Der Junker von Denow; Ein Geheimnis; Ein Besuch; Auf dem Altenteil: Erzählungen - 2

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mit den Weibern und Kindern und den Raub geschlossen.
Jetzt schienen die Spanier wieder zurückgedrängt zu werden; der Lärm des
Kampfes verlor sich in der Ferne. Der Zug der Aufrührer wollte sich
bereits wieder in Bewegung setzen.
»Halt, halt!« rief einer der Fußknechte, »da kommen sie wieder!
Rossestrab!« Er kniete nieder und legte das Ohr an den Boden. »Viel
Pferde im Galopp!« Man konnte kaum zehn Schritte weit im Nebel und Regen
deutlich sehen; es waren wieder nur unbestimmte Schatten, die man nahen
sah.
Ein »Halt« wurde ihnen zugerufen, und sie hielten, und eine einzelne
Gestalt löste sich von dem Haufen ab. Aus dem Ring der aufrührerischen
Söldner des Reichs traten ihr einige entgegen.
»Wer seid Ihr? Woher des Weges? Was für Begehr?«
Der Nahende ritt, ohne zu antworten, näher heran.
»Haltet, oder wir schießen!«
»Nur zu, eidbrüchig Gesindel; versucht, ob ihr einen ehrlichen
Reitersmann trefft!«
Wilde Flüche und der Ruf »Feuer, Feuer!« ertönten, und manche Büchse
wurde in Anschlag gebracht; aber dazwischen riefen auch Stimmen: »Halt,
halt, das sind keine Spanier, keine Speerreiter!«
»Nein, das sind keine Spanier,« rief der Reisige zurück. »Das sind auch
keine Meuterer, Mörder oder Diebshalunken; -- ehrliche Hohenlohesche
Reiter sind's, die euch Lumpengesindel wahren sollen, daß ihr nicht dem
Galgen entlauft! Glaubt's, der Graf hätte meinetwegen andere dazu
schicken mögen, als uns -- nehmt das Ab -- Henkermahl drauf!«
»Der Graf von Hollach hat Euch geschickt?« fragte es verwundert aus dem
Haufen, und mancher der wilden Kerle drängte sich vor, näher an den
Reitersmann.
»Zurück!« rief dieser, »wir gehen mit euch, wie befohlen, jagen die
Speerreiter, die euch die Gurgel abschneiden könnten, -- man sparte nur
die Stricke -- und schützen das arme Landvolk vor euch Hunden. Damit
holla! -- na, wohin geht der Marsch?«
»Packt Euch zum Teufel, wir brauchen Euch nicht!« schrie Jobst Bengel
aus Heiligenstadt. »Wer hat Euch gerufen? Sagt dem Grafen, dem
Holländer, unsern schönsten Dank und wir könnten unsern Weg allein
finden.«
»Geht nicht! Alles auf Befehl! Kümmert euch so wenig als möglich um uns;
ihr handelt nach Belieben, wir nach Befehl!«
»Aber unser Belieben ist, daß ihr euch hinschert, woher ihr gekommen
seid!« brüllte Hans Römer aus Erfurt. »Geht, oder es setzt mein' Seel
blutige Köpfe!«
»Unser Befehl ist, daß wir gehen, wohin euch der Satan treibt. Am
Höllentor kehren wir um, das ist der Befehl. Genug der Worte.«
Damit wandte der Hohenlohesche Rittmeister sein Roß und sprengte zurück
zu seinen Reitern, welche unbeweglich auf einer kleinen Erderhöhung
hielten und im Gegensatz zu dem tobsüchtigen, wüsten Gebaren der
Meuterer nur leise Worte des Zorns und der Verachtung hatten.
Auf seinem Schmerzenslager hatte Christoph von Denow halbblinden Auges
und klingenden Ohres den Vorgang angesehen und angehört. Jetzt mußte er
auch ohnmächtiger Zeuge der wilden Reden um ihn her sein.
»Das ist solch ein falsch Spiel von dem Grafen -- das ist eine Falle.
Sollen uns schützen vor den Speerreitern! -- Lauter Sorg und Lieb, bis
sie uns den Hals zuschnüren! -- Nichts von dem Grafen von Hollach! Fort
mit den Reitern des Holländers! Feuer auf sie! In die Spieße! in die
Spieße mit ihnen!«
»Die Rasenden! die Niederträchtigen!« stöhnte Christoph von Denow, die
Hände ringend. »Und hier liegen zu müssen gleich einem abgestochenen
Schaflamme! Halt, halt, was wollen sie tun?!«
Seine schwache Stimme ging verloren in dem Lärm »fort mit Holländern,
fort mit dem Grafen von Hollach!«
Mit einem Schlage setzte die ganze Masse der Meuterer im Sturmlauf an
gegen das kleine Häuflein der Reiter.
»Hab's mir wohl gedacht,« brummte der Rittmeister in den grauen Bart.
»Achtung, Gesellen! Stand gehalten -- das ist der Befehl. Herunter mit
den Schuften, wenn sie euch nahe kommen.«
Sie griffen wirklich an. Im nächsten Augenblick war die Reiterschar
umringt, durchbrochen. Die meisten sanken nach tapfrer Gegenwehr vom
Pferd; nur wenige schlugen sich durch und flohen über die Heide.
Zuletzt kämpfte noch ein einzelner. Das war der tapfere alte Führer, der
sich wie ein Verzweifelter wehrte. Endlich erstach ihm Balthasar
Eschholz aus Berlin das Roß, und eine Kugel durchfuhr seine treue Brust.
Einige Minuten standen die Mörder wie erstarrt. Schlug ihnen diesmal das
Herz? Sie wagten es nicht, die Gefallenen zu berauben, ein plötzlicher
Schrecken kam über sie, wie von Gott dem Richter gesandt, und Mann und
Roß und Wagen stürzten von dannen, hinein in den Nebel, der sie
verschlang, als seien sie nicht wert, von Himmel und Erde gesehen zu
werden.
»Das ist ein schlechter -- schlechter Tod!« seufzte der zu Boden
liegende Reiterhauptmann. »Ein schlechter Tod! -- In deine Hände -- aber
alles der Befehl -- nun kann der Rat von Nürnberg mein Weib und meine
Jungen auffüttern -- ein schlechter Tod -- Amen! Alles -- der --
Befehl!«
Er griff noch einmal mit beiden Händen krampfhaft in das Heidekraut --
es war vorüber.
Ein Wäglein und drei Menschenkinder waren zurückgeblieben beim
Fortstürzen der Mörderschar. Das waren Anneke Mey aus Stadtoldendorf,
welche das Haupt des Erschlagenen stützte, das war Christoph von Denow,
der auf seinem Lager das Vaterunser weiter betete, welches der
Rittmeister nicht hatte zu Ende bringen können. Das war Hans Niekirche,
der Trommelschläger, welcher schluchzend das Rößlein vor dem Wagen
hielt!........


III.

Nicht Leben, nicht Tod; nicht Vergessenheit, nicht Sinnesklarheit; nicht
Schlaf, nicht Wachen; -- alles ein wildes, wirres Chaos in dem
fieberkranken Kopfe Christoph von Denows! Jetzt legte es sich ihm, einem
feurigen Schleier gleich, vor die Augen, tausend Sturmglocken und der
Verzweiflungsschrei einer eroberten Stadt füllten ihm Ohr und Hirn; --
jetzt versank er wieder in ein endloses graues Nichts, in welchem ihn
allerlei unerkennbare Schatten umschwebten; -- jetzt vermochte er es
wieder, sich und seine Umgebung zu unterscheiden, ohne sich klar darüber
werden zu können, wer ihn von dannen führe und wohin man ihn führe.
Manchmal war der Himmel über ihm grau und ihn fror, dann wieder schaute
er empor in das reine Blau, und die Sonne schien herab auf ihn. Manchmal
glaubte er sich in einem auf dem Wasser fahrenden Schifflein zu
befinden, manchmal sah er wieder grüne Zweige über sich und hörte die
Vögel singen. Er gab es auf, zu denken, sich zu erinnern: willenlos
überließ er sich seinem Geschick. Es zog und zuckte durch seinen
Geist! -- Da ist der weite, kühle Saal in der väterlichen Burg, dem
einstmals am weitesten in das Polen- und Tartarenland vorgeschobenen
Posten des deutschen Wesens. Durch die bunten Scheiben der spitzen
Fenster fällt das Licht der Sonne und wirft die farbigen, flimmernden
Schattenbilder der gemalten Wappen und Heiligen auf den Estrich. Da
steht der Sessel des Ritters von Denow neben dem großen Kamine, und der
Sessel und der Gebetschemel der Mutter in der Fenstervertiefung, da
glitzern im Winkel auf dem künstlich geschnitzten Schenktisch die
riesigen, wie Silber glänzenden Zinnkrüge und Geschirre. Da blickt ernst
von der Wand der Ahnherr mit dem Ringpanzer auf der Brust, und manch
wunderlich Gewaffen aus den Polen- und Preußenschlachten hängt an dem
Mittelpfeiler, welcher den Saal stützt....
Feuer! Feuer! Das ist nicht der Widerschein der Abendsonne an den
Wänden. Feuer! Feuer! und das Wimmern der Burgglocken und der Schall der
Sturmhörner! -- Wo blieb das süße, mildlächelnde Bild der Mutter, das
eben noch durch den stillen dämmerigen Saal glitt? Feuer und Sturm! Die
Polen! die Polen! Allverloren! Allgewonnen! Allgewonnen!
Da taucht ein ehrliches bärtiges Gesicht auf -- das ist der Knecht
Erdwin Wüstemann, welcher den kleinen Christoph aus der brennenden
väterlichen Burg auf den Schultern trug und rettete.... Nun rauscht der
Wald, nun murmelt der Bach -- das ist die verlorene Forsthütte, wo der
treue Knecht und das Kind hausten so lange Jahre hindurch. Die Hunde
zerren bellend an der Kette, der Falk schaukelt sich auf seiner Stange.
Wilde Gesellen und Weiber -- fahrende Soldaten, Sänger und Studenten und
demütige Juden verlangen Obdach vor dem nahen Gewitter oder dem
Schneesturm. Sie lagern auf nackter Erde um das Feuer, an welchem die
Hirschkeule bratet. Der Weinkrug geht im Kreise umher; Lieder
erschallen! Lieder vom freien Landsknechtsleben, lutherische Lieder,
Spottlieder gegen den Papst und den Türken und lateinische Lieder
vom wandernden Scholarentum. Jetzt gerät der rote Heinz mit dem
landflüchtigen Leibeigenen oder dem Zigeuner in Streit; die Messer
blitzen, der Knecht Erdwin wirft sich zwischen die Kämpfenden -- es
rauscht der Wald, es murmelt der Bach, es klingt die Harfe des blinden
Sängers -- ah Wasser, Wasser und Waldfrische in dieser Glut, welche das
Gehirn verdorrt und die Knochen versengt!
Einen Augenblick lang öffnete der Kranke die Augen, er hörte Stimmen um
sich her; jemand hielt ihm einen Krug voll frischen Wassers an die
heißen Lippen. Er hatte nicht fragen können, wo er sei, wer ihm helfe in
seiner Not? -- von neuem ergriff ihn der Fiebertraum.
Aus dem Kinde ist im lustigen Wildschützenleben ein wackerer Bub
geworden. Hinaus aus dem grünen Wald zieht der Knecht Erdwin mit dem
Schützling. Die Zeiten sind danach -- wer kühn die Würfel wirft, kann
wohl den Venuswurf werfen. Mancher gelangte in der Fremde zu hohen Ehren
und Würden, der im Vaterlande kaum den heilen Rock trug. Gern kaufen
Franzosen, Spanier, Holländer mit rotem Golde rotes deutsches Blut.
Ho, so hattest du dir die Welt draußen vor dem Wald wohl nicht gedacht,
Christoph von Denow? Hei, das waren andere Gestalten und Bilder:
Städte, Klöster und Burgen; Fürsten mit Rittern und Rossen, schöne
Damen, Äbte und Bischöfe mit reichem Gefolge, Bürgeraufzüge, bunte
Landsknechtsrotten auf dem Wege nach Italien, nach Frankreich -- für den
Kaiser und wider den Kaiser!
Aus dem Reitersbuben ist ein Reitersmann geworden, welcher nichts sein
nennt, als sein gutes Schwert, und welchem von den Vätern her nichts
geblieben ist, als der eiserne Siegelring mit dem Wappen derer von
Denow, welchen er am Finger trägt.
Immer weiter hinein in das bunte Leben, in den bunten Traum -- tagelang,
wochenlang im Wundfieber kämpfend zwischen Sein und Vernichtung, bis
endlich eine Glocke dumpf und feierlich erklingt, eine Glocke, die nicht
mehr allein in dem Gehirn des Kranken läutet!
»Wo bin ich?... Die Glocke, was will die Glocke?« murmelte Christoph
von Denow, die Augen aufschlagend.
Anneke Mey stieß einen Freudenschrei aus und hob das Haupt des Junkers
ein wenig aus ihrem Schoße: »Er lebt, o guter Gott, er wird leben!«
»Die Glocke! die Glocke?«
»Still, lieget still, Herr! das ist Sankt Lambert zu Münster, und da --
horcht! das ist der Dom! Morgen ist der heilige Matthiastag -- still,
still, lieget ruhig.«
Es wurde dunkel über dem Junker; das Wäglein fuhr in diesem Augenblick
durch die Torwölbung. Der Junker schloß die Augen wieder, er glaubte
einen Wortwechsel zu hören, er glaubte zu bemerken, daß der Wagen hielt,
Annekes Stimme erklang ängstlich und bittend dazwischen. Er glaubte ein
bärtiges Gesicht über sich zu sehen und einen Ausruf des Schreckens zu
hören. Der Wagen bewegte sich wieder -- er fuhr aus dem dunklen Tor in
das Licht der Straße hinein. -- --
Das war das Gesicht des alten Knechts Erdwin, welches der Junker von
Denow über sich sah, bis im folgenden Moment alles verschwand und es
wieder Nacht war im Geiste Christophs. -- Allmählich aber wurde diese
Nacht jetzt Dämmerung; die Gedanken ordneten sich mehr und mehr.
Christoph von Denow erwachte wieder zum Leben.
Er fühlte den wohltuenden Strahl der milden Herbstsonne, er vernahm die
Worte der Freunde um sich her. Jetzt erzählte Erdwin, der Knecht, jetzt
sprach Anneke Mey, jetzt lachte Hans der Trommelschläger. Die Landschaft
glitt an ihm vorüber, Städte, Dörfer, Flecken, er sah blaue Höhenzüge im
Osten auftauchen und vernahm, wie ein Wanderer dem Knechte Erdwin sagte,
das sei der altberühmte große Teutoburger Wald. Er schlummerte abermals
ein, und als er abermals erwachte, fand er sich mitten in den Bergen,
und ein Wasser rauschte seitwärts in das Dickicht. »Das Wässerlein kenn'
ich,« rief Anneke, »das ist die Else, die fließt in die Werre, und die
Werre fließt in die Weser, nun sind wir der Heimat nahe.«
»Und wie ziehen wir nun, Anneke?« fragte der getreue Knecht Erdwin,
welcher munter neben dem Wagen, den Spieß auf der Schulter, herschritt.
»Wo die Sonne aufgeht, fahren wir zu; aus dem Teutoburger Wald in den
Lippeschen Wald, zuletzt wird doch mal ein Berg kommen, von dem wir die
Weser glitzern sehen können. Dann sind wir zu Hause!«
»Anneke, Anneke!« murmelte Christoph.
»O, wachet Ihr wieder, Junkerlein? geduldet Euch und lieget still, wir
sind alle noch da, und der Meister Erdwin ist auch da und hat mir alles
von Euch erzählt und ich ihm auch alles von Euch.«
»O Junker, Junker, seid Ihr wach?« rief der Knecht Erdwin und schauete
über den Rand des Wagens. »Das Mütterlein im Himmel muß über uns wachen,
daß ich Euch grad am Tor zu Münster treffen mußt'. Von der Reichsschanze
bis nach Münster bin ich kreuz und quer Euern Spuren nachgezogen. Habt
mich schön in Angst und Not gebracht! Haltet das Maul, Junkerlein. Dem
Herzmädel da dankt Ihr Euer jung Leben. Lasset Euch tränken und atzen
und schlaft wieder ein, wir halten Euch oben, Hans und Anneke und ich!«
Christoph drückte schwach die Hand des wackern Alten, er wollte nach dem
Heere fragen, nach den Meuterern, aber er vergaß es. Sein wunder Kopf
ruhte noch immer an der Brust der jungen Dirne. Aus schwimmenden Augen
blickte er auf zu dem braunen, wildfreundlichen Gesicht über ihm.
»Ach, Anneke Mey, Anneke Mey, wohin willst du mich führen?«
»In meiner Heime ist es gar schön,« sagte das Mädchen. »Da sind die
Berge und die Wiesen so grün, da schaut die alte Burg, sie heißen sie
die Homburg herab auf das Städtel. Da sind die hohen weißen Felsen ganz
weiß, weiß -- da wohnen die klugen Zwerge in tiefen runden Löchern. Das
ist wahr, ganz gewiß wahr! Es ist auch schaurig da, manchmal rührt sich
der Boden, und der Wald sinkt ein in die Erde, tief, tief, -- und ein
Wässerlein springt dann unten in dem Grund auf; das Wasser trinken die
Leut nicht gern. Aber mitten in den Bergen, da ist ein kühler Bronn, der
Wellborn geheißen, aus dem kommt das Wasser durch Röhren in die Stadt,
und die Brunnen rauschen und plätschern immer zu. Und vor dem Burgtor
ist ein klein Haus dicht an der Stadtmauer, da sitzt meine alte Muhme,
die Alheit -- mein Vater und Mutter sind lang tot im Lager von Lafere,
wo wir mit dem französischen König Heinrich waren -- und ihre Katz sitzt
neben ihr, und wenn sie, ich mein' die Muhme -- an mich gedenkt, so
brummt und keift und bet't sie ein Vaterunser, grade weil sie mich gern
hat. Schläfst noch nicht, Junkerlein? Mach die Augen zu und kümmre dich
nicht um die Welt.«
Mit leiser Stimme fing das Mädchen an zu singen:
»Musikanten zum Spielen,
Schöne Mädchen zum Lieben:
So lasset uns fahren,
Mit Roß und mit Wagen,
In unser Quartier!
In unser Quartier!«
»Ach, der Wagen stößt zu hart; wisset Ihr was, Meister Erdwin? singet
Ihr weiter.«
»Wollen's versuchen!« sagte der Knecht Wüstemann und begann im Ton der
Schlacht von Pavia das Lied von der Schlacht vor Bremen, in welche er
als junger Bursch mit den Reitern des Grafen von Oldenburg gezogen war,
und frisch schallte sein Baß in den Wald hinein.
»-- Unser Feldherr das vernahm,
Graf Albrecht von Mansfelde,
Sprach zu seinem Kriegsvolk lobesam:
Ihr lieben Auserwählten,
Nun seid ganz frisch und wohlgemut,
Ritterlich wolln wir fechten;
Gewinnen wolln wir Ehr und Gut,
Gott wird helfen dem Rechten.«
Als der Endvers kam, war Christoph wirklich eingesungen zu sanftem
Schlummer, und Hans Niekirche behielt den braunschweigschen Gassenhauer,
den er eben zum besten geben wollte, auf das Ersuchen des alten Erdwins
für sich. Mit einbrechender Nacht wurde bei einem Köhler mitten im Forst
das Nachtquartier aufgeschlagen.
»Was ist denn da draußen vorgegangen in der Welt?« fragte der schwarze
Waldmann. »Ihr seid die Ersten nicht, die hier durchkommen sind und hier
angehalten haben. Das ist ja auf einmal, als ob alles Kriegsvolk im
deutschen Land sich hier auf den Wald niedergeschlagen hätt', wie ein
Immenschwarm auf den Schlehenbusch. Ist es wahr, daß das Reichsheer
auseinandergelaufen ist?«
»Es ist wahr,« sagte der Knecht Erdwin düster. »Es ist aus, -- alles
vorbei!«
»Vorgestern zog hier ein Trupp durch, fast zehn Fähnlein stark, aber
anzusehen wie ein wüst Raubgesindel, Fußvolk und Reiter durcheinander.
Wollten gen die Weser und ließen sich vernehmen, sie wollten ihrem
Zahlherrn, dem Braunschweiger Herzog --«
»Die Braunschweiger?!« riefen Erdwin und Anneke und Hans Niekirche. »Die
Braunschweiger?!« murmelte Christoph von Denow und richtete sich halb
auf seinem Lager auf.
»Gehöret Ihr zu ihnen?« fragte der Köhler mißtrauisch. »Nehmt Euch in
acht; ich hab' einen gesprochen, der sagte, der Braunschweiger habe
seine Leibguardia und Reiter die Menge abgesandt, ihnen den Weg zu
verlegen. Sein Feldhauptmann, der Graf von Hohenlohe, ist auch, von
Mitternacht her, gegen sie aufgebrochen. Das kann ein übel Ende nehmen!«
»Gegen die Weser sind sie gezogen?«
»Wie ich Euch sagte, Maidlein.«
»Herr Gott, so müssen wir ab vom Weg!«
»Ihr gehört also nicht zu ihnen?«
»Nein! nein! nein!« riefen Christoph und Erdwin und Anneke.
»Und Ihr wollt auch über die Weser?«
»In meine Heimat!« rief Anneke.
»Mit dem wunden Mann? Geht nicht, wahrlich geht nicht! Weg und Steg sind
verlegt.«
Alle schwiegen erschrocken und verstört einige Minuten.
»Saget doch,« fuhr der Köhler dann fort, »weshalb wollt Ihr nicht bei
mir bleiben im Walde, bis der Kopf des Burschen dort wieder heil und
ganz ist? Hunger und Durst sollt Ihr nicht leiden. Ihr erzählet mir
alles, was da draußen in der Welt vorgegangen ist, dafür geb' ich Euch
Futter und Obdach. Gefällt's Euch?«
»Ihr wolltet --?«
»Gewiß will ich; ich will Euch sogar noch großen Dank schuldig sein
dafür!«
»Angenommen, Landsmann!« rief der Knecht Wüstemann freudig. »Junker, nun
streckt Euch lang auf Euerm Lager, und wehe dem ersten Rehbock, der mir
vor die Armbrust gerät, welche ich dort an der Wand sehe.«
So kamen am Tage Cornelii des Hauptmanns die vier Flüchtlinge des
Reichsheeres zum ersten Mal zu Ruhe.


IV.

Dominus Basilius Sadler, der heiligen Schrift Doktor und fürstlicher
Hofprediger zu Wolfenbüttel, hatte seine Predigt beendet und das
Vaterunser gebetet. Unter den letzten Klängen der Orgel strömte die
Menge aus der Marienkapelle in den dunkeln nebligen Herbsttag hinaus.
Man schrieb den vierten November 1599.
Was hatte das andächtige Volk? Statt ruhig und gemessen wie
gewöhnlich am heiligen Sonntag ihren Wohnungen und dem Sonntagsbraten
zuzuschreiten, blieben die Männer in Gruppen auf dem Kirchplatz stehen
und steckten die Köpfe zusammen; selbst die Weiber waren von derselben
Aufregung ergriffen. Kaum war nämlich der letzte Orgelton verhallt, so
durchzitterte von der Dammfestung her ein anhaltender Trommelwirbel die
stille Luft und schwieg dann einige Augenblicke. Darauf näherten sich
die kriegerischen Klänge im Marschtakt, und manche der Bürger eilten
ihnen, ihre Knaben an der Hand, entgegen; der größte Teil der Menge
blieb jedoch zurück und erwartete die Dinge, welche da kommen sollten.
»Nun geht es an! Das ist der Beginn!« hieß es unter dem Volk.
»Das ist der Gerichtswebel, Martin Braun von Kolberg,« sagte ein
Goldschmied, der von allem genau Bescheid wußte. »Der verkündet nun das
kaiserliche Malefizrecht an allen vier Orten der Welt.«
»Sie kommen! sie kommen!« hieß es unter der Menge, und eine Gasse
bildete sich jetzt, um die Nahenden durchzulassen. Von der Dammbrücke
her durchzog mit seinen drei Trommlern der Gerichtswebel, begleitet von
einigen Hellebardierern, feierlich und langsam die Heinrichsstadt gegen
das Kaisertor hin.
Wir lassen ihn ziehen und lassen das Volk seine Betrachtungen anstellen
und schreiten quer über den Platz vor der Marienkapelle, durch die
Löwenstraße, über die Dammbrücke an dem Schloß vorüber nach dem
Mühlentorturm, dessen Eingänge von einer stärkern Wache als gewöhnlich
umgeben sind. Wir führen den Leser in das obere Stockwerk des Gebäudes.
Ein weites Gewölbe tut sich uns hier auf, so dunkel, daß das Auge sich
erst an die Finsternis gewöhnen muß, ehe es irgend etwas in dem Raum
erkennen kann. Ist das geschehen, so bemerken wir, daß das trübe,
herbstliche Tageslicht, durch viele, aber enge und stark vergitterte
Fenster fällt. Die Wände entlang ist Stroh aufgeschichtet, auf welchem
dunkle Gestalten in den mannigfaltigsten Stellungen und Lagen sich
dehnen. Von dunkeln Gestalten sind auch einige hie und da aufgestellte
Tische umgeben. Ein Kohlenfeuer glimmt in dem Kamin unter dem gewaltigen
Rauchfang. Allmählich erkennen wir mehr in dem dunsterfüllten Raume:
bleiche, wilde Gesichter, umgeben von wirren zerzausten Haaren,
schlechtverbundene, mit blutigen Binden umwickelte Glieder. Ein leiseres
oder lauteres Klirren und Rasseln von Ketten erschreckt uns; -- wir sind
unter den -- Meuterern von Rees! Gekommen ist's, wie es kommen mußte;
morgen wird der Obriste des niedersächsischen Kreises, Herr Heinrich
Julius von Braunschweig, das Gericht über sie angehen lassen. Dumpf tönt
der ferne Trommelschlag des um die Wälle der Festung ziehenden
Gerichtswebels Martin Braun in ihr Gefängnis herüber. Lauschen wir ein
wenig den Worten der gefangenen wilden Gesellen!
»Ta, ta, ta! Was das für ein Wesen ist? Sollte man nicht meinen, der
Teufel sei den Kerlen in den Lärmkasten gefahren? Es gehet alles zum
Schlechteren, selbsten das Trommelschlagen,« sagte eine baumlange
Gestalt, sich über die Genossen erhebend.
»Sollt' meinen, Valtin, wir hätten uns um anderes zu kümmern als den
Trommelschlag,« sagte unwirsch ein zweiter Söldner.
Valentin Weisser ließ sich jedoch nicht von seinem Thema abbringen.
»Horchet nur, ist das die alte freudige deutsche Art? Aber jetzt will
jeder ein Neues einbringen! Auch die Hispanier machen's so; da lob' ich
mir die Italiener, die haben aufgehoben, was wir nicht mehr mochten, und
ziehen mit den fünf gleichen Schlägen bis ans Ende der Welt. Topp, topp,
topp, topp, topp! das erwecket das Herz zu Freud und Tapferkeit und
hilfet zu Leibeskräften. Topp, topp, topp, topp, topp! Hüt dich Bau'r,
ich komm'! -- das ist's! oder --«
»Hauptmann, gib uns Geld!« fiel lachend ein Dritter ein.
»Füg dich zu der Kann!« brummte Hans Römer von Erfurt, der Schmerbauch.
»Mach dich bald davon!« sang eine schrille Stimme dazwischen.
»Hüt dich vor dem Mann!« brummte Jobst Bengel von Heiligenstadt.
»Möchte nur wissen, wie lang wir noch in diesem Loch stecken sollen?
Alle blutigen Teufel, ich wollt', der Blitz schlüg' gleich mitten
unter uns, und nähme uns mit herauf oder herunter, ins Paradies oder
die Hölle! 's sollt' mir gleich sein -- 's wär' wenigstens eine
Veränderung!«
»Das greuliche Fluchen ist auch nicht an der Zeit!« sagte eine ernste
und finstere Stimme.
»Hilft auch zu nichts, Meister Wüstemann,« grinste der Vorige wieder.
»Dem Galgen entläuft man nit so leichtlich -- mit Verlaub, Junker, das
war nicht auf Euch gesagt.« Wir folgen dem höhnischen Blick des
Sprechenden. Neben dem Kamin, an die feuchtschwarze Wand gelehnt, steht
Christoph von Denow, gebrochen an Leib und Seele. Er schaute starr,
gradaus vor sich hin, bei den Worten Jobsts aber fuhr er auf, sank
jedoch in demselben Augenblick mit einer abwehrenden Bewegung der Hand
in seine vorige Stellung zurück. Die Entgegnung übernahm Erdwin
Wüstemann, der drohend seine gefesselten Fäuste nach dem schon
zurückweichenden Jobst ausstreckte: »Den Schädel zerschmettere ich dir
an der Wand, wenn du den Rachen nicht hältst, du Sohn einer Hündin --
sage noch ein Wort --«
»Auf ihn! so ist's recht!« schrien einige der Gefangenen. »Halt, halt!
trennt sie!« riefen andere.
»Seid ruhig, Erdwin,« sagte der Junker, »laß ihn, Alter, -- er hat
recht, der Strick des Hangmanns droht uns allen.«
»Euch nicht! Euch nicht!« rief der alte Wüstemann, die ihm
entgegengestreckte Hand seines Schützlings fassend. »O Ihr -- Ihr in
diesen Banden -- das Herz bricht mir darüber -- o die Schurken, die
Schurken!«
Ein Murren, welches bald in lautere Drohungen überging, folgte den
Verwünschungen des Alten, der alle ihn Umgebenden mit allen Flüchen
überhäufte, welche ihm auf die Zunge gerieten.
Wer weiß, was geschehen wäre, wenn man nicht plötzlich draußen vor der
eisenbeschlagenen Tür des Gefängnisses Schritte und eine befehlende
Stimme vernommen hätte. Hellebardenschäfte und Musketenkolben rasselten
nieder auf den Steinboden. Eine allgemeine Stille trat ein unter den
Gefangenen, die Schlösser der Tür kreischten und knarrten. Sie öffnete
sich, ein Gefreiter mit der Partisane auf der Schulter schritt herein
mit zwei Büchsenschützen, deren Lunten glimmten. Ihnen folgte ein
kleines schwarzes Männlein, welchem zur Seite, von Kopf bis zu Fuß
geharnischt, der Leutnant der Festung, Hans Sivers, sich hielt. Durch
die geöffnete Tür sah man den Gang angefüllt mit Bewaffneten von der
Besatzung.
»Tut Eure Pflicht, Herr Notarius!« sagte der Leutnant, und das kleine
schwarze Männlein -- Herr Friedericus Ortlepius, _notarius publicus_ und
des peinlichen Gerichts zu Wolfenbüttel bestallter und beeidigter
Gerichtsschreiber, räusperte sich, nahm das Barett vom Haupt und
entfaltete ein Papier, welches er in der Rechten trug. Ein Söldner, der
eine Lampe hielt, näherte sich. Der Leutnant hob den Arm gegen die
Gefangenen, abermals räusperte sich Herr Ortlepius und las dann seine
Schrift ab wie folgt:
»Daß der Hochwürdige, Durchlauchtige, Hochgeborne Fürst und Herr,
Herr Heinrich Julius, postulierter Bischof des Stifts Halberstadt,
Herzog zu Braunschweig und Lüneburg, unser allerseits gnädiger Fürst
und Herr, unlängst nach Besage und Inhalt des Koblenzschen Abschieds,
als verordneter Kriegsobrister dieses niedersächsischen Kreises,
zur Beschützung des lieben Vaterlandes wider das tyrannische Einfallen
des hispanischen Kriegsvolkes, unter andern ein Regiment deutscher
Knechte von dreizehn Fähnlein hat werben lassen, solches ist _notorium_
und männiglich bekannt. Sind dieselben auch nachher von Seiner
Fürstlichen Gnaden selbst gemustert, bewehrt, und haben sie in
derselben persönlichen Gegenwart in dem Ring, altem löblichem
Kriegsgebrauch nach, auf den Artikulbrief geschworen.
Ob nun wohl I. F. G. sich gänzlich versehen und verhofft, nachdem
I. F. G. es so treulich gemeinet, auch dem gemeinen Vaterland zum Besten es
sich so sauer haben werden lassen, -- es würde gemeldetes Regiment sich
vermöge geschworenen Eides, Treu und Pflicht, wie Solches ehrlichen,
redlichen Kriegsleuten eignet und gebühret, verhalten haben, so hat sich
aber befunden, daß zehn Fähnlein von solchem Regiment, ohne einige
rechtmäßige gegebene Ursach, wider ihre geschworene Treu und Pflicht,
I. F. G. zu sonderlichen Schimpf, der ganzen deutschen Nation zum
sonderlichen Spott und Hohn, dieser Kriegsexpedition zum Nachteil, dem
Feind aber zum Frohlocken mit fliegenden Fähnlein aus dem Felde gezogen
sind. Haben ihre verordnete Obrigkeit nicht bei sich leiden wollen, auch
in solcher Meuterei so lange kontinuiret, bis daß I. F. G., zur
Erhaltung Deroselben Autorität, ein' Ernst zu diesen Sachen haben tun
müssen, und sie durch ihren damaligen Statthalter und Generallieutenant
den Wohlgebornen und Edeln Grafen Philipp zu Hohenlohe, auf der Heide
zwischen der Ucht und Barenburg, hinter dem Moor, genannt das hessische
Darlaten, haben trennen und zum Gehorsam bringen lassen. Und obwohl
I. F. G. damals nach Kriegsgebrauch und scharfen Rechten sie zu
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