Minna von Barnhelm - 2

Total number of words is 4169
Total number of unique words is 1110
45.4 of words are in the 2000 most common words
57.9 of words are in the 5000 most common words
62.3 of words are in the 8000 most common words
Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
Des Abends?--aufpaßten?--ihre zwei, einem?--Das ist nichts.--
Just
Oder wenn wir ihm das Haus über dem Kopf ansteckten?--
Werner
Sengen und brennen?--Kerl, man hört's, daß du Packknecht gewesen bist
und nicht Soldat--pfui!
Just
Oder wenn wir ihm seine Tochter zur Hure machten? Sie ist zwar
verdammt häßlich--
Werner
Oh, da wird sie's lange schon sein! Und allenfalls brauchst du auch
hierzu keinen Gehilfen. Aber was hast du denn? Was gibt's denn?
Just
Komm nur, du sollst dein Wunder hören!
Werner
So ist der Teufel wohl hier gar los?
Just
Jawohl; komm nur!
Werner
Desto besser! Nach Persien also, nach Persien!


2. Akt

1. Szene
(Die Szene ist in dem Zimmer des Fräuleins.) (Minna von Barnhelm.
Franziska.)

Fräulein
(im Negligé, nach ihrer Uhr sehend). Franziska, wir sind auch sehr
früh aufgestanden. Die Zeit wird uns lang werden.
Franziska
Wer kann denn in den verzweifelten großen Städten schlafen? Die
Karossen, die Nachtwächter, die Trommeln, die Katzen, die Korporals--
das hört nicht auf zu rasseln, zu schreien, zu wirbeln, zu mauen, zu
fluchen; gerade, als ob die Nacht zu nichts weniger wäre als zur Ruhe.
--Eine Tasse Tee, gnädiges Fräulein?--
Fräulein
Der Tee schmeckt mir nicht.--
Franziska
Ich will von unserer Schokolade machen lassen.
Fräulein
Laß machen, für dich!
Franziska
Für mich? Ich wollte ebensogern für mich allein plaudern als für mich
allein trinken.--Freilich wird uns die Zeit so lang werden.--Wir
werden vor langer Weile uns putzen müssen und das Kleid versuchen, in
welchem wir den ersten Sturm geben wollen.
Fräulein
Was redest du von Stürmen, da ich bloß herkomme, die Haltung der
Kapitulation zu fordern?
Franziska
Und der Herr Offizier, den wir vertrieben, und dem wir das Kompliment
darüber machen lassen; er muß auch nicht die feinste Lebensart haben;
sonst hätte er wohl um die Ehre können bitten lassen, uns seine
Aufwartung machen zu dürfen.--
Fräulein
Es sind nicht alle Offiziere Tellheims. Die Wahrheit zu sagen, ich
ließ ihm das Kompliment auch bloß machen, um Gelegenheit zu haben,
mich nach diesem bei ihm zu erkundigen.--Franziska, mein Herz sagt es
mir, daß meine Reise glücklich sein wird, daß ich ihn finden werde.--
Franziska
Das Herz, gnädiges Fräulein? Man traue doch ja seinem Herzen nicht zu
viel. Das Herz redet uns gewaltig gern nach dem Maule. Wenn das Maul
ebenso geneigt wäre, nach dem Herzen zu reden, so wäre die Mode längst
aufgekommen, die Mäuler unterm Schlosse zu tragen.
Fräulein
Ha! ha! Mit deinen Mäulern unterm Schlosse! Die Mode wäre mir eben
recht!
Franziska
Lieber die schönsten Zähne nicht gezeigt, als alle Augenblicke das
Herz darüber springen lassen!
Fräulein
Was? Bist du so zurückhaltend?--
Franziska
Nein, gnädiges Fräulein, sondern ich wollte es gern mehr sein. Man
spricht selten von der Tugend, die man hat; aber desto öftrer von der,
die uns fehlt.
Fräulein
Siehst du, Franziska? Da hast du eine sehr gute Anmerkung gemacht.--
Franziska
Gemacht? Macht man das, was einem so einfällt?--
Fräulein
Und weißt du, warum ich eigentlich diese Anmerkung so gut finde? Sie
hat viel Beziehung auf meinen Tellheim.
Franziska
Was hätte bei Ihnen nicht auch Beziehung auf ihn?
Fräulein
Freund und Feind sagen, daß er der tapferste Mann von der Welt ist.
Aber wer hat ihn von Tapferkeit jemals reden hören? Er hat das
rechtschaffenste Hertz, aber Rechtschaffenheit und Edelmut sind Worte,
die er nie auf die Zunge bringt.
Franziska
Von was für Tugenden spricht er denn?
Fräulein
Er spricht von keiner; denn ihm fehlt keine.
Franziska
Das wollte ich nur hören.
Fräulein
Warte, Franziska, ich besinne mich. Er spricht sehr oft von Ökonomie.
Im Vertrauen, Franziska, ich glaube, der Mann ist ein Verschwender.
Franziska
Noch eins, gnädiges Fräulein. Ich habe ihn auch sehr oft der Treue
und Beständigkeit gegen Sie erwähnen hören. Wie, wenn der Herr auch
ein Flattergeist wäre?
Fräulein
Du Unglückliche!--Aber meinest du das im Ernste, Franziska?
Franziska
Wie lange hat er Ihnen nun schon nicht geschrieben?
Fräulein
Ach! seit dem Frieden hat er mir nur ein einziges Mal geschrieben.
Franziska
Auch ein Seufzer wider den Frieden! Wunderbar! Der Friede sollte nur
das Böse wieder gutmachen, das der Krieg gestiftet, und er zerrüttet
auch das Gute, was dieser, sein Gegenpart, etwa noch veranlasset hat.
Der Friede sollte so eigensinnig nicht sein!--Und wie lange haben wir
schon Friede? Die Zeit wird einem gewaltig lang, wenn es so wenig
Neuigkeiten gibt.--Umsonst gehen die Posten wieder richtig; niemand
schreibt; denn niemand hat was zu schreiben.
Fräulein
"Es ist Friede", schrieb er mir, "und ich nähere mich der Erfüllung
meiner Wünsche." Aber daß er mir dieses nur einmal, nur ein einziges
Mal geschrieben--
Franziska
Daß er uns zwingt, dieser Erfüllung der Wünsche selbst entgegenzueilen:
finden wir ihn nur, das soll er uns entgelten!--Wenn indes der Mann
doch Wünsche erfüllt hätte, und wir erführen hier--
Fräulein
(ängstlich und hitzig). Daß er tot wäre?
Franziska
Für Sie, gnädiges Fräulein, in den Armen einer andern.--
Fräulein
Du Quälgeist! Warte, Franziska, er soll dir es gedenken!--Doch
schwatze nur; sonst schlafen wir wieder ein.--Sein Regiment ward nach
dem Frieden zerrissen. Wer weiß, in welche Verwirrung von Rechnungen
und Nachweisungen er dadurch geraten? Wer weiß, zu welchem andern
Regimente, in welche entlegne Provinz er versetzt worden? Wer weiß,
welche Umstände--Es pocht jemand.
Franziska
Herein!

2. Szene
(Der Wirt. Die Vorigen.)

Wirt
(den Kopf voransteckend). Ist es erlaubt, meine gnädige Herrschaft?--
Franziska
Unser Herr Wirt?--Nur vollends herein.
Wirt
(mit einer Feder hinter dem Ohre, ein Blatt Papier und ein
Schreibezeug in der Hand). Ich komme, gnädiges Fräulein, Ihnen einen
untertänigen guten Morgen zu wünschen--(zur Franziska) und auch Ihr,
mein schönes Kind--
Franziska
Ein höflicher Mann!
Fräulein
Wir bedanken uns.
Franziska
Und wünschen Ihm auch einen guten Morgen.
Wirt
Darf ich mich unterstehen zu fragen, wie Ihro Gnaden diese erste Nacht
unter meinem schlechten Dache geruhet?--
Franziska
Das Dach ist so schlecht nicht, Herr Wirt, aber die Betten hätten
besser sein können.
Wirt
Was höre ich? Nicht wohl geruht? Vielleicht, daß die gar zu große
Ermüdung von der Reise--
Fräulein
Es kann sein.
Wirt
Gewiß, gewiß! denn sonst--Indes sollte etwas nicht vollkommen nach
Ihro Gnaden Bequemlichket gewesen sein, so geruhen Ihro Gnaden nur zu
befehlen.
Franziska
Gut, Herr Wirt, gut! Wir sind auch nicht blöde; und am wenigsten muß
man im Gasthofe blöde sein. Wir wollen schon sagen, wie wir es gern
hätten.
Wirt
Hiernächst komme ich zugleich--(indem er die Feder hinter dem Ohr
hervorzieht).
Franziska
Nun?--
Wirt
Ohne Zweifel kennen Ihro Gnaden schon die weisen Verordnungen unserer
Polizei.
Fräulein
Nicht im geringsten, Herr Wirt--
Wirt
Wir Wirte sind angewiesen, keinen Fremden, wes Standes und Geschlechts
er auch sei, vierundzwanzig Stunden zu behausen, ohne seinen Namen,
Heimat, Charakter, hiesige Geschäfte, vermutliche Dauer des
Aufenthalts und so weiter gehörigen Orts schriftlich einzureichen.
Fräulein
Sehr wohl.
Wirt
Ihro Gnaden werden also sich gefallen lassen--(indem er an einen Tisch
tritt und sich fertig macht zu schreiben).
Fräulein
Sehr gern--Ich heiße--
Wirt
Einen kleinen Augenblick Geduld!--(Er schreibt.) "Dato, den 22.
August a.c. allhier zum Könige von Spanien angelangt"--Nun Dero Namen,
gnädiges Fräulein?
Fräulein
Das Fräulein von Barnhelm.
Wirt
(schreibt). "von Barnhelm"--Kommend? woher, gnädiges Fräulein?
Fräulein
Von meinen Gütern aus Sachsen.
Wirt
(schreibt). "Gütern aus Sachsen"--Aus Sachsen! Ei, ei, aus Sachsen,
gnädiges Fräulein? aus Sachsen?
Franziska
Nun? warum nicht? Es ist doch wohl hierzulande keine Sünde, aus
Sachsen zu sein?
Wirt
Eine Sünde? Behüte! das wäre ja eine ganz neue Sünde!--Aus Sachsen
also? Ei, ei! aus Sachsen! Das liebe Sachsen!--Aber wo mir recht
ist, gnädiges Fräulein, Sachsen ist nicht klein und hat mehrere--wie
soll ich es nennen?--Distrikte, Provinzen.--Unsere Polizei ist sehr
exakt, gnädiges Fräulein.--
Fräulein
Ich verstehe: von meinen Gütern aus Thüringen also.
Wirt
Aus Thüringen! Ja, das ist besser, gnädiges Fräulein, das ist genauer.
--(Schreibt und liest.) "Das Fräulein von Barnhelm, kommend von ihren
Gütern aus Thüringen, nebst einer Kammerfrau und zwei Bedienten"--
Franziska
Einer Kammerfrau? das soll ich wohl sein?
Wirt
Ja, mein schönes Kind.--
Franziska
Nun, Herr Wirt, so setzen Sie anstatt Kammerfrau Kammerjungfer.--Ich
höre, die Polizei ist sehr exakt; es möchte ein Mißverständnis geben,
welches mir bei meinem Aufgebote einmal Händel machen könnte. Denn
ich bin wirklich noch Jungfer und heiße Franziska; mit dem
Geschlechtsnamen Willig; Franziska Willig. Ich bin auch aus Thüringen.
Mein Vater war Müller auf einem von den Gütern des gnädigen
Fräuleins. Es heißt Klein-Rammsdorf. Die Mühle hat jetzt mein Bruder.
Ich kam sehr jung auf den Hof und ward mit dem gnädigen Fräulein
erzogen. Wir sind von einem Alter, künftige Lichtmess einundzwanzig
Jahr. Ich habe alles gelernt, was das gnädige Fräulein gelernt hat.
Es soll mir lieb sein, wenn mich die Polizei recht kennt.
Wirt
Gut, mein schönes Kind, das will ich mir auf weitere Nachfrage merken.
--Aber nunmehr, gnädiges Fräulein, Dero Verrichtungen allhier?--
Fräulein
Meine Verrichtungen?
Wirt
Suchen Ihro Gnaden etwas bei des Königs Majestät?
Fräulein
O nein!
Wirt
Oder bei unsern hohen Justizkollegiis?
Fräulein
Auch nicht.
Wirt
Oder--
Fräulein
Nein, nein. Ich bin lediglich in meinen eigenen Angelegenheiten hier.
Wirt
Ganz wohl, gnädiges Fräulein, aber wie nennen sich diese eigne
Angelegenheiten?
Fräulein
Sie nennen sich--Franziska, ich glaube, wir werden vernommen.
Franziska
Herr Wirt, die Polizei wird doch nicht die Geheimnisse eines
Frauenzimmers zu wissen verlangen?
Wirt
Allerdings, mein schönes Kind: die Polizei will alles, alles wissen;
und besonders Geheimnisse.
Franziska
Ja nun, gnädiges Fräulein; was ist zu tun?--So hören Sie nur, Herr
Wirt--aber daß es ja unter uns und der Polizei bleibt!--
Fräulein
Was wird ihm die Närrin sagen?
Franziska
Wir kommen, dem Könige einen Offizier wegzukapern--
Wirt
Wie? was? Mein Kind! mein Kind!--
Franziska
Oder uns von dem Offiziere kapern zu lassen. Beides ist eins.
Fräulein
Franziska, bist du toll?--Herr Wirt, die Nasenweise hat Sie zum besten.
--
Wirt
Ich will nicht hoffen! Zwar mit meiner Wenigkeit kann sie scherzen so
viel, wie sie will; nur mit einer hohen Polizei--
Fräulein
Wissen Sie was, Herr Wirt?--Ich weiß mich in dieser Sache nicht zu
nehmen. Ich dächte, Sie ließen die ganze Schreiberei bis auf die
Ankunft meines Oheims. Ich habe Ihnen schon gestern gesagt, warum er
nicht mit mir zugleich angekommen. Er verunglückte zwei Meilen von
hier mit seinem Wagen und wollte durchaus nicht, daß mich dieser
Zufall eine Nacht mehr kosten sollte. Ich mußte also voran. Wenn er
vierundzwanzig Stunden nach mir eintrifft, so ist es das längste.
Wirt
Nun ja, gnädiges Fräulein, so wollen wir ihn erwarten.
Fräulein
Er wird auf Ihre Fragen besser antworten können. Er wird wissen, wem
und wie weit er sich zu entdecken hat; was er von seinen Geschäften
anzeigen muß und was er davon verschweigen darf.
Wirt
Desto besser! Freilich, freilich kann man von einem jungen Mädchen
(die Franziska mit einer bedeutenden Miene ansehend) nicht verlangen,
daß es eine ernsthafte Sache mit ernsthaften Leuten ernsthaft
traktiere--
Fräulein
Und die Zimmer für ihn sind doch in Bereitschaft, Herr Wirt?
Wirt
Völlig, gnädiges Fräulein, völlig; bis auf das eine--
Franziska
Aus dem Sie vielleicht auch noch erst einen ehrlichen Mann vertreiben
müssen?
Wirt
Die Kammerjungfern aus Sachsen, gnädiges Fräulein, sind wohl sehr
mitleidig.--
Fräulein
Doch, Herr Wirt, das haben Sie nicht gut gemacht. Lieber hätten Sie
uns nicht einnehmen sollen.
Wirt
Wieso, gnädiges Fräulein, wieso?
Fräulein
Ich höre, daß der Offizier, welcher durch uns verdrängt worden--
Wirt
Ja nur ein abgedankter Offizier ist, gnädiges Fräulein.--
Fräulein
Wenn schon!--
Wirt
Mit dem es zu Ende geht.--
Fräulein
Desto schlimmer! Es soll ein sehr verdienter Mann sein.
Wirt
Ich sage Ihnen ja, daß er abgedankt ist.
Fräulein
Der König kann nicht alle verdiente Männer kennen.
Wirt
O gewiß, er kennt sie, er kennt sie alle.--
Fräulein
So kann er sie nicht alle belohnen.
Wirt
Sie wären alle belohnt, wenn sie darnach gelebt hätten. Aber so
lebten die Herren während des Krieges, als ob ewig Krieg bleiben würde;
als ob das Dein und Mein ewig aufgehoben sein würde. Jetzt liegen
alle Wirtshäuser und Gasthöfe von ihnen voll, und ein Wirt hat sich
wohl mit ihnen in acht zu nehmen. Ich bin mit diesem noch so ziemlich
weggekommen. Hatte er gleich kein Geld mehr, so hatte er doch noch
Geldeswert, und zwei, drei Monate hätte ich ihn freilich noch ruhig
können sitzen lassen. Doch besser ist besser.--Apropos, gnädiges
Fräulein; Sie verstehen sich doch auf Juwelen?--
Fräulein
Nicht sonderlich.
Wirt
Was sollten Ihro Gnaden nicht?--Ich muß Ihnen einen Ring zeigen, einen
kostbaren Ring. Zwar gnädiges Fräulein haben da auch einen sehr
schönen am Finger, und je mehr ich ihn betrachte, je mehr muß ich mich
wundern, daß er dem meinigen so ähnlich ist.--Oh! sehen Sie doch,
sehen Sie doch! (Indem er ihn aus dem Futteral herausnimmt und dem
Fräulein zureicht.) Welch ein Feuer! der mittelste Brillant allein
wiegt über fünf Karat.
Fräulein
(ihn betrachtend). Wo bin ich? Was seh ich? Dieser Ring--
Wirt
Ist seine fünfzehnhundert Taler unter Brüdern wert.
Fräulein
Franziska!--Sieh doch!--
Wirt
Ich habe mich auch nicht einen Augenblick bedacht, achtzig Pistolen
darauf zu leihen.
Fräulein
Erkennst du ihn nicht, Franziska?
Franziska
Der nämliche!--Herr Wirt, wo haben Sie diesen Ring her?--
Wirt
Nun, mein Kind? Sie hat doch wohl kein Recht daran?
Franziska
Wir kein Recht an diesem Ringe?--Inwärts auf dem Kasten muß des
Fräuleins verzogener Name stehn.--Weisen Sie doch, Fräulein.
Fräulein
Er ist's er ist's!--Wie kommen Sie zu diesem Ringe, Herr Wirt?
Wirt
Ich? auf die ehrlichste Weise von der Welt.--Gnädiges Fräulein,
gnädiges Fräulein, Sie werden mich nicht in Schaden und Unglück
bringen wollen? Was weiß ich, wo sich der Ring eigentlich
herschreibt? Während des Krieges hat manches seinen Herrn sehr oft,
mit und ohne Vorbewußt des Herrn, verändert. Und Krieg war Krieg. Es
werden mehr Ringe aus Sachsen über die Grenze gegangen sein.--Geben
Sie mir ihn wieder, gnädiges Fräulein, geben Sie mir ihn wieder!
Franziska
Erst geantwortet: von wem haben Sie ihn?
Wirt
Von einem Manne, dem ich so was nicht zutrauen kann, von einem sonst
guten Manne--
Fräulein
Von dem besten Manne unter der Sonne, wenn Sie ihn von seinem
Eigentümer haben.--Geschwind, bringen Sie mir den Mann! Er ist es
selbst, oder wenigstens muß er ihn kennen.
Wirt
Wer denn? wen denn, gnädiges Fräulein?
Franziska
Hören Sie denn nicht? unsern Major.
Wirt
Major? Recht, er ist Major, der dieses Zimmer vor Ihnen bewohnt hat,
und von dem ich ihn habe.
Fräulein
Major von Tellheim.
Wirt
Von Tellheim, ja! Kennen Sie ihn?
Fräulein
Ob ich ihn kenne? Er ist hier? Tellheim ist hier? Er? er hat in
diesem Zimmer gewohnt? Er, er hat Ihnen diesen Ring versetzt? Wie
kommt der Mann in diese Verlegenheit? Wo ist er? Er ist Ihnen
schuldig?--Franziska, die Schatulle her! Schließ auf! (Indem sie
Franziska auf den Tisch setzet und öffnet.) Was ist er Ihnen schuldig?
Wem ist er mehr schuldig? Bringen Sie mir alle seine Schuldner.
Hier ist Geld. Hier sind Wechsel. Alles ist sein!
Wirt
Was höre ich?
Fräulein
Wo ist er? wo ist er?
Wirt
Noch vor einer Stunde war er hier.
Fräulein
Häßlicher Mann, wie konnten Sie gegen ihn so unfreundlich, so hart, so
grausam sein?
Wirt
Ihro Gnaden verzeihen--
Fräulein
Geschwind, schaffen Sie mir ihn zur Stelle.
Wirt
Sein Bedienter ist vielleicht noch hier. Wollen Ihro Gnaden, daß er
ihn aufsuchen soll?
Fräulein
Ob ich will? Eilen Sie, laufen Sie; für diesen Dienst allein will ich
es vergessen, wie schlecht Sie mit ihm umgegangen sind.--
Franziska
Fix, Herr Wirt, hurtig, fort, fort! (Stößt ihn heraus.)

3. Szene
(Das Fräulein. Franziska)

Fräulein
Nun habe ich ihn wieder, Franziska! Siehst du, nun habe ich ihn
wieder! Ich weiß nicht, wo ich vor Freuden bin! Freue dich doch mit,
liebe Franziska. Aber freilich, warum du? Doch du sollst dich, du
mußt dich mit mir freuen. Komm, Liebe, ich will dich beschenken,
damit du dich mit mir freuen kannst. Sprich, Franziska, was soll ich
dir geben? Was steht dir von meinen Sachen an? Was hättest du gern?
Nimm, was du willst, aber freue dich nur. Ich sehe wohl, du wirst dir
nichts nehmen. Warte! (sie faßt in die Schatulle) da, liebe
Franziska (und gibt ihr Geld), kaufe dir, was du gern hättest.
Fordere mehr, wenn es nicht zulangt. Aber freue dich nur mit mir. Es
ist so traurig, sich allein zu freuen. Nun, so nimm doch--
Franziska
Ich stehle es Ihnen, Fräulein; Sie sind trunken, von Fröhlichkeit
trunken.--
Fräulein
Mädchen, ich habe einen zänkischen Rausch, nimm oder--(Sie zwingt ihr
das Geld in die Hand.) Und wenn du dich bedankest!--Warte; gut, daß
ich daran denke. (Sie greift nochmals in die Schatulle nach Geld.)
Das, liebe Franziska, stecke beiseite, für den ersten blessierten
armen Soldaten, der uns anspricht.--

4. Szene
(Der Wirt. Das Fräulein. Franziska.)

Fräulein
Nun? Wird er kommen?
Wirt
Der widerwärtige, ungeschliffene Kerl!
Fräulein
Wer?
Wirt
Sein Bedienter. Er weigert sich, nach ihm zu gehen.
Franziska
Bringen Sie doch den Schurken her.--Des Majors Bediente kenne ich ja
wohl alle. Welcher wäre denn das?
Fräulein
Bringen Sie ihn geschwind her. Wenn er uns sieht, wird er schon gehen.
(Der Wirt geht ab.)

5. Szene
(Das Fräulein. Franziska.)

Fräulein
Ich kann den Augenblick nicht erwarten. Aber, Franziska, du bist noch
immer so kalt? Du willst dich noch nicht mit mir freuen?
Franziska
Ich wollte von Herzen gern, wenn nur--
Fräulein
Wenn nur?
Franziska
Wir haben den Mann wiedergefunden; aber wie haben wir ihn
wiedergefunden? Nach allem, was wir von ihm hören, muß es ihm übel
gehn. Er muß unglücklich sein, das jammert mich.
Fräulein
Jammert dich?--Laß dich dafür umarmen, meine liebste Gespielin! das
will ich dir nie vergessen!--Ich bin nur verliebt, und du bist gut.--

6. Szene
(Der Wirt. Just. Die Vorigen.)

Wirt
Mit genauer Not bring ich ihn.
Franziska
Ein fremdes Gesicht! Ich kenne ihn nicht.
Fräulein
Mein Freund, ist Er bei dem Major von Tellheim?
Just
Ja.
Fräulein
Wo ist Sein Herr?
Just
Nicht hier.
Fräulein
Aber Er weiß ihn zu finden?
Just
Ja.
Fräulein
Will Er ihn nicht geschwind herholen?
Just
Nein.
Fräulein
Er erweiset mir damit einen Gefallen.--
Just
Ei!
Fräulein
Und Seinem Herrn einen Dienst.--
Just
Vielleicht auch nicht.--
Fräulein
Woher vermutet Er das?
Just
Sie sind doch die fremde Herrschaft, die ihn schon diesen Morgen
komplimentieren lassen?
Fräulein
Ja.
Just
So bin ich schon recht.
Fräulein
Weiß Sein Herr meinen Namen?
Just
Nein; aber er kann die allzu höflichen Damen ebensowenig leiden als
die allzu groben Wirte.
Wirt
Das soll wohl mit auf mich gehn?
Just
Ja.
Wirt
So laß Er es doch dem gnädigen Fräulein nicht entgelten, und hole Er
ihn geschwind her.
Fräulein
(leise zur Franziska). Franziska, gib ihm etwas--
Franziska
(die dem Just Geld in die Hand drücken will). Wir verlangen Seine
Dienste nicht umsonst.--
Just
Und ich Ihr Geld nicht ohne Dienste.
Franziska
Eines für das andere.
Just
Ich kann nicht. Mein Herr hat mir befohlen, auszuräumen. Das tu ich
jetzt, und daran bitte ich, mich nicht weiter zu verhindern. Wenn ich
fertig bin, so will ich es ihm ja wohl sagen, daß er herkommen kann.
Er ist nebenan auf dem Kaffeehause; und wenn er da nichts Bessers zu
tun findet, wird er auch wohl kommen. (Will fortgehen.)
Franziska
So warte Er doch.--Das gnädige Fräulein ist des Herrn Majors--
Schwester.--
Fräulein
Ja, ja, seine Schwester.
Just
Das weiß ich besser, daß der Major keine Schwestern hat. Er hat mich
in sechs Monaten zweimal an seine Familie nach Kurland geschickt.--
Zwar es gibt mancherlei Schwestern--
Franziska
Unverschämter!
Just
Muß man es nicht sein, wenn einen die Leute sollen gehn lassen? (Geht
ab.)
Franziska
Das ist ein Schlingel!
Wirt
Ich sagt' es ja. Aber lassen Sie ihn nur! Weiß ich doch nunmehr, wo
sein Herr ist. Ich will ihn gleich selbst holen.--Nur, gnädiges
Fräulein, bitte ich untertänigst, sodann ja mich bei dem Herrn Major
zu entschuldigen, daß ich so unglücklich gewesen, wider meinen Willen
einen Mann von seinen Verdiensten--
Fräulein
Gehen Sie nur geschwind, Herr Wirt. Das will ich alles wieder
gutmachen. (Der Wirt geht ab und hierauf) Franziska, lauf ihm nach:
er soll ihm meinen Namen nicht nennen! (Franziska, dem Wirte nach.)

7. Szene
(Das Fräulein und hierauf Franziska)

Fräulein
Ich habe ihn wieder!--Bin ich allein?--Ich will nicht umsonst allein
sein.(Sie faltet die Hände.) Auch bin ich nicht allein! (Und blickt
aufwärts.) Ein einziger dankbarer Gedanke gen Himmel ist das
willkommenste Gebet!--Ich hab ihn, ich hab ihn! (Mit ausgebreiteten
Armen.) Ich bin glücklich! und fröhlich! Was kann der Schöpfer
lieber sehen als ein fröhliches Geschöpf!--(Franziska kömmt.) Bist du
wieder da, Franziska?--Er jammert dich? Mich jammert er nicht.
Unglück ist auch gut. Vielleicht, daß ihm der Himmel alles nahm, um
ihm in mir alles wiederzugeben!
Franziska
Er kann den Augenblick hier sein.--Sie sind noch in Ihrem Neglige,
gnädiges Fräulein. Wie, wenn Sie sich geschwind ankleideten?
Fräulein
Geh! ich bitte dich. Er wird mich von nun an öftrer so als geputzt
sehen.
Franziska
Oh, Sie kennen sich, mein Fräulein.
Fräulein
(nach einem kurzen Nachdenken). Wahrhaftig, Mädchen, du hast es
wiederum getroffen.
Franziska
Wenn wir schön sind, sind wir ungeputzt am schönsten.
Fräulein
Müssen wir denn schön sein?--Aber daß wir uns schön glauben, war
vielleicht notwendig.--Nein, wenn ich ihm, ihm nur schön bin!--
Franziska, wenn alle Mädchens so sind, wie ich mich jetzt fühle, so
sind wir--sonderbare Dinger.--Zärtlich und stolz, tugendhaft und eitel,
wollüstig und fromm--Du wirst mich nicht verstehen. Ich verstehe
mich wohl selbst nicht.--Die Freude macht drehend, wirblicht.--
Franziska
Fassen Sie sich, mein Fräulein; ich höre kommen--
Fräulein
Mich fassen? Ich sollte ihn ruhig empfangen?

8. Szene
(v. Tellheim. Der Wirt. Die Vorigen.)

Tellheim
(tritt herein, und indem er sie erblickt, flieht er auf sie zu). Ah!
meine Minna!--
Fräulein
(ihm entgegenfliehend). Ah! mein Tellheim!--
Tellheim
(stutzt auf einmal und tritt wieder zurück). Verzeihen Sie, gnädiges
Fräulein--das Fräulein von Barnhelm hier zu finden--
Fräulein
Kann Ihnen doch so gar unerwartet nicht sein?--(Indem sie ihm näher
tritt und er mehr zurückweicht.) Verzeihen? Ich soll Ihnen verzeihen,
daß ich noch Ihre Minna bin? Verzeih' Ihnen der Himmel, daß ich noch
das Fräulein von Barnhelm bin!--
Tellheim
Gnädiges Fräulein--(Sieht starr auf den Wirt und zuckt die Schultern.)
Fräulein
(wird den Wirt gewahr und winkt der Franziska). Mein Herr--
Tellheim
Wenn wir uns beiderseits nicht irren--Franziska. Je, Herr Wirt, wen
bringen Sie uns denn da? Geschwind, kommen Sie, lassen Sie uns den
Rechten suchen.
Wirt
Ist es nicht der Rechte? Ei ja doch!
Franziska
Ei nicht doch! Geschwind, kommen Sie; ich habe Ihrer Jungfer Tochter
noch keinen guten Morgen gesagt.
Wirt
Oh! viel Ehre--(Doch ohne von der Stelle zu gehn.)
Franziska
(faßt ihn an). Kommen Sie, wir wollen den Küchenzettel machen.--
Lassen Sie sehen, was wir haben werden--
Wirt
Sie sollen haben, vors erste--
Franziska
Still, ja stille! Wenn das Fräulein jetzt schon weiß, was sie zu
Mittag speisen soll, so ist es um ihren Appetit geschehen. Kommen Sie,
das müssen Sie mir allein sagen. (Führet ihn mit Gewalt ab.)

9. Szene
(v. Tellheim. Das Fräulein)

Fräulein
Nun? irren wir uns noch?
Tellheim
Daß es der Himmel wollte!--Aber es gibt nur eine, und Sie sind es.--
Fräulein
Welche Umstände! Was wir uns zu sagen haben, kann jedermann hören.
Tellheim
Sie hier? Was suchen Sie hier, gnädiges Fräulein?
Fräulein
Nichts suche ich mehr. (Mit offnen Armen auf ihn zugehend.) Alles,
was ich suchte, habe ich gefunden.
Tellheim
(zurückweichend). Sie suchten einen glücklichen, einen Ihrer Liebe
würdigen Mann, und finden--einen Elenden.
Fräulein
So lieben Sie mich nicht mehr?--Und lieben eine andere?
Tellheim
Ah! der hat Sie nie geliebt, mein Fräulein, der eine andere nach
Ihnen lieben kann.
Fräulein
Sie reißen nur einen Stachel aus meiner Seele.--Wenn ich Ihr Herz
verloren habe, was liegt daran, ob mich Gleichgültigkeit oder
mächtigere Reize darum gebracht?--Sie lieben mich nicht mehr: und
lieben auch keine andere?--Unglücklicher Mann, wenn Sie gar nichts
lieben!--
Tellheim
Recht, gnädiges Fräulein; der Unglückliche muß gar nichts lieben. Er
verdient sein Unglück, wenn er diesen Sieg nicht über sich selbst zu
erhalten weiß; wenn er es sich gefallen lassen kann, daß die, welche
er liebt, an seinem Unglück Anteil nehmen dürfen.--Wie schwer ist
dieser Sieg!--Seitdem mir Vernunft und Notwendigkeit befehlen, Minna
von Barnhelm zu vergessen: was für Mühe habe ich angewandt! Eben
wollte ich anfangen zu hoffen, daß diese Mühe nicht ewig vergebens
sein würde:--und Sie erscheinen, mein Fräulein!--
Fräulein
Versteh ich Sie recht?--Halten Sie, mein Herr; lassen Sie sehen, wo
wir sind, ehe wir uns weiter verirren!--Wollen Sie mir die einzige
Frage beantworten?
Tellheim
Jede, mein Fräulein--
Fräulein
Wollen Sie mir auch ohne Wendung, ohne Winkelzug antworten? Mit
nichts als einem trockenen Ja oder Nein?
Tellheim
Ich will es--wenn ich kann.
Fräulein
Sie können es.--Gut: ohngeachtet der Mühe, die Sie angewendet, mich zu
vergessen--lieben Sie mich noch, Tellheim?
Tellheim
Mein Fräulein, diese Frage--
Fräulein
Sie haben versprochen, mit nichts als Ja oder Nein zu antworten.
Tellheim
Und hinzugesetzt: wenn ich kann.
Fräulein
You have read 1 text from German literature.
Next - Minna von Barnhelm - 3
  • Parts
  • Minna von Barnhelm - 1
    Total number of words is 4331
    Total number of unique words is 1262
    43.2 of words are in the 2000 most common words
    56.4 of words are in the 5000 most common words
    62.1 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Minna von Barnhelm - 2
    Total number of words is 4169
    Total number of unique words is 1110
    45.4 of words are in the 2000 most common words
    57.9 of words are in the 5000 most common words
    62.3 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Minna von Barnhelm - 3
    Total number of words is 4401
    Total number of unique words is 1173
    44.4 of words are in the 2000 most common words
    56.3 of words are in the 5000 most common words
    61.2 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Minna von Barnhelm - 4
    Total number of words is 4263
    Total number of unique words is 1329
    37.0 of words are in the 2000 most common words
    47.5 of words are in the 5000 most common words
    52.8 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Minna von Barnhelm - 5
    Total number of words is 4238
    Total number of unique words is 1187
    44.2 of words are in the 2000 most common words
    55.7 of words are in the 5000 most common words
    60.8 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Minna von Barnhelm - 6
    Total number of words is 4101
    Total number of unique words is 1173
    41.2 of words are in the 2000 most common words
    53.7 of words are in the 5000 most common words
    59.4 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.