Egmont - 5

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Hoffnung, wo Gewißheit ist, daß die Übel nicht wiederkehren werden?
Waren Könige darum nicht sicherer? Werden sie nicht von Welt und
Nachwelt gepriesen, die eine Beleidigung ihrer Würde vergeben, bedauern,
verachten konnten? Werden sie nicht eben deswegen Gott gleich gehalten,
der viel zu groß ist, als daß an ihn jede Lästerung reichen sollte?
Alba. Und eben darum soll der König für die Würde Gottes und der
Religion, wir sollen für das Ansehn des Königs streiten. Was der Obere
abzulehnen verschmäht, ist unsere Pflicht zu rächen. Ungestraft soll,
wenn ich rate, kein Schuldiger sich freuen,
Egmont. Glaubst du, daß du sie alle erreichen wirst? Hört man nicht
täglich, daß die Furcht sie hie und dahin, sie aus dem Lande treibt? Die
Reichsten werden ihre Güter, sich, ihre Kinder und Freunde flüchten; der
Arme wird seine nützlichen Hände dem Nachbar zubringen.
Alba. Sie werden, wenn man sie nicht verhindern kann. Darum verlangt
der König Rat und That von jedem Fürsten, Ernst von jedem Statthalter;
nicht nur Erzählung, wie es ist, was werden könnte, wenn man alles gehen
ließe, wie's geht. Einem großen Übel zusehen, sich mit Hoffnung
schmeicheln, der Zeit vertrauen, etwa einmal drein schlagen, wie im
Fastnachtsspiel, daß es klatscht und man doch etwas zu thun scheint, wenn
man nichts thun möchte: heißt das nicht, sich verdächtig machen, als sehe
man dem Aufruhr mit Vergnügen zu, den man nicht erregen, wohl aber hegen
möchte?
Egmont (im Begriff aufzufahren, nimmt sich zusammen, und spricht nach
einer kleinen Pause gesetzt). Nicht jede Absicht ist offenbar, und
manches Mannes Absicht ist zu mißdeuten. Muß man doch auch von allen
Seiten hören: es sei des Königs Absicht weniger, die Provinzen nach
einförmigen und klaren Gesetzen zu regieren, die Majestät der Religion zu
sichern und einen allgemeinen Frieden seinem Volke zu geben, als vielmehr
sie unbedingt zu unterjochen, sie ihrer alten Rechte zu berauben, sich
Meister von ihren Besitztümern zu machen, die schönen Rechte des Adels
einzuschränken, um derentwillen der Edle allein ihm dienen, ihm Leib und
Leben widmen mag. Die Religion, sagt man, sei nur ein prächtiger Teppich,
hinter dem man jeden gefährlichen Anschlag nur desto leichter ausdenkt.
Das Volk liegt auf den Knieen, betet die heiligen gewirkten Zeichen an,
und hinten lauscht der Vogelsteller, der sie berücken will.
Alba. Das muß ich von dir hören?
Egmont. Nicht meine Gesinnungen! Nur was bald hier, bald da, von Großen
und von Kleinen, Klugen und Thoren gesprochen, laut verbreitet wird. Die
Niederländer fürchten ein doppeltes Joch, und wer bürgt ihnen für ihre
Freiheit?
Alba. Freiheit? Ein schönes Wort, wer's recht verstände. Was wollen
sie für Freiheit? Was ist des Freiesten Freiheit?--Recht zu thun!--und
daran wird sie der König nicht hindern. Nein! nein! sie glauben sich
nicht frei, wenn sie sich nicht selbst und andern schaden können. Wäre
es nicht besser, abzudanken, als ein solches Volk zu regieren? Wenn
auswärtige Feinde drängen, an die kein Bürger denkt, der mit dem Nächsten
nur beschäftigt ist, und der König verlangt Beistand, dann werden sie
uneins unter sich, und verschwören sich gleichsam mit ihren Feinden. Weit
besser ist's, sie einzuengen, daß man sie wie Kinder halten, wie Kinder
zu ihrem Besten leiten kann. Glaube nur, ein Volk wird nicht alt, nicht
klug; ein Volk bleibt immer kindisch.
Egmont. Wie selten kommt ein König zu Verstand! Und sollen sich viele
nicht lieber vielen vertrauen als einem? und nicht einmal dem einen,
sondern den wenigen des einen, dem Volke, das an den Blicken seines Herrn
altert. Das hat wohl allein das Recht, klug zu werden.
Alba. Vielleicht eben darum, weil es sich nicht selbst überlassen ist.
Egmont. Und darum niemand gern sich selbst überlassen möchte. Man thue,
was man will; ich habe auf deine Frage geantwortet und wiederhole: Es
geht nicht! Es kann nicht gehen! Ich kenne meine Landsleute. Es sind
Männer, wert, Gottes Boden zu betreten; ein jeder rund für sich, ein
kleiner König, fest, rührig, fähig, treu, an alten Sitten hangend.
Schwer ist's, ihr Zutrauen zu verdienen; leicht, zu erhalten. Starr und
fest! Zu drücken sind sie; nicht zu unterdrücken.
Alba (der sich indes einigemal umgesehen hat). Solltest du das alles in
des Königs Gegenwart wiederholen?
Egmont. Desto schlimmer, wenn mich seine Gegenwart abschreckte! Desto
besser für ihn, für sein Volk, wenn er mir Mut machte, wenn er mir
Zutrauen einflößte, noch weit mehr zu sagen.
Alba. Was nützlich ist, kann ich hören, wie er.
Egmont. Ich würde ihm sagen: Leicht kann der Hirt eine ganze Herde
Schafe vor sich hintreiben, der Stier zieht seinen Pflug ohne Widerstand;
aber dem edeln Pferde, das du reiten willst, mußt du seine Gedanken
ablernen, du mußt nichts Unkluges, nichts unklug von ihm verlangen.
Darum wünscht der Bürger, seine alte Verfassung zu behalten, von seinen
Landsleuten regiert zu sein, weil er weiß, wie er geführt wird, weil er
von ihnen Uneigennutz, Teilnehmung an seinem Schicksal hoffen kann.
Alba. Und sollte der Regent nicht Macht haben, dieses alte Herkommen zu
verändern? Und sollte nicht eben dies sein schönstes Vorrecht sein? Was
ist bleibend auf dieser Welt? Und sollte eine Staatseinrichtung bleiben
können? Muß nicht in einer Zeitfolge jedes Verhältnis sich verändern,
und eben darum eine alte Verfassung die Ursache von tausend Übeln werden,
weil sie den gegenwärtigen Zustand des Volkes nicht umfaßt? Ich fürchte,
diese alten Rechte sind darum so angenehm, weil sie Schlupfwinkel bilden,
in welchen der Kluge, der Mächtige, zum Schaden des Volks, zum Schaden
des Ganzen, sich verbergen oder durchschleichen kann.
Egmont. Und diese willkürlichen Veränderungen, diese unbeschränkten
Eingriffe der höchsten Gewalt, sind sie nicht Vorboten, daß einer thun
will, was Tausende nicht thun sollen? Er will sich allein frei machen,
um jeden seiner Wünsche befriedigen, jeden seiner Gedanken ausführen zu
können. Und wenn wir uns ihm, einem guten, weisen Könige, ganz
vertrauten, sagt er uns für seine Nachkommen gut? daß keiner ohne
Rücksicht, ohne Schonung regieren werde? Wer rettet uns alsdann von
völliger Willkür, wenn er uns seine Diener, seine Nächsten sendet, die
ohne Kenntnis des Landes und seiner Bedürfnisse nach Belieben schalten
und walten, keinen Widerstand finden, und sich von jeder Verantwortung
frei wissen?
Alba (der sich indes wieder umgesehen hat). Es ist nichts natürlicher,
als daß ein König durch sich zu herrschen gedenkt, und denen seine
Befehle am liebsten aufträgt, die ihn am besten verstehen, verstehen
wollen, die seinen Willen unbedingt ausrichten.
Egmont. Und eben so natürlich ist's, daß der Bürger von dem regiert sein
will, der mit ihm geboren und erzogen ist, der gleichen Begriff mit ihm
von Recht und Unrecht gefaßt hat, den er als seinen Bruder ansehen kann.
Alba. Und doch hat der Adel mit diesen seinen Brüdern sehr ungleich
geteilt.
Egmont. Das ist vor Jahrhunderten geschehen, und wird jetzt ohne Neid
geduldet. Würden aber neue Menschen ohne Not gesendet, die sich zum
zweitenmale auf Unkosten der Nation bereichern wollten, sähe man sich
einer strengen, kühnen, unbedingten Habsucht ausgesetzt, das würde eine
Gärung machen, die sich nicht leicht in sich selbst auflöste.
Alba. Du sagst mir, was ich nicht hören sollte; auch ich bin fremd.
Egmont. Daß ich dir's sage, zeigt dir, daß ich dich nicht meine.
Alba. Und auch so wünscht' ich es nicht von dir zu hören. Der König
sandte mich mit Hoffnung, daß ich hier den Beistand des Adels finden
würde. Der König will seinen Willen. Der König hat nach tiefer
Überlegung gesehen, was dem Volke frommt; es kann nicht bleiben und gehen
wie bisher. Des Königs Absicht ist, sie selbst zu ihrem eignen Besten
einzuschränken, ihr eigenes Heil, wenn's sein muß, ihnen aufzudringen,
die schädlichen Bürger aufzuopfern, damit die übrigen Ruhe finden, des
Glücks einer weisen Regierung genießen können. Dies ist sein Entschluß;
diesen dem Adel kund zu machen, habe ich Befehl; und Rat verlang' ich in
seinem Namen, wie es zu thun sei, nicht was; denn das hat er beschlossen.
Egmont. Leider rechtfertigen deine Worte die Furcht des Volks, die
allgemeine Furcht! So hat er denn beschlossen, was kein Fürst
beschließen sollte. Die Kraft seines Volks, ihr Gemüt, den Begriff, den
sie von sich selbst haben, will er schwächen, niederdrücken, zerstören,
um sie bequem regieren zu können. Er will den innern Kern ihrer
Eigenheit verderben; gewiß in der Absicht, sie glücklicher zu machen. Er
will sie vernichten, damit sie etwas werden, ein ander Etwas. O, wenn
seine Absicht gut ist, so wird sie mißgeleitet! Nicht dem Könige
widersetzt man sich; man stellt sich nur dem Könige entgegen, der, einen
falschen Weg zu wandeln, die ersten unglücklichen Schritte macht.
Alba. Wie du gesinnt bist, scheint es ein vergeblicher Versuch, uns
vereinigen zu wollen. Du denkst gering vom Könige und verächtlich von
seinen Räten, wenn du zweifelst, das alles sei nicht schon gedacht,
geprüft, gewogen worden. Ich habe keinen Auftrag, jedes Für und Wider
noch einmal durchzugehen. Gehorsam fordre ich von dem Volke--und von
euch, ihr Ersten, Edelsten, Rat und That, als Bürgen dieser unbedingten
Pflicht.
Egmont. Fordre unsre Häupter, so ist es auf einmal gethan. Ob sich der
Nacken diesem Joche biegen, ob er sich vor dem Beile ducken soll, kann
einer edeln Seele gleich sein. Umsonst hab' ich so viel gesprochen; die
Luft hab' ich erschüttert, weiter nichts gewonnen.
(Ferdinand kommt.)
Ferdinand. Verzeiht, daß ich euer Gespräch unterbreche. Hier ist ein
Brief, dessen Überbringer die Antwort dringend macht.
Alba. Erlaubt mir, daß ich sehe, was er enthält. (Tritt an die Seite.)
Ferdinand (zu Egmont). Es ist ein schönes Pferd, das Eure Leute gebracht
haben, Euch abzuholen.
Egmont. Es ist nicht das schlimmste. Ich hab' es schon eine Weile; ich
denk' es wegzugeben. Wenn es Euch gefällt, so werden wir vielleicht des
Handels einig.
Ferdinand. Gut, wir wollen sehn.
Alba (winkt seinem Sohne, der sich in den Grund zurückzieht).
Egmont. Lebt wohl! entlaßt mich; denn ich wüßte, bei Gott! nicht mehr
zu sagen.
Alba. Glücklich hat dich der Zufall verhindert, deinen Sinn noch weiter
zu verraten. Unvorsichtig entwickelst du die Falten deines Herzens, und
klagst dich selbst weit strenger an, als ein Widersacher gehässig thun
könnte.
Egmont. Dieser Vorwurf rührt mich nicht; ich kenne mich selbst genug,
und weiß, wie ich dem König angehöre; weit mehr als viele, die in seinem
Dienst sich selber dienen. Ungern scheid' ich aus diesem Streite, ohne
ihn beigelegt zu sehen, und wünsche nur, daß uns der Dienst des Herrn,
das Wohl des Landes bald vereinigen möge. Es wirkt vielleicht ein
wiederholtes Gespräch, die Gegenwart der übrigen Fürsten, die heute
fehlen, in einem glücklichem Augenblick, was heut' unmöglich scheint.
Mit dieser Hoffnung entfern' ich mich.
Alba (der zugleich seinem Sohn Ferdinand ein Zeichen gibt). Halt, Egmont!
--Deinen Degen!--(Die Mitteltür öffnet sich: man sieht die Galerie mit
Wache besetzt die unbeweglich bleibt.)
Egmont (der staunend eine Weile geschwiegen). Dies war die Absicht? Dazu
hast du mich berufen? (Nach dem Degen greifend, als wenn er sich
verteidigen wollte). Bin ich denn wehrlos?
Alba. Der König befiehlt's, du bist mein Gefangener. (Zugleich treten
von beiden Seiten Gewaffnete herein.)
Egmont (nach einer Stille). Der König?--Oranien! Oranien! (Nach einer
Pause, seinen Degen hingebend). So nimm ihn! Er hat weit öfter des
Königs Sache verteidigt, als diese Brust beschützt. (Er geht durch die
Mitteltür ab; die Gewaffneten, die im Zimmer sind, folgen ihm; ingleichen
Albas Sohn. Alba bleibt stehen. Der Vorhang fällt.)

Fünfter Aufzug.

Straße. Dämmerung.
Klärchen. Brackenburg. Bürger.
Brackenburg. Liebchen, um Gottes willen, was nimmst du vor?
Klärchen. Komm mit, Brackenburg! Du mußt die Menschen nicht kennen; wir
befreien ihn gewiß. Denn was gleicht ihrer Liebe zu ihm? Jeder fühlt,
ich schwör' es, in sich die brennende Begier, ihn zu retten, die Gefahr
von einem kostbaren Leben abzuwenden, und dem Freiesten die Freiheit
wiederzugeben. Komm! Es fehlt nur an der Stimme, die sie zusammenruft.
In ihrer Seele lebt noch ganz frisch, was sie ihm schuldig sind; und daß
sein mächtiger Arm allein von ihnen das Verderben abhält, wissen sie. Um
seinet--und ihretwillen müssen sie alles wagen. Und was wagen wir? Zum
höchsten unser Leben, das zu erhalten nicht der Mühe wert ist, wenn er
umkommt.
Brackenburg. Unglückliche! du siehst nicht die Gewalt, die uns mit
ehernen Banden gefesselt hat.
Klärchen. Sie scheint mir nicht unüberwindlich. Laß uns nicht lang
vergebliche Worte wechseln. Hier kommen von den alten, redlichen,
wackern Männern! Hört, Freunde! Nachbarn, hört!--Sagt, wie ist es mit
Egmont?
Zimmermeister. Was will das Kind? Laß sie schweigen!
Klärchen. Tretet näher, daß wir sachte reden, bis wir einig sind und
stärker. Wir dürfen nicht einen Augenblick versäumen! Die freche
Tyrannei, die es wagt, ihn zu fesseln, zuckt schon den Dolch, ihn zu
ermorden. O Freunde! mit jedem Schritt der Dämmerung werd' ich
ängstlicher. Ich fürchte diese Nacht. Kommt! wir wollen uns teilen; mit
schnellem Lauf von Quartier zu Quartier rufen wir die Bürger heraus. Ein
jeder greife zu seinen alten Waffen. Auf dem Markte treffen wir uns
wieder, und unser Strom reißt einen jeden mit sich fort. Die Feinde
sehen sich umringt und überschwemmt, und sind erdrückt. Was kann uns
eine Handvoll Knechte widerstehen? Und er in unsrer Mitte kehrt zurück,
sieht sich befreit, und kann uns einmal danken, uns, die wir ihm so tief
verschuldet worden. Er sieht vielleicht--gewiß, er sieht das Morgenrot
am freien Himmel wieder.
Zimmermeister. Wie ist dir, Mädchen?
Klärchen. Könnt ihr mich mißverstehn? Vom Grafen sprech' ich! Ich
spreche von Egmont.
Jetter. Nennt den Namen nicht! Er ist tödlich.
Klärchen. Den Namen nicht! Wie? Nicht diesen Namen? Wer nennt ihn
nicht bei jeder Gelegenheit? Wo steht er nicht geschrieben? In diesen
Sternen hab' ich oft mit allen seinen Lettern ihn gelesen. Nicht nennen?
Was soll das? Freunde! Gute, teure Nachbarn, ihr träumt; besinnt euch.
Seht mich nicht so starr und ängstlich an! Blickt nicht schüchtern hie
und da beiseite. Ich ruf' euch ja nur zu, was jeder wünscht. Ist meine
Stimme nicht eures Herzens eigne Stimme? Wer würfe sich in dieser bangen
Nacht, eh' er sein unruhvolles Bette besteigt, nicht auf die Kniee, ihn
mit ernstlichem Gebet vom Himmel zu erringen? Fragt euch einander! frage
jeder sich selbst! und wer spricht mir nicht nach: "Egmonts Freiheit
oder den Tod!"
Jetter. Gott bewahr' uns! Da giebt's ein Unglück.
Klärchen. Bleibt! Bleibt und drückt euch nicht vor seinem Namen weg,
dem ihr euch sonst so froh entgegen drängtet!--Wenn der Ruf ihn
ankündigte, wenn es hieß: "Egmont kommt! Er kommt von Gent!" da hielten
die Bewohner der Straßen sich glücklich, durch die er reiten mußte. Und
wenn ihr seine Pferde schallen hörtet, warf jeder seine Arbeit hin, und
über die bekümmerten Gesichter, die ihr durchs Fenster stecktet, fuhr wie
ein Sonnenstrahl von seinem Angesichte ein Blick der Freude und Hoffnung.
Da hobt ihr eure Kinder auf der Thürschwelle in die Höhe und deutetet
ihnen: "Sieh, das ist Egmont, der größte da! Er ist's! Er ist's, von
dem ihr bessere Zeiten, als eure armen Väter lebten, einst zu erwarten
habt." Laßt eure Kinder nicht dereinst euch fragen: "Wo ist er hin? Wo
sind die Zeiten hin, die ihr verspracht?"--Und so wechseln wir Worte,
sind müßig, verraten ihn!
Soest. Schämt Euch, Brackenburg! Laßt sie nicht gewähren! Steuert dem
Unheil!
Brackenburg. Liebes Klärchen! wir wollen gehen! Was wird die Mutter
sagen? Vielleicht--
Klärchen. Meinst du, ich sei ein Kind, oder wahnsinnig? Was kann
vielleicht?--Von dieser schrecklichen Gewißheit bringst du mich mit
keiner Hoffnung weg.--Ihr sollt mich hören, und ihr werdet; denn ich
seh's, ihr seid bestürzt, und könnt euch selbst in euerm Busen nicht
wiederfinden. Laßt durch die gegenwärtige Gefahr nur einen Blick in das
Vergangene dringen, das kurz Vergangene. Wendet eure Gedanken nach der
Zukunft! Könnt ihr denn leben? Werdet ihr, wenn er zu Grunde geht?
Mit seinem Atem flieht der letzte Hauch der Freiheit. Was war er euch?
Für wen übergab er sich der dringendsten Gefahr? Seine Wunden flossen
und heilten nur für euch. Die große Seele, die euch alle trug,
beschränkt ein Kerker, und Schauer tückischen Mordes schweben um sie
her. Er denkt vielleicht an euch, er hofft auf euch, er, der nur zu
geben, nur zu erfüllen gewohnt war.
Zimmermeister. Gevatter, kommt.
Klärchen. Und ich habe nicht Arme, nicht Mark, wie ihr; doch hab' ich,
was euch allen eben fehlt, Mut und Verachtung der Gefahr. Könnt' euch
mein Atem doch entzünden! könnt' ich an meinen Busen drückend euch
erwärmen und beleben! Kommt! In eurer Mitte will ich gehen!--Wie eine
Fahne wehrlos ein edles Heer von Kriegern wehend anführt, so soll mein
Geist um eure Häupter flammen, und Liebe und Mut das schwankende,
zerstreute Volk zu einem fürchterlichen Heer vereinigen.
Jetter. Schaff' sie beiseite, sie dauert mich.
(Bürger ab.)
Brackenburg. Klärchen! siehst du nicht, wo wir sind?
Klärchen. Wo? Unter dem Himmel, der so oft sich herrlicher zu wölben
schien, wenn der Edle unter ihm herging. Aus diesen Fenstern haben sie
herausgesehn, vier, fünf Köpfe über einander; an diesen Thüren haben sie
gescharrt und genickt, wenn er auf die Memmen herabsah. O, ich hatte sie
so lieb, wie sie ihn ehrten! Wäre er Tyrann gewesen, möchten sie immer
vor seinem Falle seitwärts gehn. Aber sie liebten ihn!--O ihr Hände, die
ihr an die Mützen grifft, zum Schwert könnt ihr nicht
greifen--Brackenburg, und wir?--Schelten wir sie?--Diese Arme, die ihn so
oft fest hielten, was thun sie für ihn?--List hat in der Welt so viel
erreicht.--Du kennst Wege und Stege, kennst das alte Schloß. Es ist
nichts unmöglich, gieb mir einen Anschlag.
Brackenburg. Wenn wir nach Hause gingen.
Klärchen. Gut.
Brackenburg. Dort an der Ecke seh' ich Albas Wache; laß doch die Stimme
der Vernunft dir zu Herzen dringen. Hältst du mich für feig? Glaubst du
nicht, daß ich um deinetwillen sterben könnte? Hier sind wir beide toll,
ich so gut wie du. Siehst du nicht das Unmögliche? Wenn du dich faßtest!
Du bist außer dir.
Klärchen. Außer mir! Abscheulich! Brackenburg, ihr seid außer euch.
Da ihr laut den Helden verehrtet, ihn Freund und Schutz und Hoffnung
nanntet, ihm Vivat rieft, wenn er kam; da stand ich in meinem Winkel,
schob das Fenster halb auf, verbarg mich lauschend, und das Herz schlug
mir höher als euch allen. Jetzt schlägt mir's wieder höher als euch
allen! Ihr verbergt euch, da es not ist, verleugnet ihn und fühlt nicht,
daß ihr untergeht, wenn er verdirbt.
Brackenburg. Komm nach Hause.
Klärchen. Nach Hause?
Brackenburg. Besinne dich nur! Sieh dich um! Dies sind die Straßen,
die du nur sonntäglich betratst, durch die du sittsam nach der Kirche
gingst, wo du übertrieben ehrbar zürntest, wenn ich mit einem
freundlichen grüßenden Wort mich zu dir gesellte. Du stehst und redest,
handelst vor den Augen der offnen Welt; besinne dich, Liebe! Wozu hilft
es uns?
Klärchen. Nach Hause! Ja, ich besinne mich. Komm, Brackenburg, nach
Hause! Weißt du, wo meine Heimat ist? (Ab.)

Gefängnis
durch eine Lampe erhellt, ein Ruhebett im Grunde.
(Egmont allein.)
Alter Freund! immer getreuer Schlaf, fliehst du mich auch, wie die
übrigen Freunde? Wie willig senktest du dich auf mein freies Haupt
herunter, und kühltest, wie ein schöner Myrtenkranz der Liebe, meine
Schläfe! Mitten unter Waffen, auf der Woge des Lebens, ruht' ich leicht
atmend, wie ein aufquellender Knabe, in deinen Armen. Wenn Stürme durch
Zweige und Blätter sausten, Ast und Wipfel sich knirrend bewegten, blieb
innerst doch der Kern des Herzens ungeregt. Was schüttelt dich nun? Was
erschüttert den festen, treuen Sinn? Ich fühl's, es ist der Klang der
Mordaxt, die an meiner Wurzel nascht. Noch steh' ich aufrecht, und ein
innrer Schauer durchfährt mich. Ja, sie überwindet, die verräterische
Gewalt; sie untergräbt den festen hohen Stamm, und eh' die Rinde dorrt,
stürzt krachend und zerschmetternd deine Krone.
Warum denn jetzt, der du so oft gewalt'ge Sorgen gleich Seifenblasen dir
vom Haupte weggewiesen, warum vermagst du nicht die Ahnung zu
verscheuchen, die tausendfach in dir sich auf und nieder treibt? Seit
wann begegnet der Tod dir fürchterlich, mit dessen wechselnden Bildern,
wie mit den übrigen Gestalten der gewohnten Erde, du gelassen
lebtest?--Auch ist er's nicht, der rasche Feind, dem die gesunde Brust
wetteifernd sich entgegensehnt; der Kerker ist's, des Grabes Vorbild, dem
Helden wie dem Feigen widerlich. Unleidlich ward mir's schon auf meinem
gepolsterten Stuhle, wenn in stattlicher Versammlung die Fürsten, was
leicht zu entscheiden war, mit wiederkehrenden Gesprächen überlegten, und
zwischen düstern Wänden eines Saals die Balken der Decke mich erdrückten.
Da eilt' ich fort, sobald es möglich war, und rasch aufs Pferd mit
tiefem Atemzuge. Und frisch hinaus, da wo wir hingehören! ins Feld, wo
aus der Erde dampfend jede nächste Wohlthat der Natur, und durch die
Himmel wehend alle Segen der Gestirne uns umwittern; wo wir, dem
erdgebornen Riesen gleich, von der Berührung unsrer Mutter kräftiger uns
in die Höhe reißen; wo wir die Menschheit ganz, und menschliche Begier in
allen Adern fühlen; wo das Verlangen, vorzudringen, zu besiegen, zu
erhaschen, seine Faust zu brauchen, zu besitzen, zu erobern, durch die
Seele des jungen Jägers glüht; wo der Soldat sein angebornes Recht auf
alle Welt mit raschem Schritt sich anmaßt, und in fürchterlicher Freiheit
wie ein Hagelwetter durch Wiese, Feld und Wald verderbend streicht, und
keine Grenzen kennt, die Menschenhand gezogen.
Du bist nur Bild, Erinnerungstraum des Glücks, das ich so lang besessen;
wo hat dich das Geschick verräterisch hingeführt? Versagt es dir, den
nie gescheuten Tod im Angesicht der Sonne rasch zu gönnen, um dir des
Grabes Vorgeschmack im ekeln Moder zu bereiten? Wie haucht er mich aus
diesen Steinen widrig an! Schon starrt das Leben; vor dem Ruhebette wie
vor dem Grabe scheut der Fuß.--
O Sorge! Sorge! die du vor der Zeit den Mord beginnst, laß ab!--Seit
wann ist Egmont denn allein, so ganz allein in dieser Welt? Dich macht
der Zweifel hilflos, nicht das Glück. Ist die Gerechtigkeit des Königs,
der du lebenslang vertrautest, ist der Regentin Freundschaft, die fast,
du darfst es dir gestehn, fast Liebe war, sind sie auf einmal, wie ein
glänzend Feuerbild der Nacht, verschwunden, und lassen dich allein auf
dunkelm Pfad zurück? Wird an der Spitzedeiner Freunde Oranien nicht
wagend sinnen? Wird nicht ein Volk sich sammeln und mit anschwellender
Gewalt den alten Freund erretten?
O haltet, Mauern, die ihr mich einschließt, so vieler Geister
wohlgemeintes Drängen nicht von mir ab; und welcher Mut aus meinen Augen
sonst sich über sie ergoß, der kehre nun aus ihren Herzen in meines
wieder. O ja, sie rühren sich zu Tausenden! sie kommen! stehen mir zur
Seite! Ihr frommer Wunsch eilt dringend zu dem Himmel, er bittet um ein
Wunder. Und steigt zu meiner Rettung nicht ein Engel nieder, so seh' ich
sie nach Lanz' und Schwertern greifen. Die Thore spalten sich, die
Gitter springen, die Mauer stürzt vor ihren Händen ein, und der Freiheit
des einbrechenden Tages steigt Egmont fröhlich entgegen. Wie manch
bekannt Gesicht empfängt mich jauchzend! Ach, Klärchen, wärst du Mann,
so säh' ich dich gewiß auch hier zuerst, und dankte dir, was einem Könige
zu danken hart ist, Freiheit.

Klärchens Haus.
Klärchen (kommt mit einer Lampe und einem Glas Wasser aus der Kammer; sie
setzt das Glas auf den Tisch und tritt ans Fenster).
Brackenburg? Seid Ihr's? Was hört' ich denn? Noch niemand? Es war
niemand! Ich will die Lampe ins Fenster setzen, daß er sieht, ich wache
noch, ich warte noch auf ihn. Er hat mir Nachricht versprochen.
Nachricht? Entsetzliche Gewißheit!--Egmont verurteilt!--Welch Gericht
darf ihn fordern? und sie verdammen ihn! Der König verdammt ihn? oder
der Herzog? Und die Regentin entzieht sich! Oranien zaudert, und alle
seine Freunde!--Ist dies die Welt, von deren Wankelmut, Unzuverlässigkeit
ich viel gehört und nichts empfunden habe? Ist dies die Welt?--Wer wäre
bös genug, den Teuern anzufeinden? Wäre Bosheit mächtig genug, den
allgemein Erkannten schnell zu stürzen? Doch ist es so--es ist!--O
Egmont, sicher hielt ich dich vor Gott und Menschen, wie in meinen Armen!
Was war ich dir? Du hast mich dein genannt, mein ganzes Leben widmete
ich deinem Leben.--Was bin ich nun? Vergebens streck' ich nach der
Schlinge, die dich faßt, die Hand aus. Du hilflos, und ich frei!--Hier
ist der Schlüssel zu meiner Thür. An meiner Willkür hängt mein Gehen und
mein Kommen, und dir bin ich zu nichts!--O, bindet mich, damit ich nicht
verzweifle; und werft mich in den tiefsten Kerker, daß ich das Haupt an
feuchte Mauern schlage, nach Freiheit winsle, träume, wie ich ihm helfen
wollte, wenn Fesseln mich nicht lähmten, wie ich ihm helfen würde!--Nun
bin ich frei! Und in der Freiheit liegt die Angst der Ohnmacht.--Mir
selbst bewußt, nicht fähig, ein Glied nach seiner Hilfe zu rühren. Ach
leider, auch der kleine Teil von deinem Wesen, dein Klärchen, ist wie du
gefangen, und regt getrennt im Todeskrampfe nur die letzten Kräfte.--Ich
höre schleichen, husten--Brackenburg--er ist's!--Elender, guter Mann,
dein Schicksal bleibt sich immer gleich; dein Liebchen öffnet dir die
nächtliche Thür, und ach! zu welch unseliger Zusammenkunft!
(Brackenburg tritt auf.)
Klärchen. Du kommst so bleich und schüchtern, Brackenburg! was ist's?
Brackenburg. Durch Umwege und Gefahren such' ich dich auf. Die großen
Straßen sind besetzt; durch Gäßchen und durch Winkel hab' ich mich zu dir
gestohlen.
Klärchen. Erzähl', wie ist's?
Brackenburg (indem er sich setzt). Ach, Kläre, laß mich weinen. Ich
liebt' ihn nicht. Er war der reiche Mann und lockte des Armen einziges
Schaf zur bessern Weide herüber. Ich hab' ihn nie verflucht; Gott hat
mich treu geschaffen und weich. In Schmerzen floß mein Leben von mir
nieder, und zu verschmachten hofft' ich jeden Tag.
Klärchen. Vergiß das, Brackenburg! Vergiß dich selbst! Sprich mir von
ihm! Ist's wahr? Ist er verurteilt?
Brackenburg. Er ist's! Ich weiß es ganz genau.
Klärchen. Und lebt noch?
Brackenburg. Ja, er lebt noch.
Klärchen. Wie willst du das versichern?--Die Tyrannei ermordet in der
Nacht den Herrlichen! vor allen Augen verborgen fließt sein Blut.
Ängstlich im Schlafe liegt das betäubte Volk, und träumt von Rettung,
träumt ihres ohnmächtigen Wunsches Erfüllung; indes, unwillig über uns,
sein Geist die Welt verläßt. Er ist dahin!--Täusche mich nicht! dich
nicht!
Brackenburg. Nein, gewiß, er lebt!--Und leider! es bereitet der Spanier
dem Volke, das er zertreten will, ein fürchterliches Schauspiel,
gewaltsam jedes Herz, das nach Freiheit sich regt, auf ewig zu
zerknirschen.
Klärchen. Fahre fort und sprich gelassen auch mein Todesurteil aus! Ich
wandle den seligen Gefilden schon näher und näher, mir weht der Trost aus
jenen Gegenden des Friedens schon herüber. Sag' an.
Brackenburg. Ich konnt' es an den Wachen merken, aus Reden, die bald da,
bald dorten fielen, daß auf dem Markte geheimnisvoll ein Schrecknis
zubereitet werde. Ich schlich durch Seitenwege, durch bekannte Gänge
nach meines Vettern Hause, und sah aus einem Hinterfenster nach dem
Markte.--Es wehten Fackeln in einem weiten Kreise spanischer Soldaten hin
und wieder. Ich schärfte mein ungewohntes Auge, und aus der Nacht stieg
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