Minna von Barnhelm - 6

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(Zieht den Ring heraus.) Hier, empfangen Sie es zum zweiten Male, das
Unterpfand meiner Treue--
Fräulein
Ich diesen Ring wiedernehmen? diesen Ring?
Tellheim
Ja, liebste Minna, ja!
Fräulein
Was muten Sie mir zu? diesen Ring?
Tellheim
Diesen Ring nahmen Sie das erstemal aus meiner Hand, als unser beider
Umstände einander gleich und glücklich waren. Sie sind nicht mehr
glücklich, aber wiederum einander gleich. Gleichheit ist immer das
festeste Band der Liebe.--Erlauben Sie, liebste Minna!--(Ergreift ihre
Hand, um ihr den Ring anzustecken.)
Fräulein
Wie? mit Gewalt, Herr Major?--Nein, da ist keine Gewalt in der Welt,
die mich zwingen soll, diesen Ring wieder anzunehmen!--Meinen Sie etwa,
daß es mir an einem Ringe fehlt?--Oh, Sie sehen ja wohl (auf ihren
Ring zeigend), daß ich hier noch einen habe, der Ihrem nicht das
geringste nachgibt?--
Franziska
Wenn er es noch nicht merkt!--
Tellheim
(indem er die Hand des Fräuleins fahren läßt). Was ist das?--Ich sehe
das Fräulein von Barnhelm, aber ich höre es nicht.--Sie zieren sich,
mein Fräulein.--Vergeben Sie, daß ich Ihnen dieses Wort nachbrauche.
Fräulein
(in ihrem wahren Tone). Hat Sie dieses Wort beleidiget, Herr, Major?
Tellheim
Es hat mir weh getan.
Fräulein
(gerührt). Das sollte es nicht, Tellheim.--Verzeihen Sie mir,
Tellheim.
Tellheim
Ha, dieser vertrauliche Ton sagt mir, daß Sie wieder zu sich kommen,
mein Fräulein, daß Sie mich noch lieben, Minna.--
Franziska
(herausplatzend). Bald wäre der Spaß auch zu weit gegangen.--
Fräulein
(gebieterisch). Ohne dich in unser Spiel zu mengen, Franziska, wenn
ich bitten darf!
Franziska
(beiseite und betroffen). Noch nicht genug?
Fräulein
Ja, mein Herr, es wäre weibliche Eitelkeit, mich kalt und höhnisch zu
stellen. Weg damit! Sie verdienen es, mich ebenso wahrhaft zu finden,
als Sie selbst sind.--Ich liebe Sie noch, Tellheim, ich liebe Sie
noch, aber demohngeachtet--
Tellheim
Nicht weiter, liebste Minna, nicht weiter! (Ergreift ihre Hand
nochmals, ihr den Ring anzustecken.)
Fräulein
(die ihre Hand zurückzieht). Demohngeachtet--um so viel mehr werde
ich dieses nimmermehr geschehen lassen; nimmermehr!--Wo denken Sie hin,
Herr Major?--Ich meinte, Sie hätten an Ihrem eigenen Unglücke genug.--
Sie müssen hierbleiben; Sie müssen sich die allervollständigste
Genugtuung--ertrotzen. Ich weiß in der Geschwindigkeit kein ander
Wort.--Ertrotzen--und sollte Sie auch das äußerste Elend, vor den
Augen Ihrer Verleumder, darüber verzehren!
Tellheim
So dacht' ich, so sprach ich, als ich nicht wußte, was ich dachte und
sprach. Ärgernis und verbissene Wut hatten meine ganze Seele umnebelt;
die Liebe selbst in dem vollesten Glanze des Glückes konnte sich
darin nicht Tag schaffen. Aber sie sendet ihre Tochter, das Mitleid,
die, mit dem finstern Schmerze vertrauter, die Nebel zerstreuet und
alle Zugänge meiner Seele den Eindrücken der Zärtlichkeit wiederum
öffnet. Der Trieb der Selbsterhaltung erwacht, da ich etwas
Kostbarers zu erhalten habe als mich und es durch mich zu erhalten
habe. Lassen Sie mich, mein Fräulein, das Wort Mitleid nicht
beleidigen. Von der unschuldigen Ursache unsers Unglücks können wir
es ohne Erniedrigung hören. Ich bin diese Ursache; durch mich, Minna,
verlieren Sie Freunde und Anverwandte, Vermögen und Vaterland. Durch
mich, in mir müssen Sie alles dieses wiederfinden, oder ich habe das
Verderben der Liebenswürdigsten Ihres Geschlechts auf meiner Seele.
Lassen Sie mich keine Zukunft denken, wo ich mich selbst hassen müßte.
--Nein, nichts soll mich hier länger halten. Von diesem Augenblicke an
will ich dem Unrechte, das mir hier widerfährt, nichts als Verachtung
entgegensetzen. Ist dieses Land die Welt? Geht hier allein die Sonne
auf? Wo darf ich nicht hinkommen? Welche Dienste wird man mir
verweigern? Und müßte ich sie unter dem entferntesten Himmel suchen:
folgen Sie mir nur getrost, liebste Minna; es soll uns an nichts
fehlen.--Ich habe einen Freund, der mich gern unterstützet.

6. Szene
(Ein Feldjäger. v. Tellheim. Das Fräulein. Franziska.)

Franziska
(indem sie den Feldjäger gewahr wird). St! Herr Major--
Tellheim
(gegen den Feldjäger). Zu wem wollen Sie?
Feldjäger
Ich suche den Herrn Major von Tellheim.--Ah, Sie sind es ja selbst.
Mein Herr Major, dieses königliche Handschreiben (das er aus seiner
Brieftasche nimmt) habe ich an Sie zu übergeben.
Tellheim
An mich?
Feldjäger
Zufolge der Aufschrift--
Fräulein
Franziska, hörst du?--Der Chevalier hat doch wahr geredet!
Feldjäger
(indem Tellheim den Brief nimmt). Ich bitte um Verzeihung, Herr Major;
Sie hätten es bereits gestern erhalten sollen, aber es ist mir nicht
möglich gewesen, Sie auszufragen. Erst heute auf der Parade habe ich
Ihre Wohnung von dem Leutnant Riccaut erfahren.
Franziska
Gnädiges Fräulein, hören Sie?--Das ist des Chevaliers Minister.--"Wie
heißen der Minister da drauß auf die breite Platz?"--
Tellheim
Ich bin Ihnen für Ihre Mühe sehr verbunden.
Feldjäger
Es ist meine Schuldigkeit, Herr Major. (Geht ab.)

7. Szene
(v. Tellheim. Das Fräulein. Franziska.)

Tellheim
Ah, mein Fräulein, was habe ich hier? Was enthält dieses Schreiben?
Fräulein.
Ich bin nicht befugt, meine Neugierde so weit zu erstrecken.
Tellheim
Wie? Sie trennen mein Schicksal noch von dem Ihrigen?--Aber warum
steh ich an, es zu erbrechen?--Es kann mich nicht unglücklicher machen,
als ich bin; nein, liebste Minna, es kann uns nicht unglücklicher
machen--wohl aber glücklicher!--Erlauben Sie, mein Fräulein!
(Erbricht und lieset den Brief, indes daß der Wirt an die Szene
geschlichen kömmt.)

8. Szene
(Der Wirt. Die Vorigen.)

Wirt
(gegen die Franziska). Bst! mein schönes Kind! auf ein Wort!
Franziska
(die sich ihm nähert). Herr Wirt?--Gewiß, wir wissen selbst noch
nicht, was in dem Briefe steht.
Wirt
Wer will vom Briefe wissen?--Ich komme des Ringes wegen. Das gnädige
Fräulein muß mir ihn gleich wiedergeben. Just ist da, er soll ihn
wieder einlösen.
Fräulein
(das sich indes gleichfalls dem Wirte genähert). Sagen Sie Justen nur,
daß er schon eingelöset sei; und sagen Sie ihm nur, von wem; von mir.

Wirt
Aber--
Fräulein
Ich nehme alles auf mich; gehen Sie doch! (Der Wirt geht ab.)

9. Szene
(v. Tellheim. Das Fräulein. Franziska.)

Franziska
Und nun, gnädiges Fräulein, lassen Sie es mit dem armen Major gut sein.

Fräulein
Oh, über die Vorbitterin! Als ob der Knoten sich nicht von selbst
bald lösen müßte.
Tellheim
(nachdem er gelesen, mit der lebhaftesten Rührung). Ha! er hat sich
auch hier nicht verleugnet!--Oh, mein Fräulein, welche Gerechtigkeit!--
welche Gnade!--Das ist mehr, als ich erwartet!--Mehr, als ich verdiene!
--Mein Glück, meine Ehre, alles ist wiederhergestellt!--Ich träume
doch nicht? (Indem er wieder in den Brief sieht, als um sich nochmals
zu überzeugen.) Nein, kein Blendwerk meiner Wünsche!--Lesen Sie selbst,
mein Fräulein, lesen Sie selbst!
Fräulein
Ich bin nicht so unbescheiden, Herr Major.
Tellheim
Unbescheiden? Der Brief ist an mich, an Ihren Tellheim, Minna. Er
enthält--was Ihnen Ihr Oheim nicht nehmen kann. Sie müssen ihn lesen;
lesen Sie doch!
Fräulein
Wenn Ihnen ein Gefalle damit geschieht, Herr Major--(Sie nimmt den
Brief und lieset.) ("Mein lieber Major von Tellheim!) Ich tue Euch zu
wissen, daß der Handel, der mich um Eure Ehre besorgt machte, sich zu
Eurem Vorteil aufgekläret hat. Mein Bruder war des nähern davon
unterrichtet, und sein Zeugnis hat Euch für mehr als unschuldig
erkläret. Die Hofstaatskasse hat Ordre, Euch den bewußten Wechsel
wieder auszuliefern und die getanen Vorschüsse zu bezahlen; auch habe
ich befohlen, daß alles, was die Feldkriegskassen wider Eure
Rechnungen urgieren, niedergeschlagen werde. Meldet mir, ob Euch Eure
Gesundheit erlaubet, wieder Dienste zu nehmen. Ich möchte nicht gern
einen Mann von Eurer Bravour und Denkungsart entbehren. Ich bin Euer
wohlaffektionierter König" etc.
Tellheim
Nun, was sagen Sie hierzu, mein Fräulein?
Fräulein
(indem sie den Brief wieder zusammenschlägt und zurückgibt). Ich?
Nichts.
Tellheim
Nichts?
Fräulein
Doch ja: daß Ihr König, der ein großer Mann ist, auch wohl ein guter
Mann sein mag.--Aber was geht mich das an? Er ist nicht mein König.
Tellheim
Und sonst sagen Sie nichts? Nichts in Rücksicht auf uns selbst?
Fräulein
Sie treten wieder in seine Dienste; der Herr Major wird Oberstleutnant,
Oberster vielleicht. Ich gratuliere von Herzen.
Tellheim
Und Sie kennen mich nicht besser?--Nein, da mir das Glück so viel
zurückgibt, als genug ist, die Wünsche eines vernünftigen Mannes zu
befriedigen, soll es einzig von meiner Minna abhangen, ob ich sonst
noch jemanden wieder zugehören soll als ihr. Ihrem Dienste allein sei
mein ganzes Leben gewidmet! Die Dienste der Großen sind gefährlich
und lohnen der Mühe, des Zwanges, der Erniedrigung nicht, die sie
kosten. Minna ist keine von den Eiteln, die in ihren Männern nichts
als den Titel und die Ehrenstelle lieben. Sie wird mich um mich
selbst lieben; und ich werde um sie die ganze Welt vergessen. Ich
ward Soldat aus Parteilichkeit, ich weiß selbst nicht für welche
politische Grundsätze, und aus der Grille, daß es für jeden ehrlichen
Mann gut sei, sich in diesem Stande eine Zeitlang zu versuchen, um
sich mit allem, was Gefahr heißt, vertraulich zu machen und Kälte und
Entschlossenheit zu lernen. Nur die äußerste Not hätte mich zwingen
können, aus diesem Versuche eine Bestimmung, aus dieser gelegentlichen
Beschäftigung ein Handwerk zu machen. Aber nun, da mich nichts mehr
zwingt, nun ist mein ganzer Ehrgeiz wiederum einzig und allein, ein
ruhiger und zufriedener Mensch zu sein. Der werde ich mit Ihnen,
liebste Minna, unfehlbar werden; der werde ich in Ihrer Gesellschaft
unveränderlich bleiben.--Morgen verbinde uns das heiligste Band; und
sodann wollen wir um uns sehen und wollen in der ganzen weiten
bewohnten Welt den stillsten, heitersten, lachendsten Winkel suchen,
dem zum Paradiese nichts fehlt als ein glückliches Paar. Da wollen
wir wohnen; da soll jeder unserer Tage--Was ist Ihnen, mein Fräulein?
(Die sich unruhig hin und her wendet und ihre Rührung zu verbergen
sucht.)
Fräulein
(sich fassend). Sie sind sehr grausam, Tellheim, mir ein Glück so
reizend darzustellen, dem ich entsagen muß. Mein Verlust--
Tellheim
Ihr Verlust?--Was nennen Sie Ihren Verlust? Alles, was Minna
verlieren konnte, ist nicht Minna. Sie sind noch das süßeste,
lieblichste, holdseligste, beste Geschöpf unter der Sonne, ganz Güte
und Großmut, ganz Unschuld und Freude!--Dann und wann ein kleiner
Mutwille; hier und da ein wenig Eigensinn--Desto besser! desto besser!
Minna wäre sonst ein Engel, den ich mit Schaudern verehren müßte,
den ich nicht lieben könnte. (Ergreift ihre Hand, sie zu küssen.)
Fräulein
(die ihre Hand zurückzieht). Nicht so, mein Herr!--(Wie auf einmal so
verändert?--Ist dieser schmeichelnde, stürmische Liebhaber der kalte
Tellheim?--Konnte nur sein wiederkehrendes Glück ihn in dieses Feuer
setzen?--Er erlaube mir, daß ich bei seiner fliegenden Hitze für uns
beide Überlegung behalte.--Als er selbst überlegen konnte, hörte ich
ihn sagen, es sei eine nichtswürdige Liebe, die kein Bedenken trage,
ihren Gegenstand der Verachtung auszusetzen.--Recht, aber ich bestrebe
mich einer ebenso reinen und edeln Liebe als er.--Jetzt, da ihn die
Ehre ruft, da sich ein großer Monarch um ihn bewirbt, sollte ich
zugeben, daß er sich verliebten Träumereien mit mir überließe? daß
der ruhmvolle Krieger in einen tändelnden Schäfer ausarte?--Nein, Herr
Major, folgen Sie dem Wink Ihres bessern Schicksals--)
Tellheim
Nun wohl! Wenn Ihnen die große Welt reizender ist, Minna--wohl! so
behalte uns die große Welt!--Wie klein, wie armselig ist diese große
Welt!--Sie kennen sie nur erst von ihrer Flitterseite. Aber gewiß,
Minna, Sie werden--Es sei! Bis dahin, wohl! Es soll Ihren
Vollkommenheiten nicht an Bewundrern fehlen, und meinem Glücke wird es
nicht an Neidern gebrechen.
Fräulein
Nein, Tellheim, so ist es nicht gemeint! Ich weise Sie in die große
Welt, auf die Bahn der Ehre zurück, ohne Ihnen dahin folgen zu wollen.
--Dort braucht Tellheim eine unbescholtene Gattin! Ein sächsisches
verlaufenes Fräulein, das sich ihm an den Kopf geworfen--
Tellheim
(auffahrend und wild um sich sehend). Wer darf so sprechen?--Ah,
Minna, ich erschrecke vor mir selbst, wenn ich mir vorstelle, daß
jemand anders dieses gesagt hätte als Sie. Meine Wut gegen ihn würde
ohne Grenzen sein.
Fräulein
Nun da! Das eben besorge ich. Sie würden nicht die geringste
Spötterei über mich dulden, und doch würden Sie täglich die bittersten
einzunehmen haben.--Kurz, hören Sie also, Tellheim, was ich fest
beschlossen, wovon mich nichts in der Welt abbringen soll--
Tellheim
Ehe Sie ausreden, Fräulein--ich beschwöre Sie, Minna!--überlegen Sie
es noch einen Augenblick, daß Sie mir das Urteil über Leben und Tod
sprechen!--
Fräulein
Ohne weitere Überlegung!--So gewiß ich Ihnen den Ring zurückgegeben,
mit welchem Sie mir ehemals Ihre Treue verpflichtet, so gewiß Sie
diesen nämlichen Ring zurückgenommen: so gewiß soll die unglückliche
Barnhelm die Gattin des glücklichern Tellheims nie werden!
Tellheim
Und hiermit brechen Sie den Stab, Fräulein?
Fräulein
Gleichheit ist allein das feste Band der Liebe.--Die glückliche
Barnhelm wünschte, nur für den glücklichen Tellheim zu leben. Auch
die unglückliche Minna hätte sich endlich überreden lassen, das
Unglück ihres Freundes durch sich, es sei zu vermehren oder zu lindern.
--Er bemerkte es ja wohl, ehe dieser Brief ankam, der alle Gleichheit
zwischen uns wieder aufhebt, wie sehr zum Schein ich mich nur noch
weigerte.
Tellheim
Ist das wahr, mein Fräulein?--Ich danke Ihnen, Minna, daß Sie den Stab
noch nicht gebrochen.--Sie wollen nur den unglücklichen Tellheim? Er
ist zu haben. (Kalt.) Ich empfinde eben, daß es mir unanständig ist,
diese späte Gerechtigkeit anzunehmen, daß es besser sein wird, wenn
ich das, was man durch einen so schimpflichen Verdacht entehrt hat,
gar nicht wiederverlange.--Ja, ich will den Brief nicht bekommen haben.
Das sei alles, was ich darauf antworte und tue! (Im Begriffe, ihn
zu zerreißen.)
Fräulein
(das ihm in die Hände greift). Was wollen Sie, Tellheim?
Tellheim
Sie besitzen.
Fräulein
Halten Sie!
Tellheim
Fräulein, er ist unfehlbar zerrissen, wenn Sie nicht bald sich anders
erklären.--Alsdann wollen wir doch sehen, was Sie noch wider mich
einzuwenden haben!
Fräulein
Wie? In diesem Tone?--So soll ich, so muß ich in meinen eigenen Augen
verächtlich werden? Nimmermehr! Es ist eine nichtswürdige Kreatur,
die sich nicht schämet, ihr ganzes Glück der blinden Zärtlichkeit
eines Mannes zu verdanken!
Tellheim
Falsch, grundfalsch!
Fräulein
Wollen Sie es wagen, Ihre eigene Rede in meinem Munde zu schelten?
Tellheim
Sophistin! So entehrt sich das schwächere Geschlecht durch alles, was
dem stärkern nicht ansteht? So soll sich der Mann alles erlauben, was
dem Weibe geziemet? Welches bestimmte die Natur zur Stütze des
andern?
Fräulein
Beruhigen Sie sich, Tellheim!--Ich werde nicht ganz ohne Schutz sein,
wenn ich schon die Ehre des Ihrigen ausschlagen muß. So viel muß mir
immer noch werden, als die Not erfordert. Ich habe mich bei unserm
Gesandten melden lassen. Er will mich noch heute sprechen.
Hoffentlich wird er sich meiner annehmen. Die Zeit verfließt.
Erlauben Sie, Herr Major--
Tellheim
Ich werde Sie begleiten, gnädiges Fräulein.--
Fräulein
Nicht doch, Herr Major, lassen Sie mich--
Tellheim
Eher soll Ihr Schatten Sie verlassen! Kommen Sie nur, mein Fräulein,
wohin Sie wollen, zu wem Sie wollen. Überall, an Bekannte und
Unbekannte, will ich es erzählen, in Ihrer Gegenwart des Tages
hundertmal erzählen, welche Bande Sie an mich verknüpfen, aus welchem
grausamen Eigensinne Sie diese Bande trennen wollen--

10. Szene
(Just. Die Vorigen.)

Just
(mit Ungestüm). Herr Major! Herr Major!
Tellheim
Nun?
Just
Kommen Sie doch geschwind, geschwind!
Tellheim
Was soll ich? Zu mir her! Sprich, was ist's?
Just
Hören Sie nur--(Redet ihm heimlich ins Ohr.)
Fräulein
(indes beiseite zur Franziska). Merkst du was, Franziska?
Franziska
Oh, Sie Unbarmherzige! Ich habe hier gestanden wie auf Kohlen!
Tellheim
(zu Justen). Was sagst du?--Das ist nicht möglich!--Sie? (Indem er
das Fräulein wild anblickt.)--sag es laut; sag es ihr ins Gesicht!--
Hören Sie doch, mein Fräulein!--
Just
Der Wirt sagt, das Fräulein von Barnhelm habe den Ring, welchen ich
bei ihm versetzt, zu sich genommen; sie habe ihn für den ihrigen
erkannt und wolle ihn nicht wieder herausgeben.--
Tellheim
Ist das wahr, mein Fräulein?--Nein, das kann nicht wahr sein!
Fräulein
(lächelnd). Und warum nicht, Tellheim?--Warum kann es nicht wahr
sein?
Tellheim
(heftig). Nun, so sei es wahr!--Welch schreckliches Licht, das mir
auf einmal aufgegangen!--Nun erkenne ich Sie, die Falsche, die
Ungetreue!
Fräulein
(erschrocken). Wer? wer ist diese Ungetreue?
Tellheim
Sie, die ich nicht mehr nennen will!
Fräulein
Tellheim!
Tellheim
Vergessen Sie meinen Namen!--Sie kamen hierher, mit mir zu brechen.
Es ist klar!--Daß der Zufall so gern dem Treulosen zustatten kömmt!
Er führte Ihnen Ihren Ring in die Hände. Ihre Arglist wußte mir den
meinigen zuzuschanzen.
Fräulein
Tellheim, was für Gespenster sehen Sie! Fassen Sie sich doch, und
hören Sie mich.
Franziska
(vor sich). Nun mag sie es haben!

11. Szene
(Werner mit einem Beutel Gold. v. Tellheim. (Das Fräulein.
Franziska. Just.)

Werner
Hier bin ich schon, Herr Major!--
Tellheim
(ohne ihn anzusehen). Wer verlangt dich?--
Werner
Hier ist Geld! tausend Pistolen!
Tellheim
Ich will sie nicht!
Werner
Morgen können Sie, Herr Major, über noch einmal so viel befehlen.
Tellheim
Behalte dein Geld!
Werner
Es ist ja Ihr Geld, Herr Major.--Ich glaube, Sie sehen nicht, mit wem
Sie sprechen?
Tellheim
Weg damit! sag ich.
Werner
Was fehlt Ihnen?--Ich bin Werner.
Tellheim
Alle Güte ist Verstellung, alle Dienstfertigkeit Betrug.
Werner
Gilt das mir?
Tellheim
Wie du willst!
Werner
Ich habe ja nur Ihren Befehl vollzogen.--
Tellheim
So vollziehe auch den und packe dich!
Werner
Herr Major! (ärgerlich) ich bin ein Mensch--
Tellheim
Da bist du was Rechts!
Werner
Der auch Galle hat--
Tellheim
Gut! Galle ist noch das Beste, was wir haben.
Werner
Ich bitte Sie, Herr Major--
Tellheim
Wievielmal soll ich dir es sagen? Ich brauche dein Geld nicht!
Werner
(zornig). Nun, so brauch es, wer da will! (Indem er ihm den Beutel
vor die Füße wirft und beiseite geht.)
Fräulein
(zur Franziska). Ah, liebe Franziska, ich hätte dir folgen sollen.
Ich habe den Scherz zu weit getrieben.--Doch er darf mich ja nur hören
--(Auf ihn zugehend.)
Franziska
(die, ohne dem Fräulein zu antworten, sich Wernern nähert). Herr
Wachtmeister!--
Werner
(mürrisch). Geh Sie!--
Franziska
Hu! was sind das für Männer!
Fräulein
Tellheim!--Tellheim! (Der vor Wut an den Fingern naget, das Gesicht
wegwendet und nichts höret.)--Nein, das ist zu arg!--Hören Sie mich
doch!--Sie betrügen sich!--Ein bloßes Mißverständnis--Tellheim!--Sie
wollen Ihre Minna nicht hören?--Können Sie einen solchen Verdacht
fassen?--Ich mit Ihnen brechen wollen?--Ich darum hergekommen?--
Tellheim!

12. Szene
(Zwei Bediente nacheinander, von verschiedenen Seiten über den Saal
laufend. Die Vorigen.)

eine Bediente
Gnädiges Fräulein, Ihro Exzellenz, der Graf!--
andere Bediente
Er kömmt, gnädiges Fräulein!--
Franziska
(die ans Fenster gelaufen). Er ist es! er ist es!
Fräulein
Ist er's?--Oh, nun geschwind, Tellheim--
Tellheim
(auf einmal zu sich selbst kommend). Wer? wer kömmt? Ihr Oheim,
Fräulein? dieser grausame Oheim?--Lassen Sie ihn nur kommen, lassen
Sie ihn nur kommen!--Fürchten Sie nichts! Er soll Sie mit keinem
Blicke beleidigen dürfen! Er hat es mit mir zu tun.--Zwar verdienen
Sie es um mich nicht--
Fräulein
Geschwind umarmen Sie mich, Tellheim, und vergessen Sie alles--
Tellheim
Ha, wenn ich wüßte, daß Sie es bereuen könnten!--
Fräulein
Nein, ich kann es nicht bereuen, mir den Anblick Ihres ganzen Herzens
verschafft zu haben!--Ah, was sind Sie für ein Mann!--Umarmen Sie Ihre
Minna, Ihre glückliche Minna; aber durch nichts glücklicher als durch
Sie! (Sie fällt ihm in die Arme.) Und nun, ihm entgegen!--
Tellheim
Wem entgegen?
Fräulein
Dem besten Ihrer unbekannten Freunde.
Tellheim
Wie?
Fräulein
Dem Grafen, meinem Oheim, meinem Vater, Ihrem Vater--Meine Flucht,
sein Unwille, meine Enterbung--hören Sie denn nicht, daß alles
erdichtet ist?--Leichtgläubiger Ritter!
Tellheim
Erdichtet?--Aber der Ring? der Ring?
Fräulein
Wo haben Sie den Ring, den ich Ihnen zurückgegeben?
Tellheim
Sie nehmen ihn wieder?--Oh, so bin ich glücklich!--Hier, Minna!--(Ihn
herausziehend.)
Fräulein
So besehen Sie ihn doch erst!--Oh, über die Blinden, die nicht sehen
wollen!--Welcher Ring ist es denn? Den ich von Ihnen habe, oder den
Sie von mir?--Ist es denn nicht eben der, den ich in den Händen des
Wirts nicht lassen wollen?
Tellheim
Gott! was seh ich? was hör ich?
Fräulein
Soll ich ihn nun wiedernehmen? soll ich?--Geben Sie her, geben Sie
her! (Reißt ihn ihm aus der Hand und steckt ihn ihm selbst an den
Finger.) Nun? ist alles richtig?
Tellheim
Wo bin ich?--(Ihre Hand küssend.) O boshafter Engel!--mich so zu
quälen!
Fräulein
Dieses zur Probe, mein lieber Gemahl, daß Sie mir nie einen Streich
spielen sollen, ohne daß ich Ihnen nicht gleich darauf wieder einen
spiele.--Denken Sie, daß Sie mich nicht auch gequälet hatten?
Tellheim
O Komödiantinnen, ich hätte euch doch kennen sollen.
Franziska
Nein, wahrhaftig; ich bin zur Komödiantin verdorben. Ich habe
gezittert und gebebt und mir mit der Hand das Maul zuhalten müssen.
Fräulein
Leicht ist mir meine Rolle auch nicht geworden.--Aber so kommen Sie
doch!
Tellheim
Noch kann ich mich nicht erholen.--Wie wohl, wie ängstlich ist mir!
So erwacht man plötzlich aus einem schreckhaften Traume!
Fräulein
Wir zaudern.--Ich höre ihn schon.

13. Szene
(Der Graf von Bruchsall, von verschiedenen Bedienten und dem Wirte
begleitet. Die Vorigen.)

Graf
(im Hereintreten). Sie ist doch glücklich angelangt?
Fräulein
(die ihm entgegenspringt). Ah, mein Vater!--
Graf
Da bin ich, liebe Minna! (Sie umarmend.) Aber was, Mädchen? (Indem
er den Tellheim gewahr wird.) Vierundzwanzig Stunden erst hier und
schon Bekanntschaft und schon Gesellschaft?
Fräulein
Raten Sie, wer es ist?--
Graf
Doch nicht dein Tellheim?
Fräulein
Wer sonst als er?--Kommen Sie, Tellheim! (Ihn dem Grafen zuführend.)
Graf
Mein Herr, wir haben uns nie gesehen, aber bei dem ersten Anblicke
glaubte ich, Sie zu erkennen. Ich wünschte, daß Sie es sein möchten.--
Umarmen Sie mich.--Sie haben meine völlige Hochachtung. Ich bitte um
Ihre Freundschaft.--Meine Nichte, meine Tochter liebet Sie.--
Fräulein
Das wissen Sie, mein Vater!--Und ist sie blind, meine Liebe?
Graf
Nein, Minna, deine Liebe ist nicht blind, aber dein Liebhaber--ist
stumm.
Tellheim
(sich ihm in die Arme werfend). Lassen Sie mich zu mir selbst kommen,
mein Vater!--
Graf
So recht, mein Sohn! Ich höre es; wenn dein Mund nicht plaudern kann,
so kann dein Herz doch reden.--Ich bin sonst den Offizieren von dieser
Farbe (auf Tellheims Uniform weisend) eben nicht gut. Doch Sie sind
ein ehrlicher Mann, Tellheim; und ein ehrlicher Mann mag stecken, in
welchem Kleide er will, man muß ihn lieben.
Fräulein
Oh, wenn Sie alles wüßten!--
Graf
Was hindert's, daß ich nicht alles erfahre?--Wo sind meine Zimmer,
Herr Wirt?
Wirt
Wollen Ihro Exzellenz nur die Gnade haben, hier hereinzutreten.
Graf
Komm, Minna! Kommen Sie, Herr Major! (Geht mit dem Wirte und den
Bedienten ab.)
Fräulein
Kommen Sie, Tellheim!
Tellheim
Ich folge Ihnen den Augenblick, mein Fräulein. Nur noch ein Wort mit
diesem Manne! (Gegen Wernern sich wendend.)
Fräulein
Und ja ein recht gutes; mich dünkt, Sie haben es nötig.--Franziska,
nicht wahr? (Dem Grafen nach.)

14. Szene
(v. Tellheim. Werner. Just. Franziska.)

Tellheim
(auf den Beutel weisend, den Werner weggeworfen). Hier, Just!--Hebe
den Beutel auf, und trage ihn nach Hause. Geh!--(Just damit ab.)
Werner
(der noch immer mürrisch im Winkel gestanden und an nichts
teilzunehmen geschienen, indem er das hört). Ja, nun!
Tellheim
(vertraulich auf ihn zugehend). Werner, wann kann ich die andern
tausend Pistolen haben?
Werner
(auf einmal wieder in seiner guten Laune). Morgen, Herr Major, morgen.
--
Tellheim
Ich brauche dein Schuldner nicht zu werden, aber ich will dein
Rentmeister sein. Euch gutherzigen Leuten sollte man allen einen
Vormund setzen. Ihr seid eine Art Verschwender.--Ich habe dich vorhin
erzürnt, Werner!--
Werner
Bei meiner armen Seele, ja!--Ich hätte aber doch so ein Tölpel nicht
sein sollen. Nun seh ich's wohl. Ich verdiente hundert Fuchtel.
Lassen Sie mir sie auch schon geben; nur weiter Keinen Groll, lieber
Major!--
Tellheim
Groll?--(Ihm die Hand drückend.) Lies es in meinen Augen, was ich dir
nicht alles sagen kann.--Ha! wer ein besseres Mädchen und einen
redlichern Freund hat als ich, den will ich sehen!--Franziska, nicht
wahr? (Geht ab.)

15. Szene
(Werner. Franziska)

Franziska
(vor sich). Ja gewiß, es ist ein gar zu guter Mann!--So einer kömmt
mir nicht wieder vor.--Es muß heraus! (Schüchtern und verschämt sich
Wernern nähernd.) Herr Wachtmeister!--
Werner
(der sich die Augen wischt). Nu?--
Franziska
Herr Wachtmeister--
Werner
Was will Sie denn, Frauenzimmerchen?
Franziska
Seh Er mich einmal an, Herr Wachtmeister.--
Werner
Ich kann noch nicht; ich weiß nicht, was mir in die Augen gekommen.
Franziska
So seh Er mich doch an!
Werner
Ich fürchte, ich habe Sie schon zuviel angesehen, Frauenzimmerchen!--
Nun, da seh ich Sie ja! Was gibt's denn?
Franziska
Herr Wachtmeister--braucht Er keine Frau Wachtmeisterin?
Werner
Ist das Ihr Ernst, Frauenzimmerchen?
Franziska
Mein völliger!
Werner
Zöge Sie wohl auch mit nach Persien?
Franziska
Wohin Er will!
Werner
Gewiß?--Holla! Herr Major! nicht groß getan! Nun habe ich
wenigstens ein ebenso gutes Mädchen und einen ebenso redlichen Freund
als Sie!--Geben Sie mir Ihre Hand, Frauenzimmerchen! Topp!--Über zehn
Jahr' ist Sie Frau Generalin oder Witwe!
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  • Minna von Barnhelm - 2
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