Minna von Barnhelm - 5

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Fräulein
Recht wohl, Herr Wachtmeister. Ich wünsche nur, daß der
Kriegszahlmeister dem Major etwas Angenehmes möge zu sagen haben.
Werner
Das haben dergleichen Herren den Offizieren selten.--Haben Ihro Gnaden
etwas zu befehlen? (Im Begriffe wieder zu gehen.)
Franziska
Nun, wo denn schon wieder hin, Herr Wachtmeister? Hätten wir denn
nichts miteinander zu plaudern?
Werner
(sachte zur Franziska und ernsthaft). Hier nicht, Frauenzimmerchen.
Es ist wider den Respekt, wider die Subordination.--Gnädiges Fräulein--
Fräulein
Ich danke für Seine Bemühung, Herr Wachtmeister.--Es ist mir lieb
gewesen, Ihn kennenzulernen. Franziska hat mir viel Gutes von Ihm
gesagt. (Werner macht eine steife Verbeugung und geht ab.)

5. Szene
(Das Fräulein. Franziska.)

Fräulein
Das ist dein Wachtmeister, Franziska?
Franziska
Wegen des spöttischen Tones habe ich nicht Zeit, dieses dein nochmals
aufzumutzen.--Ja, gnädiges Fräulein, das ist mein Wachtmeister. Sie
finden ihn ohne Zweifel ein wenig steif und hölzern. Jetzt kam er mir
fast auch so vor. Aber ich merke wohl, er glaubte, vor Ihro Gnaden
auf die Parade ziehen zu müssen. Und wenn die Soldaten paradieren--ja
freilich scheinen sie da mehr Drechslerpuppen als Männer. Sie sollten
ihn hingegen nur sehn und hören, wenn er sich selbst gelassen ist.
Fräulein
Das müßte ich denn wohl!
Franziska
Er wird noch auf dem Saale sein. Darf ich nicht gehn und ein wenig
mit ihm plaudern?
Fräulein
Ich versage dir ungern dieses Vergnügen. Du mußt hierbleiben,
Franziska. Du muß bei unserer Unterredung gegenwärtig sein!--Es fällt
mir noch etwas bei. (Sie zieht ihren Ring vom Finger.) Da, nimm
meinen Ring, verwahre ihn, und gib mir des Majors seinen dafür.
Franziska
Warum das?
Fräulein
(indem Franziska den andern Ring holt). Recht weiß ich es selbst
nicht, aber mich dünkt, ich sehe so etwas voraus, wo ich ihn brauchen
könnte.--Man pocht--Geschwind gib her! (Sie steckt ihn an.) Er ist's!


6. Szene
(v. Tellheim in dem nämlichen Kleide, aber sonst so, wie es Franziska
verlangt. Das Fräulein. Franziska.)

Tellheim
Gnädiges Fräulein, Sie werden mein Verweilen entschuldigen--
Fräulein
Oh, Herr Major, so gar militärisch wollen wir es miteinander nicht
nehmen. Sie sind ja da! Und ein Vergnügen erwarten, ist auch ein
Vergnügen.--Nun? (indem sie ihm lächelnd ins Gesicht sieht) lieber
Tellheim, waren wir nicht vorhin Kinder?
Tellheim
Jawohl, Kinder, gnädiges Fräulein; Kinder, die sich sperren, wo sie
gelassen folgen sollten.
Fräulein
Wir wollen ausfahren, lieber Major--die Stadt ein wenig zu besehen--,
und hernach meinem Oheim entgegen.
Tellheim
Wie?
Fräulein
Sehen Sie, auch das Wichtigste haben wir einander noch nicht sagen
können. Ja, er trifft noch heut hier ein. Ein Zufall ist schuld, daß
ich einen Tag früher ohne ihn angekommen bin.
Tellheim
Der Graf von Bruchsall? Ist er zurück?
Fräulein
Die Unruhen des Krieges verscheuchten ihn nach Italien; der Friede hat
ihn wieder zurückgebracht.--Machen Sie sich keine Gedanken, Tellheim.
Besorgten wir schon ehemals das stärkste Hindernis unsrer Verbindung
von seiner Seite--
Tellheim
Unserer Verbindung?
Fräulein
Er ist Ihr Freund. Er hat von zu vielen zu viel Gutes von Ihnen
gehört, um es nicht zu sein. Er brennet, den Mann von Antlitz zu
kennen, den seine einzige Erbin gewählt hat. Er kömmt als Oheim, als
Vormund, als Vater, mich Ihnen zu übergeben.
Tellheim
Ah, Fräulein, warum haben Sie meinen Brief nicht gelesen? Warum haben
Sie ihn nicht lesen wollen?
Fräulein
Ihren Brief? Ja, ich erinnere mich, Sie schickten mir einen. Wie war
es denn mit diesem Briefe, Franziska? Haben wir ihn gelesen, oder
haben wir ihn nicht gelesen? Was schrieben Sie mir denn, lieber
Tellheim?--
Tellheim
Nichts, als was mir die Ehre befiehlt.
Fräulein
Das ist, ein ehrliches Mädchen, die Sie liebt, nicht sitzen zu lassen.
Freilich befiehlt das die Ehre. Gewiß, ich hätte den Brief lesen
sollen. Aber was ich nicht gelesen habe, das höre ich ja.
Tellheim
Ja, Sie sollen es hören--
Fräulein
Nein, ich brauch es auch nicht einmal zu hören. Es versteht sich von
selbst. Sie könnten eines so häßlichen Streiches fähig sein, daß Sie
mich nun nicht wollten? Wissen Sie, daß ich auf Zeit meines Lebens
beschimpft wäre? Meine Landsmänninnen würden mit Fingern auf mich
weisen.--"Das ist sie", würde es heißen, "das ist das Fräulein von
Barnhelm, die sich einbildete, weil sie reich sei, den wackern
Tellheim zu bekommen: als ob die wackern Männer für Geld zu haben
wären!" So würde es heißen: denn meine Landsmänninnen sind alle
neidisch auf mich. Daß ich reich bin, können sie nicht leugnen; aber
davon wollen sie nichts wissen, daß ich auch sonst noch ein ziemlich
gutes Mädchen bin, das seines Mannes wert ist. Nicht wahr, Tellheim?
Tellheim
Ja, ja, gnädiges Fräulein, daran erkenne ich Ihr Landsmanninnen. Sie
werden Ihnen einen abgedankten, an seiner Ehre gekränkten Offizier,
einen Krüppel, einen Bettler, trefflich beneiden.
Fräulein
Und das alles wären Sie? Ich hörte so was, wenn ich mich nicht irre,
schon heute vormittage. Da ist Böses und Gutes untereinander. Lassen
Sie uns doch jedes näher beleuchten.--Verabschiedet sind Sie? So höre
ich. Ich glaubte, Ihr Regiment sei bloß untergesteckt worden. Wie
ist es gekommen, daß man einen Mann von Ihren Verdiensten nicht
beibehalten?
Tellheim
Es ist gekommen, wie es kommen müssen. Die Großen haben sich
überzeugt, daß ein Soldat aus Neigung für sie ganz wenig, aus Pflicht
nicht viel mehr, aber alles seiner eignen Ehre wegen tut. Was können
sie ihm also schuldig zu sein glauben? Der Friede hat ihnen mehrere
meinesgleichen entbehrlich gemacht, und am Ende ist ihnen niemand
unentbehrlich.
Fräulein
Sie sprechen, wie ein Mann sprechen muß, dem die Großen hinwiederum
sehr entbehrlich sind. Und niemals waren sie es mehr als jetzt. Ich
sage den Großen meinen großen Dank, daß sie ihre Ansprüche auf einen
Mann haben fahren lassen, den ich doch nur sehr ungern mit ihnen
geteilet hätte.--Ich bin Ihre Gebieterin, Tellheim; Sie brauchen
weiter keinen Herrn.--Sie verabschiedet zu finden, das Glück hätte ich
mir kaum träumen lassen!--Doch Sie sind nicht bloß verabschiedet: Sie
sind noch mehr. Was sind Sie noch mehr? Ein Krüppel: sagten Sie?
Nun (indem sie ihn von oben bis unten betrachtet), der Krüppel ist
doch noch ziemlich ganz und gerade; scheinet doch noch ziemlich gesund
und stark.--Lieber Tellheim, wenn Sie auf den Verlust Ihrer gesunden
Gliedmaßen betteln zu gehen denken: so prophezeie ich Ihnen voraus,
daß Sie vor den wenigsten Türen etwas bekommen werden; ausgenommen vor
den Türen der gutherzigen Mädchen wie ich.
Tellheim
Jetzt höre ich nur das mutwillige Mädchen, liebe Minna.
Fräulein
Und ich höre in Ihrem Verweise nur das Liebe Minna--Ich will nicht
mehr mutwillig sein. Denn ich besinne mich, daß Sie allerdings ein
kleiner Krüppel sind. Ein Schuß hat Ihnen den rechten Arm ein wenig
gelähmt.--Doch alles wohl überlegt: so ist auch das so schlimm nicht.
Um soviel sichrer bin ich vor Ihren Schlägen.
Tellheim
Fräulein!
Fräulein
Sie wollen sagen: Aber Sie um soviel weniger vor meinen. Nun, nun,
lieber Tellheim, ich hoffe, Sie werden es nicht dazu kommen lassen.
Tellheim
Sie wollen lachen, mein Fräulein. Ich beklage nur, daß ich nicht
mitlachen kann.
Fräulein
Warum nicht? Was haben Sie denn gegen das Lachen? Kann man denn auch
nicht lachend sehr ernsthaft sein? Lieber Major, das Lachen erhält
uns vernünftiger als der Verdruß. Der Beweis liegt vor uns. Ihre
lachende Freundin beurteilet Ihre Umstände weit richtiger als Sie
selbst. Weil Sie verabschiedet sind, nennen Sie sich an Ihrer Ehre
gekränkt; weil Sie einen Schuß in dem Arme haben, machen Sie sich zu
einem Krüppel. Ist das so recht? Ist das keine Übertreibung? Und
ist es meine Einrichtung, daß alle Übertreibungen des Lächerlichen so
fähig sind? Ich wette, wenn ich Ihren Bettler nun vornehme, daß auch
dieser ebensowenig Stich halten wird. Sie werden einmal, zweimal,
dreimal Ihre Equipage verloren haben; bei dem oder jenem Bankier
werden einige Kapitale jetzt mitschwinden; Sie werden diesen und jenen
Vorschuß, den Sie im Dienste getan, keine Hoffnung haben
wiederzuerhalten: aber sind Sie darum ein Bettler? Wenn Ihnen auch
nichts übriggeblieben ist, als was mein Oheim für Sie mitbringt--
Tellheim
Ihr Oheim, gnädiges Fräulein, wird für mich nichts mitbringen.
Fräulein
Nichts als die zweitausend Pistolen, die Sie unsern Ständen so
großmütig vorschossen.
Tellheim
Hätten Sie doch nur meinen Brief gelesen, gnädiges Fräulein!
Fräulein
Nun ja, ich habe ihn gelesen. Aber was ich über diesen Punkt darin
gelesen, ist mir ein wahres Rätsel. Unmöglich kann man Ihnen aus
einer edlen Handlung ein Verbrechen machen wollen.--Erklären Sie mir
doch, lieber Major--
Tellheim
Sie erinnern sich, gnädiges Fräulein, daß ich Ordre hatte, in den
Ämtern Ihrer Gegend die Kontribution mit der äußersten Strenge bar
beizutreiben. Ich wollte mir diese Strenge ersparen und schoß die
fehlende Summe selbst vor.--
Fräulein
Jawohl erinnere ich mich.--Ich liebte Sie um dieser Tat willen, ohne
Sie noch gesehen zu haben.
Tellheim
Die Stände gaben mir ihren Wechsel, und diesen wollte ich bei
Zeichnung des Friedens unter die zu ratihabierende Schulden eintragen
lassen. Der Wechsel ward für gültig erkannt, aber mir ward das
Eigentum desselben streitig gemacht. Man zog spöttisch das Maul, als
ich versicherte, die Valute bar hergegeben zu haben. Man erklärte ihn
für eine Bestechung, für das Gratial der Stände, weil ich so bald mit
ihnen auf die niedrigste Summe einig geworden war, mit der ich mich
nur im äußersten Notfalle zu begnügen Vollmacht hatte. So kam der
Wechsel aus meinen Händen, und wenn er bezahlt wird, wird er
sicherlich nicht an mich bezahlt.--Hierdurch, mein Fräulein, halte ich
meine Ehre für gekränkt; nicht durch den Abschied, den ich gefordert
haben würde, wenn ich ihn nicht bekommen hätte.--Sie sind ernsthaft,
mein Fräulein? Warum lachen Sie nicht? Ha, ha, ha! Ich lache ja.
Fräulein
Oh, ersticken Sie dieses Lachen, Tellheim! Ich beschwöre Sie! Es ist
das schreckliche Lachen des Menschenhasses! Nein, Sie sind der Mann
nicht, den eine gute Tat reuen kann, weil sie üble Folgen für ihn hat.
Nein, unmöglich können diese üble Folgen dauren! Die Wahrheit muß an
den Tag kommen. Das Zeugnis meines Oheims, aller unsrer Stände--
Tellheim
Ihres Oheims! Ihrer Stände! Ha, Ha, ha!
Fräulein
Ihr Lachen tötet mich, Tellheim! Wenn Sie an Tugend und Vorsicht
glauben, Tellheim, so lachen Sie so nicht! Ich habe nie
fürchterlicher fluchen hören, als Sie lachen.--Und lassen Sie uns das
Schlimmste setzen! Wenn man Sie hier durchaus verkennen will: so kann
man Sie bei uns nicht verkennen. Nein, wir können, wir werden Sie
nicht verkennen, Tellheim. Und wenn unsere Stände die geringste
Empfindung von Ehre haben, so weiß ich, was sie tun müssen. Doch ich
bin nicht klug: was wäre das nötig? Bilden Sie sich ein, Tellheim,
Sie hätten die zweitausend Pistolen an einem wilden Abende verloren.
Der König war eine unglückliche Karte für Sie: die Dame (auf sich
weisend) wird Ihnen desto günstiger sein.--Die Vorsicht, glauben Sie
mir, hält den ehrlichen Mann immer schadlos; und öfters schon im
voraus. Die Tat, die Sie einmal um zweitausend Pistolen bringen
sollte, erwarb mich Ihnen. Ohne diese Tat würde ich nie begierig
gewesen sein, Sie kennenzulernen. Sie wissen, ich kam uneingeladen in
die erste Gesellschaft, wo ich Sie zu finden glaubte. Ich kam bloß
Ihrentwegen. Ich kam in dem festen Vorsatze, Sie zu lieben--ich
liebte Sie schon!--in dem festen Vorsatze, Sie zu besitzen, wenn ich
Sie auch so schwarz und häßlich finden sollte als den Mohr von Venedig.
Sie sind so schwarz und häßlich nicht; auch so eifersüchtig werden
Sie nicht sein. Aber Tellheim, Tellheim, Sie haben doch noch viel
Ähnliches mit ihm! Oh, über die wilden, unbiegsamen Männer, die nur
immer ihr stieres Auge auf das Gespenst der Ehre heften! für alles
andere Gefühl sich verhärten!--Hierher Ihr Auge! auf mich, Tellheim!
(Der indes vertieft und unbeweglich mit starren Augen immer auf eine
Stelle gesehen.) Woran denken Sie? Sie hören mich nicht?
Tellheim
(zerstreut). O ja! Aber sagen Sie mir doch, mein Fräulein: wie kam
der Mohr in venetianische Dienste? Hatte der Mohr kein Vaterland?
Warum vermietete er seinen Arm und sein Blut einem fremden Staate?--
Fräulein
(erschrocken). Wo sind Sie, Tellheim?--Nun ist es Zeit, daß wir
abbrechen.--Kommen Sie! (Indem sie ihn bei der Hand ergreift.)--
Franziska, laß den Wagen vorfahren.
Tellheim
(der sich von dem Fräulein losreißt und der Franziska nachgeht). Nein,
Franziska, ich kann nicht die Ehre haben, das Fräulein zu begleiten.--
Mein Fräulein, lassen Sie mir noch heute meinen gesunden Verstand, und
beurlauben Sie mich. Sie sind auf dem besten Wege, mich darum zu
bringen. Ich stemme mich, soviel ich kann.--Aber weil ich noch bei
Verstande bin: so hören Sie, mein Fräulein, was ich fest beschlossen
habe, wovon mich nichts in der Welt abbringen soll.--Wenn nicht noch
ein glücklicher Wurf für mich im Spiele ist, wenn sich das Blatt nicht
völlig wendet, wenn--
Fräulein
Ich muß Ihnen ins Wort fallen, Herr Major.--Das hätten wir ihm gleich
sagen sollen, Franziska. Du erinnerst mich auch an gar nichts.--Unser
Gespräch würde ganz anders gefallen sein, Tellheim, wenn ich mit der
guten Nachricht angefangen hätte, die Ihnen der Chevalier de la
Marliniere nur eben zu bringen kam.
Tellheim
Der Chevalier de la Marliniere? Wer ist das?
Franziska
Es mag ein ganz guter Mann sein, Herr Major, bis auf--
Fräulein
Schweig, Franziska!--Gleichfalls ein verabschiedeter Offizier, der aus
holländischen Diensten--
Tellheim
Ha! der Leutnant Riccaut!
Fräulein
Er versicherte, daß er Ihr Freund sei.
Tellheim
Ich versichere, daß ich seiner nicht bin.
Fräulein
Und daß ihm, ich weiß nicht welcher Minister, vertrauet habe, Ihre
Sache sei dem glücklichsten Ausgange nahe. Es müsse ein königliches
Handschreiben an Sie unterwegens sein--
Tellheim
Wie kämen Riccaut und ein Minister zusammen?--Etwas zwar muß in meiner
Sache geschehen sein. Denn nur jetzt erklärte mir der Kriegszahlmeister,
daß der König alles niedergeschlagen habe, was wider mich urgieret
worden, und daß ich mein schriftlich gegebenes Ehrenwort, nicht eher
von hier zu gehen, als bis man mich völlig entladen habe, wieder zurück-
nehmen könne.--Das wird es aber auch alles sein. Man wird mich wollen
laufen lassen. Allein man irrt sich; ich werde nicht laufen. Eher soll
mich hier das äußerste Elend vor den Augen meiner Verleumder verzehren--
Fräulein
Hartnäckiger Mann!
Tellheim
Ich brauche keine Gnade, ich will Gerechtigkeit. Meine Ehre--
Fräulein
Die Ehre eines Mannes wie Sie--
Tellheim
(hitzig). Nein, mein Fräulein, Sie werden von allen Dingen recht gut
urteilen können, nur hierüber nicht. Die Ehre ist nicht die Stimme
unsers Gewissen, nicht das Zeugnis weniger Rechtschaffnen--
Fräulein
Nein, nein, ich weiß wohl.--Die Ehre ist--die Ehre.
Tellheim
Kurz, mein Fräulein--Sie haben mich nicht ausreden lassen.--Ich wollte
sagen: wenn man mir das Meinige so schimpflich vorenthält, wenn meiner
Ehre nicht die vollkommenste Genugtuung geschieht, so kann ich, mein
Fräulein, der Ihrige nicht sein. Denn ich bin es in den Augen der
Welt nicht wert zu sein. Das Fräulein von Barnhelm verdienet einen
unbescholtenen Mann. Es ist eine nichtswürdige Liebe, die kein
Bedenken trägt, ihren Gegenstand der Verachtung auszusetzen. Es ist
ein nichtswürdiger Mann, der sich nicht schämet, sein ganzes Glück
einem Frauenzimmer zu verdanken, dessen blinde Zärtlichkeit--
Fräulein
Und das ist Ihr Ernst, Herr Major?--(Indem sie ihm plötzlich den
Rücken wendet.) Franziska!
Tellheim
Werden Sie nicht ungehalten, mein Fräulein--
Fräulein
(beiseite zur Franziska). Jetzt wäre es Zeit! Was rätst du mir,
Franziska?--
Franziska
Ich rate nichts. Aber freilich macht er es Ihnen ein wenig zu bunt.--
Tellheim
(der sie zu unterbrechen kömmt). Sie sind ungehalten, mein Fräulein--
Fräulein
(höhnisch). Ich? im geringsten nicht.
Tellheim
Wenn ich Sie weniger liebte, mein Fräulein--
Fräulein
(noch in diesem Tone). O gewiß, es wäre mein Unglück!--Und sehen Sie,
Herr Major, ich will Ihr Unglück auch nicht.--Mann muß ganz
uneigennützig lieben.--Ebensogut, daß ich nicht offenherziger gewesen
bin! Vielleicht würde mir Ihr Mitleid gewähret haben, was mir Ihre
Liebe versagt.--(Indem sie den Ring langsam vom Finger zieht.)
Tellheim
Was meinen Sie damit, Fräulein?
Fräulein
Nein, keines muß das andere weder glücklicher noch unglücklicher
machen. So will es die wahre Liebe! Ich glaube Ihnen, Herr Major;
und Sie haben zuviel Ehre, als daß Sie die Liebe verkennen sollten.
Tellheim
Spotten Sie, mein Fräulein?
Fräulein
Hier! Nehmen Sie den Ring wieder zurück, mit dem Sie mir Ihre Treue
verpflichtet. (Überreicht ihm den Ring.) Es sei drum! Wir wollen
einander nicht gekannt haben!
Tellheim
Was höre ich?
Fräulein
Und das befremdet Sie?--Nehmen Sie, mein Herr.--Sie haben sich doch
wohl nicht bloß gezieret?
Tellheim
(indem er den Ring aus ihrer Hand nimmt). Gott! So kann Minna
sprechen!--
Fräulein
Sie können der Meinige in einem Falle nicht sein: ich kann die Ihrige
in keinem sein. Ihr Unglück ist wahrscheinlich; meines ist gewiß.--
Leben Sie wohl! (Will fort.)
Tellheim
Wohin, liebste Minna?
Fräulein
Mein Herr, Sie beschimpfen mich jetzt mit dieser vertraulichen
Benennung.
Tellheim
Was ist Ihnen, mein Fräulein? Wohin?
Fräulein
Lassen Sie mich.--Meine Tränen vor Ihnen zu verbergen, Verräter!
(Geht ab.)

7. Szene
(v. Tellheim. Franziska.)

Tellheim
Ihre Tränen? Und ich sollte sie lassen? (Will ihr nach.)
Franziska
(die ihn zurückhält). Nicht doch, Herr Major! Sie werden ihr ja
nicht in ihr Schlafzimmer folgen wollen?
Tellheim
Ihr Unglück? Sprach sie nicht von Unglück?
Franziska
Nun freilich, das Unglück, Sie zu verlieren, nachdem--
Tellheim
Nachdem? was nachdem? Hierhinter steckt mehr. Was ist es,
Franziska? Rede, sprich--
Franziska
Nachdem sie, wollte ich sagen--Ihnen so vieles aufgeopfert.
Tellheim
Mir aufgeopfert?
Franziska
Hören Sie nur kurz.--Es ist für Sie recht gut, Herr Major, daß Sie auf
diese Art von ihr losgekommen sind.--Warum soll ich es Ihnen nicht
sagen? Es kann doch länger kein Geheimnis bleiben.--Wir sind
entflohen!--Der Graf von Bruchsall hat das Fräulein enterbt, weil sie
keinen Mann von seiner Hand annehmen wollte. Alles verließ, alles
verachtete sie hierauf. Was sollten wir tun? Wir entschlossen uns,
denjenigen aufzusuchen, dem wir--
Tellheim
Ich habe genug!--Komm, ich muß mich zu ihren Füßen werfen.
Franziska
Was denken Sie? Gehen Sie vielmehr und danken Ihrem guten Geschicke--
Tellheim
Elende! für wen hältst du mich?--Nein, liebe Franziska, der Rat kam
nicht aus deinem Herzen. Vergib meinem Unwillen!
Franziska
Halten Sie mich nicht länger auf. Ich muß sehen, was sie macht. Wie
leicht könnte ihr etwas zugestoßen sein.--Gehen Sie! Kommen Sie
lieber wieder, wenn Sie wiederkommen wollen. (Geht dem Fräulein nach.)

8. Szene
(v. Tellheim)

Tellheim
Aber, Franziska!--Oh, ich erwarte euch hier!--Nein, das ist dringender!
--Wenn sie Ernst sieht, kann mir ihre Vergebung nicht entstehen.--Nun
brauch ich dich, ehrlicher Werner!--Nein, Minna, ich bin kein Verräter!
(Eilends ab.)


5. Akt

1. Szene
(Die Szene: Der Saal.) (v. Tellheim von der einen und Werner von der
andern Seite.)

Tellheim
Ha, Werner! ich suche dich überall. Wo steckst du?
Werner
Und ich habe Sie gesucht, Herr Major; so geht's mit dem Suchen.--Ich
bringe Ihnen gar eine gute Nachricht.
Tellheim
Ah, ich brauche jetzt nicht deine Nachrichten: ich brauche dein Geld.
Geschwind, Werner, gib mir, soviel du hast; und denn suche so viel
aufzubringen, als du kannst.
Werner
Herr Major?--Nun, bei meiner armen Seele, habe ich's doch gesagt: er
wird Geld von mir borgen, wenn er selber welches zu verleihen hat.
Tellheim
Du suchst doch nicht Ausflüchte?
Werner
Damit ich ihm nichts vorzuwerfen habe, so nimmt er mir's mit der
Rechten und gibt mir's mit der Linken wieder.
Tellheim
Halte mich nicht auf, Werner!--Ich habe den guten Willen, dir es
wiederzugeben, aber wenn und wie?--Das weiß Gott!
Werner
Sie wissen es also noch nicht, daß die Hofstaatskasse Ordre hat, Ihnen
Ihre Gelder zu bezahlen? Eben erfuhr ich es bei--
Tellheim
Was plauderst du? Was lässest du dir weismachen? Begreifst du denn
nicht, daß, wenn es wahr wäre, ich es doch wohl am ersten wissen
müßte?--Kurz, Werner, Geld! Geld!
Werner
Je nu, mit Freuden! hier ist was!--das sind die hundert Louisdor und
das die hundert Dukaten. / (gibt ihm beides.)
Tellheim
Die hundert Louisdor, Werner, geh und bringe Justen. Er soll sogleich
den Ring wieder einlösen, den er heute früh versetzt hat.--Aber wo
wirst du mehr hernehmen, Werner?--Ich brauche weit mehr.
Werner
Dafür lassen Sie mich sorgen.--Der Mann, der mein Gut gekauft hat,
wohnt in der Stadt. Der Zahlungstermin wäre zwar erst in vierzehn
Tagen, aber das Geld liegt parat, und ein halb Prozentchen Abzug--
Tellheim
Nun ja, lieber Werner!--Siehst du, daß ich meine einzige Zuflucht zu
dir nehme?--Ich muß dir auch alles vertrauen. Das Fräulein hier--du
hast sie gesehn--ist unglücklich--
Werner
O Jammer!
Tellheim
Aber morgen ist sie meine Frau--
Werner
O Freude!
Tellheim
Und übermorgen geh ich mit ihr fort. Ich darf fort, ich will fort.
Lieber hier alles im Stiche gelassen! Wer weiß, wo mir sonst ein
Glück aufgehoben ist. Wenn du willst, Werner, so komm mit. Wir
wollen wieder Dienste nehmen.
Werner
Wahrhaftig?--Aber doch wo's Krieg gibt, Herr Major?
Tellheim
Wo sonst?--Geh, lieber Werner, wir sprechen davon weiter.
Werner
O Herzensmajor!--Übermorgen? Warum nicht lieber morgen?--Ich will
schon alles zusammenbringen--In Persien, Herr Major, gibt's einen
trefflichen Krieg; was meinen Sie?
Tellheim
Wir wollen das überlegen; geh nur, Werner!--
Werner
Juchhe! es lebe der Prinz Heraklius! (Geht ab.)

2. Szene
(v. Tellheim)

Tellheim
Wie is mir?--Meine ganze Seele hat neue Triebfedern bekommen. Mein
eignes Unglück schlug mich nieder, machte mich ärgerlich, kurzsichtig,
schüchtern, lässig: ihr Unglück hebt mich empor, ich sehe wieder frei
um mich und fühle mich willig und stark, alles für sie zu unternehmen--
Was verweile ich? (Will nach dem Zimmer des Fräuleins, aus dem ihm
Franziska entgegenkömmt.)

3. Szene
(Franziska. v. Tellheim.)

Franziska
Sind Sie es doch?--Es war mir, als ob ich Ihre Stimme hörte.--Was
wollen Sie, Herr Major?
Tellheim
Was ich will?--Was macht dein Fräulein?--Komm!--
Franziska
Sie will den Augenblick ausfahren.
Tellheim
Und allein? ohne mich? wohin?
Franziska
Haben Sie vergessen, Herr Major?--
Tellheim
Bist du nicht klug, Franziska?--Ich habe sie gereizt, und sie ward
empfindlich: ich werde sie um Vergebung bitten, und sie wird mir
vergeben.
Franziska
Wie?--Nachdem Sie den Ring zurückgenommen, Herr Major?
Tellheim
Ha!--Das tat ich in der Betäubung.--Jetzt denk ich erst wieder an den
Ring.--Wo habe ich ihn hingesteckt?--(Er sucht ihn.) Hier ist er.
Franziska
Ist er das? (Indem er ihn wieder einsteckt, beiseite.) Wenn er ihn
doch genauer besehen wollte!
Tellheim
Sie drang mir ihn auf mit einer Bitterkeit--Ich habe diese Bitterkeit
schon vergessen. Ein volles Herz kann die Worte nicht wägen.--Aber
sie wird sich auch keinen Augenblick weigern, den Ring wieder
anzunehmen.--Und habe ich nicht noch ihren?
Franziska
Den erwartet sie dafür zurück.--Wo haben Sie ihn denn, Herr Major?
Zeigen Sie mir ihn doch.
Tellheim
(etwas verlegen). Ich habe--ihn anzustecken vergessen.--Just--Just
wird mir ihn gleich nachbringen.
Franziska
Es ist wohl einer ziemlich wie der andere; lassen Sie mich doch diesen
sehen; ich sehe so was gar zu gern.
Tellheim
Ein andermal, Franziska. Jetzt komm--Franziska (beiseite). Er will
sich durchaus nicht aus seinem Irrtume bringen lassen.
Tellheim
Was sagst du? Irrtume?
Franziska
Es ist ein Irrtum, sag ich, wenn Sie meinen, daß das Fräulein doch
noch eine gute Partie sei. Ihr eigenes Vermögen ist gar nicht
beträchtlich; durch ein wenig eigennützige Rechnungen können es ihr
die Vormünder völlig zu Wasser machen. Sie erwartete alles von dem
Oheim, aber dieser grausame Oheim--
Tellheim
Laß ihn doch!--Bin ich nicht Manns genug, ihr einmal alles zu
ersetzen?--
Franziska
Hören Sie? Sie klingelt; ich muß herein.
Tellheim
Ich gehe mit dir.
Franziska
Um des Himmels willen nicht! Sie hat mir ausdrücklich verboten, mit
Ihnen zu sprechen. Kommen Sie wenigstens mir erst nach.--(Geht herein.)

4. Szene
(v. Tellheim ihr nachrufend.) Melde mich ihr!--Sprich für mich,
Franziska!--Ich folge dir sogleich!--Was werde ich ihr sagen?--Wo das
Herz reden darf, braucht es keiner Vorbereitung.--Das einzige möchte
eine studierte Wendung bedürfen: ihre Zurückhaltung, ihre
Bedenklichkeit, sich als unglücklich in meine Arme zu werfen; ihre
Beflissenheit, mir ein Glück vorzuspiegeln, das sie durch mich
verloren hat. Dieses Mißtrauen in meine Ehre, in ihren eigenen Wert
vor ihr selbst zu entschuldigen, vor ihr selbst--Vor mir ist es schon
entschuldiget!--Ha! hier kömmt sie.--

5. Szene
(Das Fräulein. Franziska. v. Tellheim.)

Fräulein
(im Heraustreten, als ob sie den Major nicht gewahr würde). Der Wagen
ist doch vor der Türe, Franziska?--Meinen Fächer!
Tellheim
(auf sie zu). Wohin, mein Fräulein?
Fräulein
(mit einer affektierten Kälte). Aus, Herr Major.--Ich errate, warum
Sie sich nochmals herbemühet haben: mir auch meinen Ring wieder
zurückzugeben.--Wohl, Herr Major; haben Sie nur die Güte, ihn der
Franziska einzuhändigen.--Franziska, nimm dem Herrn Major den Ring ab!
--Ich habe keine Zeit zu verlieren. (Will fort.)
Tellheim
(der ihr vortritt). Mein Fräulein!--Ah, was habe ich erfahren, mein
Fräulein! Ich war so vieler Liebe nicht wert.
Fräulein
So, Franziska? Du hast dem Herrn Major--
Franziska
Alles entdeckt.
Tellheim.
Zürnen Sie nicht auf mich, mein Fräulein. Ich bin kein Verräter. Sie
haben um mich in den Augen der Welt viel verloren, aber nicht in den
meinen. In meinen Augen haben Sie unendlich durch diesen Verlust
gewonnen. Er war Ihnen noch zu neu; Sie fürchteten, er möchte einen
allzu nachteiligen Eindruck auf mich machen; Sie wollten mir ihn vors
erste verbergen. Ich beschwere mich nicht über dieses Mißtrauen. Es
entsprang aus dem Verlangen, mich zu erhalten. Dieses Verlangen ist
mein Stolz! Sie fanden mich selbst unglücklich; und Sie wollten
Unglück nicht mit Unglück häufen. Sie konnten nicht vermuten, wie
sehr mich Ihr Unglück über das meinige hinaussetzen würde.
Fräulein
Alles recht gut, Herr Major! Aber es ist nun einmal geschehen. Ich
habe Sie Ihrer Verbindlichkeit erlassen; Sie haben durch Zurücknehmung
des Ringes--
Tellheim
In nichts gewilliget!--Vielmehr halte ich mich jetzt für gebundener
als jemals.--Sie sind die Meinige, Minna, auf ewig die Meinige.
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