Minna von Barnhelm - 4

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So, so! Sie wollen es versparen bis auf bessre Zeiten; Sie wollen ein
andermal Geld von mir borgen, wenn Sie keines brauchen, wenn Sie
selbst welches haben und ich vielleicht keines.
Tellheim
Man muß nicht borgen, wenn man nicht widerzugeben weiß.
Werner
Einem Manne wie Sie kann es nicht immer fehlen.
Tellheim
Du kennst die Welt!--Am wenigsten muß man sodann von einem borgen, der
sein Geld selbst braucht.
Werner
O ja, so einer bin ich! Wozu braucht' ich's denn?--Wo man einen
Wachtmeister nötig hat, gibt man ihm auch zu leben.
Tellheim
Du brauchst es, mehr als Wachtmeister zu werden, dich auf einer Bahn
weiterzubringen, auf der ohne Geld auch der Würdigste zurückbleiben
kann.
Werner
Mehr als Wachtmeister zu werden? Daran denke ich nicht. Ich bin ein
guter Wachtmeister und dürfte leicht ein schlechter Rittmeister und
sicherlich noch ein schlechtrer General werden. Die Erfahrung hat man.

Tellheim
Mache nicht, daß ich etwas Unrechtes von dir denken muß, Werner! Ich
habe es nicht gern gehört, was mir Just gesagt hat. Du hast dein Gut
verkauft und willst wieder herumschwärmen. Laß mich nicht von dir
glauben, daß du nicht sowohl das Metier als die wilde, liederliche
Lebensart liebest, die unglücklicherweise damit verbunden ist. Man
muß Soldat sein für sein Land oder aus Liebe zu der Sache, für die
gefochten wird. Ohne Absicht heute hier, morgen da dienen, heißt wie
ein Fleischerknecht reisen, weiter nichts.
Werner
Nun ja doch, Herr Major, ich will Ihnen folgen. Sie wissen besser,
was sich gehört. Ich will bei Ihnen bleiben.--Aber, lieber Major,
nehmen Sie doch auch derweile mein Geld. Heut oder morgen muß Ihre
Sache aus sein. Sie müssen Geld die Menge bekommen. Sie sollen mir
es sodann mit Interessen wiedergeben. Ich tu es ja nur der Interessen
wegen.
Tellheim
Schweig davon!
Werner
Bei meiner armen Seele, ich tu es nur der Interessen wegen!--Wenn ich
manchmal dachte: Wie wird es mit dir aufs Alter werden? wenn du
zuschanden gehauen bist? wenn du nichts haben wirst? wenn du wirst
betteln gehen müssen? so dachte ich wieder: Nein, du wirst nicht
betteln gehn; du wirst zum Major Tellheim gehn; der wird seinen
letzten Pfennig mit dir teilen; der wird dich zu Tode füttern; bei dem
wirst du als ein ehrlicher Kerl sterben können.
Tellheim
(indem er Werners Hand ergreift). Und, Kamerad, das denkst du nicht
noch?
Werner
Nein, das denk ich nicht mehr.--Wer von mir nichts nehmen will, wenn
er's bedarf, und ich's habe, der will mir auch nichts geben, wenn er's
hat, und ich's bedarf.--Schon gut! (Will gehen.)
Tellheim
Mensch, mache mich nicht rasend! Wo willst du hin? (Hält ihn zurück.)
Wenn ich dich nun auf meine Ehre versichere, daß ich noch Geld habe;
wenn ich dir auf meine Ehre verspreche, daß ich dir es sagen will,
wenn ich keines mehr habe; daß du der erste und einzige sein sollst,
bei dem ich mir etwas borgen will:--bist du dann zufrieden?
Werner
Muß ich nicht?--Geben Sie mir die Hand darauf, Herr Major.
Tellheim
Da, Paul!--Und nun genug davon. Ich kam hieher, um ein gewisses
Mädchen zu sprechen--

8. Szene
(Franziska, aus dem Zimmer des Fräuleins. v. Tellheim. Paul Werner.)

Franziska
(im Hereintreten). Sind Sie noch da, Herr Wachtmeister?--(Indem sie
den Tellheim gewahr wird.) Und Sie sind auch da, Herr Major?--Den
Augenblick bin ich zu Ihren Diensten. (Geht geschwind wieder in das
Zimmer.)

9. Szene
(v. Tellheim. Paul Werner.)

Tellheim
Das war sie!--Aber ich höre ja, du kennst sie, Werner?
Werner
Ja, ich kenne das Frauenzimmerchen.--
Tellheim
Gleichwohl, wenn ich mich recht erinnere, als ich in Thüringen
Winterquartier hatte, warst du nicht bei mir?
Werner
Nein, da besorgte ich in Leipzig Mundierungsstücke.
Tellheim
Woher kennst du sie denn also?
Werner
Unsere Bekanntschaft ist noch blutjung. Sie ist von heute. Aber
junge Bekanntschaft ist warm.
Tellheim
Also hast du ihr Fräulein wohl auch schon gesehen?
Werner
Ist ihre Herrschaft ein Fräulein? Sie hat mir gesagt, Sie kennten
ihre Herrschaft.
Tellheim
Hörst du nicht? aus Thüringen her.
Werner
Ist das Fräulein jung?
Tellheim
Ja.
Werner
Schön?
Tellheim
Sehr schön.
Werner
Reich?
Tellheim
Sehr reich.
Werner
Ist Ihnen das Fräulein auch so gut wie das Mädchen? Das wäre ja
vortrefflich!
Tellheim
Wie meinst du?

10. Szene
(Franziska wieder heraus, mit einem Brief in der Hand. v Tellheim.
Paul Werner.)

Franziska
Herr Major--
Tellheim
Liebe Franziska, ich habe dich noch nicht willkommen heißen können.
Franziska
In Gedanken werden Sie es doch schon getan haben. Ich weiß, Sie sind
mir gut. Ich Ihnen auch. Aber das ist gar nicht artig, daß Sie Leute,
die Ihnen gut sind, so ängstigen.
Werner
(vor sich). Ha, nun merk ich. Es ist richtig!
Tellheim
Mein Schicksal, Franziska!--Hast du ihr den Brief übergeben?
Franziska
Ja, und hier übergebe ich Ihnen--(Reicht ihm den Brief.)
Tellheim
Eine Antwort?--
Franziska
Nein, Ihren eignen Brief wieder.
Tellheim
Was? Sie will ihn nicht lesen?
Franziska
Sie wollte wohl, aber--wir können Geschriebenes nicht gut lesen.
Tellheim
Schäkerin!
Franziska
Und wir denken, daß das Briefschreiben für die nicht erfunden ist, die
sich mündlich miteinander unterhalten können, sobald sie wollen.
Tellheim
Welcher Vorwand! Sie muß ihn lesen. Er enthält meine Rechtfertigung--
alle die Gründe und Ursachen--
Franziska
Die will das Fräulein von Ihnen selbst hören, nicht lesen.
Tellheim
Von mir selbst hören? Damit mich jedes Wort, jede Miene von ihr
verwirre; damit ich in jedem ihrer Blicke die ganze Größe meines
Verlusts empfinde?--
Franziska
Ohne Barmherzigkeit!--Nehmen Sie! (Sie gibt ihm den Brief.) Sie
erwartet Sie um drei Uhr. Sie will ausfahren und die Stadt besehen.
Sie sollen mit ihr fahren?
Tellheim
Mit ihr fahren?
Franziska
Und was geben Sie mir, so laß ich Sie beide ganz allein fahren? Ich
will zu Hause bleiben.
Tellheim
Ganz allein?
Franziska
In einem schönen verschloßnen Wagen.
Tellheim
Unmöglich!
Franziska
Ja, ja; im Wagen muß der Herr Major Katz aushalten; da kann er uns
nicht entwischen. Darum geschieht es eben.--Kurz, Sie kommen, Herr
Major; und Punkte drei.--Nun? Sie wollten mich ja auch allein
sprechen. Was haben Sie mir denn zu sagen?--Ja so, wir sind nicht
allein. (Indem sie Wernern ansieht.)
Tellheim
Doch, Franziska, wir wären allein. Aber da das Fräulein den Brief
nicht gelesen hat, so habe ich dir noch nichts zu sagen.
Franziska
So? wären wir doch allein? Sie haben vor dem Herrn Wachtmeister
keine Geheimnisse?
Tellheim
Nein, keine.
Franziska
Gleichwohl, dünkt mich, sollten Sie welche vor ihm haben.
Tellheim
Wie das?
Werner
Warum das, Frauenzimmerchen?
Franziska
Besonders Geheimnisse von einer gewissen Art.--Alle zwanzig, Herr
Wachtmeister? (Indem sie beide Hände mit gespreizten Fingern in die
Höhe hält.)
Werner
St! st! Frauenzimmerchen, Frauenzimmerchen!
Tellheim
Was heißt das?
Franziska
Husch ist's am Finger, Herr Wachtmeister? (Als ob sie einen Ring
geschwind ansteckte.)
Tellheim
Was habt ihr?
Werner
Frauenzimmerchen, Frauenzimmerchen, Sie wird ja wohl Spaß verstehn?
Tellheim
Werner, du hast doch nicht vergessen, was ich dir mehrmal gesagt habe,
daß man über einen gewissen Punkt mit dem Frauenzimmer nie scherzen
muß?
Werner
Bei meiner armen Seele, ich kann's vergessen haben!--Frauenzimmerchen,
ich bitte--
Franziska
Nun, wenn es Spaß gewesen ist; dasmal will ich es Ihm verzeihen.
Tellheim
Wenn ich denn durchaus kommen muß, Franziska: so mache doch nur, daß
das Fräulein den Brief vorher noch lieset. Das wird mir die Peinigung
ersparen, Dinge noch einmal zu denken, noch einmal zu sagen, die ich
so gern vergessen möchte. Da, gib ihr ihn! (Indem er den Brief
umkehrt und ihr ihn zureichen will, wird er gewahr, daß er erbrochen
ist.) Aber sehe ich recht? Der Brief, Franziska, ist ja erbrochen.
Franziska
Das kann wohl sein. (Besieht ihn.) Wahrhaftig, er ist erbrochen. Wer
muß ihn denn erbrochen haben? Doch gelesen haben wir ihn wirklich
nicht, Herr Major, wirklich nicht. Wir wollen ihn auch nicht lesen,
denn der Schreiber kömmt selbst. Kommen Sie ja; und wissen Sie was,
Herr Major? Kommen Sie nicht so, wie Sie da sind, in Stiefeln, kaum
frisiert. Sie sind zu entschuldigen, Sie haben uns nicht vermutet.
Kommen Sie in Schuhen, und lassen Sie sich frisieren.--So sehen Sie
mir gar zu brav, gar zu preußisch aus!
Tellheim
Ich danke dir, Franziska.
Franziska
Sie sehen aus, als ob Sie vorige Nacht kampiert hätten.
Tellheim
Du kannst es erraten haben.
Franziska
Wir wollen uns gleich auch putzen und sodann essen. Wir behielten Sie
gern zum Essen, aber Ihre Gegenwart möchte uns an dem Essen hindern;
und sehen Sie, so gar verliebt sind wir nicht, daß uns nicht hungerte.

Tellheim
Ich geh! Franziska, bereite sie indes ein wenig vor, damit ich weder
in ihren noch in meinen Augen verächtlich werden darf.--Komm, Werner,
du sollst mit mir essen.
Werner
An der Wirtstafel hier im Hause? Da wird mir kein Bissen schmecken.
Tellheim
Bei mir auf der Stube.
Werner
So folge ich Ihnen gleich. Nur noch ein Wort mit dem Frauenzimmerchen.

Tellheim
Das gefällt mir nicht übel! (Geht ab.)

11. Szene
(Paul Werner. Franziska.)

Franziska
Nun, Herr Wachtmeister?--
Werner
Frauenzimmerchen, wenn ich wiederkomme, soll ich auch geputzter
kommen?
Franziska
Komm Er, wie Er will, Herr Wachtmeister; meine Augen werden nichts
wider Ihn haben. Aber meine Ohren werden desto mehr auf ihrer Hut
gegen Ihn sein müssen.--Zwanzig Finger, alle voller Ringe! Ei, ei,
Herr Wachtmeister!
Werner
Nein, Frauenzimmerchen; eben das wollt' ich Ihr noch sagen: die
Schnurre fuhr mir mir so heraus! Es ist nichts dran. Man hat ja wohl
an einem Ringe genug. Und hundert--und aberhundertmal habe ich den
Major sagen hören: "Das muß ein Schurke von einem Soldaten sein, der
ein Mädchen anführen kann!"--So denk ich auch, Frauenzimmerchen.
Verlaß Sie sich darauf!--Ich muß machen, daß ich ihm nachkomme.--Guten
Appetit, Frauenzimmerchen! (Geht ab.)
Franziska
Gleichfalls, Herr Wachtmeister!--Ich glaube, der Mann gefällt mir!
(Indem sie hineingehen will, kömmt ihr das Fräulein entgegen.)

12. Szene
(Das Fräulein. Franziska.)

Fräulein
Ist der Major schon wieder fort?--Franziska, ich glaube, ich wäre
jetzt schon wieder ruhig genug, daß ich ihn hätte hierbehalten können.

Franziska
Und ich will Sie noch ruhiger machen.
Fräulein
Desto besser! Sein Brief, oh, sein Brief! Jede Zeile sprach den
ehrlichen, edlen Mann. Jede Weigerung, mich zu besitzen, beteuerte
mir seine Liebe.--Er wird es wohl gemerkt haben, daß wir den Brief
gelesen.--Mag er doch, wenn er nur kömmt. Er kömmt doch gewiß?--Bloß
ein wenig zu viel Stolz, Franziska, scheint mir in seiner Aufführung
zu sein. Denn auch seiner Geliebten sein Glück nicht wollen zu danken
haben, ist Stolz, unverzeihlicher Stolz! Wenn er mir diesen zu stark
merken läßt, Franziska--
Franziska
So wollen Sie seiner entsagen?
Fräulein
Ei, sieh doch! Jammert er dich nicht schon wieder? Nein, liebe
Närrin, eines Fehlers wegen entsagt man keinem Manne. Nein, aber ein
Streich ist mir beigefallen, ihn wegen dieses Stolzes mit ähnlichem
Stolze ein wenig zu martern.
Franziska
Nun, da müssen Sie ja recht sehr ruhig sein, mein Fräulein, wenn Ihnen
schon wieder Streiche beifallen.
Fräulein
Ich bin es auch; komm nur. Du wirst deine Rolle dabei zu spielen
haben. (Sie gehen herein.)


4. Akt

1. Szene
(Die Szene: Das Zimmer des Fräuleins.) (Das Fräulein völlig und reich,
aber mit Geschmack gekleidet. Franziska. Sie stehen vom Tische auf,
den ein Bedienter abräumt.)

Franziska
Sie können unmöglich satt sein, gnädiges Fräulein.
Fräulein
Meinst du, Franziska? Vielleicht, daß ich mich nicht hungrig
niedersetzte.
Franziska
Wir hatten ausgemacht, seiner während der Mahlzeit nicht zu erwähnen.
Aber wir hätten uns auch vornehmen sollen, an ihn nicht zu denken.
Fräulein
Wirklich, ich habe an nichts als an ihn gedacht.
Franziska
Das merkte ich wohl. Ich fing von hundert Dingen an zu sprechen, und
Sie antworteten mir auf jedes verkehrt. (Ein andrer Bedienter trägt
Kaffee auf.) Hier kömmt eine Nahrung, bei der man eher Grillen machen
kann. Der liebe melancholische Kaffee!
Fräulein
Grillen? Ich mache keine. Ich denke bloß der Lektion nach, die ich
ihm geben will. Hast du mich recht begriffen, Franziska?
Franziska
O ja; am besten aber wäre es, er ersparte sie uns.
Fraülein
Du wirst sehen, daß ich ihn von Grund aus kenne. Der Mann, der mich
jetzt mit allen Reichtümern verweigert, wird mich der ganzen Welt
streitig machen, sobald er hört, daß ich unglücklich und verlassen bin.

Franziska
(sehr ernsthaft). Und so was muß die feinste Eigenliebe unendlich
kitzeln.
Fräulein
Sittenrichterin! Seht doch! Vorhin ertappte sie mich auf Eitelkeit,
jetzt auf Eigenliebe.--Nun, laß mich nur, liebe Franziska. Du sollst
mit deinem Wachtmeister auch machen können, was du willst.
Franziska
Mit meinem Wachtmeister?
Fräulein
Ja, wenn du es vollends leugnest, so ist es richtig.--Ich habe ihn
noch nicht gesehen, aber aus jedem Worte, das du mir von ihm gesagt
hast, prophezeie ich dir deinen Mann.

2. Szene
(Riccaut de la Marliniere. Das Fräulein. Franziska.) Riccaut (noch
innerhalb der Szene). Est-il permis, Monsieur le Major?

Franziska
Was ist das? Will das zu uns? (Gegen die Türe gehend.)
Riccaut
Parbleu! Ik bin unriktig.--Mais non--Ik bin nit unriktig--C'est sa
chambre--
Franziska
Ganz gewiß, gnädiges Fräulein, glaubt dieser Herr, den Major von
Tellheim noch hier zu finden.
Riccaut
Iß so!--Le Major de Tellheim; juste, ma belle enfant, c'est lui que je
cherche. Ou est-il?
Franziska
Er wohnt nicht mehr hier.
Riccaut
Comment? nok vor vier un swansik Stund hier logier? Und logier nit
mehr hier? Wo logier er denn?
Fräulein
(die auf ihn zukömmt). Mein Herr-Riccaut. Ah, Madame--Mademoiselle--
Ihro Gnad verzeih--
Fräulein
Mein Herr, Ihre Irrung ist sehr zu vergeben und Ihre Verwunderung sehr
natürlich. Der Herr Major hat die Güte gehabt, mir als einer Fremden,
die nicht unterzukommen wußte, sein Zimmer zu überlassen.
Raccaut
Ah, voila de ses politesses! C'est un tres galant-homme que ce Major!

Fräulein
Wo er indes hingezogen--wahrhaftig, ich muß mich schämen, es nicht zu
wissen.
Riccaut
Ihro Gnad nit wiß? C'est dommage; j'en suis fache.
Fräulein
Ich hätte mich allerdings darnach erkundigen sollen. Freilich werden
ihn seine Freunde noch hier suchen.
Riccaut
Ik bin sehr von seine Freund, Ihro Gnad--
Fräulein
Franziska, wißt du es nicht?
Franziska
Nein, gnädiges Fräulein.
Riccaut
Ik hätt ihn zu sprek sehr notwendik. Ik komm ihm bringen eine
Nouvelle, davon er sehr frölik sein wird.
Fräulein
Ich bedauere um so viel mehr.--Doch hoffe ich, vielleicht bald ihn zu
sprechen. Ist es gleichviel, aus wessen Munde er diese gute Nachricht
erfährt, so erbiete ich mich, mein Herr--
Riccaut
Ik versteh.--Mademoiselle parle francais? Mais sans doute; telle que
je la vois!--La demande etait bien impolie; vous me pardonnerez,
Mademoiselle.--
Fräulein
Mein Herr--
Riccaut
Nit? Sie sprek nit Französisch, Ihro Gnad?
Fräulein
Mein Herr, in Frankreich würde ich es zu sprechen suchen. Aber warum
hier? Ich höre ja, daß Sie mich verstehen, mein Herr. Und ich, mein
Herr, werde Sie gewiß auch verstehen; sprechen Sie, wie es Ihnen
beliebt.
Riccaut
Gutt, gutt! Ik kann auk mik auf Deutsch explizier.--Sachez donc,
Mademoiselle--Ihro Gnad soll also wiß, daß ik komm von die Tafel bei
der Minister--Minister von--Minister von--wie heiß der Minister da
drauß?--in der lange Straß?--auf die breite Platz?--
Fräulein
Ich bin hier noch völlig unbekannt.
Riccaut
Nun, die Minister von der Kriegsdepartement.--Da haben ik zu Mittag
gespeisen--ik speisen a l'ordinaire bei ihm--und da iß man gekommen
reden auf der Major Tellheim; et le ministre m'a dit en confidence,
car Son Excellence est de mes amis, et il n'y a point de mysteres
entre nous--Se. Exzellenz, will ik sag, haben mir vertrau, daß die
Sak von unserm Major sei auf den Point zu enden und gutt zu enden. Er
habe gemakt ein Rapport an den Könik, und der Könik habe darauf
resolvier, tout-a-fait en faveur du Major.--Monsieur, m'a dit Son
Excellence, vous comprenez bien, que tout depend de la maniere, dont
on fait envisager les choses au roi, et vous me connaissez. Cela fait
un tres joli garcon que ce Tellheim, et ne sais-je pas que vous
l'aimez? Les amis de mes amis sont aussi les miens. Il coute un peu
cher au roi ce Tellheim, mais est-ce que l'on sert les rois pour rien?
Il faut s'entr'aider en ce monde; et quand il s'agit de pertes, que
ce soit le roi, qui en fasse, et non pas un honnete-homme de nous
autres. Voila le principe, dont je ne me depars jamais.--Was sag Ihro
Gnad hierzu? Nit wahr, das iß ein brav Mann? Ah que Son Excellence a
le coer bien place! Er hat mir au reste versiker, wenn der Major nit
schon bekommen habe une Lettre de la main--eine Könikliken Handbrief,
daß er heut infailliblement müsse bekommen einen.
Fräulein
Gewiß, mein Herr, diese Nachricht wird dem Major von Tellheim höchst
angenehm sein. Ich wünschte nur, ihm den Freund zugleich mit Namen
nennen zu können, der so viel Anteil an seinem Glücke nimmt--
Riccaut
Mein Namen wünscht Ihro Gnad?--Vous voyez en moi--Ihro Gnad seh in mik
le Chevalier Riccaut de la Marliniere, Seigneur de Pret-au-val, de la
branche de Prensd'or.--Ihro Gnad? steh verwundert, mik aus so ein
groß, groß Familie zu hören, qui est veritablement du sang Royal.--Il
faut le dire; je suis sans doute le cadet le plus avantureux, que la
maison a jamais eu.--Ik dien von meiner elfte Jahr. Ein Affaire
d'honneur makte mik fliehen. Darauf haben ik gedienet Sr. Papstliken
Eilikheit, der Republik St. Marino, der Kron Polen und den Staaten-
General, bis ik endlik bin worden gezogen hierher. Ah, Mademoiselle,
que je voudrais n'avoir jamais vu ce pays-la! Hätte man mik gelaß im
Dienst von den Staaten-General, so müßt ik nun sein aufs wenikst
Oberst. Aber so hier immer und ewik Capitaine geblieben, und nun gar
sein ein abgedankte Capitaine--
Fräulein
Das ist viel Unglück.
Riccaut
Qui, Mademoiselle, me voila reforme, et par-la mis sur le pave!
Fräulein
Ich beklage sehr.
Riccaut
Vous etes bien bonne, Mademoiselle.--Nein, man kenn sik hier nit auf
den Verdienst. Einen Mann wie mik su reformir! Einen Mann, der sik
nok dasu in diesem Dienst hat rouinir!--Ik haben dabei sugesetzt mehr
als swansik tausend Livres. Was hab ik nun? Tranchons le mot; je
n'ai pas le sou, et me voila exactement vis-a-vis du rien.--
Fräulein
Es tut mir ungemein leid.
Riccaut
Vous etes bien bonne, Mademoiselle. Aber wie man pfleg su sagen: ein
jeder Unglück schlepp nak sik seine Bruder; qu'un malheur ne vient
jamais seul: so mit mir arrivir. Was ein Honnete-homme von mein
Extraction kann anders haben für Ressource als das Spiel? Nun hab ik
immer gespielen mit Glück, solang ik hatte nit vonnöten der Glück.
Nun ik ihr hätte vonnöten, Mademoiselle, je joue avec un guignon, qui
surpasse toute croyance. Seit funfsehn Tag iß vergangen keine, wo sie
mik nit hab gesprenkt. Nok gestern hab sie mik gesprenkt dreimal. Je
sais bien, qu'il y avait quelque chose de plus que le jeu. Car parmi
mes pontes se trouvaient certaines dames--Ik will niks weiter sag.
Man muß sein galant gegen die Damen. Sie haben auk mik heut invitir,
mir su geben revanche; mais--vous m'entendez, Mademoiselle.--Man muß
erst wiß, wovon leben, ehe man haben kann, wovon su spielen--
Fräulein
Ich will nicht hoffen, mein Herr--
Riccaut
Vous etes bien bonne, Mademoiselle--
Fräulein
(nimmt die Franziska beiseite). Franziska, der Mann dauert mich im
Ernste. Ob er mir es wohl übelnehmen würde, wenn ich ihm etwas
anböte?
Franziska
Der sieht mir nicht darnach aus.
Fräulein
Gut!--Mein Herr, ich höre--daß Sie spielen, daß Sie Bank machen; ohne
Zweifel an Orten, wo etwas zu gewinnen ist. Ich muß Ihnen bekennen,
daß ich--gleichfalls das Spiel sehr liebe--
Riccaut
Tant mieux, Mademoiselle, tant mieux! Tous les gens d'esprit aiment
le jeu a la fureur.
Fräulein
Daß ich sehr gern gewinne; sehr gern mein Geld mit einem Mann wage,
der--zu spielen weiß.--Wären Sie wohl geneigt, mein Herr, mich in
Gesellschaft zu nehmen? mir einen Anteil an Ihrer Bank zu gönnen?
Riccaut
Comment, Mademoiselle, vous voulez etre de moitie avec moi? De tout
mon coeur.
Fräulein
Vors erste nur mit einer Kleinigkeit--(Geht und langt Geld aus ihrer
Schatulle.)
Riccaut
Ah, Mademoiselle, que vous etes charmante!--
Fräulein
Hier habe ich, was ich ohnlängst gewonnen, nur zehn Pistolen--ich muß
mich zwar schämen, so wenig--
Riccaut
Donnez toujours, Mademoiselle, donnez. (Nimmt es.)
Fräulein
Ohne Zweifel, daß Ihre Bank, mein Herr, sehr ansehnlich ist--
Riccaut
Jawohl, sehr ansehnlik. Sehn Pistol? Ihr Gnad soll sein dafür
interessir bei meiner Bank auf ein Dreiteil, pour le tiers. Swar auf
ein Dreiteil sollen sein--etwas mehr. Dok mit einer schöne Damen muß
man es nehmen nit so genau. Ik gratulir mik, su kommen dadurk in
liaison mit Ihro Gnad, et de ce moment je recommence a bien augurer de
ma fortune.
Fräulein
Ich kann aber nicht dabei sein, wenn Sie spielen, mein Herr.
Riccaut
Was brauk Ihro Gnad dabei su sein? Wir andern Spieler sind ehrlike
Leut untereinander.
Fräulein
Wenn wir glücklich sind, mein Herr, so werden Sie mir meinen Anteil
schon bringen. Sind wir aber unglücklich--
Riccaut
So komm ik holen Rekruten. Nit wahr, Ihro Gnad?
Fräulein
Auf die Länge dürften die Rekruten fehlen. Verteidigen Sie unser Geld
daher ja wohl, mein Herr.
Riccaut
Wofür seh mik Ihro Gnad an? Für ein Einfalspinse? für ein dumme
Teuf?
Fräulein
Verzeihen Sie mir--
Riccaut
Je suis des bons, Mademoiselle. Savez-vous ce que cela veut dire? Ik
bin von die Ausgelernt--
Fräulein
Aber doch wohl, mein Herr--
Riccaut
Je sais monter un coup--
Fräulein
(verwundernd). Sollten Sie?
Riccaut
Je file la carte avec une adresse--
Fräulein
Nimmermehr!
Riccaut
Je fais sauter la coupe avec une dexterite--
Fräulein
Sie werden doch nicht, mein Herr?--
Riccaut
Was nit? Ihro Gnade, was nit? Donnez-moi un pigeonneau a plumer, et--
Fräulein
Falsch spielen? betrügen?
Riccaut
Comment, Mademoiselle? Vous appellez cela betrügen? Corriger la
fortune, l'enchainer sous ses doigts, etre sur de son fait, das nenn
die Deutsch betrügen? Betrügen! Oh, was ist die deutsch Sprak für
ein arm Sprak! für ein plump Sprak!
Fräulein
Nein, mein Herr, wenn Sie so denken--
Riccaut
Laissez-moi faire, Mademoiselle, und sein Sie ruhik! Was gehn Sie an,
wie ik spiel?--Gnug, morgen entweder sehn mik wieder Ihro Gnad mit
hundert Pistol, oder seh mik wieder gar nit--Votre tres-humble,
Mademoiselle, votre tres-humble--(Eilends ab.)
Fräulein
(die ihm mit Erstaunen und Verdruß nachsieht). Ich wünsche das letzte,
mein Herr, das letzte!

3. Szene
(Das Fräulein. Franziska)

Franziska
(erbittert). Kann ich noch reden? O schön! o schön!
Fräulein
Spotte nur; ich verdiene es. (Nach einem kleinen Nachdenken und
gelassener.) Spotte nicht, Franziska; ich verdiene es nicht.
Franziska
Vortrefflich! Da haben Sie etwas Allerliebstes getan, einen
Spitzbuben wieder auf die Beine geholfen.
Fräulein
Es war einem Unglücklichen zugedacht.
Franziska
Und was das beste dabei ist: der Kerl hält Sie für seinesgleichen.--Oh,
ich muß ihm nach und ihm das Geld wieder abnehmen. (Will fort.)
Fräulein
Franziska, laß den Kaffee nicht vollends kalt werden, schenk ein.
Franziska
Er muß es Ihnen wiedergeben; Sie haben spielen. Zehn Pistolen! Sie
hörten ja, Fräulein, daß es ein Bettler war! (Das Fräulein schenkt
indes selbst ein.) Wer wird einem Bettler so viel geben? Und ihm noch
dazu die Erniedrigung, es erbettelt zu haben, zu ersparen suchen? Den
Mildtätigen, der den Bettler aus Großmut verkennen will, verkennt der
Bettler wieder. Nun mögen Sie es haben, Fräulein, wenn er Ihre Gabe,
ich weiß nicht wofür, ansieht.--(Und reicht der Franziska eine Tasse.)
Wollen Sie mir das Blut noch mehr in Wallung bringen? Ich mag nicht
trinken. (Das Fräulein setzt sie wieder weg.) "Parbleu, Ihro Gnad,
man kenn sik hier nit auf den Verdienst." (In dem Tone des Franzosen.)
Freilich nicht, wenn man die Spitzbuben so ungehangen herumlaufen läßt.

Fräulein
(kalt und nachdenkend, indem sie trinkt). Mädchen, du verstehst dich
so trefflich auf die guten Menschen: aber, wenn willst du die
schlechten ertragen lernen?--Und sie sind doch auch Menschen.--Und
öfters bei weitem so schlechte Menschen nicht, als sie scheinen.--Man
muß ihre gute Seite nur aufsuchen.--Ich bilde mir ein, dieser Franzose
ist nichts als eitel. Aus bloßer Eitelkeit macht er sich zum falschen
Spieler; er will mir nicht verbunden scheinen, er will sich den Dank
ersparen. Vielleicht, daß er nun hingeht, seine kleine Schulden
bezahlt, von dem Reste, soweit er reicht, still und sparsam lebt und
an das Spiel nicht denkt. Wenn das ist, liebe Franziska, so laß ihn
Rekruten holen, wenn er will.--(Gibt ihr die Tasse.) Da, setz weg!--
Aber, sage mir, sollte Tellheim nicht schon da sein?
Franziska
Nein, gnädiges Fräulein, ich kann beides nicht, weder an einem
schlechten Menschen die gute, noch an einem guten Menschen die böse
Seite aufsuchen.
Fräulein
Er kömmt doch ganz gewiß?--
Franziska
Er sollte wegbleiben!--Sie bemerken an ihm, dem besten Manne, ein
wenig Stolz, und darum wollen Sie ihn so grausam necken?
Fräulein
Kömmst du da wieder hin?--Schweig, das will ich nun einmal so. Wo du
mir diese Lust verdirbst; wo du nicht alles sagst und tust, wie wir es
abgeredet haben!--Ich will dich schon allein mit ihm lassen, und dann--
Jetzt kömmt er wohl.

4. Szene
(Paul Werner (der in einer steifen Stellung, gleichsam im Dienste,
hereintritt). Das Fräulein. Franziska.)

Franziska
Nein, es ist nur sein lieber Wachtmeister.
Fräulein
Lieber Wachtmeister? Auf wen bezieht sich dieses Lieber?
Franziska
Gnädiges Fräulein, machen Sie mir den Mann nicht verwirrt.--Ihre
Dienerin, Herr Wachtmeister; was bringen Sie uns?
Werner
(geht, ohne auf die Franziska zu achten, an das Fräulein). Der Major
von Tellheim läßt an das gnädige Fräulein von Barnhelm durch mich, den
Wachtmeister Werner, seinen untertänigen Respekt vermelden und sagen,
daß er sogleich hier sein werde.
Fräulein
Wo bleibt er denn?
Werner
Ihro Gnaden werden verzeihen; wir sind noch vor dem Schlage drei aus
dem Quartier gegangen, aber da hat ihn der Kriegszahlmeister
unterwegens angeredt, und weil mit dergleichen Herren des Redens immer
kein Ende ist: so gab er mir einen Wink, dem gnädigen Fräulein den
Vorfall zu rapportieren.
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