonst die Hacken ab!«
»Vorwärts! vorwärts!« rief der Führer der Geleitsmannschaft -- vorüber
schritt Christoph von Denow. --
Im Ring aber schwuren die Richter mit aufgerichtetem Finger und lauter
Stimme:
»Ich lobe und schwöre, daß ich diesen Tag und alles dasjenige, was vor
diesem Malefizrecht vorkommen wird, urteilen und richten will, es sei
gleich über Leib und Blut, Geld oder Geldeswert, als ich will, daß mich
Gott am Jüngsten Tage richten soll -- den Armen als den Reichen. Will
hierinnen weder Freundschaft noch Feindschaft, Gunst noch Ungunst, weder
Haß, Geschenke, Gaben, Geld ober Geldeswert ansehen, oder mich
verhindern lassen! So wahr mir Gott helfe und sein heiliges Wort!«
Alle Beisitzer saßen darauf nieder an ihren Plätzen, und nur der
Gerichtsschulze blieb stehen und tat eine Umfrage. Darauf verkannte er
das Recht: erstens im Namen der heiligen unzerteilbaren Dreifaltigkeit,
dann im Namen des Fürsten, dem Richter und Angeklagte als Kriegsleute
geschworen hatten, zuletzt kraft seines eignen angeordneten Amts und
Stabes, daß »keiner innerhalb oder außerhalb dem Rechten wolle einreden.
Solle auch niemand einem Richter heimlich zusprechen. Dem Profoß solle
eine freie Gasse gelassen werden, damit er guten Raum habe, damit er
desto baß mit den Gefangenen vom Rechten ab- und zugehen möge, bei Pön
eines rheinischen Gülden in Gold«.
»Derhalben,« fuhr er fort, »wer nun vor diesem Kaiserlichen Recht zu
schicken oder zu schaffen hat, es sei gleich Kläger oder Antworter oder
sonsten einer, der dem löblichen Regiment etwas anzuzeigen hat: die
stehen in den Ring und klagen, wie man pflegt zu klagen und Antwort zu
geben, auf Red und Widerred, wie in Kaiserlichen Rechten der Gebrauch
ist. -- Gerichtswebel, habt Ihr gestern den Profoß, wie auch die
Angeklagten fürgeboten, zitieret und geladen?«
Und der Gerichtswebel stand auf und antwortete: »Herr Schultheiß, ich
habe sie gestern früh mit drei Trommeln an den vier Orten der Welt
zitieret!«
Und des Regiments Profoß, Karsten Fricke, trat in den Ring, und der
Gerichtswebel führt die Angeklagten hinein, jedes Fähnlein für sich
zusammengeschlossen. --


VI.

Liege still, Kind,« sagte am zwanzigsten November bei Tagesanbruch auf
der Hauptwache im Schloß zu Wolfenbüttel der Gefreite Arendt Jungbluth.
»Liege ruhig und schlaf weiter: der Morgen ist dunkel und dräuet Schnee.
Es geht noch nicht an.«
Anneke Mey hatte sich auf der harten Holzbank, erschreckt aus tiefem
Traum auffahrend, in die Höhe gerichtet, bei dem Ruf der Wacht draußen,
die zur Ablösung herausrief.
»Schlafe wieder ein, Anneke, ich wecke dich, wenn es Zeit ist,« sagte
Arendt, die Sturmhaube auf den Kopf stülpend.
»Der letzte Tag!« murmelte das Soldatenkind, und das müde Haupt sank
wieder zurück auf das harte Lager, die Augen schlossen sich wieder.
»Hui, der Wind -- Teufel!« brummte Arendt, als die Söldner wieder
zurücktraten in die Wachtstube. »Schläft sie wieder? -- Richtig! ach,
ich wollt', sie verschlief' es ganz. Ruhig, Kerle -- haltet eure Mäuler!
Donner -- ist es nicht grad, als ob der Sturm den alten Kasten einem
über dem Kopf zusammenreißen wollte? Das wird das rechte Wetter sein für
die da draußen im Ring, das bläst ihnen die Urteile vom Munde weg. Wie
sie da liegt! ist das nicht ein Jammer? Ich wollt', sie verschlief' die
böse Stund.«
Wild jagte der Wind die schweren Schneewolken vor sich her und heulte
und pfiff in den Gängen des Schlosses wie der böse Feind, klapperte mit
den Ziegeln, rüttelte an den Fenstern und trieb die Wetterfahnen mit den
Löwen auf den Turmspitzen im Kreise umher, heftiger und heftiger, wie
der Tag zunahm.
Anneke Mey lag noch immer, nicht im Schlaf, sondern in stumpfsinniger
Erschöpfung. Was kein Kriegszug vollbracht hatte, das hatten die letzten
vierzehn Tage getan; sie hatten das Kind gebrochen, es matt und müd
gemacht bis zum Tode. Vergeblich sahen sich diesmal auf ihrem Wege zum
Gericht Christoph von Denow und Erdwin Wüstemann nach dem abgehärmten
Gesicht ihres Schutzengels um.
»Gottlob, gottlob, sie verschläft's!« murmelte Arendt Jungbluth, sich
über das Lager der Armen beugend.
Im Ring, unter dem düstern, schwarzen Himmel mit den jagenden Wolken las
Friedrich Ortlepp, der Gerichtsschreiber, ein Todesurteil nach dem
andern; einen Stab nach dem andern brach der Schultheiß und warf ihn auf
den Richtplatz.
»Gnade Gott der Seelen in Ewigkeit. Amen!« sprach er bei jeder weißen
Rute, welche zerknickt auf den Boden fiel.
Und jetzt -- jetzt der letzte Spruch!
»Auf eingebrachte Klage des Profoßen, Gegenrede des Beklagten,
produzierte Kundschaft und Zeugnis, ist durch einhellige Umfrage zu
Recht erkannt, daß -- =Christoph von Denow= nicht gebührt hat, sich für
einen Vorsprecher bei der vorgesetzten Obrigkeit, noch für einen
Hauptmann aufzuwerfen, noch die Befehle zu vergeben und auszuteilen,
noch die Wacht zu bestellen. Warum er dem Profoß überantwortet werden
soll, welcher ihn in sein Gewahrsam führen und ihn dem Nachrichter
einantworten und befehlen soll, daß er ihn hinausführe und an den
nächsten Galgen hänge und mit dem Strange zwischen Himmel und Erde
erwürge, damit der Wind unter ihm und über ihn durchwehen könne, ihm zu
verwirkter Strafe und andern zum abscheulichen Exempel!«
Wieder fiel der gebrochene Stab zu den anderen auf die Erde.
»Gnade Gott der Seelen in Ewigkeit, Amen!«
Auf die Knie stürzten dreiundachtzig der Verurteilten: »Gnade, Gnade!
Gnade ist besser denn Recht!«
Hochauf richteten sich Christoph von Denow und Erdwin Wüstemann, und der
Junker hob die gefesselte Rechte zum Himmel, während der Wind seine
Locken zerwühlte und die Schneewolken sich öffneten und das weiße
Gestöber wirbelnd herabfuhr:
»Keine Gnade! Recht! Recht! Recht ist besser denn Gnade!«
In den Ring sprang der Profoß mit der Wache und stürzte sich auf die
Gefangenen -- wild und anhaltend brach das Geschrei des Volkes los, die
Kommandoworte erschallten dazwischen, die Trommeln wirbelten, die
Trompeten schmetterten, aus der Erde wurden die Waffen gerissen und hoch
in die Luft geschwungen, die Fähnlein entfalteten sich im Winde. Die
Krähen aber schossen in einem schwarzen Haufen herab von dem Schloßturm
und umflatterten krächzend die Stätte des Gerichts. Gleich dem bewegten
Meer wogte und donnerte das Volk, und durch die Menschenflut kämpfte
sich mit zerrissenen Kleidern, losgegangenen Haarflechten Anneke Mey.
»Christoph! Christoph! O du heiliger Gott im Himmel! verloren!
verloren!«
Dem Herzog am geöffneten Fenster seines Gemachs riß der Sturm den Griff
des Flügels aus der Hand, daß er klirrend zuschlug. Über den Schloßhof
schritt der Gerichtsschultheiß Melchior Reicharts mit den Hauptleuten
Georg Frost, Peter Köhler, Heinrich Jordans und Moritz Ahlemann nach
getaner Pflicht den jungen Fürsten, Zahlherrn und Kreis-Obersten für
die Verurteilten zu bitten. Fridericus Ortlepius trug »fürsichtiglich
und sorgsamlich« die Akten und Protokolle. Tief in die Nacht hinein saß
der Herzog mit den sechs Männern über diesen Papieren. Vierundzwanzig
Todesurteile bestätigte er, und unter diesen befand sich das Christoph
von Denows. Zweiunddreißig der Verurteilten begnadigte er dahin, »daß
sie zur Straf sich verpflichten sollen, im Land zu Ungarn auf dem
Grenzhause Groß-Wardein wider den Erbfeind der Christenheit zu Wasser
und zu Lande, in Sturm und Schlachten jederzeit, wie ehrlichen
Kriegsleuten solches gebührt, sich gebrauchen zu lassen«. --
Siebenundzwanzig Männern wurde auf einen gewöhnlichen »Urfried« das
Leben und die Ehre geschenket und sie ihrem Fähnlein wieder
einverleibt. -- Zweien wurde das Leben und die Ehre ohne Bedingung
geschenkt. Der erste war Erdwin Wüstemann, der andere ein Söldner,
genannt Klaus Rischemann von Calvörde. Alle diese Schlüsse wurden den
Gefangenen noch in derselben Nacht bekannt gemacht.


VII.

Der Schnee lag hoch in den Straßen und auf den Plätzen der Stadt und
Festung Wolfenbüttel. Der Sturm hatte sich mit Anbruch des Tages ganz
gelegt, es war wieder still und ruhig geworden, und leise träufelte es
von den Dächern, denn die Luft war warm und mit Feuchtigkeit gefüllt;
mit dumpfem Geräusch bewegte sich das Volk in den Gassen.
Die Fenster der Schloßkirche glänzten rötlich in die trübe
Morgendämmerung herein, und feierlich erklang die Orgel und der Gesang
vieler Menschenstimmen:
Allein zu dir, Herr Jesu Christ,
Mein Hoffnung steht auf Erden. --
Im Schein der Lichter und Lampen erglänzte Harnisch an Harnisch in dem
heiligen Gebäude: den Verurteilten sollte ihre letzte Predigt gehalten
und das Abendmahl ihnen gereicht werden. Der junge Herzog saß in seinem
Stuhl, das Gebetbuch vor sich; alle Offiziere der Besatzung waren in
Wehr und Waffen zugegen, und die Wände entlang und im Schiff der Kirche
drängte sich ein bärtiges ernstes Kriegergesicht an das andere. Die
Vierundzwanzig, die sterben sollten, saßen auf einer niedern Bank unter
der Kanzel, auf welcher der Magister Basilius im schwarzen Chorrock mit
der Halskrause stand, bereit, seine Rede über die beiden Schächer am
Kreuz zu beginnen. In einem dunkeln Winkel unter der Orgel stand Erdwin
Wüstemann und hielt die schluchzende Anneke im Arm; um sie her knieten
oder standen die vom Tode losgesprochenen Meuterer, denen man die
Fesseln abgenommen hatte.
Und jetzt schwieg die Orgel und der Gesang. Das Wort des Evangelisten
Lukas wurde gelesen:
»Aber der Übeltäter einer, die da gehängt waren, lästerte ihn und
sprach: Bist du Christus, so hilf dir selber und uns! -- Da antwortete
der andere, strafte ihn und sprach: Und du fürchtest dich auch nicht vor
Gott, der du in gleicher Verdammnis bist? Wir sind billig darinnen, denn
wir empfangen, was unsere Taten wert sind; dieser aber hat nichts
Ungeschicktes gehandelt! -- Und er sprach zu Jesu: Herr, gedenke an
mich, wenn du in dein Reich kommst! -- und Jesus sprach zu ihm:
Wahrlich, ich sage dir, heut wirst du mit mir im Paradiese sein!« --
Überlaut riefen bei diesen letzten Worten des Textes einige der
Verurteilten: »Das helfe uns der allmächtige Gott!« und hoben die
kettenklirrenden Hände gefaltet hoch empor. Das Auge Christoph von
Denows aber leuchtete plötzlich in einem Glanz, welcher darin bereits
für immer erloschen schien. Hatte er eine Vision? Rief ihm eine süße
bekannte Stimme von oben? Erschien ihm winkend die tote Mutter?
Christoph von Denow war zum Sterben bereit. --
»Gott, Gott, laß so nicht das Haus Denow zu End kommen!« stöhnte in
seinem Winkel Erdwin, der Knecht. »Herr, schenke du ihm einen adeligen
Tod! Laß diesen Kelch an mir vorüber gehen!«
»Er soll mir den Kopf zertreten und über meinen leblosen Leib weggehen,
wenn er mich nicht hören will!« sagte Anneke Mey tonlos.
Und Dominus Basilius Sadler begann seine Buß- und Trostpredigt und
teilte sie in die zwei Punkte:
Erstlich, wie sich der »heilige« Schächer am Kreuz in einer letzten Not
gehalten.
Zum andern, wie herrlich ihn Christus getröstet habe.
Der Himmel im Osten aber färbte sich immer purpurner, und die Lichter
und Lampen der Kapelle erblaßten mehr und mehr vor dem Glanz, welchen
Gott über die winterliche Welt leuchten ließ. Die Gefangenen neigten die
Häupter tiefer und tiefer.
»-- Euer Weib und Kinder befehlet ihr, die ihr welche habt, Gott dem
Allmächtigen, der ist der Waisen Vater und der Witwen Richter. Ist schon
dieser Tod vor der Welt schmählich, so gedenket, wenn ihr euch bekehret,
daß ihr Gottes Kinder seid, dann wird solch Leiden ehrlich und herrlich.
Denn der Tod seiner Heiligen ist wert gehalten vor dem Herrn.« --
»Einen ehrlichen Tod! o Gott, schenke ihm einen adeligen Tod!« murmelte
Erdwin, der Knecht.
»So gebe Gott der Allmächtige euch allen die Gnade seines heiligen
Geistes, daß ihr euer' Sünd von Herzen erkennt und euch leid sein
lasset, euch im wahren Glauben zu Christo wendet und darin bis ans Ende
verharret, euer' Seel in Geduld fasset, allen Menschen von Herzen
vergebet und verzeihet, heut, diesen Tag, Gott eure Seele opfert und
überantwortet und am großen Tag des Herrn mit Freuden auferstehet und
mit Leib und Seele ewig lebet! Amen, Amen, Amen!«
Der Sand war verlaufen in der Uhr auf der Kanzel. Der Herzog verließ mit
seinen Hofbeamten seinen Stuhl, Anneke Mey verschwand von der Seite
Erdwins, ohne daß dieser es bemerkte; -- unter den Klängen des alten
traurigen Chorales: Wenn mein Stündlein vorhanden ist -- wurde den
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