Andrea Delfin: Eine venezianische Novelle - 6

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beurlauben?
Nicht die geringsten. Wie könnte man auch, da ich zur Gesandtschaft
gehöre?
So seid doppelt auf Eurer Hut. Man hat schon manche Tür in Venedig
zuvorkommend geöffnet, weil der Schritt über die Schwelle in einen
Abgrund führte. Wenn Ihr mir folgtet, zeigtet Ihr Euch nicht so offen
und unverkleidet hier in der Stadt während der letzten Stunden vor
Eurer Abreise. Ihr könnt nicht wissen, was man vielleicht anstellt,
dieselbe zu verhindern.--Was soll ich aber tun? fragte der Jüngling.
Ihr wißt, daß die Masken verboten sind.
So bleibt zu Hause und laßt die Würdenträger dieser Republik lieber
umsonst auf Euren Abschiedsbesuch warten.--Und wann werdet Ihr reisen?
Morgen früh um fünf. Ich denke einen Monat fortzubleiben und
hoffentlich meine Mutter dann beruhigt verlassen zu können. Nun es
fest beschlossen ist, daß ich mich losreißen soll, bin ich fast schon
ausgesöhnt mit dieser Gewaltkur, obwohl sie mir nicht wenig ins Leben
schneidet. Vielleicht gelingt es mir, wenn ich die Kreise meiner
Zauberin nur erst einmal durchbrochen habe, ihre Macht für immer
abzuschütteln. Aber werdet Ihr's glauben, mein Freund, daß ich vor
der Trennung zittere, wie wenn ich sie nicht überstehen könnte?
So ist das beste Mittel, Euch sofort von ihr zu trennen.
Ihr meint, sie vor der Reise nicht wiederzusehen? Ihr verlangt
Unmenschliches.
Andrea ergriff seine Hand. Mein teurer Freund, sagte er mit einer
Innigkeit, die er noch stets bemeistert hatte, ich habe kein Recht,
von Euch nur das geringste Opfer in Anspruch zu nehmen. Das Gefühl
herzlicher Neigung, das mich von Anfang an zu Euch hingeführt hat,
dankt sich selbst reichlich, und ich wage es nicht, im Namen dieser
meiner Freundschaft Euch um etwas zu bitten. Aber bei dem Bild jener
edlen Frau, deren Liebesworte Ihr mir eben zu lesen gabt, beschwöre
ich Euch: geht nicht mehr in das Haus der Gräfin. Mehr als alles, was
ich von ihr weiß, ja, was Ihr selbst nicht in Abrede stellt, läßt Euch
meine Ahnung warnen, daß es Euer Unheil ist, wenn Ihr sie nicht in
diesen letzten Stunden meidet. Versprecht mir's, mein Teuerster!
Er hielt ihm die Hand hin. Aber Rosenberg schlug nicht ein. Fordert
kein festes Versprechen, sagte er mit ernstem Kopfschütteln, laßt es
Euch genügen, daß ich den besten Willen habe, Eurem Rat zu folgen.
Aber wenn der Dämon stärker wäre als ich und alles über den Haufen
stürmte, was ich ihm in den Weg legte, so hätte ich den doppelten
Kummer, mir selbst und Euch untreu geworden zu sein. Ihr aber wißt
nicht, was dieses Weib erreichen kann, wenn sie will.
Sie schwiegen hierauf und fuhren noch eine Weile nachdenklich
miteinander durch die leblose Flut, die träge, wie ein Sumpf, vor dem
Kiel ihrer Gondel zurückwich. In der Nähe des Rialto begehrte Andrea
auszusteigen. Er trug dem Jüngling Grüße an die Mutter auf und zuckte
auf die Frage, ob er nach einem Monat noch in Venedig zu treffen sein
werde, finster die Achseln. Sie hielten sich lange Hand in Hand und
schieden, als die Gondel landete, mit einer herzlichen Umarmung. Noch
einmal sah das kluge und treuherzige Gesicht des Jünglings aus der
Luke des schwarzen Verdecks hervor und nickte dem Freunde zu, der auf
der Wassertreppe in Gedanken verloren stehen geblieben war. Beiden
war die Trennung schmerzlicher, als sie sich erklären konnten.
Andrea zumal, der sich seit langem von allen Banden gelöst glaubte,
mit denen der Einzelne sich an Einzelne knüpft, der über dem einen
furchtbaren Ziel, das er sich gesteckt, allen kleinen Lebenszwecken
abgestorben schien, wunderte sich bei sich selbst, wie weh ihm der
Gedanke tat, daß er nun mehrere Wochen sich ohne diesen Jüngling
behelfen müsse. Bald aber drängte der Wunsch sich vor, daß er ihm
hier nie mehr begegnen möchte, ehe sein Werk gelungen sei. Er nahm
sich vor, einen Brief an die Mutter zu schreiben, und sie mit
geheimnisvollen Warnungen dergestalt zu drängen, daß sie in die
Rückkehr ihres Sohnes nach Venedig nicht wieder willigte. Als er
diesen Gedanken gefaßt hatte, fiel eine große Last von ihm. Er ging
sofort nach Hause, um sein Vorhaben auszuführen.
Aber in seinem grauen Zimmer, wo nie ein Sonnenstrahl hindrang und die
leere Wand des Gäßchens unwirtlich durch das Eisengitter hereinsah,
überkam ihn, sobald er sich zum Schreiben niedersetzte, eine so
heftige Unruhe und Beklommenheit, daß er die Feder hinwarf und hin und
her lief, wie ein Raubtier in seinem Käfig. Er war sich völlig klar
darüber, daß diese Stimmung nicht aus der Tiefe seines Gewissens
aufstieg, daß keine Furcht, sein Geheimnis verraten und der Rache
überliefert zu sehen, sich in die Verstörung seiner Seele mischte.
Erst an diesem nämlichen Morgen hatte er wieder vor dem Sekretär des
Tribunals gestanden und sich von der völligen Ratlosigkeit der
Gewaltherren überzeugt. Der verwundete Staatsinquisitor lag noch
immer zwischen Leben und Tod. Je länger dieser Zustand der Schwebe
dauerte, um so mehr wurde das Dasein des Triumvirates selbst in Frage
gestellt. Noch ein glücklicher Schlag gegen das wankende Gebäude, und
es lag für alle Zeiten in Trümmern. Andrea zweifelte keinen
Augenblick, daß die Vorsehung, die ihm bisher die Hand geführt, auch
das Letzte werde gelingen lassen. Noch niemals war er an seiner
Sendung irre geworden. Und wenn ihn heute die unbestimmte Ahnung
eines großen Unglücks ruhelos machte, so hatten seine eigenen Taten
und Pläne keinen Anteil daran.
Der Tag dunkelte schon, als er drüben an Smeraldinas Fenster ein
leises Husten hörte, das verabredete Zeichen, daß ihn das Mädchen zu
sprechen wünsche. Er hatte sie in der letzten Zeit ziemlich
vernachlässigt und knüpfte heute nicht ungern wieder an, teils um
seinen eigenen Gedanken zu entrinnen, teils um durch Neuigkeiten aus
dem Palast der Gräfin sich den Zugang zum Tribunal offen zu halten,
und vielleicht gar zu einem der Inquisitoren hindurchzudringen. Rasch
trat er ans Fenster und grüßte hinüber. Die Zofe empfing ihn mit
einer kühlen Herablassung.
Ihr macht Euch rar, sagte sie; es scheint, Ihr habt indessen andere
Bekanntschaften gemacht, die Ihr Eurer Nachbarin vorzieht.
Er versicherte, daß seine Gefühle für sie unverändert seien.
Wenn es wahr ist, sagte sie, so will ich Euch wieder zu Gnaden
annehmen. Es wäre heute gerade eine gute Gelegenheit, einmal wieder
ungestört miteinander zu plaudern. Meine Gräfin hat eine
Spielgesellschaft auf den Abend, ein halb Dutzend junger Herren. Sie
gehen schwerlich vor Mitternacht, und bis dahin könnten auch wir zwei
zusammen kommen, und ich versorgte uns hinlänglich aus der Küche und
vom Kredenztisch.
Ist der Deutsche geladen, von dem du mir erzählt hast, daß die Gräfin
ihn so oft bei sich sieht?
Der? wo denkt Ihr hin! Der ist so eifersüchtig, daß er keinen Fuß
über die Schwelle setzt, wenn er hier Gesellschaft wittert.
Übrigens reist er fort. Wir grämen uns eben nicht tot darum.
Andrea atmete auf. Ich bin um zehn Uhr hier am Fenster, sagte er;
oder soll ich ans Portal kommen?
Sie besann sich. Tut lieber das, sagte sie. Der Pförtner ist ja ein
guter Bekannter von Euch, und Eure Wirtin gibt Euch wohl den Schlüssel.
Oder spielt Ihr den Tugendhaften vor der kleinen Marietta? Wißt Ihr,
daß ich auf das unbedeutende Geschöpf in allem Ernste eifersüchtig zu
werden anfing?
Auf Marietta?
Sie ist in Euch vernarrt, oder ich habe keine Augen im Kopf. Seht sie
nur an. Geht sie nicht wie verwandelt einher und singt nicht mehr,
während man sich sonst die Ohren zuhalten mußte? Und wie manche
Stunde betreffe ich sie darüber, daß sie, während Ihr fort seid, in
Euer Zimmer schleicht und Eure Sachen durchstöbert!
Sie liest in meinen Büchern; ich habe es ihr erlaubt. Wenn sie nicht
mehr singt, so ist es, weil die Mutter krank liegt.
Ihr wollt sie nur entschuldigen, aber ich weiß genug, und wenn ich
dahinter kommen sollte, daß sie schlecht von mir gesprochen hat, um
Euch mir abspenstig zu machen, so kratze ich ihr die Augen aus, der
neidischen Hexe.
Sie schlug das Fenster heftig zu, und er konnte nicht umhin, ihren
Worten lange nachzudenken. In früheren Zeiten hätte die Vorstellung,
daß er dem reizenden Mädchen nicht gleichgültig sei, sein Blut zu
schnelleren Schlägen getrieben. Jetzt ging es ihm nur im Kopf herum,
wie er seinen Weg einzurichten habe, um die ruhige Bahn dieser
arglosen Seele nicht ferner zu kreuzen. Nachträglich fielen ihm
mancherlei kleine Züge ein, die für Smeraldinas Meinung sprachen. Er
hatte sie einzeln sich verleugnet. Ihre Summe mußte er gelten lassen.
Ich muß fort von hier, sagte er bei sich selbst. Und doch, wo bin
ich so sicher und geborgen, wie in diesem Hause?
Nachts um die bestimmte Stunde fand er sich am Portal des Palastes ein,
der mit hellen Fenstern auf den winkligen Platz hinaussah. Die Luft
war mondlos und trübe, ein früher Herbst kündigte sich an, und die
wenigen Menschen, die noch auf den Straßen waren, hüllten sich in ihre
kurzen Mäntel. Andrea, als er stand und wartete, daß man ihn einlasse,
dachte des Abends, da ein anderer Candiano diese Schwelle betreten
hatte, um den Tod davonzutragen. Er schauderte in sich zusammen.
Seine Hand, die bald darauf von der öffnenden Zofe vertraulich
ergriffen wurde, war kalt.
Sie führte ihn in ihr Zimmer, aber Essen und Trinken, wozu sie ihn
nötigte, war ihm unmöglich, obwohl sie die Tafel ihrer Herrin nicht
geschont und vom Ausgesuchtesten für ihren Freund beiseite gebracht
hatte. Er entschuldigte sich mit seiner Krankheit, und sie ließ es
gelten, da er sich nicht weigerte, einige Dukaten im Tarok an sie zu
verlieren. Auch hatte er ihr wieder ein Geschenk mitgebracht, so daß
sie es verschmerzte, auch heute einen so einsilbigen und enthaltsamen
Liebhaber an ihm zu finden. Sie aß und trank desto eifriger, trieb
allerlei Possen und nannte ihm die Namen der jungen Venezianer, die
zum Spiel bei der Gräfin sich eingefunden hatten.
Da geht es anders her als bei uns, sagte sie; das Gold wird nicht
gezählt, sondern mit der vollen Faust auf die Karte gesetzt. Habt Ihr
Lust, einmal einen Blick hinein zu werfen? Ihr kennt ja die Schliche
schon.
Du meinst den Spalt in der Wand? Aber sind sie denn nicht im Saal?
Nein, im Zimmer der Gräfin. Der Saal ist nur für große Galatage im
Karneval.
Er besann sich kurz. Es konnte ihm nur erwünscht sein, seine
Personenkenntnis unter dem Adel zu erweitern. Führe mich hin, sagte
er. Ich werde bald genug haben und dir nicht lange untreu werden.
Nur verliebt Euch nicht in meine Gräfin, drohte sie. Im Punkte der
Eifersucht verstehe ich keinen Spaß, und leider finden manche meine
Herrin schöner als mich.
Er suchte in diesen Ton einzustimmen, und sie gingen scherzend aus dem
Zimmer. Draußen begegneten ihnen einige Lakaien in Livree, die an dem
Begleiter des Mädchens keinen Anstoß zu nehmen schienen. Sie trugen
silberne Schüsseln und Teller vorüber und ließen den Weg nach dem
großen Saal frei. Derselbe war unbeleuchtet wie das erste Mal; aber
nebenan ging es fröhlicher und lauter zu, und Andrea, als er seinen
unbequemen Lauerposten oben auf der Tribüne eingenommen hatte,
erkannte das Gemach kaum wieder. Die hohen Wandspiegel warfen sich
die Strahlen der Kerzen verhundertfacht zu, und ihre goldenen Rahmen
fingen die Streiflichter auf und schnellten den Widerschein bis an die
Decke. Dazwischen aber funkelten die Juwelen der schönen Leonora, und
Andrea erkannte deutlich an ihrem Hals die Kette mit dem Rubinschloß,
die sein deutscher Freund von Samuele gekauft hatte. Der Stein lag
wie ein roter Blutfleck auf der weißen Brust. Aber ihre Augen sahen
müde und gleichgültig auf die Karten, und wenn sie die Gesichter der
jungen Männer überflogen, war es deutlich wahrzunehmen, daß keiner von
ihnen sie fesselte. Und doch taten die Gäste ihr Bestes, um
liebenswürdig zu sein. Sie begleiteten ihre Einsätze mit den
scherzhaftesten Reden und verloren rascher ihr Gold als ihre Laune.
Einer, der bereits alles verspielt zu haben schien, saß auf einem
Sessel zwischen zwei Wandspiegeln und sang schmachtende Barcarolen zur
Laute. Ein anderer, der eine Weile vom Gewinnen ausruhte, zielte mit
Goldstücken nach den Mustern des Fußteppichs und vergaß, sich nach den
rollenden Zechinen wieder zu bücken. Dazwischen gingen die Diener mit
Eis und Früchten ab und zu, und ein Bologneserhündchen unterhielt sich
in aller Freundschaft mit dem großen, grünen Papagei, der von seiner
vergoldeten Stange herab zuweilen auf gut Venezianisch drollige Flüche
in die Gesellschaft hineinrief. Schon wollte der Lauscher oben auf
der Musikbühne sich wieder zurückziehen, da ihm das Bild, in das er
hinuntersah, die peinlichsten Gefühle erregte, als plötzlich durch die
hohe Flügeltür eine stattliche Figur in das Spielzimmer trat, die von
allen Anwesenden mit Befremden begrüßt wurde. Es war ein ziemlich
bejahrter Herr, der aber sein weißes Haupt noch aufrecht genug auf den
Schultern trug und auch im Gang nichts Greisenhaftes hatte. Er
musterte mit einem raschen Blick die jungen Leute, neigte sich leicht
vor der Gräfin und bat, sich nicht stören zu lassen.
Ihr verlangt zu viel, Ser Malapiero, erwiderte die Gräfin. Die
Ehrfurcht dieser Jugend vor den Diensten, die Ihr der Republik zu Meer
und zu Lande geleistet habt, erlaubt nicht, daß wir in Eurer Gegenwart
fortfahren, die edle Zeit so sündlich zu töten.
Ihr seid im Irrtum, schöne Leonora, versetzte der Alte. Habe ich doch
nur deshalb mich von allem Staatsdienst zurückgezogen und selbst den
großen Rat schon seit Jahren nicht mehr besucht, weil mir der Respekt
der jungen Leute lästig ward und es mich nach ungebundener, fröhlicher
Gesellschaft verlangte. Wer aber mag sich heutzutage das Herz vom
Wein öffnen lassen, wenn einer vom Rat der Zehn oder gar ein
Staatsinquisitor mit bei Tische sitzt? Man altert rascher im Amt, und
ich denke noch eine Weile meiner weißen Haare zu spotten und
wenigstens beim Wein jung zu sein, wenn ich auch der Schönheit
gegenüber meine Jahre fühle.
Ihr nehmt es wahrlich in der Artigkeit noch mit diesen jungen Herren
auf, sagte Leonora, die meinen, es gehöre nur ein zierlich
gekräuselter blonder oder schwarzer Bart dazu, um das Recht zu haben,
jeden schönen Frauenmund zu küssen. Aber ich will den Kredenztisch
hereintragen lassen, um meinem seltenen Gast Willkommen zuzutrinken.
Verzeiht, meine holde Freundin. Ich komme nicht, um das Gastrecht in
Anspruch zu nehmen. Nur der Wunsch trieb mich her, Euch unverzüglich
die Nachrichten von Eurem Bruder zu bringen, die durch den Kurier aus
Genua heute abend an mich gelangt sind. Sie sind so guter Art, daß
ich nicht fürchte, die Heiterkeit der schönen Wirtin zu trüben, und
daher auf Verzeihung rechne, wenn ich Euch diesen edlen Herrn für
einige Augenblicke entführe. Darf ich hier mit Euch eintreten? sagte
er, auf die Tür zu dem dunklen Saal deutend, auf die er zugeschritten
war.
Andrea zuckte zusammen. Er begriff, daß er nicht so rasch und
geräuschlos seinen Platz verlassen konnte, um unbemerkt sich
davonzuschleichen. Und schon öffnete sich die Saaltür, und er hörte
das Kleid der Gräfin hereinrauschen. Schnell entschlossen legte er
sich platt auf den Boden der hohen Estrade nieder, deren Geländer, so
niedrig es war, ihn dennoch in dieser Lage völlig deckte. Er hörte
den Schritt des Alten, der Leonoren folgte und die Frage, ob ein
Leuchter hereingebracht werden sollte, verneinte.
Nur zwei Worte habe ich zu sagen, rief Malapiero in das Spielzimmer
zurück. Niemand der jungen Herren wird Zeit haben, auf mich
eifersüchtig zu werden.
Die Tür schloß sich hinter ihnen, und sie gingen unter der Tribüne auf
und ab.
Was führt Euch her? fragte die Gräfin hastig. Bringt Ihr mir endlich
die Nachricht, daß Gritti zurückberufen wird?
Ihr habt die Bedingung noch nicht erfüllt, Leonora. Welches von den
Wiener Geheimnissen habt Ihr dem Tribunal mitgeteilt?
Lag es an mir? Tat ich nicht alles, was ein Weib nur vermag, und ließ
diesen eigensinnigen Deutschen im Netze zappeln, wie einen Fisch auf
dem Lande? Aber nie kam ein Wort von Geschäften über seine Lippen.
Und heute reist er ab, wie Ihr wissen werdet. Ich bin krank vor Ärger,
daß ich soviel Zeit umsonst an ihn verschwendet habe.
Man sähe es lieber, wenn er krank wäre.
Wie das?
Er will fort, man hat ihm den Weg nicht verlegen können. Aber wir
sind gewiß, daß es der Republik zum größten Schaden gereicht, wenn er
wirklich bis Wien kommt. Die Vorwände seines Urlaubs sind nichtig.
Der wahre Grund ist, daß er Dinge in Wien zu melden hat, die er selbst
einem geheimen Kurier nicht anzuvertrauen wagt. Und darum liegt alles
daran, daß die Reise verhindert wird.
So verhindert sie. Sein Gehen oder Bleiben ist mir völlig
gleichgültig.
Ihr habt das leichteste Mittel in der Hand, Leonora, ihn hier
festzuhalten.
Das wäre?
Ihr sendet ihm jetzt sogleich eine Botschaft, daß er kommen möge, um
Euch weniger grausam zu finden als bisher. Wenn er dann, wie
unzweifelhaft ist, sich noch in dieser Nacht bei Euch einfindet, so
sorgt Ihr dafür, daß er bald darauf erkrankt.
Sie unterbrach ihn rasch. Ich habe einen Schwur getan, sagte sie, in
dergleichen Zumutungen nie wieder zu willigen.
Man wird Euch Eures Schwures entbinden und Euer Gewissen beruhigen,
Leonora. Auch ist die Meinung nicht, daß das Mittel tödlich sein soll;
dies wäre sogar ernstlich zu verhüten.
Tut, was Ihr wollt, sagte sie. Aber mich laßt aus dem Spiel.
Euer letztes Wort, Gräfin?
Ich hab' es gesagt.
Nun wohl, so wird man dafür sorgen müssen, daß der Reisende unterwegs
verunglückt. Es ist immer umständlicher und verdächtiger.
Und Gritti?
Von ihm ein andermal. Erlaubt, daß ich Euch zu Eurer Gesellschaft
zurückführe.
Die Tür des Saales öffnete sich und schloß sich wieder. Andrea konnte
sich ohne Gefahr aufrichten. Aber die Worte, die er gehört hatte,
lähmten noch seine Sinne und Glieder. Er hörte undeutlich durch die
Wand das mutwillige Lachen und die Scherze der jungen Leute; die
furchtbare Nähe, in der hier Tod und Leben, Verbrechen und Leichtsinn
aneinander hinstreiften, sträubte ihm das Haar. Als er sich mühsam
aufrichtete und die Stufen hinuntertappte, suchte seine Hand
krampfhaft nach dem Dolch, den er im Gewand versteckt immer bei sich
trug. Seine Lippen waren blutig, so hatte er die Zähne darin
verbissen.
Aber noch war er besonnen genug, Smeraldina wieder aufzusuchen und ihr
in gelassenen Worten zu sagen, daß die Gesellschaft ganz lustig
anzusehen sei; aber er werde nie wieder durch die Spalte schauen, da
er nur mit genauer Not der Entdeckung durch die Gräfin und einen
älteren Gast entkommen sei. Er hoffe, daß sie es nicht gehört hätten,
wie er bei ihrem Eintritt in den dunklen Saal durch die andere Tür
entschlüpft sei.--Darauf leerte er seine Börse vollends und drang
darauf, sogleich von ihr zu gehen. Am sichersten sei es, daß sie ihn
auf dem Brett durchs Fenster entlasse, um jedem Verdacht der Gräfin
auszuweichen. Sie hatte kein Arg dabei, die Brücke war im Nu
geschlagen und er überschritt sie mit festem Fuß, obwohl der Entschluß
zu einer schweren Tat bereits in ihm feststand. Doch dieses Mal galt
es nicht die große Sache allein, der er sich geweiht hatte. Es galt,
einen Freund vor feindseliger Tücke zu schützen, einen Sohn der Mutter
wohlbehalten in die Arme zu senden, einen schnöden Verrat des
Gastrechtes durch schnelles Gericht zu verhüten.
Leise trat er auf den Flur seines Hauses und horchte in den dämmrigen
Gang hinaus. Die Tür seiner Wirtin war geschlossen; aber er hörte
trotzdem ihre Stimme, die aus Fieberträumen heraus sich mit Orsos
Schatten besprach. Er gewann die Treppe und öffnete unten behutsam
die Pforte. Die Straße war leer; das ewige Lämpchen leuchtete nicht
weit in die windige Nacht hinüber; aber er kannte die Wege und ging
mit eiligen Schritten durch die nächsten Quergassen über die schmale
Brücke des Kanals, die auf den kleinen Platz vor Leonorens Palast
führte. Er hatte nirgends eine Gondel gesehen und mußte annehmen, daß
der Alte den Weg nach seinem Hause zu Fuß zurücklegen werde. Er ersah
sich einen Platz, wo er vorüberkommen mußte. Ein tiefer, dunkler
Vorsprung eines Türpfeilers schien ihm passend zum Hinterhalt. Hier
drückte er sich in die Ecke und faßte das Portal des Palastes scharf
ins Auge.
Aber die Hand, die den Dolch gezückt hielt, zitterte stark, und das
Blut schoß ihm so gewaltig zu Herzen, daß er mit höchster Anstrengung
sich zu ermannen suchte. Was war es, das dieses Mal sich in ihm
auflehnte gegen eine Tat, die er für eine heilige Pflicht, für das
Gebot einer höheren Notwendigkeit hielt? Er kämpfte hart gegen die
dunklen Stimmen an, die ihn von seinem Posten wegzulocken schienen.
Die Schulter bohrte sich eisern in den Pfosten ein, mit der Linken
lüftete er die Stirn, auf der kalte Tropfen standen. Halt aus! sagte
er unwillkürlich zu sich selbst. Vielleicht, wenn der Himmel es
gnädig fügt, ist es das letzte Mal.
Da fiel ihm ein, daß der alte Malapiero ohne Zweifel sich von Dienern
werde geleiten lassen, und augenblicklich begriff er die Unmöglichkeit,
in diesem Fall den Schlag zu führen. Fast war es ihm lieb, einen
Vorwand zu sehen, weshalb er heute unverrichteter Sache nach Hause
gehen müsse. Aber indem er schon mit einem Fuß aus der Höhlung der
Türnische heraustrat, öffnete sich drüben das Portal des Palastes, und
in der grauen Nacht sah er die stattliche Figur, in den Mantel gehüllt,
einsam über die Schwelle treten und auf ihn zukommen. Das weiße Haar
wallte deutlich genug unter dem Hute vor, der rasche Schritt erklang
über den Steinplatten, und sorgfältig hielt sich der späte Wanderer an
den Häusern. Jetzt näherte er sich dem Hause, in dessen Schatten der
Rächer stand; als ahne er die Nähe einer Gefahr, schlug er den Mantel
vor das Gesicht und hielt die Linke fest am Griff seines Degens, den
er trotz des Waffenverbotes an der Seite trug. Er ging an seinem
Feinde vorüber, ohne ihn zu gewahren; zehn, zwanzig Schritte weit ließ
ihn jener Vorsprung gewinnen. Schon näherte sich der Einsame der
Brücke. Auf einmal hört er einen Fußtritt hinter sich, er wendet sich
um, die Hand läßt den Mantel sinken, aber in demselben Augenblick
bricht seine hohe Gestalt zusammen; der Stahl war ihm tief ins Leben
gefahren.
Meine Mutter, meine arme Mutter! stöhnte der Ermordete. Dann sank
sein Haupt auf das Pflaster. Die Augen schlossen sich für immer.
Eine Stille von mehreren Minuten folgte auf diese Abschiedsworte. Der
Tote lag quer über die Straße ausgestreckt, mit ausgebreiteten Armen,
als wollte er das treulose Leben inbrünstig umfangen. Der Hut war ihm
von der Stirn gefallen, unter der Verkleidung der weißen Locken
drängte sich das natürliche braune Haar hervor, das jugendliche
Gesicht erschien wie schlafend in der falben Dämmerung der Nacht. Und
einen Schritt von ihm entfernt an der Wand des nächsten Hauses, starr
wie eine angelehnte Bildsäule, stand der Mörder, und seine Augen
stierten in die regungslosen Züge des Jünglings und mühten sich in
verzweifelter Angst vergebens ab, die entsetzliche Gewißheit sich zu
verleugnen, sich einzureden, daß ein Spuk ihn verblende, daß unter
dieser jungen Larve, die ihm die Hölle vorhalte, sich die Züge jenes
Alten versteckten, der kurz zuvor im Saal Leonorens dem Freund Andreas
einen Hinterhalt bestellt hatte. Hatte er nicht dieses Freundes wegen
sich geeilt, den Streich zu führen? Wollte er nicht der Mutter ihren
Sohn wohlbehalten zurücksenden? Und was hatte der Mann, der dort am
Boden lag, von seiner armen Mutter gelallt? Warum stand nun der
Richter und Rächer wie ein Verurteilter und vermochte kein Glied zu
regen, obwohl seine Zähne wie in Todesangst klapperten und Frost
seinen Körper schüttelte?
Das Blut, das ihm gegen die Augen tobte, trat zurück und stürzte nach
den Herzkammern. Seine Blicke erkannten deutlich den Dolch in der
Brust des Toten. Er las in dem trüben Zwielicht, die Worte auf dem
Heft, die er mit eigener Hand mühsam eingegraben hatte: "Tod allen
Staatsinquisitoren". Er sprach sie unwillkürlich laut aus, und ließ
seine Augen zwischen der verhängnisvollen Waffe und dem Gesicht des
armen Opfers hin und her gehen, sich sättigend mit dem vernichtenden
Widerspruch zwischen diesen Worten und diesen Zügen. In furchtbarer
Hast jagten sich die Gedanken an ihm vorbei. Er war sich plötzlich
über alles klar, was hier geschehen war und nie gesühnt werden konnte.
Kein Wunder hatte mitgewirkt, um das Grauenvolle zur Wirklichkeit zu
machen. Alles war so ganz natürlich, so wahrscheinlich, ein Kind
mußte es begreifen. Über Tag hatte sich der Jüngling von seiner
verderblichen schönen Feindin ferngehalten. Er wollte fort ohne
Abschied. Er hatte es ihr sagen lassen, und sie war gleichgültig
genug, sich für den nämlichen Abend Gesellschaft zu laden. Als die
Nacht kam, widerstand er dem heftigen Zwang des Dämons nicht und ging
den gewohnten Weg. Man hatte ihm an der Pforte gesagt, daß er die
Gräfin nicht allein finden würde. Augenblicklich war er entschieden,
umzukehren. Und gerade dieser Augenblick hatte genügt, daß sein
einziger Freund sich in den Hinterhalt stellen konnte, um zum Mörder
an ihm zu werden.
Erst als Andrea das alles klar überlegt hatte, mit einer kalten
Hellsichtigkeit, wie sie in allen entscheidenden Stunden, wo jeder
Trost schwindet, dem Menschen nahetritt, löste sich die Starrheit
seines Leibes. Er stürzte zu dem stillen Schläfer hin, sank knieend
auf das Pflaster und sah ihm dicht ins Gesicht. Ein irres Lachen, das
wie ein Röcheln klang, entfuhr ihm jetzt, als er die weißen Locken ihm
vom Haupte strich, die ihn so unselig betrogen hatten. Es fiel ihm
ein, daß er selbst am Nachmittag den Freund gewarnt hatte, sich nicht
offen in den Straßen Venedigs zu zeigen. Er selbst hatte die Falle
gelegt für sich und seinen Teuren. Dann riß er ihm das Kleid auf und
fühlte, ob noch ein Rest von Leben im Herzen klopfe. Er neigte seinen
Mund dicht an die Lippen des Jünglings, ob er noch einen Hauch spüren
könnte. Alles war still und kalt und hoffnungslos.
In diesem Moment wurde die Pforte des Palastes wieder geöffnet, und
eine hohe Gestalt im Mantel trat heraus. Der Lichtschein aus dem Flur
fiel auf das weiße Haar des alten Malapiero, der in sein Haus
zurückkehrte. Andrea sah auf; die schneidende Ironie seiner Lage trat
ihm vor die Seele. Da ging der Mann, vor dem er Venedig, die wehrlose
Herde des Adels und Volkes, und nicht zuletzt seinen deutschen Freund
zu schützen dachte. Da kam er einsam genug des Weges heran, nur in
der Maske eines Geheimnisses, das sein Feind durchdrungen hatte;
nichts hinderte, sich auf ihn zu werfen, der Dolch war zur Hand--;
aber dieser Dolch war mit unschuldigem Blut geschändet worden, nichts
mehr unterschied den Richter und Rächer von dem, an welchem er den
Spruch vollziehen wollte, als daß hier ein tückisch blinder Zufall den
Streich geführt hatte, während jene unverantwortlichen Henker ihre
Ziele sicher und unfehlbar vor Augen hatten.
Dieses alles tobte durch Andreas Geist. Er raffte sich auf, zog den
Dolch aus der Wunde und floh, noch unbemerkt von dem greisen Triumvirn,
im Schatten hin, über die schmale Kanalbrücke seinem Hause zu. Als
ihm einfiel, daß der alte Malapiero den Toten finden und seinem
unbekannten Mörder Dank wissen würde, daß er ihm eine Mühe gespart,
mußte er die Zähne zusammenbeißen, um nicht wild aufzuschreien.
So kam er an seine Haustür und fand sie offen. Als er die Treppe
hinaufsah, erblickte er oben, wo sonst die Alte saß, ihre Tochter, die
an der obersten Stufe stand und weit vorgebeugt, beide Arme auf das
Gelände gestützt, hinabspähte. Kommt Ihr endlich! flüsterte sie ihm
entgegen. Wo waret Ihr so spät? Ich hörte Euch fortgehen und konnte
nicht schlafen.
Er erwiderte kein Wort; mühsam erstieg er die Treppe und wollte an ihr
vorbei. Da sah sie den Dolch, den zu verbergen er durchaus keine
Sorge trug, und plötzlich fiel sie mit einem erstickten Ausruf ihm
gerade vor die Füße. Er ließ sie liegen und schritt nach seinem
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