Minna von Barnhelm - 1

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MINNA VON BARNHELM
von GOTTHOLD EPHRAIM LESSING
Die Erstausgabe wurde 1767 bei Christian Friedrich Voß in Berlin
herausgegeben.

Inhalt:
1. Akt
2. Akt
3. Akt
4. Akt
5. Akt


1. Akt

1. Szene
(Just sitzet in einem Winkel, schlummert und redet im Traume.)

Just
Schurke von einem Wirte! Du, uns?--Frisch, Bruder!--Schlag zu, Bruder!
(Er holt aus und erwacht durch die Bewegung.) Heda! schon wieder?
Ich mache kein Auge zu, so schlage ich mich mit ihm herum. Hätte er
nur erst die Hälfte von allen den Schlägen!--Doch sieh, es ist Tag!
Ich muß nur bald meinen armen Herrn aufsuchen. Mit meinem Willen soll
er keinen Fuß mehr in das vermaledeite Haus setzen. Wo wird er die
Nacht zugebracht haben?

2. Szene
(Der Wirt. Just.)

Wirt
Guten Morgen, Herr Just, guten Morgen! Ei, schon so früh auf? Oder
soll ich sagen: noch so spät auf?
Just
Sage Er, was Er will.
Wirt
Ich sage nichts als "Guten Morgen"; und das verdient doch wohl, daß
Herr Just "Großen Dank" darauf sagt?
Just
Großen Dank!
Wirt
Man ist verdrießlich, wenn man seine gehörige Ruhe nicht haben kann.
Was gilt's, der Herr Major ist nicht nach Hause gekommen, und Er hat
hier auf ihn gelauert?
Just
Was der Mann nicht alles erraten kann!
Wirt
Ich vermute, ich vermute.
Just
(kehrt sich um und will gehen). Sein Diener!
Wirt
(hält ihn). Nicht doch, Herr Just!
Just
Nun gut; nicht Sein Diener!
Wirt
Ei, Herr Just! ich will doch nicht hoffen, Herr Just, Daß Er noch von
gestern her böse ist? Wer wird seinen Zorn über Nacht behalten?
Just
Ich; und über alle folgende Nächte.
Wirt
Ist das christlich?
Just
Ebenso christlich, als einen ehrlichen Mann, der nicht gleich bezahlen
kann, aus dem Hause stoßen, auf die Straße werfen.
Wirt
Pfui, wer könnte so gottlos sein?
Just
Ein christlicher Gastwirt.--Meinen Herrn! so einen Mann! so einen
Offizier!
Wirt
Den hätte ich aus dem Hause gestoßen? auf die Straße geworfen? Dazu
habe ich viel zu viel Achtung für einen Offizier und viel zu viel
Mitleid mit einem abgedankten! Ich habe ihm aus Not ein ander Zimmer
einräumen müssen.--Denke Er nicht mehr daran, Herr Just. (Er ruft in
die Szene.) Holla!--Ich will's auf andere Weise wiedergutmachen. (Ein
Junge kömmt.) Bring ein Gläschen; Herr Just will ein Gläschen haben;
und was Gutes!
Just
Mache Er sich keine Mühe, Herr Wirt. Der Tropfen soll zu Gift werden,
den--Doch ich will nicht schwören; ich bin noch nüchtern!
Wirt
(zu dem Jungen, der eine Flasche Likör und ein Glas bringt). Gib her;
geh!--Nun, Herr Just, was ganz Vortreffliches; stark, lieblich, gesund.
(Er füllt und reicht ihm zu.) Das kann einen überwachten Magen
wieder in Ordnung bringen!
Just
Bald dürfte ich nicht!--Doch warum soll ich meiner Gesundheit seine
Grobheit entgelten lassen?--(Er nimmt und trinkt.)
Wirt
Wohl bekomm's, Herr Just!
Just
(indem er das Gläschen wieder zurückgibt). Nicht übel!--Aber, Herr
Wirt, Er ist doch ein Grobian!
Wirt
Nicht doch, nicht doch!--Geschwind noch eins; auf einem Beine ist
nicht gut stehen.
Just
(nachdem er getrunken). Das muß ich sagen: gut, sehr gut!--Selbst
gemacht, Herr Wirt?--
Wirt
Behüte! veritabler Danziger! echter, doppelter Lachs!
Just
Sieht Er, Herr Wirt; wenn ich heucheln könnte, so würde ich für so was
heucheln; aber ich kann nicht; es muß raus:--Er ist doch ein Grobian,
Herr Wirt!
Wirt
In meinem Leben hat mir das noch niemand gesagt.--Noch eins, Herr Just;
aller guten Dinge sind drei!
Just
Meinetwegen! (Er trinkt.) Gut Ding, wahrlich gut Ding!--Aber auch die
Wahrheit ist gut Ding.--Herr Wirt, Er ist doch ein Grobian!
Wirt
Wenn ich es wäre, würde ich das wohl so mit anhören?
Just
O ja, denn selten hat ein Grobian Galle.
Wirt
Nicht noch eins, Herr Just? Eine vierfache Schnur hält desto besser.
Just
Nein, zu viel ist zu viel! Und was hilft's Ihn, Herr Wirt? Bis auf
den letzten Tropfen in der Flasche würde ich bei meiner Rede bleiben.
Pfui, Herr Wirt, so guten Danziger zu haben und so schlechte Mores!--
Einem Manne wie meinem Herrn, der Jahr und Tag bei Ihm gewohnt, von
dem Er schon so manchen schönen Taler gezogen, der in seinem Leben
keinen Heller schuldig geblieben ist; weil er ein paar Monate her
nicht prompt bezahlt, weil er nicht mehr so viel aufgehen läßt--in der
Abwesenheit das Zimmer auszuräumen!
Wirt
Da ich aber das Zimmer notwendig brauchte? da ich voraussähe, daß der
Herr Major es selbst gutwillig würde geräumt haben, wenn wir nur lange
auf seine Zurückkunft hätten warten können? Sollte ich denn so eine
fremde Herrschaft wieder von meiner Türe wegfahren lassen? Sollte ich
einem andern Wirte so einen Verdienst mutwillig in den Rachen jagen?
Und ich glaube nicht einmal, daß sie sonstwo unterkommen wäre. Die
Wirtshäuser sind jetzt alle stark besetzt. Sollte eine so junge,
schöne, liebenswürdige Dame auf der Straße bleiben? Dazu ist Sein
Herr viel zu galant! Und was verliert er denn dabei? Habe ich ihm
nicht ein anderes Zimmer dafür eingeräumt?
Just
Hinten an dem Taubenschlage; die Aussicht zwischen des Nachbars
Feuermauern--
Wirt
Die Aussicht war wohl sehr schön, ehe sie der verzweifelte Nachbar
verbaute. Das Zimmer ist doch sonst galant und tapeziert--
Just
Gewesen!
Wirt
Nicht doch, die eine Wand ist es noch. Und Sein Stübchen darneben,
Herr Just; was fehlt dem Stübchen? Es hat einen Kamin, der zwar im
Winter ein wenig raucht--
Just
Aber doch im Sommer recht hübsch läßt.--Herr, ich glaube gar, Er
vexiert uns noch obendrein?--
Wirt
Nu, nu, Herr Just, Herr Just--
Just
Mache Er Herr Justen den Kopf nicht warm, oder--
Wirt
Ich macht' ihn warm? der Danziger tut's!--
Just
Einen Offizier wie meinen Herrn! Oder meint Er, daß ein abgedankter
Offizier nicht auch ein Offizier ist, der Ihm den Hals brechen kann?
Warum waret ihr im Kriege so geschmeidig, ihr Herren Wirte? Warum war
denn da jeder Offizier ein würdiger Mann und jeder Soldat ein
ehrlicher, braver Kerl? Macht euch das bißchen Friede schon so
übermütig?
Wirt
Was ereifert Er sich nun, Herr Just?--
Just
Ich will mich ereifern.--

3. Szene
(v. Tellheim. Der Wirt. Just.)

Tellheim
(im Hereintreten). Just!
Just
(in der Meinung, daß ihn der Wirt nenne). Just?--So bekannt sind wir?--
Tellheim
Just!
Just
Ich dächte, ich wäre wohl Herr Just für Ihn!
Wirt
(der den Major gewahr wird). St! st! Herr, Herr, Herr Just--seh Er
sich doch um; Sein Herr--
Tellheim
Just, ich glaube, du zankst? Was habe ich dir befohlen?
Wirt
Oh, Ihro Gnaden! zanken? da sei Gott vor! Ihr untertänigster Knecht
sollte sich unterstehen, mit einem, der die Gnade hat, Ihnen
anzugehören, zu zanken?
Just
Wenn ich ihm doch eins auf den Katzenbuckel geben dürfte!--
Wirt
Es ist wahr, Herr Just spricht für seinen Herrn, und ein wenig hitzig.
Aber daran tut er recht; ich schätze ihn um so viel höher; ich liebe
ihn darum.--
Just
Daß ich ihm nicht die Zähne austreten soll!
Wirt
Nur schade, daß er sich umsonst erhitzt. Denn ich bin gewiß
versichert, daß Ihro Gnaden keine Ungnade deswegen auf mich geworfen
haben, weil--die Not--mich notwendig--
Tellheim
Schon zuviel, mein Herr! Ich bin Ihnen schuldig; Sie räumen mir in
meiner Abwesenheit das Zimmer aus; Sie müssen bezahlt werden; ich muß
wo anders unterzukommen suchen. Sehr natürlich!--
Wirt
Wo anders? Sie wollen ausziehen, gnädiger Herr? Ich unglücklicher
Mann! ich geschlagner Mann! Nein, nimmermehr! Eher muß die Dame das
Quartier wieder räumen. Der Herr Major kann ihr, will ihr sein Zimmer
nicht lassen; das Zimmer ist sein; sie muß fort; ich kann ihr nicht
helfen.--Ich gehe, gnädiger Herr--
Tellheim
Freund, nicht zwei dumme Streiche für einen! Die Dame muß in dem
Besitze des Zimmers bleiben.--
Wirt
Und Ihro Gnaden sollten glauben, daß ich aus Mißtrauen, aus Sorge für
meine Bezahlung?--Als wenn ich nicht wüßte, daß mich Ihro Gnaden
bezahlen können, sobald Sie nur wollen.--Das versiegelte Beutelchen--
fünfhundert Taler Louisdor stehet drauf--welches Ihro Gnaden in dem
Schreibepulte stehen gehabt--ist in guter Verwahrung.--
Tellheim
Das will ich hoffen; so wie meine übrige Sachen.--Just soll sie in
Empfang nehmen, wenn er Ihnen die Rechnung bezahlt hat.--
Wirt
Wahrhaftig, ich erschrak recht, als ich das Beutelchen fand.--Ich habe
immer Ihro Gnaden für einen ordentlichen und vorsichtigen Mann
gehalten, der sich niemals ganz ausgibt.--Aber dennoch--wenn ich bar
Geld in dem Schreibepulte vermutet hätte--
Tellheim
Würden Sie höflicher mit mir verfahren sein. Ich verstehe Sie.--Gehen
Sie nur, mein Herr; lassen Sie mich; ich habe mit meinem Bedienten zu
sprechen.--
Wirt
Aber, gnädiger Herr--
Tellheim
Komm, Just, der Herr will nicht erlauben, daß ich dir in seinem Hause
sage, was du tun sollst.--
Wirt
Ich gehe ja schon, gnädiger Herr!--Mein ganzes Haus ist zu Ihren
Diensten.

4. Szene
(v. Tellheim. Just.)

Just
(der mit dem Fuße stampft und dem Wirte nachspuckt). Pfui!
Tellheim
Was gibt's?
Just
Ich ersticke vor Bosheit.
Tellheim
Das wäre soviel als an Vollblütigkeit.
Just
Und Sie--Sie erkenne ich nicht mehr, mein Herr. Ich sterbe vor Ihren
Augen, wenn Sie nicht der Schutzengel dieses hämischen, unbarmherzigen
Rackers sind! Trotz Galgen und Schwert und Rad hätte ich ihn--hätte
ich ihn mit diesen Händen erdrosseln, mit diesen Zähnen zerreißen
wollen.--
Tellheim
Bestie!
Just
Lieber Bestie als so ein Mensch!
Tellheim
Was willst du aber?
Just
Ich will, daß Sie es empfinden sollen, wie sehr man Sie beleidiget.
Tellheim
Und dann?
Just
Daß Sie sich rächten.--Nein, der Kerl ist Ihnen zu gering.--
Tellheim
Sondern, daß ich es dir auftrüge, mich zu rächen? Das war von Anfang
mein Gedanke. Er hätte mich nicht wieder mit Augen sehen und seine
Bezahlung aus deinen Händen empfangen sollen. Ich weiß, daß du eine
Handvoll Geld mit einer ziemlich verächtlichen Miene einem hinwerfen
kannst.--
Just
So? eine vortreffliche Rache!--
Tellheim
Aber die wir noch verschieben müssen. Ich habe keinen Heller bares
Geld mehr; ich weiß auch keines aufzutreiben.
Just
Kein bares Geld? Und was ist denn das für ein Beutel mit fünfhundert
Taler Louisdor, den der Wirt in Ihrem Schreibpulte gefunden?
Tellheim
Das ist Geld, welches mir aufzuheben gegeben worden.
Just
Doch nicht die hundert Pistolen, die Ihnen Ihr alter Wachtmeister vor
vier oder fünf Wochen brachte?
Tellheim
Die nämlichen, von Paul Wernern. Warum nicht?
Just
Diese haben Sie noch nicht gebraucht? Mein Herr, mit diesen können
Sie machen, was Sie wollen. Auf meine Verantwortung--
Tellheim
Wahrhaftig?
Just
Werner hörte von mir, wie sehr man Sie mit Ihren Forderungen an die
Generalkriegskasse aufzieht. Er hörte--
Tellheim
Daß ich sicherlich zum Bettler werden würde, wenn ich es nicht schon
wäre.--Ich bin dir sehr verbunden, Just.--Und diese Nachricht
vermochte Wernern, sein bißchen Armut mit mir zu teilen.--Es ist mir
doch lieb, daß ich es erraten habe.--Höre, Just, mache mir zugleich
auch deine Rechnung; wir sind geschiedene Leute.--
Just
Wie? was?
Tellheim
Kein Wort mehr; es kömmt jemand.--

5. Szene
(Eine Dame in Trauer. v. Tellheim. Just.)

Dame
Ich bitte um Verzeihung, mein Herr!--
Tellheim
Wen suchen Sie, Madame?--
Dame
Eben den würdigen Mann, mit welchem ich die Ehre habe zu sprechen.
Sie kennen mich nicht mehr? Ich bin die Witwe Ihres ehemaligen
Stabsrittmeisters--
Tellheim
Um des Himmels willen, gnädige Frau! welche Veränderung!--
Dame
Ich stehe von dem Krankenbette auf, auf das mich der Schmerz über den
Verlust meines Mannes warf. Ich muß Ihnen früh beschwerlich fallen,
Herr Major. Ich reise auf das Land, wo mir eine gutherzige, aber eben
auch nicht glückliche Freundin eine Zuflucht vors erste angeboten.--
Tellheim
(zu Just). Geh, laß uns allein.--

6. Szene
(Die Dame. v. Tellheim.)

Tellheim
Reden Sie frei, gnädige Frau! Vor mir dürfen Sie sich Ihres Unglücks
nicht schämen. Kann ich Ihnen worin dienen?
Dame
Mein Herr Major--
Tellheim
Ich beklage Sie, gnädige Frau! Worin kann ich Ihnen dienen? Sie
wissen, Ihr Gemahl war mein Freund; mein Freund, sage ich; ich war
immer karg mit diesem Titel.
Dame
Wer weiß es besser als ich, wie wert Sie seiner Freundschaft waren,
wie wert er der Ihrigen war? Sie würden sein letzter Gedanke, Ihr
Name der letzte Ton seiner sterbenden Lippen gewesen sein, hätte nicht
die stärkere Natur dieses traurige Vorrecht für seinen unglücklichen
Sohn, für seine unglückliche Gattin gefordert--
Tellheim
Hören Sie auf, Madame! Weinen wollte ich mit Ihnen gern; aber ich
habe heute keine Tränen. Verschonen Sie mich! Sie finden mich in
einer Stunde, wo ich leicht zu verleiten wäre, wider die Vorsicht zu
murren.--O mein rechtschaffner Marloff! Geschwind, gnädige Frau, was
haben Sie zu befehlen? Wenn ich Ihnen zu dienen imstande bin, wenn
ich es bin--
Dame
Ich darf nicht abreisen, ohne seinen letzten Willen zu vollziehen. Er
erinnerte sich kurz vor seinem Ende, daß er als Ihr Schuldner sterbe,
und beschwor mich, diese Schuld mit der ersten Barschaft zu tilgen.
Ich habe seine Equipage verkauft und komme, seine Handschrift
einzulösen.--
Tellheim
Wie, gnädige Frau? darum kommen Sie?
Dame
Darum. Erlauben Sie, daß ich das Geld aufzähle.
Tellheim
Nicht doch, Madame! Marloff mir schuldig? das kann schwerlich sein.
Lassen Sie doch sehen. (Er ziehet sein Taschenbuch heraus und sucht.)
Ich finde nichts.
Dame
Sie werden seine Handschrift verlegt haben, und die Handschrift tut
nichts zur Sache.--Erlauben Sie--
Tellheim
Nein, Madame! so etwas pflege ich nicht zu verlegen. Wenn ich sie
nicht habe, so ist es ein Beweis, daß ich nie eine gehabt habe, oder
daß sie getilgt und von mir schon zurückgegeben worden.
Dame
Herr Major!--
Tellheim
Ganz gewiß, gnädige Frau. Nein, Marloff ist mir nichts schuldig
gebleiben. Ich wüßte mich auch nicht zu erinnern, daß er mir jemals
etwas schuldig gewesen wäre. Nicht anders, Madame; er hat mich
vielmehr als seinen Schuldner hinterlassen. Ich habe nie etwas tun
können, mich mit einem Manne abzufinden, der sechs Jahre Glück und
Unglück, Ehre und Gefahr mit mir geteilet. Ich werde es nicht
vergessen, daß ein Sohn von ihm da ist. Er wird mein Sohn sein,
sobald ich sein Vater sein kann. Die Verwirrung, in der ich mich
jetzt selbst befinde--
Dame
Edelmütiger Mann! Aber denken Sie auch von mir nicht zu klein!
Nehmen Sie das Geld, Herr Major; so bin ich wenigstens beruhiget.--
Tellheim
Was brauchen Sie zu Ihrer Beruhigung weiter als meine Versicherung,
daß mir dieses Geld nicht gehöret? Oder wollen Sie, daß ich die
unerzogene Waise meines Freundes bestehlen soll? Bestehlen, Madame;
das würde es in dem eigentlichsten Verstande sein. Ihm gehört es, für
ihn legen Sie es an!--
Dame
Ich verstehe Sie; verzeihen Sie nur, wenn ich noch nicht recht weiß,
wie man Wohltaten annehmen muß. Woher wissen es denn aber auch Sie,
daß eine Mutter mehr für ihren Sohn tut, als sie für ihr eigen Leben
tun würde? Ich gehe--
Tellheim
Gehen Sie, Madame, gehen Sie! Reisen Sie glücklich! Ich bitte Sie
nicht, mir Nachricht von Ihnen zu geben. Sie möchte mir zu einer Zeit
kommen, wo ich sie nicht nutzen könnte. Aber noch eines, gnädige Frau;
bald hätte ich das Wichtigste vergessen. Marloff hat noch an der
Kasse unsers ehemaligen Regiments zu fordern. Seine Forderungen sind
so richtig wie die meinigen. Werden meine bezahlt, so müssen auch die
seinigen bezahlt werden. Ich hafte dafür.--
Dame
Oh! Mein Herr--Aber ich schweige lieber.--Künftige Wohltaten so
vorbereiten, heißt sie in den Augen des Himmels schon erwiesen haben.
Empfangen Sie seine Belohnung und meine Tränen! (Geht ab.)

7. Szene
(v. Tellheim.)

Tellheim
Armes, braves Weib! Ich muß nicht vergessen, den Bettel zu vernichten.
(Er nimmt aus seinem Taschenbuche Briefschaften, die er zerreißt.)
Wer steht mir dafür, daß eigner Mangel mich nicht einmal verleiten
könnte, Gebrauch davon zu machen?

8. Szene
(Just. v. Tellheim.)

Tellheim
Bist du da?
Just
(indem er sich die Augen wischt). Ja!
Tellheim
Du hast geweint?
Just
Ich habe in der Küche meine Rechnung geschrieben, und die Küche ist
voll Rauch. Hier ist sie, mein Herr!
Tellheim
Gib her.
Just
Haben Sie Barmherzigkeit mit mir, mein Herr. Ich Weiß wohl, daß die
Menschen mit Ihnen keine haben, aber--
Tellheim
Was willst du?
Just
Ich hätte mir ehr den Tod als meinen Abschied vermutet.
Tellheim
Ich kann dich nicht länger brauchen; ich muß mich ohne Bedienten
behelfen lernen. (Schlägt die Rechnung auf und lieset.) "Was der Herr
Major mir schuldig: Drei und einen halben Monat Lohn, den Monat 6
Taler, macht 21 Taler. Seit dem Ersten dieses an Kleinigkeiten
ausgelegt 1 Taler 7 Gr. 9 Pf. Summa Summarum 22 Taler 7 Gr. 9 Pf."--
Gut, und es ist billig, daß ich diesen laufenden Monat ganz bezahle.
Just
Die andere Seite, Herr Major--
Tellheim
Noch mehr? (Lieset.) Was dem Herrn Major ich schuldig: An den
Feldscher für mich bezahlt 25 Taler. Für Wartung und Pflege während
meiner Kur für mich bezahlt 39 Taler. Meinem abgebrannten und
geplünderten Vater auf meine Bitte vorgeschossen, ohne die zwei
Beutepferde zu rechnen, die er ihm geschenkt, 50 Taler. Summa
Summarum 114 Taler. Davon abgezogen vorstehende 22 Taler 7 Gr. 9 Pf.,
bleibe dem Herrn Major schuldig 91 Taler 16 Gr. 3 Pf."--Kerl, du
bist toll!--
Just
Ich glaube es gern, daß ich Ihnen weit mehr koste. Aber es wäre
verlorne Tinte, es dazuzuschreiben. Ich kann Ihnen das nicht bezahlen,
und wenn Sie mir vollends die Liverei nehmen, die ich auch noch nicht
verdient habe--so wollte ich lieber, Sie hätten mich in dem Lazarette
krepieren lassen.
Tellheim
Wofür siehst du mich an? Du bist mir nichts schuldig, und ich will
dich einem von meinen Bekannten empfehlen, bei dem du es besser haben
sollst als bei mir.
Just
Ich bin Ihnen nichts schuldig, und doch wollen Sie mich verstoßen?
Tellheim
Weil ich dir nichts schuldig werden will.
Just
Darum? nur darum?--So gewiß ich Ihnen schuldig bin, so gewiß Sie mir
nichts schuldig werden können, so gewiß sollen Sie mich nun nicht
verstoßen.--Machen Sie, was Sie wollen, Herr Major; ich bleibe bei
Ihnen; ich muß bei Ihnen bleiben.--
Tellheim
Und deine Hartnäckigkeit, dein Trotz, dein wildes, ungestümes Wesen
gegen alle, von denen du meinest, daß sie dir nichts zu sagen haben,
deine tückische Schadenfreude, deine Rachsucht--
Just
Machen Sie mich so schlimm, wie Sie wollen; ich will darum doch nicht
schlechter von mir denken als von meinem Hunde. Vorigen Winter ging
ich in der Dämmerung an dem Kanale und hörte etwas winseln. Ich stieg
herab und griff nach der Stimme und glaubte, ein Kind zu retten, und
zog einen Pudel aus dem Wasser. Auch gut, dachte ich. Der Pudel kam
mir nach, aber ich bin kein Liebhaber von Pudeln. Ich jagte ihn fort,
umsonst; ich prügelte ihn von mir, umsonst. Ich ließ ihn des Nachts
nicht in meine Kammer; er blieb vor der Türe auf der Schwelle. Wo er
mir zu nahe kam, stieß ich ihn mit dem Fuße; er schrie, sahe mich an
und wedelte mit dem Schwanze. Noch hat er keinen Bissen Brot aus
meiner Hand bekommen, und doch bin ich der einzige, dem er hört, und
der ihn anrühren darf. Er springt vor mir her und macht mir seine
Künste unbefohlen vor. Es ist ein häßlicher Pudel, aber ein gar zu
guter Hund. Wenn er es länger treibt, so höre ich endlich auf, den
Pudeln gram zu sein.
Tellheim
(beiseite). So wie ich ihm! Nein, es gibt keine völligen Unmenschen!
--Just, wir bleiben beisammen.
Just
Ganz gewiß!--Sie wollten sich ohne Bedienten behelfen? Sie vergessen
Ihrer Blessuren und daß Sie nur eines Armes mächtig sind. Sie können
sich ja nicht allein ankleiden. Ich bin Ihnen unentbehrlich; und bin--
ohne mich selbst zu rühmen, Herr Major--und bin ein Bedienter, der--
wenn das Schlimmste zum Schlimmen kömmt--für seinen Herrn betteln und
stehlen kann.
Tellheim
Just, wir bleiben nicht beisammen.
Just
Schon gut!

9. Szene
(Ein Bedienter. v. Tellheim. Just.)

Bediente
Bst! Kamerad!
Just
Was gibt's?
Bediente
Kann Er mir nicht den Offizier nachweisen, der gestern noch in diesem
Zimmer (auf eines an der Seite zeigend, von welcher er herkömmt)
gewohnt hat?
Just
Das dürfte ich leicht können. Was bringt Er ihm?
Bediente
Was wir immer bringen, wenn wir nichts bringen: ein Kompliment. Meine
Herrschaft hört, daß er durch sie verdrängt worden. Meine Herrschaft
weiß zu leben, und ich soll ihn deshalb um Verzeihung bitten.
Just
Nun, so bitte Er ihn um Verzeihung; da steht er.
Bediente
Was ist er? Wie nennt man ihn?
Tellheim
Mein Freund, ich habe Euern Auftrag schon gehört. Es ist eine
überflüssige Höflichkeit von Eurer Herrschaft, die ich erkenne, wie
ich soll. Macht ihr meinen Empfehl.--Wie heißt Eure Herrschaft?--
Bediente
Wie sie heißt? Sie läßt sich gnädiges Fräulein heißen.
Tellheim
Und ihr Familienname?
Bediente
Den habe ich noch nicht gehört, und darnach zu fragen, ist meine Sache
nicht. Ich richte mich so ein, daß ich meistenteils alle sechs Wochen
eine neue Herrschaft habe. Der Henker behalte alle ihre Namen!--
Just
Bravo, Kamerad!
Bediente
Zu dieser bin ich erst vor wenig Tagen in Dresden gekommen. Sie sucht,
glaube ich, hier ihren Bräutigam.--
Tellheim
Genug, mein Freund. Den Namen Eurer Herrschaft wollte ich wissen,
aber nicht ihre Geheimnisse. Geht nur!
Bediente
Kamerad, das wäre kein Herr für mich!

10. Szene
(v. Tellheim. Just.)

Tellheim
Mache, Just, mache, daß wir aus diesem Hause kommen! Die Höflichkeit
der fremden Dame ist mir empfindlicher als die Grobheit des Wirts.
Hier, nimm diesen Ring, die einzige Kostbarkeit, die mir übrig ist,
von der ich nie geglaubt hätte, einen solchen Gebrauch zu machen!--
Versetze ihn! Laß dir achtzig Friedrichsdor darauf geben; die
Rechnung des Wirts kann keine dreißig betragen. Bezahle ihn und räume
meine Sachen--Ja, wohin?--Wohin du willst. Der wohlfeilste Gasthof
der beste. Du sollst mich hier nebenan auf dem Kaffeehause treffen.
Ich gehe, mache deine Sache gut.--
Just
Sorgen Sie nicht, Herr Major!--
Tellheim
(kömmt wieder zurück). Vor allen Dingen, daß meine Pistolen, die
hinter dem Bette gehangen, nicht vergessen werden.
Just
Ich will nichts vergessen.
Tellheim
(kömmt nochmals zurück). Noch eins: nimm mir auch deinen Pudel mit;
hörst du, Just!--

11. Szene
(Just)

Just
Der Pudel wird nicht zurückbleiben. Dafür laß ich den Pudel sorgen.--
Hm! Auch den kostbaren Ring hat der Herr noch gehabt? Und trug ihn
in der Tasche, anstatt am Finger?--Guter Wirt, wir sind so kahl noch
nicht, als wir scheinen. Bei ihm, bei ihm selbst will ich dich
versetzen, schönes Ringelchen! Ich weiß, er ärgert sich, daß du in
seinem Hause nicht ganz sollst verzehrt werden!--Ah--

12. Szene
(Paul Werner. Just.)

Just
Sieh da, Werner! guten Tag, Werner! willkommen in der Stadt!
Werner
Das verwünschte Dorf! Ich kann's unmöglich wieder gewohne werden.
Lustig, Kinder, lustig; ich bringe frisches Geld! Wo ist der Major?
Just
Er muß dir begegnet sein; er ging eben die Treppe herab.
Werner
Ich komme die Hintertreppe herauf. Nun, wie geht's ihm? Ich wäre
schon vorige Woche bei euch gewesen, aber--
Just
Nun? was hat dich abgehalten?--
Werner
--Just--hast du von dem Prinzen Heraklius gehört?
Just
Heraklius? Ich wüßte nicht.
Werner
Kennst du den großen Helden im Morgenlande nicht?
Just
Die Weisen aus dem Morgenlande kenn ich wohl, die ums Neujahr mit dem
Sterne herumlaufen.--
Werner
Mensch, ich glaube, du liesest ebensowenig die Zeitungen als die
Bibel?--Du kennst den Prinzen Heraklius nicht? den braven Mann nicht,
der Persien weggenommen und nächster Tage die Ottomanische Pforte
einsprengen wird? Gott sei Dank, daß doch noch irgendwo in der Welt
Krieg ist! Ich habe lange genug gehofft, es sollte hier wieder
losgehen. Aber da sitzen sie und heilen sich die Haut. Nein, Soldat
war ich, Soldat muß ich wieder sein! Kurz--(indem er sich schüchtern
umsieht, ob ihn jemand behorcht) im Vertrauen, Just, ich wandere nach
Persien, um unter Sr. Königlichen Hoheit, dem Prinzen Heraklius, ein
paar Feldzüge wider den Türken zu machen.
Just
Du?
Werner
Ich, wie du mich hier siehst! Unsere Vorfahren zogen fleißig wider
den Türken, und das sollten wir noch tun, wenn wir ehrliche Kerls und
gute Christen wären. Freilich begreife ich wohl, daß ein Feldzug
wider den Türken nicht halb so lustig sein kann, als einer wider den
Franzosen; aber dafür muß er auch desto verdienstlicher sein, in
diesem und in jenem Leben. Die Türken haben dir alle Säbels, mit
Diamanten besetzt--
Just
Um mir von so einem Säbel den Kopf spalten zu lassen, reise ich nicht
eine Meile. Du wirst doch nicht toll sein und dein schönes
Schulzengerichte verlasen?--
Werner
Oh, das nehme ich mit!--Merkst du was?--Das Gütchen ist verkauft--
Just
Verkauft?
Werner
St!--hier sind hundert Dukaten, die ich gestern auf den Kauf bekommen;
die bring ich dem Major--
Just
Und was soll der damit?
Werner
Was er damit soll? Verzehren soll er sie, verspielen, vertrinken, ver--,
wie er will. Der Mann muß Geld haben, und es ist schlecht genug,
daß man ihm das Seinige so sauer macht! Aber ich wüßte schon, was ich
täte, wenn ich an seiner Stelle wäre! Ich dächte: hol euch hier alle
der Henker, und ginge mit Paul Wernern, nach Persien!--Blitz!--Der
Prinz Heraklius muß ja wohl von dem Major Tellheim gehört haben, wenn
er auch schon seinen gewesenen Wachtmeister, Paul Wernern, nicht kennt.
Unsere Affäre bei den Katzenhäusern--
Just
Soll ich dir die erzählen?--
Werner
Du mir?--Ich merke wohl, daß eine schöne Disposition über deinen
Verstand geht. Ich will meine Perlen nicht vor die Säue werfen.--Da
nimm die hundert Dukaten; gib sie dem Major. Sage ihm, er soll mir
auch die aufheben. Ich muß jetzt auf den Markt; ich habe zwei Winspel
Roggen hereingeschickt; was ich daraus löse, kann er gleichfalls haben.
--
Just
Werner, du meinest es herzlich gut; aber wir mögen dein Geld nicht.
Behalte deine Dukaten, und deine hundert Pistolen kannst du auch
unversehrt wiederbekommen, sobald als du willst.--
Werner
So? Hat denn der Major noch Geld?
Just
Nein.
Werner
Hat er sich wo welches geborgt?
Just
Nein.
Werner
Und wovon lebt ihr denn?
Just
Wir lassen anschreiben, und wenn man nicht mehr anschreiben will und
uns zum Hause hinauswirft, so versetzen wir, was wir noch haben, und
ziehen weiter.--Höre nur, Paul; dem Wirte hier müssen wir einen Possen
spielen.
Werner
Hat er dem Major was in den Weg gelegt?--Ich bin dabei!--
Just
Wie wär's, wenn wir ihm des Abends, wenn er aus der Tabagie kömmt,
aufpaßten und ihn brav durchprügelten?--
Werner
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