Der Junker von Denow; Ein Geheimnis; Ein Besuch; Auf dem Altenteil: Erzählungen - 1

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Wilhelm Raabe
Bücherei
Erste Reihe:
Kleinere
Erzählungen
Zweiter Band


Berlin-Grunewald
Verlagsanstalt für Litteratur und
Kunst/Hermann Klemm


Wilhelm Raabe
Der Junker von
Denow
Ein Geheimnis
Ein Besuch
Auf dem Altenteil
Erzählungen

Dritte Auflage
11.-16. Tausend


Berlin-Grunewald
Verlagsanstalt für Litteratur und
Kunst/Hermann Klemm


Gedruckt bei G. Kreysing in Leipzig
Einbandzeichnung entworfen von Bernhard Lorenz
Den Einband fertigte H. Fikentscher in Leipzig


******************************
* *
* Der *
* *
* Junker von Denow *
* *
* Historische Novelle *
* *
******************************


I.

Wer am Abend des sechsten Septembers alten Stils, am Donnerstag vor
Mariä Geburt im Jahre unsers Herrn Eintausendfünfhundertneunundneunzig,
nach Sonnenuntergang einen Blick aus der Vogelschau über die Rheinebene
von Rees bis Emmerich und weit nach Ost und West ins Land hinein hätte
werfen können, der würde eines erschrecklichen Schauspiels teilhaftig
geworden sein.
Schwarze regendrohende Wolken verhingen das Himmelsgewölbe, und es würde
eine dunkle Nacht gewesen sein, wenn nicht der Mensch diesmal dafür
gesorgt hätte, daß es auf der weiten Fläche nicht ganz finster wurde.
Auf den Wällen von Rees leitete, an der Spitze seiner Hispanier,
Burgunder und Wallonen, Don Ramiro de Gusman die Verteidigung der Stadt
und Festung gegen das Reichsheer, welches schläfrig und matt genug der
Belagerung oblag, dafür aber auf andere Weise desto mehr Lärm machte,
wie es einer Armee des heiligen römischen Reichs deutscher Nation
zukam. Ein fahles, blitzartiges Leuchten lag hier über der Gegend, denn
wenn auch das schwere Geschütz seit Mittag schwieg, so knatterte doch
das Musketenfeuer, schwächer oder stärker, rund um die Stadt fort und
fort, und manch ein Wachtfeuer flackerte auf beiden Ufern des Flusses,
welcher manche Leiche in seinen nachtschwarzen Fluten mit sich hinab
führte in das leichenvolle Holland, wo der finstere Admiral von
Aragonien, Don Francisco de Mendoza, und der Sohn der schönen Welserin,
der bigotte Kardinal Andreas von Österreich, die Zeiten Albas
erneuerten. --
Wir haben es jedoch nur mit der rechten Seite des Rheines zu tun, wo
tief in das Land hinein unter den zusammengewürfelten Tausenden des
Reichsheeres, Hessen, Brandenburgern, Braunschweigern, Westfalen, der
_furor teutonicus_, die sinnlose, trunkene, deutsche Furie ausgebrochen
war und in Verwüstungen aller Art sich Luft machte. In allen Dörfern
und Lagerplätzen Sturmglocken, Trommeln und rufende Trompeten --
Geschrei und Jammer des elenden, geplünderten, mißhandelten Landvolkes
-- bittende, drohende Befehlshaber -- flüchtende Herden, Weiber,
Kinder, Kranke, Greise -- Reitergeschwader, die sich sammelten,
Reitergeschwader, die auseinanderstoben -- brennende Häuser und
Zeltreihen, und zwischen allem die Cleveschen Milizen, die
»Hahnenfedern«, zur Wut gebracht durch die Ausschweifungen derer,
welche da Hilfe bringen sollten gegen die Ausschweifungen des fremden
Feindes! Überall Blut und Feuer und Brand -- ein unbeschreibliches,
wüstes, grauenhaftes Durcheinander, zu dessen Schilderung Menschenrede
nicht hinreicht!...
Lange genug hatte an diesem Abend Don Ramiro, hinter seiner Brustwehr an
eine zerschossene Lafette gelehnt, hinübergeschaut nach den Laufgräben
und Angriffswerken der tollgewordenen Belagerer; jetzt stieg er langsam
herab von seinem Lugaus, und begleitet von zwei Fackelträgern und
mehreren seiner Unterbefehlshaber schritt er durch die Gassen von Rees,
dessen zitternde Bewohner jedes Fenster hatten erhellen müssen, und
dessen Straßen dumpf dröhnten unter den Schritten der gegen die
östlichen Ausfallspforten heranmarschierenden Besatzung.
»Francisco Orticio!« sagte der spanische Kommandant, und im nächsten
Augenblick stand der Geforderte vor ihm.
»Alles bereit?« fragte Don Ramiro wieder.
Der gerüstete Führer senkte stumm den Degen und wies mit der Linken auf
die Haufen der Krieger, welche jetzt alle an den ihnen bestimmten
Plätzen dicht gedrängt, regungslos standen. Des Spaniers Auge flog mit
düsterer Befriedigung über all diese im Glanz der Fackeln blitzenden
Harnische, Sturmhauben, Piken und Schwerter -- er nickte. »Sie würden
sich da draußen untereinander selbst fressen, gleich den hungrigen
Wölfen,« sagte er, »aber wir wollen zur Ehre Gottes und der heiligen
Jungfrau« -- hier lüftete er den Hut, und alle Umstehenden taten
das Gleiche -- »unsern Teil an dem Verdienst haben, die Ketzer zu
vertilgen! Erinnert Euch, Orticio, mit dem Schlage Elf beginnt das Feuer
wiederum -- mit dem Schlage Elf hinaus auf sie! Spanien und die
Jungfrau! die Losung.«
»An eure Plätze, ihr Herren!« erschallte das Kommandowort Francisco
Orticios -- ein dumpfes Gerassel und Geklirr der sich aneinander
reibenden Harnische -- Don Ramiro de Gusman schritt langsam prüfend die
Reihen entlang; dann stieg er schweigend wieder zu dem Walle empor, nach
einem letzten Wink und Gruß für Orticio, welcher sein Wehrgehäng fester
zog.
»Noch eine halbe Stund'! Spanien und die Jungfrau, Spanien und die
Jungfrau!« ging es dumpf durch die Reihen der harrenden Krieger. -- --
Unsere Geschichte beginnt!
»So hole der Teufel die meineidigen Schufte und meuterischen Hunde!«
schrie der Hauptmann Burghard Hieronymus Rußwurmb in Verzweiflung,
im Lager der dreizehn Fähnlein gewappneter Knechte, Reisiger und
Fußsöldner, welche Herr Heinrich Julius, postulierter Bischof zu
Halberstadt, Herzog zu Braunschweig und Lüneburg als Obrister des
niedersächsischen Kreises zufolge des Koblenzschen Reichsabschieds
für diesen Krieg geworben und aus aller deutschen Herren Ländern
zusammengebracht hatte. »Ist denn die Welt ganz umgekehrt? Es ist zum
Rasendwerden!... So schlage zum letzten Mal die Trommel, Hans Niekirche
-- o heiliges Wort Gottes, das ist das Jüngste Gericht!«
Hans Niekirche aus Braunschweig, der Trommelschläger, ein blutjunger
Wicht, welcher einem Schneider seiner Geburtsstadt aus der Lehre
gelaufen war, hatte, hierhin gestoßen, dahin gezerrt, sich fast zwischen
die langen Beine seines Hauptmanns gerettet und fing nun mit zitternden
Händen von neuem an, das Kalbfell zu bearbeiten; während der Hauptmann
hin und her lief, mit beiden Händen das Haupthaar durchwühlend. Er hatte
wohl das Recht, zornig zu sein, der Wackere! Dicht hinter sich hatte er
ein geplündertes Bauernhaus, dessen Fenster und Türen eingeschlagen
waren, und auf dessen Schwelle ein junges Weib mit zerrissenen Kleidern,
in der im letzten Krampf zusammengekniffenen Hand ein Büschel roter
Haare, leblos ausgestreckt lag. An sein linkes Bein hing sich jetzt auch
noch ein arm Kindlein in seiner Todesangst, zu seiner Rechten schlug
Niekirch seine Wirbel, und rings um ihn her schrie und stampfte, fluchte
und drohete sein meuterisch Fähnlein und rasaunte durcheinander, wie ein
aufgestört Rattennest.
»O ihr Schelme, ihr Hunde, das soll euch heimgezahlt werden!« brüllte
der Hauptmann. »Warte, Hans Diroff von Kahla, warte, Koburger, Christoph
Stern von Saalfeld, an den Galgen und aufs Rad kommt ihr; oder die
Gerechtigkeit ist krepiert auf Erden. Warte, du Schmalz von Gera, dein
Fett soll all werden, wie eine Kerze im Feuer! O Tag des Zorns, o Hunde!
Hunde!«
»Gebt Raum, Hauptmann!« schrie ein riesenhafter Kerl, genannt Valentin
Weisser von Roseneck, dem Führer den Büchsenkolben vor die Brust
setzend. »Ihr seid die Verräter, die Schelme, Ihr und Eure saubern
Gesellen und Euer Graf von Hohenlohe, der Holländer! Wollt Ihr uns nicht
etwa über das Wasser, über den Rhein, von des Reiches Boden führen? He,
sprecht!«
»Nicht über den Rhein! nicht über den Rhein! nicht vor Bommel! nicht vor
Bommel!« schrie es von allen Seiten, und weit über das Feld durch alle
Tausende wälzte sich dasselbe Wort. Der Hauptmann schlug den Kolben von
seiner Brust zur Seite.
»Du wirst gehängt, wie ein Spatz, Rosenecker,« schrie er.
»Ihr sollt es wenigstens nit erschauen!« brüllte der Schütz wieder, die
brennende Lunte über dem Haupte schwingend. Er nahm sich nicht die Mühe,
sie aufzuschrauben, das Feuerrohr lag auf der Gabel -- im nächsten
Augenblick wäre der Hauptmann ein Kind des Todes gewesen, wenn nicht
plötzlich zwischen dem Bedrohten und dem Drohenden ein Reiter im vollen
Galopp angehalten und dem wütenden Musketierer den Büchsenlauf in die
Höhe geschlagen hätte, daß der Schuß in die Luft ging.
»Der Junker! der Junker!« schrie es auf allen Seiten. »Der Junker
zurück! sprecht, sprecht, was ist's? was sagt der Graf? Haben sie uns
verkauft an die holländischen Juden, ihnen ihre Festung Bommel zu
entsetzen?... Der Junker, der Junker! Nicht nach Bommel, nicht vor
Bommel! nicht über den Rhein! nicht über den Rhein! In die Spieße der
von Hollach!«
»Ja, schreit nur, bis ihr berstet!« zischte blau vor Grimm der
Hauptmann durch die zusammengebissenen Zähne und ballte die Hände, daß
die Nägel tief ins Fleisch drangen. »Schreit nur -- es ist noch nicht
im Topf, darin es gekocht wird -- Christoph von Denow, sprecht zu den
Meutmachern! sagt den räudigen Hunden Eure Botschaft!«
Der junge Reiter richtete sich hoch auf im Sattel, und alle die wilden
Gesichter im Fackelschein ringsumher wandten sich ihm zu.
»Der wohlgeborene und edle Graf Philipp von Hohenlohe, unser gnädiger
Feldhauptmann --«
»Nichts von dem Grafen von Hollach, dem Verräter, dem Judas!« schrien
einige. »Stille! Ruhe! Hört ihn!« riefen die andern und gewannen die
Oberhand, daß der Reiter fortfahren konnte.
»Der Graf läßt den Fähnlein des braunschweigischen Regiments zu Roß und
zu Fuß vermelden, daß ihr Begehren und Gebaren unehrlich und treulos
sei, deutscher Nation zu Schimpf und Schande und großem Schaden
gereiche --«
Ein allgemeines Wut- und Spottgebrüll unterbrach den Redner, der erst
nach langem Harren weiter rufen konnte.
»Es sagt der Graf von Hohenlohe, daß er befehle, Generalmarsch zu
schlagen vor jeglichem Quartier und auszurücken in die Linien gen Rees,
auf weitern Befehl! Da kommt unser gnädigster Obrister, der Herr von
Rethen.«
Neues Geschrei empfing den ebenfalls im vollen Rosseslauf erscheinenden
Führer, welcher den schriftlichen Befehl des Grafen mit sich führte;
aber ebenfalls vergeblich durch Bitten, Drohungen, Erinnerungen an den
Artikelbrief das Volk zur Ruhe zu bringen versuchte. Atemlos,
zornesbleich hielt er zuletzt in dem kleinen Kreise der Hauptleute und
Offiziere und der wenigen treugebliebenen Söldner. Der Junker aber
befand sich, willenlos fortgerissen, inmitten des wildesten Getümmels
der aufrührerischen Knechte, die von Mord und Blut sprachen, und
bereits ihre Spieße senkten, ihre Feuergewehre richteten auf das
Häuflein der Getreuen, welche einen Ring schlossen um die Führer und die
geretteten Feldzeichen, und sich rüsteten, ihr Leben so teuer als
möglich zu verkaufen.
Auch das Reiterlager hatte sich in Bewegung gesetzt, von Minute
zu Minute wuchs der Tumult, und inmitten all dieser drohenden
Spieße, Schwerter und Büchsen, unter all diesen scheu gewordenen,
ausschlagenden, stampfenden Rossen und trunkenen Männern taucht jetzt
für uns eine Gestalt auf, klein und zierlich gebaut, aber trutzig und
unverzagt, im Heerlager aufgewachsen, gebräunt von Wind und Wetter,
abgehärtet in mancher bösen Sturmnacht am schwächlichen Lagerfeuer, ein
klein Hütlein, geziert mit einer Häherfeder, auf den krausen, wirren
Locken, ein Dolchmesser im Gürtel, -- bekannt bei Führern, Knechten und
Reisigen; zu Roß, zu Fuß, zu Wagen stets dem Heere zur Hand: =Anneke
Mey= von Stadtoldendorf, des braunschweigschen Regiments Marketenderin
und Schenkin!
»Hab' ich dich auf den Fuß getreten, Anneke?« fragte ganz kleinmütig der
wilde Valentin Weisser, der eben das Feuergewehr gegen den Hauptmann
hatte losgehen lassen. »Nimm dich in acht, daß sie dich nicht
erdrücken, Engel-Anneke -- stelle dich hinter mich, du wirst gleich dein
blaues Wunder sehen.«
»Nehmet Ihr Euch in acht, Rosenecker,« lachte das wildherzige Kind, »Ihr
spielt ein hoch Spiel diese Nacht!«
Der Riese warf einen trotzigen, lachenden Blick über die hin und her
wogenden Massen. --
»Hoho, sind wir nicht unsrer genug, zu gewinnen? Nicht vor Bommel!
Ju -- ho! ho! nicht vor Bommel! nicht übern Rhein! Fort mit den
Hauptleuten, fort mit dem Grafen von Hollach!«
In diesem Augenblick riefen wieder Hunderte von Stimmen nach dem
Junker -- dem Christoph von Denow. Da zuckte ein seltsamer Glanz über
das Gesicht des Mädchens. Es stellte sich zuerst auf die Zehen, dann
kletterte es mit katzengleicher Behendigkeit und Schnelligkeit auf einen
Schutthaufen, wo sich bereits mehrere Soldatenweiber mit ihren Kindern
und Habseligkeiten zusammengedrängt hatten und alle zugleich in den Lärm
hineinkreischten.
»Mein Mann! mein Mann! Jesus, sie würgen sich alle! Gottes Sohn --
Franz! Franz!«
»Was macht der Junker? wo ist der Junker?« rief Anneke Mey, eine Hand,
welche ihr entgegengestreckt wurde, ergreifend.
»Da! da! er spricht zu denen vom vierten Fähnlein -- da -- da -- Jesus,
sie werfen den Hauptmann Eberbach nieder, und mein Mann, Jesus, mein
Mann!« --
Die Augen der Armen wurden starr, mit einem Sprung war sie von der Höhe
herab und stürzte sich mitten in das Getümmel; über den am Boden
liegenden Hauptmann sank unter den Hieben und Stößen der Meutrer der
Doppelsöldner Franz Hase von Erfurt zusammen. Vergeblich hatte sich
Christoph von Denow unter die Piken und Hellebarden geworfen, mit seinem
Schwert die Spitzen niederschlagend; im vollen Lauf stürzte jetzt das
aufrührerische Kriegsvolk auf die Treugebliebenen und die Befehlshaber,
Schüsse krachten hinüber und herüber. Ihr Messer aus der Scheide reißend
trieb Anneke Mey in den Aufruhr hinein. Christoph von Denow sah sie
plötzlich an seiner Seite unter den Füßen der Kämpfenden; -- noch ein
Augenblick, und sie war verloren, noch ein Augenblick, und er hatte sie,
fast ohne zu wissen, was er tat, zu sich emporgezogen aufs Pferd; alles
drehte sich um ihn her -- »Mordio! Mordio!« brüllte es auf allen
Seiten -- -- Da -- -- urplötzlich -- -- blieben alle die zum Verbrechen
gezückten und geschwungenen Waffen, wie durch ein Zauberwort aufgehalten
in der Luft -- jeder Wut- und Angstschrei erstarrte auf den Lippen --
Angreifer und Angegriffene standen lautlos, bewegungslos!
Im Westen über Rees hatte sich, begleitet von einem donnerartigen
Krachen, der dunkle Nachthimmel blutig-rot gefärbt. Alle Geschütze auf
den Wällen, alle Geschütze in den Angriffslinien brüllten los; im Lager
des Reichsheeres flog ein Pulvervorrat in die Luft, dazwischen rollte,
immer stärker werdend, das kleine Gewehrfeuer.
Mit einem Male hatte sich die Szene im aufrührerischen Lager vollständig
verändert.
»Sturm! Sturm! Rees zu Sturm geschossen!« ging es von Mund zu Mund.
»Sturm! Sturm! Gen Rees! gen Rees!«
Und als peitsche der Satan sie vorwärts, seiner Hölle zu, hatte sich
plötzlich diese ganze Masse von Kriegern, Führern, Weibern, Troßknechten
in Bewegung gesetzt, dem flammenden Vulkan im Westen entgegen. Gier nach
Beute, unbefriedigte Gier nach Blut trieb sie von dannen. Im wildesten
Taumel, Reiter und Fußvolk und Wagen bunt durcheinander, raste sie über
das Feld durch die Nacht. Im wildesten Taumel und Traum, das Schwert am
Faustriemen, vor sich auf dem Sattel das Mädchen aus den Weserbergen,
saß Christoph von Denow auf seinem schwarzen Roß. -- --
»Sturm! Sturm! Rees zu Sturm geschossen! Vivat der Graf! Vivat der Graf
von Hollach! Vorwärts! Vorwärts!«
Ein sekundenlanges Anhalten in dieser wüsten Menschenflut war eine
Unmöglichkeit, ein Fehltritt, ein Straucheln der sichere Tod. Schon
hörte man zwischen dem Donnern und Krachen um die Stadt den Schlachtruf
der Feinde: »Spanien und die Jungfrau! Spanien und die Jungfrau!« und
lauter und näher den Ruf der angegriffenen Belagerer: »Das Reich! das
Reich! Vorwärts, das Reich!«
Hinein in die Atmosphäre von Blut und Feuer brauste die anstürzende
Menschenmasse, und die Letzten drängten bereits die Vordersten
in die angegriffenen Laufgräben, aus denen eine andere Flut ihnen
entgegen wogte. Das waren die Hessischen, die schlecht bewaffneten,
halbverhungerten, im Regen und Rheinwasser fast ertränkten
Schanzgräber, welche dem wilden Anprall der Spanier nicht hatten
widerstehen können.
»Spanien! Spanien! Spanien und die Jungfrau!« rief Francisco Orticio,
sich über einen Schanzkorb in die Höhe schwingend.
»Spanien! Spanien und die Jungfrau!« wiederholten seine Krieger ihm
nachdringend.
»Rette, Hessen! Rette!« schrien die flüchtigen Söldner des Landgrafen im
panischen Schrecken.
»Braunschweig! Braunschweig!« brüllte es von den Höhen der Böschungen.
»Up dei Düvels!« schrie Heinrich Weber aus Schöppenstedt, eine Fackel in
der Hand mitten unter die Hessen springend. Der flammende Brand flog im
weiten Bogen gegen die Spanier -- ein zweiter Satz -- die zu Grund, der
Bergstadt im Harz, gehämmerte Hellebarde schmetterte nieder auf eine zu
Cordova geschmiedete Sturmhaube: Diego Lua aus Toboso stürzte mit einem
»_Valga me Dios!_« tot zurück.
»Braunschweig! Braunschweig!« brauste es dem Schöppenstedter nach, und
»Braunschweig! Braunschweig!« jubelten auch die Hessen, welche mit neuem
Mut sich wandten gegen ihre Verfolger.
»Braunschweig! Braunschweig!« rief Christoph von Denow, dem es gelungen
war, sich von seinem Pferde zu werfen, welches sich auf der Böschung
hoch bäumte, im nächsten Augenblick aber, von einer Kugel getroffen,
zusammenbrach. Anneke Mey stand unbeschädigt auf den Füßen, doch auch
sie wurde mit hinabgerissen in die Gräben, wo sie jedoch samt Hans
Niekirche hinter einem Haufen umgestürzter Schanzkörbe den verlorenen
Atem wieder gewinnen konnte.
Und jetzt Angriff und wütende Verteidigung, Flüche in sechs Sprachen,
Todesrufe; -- auf engstem Raum Vernichtung jeder Art! -- Alle Hauptleute
der Braunschweiger: Adebar, Maxen, Wulffen, Wobersnau, Rußwurmb, Dux,
Statz, und wie sie hießen, hatten ihre Stellen als Befehlshaber wieder
eingenommen und drängten tapfer kämpfend die Spanier zurück. Tapfer
stritten aber auch die Spanier. Sechs Geschütze hatten sie in den
hessischen Schanzen genommen und in den Rheingraben versenkt, Schritt
für Schritt wichen sie zu den flammenden Mauern und Wällen der Stadt
über die Leichen ihrer Landsleute und ihrer Feinde. Der Graf von
Hohenlohe in vollster Rüstung mit seinen Herren führte stets neue
Truppen an; Haufen auf Haufen ließ Don Ramiro de Gusman hervorbrechen.
Dicht an den Spaniern kämpfte Christoph von Denow, das Blut rieselte aus
einer Stirnwunde, -- er merkte es nicht. Anneke Mey hatte sich mutig auf
ihren Schanzkorb geschwungen und den widerstrebenden Niekirche
nachgezogen. Sie hielt ihr Messer noch immer gezückt in der Rechten, mit
der Linken hielt sie den schlotternden Trommelschläger am Kragen.
»So schlage den Sturmmarsch, Junge!« rief sie lachend. »Willst' nicht?
Wart, gleich fliegst du herunter, daß sie dich drunten zu Brei
vertreten, Feigling!«
»Ja! ja! ich will!« jammerte Hans. »Ach wär' ich doch daheim! Ach wär'
ich doch zu Haus! Mein Mutter! mein Mutter!«
»Na, na, schlage nur immer zu, du kommst noch davon!« sagte Anneke
begütigend und ließ den Kragen des Armen los. »Dein' Mutter wartet schon
a bissel! Schau, wie lustig das aussieht -- da, guck, sie geben's den
welschen Bluthunden! Wär' ich 'n Knab, wie du -- hei, ich wollt's ihnen
auch schon zeigen!« Und mit heller Stimme fing das Mädchen an zu
singen:
»Mein Vater wollt' ein Knäbelein,
Mein Mutter wollt' ein Mägdelein,
Mein' Mutter tät gewinnen,
Des muß den Flachs ich spinnen -- Ja spinnen!
Das ist mir großes Leid!«
Immer mutiger schlug Hans Niekirche, durch seine Gefährtin aufgemuntert,
seine Wirbel, und unter beiden Kindern vorbei drängten ununterbrochen
die Scharen des Reichs vor und zurück, wie der Kampf vor- und
zurückwich; bis die Spanier in die Stadt gedrängt waren, und das Zeichen
zum Sammeln von allen Seiten den Deutschen gegeben wurde. Don Ramiro
hatte die Rheinschleusen, welche er in seiner Gewalt hatte, öffnen
lassen.
»Sieh das Wasser! das Wasser!« rief Hans Niekirche in neuer Angst. »Laß
uns fort, Anneke, sie wollen uns ersäufen, wie die jungen Katzen.«
Ein allgemeiner Schrei erhob sich unter dem Getümmel in den Laufgräben;
schon standen manche Haufen bis an den Gürtel in der reißend schnell
steigenden Flut.
»Halt, halt!« rief Anneke Mey. »Er ist noch nicht zurück; aber -- geh
nur -- geh -- ich bleib'!«
»Und ich bleib' auch!« schrie Hans der Trommler.
»Zurück! zurück!« tönte es aus den rückwärts weichenden Scharen des
Reichsheeres: »Das Wasser! Der Rhein! Das Wasser!« Und immerfort
donnerte das Geschütz der Spanier von den Wällen, immerfort schlugen die
Kugeln verheerend in das wirre, verzweiflungsvolle Durcheinander.
Es war eine böse Belagerung -- die Belagerung der Stadt Rees am Rhein:
es war kein Glück, es war keine Ehre dabei zu holen.
»Der Junker! der Junker! Christoph! Christoph von Denow!« schrie die
junge Dirne auf ihrer Höhe, die Hände ringend, und das Wasser stieg und
stieg. Schon waren die letzten der Haufen unter ihr vorüber, und die
Toten, von den Fluten gehoben, wirbelten um sie her. Da griff eine Hand
aus den Wassern nach dem Schanzkorbe, auf welchem sie stand, und ein
bleiches Haupt erhob sich zu ihren Füßen: »Rette! Rette!«
»Christoph! Christoph!« schrie das Mädchen, sie lag auf den Knien, sie
faßte die triefenden Locken, sie faßte den Schwertriemen -- der Junker
von Denow war gerettet. Valentin Weisser, der Riese, dessen Blutdurst
und Mut durch den Kampf und den Rhein bedeutend gekühlt war, brachte
mit Hilfe gutwilliger Genossen den wunden Junker, die Dirne und Hans,
den Trommelschläger, glücklich auf das Trockene und weit hinein ins
Feld, wo die gelichteten, zerrissenen, wunden Krieger des Reichsheeres
um die Wachtfeuer murrend und grollend in stumpfsinniger Ermattung lagen
und die Führer bereits wieder unheimliche und drohende Worte zu hören
bekamen.


II.

Trübe dämmerte der Morgen. Auf die wüste Nacht folgte ein ebenso wüster
Tag. Vergeblich hatte Herr Otto Heinrich von Beylandt, Herr zu Rethen
und Brembt, Leib und Leben und Seligkeit den Meuterern zum Pfande
eingesetzt, daß sie nicht von des Reichs Boden weggeführt werden
sollten; vergeblich hatte der Graf von Hohenlohe geflucht, gebeten und
gedroht. Zwischen sieben und acht Uhr waren zehn Fähnlein des
braunschweigischen Regiments aufgebrochen und aus dem Feld gezogen,
Münster zu. Weiber, Kinder, Dirnen folgten jetzt dem plündernden,
ehrvergessenen, eidbrüchigen Haufen durch den grauen Nebelregen. Keiner
befahl, keiner gehorchte. Die einen meinten, es gehe gradaus zum Herzog
von Braunschweig, ihrem Zahlherrn, nach Wolfenbüttel; andere glaubten,
es gehe gegen den Bischof von Münster; die meisten aber dachten gar
nichts, und so schwankte der tolle Zug, einem Betrunkenen gleich, hier
vom Wege ab, dort vom Wege ab, jetzt auf ein Dorf zu, jetzt auf ein
einsames Gehöft. Kleinere Banden schweiften zur Seite, oder vor und
nach -- fort und fort über die Heide; hier im Kampfe mit einer
ergrimmten Bauernschar, dort im Hader untereinander. Der Nebel ward
Regen und hing sich in perlenden Tropfen an die letzten Blüten des
Heidekrauts und träufelte von den Stacheln und Zweigen der Dornbüsche.
Krähenscharen begleiteten den Zug lautkrächzend, oder flatterten in
dichten Haufen westwärts dem Rhein zu, wo von Rees her das Feuer der
Berennung nur noch in einzelnen Schlägen dumpf grollte. Stärker und
stärker ward der Regen, die blutigen Spuren der vergangenen Nacht, der
Schlamm der Laufgräben mischten sich auf den pulvergeschwärzten
Gesichtern, den zerrissenen, verbrannten Kleidern, den verrosteten
Waffenstücken -- die Männer fluchten und sangen, die Weiber ächzten, die
Kinder schrien, und Anneke Mey auf ihrem Wagen, mit einem Bierfaß
beladen, hielt tröstend das Haupt des wunden Christoph von Denow in
ihrem Schoß und sprach ihm zu und verhüllte ihn, wie eine Mutter ihr
Kind, mit einem groben Soldatenmantel; während Hans Niekirche
zähneklappernd das magere Roß leitete, welches vor dem Karren ging. --
Lange Zeit hatte der Junker wie besinnungslos gelegen, jetzt hob er den
Kopf mühsam empor und strich die Haare aus der Stirn und warf einen
Blick auf seine Umgebung.
»O Anneke, weshalb hast mich nicht gelassen in dem Wasser -- oh! oh!«
»Still, still, lieget ruhig, Herr! Die ganze Welt ist auseinander --«
»Weshalb hast mich nicht gelassen im Lager -- im Heer vor Rees?«
»Es ist aus, aus! Alles aus, sagen sie. Alles läuft auseinander --«
»Und wohin gehen wir?«
»Weiß nicht! weiß nicht!«
»Bin also so weit! Ein Spießgesell von Räubern und Mördern und
landesflüchtigem Gesindel! Krächzt nur, ihr schwarzen Galgenvögel, ihr
habt einen feinen Geruch, wittert den Fraß, wann er noch lustig auf den
Beinen herumstolpert und den Bauerngänsen die Hälse abhaut und die
Rinder aus dem Stall zieht. O Christoph! Christoph! Und du könntest
einen adeligen Schild führen!«
Der junge Gesell stieß solch einen herzbrechenden Seufzer aus, daß ein
neben dem Karren reitender Söldner aufmerksam wurde. Er drängte sein
Pferd näher heran, zog seine Feldflasche hervor und reichte sie dem
Wunden zu.
»Hoho, Junker, was spinnst für Hanf? Da wärme dir das Herz, bis wir uns
den Münsterschen Dompfaffen in die warmen Nester legen! Aufgeschaut,
aufgeschaut, Christoffel! 's ist beschlossen, Ihr sollt unser Obrister
werden!«
Der Junker machte eine unwillige Handbewegung und antwortete nicht.
»Auch gut,« brummte der Reiter. »Der Satan hol' alle diese Maulhänger!
Möcht' nur wissen, was die Gesellen für einen Narren an ihm gefressen
haben. Hat den Vorspruch gemacht gestern beim Grafen nach ihrem Willen
und soll den Führer spielen, und kann den Kopf nicht grad halten -- Bah!
Hätten hundert Bessere gefunden; kann mit seinem Adel weder den Mantel
noch die Ehre flicken. Fort, Mähre, was scheust? Dacht ich's doch, da
liegt wieder einer der trunkenen Schelme im Wege. Vorwärts, Schecke, laß
liegen, was nicht mehr laufen mag. Was will die Trompete? Holla, was ist
das?«
Ja, was wollte die Trompete? Auf der rechten Seite des Weges der
Meuterer waren zwar von Zeit zu Zeit vereinzelte Schüsse gefallen,
niemand hatte sie aber beachtet, weil man sie nur den obenerwähnten
Scharmützeln mit den Bauern und Hahnenfedern zuschrieb. Jetzt aber wurde
das Feuer regelmäßiger, Reitertrompeten erschallten. Der Zug stutzte und
hielt. Gestalten, schattenhaft, tummelten sich in dem dichten Nebel, und
erschreckte Stimmen erklangen: »Die Spanier! Die Spanier!«
»Zum Henker die Spanier; wie kommen die Spanier soweit über den Rhein?«
brummte der Reiter, welcher eben dem Junker die Feldflasche geboten
hatte. Er lockerte aber nichtsdestoweniger das Schwert in der Scheide
und wickelte den rechten Arm aus dem Mantel los.
»Der Feind! der Feind! die Speerreiter!« riefen die im Lauf
rückkehrenden Plünderer, zu den Genossen stoßend, und einige brachten
eine frische Wunde mit zurück. Näher und näher hörte man die Trompeten
und den Schlachtruf »_España! España!_« und dann »Hohenlohe! Hohenlohe!«
Keiner von den Meutmachern machte Miene, an dem Gefechte teilzunehmen;
aber die Musketen waren auf die Gabeln gelegt, die Lunten aufgeschroben,
die Spieße gesenkt, und man hatte instinktmäßig einen Kreis um die Wagen
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