Egmont - 6

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mir ein schwarzes Gerüst entgegen, geräumig, hoch; mir grauste vor dem
Anblick. Geschäftig waren viele rings umher bemüht, was noch von
Holzwerk weiß und sichtbar war, mit schwarzem Tuch einhüllend zu
verkleiden. Die Treppen deckten sie zuletzt auch schwarz, ich sah es
wohl. Sie schienen die Weihe eines gräßlichen Opfers vorbereitend zu
begehn. Ein weißes Kruzifix, das durch die Nacht wie Silber blinkte,
ward an der einen Seite hoch aufgesteckt. Ich sah, und sah die
schreckliche Gewißheit immer gewisser. Noch wankten Fackeln hie und da
herum; allmählich wichen sie und erloschen. Auf einmal war die
scheußliche Geburt der Nacht in ihrer Mutter Schoß zurückgekehrt.
Klärchen. Still Brackenburg! Nun still! Laß diese Hülle auf meiner
Seele ruhn. Verschwunden sind die Gespenster, und du, holde Nacht, leih'
deinen Mantel der Erde, die in sich gärt; sie trägt nicht länger die
abscheuliche Last, reißt ihre tiefen Spalten grausend auf und knirscht
das Mordgerüst hinunter. Und irgend einen Engel sendet der Gott, den sie
zum Zeugen ihrer Wut geschändet; vor des Boten heiliger Berührung lösen
sich Riegel und Bande, und er umgießt den Freund mit mildem Schimmer; er
führt ihn durch die Nacht zur Freiheit sanft und still. Und auch mein
Weg geht heimlich in dieser Dunkelheit, ihm zu begegnen.
Brackenburg (sie aufhaltend). Mein Kind, wohin? was wagst du?
Klärchen. Leise, Lieber, daß niemand erwache! daß wir uns selbst nicht
wecken! Kennst du dies Fläschchen, Brackenburg? Ich nahm dir's scherzend,
als du mit übereiltem Tod oft ungeduldig drohtest.--Und nun, mein Freund--
Brackenburg. In aller Heiligen Namen!--
Klärchen. Du hinderst nichts. Tod ist mein Teil! und gönne mir den
sanften schnellen Tod, den du dir selbst bereitetest. Gieb' mir deine
Hand!--Im Augenblick, da ich die dunkle Pforte eröffne, aus der kein
Rückweg ist, könnt' ich mit diesem Händedruck dir sagen: wie sehr ich
dich geliebt, wie sehr ich dich bejammert! Mein Bruder starb mir jung;
dich wählt' ich, seine Stelle zu ersetzen. Es widersprach dein Herz, und
quälte sich und mich, verlangtest heiß und immer heißer, was dir nicht
beschieden war. Vergieb' mir und leb' wohl! Laß mich dich Bruder nennen!
Es ist ein Name, der viel Namen in sich faßt. Nimm die letzte schöne
Blume der Scheidenden mit treuem Herzen ab--nimm diesen Kuß.--Der Tod
vereinigt alles, Brackenburg, uns denn auch.
Brackenburg. So laß mich mit dir sterben! Teile! Teile! Es ist genug,
zwei Leben auszulöschen.
Klärchen. Bleib! du sollst leben, du kannst leben.--Steh meiner Mutter
bei, die ohne dich in Armut sich verzehren würde. Sei ihr, was ich ihr
nicht mehr sein kann; lebt zusammen, und beweint mich. Beweint das
Vaterland und den, der es allein erhalten konnte. Das heutige Geschlecht
wird diesen Jammer nicht los; die Wut der Rache selbst vermag ihn nicht
zu tilgen. Lebt, ihr Armen, die Zeit noch hin, die keine Zeit mehr ist.
Heut' steht die Welt auf einmal still; es stockt ihr Kreislauf, und mein
Puls schlägt kaum noch wenige Minuten. Leb' wohl!
Brackenburg. O, lebe du mit uns, wie wir für dich allein! Du tötest uns
in dir, o leb' und leide! Wir wollen unzertrennlich dir zu beiden Seiten
stehn, und immer achtsam soll die Liebe den schönsten Trost in ihren
lebendigen Armen dir bereiten. Sei unser! Unser! Ich darf nicht sagen,
mein.
Klärchen. Leise, Brackenburg! Du fühlst nicht, was du rührst. Wo
Hoffnung dir erscheint, ist mir Verzweiflung.
Brackenburg. Teile mit den Lebendigen die Hoffnung! Verweil' am Rande
des Abgrundes, schau' hinab und sieh auf uns zurück.
Klärchen. Ich hab' überwunden, ruf' mich nicht wieder zum Streit.
Brackenburg. Du bist betäubt; gehüllt in Nacht suchst du die Tiefe.
Noch ist nicht jedes Licht erloschen, noch mancher Tag!--
Klärchen. Weh! über dich Weh! Weh! Grausam zerreißest du den Vorhang
vor meinem Auge. Ja, er wird grauen, der Tag! vergebens alle Nebel um
sich ziehn und wider Willen grauen! Furchtsam schaut der Bürger aus
seinem Fenster, die Nacht läßt einen schwarzen Flecken zurück; er schaut,
und fürchterlich wächst im Lichte das Mordgerüst. Neu leidend wendet das
entweihte Gottesbild sein flehend Auge zum Vater auf. Die Sonne wagt
sich nicht hervor; sie will die Stunde nicht bezeichnen, in der er sterben
soll. Träge gehn die Zeiger ihren Weg, und eine Stunde nach der andern
schlägt. Halt! Halt! nun ist es Zeit! mich scheucht des Morgens Ahnung
in das Grab. (Sie tritt ans Fenster, als sähe sie sich um, und trinkt
heimlich.)
Brackenburg. Kläre! Kläre!
Klärchen (geht nach dem Tisch und trinkt das Wasser). Hier ist der Rest!
Ich locke dich nicht nach. Thu', was du darfst, leb' wohl. Lösche diese
Lampe still und ohne Zaudern, ich geh' zur Ruhe. Schleiche dich sachte
weg, ziehe die Thür nach dir zu. Still! Wecke meine Mutter nicht! Geh,
rette dich. Rette dich, wenn du nicht mein Mörder scheinen willst. (Ab.)
Brackenburg. Sie läßt mich zum letztenmale, wie immer. O, könnte eine
Menschenseele fühlen, wie sie ein liebend Herz zerreißen kann. Sie läßt
mich stehn, mir selber überlassen; und Tod und Leben ist mir gleich
verhaßt.--Allein zu sterben!--Weint, ihr Liebenden! Kein härter
Schicksal ist als meins! Sie teilt mit mir den Todestropfen und schickt
mich weg! von ihrer Seite weg! Sie zieht mich nach, und stößt ins Leben
mich zurück. O Egmont, welch preiswürdig Los fällt dir! Sie geht voran;
der Kranz des Siegs aus ihrer Hand ist dein, sie bringt den ganzen Himmel
dir entgegen!--Und soll ich folgen? wieder seitwärts stehn? den
unauslöschlichen Neid in jene Wohnungen hinübertragen?--Auf Erden ist
kein Bleiben mehr für mich, und Höll' und Himmel bieten gleiche Qual.
Wie wäre der Vernichtung Schreckenshand dem Unglückseligen willkommen!
(Brackenburg geht ab, das Theater bleibt einige Zeit unverändert. Eine
Musik, Klärchens Tod bezeichnend, beginnt; die Lampe, welche Brackenburg
auszulöschen vergessen, flammt noch einigemal auf, dann erlischt sie.
Bald verwandelt sich der Schauplatz in das

Gefängnis.
(Egmont liegt schlafend auf dem Ruhebette. Es entsteht ein Gerassel mit
Schlüsseln, und die Thür thut sich auf. Diener mit Fackeln treten herein;
ihnen folgt Ferdinand, Albas Sohn, und Silva, begleitet von Gewaffneten.
Egmont fährt aus dem Schlaf auf.)
Egmont. Wer seid ihr, die ihr mir unfreundlich den Schlaf von den Augen
schüttelt? Was künden eure trotzigen, unsichern Blicke mir an? Warum
diesen fürchterlichen Aufzug? Welchen Schrekkenstraum kommt ihr der
halberwachten Seele vorzulügen?
Silva. Uns schickt der Herzog, dir dein Urteil anzukündigen.
Egmont. Bringst du den Henker auch mit, es zu vollziehen?
Silva. Vernimm es, so wirst du wissen, was deiner wartet.
Egmont. So ziemt es euch und euerm schändlichen Beginnen! In Nacht
gebrütet und in Nacht vollführt. So mag diese freche Tat der
Ungerechtigkeit sich verbergen!--Tritt kühn hervor, der du das Schwert
verhüllt unter dem Mantel trägst; hier ist mein Haupt, das freieste, das
je die Tyrannei vom Rumpf gerissen.
Silva. Du irrst! Was gerechte Richter beschließen, werden sie vorm
Angesicht des Tages nicht verbergen.
Egmont. So übersteigt die Frechheit jeden Begriff und Gedanken.
Silva (nimmt einem Dabeistehenden das Urteil ab, entfaltet's und liest's).
"Im Namen des Königs, und kraft besonderer von Seiner Majestät uns
übertragenen Gewalt, alle seine Unterthanen, wes Standes sie seien,
zugleich die Ritter des goldnen Vließes zu richten, erkennen wir--"
Egmont. Kann die der König übertragen?
Silva. "Erkennen wir, nach vorgängiger genauer, gesetzlicher
Untersuchung, dich Heinrich Grafen Egmont, Prinzen von Gaure, des
Hochverrats schuldig, und sprechen das Urteil: daß du mit der Frühe des
einbrechenden Morgens aus dem Kerker auf den Markt geführt, und dort vorm
Angesicht des Volks zur Warnung aller Verräter mit dem Schwerte vom Leben
zum Tode gebracht werden sollest. Gegeben Brüssel am" (Datum und
Jahrzahl werden undeutlich gelesen, so, daß sie der Zuhörer nicht
versteht.) "Ferdinand, Herzog von Alba, Vorsitzer des Gerichts der Zwölfe."
Du weißt nun dein Schicksal; es bleibt dir wenige Zeit, dich drein zu
ergeben, dein Haus zu bestellen und von den Deinigen Abschied zu nehmen.
(Silva mit dem Gefolge geht ab. Es bleibt Ferdinand und zwei Fackeln;
das Theater ist mäßig erleuchtet.)
Egmont (hat eine Weile in sich versenkt, stille gestanden und Silva, ohne
sich umzusehen, abgehen lassen. Er glaubt sich allein, und da er die
Augen aufhebt, erblickt er Albas Sohn). Du stehst und bleibst? Willst
du mein Erstaunen, mein Entsetzen noch durch deine Gegenwart vermehren?
Willst du noch etwa die willkommne Botschaft deinem Vater bringen, daß
ich unmännlich verzweifle? Geh! Sag' ihm! Sag' ihm, daß er weder mich,
noch die Welt belügt. Ihm, dem Ruhmsüchtigen, wird man es erst hinter
den Schultern leise lispeln, dann laut und lauter sagen, und wenn er
einst von diesem Gipfel herabsteigt, werden tausend Stimmen es ihm
entgegen rufen: Nicht das Wohl des Staats, nicht die Würde des Königs,
nicht die Ruhe der Provinzen haben ihn hierher gebracht. Um sein selbst
willen hat er Krieg geraten, daß der Krieger im Kriege gelte. Er hat
diese ungeheure Verwirrung erregt, damit man seiner bedürfe. Und ich
falle, ein Opfer seines niedrigen Hasses, seines kleinlichen Neides. Ja,
ich weiß es, und ich darf es sagen; der Sterbende, der tödlich Verwundete
kann es sagen: mich hat der Eingebildete beneidet; mich wegzutilgen, hat
er lange gesonnen und gedacht.
Schon damals, als wir noch jünger mit Würfeln spielten und die Haufen
Goldes, einer nach dem andern, von seiner Seite zu mir herübereilten, da
stand er grimmig, log Gelassenheit, und innerlich verzehrte ihn die
Ärgernis, mehr über mein Glück, als über seinen Verlust. Noch erinnere
ich mich des funkelnden Blicks, der verräterischen Blässe, als wir an
einem öffentlichen Feste vor vielen tausend Menschen um die Wette
schossen. Er forderte mich auf, und beide Nationen standen; die Spanier,
die Niederländer wetteten und wünschten. Ich überwand ihn; seine Kugel
irrte, die meine traf; ein lauter Freudenschrei der Meinigen durchbrach
die Luft. Nun trifft mich sein Geschoß. Sag' ihm, daß ich's weiß, daß
ich ihn kenne, daß die Welt jede Siegszeichen verachtet, die ein kleiner
Geist erschleichend sich aufrichtet. Und du! wenn einem Sohne möglich
ist, von der Sitte des Vaters zu weichen, übe beizeiten die Scham, indem
du dich für den schämst, den du gerne von ganzem Herzen verehren möchtest.
Ferdinand. Ich höre dich an, ohne dich zu unterbrechen! Deine Vorwürfe
lasten wie Keulschläge auf einen Helm; ich fühle die Erschütterung, aber
ich bin bewaffnet. Du triffst mich, du verwundest mich nicht; fühlbar
ist mir allein der Schmerz, der mir den Busen zerreißt. Wehe mir! Wehe!
Zu einem solchen Anblick bin ich aufgewachsen, zu einem solchen
Schauspiele bin ich gesendet!
Egmont. Du brichst in Klagen aus? Was rührt, was bekümmert dich? Ist
es eine späte Reue, daß du der schändlichen Verschwörung deinen Dienst
geliehen? Du bist so jung und hast ein glückliches Ansehn. Du warst so
zutraulich, so freundlich gegen mich. So lang ich dich sah, war ich mit
deinem Vater versöhnt. Und eben so verstellt, verstellter als er, lockst
du mich in das Netz. Du bist der Abscheuliche! Wer ihm traut, mag er es
auf seine Gefahr thun; aber wer fürchtete Gefahr, dir zu vertrauen? Geh!
Geh! Raube mir nicht die wenigen Augenblicke! Geh, daß ich mich sammle,
die Welt und dich zuerst vergesse!--
Ferdinand. Was soll ich dir sagen? Ich stehe und sehe dich an, und sehe
dich nicht, und fühle mich nicht. Soll ich mich entschuldigen? Soll ich
dir versichern, daß ich erst spät, erst ganz zuletzt des Vaters Absichten
erfuhr, daß ich als ein gezwungenes, ein lebloses Werkzeug seines Willens
handelte? Was fruchtet's, welche Meinung du von mir haben magst? Du
bist verloren; und ich Unglücklicher stehe nur da, um dir's zu
versichern, um dich zu bejammern.
Egmont. Welche sonderbare Stimme, welch ein unerwarteter Trost begegnet
mir auf dem Wege zum Grabe? Du, Sohn meines ersten, meines fast einzigen
Feindes, du bedauerst mich, du bist nicht unter meinen Mördern? Sage,
rede! Für wen soll ich dich halten?
Ferdinand. Grausamer Vater! Ja, ich erkenne dich in diesem Befehle. Du
kanntest mein Herz, meine Gesinnung, die du so oft als Erbteil einer
zärtlichen Mutter schaltest. Mich dir gleich zu bilden, sandtest du mich
hierher. Diesen Mann am Rande des gähnenden Grabes, in der Gewalt eines
willkürlichen Todes zu sehen, zwingst du mich; daß ich den tiefsten
Schmerz empfinde, daß ich taub gegen alles Schicksal, daß ich
unempfindlich werde, es geschehe mir, was wolle.
Egmont. Ich erstaune! Fasse dich! Stehe, rede wie ein Mann!
Ferdinand. O, daß ich ein Weib wäre! daß man mir sagen könnte: was
rührt dich? was ficht dich an? Sage mir ein größeres, ein ungeheureres
Übel, mache mich zum Zeugen einer schrecklichern That; ich will dir
danken, ich will sagen: es war nichts.
Egmont. Du verlierst dich? Wo bist du?
Ferdinand. Laß diese Leidenschaft rasen, laß mich losgebunden klagen!
Ich will nicht standhaft scheinen, wenn alles in mir zusammenbricht.
Dich soll ich hier sehn?--Dich?--Es ist entsetzlich! Du verstehst mich
nicht! Und sollst du mich verstehen? Egmont! Egmont! (Ihm um den Hals
fallend.)
Egmont. Löse mir das Geheimnis.
Ferdinand. Kein Geheimnis.
Egmont. Wie bewegt dich so tief das Schicksal eines fremden Mannes?
Ferdinand. Nicht fremd! Du bist mir nicht fremd. Dein Name war's, der
mir in meiner ersten Jugend gleich einem Stern des Himmels
entgegenleuchtete. Wie oft hab' ich nach dir gehorcht, gefragt! Des
Kindes Hoffnung ist der Jüngling, des Jünglings der Mann. So bist du vor
mir her geschritten; immer vor, und ohne Neid sah ich dich vor, und
schritt dir nach, und fort und fort. Nun hofft' ich endlich dich zu
sehen, und sah dich, und mein Herz flog dir entgegen. Dich hatt' ich mir
bestimmt, und wählte dich aufs neue, da ich dich sah. Nun hofft' ich
erst mit dir zu sein, mit dir zu leben, dich zu fassen, dich.--Das ist
nun alles weggeschnitten, und ich sehe dich hier!
Egmont. Mein Freund, wenn es dir wohlthun kann, so nimm die Versicherung,
daß im ersten Augenblick mein Gemüt dir entgegenkam. Und höre mich.
Laß uns ein ruhiges Wort unter einander wechseln. Sage mir: ist es der
strenge, ernste Wille deines Vaters, mich zu töten?
Ferdinand. Er ist's.
Egmont. Dieses Urteil wäre nicht ein leeres Schreckbild, mich zu
ängstigen, durch Furcht und Drohung zu strafen, mich zu erniedrigen, und
dann mit königlicher Gnade mich wieder aufzuheben?
Ferdinand. Nein, ach leider nein! Anfangs schmeichelte ich mir selbst
mit dieser ausweichenden Hoffnung; und schon da empfand ich Angst und
Schmerz, dich in diesem Zustande zu sehen. Nun ist es wirklich, ist gewiß.
Nein, ich regiere mich nicht. Wer giebt mir eine Hilfe, wer einen Rat,
dem Unvermeidlichen zu entgehen?
Egmont. So höre mich. Wenn deine Seele so gewaltsam dringt, mich zu
retten, wenn du die Übermacht verabscheust, die mich gefesselt hält, so
rette mich! Die Augenblicke sind kostbar. Du bist des Allgewaltigen
Sohn, und selbst gewaltig.--Laß uns entfliehen! Ich kenne die Wege; die
Mittel können dir nicht unbekannt sein. Nur diese Mauern, nur wenige
Meilen entfernen mich von meinen Freunden. Löse diese Bande, bringe mich
zu ihnen und sei unser! Gewiß, der König dankt dir dereinst meine
Rettung. Jetzt ist er überrascht, und vielleicht ist ihm alles unbekannt.
Dein Vater wagt; und die Majestät muß das Geschehene billigen, wenn sie
sich auch davor entsetzet. Du denkst? O, denke mir den Weg der Freiheit
aus! Sprich, und nähre die Hoffnung der lebendigen Seele.
Ferdinand. Schweig'! o schweige! Du vermehrst mit jedem Worte meine
Verzweiflung. Hier ist kein Ausweg, kein Rat, keine Flucht.--Das quält
mich, das greift und faßt mir wie mit Klauen die Brust. Ich habe selbst
das Netz zusammengezogen; ich kenne die strengen festen Knoten; ich weiß,
wie jeder Kühnheit, jeder List die Wege verrennt sind; ich fühle mich mit
dir und mit allen andern gefesselt. Würde ich klagen, hätte ich nicht
alles versucht? Zu seinen Füßen habe ich gelegen, geredet und gebeten.
Er schickte mich hierher, um alles, was von Lebenslust und Freude in mir
lebt, in diesem Augenblicke zu zerstören.
Egmont. Und keine Rettung?
Ferdinand. Keine!
Egmont (mit dem Fuße stampfend). Keine Rettung!--Süßes Leben! schöne,
freundliche Gewohnheit des Daseins und Wirkens! von dir soll ich
scheiden! So gelassen scheiden! Nicht im Tumulte der Schlacht, unter
dem Geräusch der Waffen, in der Zerstreuung des Getümmels giebst du mir
ein flüchtiges Lebewohl; du nimmst keinen eiligen Abschied, verkürzest
nicht den Augenblick der Trennung. Ich soll deine Hand fassen, dir noch
einmal in die Augen sehn, deine Schöne, deinen Wert recht lebhaft fühlen,
und dann mich entschlossen losreißen und sagen: Fahre hin!
Ferdinand. Und ich soll daneben stehn, zusehn, dich nicht halten, nicht
hindern können! O, welche Stimme reichte zur Klage! Welches Herz flösse
nicht aus seinen Banden vor diesem Jammer!
Egmont. Fasse dich!
Ferdinand. Du kannst dich fassen, du kannst entsagen, den schweren
Schritt an der Hand der Notwendigkeit heldenmäßig gehn. Was kann ich?
Was soll ich? Du überwindest dich selbst und uns; du überstehst; ich
überlebe dich und mich selbst. Bei der Freude des Mahls hab' ich mein
Licht, im Getümmel der Schlacht meine Fahne verloren. Schal, verworren,
trüb' scheint mir die Zukunft.
Egmont. Junger Freund, den ich durch ein sonderbares Schicksal zugleich
gewinne und verliere, der für mich die Todesschmerzen empfindet, für mich
leidet, sieh mich in diesen Augenblicken an; du verlierst mich nicht.
War dir mein Leben ein Spiegel, in welchem du dich gerne betrachtetest,
so sei es auch mein Tod. Die Menschen sind nicht nur zusammen, wenn sie
beisammen sind; auch der Entfernte, der Abgeschiedene lebt uns. Ich lebe
dir, und habe mir genug gelebt. Eines jeden Tages hab' ich mich gefreut;
an jedem Tage mit rascher Wirkung meine Pflicht gethan, wie mein Gewissen
mir sie zeigte. Nun endigt sich das Leben, wie es sich früher, früher,
schon auf dem Sande von Gravelingen hätte endigen können. Ich höre auf
zu leben; aber ich habe gelebt. So leb' auch du, mein Freund, gern und
mit Lust, und scheue den Tod nicht.
Ferdinand. Du härtest dich für uns erhalten können, erhalten sollen. Du
hast dich selber getötet. Oft hört' ich, wenn kluge Männer über dich
sprachen, feindselige, wohlwollende, sie stritten lang über deinen Wert;
doch endlich vereinigten sie sich, keiner wagt' es zu leugnen, jeder
gestand: ja, er wandelt einen gefährlichen Weg. Wie oft wünscht' ich,
dich warnen zu können! Hattest du denn keine Freunde?
Egmont. Ich war gewarnt.
Ferdinand. Und wie ich punktweise alle diese Beschuldigungen wieder in
der Anklage fand, und deine Antworten! Gut genug, dich zu entschuldigen;
nicht triftig genug, dich von der Schuld zu befreien.--
Egmont. Dies sei beiseite gelegt. Es glaubt der Mensch sein Leben zu
leiten, sich selbst zu führen; und sein Innerstes wird unwiderstehlich
nach seinem Schicksale gezogen. Laß uns darüber nicht sinnen; dieser
Gedanken entschlag' ich mich leicht--schwerer der Sorge für dieses Land;
doch auch dafür wird gesorgt sein. Kann mein Blut für viele fließen,
meinem Volk Friede bringen, so fließt es willig. Leider wird's nicht so
werden. Doch es ziemt dem Menschen, nicht mehr zu grübeln, wo er nicht
mehr wirken soll. Kannst du die verderbende Gewalt deines Vaters
aufhalten, lenken, so thu's. Wer wird das können?--Leb' wohl!
Ferdinand. Ich kann nicht gehn.
Egmont. Laß meine Leute dir aufs beste empfohlen sein! Ich habe gute
Menschen zu Dienern; daß sie nicht zerstreut, nicht unglücklich werden!
Wie steht es um Richard, meinen Schreiber?
Ferdinand. Er ist dir vorangegangen. Sie haben ihn als Mitschuldigen
des Hochverrats enthauptet.
Egmont. Arme Seele!--Noch eins, und dann leb' wohl, ich kann nicht mehr.
Was auch den Geist gewaltsam beschäftigt, fordert die Natur zuletzt doch
unwiderstehlich ihre Rechte; und wie ein Kind, umwunden von der Schlange,
des erquickenden Schlafs genießt, so legt der Müde sich noch einmal vor
der Pforte des Todes nieder und ruht tief aus, als ob er einen weiten Weg
zu wandern hätte.--Noch eins.--Ich kenne ein Mädchen; du wirst sie nicht
verachten, weil sie mein war. Nun ich sie dir empfehle, sterb' ich ruhig.
Du bist ein edler Mann; ein Weib, das den findet, ist geborgen. Lebt
mein alter Adolf? ist er frei?
Ferdinand. Der muntre Greis, der Euch zu Pferde immer begleitete?
Egmont. Derselbe.
Ferdinand. Er lebt, er ist frei.
Egmont. Er weiß ihre Wohnung; laß dich von ihm führen, und lohn' ihm bis
an sein Ende, daß er dir den Weg zu diesem Kleinode zeigt.--Leb wohl!
Ferdinand. Ich gehe nicht.
Egmont (ihn nach der Thür drängend). Leb' wohl!
Ferdinand. O, laß mich noch!
Egmont. Freund, keinen Abschied!
(Er begleitet Ferdinanden bis an die Thür, und reißt sich dort von ihm
los. Ferdinand, betäubt, entfernt sich eilend.)
Egmont (allein). Feindseliger Mann! Du glaubtest nicht, mir diese
Wohlthat durch deinen Sohn zu erzeigen. Durch ihn bin ich der Sorgen los
und der Schmerzen, der Furcht und jedes ängstlichen Gefühls. Sanft und
dringend fordert die Natur ihren letzten Zoll. Es ist vorbei, es ist
beschlossen! und was die letzte Nacht mich ungewiß auf meinem Lager
wachend hielt, das schläfert nun mit unbezwinglicher Gewißheit meine
Sinnen ein.
(Er setzt sich aufs Ruhebett. Musik.)
Süßer Schlaf! Du kommst wie ein reines Glück, ungebeten, unerfleht am
willigsten. Du lösest die Knoten der strengen Gedanken, vermischest alle
Bilder der Freude und des Schmerzes; ungehindert fließt der Kreis innerer
Harmonieen, und, eingehüllt in gefälligen Wahnsinn, versinken wir und
hören auf, zu sein.
(Er entschläft; die Musik begleitet seinen Schlummer. Hinter seinem
Lager scheint sich die Mauer zu eröffnen, eine glänzende Erscheinung
zeigt sich. Die Freiheit in himmlischem Gewande, von einer Klarheit
umflossen, ruht auf einer Wolke. Sie hat die Züge von Klärchen, und neigt
sich gegen den schlafenden Helden. Sie drückt eine bedauernde Empfindung
aus, sie scheint ihn zu beklagen. Bald faßt sie sich, und mit
aufmunternder Gebärde zeigt sie ihm das Bündel Pfeile, dann den Stab mit
dem Hute. Sie heißt ihn froh sein, und indem sie ihm andeutet, daß sein
Tod den Provinzen die Freiheit verschaffen werde, erkennt sie ihn als
Sieger und reicht ihm einen Lorbeerkranz. Wie sie sich mit dem Kranze
dem Haupte nahet, macht Egmont eine Bewegung, wie einer, der sich im
Schlafe regt, dergestalt, daß er mit dem Gesicht aufwärts gegen sie liegt.
Sie hält den Kranz über seinem Haupte schwebend; man hört ganz von
weitem eine kriegerische Musik von Trommeln und Pfeifen; bei dem
leisesten Laut derselben verschwindet die Erscheinung. Der Schall wird
stärker. Egmont erwacht; das Gefängnis wird vom Morgen mäßig erhellt.
Seine erste Bewegung ist, nach dem Haupte zu greifen; er steht auf und
sieht sich um, indem er die Hand auf dem Haupte behält.)
Verschwunden ist der Kranz! Du schönes Bild, das Licht des Tages hat
dich verscheuchet! Ja, sie waren's, sie waren vereint, die beiden
süßesten Freuden meines Herzens. Die göttliche Freiheit, von meiner
Geliebten borgte sie die Gestalt; das reizende Mädchen kleidete sich in
der Freundin himmlisches Gewand. In einem ernsten Augenblick erscheinen
sie vereinigt, ernster als lieblich. Mit blutbefleckten Sohlen trat sie
vor mir auf, die wehenden Falten des Saumes mit Blut befleckt. Es war
mein Blut und vieler Edeln Blut. Nein, es ward nicht umsonst vergossen.
Schreitet durch! Braves Volk! Die Siegesgöttin führt dich an! Und wie
das Meer durch eure Dämme bricht, so brecht, so reißt den Wall der
Tyrannei zusammen, und schwemmt ersäufend sie von ihrem Grunde, den sie
sich anmaßt, weg!
(Trommeln näher.)
Horch! Horch! Wie oft rief mich dieser Schall zum freien Schritt nach
dem Felde des Streits und des Siegs! Wie munter traten die Gefährten auf
der gefährlichen, rühmlichen Bahn! Auch ich schreite einem ehrenvollen
Tode aus diesem Kerker entgegen; ich sterbe für die Freiheit, für die ich
lebte und focht, und der ich mich jetzt leidend opfre.
(Der Hintergrund wird mit einer Reihe spanischer Soldaten besetzt, welche
Hellebarden tragen.)
Ja, führt sie nur zusammen! Schließt eure Reihen, ihr schreckt mich
nicht. Ich bin gewohnt, vor Speeren gegen Speere zu stehn, und, rings
umgeben von dem drohenden Tod, das mutige Leben nur doppelt rasch zu
fühlen.
(Trommeln.)
Dich schließt der Feind von allen Seiten ein! Es blinken Schwerter;
Freunde, höhern Mut! Im Rücken habt ihr Eltern, Weiber, Kinder!
(Auf die Wache zeigend.)
Und diese treibt ein hohles Wort des Herrschers, nicht ihr Gemüt.
Schützt eure Güter! Und euer Liebstes zu erretten, fallt freudig, wie
ich euch ein Beispiel gebe.
(Trommeln. Wie er auf die Wache los und auf die Hinterthür zugeht, fällt
der Vorhang; die Musik fällt ein und schließt mit einer Siegessymphonie
das Stück.)
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