Minna von Barnhelm - 3

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Sie können; Sie müssen wissen, was in Ihrem Herzen vorgeht.--Lieben
Sie mich noch, Tellheim?--Ja oder Nein.
Tellheim
Wenn mein Herz--
Fräulein
Ja oder Nein!
Tellheim
Nun, Ja!
Fräulein
Ja?
Tellheim
Ja, ja!--Allein--
Fräulein
Geduld!--Sie lieben mich noch: genug für mich.--In was für einen Ton
bin ich mit Ihnen gefallen! ein widriger, melancholischer,
ansteckender Ton.--Ich nehme den meinigen wieder an.--Nun, mein lieber
Unglücklicher, Sie lieben mich noch und haben Ihre Minna noch und sind
unglücklich? Hören Sie doch, was Ihre Minna für ein eingebildetes,
albernes Ding war--ist. Sie ließ, sie laßt sich träumen, Ihr ganzes
Glück sei sie.--Geschwind, kramen Sie Ihr Unglück aus. Sie mag
versuchen, wieviel sie dessen aufwiegt.--Nun?
Tellheim
Mein Fräulein, ich bin nicht gewohnt zu klagen.
Fräulein
Sehr wohl. Ich wüßte auch nicht, was mir an einem Soldaten, nach dem
Prahlen, weniger gefiele als das Klagen. Aber es gibt eine gewisse
kalte, nachlässige Art, von seiner Tapferkeit und von seinem Unglücke
zu sprechen--
Tellheim
Die im Grunde doch auch geprahlt und geklagt ist.
Fräulein
Oh, mein Rechthaber, so hätten Sie sich auch gar nicht unglücklich
nennen sollen.--Ganz geschwiegen oder ganz mit der Sprache heraus.--
Eine Vernunft, eine Notwendigkeit, die Ihnen mich zu vergessen
befiehlt?--Ich bin eine große Liebhaberin von Vernunft, ich habe sehr
viel Ehrerbietung für die Notwendigkeit.--Aber lassen Sie doch hören,
wie vernünftig diese Vernunft, wie notwendig diese Notwendigkeit ist.
Tellheim
Wohl denn; so hören Sie, mein Fräulein.--Sie nennen mich Tellheim; der
Name trifft ein.--Aber Sie meinen, ich sei der Tellheim, den Sie in
Ihrem Vaterlande gekannt haben; der blühende Mann, voller Ansprüche,
voller Ruhmbegierde; der seines ganzen Körpers, seiner ganzen Seele
mächtig war, vor dem die Schranken der Ehre und des Glückes eröffnet
standen, der Ihres Herzens und Ihrer Hand, wenn er schon Ihrer noch
nicht würdig war, täglich würdiger zu werden hoffen durfte.--Dieser
Tellheim bin ich ebensowenig, als ich mein Vater bin. Beide sind
gewesen.--Ich bin Tellheim, der Verabschiedete, der an seiner Ehre
Gekränkte, der Krüppel, der Bettler.--Jenem, mein Fräulein,
versprachen Sie sich: wollen Sie diesem Wort halten?--
Fräulein
Das klingt sehr tragisch!--Doch, mein Herr, bis ich jenen wiederfinde--
in die Tellheims bin ich nun einmal vernarret--, dieser wird mir schon
aus der Not helfen müssen.--Deine Hand, lieber Bettler! (Indem sie
ihn bei der Hand ergreift.)
Tellheim
(der die andere Hand mit dem Hute vor das Gesicht schlägt und sich von
ihr abwendet). Das ist zu viel!--Wo bin ich?--Lassen Sie mich,
Fräulein! Ihre Güte foltert mich!--Lassen Sie mich.
Fräulein
Was ist Ihnen? Wo wollen Sie hin?
Tellheim
Von Ihnen!--
Fräulein
Von mir? (Indem sie seine Hand an ihre Brust zieht.) Träumer!
Tellheim
Die Verzweiflung wird mich tot zu Ihren Füßen werfen.
Fräulein
Von mir?
Tellheim
Von Ihnen.--Sie nie, nie wiederzusehen.--Oder doch so entschlossen, so
fest entschlossen--keine Niederträchtigkeit zu begehen--Sie keine
Unbesonnenheit begehen zu lasen.--Lassen Sie mich, Minna! (Reißt sich
los und ab.)
Fräulein
(ihm nach). Minna Sie lasen? Tellheim! Tellheim!


3. Akt

1. Szene
(Die Szene: Der Saal.) (Just, einen Brief in der Hand)

Just
Muß ich doch noch einmal in das verdammte Haus kommen!--Ein Briefchen
von meinem Herrn an das gnädige Fräulein, das seine Schwester sein
will.--Wenn sich nur da nichts anspinnt!--Sonst wird des Brieftragens
kein Ende werden.--Ich wär es gern los, aber ich möchte auch nicht
gern ins Zimmer hinein.--Das Frauenszeug fragt so viel, und ich
antworte so ungern!--Ha, die Türe geht auf. Wie gewünscht! das
Kammerkätzchen!

2. Szene
(Franziska. Just)

Franziska
(zur Türe herein, aus der sie kömmt). Sorgen Sie nicht; ich will
schon aufpassen.--Sieh! (indem sie Justen gewahr wird) da stieße mir
ja gleich was auf. Aber mit dem Vieh ist nichts anzufangen.
Just
Ihr Diener, Jungfer--
Franziska
Ich wollte so einen Diener nicht--
Just
Nu, nu, verzeih Sie mir die Redensart!--Da bring ich ein Briefchen von
meinem Herrn an Ihre Herrschaft, das gnädige Fräulein--Schwester.--
War's nicht so? Schwester.
Franziska
Geb Er her! (Reißt ihm den Brief aus der Hand.)
Just
Sie soll so gut sein, läßt mein Herr bitten, und es übergeben.
Hernach soll Sie so gut sein, läßt mein Herr bitten--daß Sie nicht
etwa denkt, ich bitte was!--
Franziska
Nun denn?
Just
Mein Herr versteht den Rummel. Er weiß, daß der Weg zu den Fräuleins
durch die Kammermädchen geht:--bild ich mir ein!--Die Jungfer soll
also so gut sein--läßt mein Herr bitten--und ihm sagen lassen, ob er
nicht das Vergnügen haben könnte, die Jungfer auf ein Viertelstündchen
zu sprechen.
Franziska
Mich?
Just
Verzeih Sie mir, wenn ich Ihr einen unrechten Titel gebe.--Ja, Sie!--
Nur auf ein Viertelstündchen; aber allein, ganz allein, insgeheim,
unter vier Augen. Er hätte Ihr was sehr Notwendiges zu sagen.
Franziska
Gut! ich habe ihm auch viel zu sagen.--Er kann nur kommen, ich werde
zu seinem Befehle sein.
Just
Aber, wenn kann er kommen? Wenn ist es Ihr am gelegensten, Jungfer?
So in der Dämmerung?--
Franziska
Wie meint Er das?--Sein Herr kann kommen, wenn er will--und damit
packe Er sich nur!
Just
Herzlich gern! (Will fortgehen.)
Franziska
Hör Er doch; noch auf ein Wort.--Wo sind denn die andern Bedienten des
Majors?
Just
Die andern? Dahin, dorthin, überallhin.
Franziska
Wo ist Wilhelm?
Just
Der Kammerdiener? den läßt der Major reisen.
Franziska
So? Und Philipp, wo ist der?
Just
Der Jäger? den hat der Herr aufzuheben gegeben.
Franziska
Weil er jetzt keine Jagd hat, ohne Zweifel.--Aber Martin?
Just
Der Kutscher? der ist weggeritten.
Franziska
Und Fritz?
Just
Der Läufer? der ist avanciert.
Franziska
Wo war Er denn, als der Major bei uns in Thüringen im Winterquartiere
stand? Er war wohl noch nicht bei ihm?
Just
O ja, ich war Reitknecht bei ihm, aber ich lag im Lazarett.
Franziska
Reitknecht? Und jetzt is Er?
Just
Alles in allem; Kammerdiener und Jäger, Läufer und Reitknecht.
Franziska
Das muß ich gestehen! So viele gute, tüchtige Leute von sich zu
lassen und gerade den Allerschlechtesten zu behalten! Ich möchte doch
wissen, was Sein Herr an Ihm fände!
Just
Vielleicht findet er, daß ich ein ehrlicher Kerl bin.
Franziska
Oh, man ist auch verzweifelt wenig, wenn man weiter nichts ist als
ehrlich.--Wilhelm war ein andrer Mensch--Reisen läßt ihn der Herr?
Just
Ja, er läßt ihn--da er's nicht hindern kann.
Franziska
Wie?
Just
Oh, Wilhelm wird sich alle Ehre auf seinen Reisen machen. Er hat des
Herrn ganze Garderobe mit.
Franziska
Was? Er ist doch nicht damit durchgegangen?
Just
Das kann man nun eben nicht sagen; sondern als wir von Nürnberg
weggingen, ist er uns nur nicht damit nachgekommen.
Franziska
Oh, der Spitzbube!
Just
Es war ein ganzer Mensch! Er konnte frisieren und rasieren und
parlieren--und scharmieren--Nicht wahr?
Franziska
Sonach hätte ich den Jäger nicht von mir getan, wenn ich wie der Major
gewesen wäre. Konnte er ihn schon nicht als Jäger nützen, so war es
doch sonst ein tüchtiger Bursche.--Wem hat er ihn denn aufzuheben
gegeben?
Just
Dem Kommandanten von Spandau.
Franziska
Der Festung? Die Jagd auf den Wällen kann doch da auch nicht groß
sein.
Just
Oh, Philipp jagt auch da nicht.
Franziska
Was tut er denn?
Just
Er karrt.
Franziska
Er karrt?
Just
Aber nur auf drei Jahr. Er machte ein kleines Komplott unter des
Herrn Kompanie und wollte sechs Mann durch die Vorposten bringen.--
Franziska
Ich erstaune, der Bösewicht!
Just
Oh, es ist ein tüchtiger Kerl! Ein Jäger, der funfzig Meilen in der
Runde durch Wälder und Moräste alle Fußsteige, alle Schleifwege kennt.
Und schießen kann er!
Franziska
Gut, daß der Major nur noch den braven Kutscher hat!
Just
Hat er ihn noch?
Franziska
Ich denke, Er sagte, Martin wäre weggeritten? So wird er doch wohl
wiederkommen?
Just
Meint Sie?
Franziska
Wo ist er denn hingeritten?
Just
Es geht nun in die zehnte Woche, da ritt er mit des Herrn einzigem und
letztem Reitpferde--nach der Schwemme.
Franziska
Und ist noch nicht wieder da? Oh, der Galgenstrick!
Just
Die Schwemme kann den braven Kutscher auch wohl verschwemmt haben!--Es
war gar ein rechter Kutscher! Er hatte in Wien zehn Jahre gefahren.
So einen kriegt der Herr gar nicht wieder. Wenn die Pferde im vollen
Rennen waren, so durfte er nur machen: "Burr!" und auf einmal standen
sie wie die Mauern. Dabei war er ein ausgelernter Roßarzt!
Franziska
Nun ist mir für das Avancement des Läufers bange.
Just
Nein, nein, damit hat's seine Richtigkeit. Er ist Trommelschläger bei
einem Garnisonregimente geworden.
Franziska
Dacht ich's doch!
Just
Fritz hing sich an ein liederliches Mensch, kam des Nachts niemals
nach Hause, machte auf des Herrn Namen überall Schulden und tausend
infame Streiche. Kurz, der Major sahe, daß er mit aller Gewalt höher
wollte: (das Hängen pantomimisch anzeigend) er brachte ihn also auf
guten Weg.
Franziska
Oh, der Bube!
Just
Aber ein perfekter Läufer ist er, das ist gewiß. Wenn ihm der Herr
funfzig Schritte vorgab, so konnte er ihn mit seinem besten Renner
nicht einholen. Fritz hingegen kann dem Galgen tausend Schritte
vorgeben und, ich wette mein Leben, er holt ihn ein.--Es waren wohl
alles Ihre guten Freunde, Jungfer? Der Wilhelm und der Philipp, der
Martin und der Fritz?--Nun, Just empfiehlt sich! (Geht ab.)

3. Szene
(Franziska und hernach der Wirt.)

Franziska
(die ihm ernsthaft nachsieht). Ich verdiene den Biß!--Ich bedanke
mich, Just. Ich setzte die Ehrlichkeit zu tief herab. Ich will die
Lehre nicht vergessen.--Ah! der unglückliche Mann! (Kehrt sich um
und will nach dem Zimmer des Fräuleins gehen, indem der Wirt kömmt.)
Wirt
Warte Sie doch, mein schönes Kind.
Franziska
Ich habe jetzt nicht Zeit, Herr Wirt--
Wirt
Nun ein kleines Augenblickchen!--Noch keine Nachricht weiter von dem
Herrn Major? Das konnte doch unmöglich sein Abschied sein!--
Franziska
Was denn?
Wirt
Hat es Ihr das gnädige Fräulein nicht erzählt?--Als ich Sie, mein
schönes Kind, unten in der Küche verließ, so kam ich von ungefähr
wieder hier in den Saal--
Franziska
Von ungefähr, in der Absicht, ein wenig zu horchen.
Wirt
Ei, mein Kind, wie kann Sie das von mir denken? Einem Wirte läßt
nichts übler als Neugierde.--Ich war nicht lange hier, so prellte auf
einmal die Türe bei dem gnädigen Fräulein auf. Der Major stürzte
heraus, das Fräulein ihm nach, beide in einer Bewegung, mit Blicken,
in einer Stellung--so was läßt sich nur sehen. Sie ergriff ihn, er
riß sich los, sie ergriff ihn wieder. "Tellheim!"--Fräulein, lassen
Sie mich!"--"Wohin?"--So zog er sie bis an die Treppe. Mir war schon
bange, er würde sie mit herabreißen. Aber er wand sich noch los. Das
Fräulein blieb an der obersten Schwelle stehn, sah ihm nach, rief ihm
nach, rang die Hände. Auf einmal wandte sie sich um, lief nach dem
Fenster, von dem Fenster wieder zur Treppe, von der Treppe in dem
Saale hin und wider. Hier stand ich, hier ging sie dreimal bei mir
vorbei, ohne mich zu sehen. Endlich war es, als ob sie mich sähe,
aber, Gott sei bei uns! ich glaube, das Fräulein sahe mich für Sie an,
mein Kind. "Franziska", rief sie, die Augen auf mich gerichtet, "bin
ich nun glücklich?" Darauf sahe sie steif an die Decke und wiederum:
"Bin ich nun glücklich?" Darauf wischte sie sich Tränen aus dem Auge
und lächelte und fragte mich wiederum: "Franziska, bin ich nun
glücklich?"--Wahrhaftig, ich wußte nicht, wie mir war. Bis sie nach
ihrer Türe lief, da kehrte sie sich nochmals nach mir um: "So komm
doch, Franziska; wer jammert dich nun?"--Und damit hinein.
Franziska
Oh, Herr Wirt, das hat Ihnen geträumt.
Wirt
Geträumt? Nein, mein schönes Kind, so umständlich träumt man nicht.--
Ja, ich wollte wieviel drum geben--ich bin nicht neugierig--aber ich
wollte wieviel drum geben, wenn ich den Schlüssel dazu hätte.
Franziska
Den Schlüssel? zu unsrer Türe? Herr Wirt, der steckt innerhalb; wir
haben ihn zur Nacht hereingezogen; wir sind furchtsam.
Wirt
Nicht so einen Schlüssel; ich will sagen, mein schönes Kind, den
Schlüssel, die Auslegung gleichsam, so den eigentlichen Zusammenhang
von dem, was ich gesehen.--
Franziska
Ja so!--Nun, adieu, Herr Wirt. Werden wir bald essen, Herr Wirt?
Wirt
Mein schönes Kind, nicht zu vergessen, was ich eigentlich sagen wollte.

Franziska
Nun? aber nur kurz--
Wirt
Das gnädige Fräulein hat noch meinen Ring; ich nenne ihn meinen--
Franziska
Er soll Ihnen unverloren sein.
Wirt
Ich trage darum auch keine Sorge; ich will's nur erinnern, sieht Sie,
ich will ihn gar nicht einmal wiederhaben. Ich kann mir doch wohl an
den Fingern abzählen, woher sie den Ring kannte, und woher er dem
ihrigen so ähnlich sah. Er ist in ihren Händen am besten aufgehoben.
Ich mag ihn gar nicht mehr und will indes die hundert Pistolen, die
ich darauf gegeben habe, auf des gnädigen Fräuleins Rechnung setzen.
Nicht so recht, mein schönes Kind?

4. Szene
(Paul Werner. Der Wirt. Franziska.)

Werner
Da ist er ja!
Franziska
Hundert Pistolen? Ich meinte, nur achtzig.
Wirt
Es ist wahr, nur neunzig, nur neunzig. Das will ich tun, mein schönes
Kind, das will ich tun.
Franziska
Alles das wird sich finden, Herr Wirt.
Werner
(der ihnen hinterwärts näher kömmt und auf einmal der Franziska auf
die Schulter klopft). Frauenzimmerchen! Frauenzimmerchen!
Franziska
(erschrickt). He!
Werner
Erschrecke Sie nicht!--Frauenzimmerchen, Frauenzimmerchen, ich sehe,
Sie ist hübsch und ist wohl gar fremd--Und hübsche fremde Leute müssen
gewarnet werden--Frauenzimmerchen, Frauenzimmerchen, nehm Sie sich vor
dem Manne in acht! (Auf den Wirt zeigend.)
Wirt
Je, unvermutete Freude! Herr Paul Werner! Willkommen bei uns,
willkommen!--Ah, es ist doch immer noch der lustige, spaßhafte,
ehrliche Werner!--Sie soll sich vor mir in acht nehmen, mein schönes
Kind! Ha, ha, ha!
Werner
Geh Sie ihm überall aus dem Wege!
Wirt
Mir! mir!--Bin ich denn so gefährlich?--Ha, ha, ha! Hör' Sie doch,
mein schönes Kind! Wie gefällt Ihr der Spaß?
Werner
Daß es doch immer Seinesgleichen für Spaß erklären, wenn man ihnen die
Wahrheit sagt.
Wirt
Die Wahrheit! ha, ha, ha!--Nicht wahr, mein schönes Kind, immer
besser! Der Mann kann spaßen! Ich gefährlich?--ich?--So vor zwanzig
Jahren war was dran. Ja, ja, mein schönes Kind, da war ich gefährlich;
da wußte manche davon zu sagen; aber jetzt--
Werner
Oh, über den alten Narrn!
Wirt
Da steckt's eben! Wenn wir alt werden, ist es mit unsrer
Gefährlichkeit aus. Es wird Ihm auch nicht besser gehen, Herr Werner!

Werner
Potz Geck und kein Ende!--Frauenzimmerchen, so viel Verstand wird Sie
mir wohl zutrauen, daß ich von der Gefährlichkeit nicht rede. Der
eine Teufel hat ihn verlassen, aber es sind dafür sieben andre in ihn
gefahren--
Wirt
Oh, hör Sie doch, hör Sie doch! Wie er das nun wieder so
herumzubringen weiß!--Spaß über Spaß und immer was Neues! Oh, es ist
ein vortrefflicher Mann, der Herr Paul Werner!--(Zur Franziska, als
ins Ohr.) Ein wohlhabender Mann und noch ledig. Er hat drei Meilen
von hier ein schönes Freischulzengerichte. Der hat Beute gemacht im
Kriege!--Und ist Wachtmeister bei unserm Herrn Major gewesen. Oh, das
ist ein Freund von unserm Herrn Major! das ist ein Freund! der sich
für ihn totschlagen ließe!--
Werner
Ja! und das ist ein Freund von meinem Major! das ist ein Freund!--
den der Major sollte totschlagen lassen.
Wirt
Wie? was?--Nein, Herr Werner, das ist nicht guter Spaß.--Ich kein
Freund vom Herrn Major?--Nein, den Spaß versteh ich nicht.
Werner
Just hat mir schöne Dinge erzählt.
Wirt
Just? Ich dacht's wohl, daß Just durch Sie spräche. Just ist ein
böser, garstiger Mensch. Aber hier ist ein schönes Kind zur Stelle;
das kann reden; das mag sagen, ob ich kein Freund von dem Herrn Major
bin? Ob ich ihm keine Dienste erwiesen habe? Und warum sollte ich
nicht sein Freund sein? Ist er nicht ein verdienter Mann? Es ist
wahr, er hat das Unglück gehabt, abgedankt zu werden: aber was tut
das? Der König kann nicht alle verdiente Männer kennen, und wenn er
sie auch alle kennte, so kann er sie nicht alle belohnen.
Werner
Das heißt Ihn Gott sprechen!--Aber Just--freilich ist an Justen auch
nicht viel Besonders, doch ein Lügner ist Just nicht; und wenn das
wahr wäre, was er mir gesagt hat--
Wirt
Ich will von Justen nichts hören! Wie gesagt: das schöne Kind hier
mag sprechen! (Zu ihr ins Ohr.) Sie weiß, mein Kind, den Ring!--
Erzähl' Sie es doch Herrn Wernern. Da wird er mich besser
kennenlernen. Und damit es nicht herauskömmt, als ob Sie mir nur zu
Gefallen rede, so will ich nicht einmal dabei sein. Ich will nicht
dabei sein; ich will gehn; aber Sie sollen mir es wiedersagen, Herr
Werner, Sie sollen mir es wiedersagen, ob Just nicht ein garstiger
Verleumder ist.

5. Szene
(Paul Werner. Franziska)

Werner
Frauenzimmerchen, kennt Sie denn meinen Major?
Franziska
Den Major von Tellheim? Jawohl kenn ich den braven Mann.
Werner
Ist es nicht ein braver Mann? Ist Sie dem Manne wohl gut?--
Franziska
Vom Grund meines Herzens.
Werner
Wahrhaftig? Sieht Sie, Frauenzimmerchen; nun kömmt Sie mir noch
einmal so schön vor.--Aber was sind denn das für Dienste, die der Wirt
unserm Major will erwiesen haben?
Franziska
Ich wüßte eben nicht; es wäre denn, daß er sich das Gute zuschreiben
wollte, welches glücklicherweise aus seinem schurkischen Betragen
entstanden.
Werner
So wäre es ja wahr, was mir Just gesagt hat?--(Gegen die Seite, wo der
Wirt abgegangen.) Dein Glück, daß du gegangen bist!--Er hat ihm
wirklich die Zimmer ausgeräumt?--So einem Manne so einen Streich zu
spielen, weil sich das Eselsgehirn einbildet, daß der Mann kein Geld
mehr habe! Der Major kein Geld?
Franziska
So? Hat der Major Geld?
Werner
Wie Heu! Er weiß nicht, wieviel er hat. Er weiß nicht, wer ihm alles
schuldig ist. Ich bin ihm selber schuldig und bringe ihm hier ein
altes Restchen. Sieht Sie, Frauenzimmerchen, hier in diesem
Beutelchen (das er aus der einen Tasche zieht) sind hundert Louisdor
und in diesem Röllchen (das er aus der andern zieht) hundert Dukaten.
Alles sein Geld!
Franziska
Wahrhaftig? Aber warum versetzt denn der Major? Er hat ja einen Ring
versetzt--
Werner
Versetzt! Glaub Sie doch so was nicht. Vielleicht, daß er den Bettel
hat gern wollen los sein.
Franziska
Es ist kein Bettel! Es ist ein sehr kostbarer Ring, den er wohl noch
dazu von lieben Händen hat.
Werner
Das wird's auch sein. Von lieben Händen; ja, ja! So was erinnert
einen manchmal, woran man nicht gern erinnert sein will. Drum schafft
man's aus den Augen.
Franziska
Wie?
Werner
Dem Soldaten geht's in Winterquartieren wunderlich. Da hat er nichts
zu tun und pflegt sich und macht vor langer Weile Bekanntschaften, die
er nur auf den Winter meinet und die das gute Herz, mit dem er sie
macht, für zeitlebens annimmt. Husch ist ihm denn ein Ringelchen an
den Finger praktiziert; er weiß selbst nicht, wie es dran kömmt. Und
nicht selten gäb' er gern den Finger mit drum, wenn er es nur wieder
loswerden könnte.
Franziska
Ei! und sollte es dem Major auch so gegangen sein?
Werner
Ganz gewiß. Besonders in Sachsen; wenn er zehn Finger an jeder Hand
gehabt hätte, er hätte sie alle zwanzig voller Ringe gekriegt.
Franziska
(beiseite). Das klingt ja ganz besonders und verdient untersucht zu
werden.--Herr Freischulze oder Herr Wachmeister--
Werner
Frauenzimmerchen, wenn's Ihr nichts verschlägt:--Herr Wachtmeister,
höre ich am liebsten.
Franziska
Nun, Herr Wachtmeister, hier habe ich ein Briefchen von dem Herrn
Major an meine Herrschaft. Ich will es nur geschwind hereintragen und
bin gleich wieder da. Will Er wohl so gut sein und so lange hier
warten? Ich möchte gar zu gern mehr mit Ihm plaudern.
Werner
Plaudert Sie gern, Frauenzimmerchen? Nun meinetwegen: geh Sie nur;
ich plaudre auch gern; ich will warten.
Franziska
Oh, warte Er doch ja! (Geht ab.)

6. Szene
(Paul Werner.)

Werner
Das ist kein unebenes Frauenzimmerchen!--Aber ich hätte ihr doch nicht
versprechen sollen zu warten.--Denn das Wichtigste wäre wohl, ich
suchte den Major auf.--Er will mein Geld nicht und versetzt lieber?--
Daran kenn ich ihn.--Es fällt mir ein Schneller ein.--Als ich vor
vierzehn Tagen in der Stadt war, besuchte ich die Rittmeisterin
Marloff. Das arme Weib lag krank und jammerte, daß ihr Mann dem Major
vierhundert Taler schuldig geblieben wäre, die sie nicht wüßte, wie
sie sie bezahlen sollte. Heute wollte ich sie wieder besuchen--ich
wollte ihr sagen, wenn ich das Geld für mein Gütchen ausgezahlt
kriegte, daß ich ihr fünfhundert Taler leihen könnte.--Denn ich muß ja
wohl was davon in Sicherheit bringen, wenn's in Persien nicht geht.--
Aber sie war über alle Berge. Und ganz gewiß wird sie dem Major nicht
haben bezahlen können.--Ja, so will ich's machen; und das je eher, je
lieber.--Das Frauenzimmerchen mag mir's nicht übelnehmen; ich kann
nicht warten. (Geht in Gedanken ab und stößt fast auf den Major, der
ihm entgegenkömmt.)

7. Szene
(v. Tellheim. Paul Werner)

Tellheim
So in Gedanken, Werner?
Werner
Da sind Sie ja! ich wollte eben gehen und Sie in Ihrem neuen
Quartiere besuchen, Herr Major.
Tellheim
Um mir auf den Wirt des alten die Ohren vollzufluchen. Gedenke mir
nicht daran.
Werner
Das hätte ich beiher getan; ja. Aber eigentlich wollte ich mich nur
bei Ihnen bedanken, daß Sie so gut gewesen und mir die hundert
Louisdor aufgehoben. Just hat mir sie wiedergegeben. Es wäre mir
wohl freilich lieb, wenn Sie mir sie noch länger aufheben könnten.
Aber Sie sind in ein neu Quartier gezogen, das weder Sie noch ich
kennen. Wer weiß, wie's da ist. Sie könnten Ihnen da gestohlen
werden, und Sie müßten mir sie ersetzen; da hülfe nichts davor. Also
kann ich's Ihnen freilich nicht zumuten.
Tellheim
(lächelnd). Seit wenn bist du so vorsichtig, Werner?
Werner
Es lernt sich wohl. Man kann heutezutage mit seinem Gelde nicht
vorsichtig genug sein.--Darnach hatte ich noch was an Sie zu bestellen,
Herr Major; von der Rittmeisterin Marloff; ich kam eben von ihr her.
Ihr Mann ist Ihnen ja vierhundert Taler schuldig geblieben; hier
schickt sie Ihnen auf Abschlag hundert Dukaten. Das übrige will sie
künftige Woche schicken. Ich mochte wohl selber Ursache sein, daß sie
die Summe nicht ganz schickt. Denn sie war mir auch ein Taler achtzig
schuldig; und weil sie dachte, ich wäre gekommen, sie zu mahnen--wie's
denn auch wohl wahr war--, so gab sie mir sie und gab sie mir aus dem
Röllchen, das sie für Sie schon zurechtgelegt hatte.--Sie können auch
schon eher Ihre hundert Taler ein acht Tage noch missen als ich meine
paar Groschen.--Da nehmen Sie doch! (Reicht ihm die Rolle Dukaten.)
Tellheim
Werner!
Werner
Nun? Warum sehen Sie mich so starr an?--So nehmen Sie doch, Herr
Major!--
Tellheim
Werner!
Werner
Was fehlt Ihnen? Was ärgert Sie?
Tellheim
(bitter, indem er sich vor die Stirne schlägt und mit dem Fuße
auftritt). Daß es--die vierhundert Taler nicht ganz sind!
Werner
Nun, nun, Herr Major! Haben Sie mich denn nicht verstanden?
Tellheim
Eben weil ich dich verstanden habe!--Daß mich doch die besten Menschen
heut am meisten quälen müssen!
Werner
Was sagen Sie?
Tellheim
Es geht dich nur zur Hälfte an!--Geh, Werner! (Indem er die Hand, mit
der ihm Werner die Dukaten reichet, zurückstößt.)
Werner
Sobald ich das los bin!
Tellheim
Werner, wenn du nun von mir hörst, daß die Marloffin heute ganz früh
selbst bei mir gewesen ist?
Werner
So?
Tellheim
Daß sie mir nichts mehr schuldig ist?
Werner
Wahrhaftig?
Tellheim
Daß sie mich bei Heller und Pfennig bezahlt hat: was wirst du denn
sagen?
Werner
(der sich einen Augenblick besinnt). Ich werde sagen, daß ich gelogen
habe, und daß es eine hundsfött'sche Sache ums Lügen ist, weil man
drüber ertappt werden kann.
Tellheim
Und wirst dich schämen? Aber er, der mich so zu lügen zwingt, was
sollte der? Sollte der sich nicht auch schämen? Sehen Sie, Herr
Major, wenn ich sagte, daß mich Ihr Verfahren nicht verdrösse, so
hätte ich wieder gelogen, und ich will nicht mehr lügen.--
Tellheim
Sei nicht verdrießlich, Werner! Ich erkenne dein Herz und deine Liebe
zu mir. Aber ich brauche dein Geld nicht.
Werner
Sie brauchen es nicht? Und verkaufen lieber und versetzen lieber und
bringen sich lieber in der Leute Mäuler?
Tellheim
Die Leute mögen es immer wissen, daß ich nichts mehr habe. Man muß
nicht reicher scheinen wollen, als man ist.
Werner
Aber warum ärmer?--Wir haben, solange unser Freund hat.
Tellheim
Es ziemt sich nicht, daß ich dein Schuldner bin.
Werner
Ziemt sich nicht?--Wenn an einem heißen Tage, den uns die Sonne und
der Feind heiß machte, sich Ihr Reitknecht mit den Kantinen verloren
hatte, und Sie zu mir kamen und sagten: "Werner, hast du nichts zu
trinken?" und ich Ihnen meine Feldflasche reichte, nicht wahr, Sie
nahmen und tranken?--Ziemte sich das?--Bei meiner armen Seele, wenn
ein Trunk faules Wasser damals nicht oft mehr wert war als alle der
Quark! (Indem er auch den Beutel mit den Louisdoren herauszieht und
ihm beides hinreicht.) Nehmen Sie, lieber Major! Bilden Sie sich ein,
es ist Wasser. Auch das hat Gott für alle geschaffen.
Tellheim
Du marterst mich; du hörst es ja, ich will dein Schuldner nicht sein.
Werner
Erst ziemte es sich nicht; nun wollen Sie nicht? Ja, das ist was
anders. (Etwas ärgerlich.) Sie wollen mein Schuldner nicht sein?
Wenn Sie es denn aber schon wären, Herr Major? Oder sind Sie dem
Manne nichts schuldig, der einmal den Hieb auffing, der Ihnen den Kopf
spalten sollte, und ein andermal den Arm vom Rumpfe hieb, der eben
losdrücken und Ihnen die Kugel durch die Brust jagen wollte?--Was
können Sie diesem Manne mehr schuldig werden? Oder hat es mit meinem
Halse weniger zu sagen als mit meinem Beutel?--Wenn das vornehm
gedacht ist, bei meiner armen Seele, so ist es auch sehr abgeschmackt
gedacht!
Tellheim
Mit wem sprichst du so, Werner? Wir sind allein; jetzt darf ich es
sagen; wenn uns ein Dritter hörte, so wäre es Windbeutelei. Ich
bekenne es mit Vergnügen, daß ich dir zweimal mein Leben zu danken
habe. Aber, Freund, woran fehlte mir es, daß ich bei Gelegenheit
nicht ebensoviel für dich würde getan haben? He!
Werner
Nur an der Gelegenheit! Wer hat daran gezweifelt, Herr Major? Habe
ich Sie nicht hundertmal für den gemeinsten Soldaten, wenn er ins
Gedränge gekommen war, Ihr Leben wagen sehen?
Tellheim
Also!
Werner
Aber--
Tellheim
Warum verstehst du mich nicht recht? Ich sage: es ziemt sich nicht,
daß ich dein Schuldner bin; ich will dein Schuldner nicht sein.
Nämlich in den Umständen nicht, in welchen ich mich jetzt befinde.
Werner
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