Egmont - 2

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betragen soll. Ich habe Unrecht gegen ihn, und mich nagt's am Herzen,
daß er es so lebendig fühlt.--Kann ich's doch nicht ändern!
Mutter. Es ist ein so treuer Bursche.
Klare. Ich kann's auch nicht lassen, ich muß ihm freundlich begegnen.
Meine Hand drückt sich oft unversehens zu, wenn die seine mich so leise,
so liebevoll anfaßt. Ich mache mir Vorwürfe, daß ich ihn betrüge, daß
ich in seinem Herzen eine vergebliche Hoffnung nähre. Ich bin übel dran.
Weiß Gott, ich betrüg' ihn nicht. Ich will nicht, daß er hoffen soll,
und ich kann ihn doch nicht verzweifeln lassen.
Mutter. Das ist nicht gut.
Klare. Ich hatte ihn gern und will ihm auch noch wohl in der Seele. Ich
hätte ihn heiraten können, und glaube, ich war nie in ihn verliebt.
Mutter. Glücklich wärst du immer mit ihm gewesen.
Klare. Wäre versorgt und hätte ein ruhiges Leben.
Mutter. Und das ist alles durch deine Schuld verscherzt.
Klare. Ich bin in einer wunderlichen Lage. Wenn ich so nachdenke, wie
es gegangen ist, weiß ich's wohl und weiß es nicht. Und dann darf ich
Egmont nur wieder ansehen, wird mir alles sehr begreiflich, ja, wäre mir
weit mehr begreiflich. Ach, was ist's ein Mann! Alle Provinzen beten
ihn an, und ich in seinem Arm sollte nicht das glücklichste Geschöpf von
der Welt sein?
Mutter. Wie wird's in der Zukunft werden?
Klare. Ach, ich frage nur, ob er mich liebt; und ob er mich liebt, ist
das eine Frage?
Mutter. Man hat nichts als Herzensangst mit seinen Kindern. Wie das
ausgehen wird? Immer Sorge und Kummer! Es geht nicht gut aus! Du hast
dich unglücklich gemacht! mich unglücklich gemacht.
Klare (gelassen). Ihr ließet es doch im Anfange.
Mutter. Leider war ich zu gut, bin immer zu gut.
Klare. Wenn Egmont vorbeiritt und ich ans Fenster lief, schaltet Ihr
mich da? Tratet Ihr nicht selbst ans Fenster? Wenn er heraufsah,
lächelte, nickte, mich grüßte, war es Euch zuwider? Fandet Ihr Euch
nicht selbst in Eurer Tochter geehrt?
Mutter. Mache mir noch Vorwürfe.
Klare (gerührt). Wenn er nun öfter die Straße kam und wir wohl fühlten,
daß er um meinetwillen den Weg machte, bemerktet Ihr's nicht selbst mit
heimlicher Freude? Rieft Ihr mich ab, wenn ich hinter den Scheiben stand
und ihn erwartete?
Mutter. Dachte ich, daß es so weit kommen sollte?
Klare (mit stockender Stimme und zurückgehaltenen Thränen). Und wie er
uns abends, in den Mantel eingehüllt, bei der Lampe überraschte, wer war
geschäftig, ihn zu empfangen, da ich auf meinem Stuhl wie angekettet und
staunend sitzen blieb?
Mutter. Und konnte ich fürchten, daß diese unglückliche Liebe das kluge
Klärchen so bald hinreißen würde? Ich muß es nun tragen, daß meine
Tochter--
Klare (mit ausbrechenden Thränen). Mutter! Ihr wollt's nun! Ihr habt
Eure Freude, mich zu ängstigen.
Mutter (weinend). Weine noch gar! mache mich noch elender durch deine
Betrübnis! Ist mir's nicht Kummer genug, daß meine einzige Tochter ein
verworfenes Geschöpf ist?
Klare (aufstehend und kalt). Verworfen? Egmonts Geliebte verworfen?--
Welche Fürstin neidete nicht das arme Klärchen um den Platz an seinem
Herzen! O Mutter--meine Mutter, so redetet Ihr sonst nicht. Liebe
Mutter, seid gut! Das Volk, was das denkt, die Nachbarinnen, was die
murmeln--Diese Stube, dieses kleine Haus ist ein Himmel, seit Egmonts
Liebe drin wohnt.
Mutter. Man muß ihm hold sein! das ist wahr. Er ist immer so
freundlich, frei und offen.
Klare. Es ist keine falsche Ader an ihm. Seht, Mutter, und er ist doch
der große Egmont. Und wenn er zu mir kommt, wie er so lieb ist, so gut!
wie er mir seinen Stand, seine Tapferkeit gerne verbärge! wie er um mich
besorgt ist! so nur Mensch, nur Freund, nur Liebster.
Mutter. Kommt er wohl heute?
Klare. Habt Ihr mich nicht oft ans Fenster gehen sehn? Habt Ihr nicht
bemerkt, wie ich horche, wenn's an der Thür rauscht? Ob ich schon weiß,
daß er vor Nacht nicht kommt, vermut' ich ihn doch jeden Augenblick, von
morgens an, wenn ich aufstehe. Wär' ich nur ein Bube und könnte immer mit
ihm gehen, zu Hufe und überall hin! Könnt' ihm die Fahne nachtragen in
der Schlacht!--
Mutter. Du warst immer so ein Springinsfeld; als ein kleines Kind schon,
bald toll, bald nachdenklich. Ziehst du dich nicht
ein wenig besser an?
Klare. Vielleicht, Mutter! wenn ich Langeweile habe.--Gestern, denkt,
gingen von seinen Leuten vorbei und sangen Lobliedchen auf ihn.
Wenigstens war sein Name in den Liedern; das übrige konnt' ich nicht
verstehn. Das Herz schlug mir bis an den Hals.--Ich hätte sie gern
zurückgerufen, wenn ich mich nicht geschämt hätte.
Mutter, Nimm dich in acht! Dein heftiges Wesen verdirbt noch alles; du
verrätst dich offenbar vor den Leuten. Wie neulich bei dem Vetter, wie
du den Holzschnitt und die Beschreibung fandst und mit einem Schrei
riefst: Graf Egmont!--Ich ward feuerrot.
Klare. Hätt' ich nicht schreien sollen? Es war die Schlacht bei
Gravelingen; und ich finde oben im Bilde den Buchstaben C. und suche
unten in der Beschreibung C. Steht da: "Graf Egmont, dem das Pferd unter
dem Leibe totgeschossen wird." Mich überlief's--und hernach mußt ich
lachen über den holzgeschnitzten Egmont, der so groß war als der Turm von
Gravelingen gleich dabei und die englischen Schiffe an der Seite.--Wenn
ich mich manchmal erinnere, wie ich mir sonst eine Schlacht vorgestellt,
und was ich mir als Mädchen für ein Bild vom Grafen Egmont machte, wenn
sie von ihm erzählten, und von allen Grafen und Fürsten--und wie mir's
jetzt ist!
(Brackenburg kommt.)
Klare. Wie stehts?
Brackenburg. Man weiß nichts Gewisses. In Flandern soll neuerdings ein
Tumult entstanden sein; die Regentin soll besorgen, er möchte sich hieher
verbreiten. Das Schloß ist stark besetzt, die Bürger sind zahlreich an
den Thoren, das Volk summt in den Gassen.--Ich will nur schnell zu meinem
alten Vater. (Als wollt' er gehen.)
Klare. Sieht man Euch morgen? Ich will mich ein wenig anziehen. Der
Vetter kommt, und ich sehe gar zu liederlich aus. Helft mir einen
Augenblick, Mutter.--Nehmt das Buch mit, Brackenburg, und bringt mir
wieder so eine Historie.
Mutter. Lebt wohl!
Brackenburg (seine Hand reichend). Eure Hand!
Klare (ihre Hand versagend). Wenn Ihr wiederkommt.
(Mutter und Tochter ab.)
Brackenburg (allein). Ich hatte mir vorgenommen, gerade wieder
fortzugehn, und da sie es dafür aufnimmt und mich gehen läßt, möcht' ich
rasend werden.--Unglücklicher! und dich rührt deines Vaterlandes
Geschick nicht? der wachsende Tumult nicht?--und gleich ist dir
Landsmann oder Spanier, und wer regiert und wer Recht hat?--War ich doch
ein andrer Junge als Schulknabe!--Wenn da ein Exerzitium aufgegeben war:
"Brutus' Rede für die Freiheit, zur Übung der Redekunst"; da war doch
immer Fritz der erste, und der Rektor sagte: wenn's nur ordentlicher wäre,
nur nicht alles so über einander gestolpert.--Damals kocht' es und trieb!
--Jetzt schlepp' ich mich an den Augen des Mädchens so hin. Kann ich sie
doch nicht lassen! Kann sie mich doch nicht lieben!--Ach--Nein--Sie--Sie
kann mich nicht ganz verworfen haben.--Nicht ganz--und halb und nichts!
--Ich duld' es nicht länger!--Sollte es wahr sein, was mir ein Freund
neulich ins Ohr sagte? daß sie nachts einen Mann heimlich zu sich
einläßt, da sie mich züchtig immer vor Abend aus dem Hause treibt. Nein,
es ist nicht wahr, es ist eine Lüge, eine schändliche verleumderische
Lüge! Klärchen ist so unschuldig, als ich unglücklich bin.--Sie hat
mich verworfen, hat mich von ihrem Herzen gestoßen--Und ich soll so
fortleben? Ich duld', ich duld' es nicht.--Schon wird mein Vaterland von
innerm Zwiste heftiger bewegt, und ich sterbe unter dem Getümmel nur ab!
Ich duld' es nicht!--Wenn die Trompete klingt, ein Schuß fällt, mir
fährt's durch Mark und Bein! Ach, es reizt mich nicht, es fordert mich
nicht, auch mit einzugreifen, mit zu retten, zu wagen.--Elender,
schimpflicher Zustand! Es ist besser, ich end' auf einmal. Neulich
stürzt' ich mich ins Wasser, ich sank--aber die geängstete Natur war
stärker; ich fühlte, daß ich schwimmen konnte, und rettete mich wider
Willen.--Könnt' ich der Zeiten vergessen, da sie mich liebte, mich zu
lieben schien!--Warum hat mir's Mark und Bein durchdrungen, das Glück?
Warum haben mir diese Hoffnungen allen Genuß des Lebens aufgezehrt, indem
sie mir ein Paradies von weitem zeigten?--Und jener erste Kuß! Jener
einzige!--Hier (die Hand auf den Tisch legend), hier waren wir
allein--sie war immer gut und freundlich gegen mich gewesen--da schien
sie sich zu erweichen--sie sah mich an--alle Sinnen gingen mir um, und
ich fühlte ihre Lippen auf den meinigen.--Und--und nun?--Stirb, Armer!
Was zauderst du? (Er zieht ein Fläschchen aus der Tasche.) Ich will dich
nicht umsonst aus meines Bruders Doktorkästchen gestohlen haben,
heilsames Gift! Du sollst mir dieses Bangen, diese Schwindel, diese
Todesschweiße auf einmal verschlingen und lösen.

Zweiter Aufzug.

Platz in Brüssel.
Jetter und ein Zimmermeister treten zusammen.
Zimmermeister. Sagt' ich's nicht voraus? Noch vor acht Tagen auf der
Zunft sagt' ich, es würde schwere Händel geben.
Jetter. Ist's denn wahr, daß sie die Kirchen in Flandern geplündert
haben?
Zimmermeister. Ganz und gar zu Grunde gerichtet haben sie Kirchen und
Kapellen. Nichts als die vier nackten Wände haben sie stehen lassen.
Lauter Lumpengesindel! Und das macht unsre gute Sache schlimm. Wir
hätten eher, in der Ordnung, und standhaft, unsere Gerechtsame der
Regentin vortragen und drauf halten sollen. Reden wir jetzt, versammeln
wir uns jetzt, so heißt es, wir gesellen uns zu den Aufwieglern.
Jetter. Ja, so denkt jeder zuerst: was sollst du mit deiner Nase voran?
Hängt doch der Hals gar nah damit zusammen.
Zimmermeister. Mir ist's bange, wenn's einmal unter dem Pack zu lärmen
anfängt, unter dem Volk, das nichts zu verlieren hat. Die brauchen das
zum Vorwande, worauf wir uns auch berufen müssen, und bringen das Land in
Unglück. (Soest tritt dazu.)
Soest. Guten Tag, ihr Herrn! Was giebt's Neues? Ist's wahr, daß die
Bilderstürmer gerade hierher ihren Lauf nehmen?
Zimmermeister. Hier sollen sie nichts anrühren.
Soest. Es trat ein Soldat bei mir ein, Tobak zu kaufen; den fragt' ich
aus. Die Regentin, so eine wackre, kluge Frau sie bleibt, diesmal ist
sie außer Fassung. Es muß sehr arg sein, daß sie sich so geradezu hinter
ihre Wache versteckt. Die Burg ist scharf besetzt. Man meint sogar, sie
wolle aus der Stadt flüchten.
Zimmermeister. Hinaus soll sie nicht! Ihre Gegenwart beschützt uns, und
wir wollen ihr mehr Sicherheit verschaffen als ihre Stutzbärte. Und wenn
sie uns unsere Rechte und Freiheiten aufrecht erhält, so wollen wir sie
auf den Händen tragen.
(Seifensieder tritt dazu.)
Seifensieder. Garstige Händel! Üble Händel! Es wird unruhig und geht
schief aus!--Hütet euch, daß ihr stille bleibt, daß man euch nicht auch
für Aufwiegler hält.
Soest. Da kommen die sieben Weisen aus Griechenland.
Seifensieder. Ich weiß, da sind viele, die es heimlich mit den
Calvinisten halten, die auf die Bischöfe lästern, die den König nicht
scheuen. Aber ein treuer Unterthan, ein aufrichtiger Katholike--
(Es gesellt sich nach und nach allerlei Volk zu ihnen und horcht.)
(Vansen tritt dazu.)
Vansen. Gott grüß' euch Herren! Was Neues?
Zimmermeister. Gebt euch mit dem nicht ab, das ist ein schlechter Kerl.
Jetter. Ist es nicht der Schreiber beim Doktor Wiets?
Zimmermeister. Er hat schon viele Herren gehabt. Erst war er Schreiber,
und wie ihn ein Patron nach dem andern fortjagte, Schelmstreiche halber,
pfuscht er jetzt Notaren und Advokaten ins Handwerk, und ist ein
Branntweinzapf.
(Es kommt mehr Volk zusammen und steht truppweise.)
Vansen. Ihr seid auch versammelt, steckt die Köpfe zusammen. Es ist
immer redenswert,
Soest. Ich denk' auch.
Vansen. Wenn jetzt einer oder der andere Herz hätte, und einer oder der
andere den Kopf dazu, wir könnten die spanischen Ketten auf einmal
sprengen.
Soest. Herre! So müßt Ihr nicht reden. Wir haben dem König geschworen.
Vansen. Und der König uns. Merkt das.
Jetter. Das läßt sich hören! Sagt Eure Meinung!
Einige andere. Horch, der versteht's! Der hat Pfiffe.
Vansen. Ich hatte einen alten Patron, der besaß Pergamente und Briefe
von uralten Stiftungen, Kontrakten und Gerechtigkeiten; er hielt auf die
rarsten Bücher. In einem stand unsere ganze Verfassung: wie uns
Niederländer zuerst einzelne Fürsten regierten, alles nach hergebrachten
Rechten, Privilegien und Gewohnheiten; wie unsre Vorfahren alle Ehrfurcht
für ihren Fürsten gehabt, wenn er sie regiert, wie er sollte; und wie sie
sich gleich vorsahen, wenn er über die Schnur hauen wollte. Die Staaten
waren gleich hinterdrein; denn jede Provinz, so klein sie war, hatte ihre
Staaten, ihre Landstände.
Zimmermeister. Haltet Euer Maul! das weiß man lange! Ein jeder
rechtschaffene Bürger ist, so viel er braucht, von der Verfassung
unterrichtet.
Jetter. Laßt ihn reden; man erfährt immer etwas mehr.
Soest. Er hat ganz recht.
Mehrere. Erzählt! erzählt! So was hört man
nicht alle Tage.
Vansen. So seid ihr Bürgersleute! Ihr lebt nur so in den Tag hin; und
wie ihr euer Gewerb von euern Eltern überkommen habt, so laßt ihr auch
das Regiment über euch schalten und walten, wie es kann und mag. Ihr
fragt nicht nach dem Herkommen, nach der Historie, nach dem Recht eines
Regenten; und über das Versäumnis haben euch die Spanier das Netz über
die Ohren gezogen.
Soest. Wer denkt da dran? Wenn einer nur das tägliche Brot hat!
Jetter. Verflucht! Warum tritt auch keiner in Zeiten auf und sagt einem
so etwas?
Vansen. Ich sag' es euch jetzt. Der König in Spanien, der die Provinzen
durch gut Glück zusammen besitzt, darf doch nicht drin schalten und
walten, anders als die kleinen Fürsten, die sie ehemals einzeln besaßen.
Begreift ihr das?
Jetter. Erklärt's uns.
Vansen. Es ist so klar als die Sonne. Müßt ihr nicht nach euern
Landrechten gerichtet werden? Woher käme das?
Ein Bürger. Wahrlich.
Vansen. Hat der Brüsseler nicht ein ander Recht als der Antwerper? der
Antwerper als der Genter? Woher käme denn das?
Anderer Bürger. Bei Gott!
Vansen. Aber, wenn ihr's so fortlaufen laßt, wird man's euch bald anders
weisen. Pfui! Was Karl der Kühne, Friedrich der Krieger, Karl der
Fünfte nicht konnten, das thut nun Philipp durch ein Weib.
Soest. Ja, ja! Die alten Fürsten haben's auch schon probiert.
Vansen. Freilich!--Unsere Vorfahren paßten auf. Wie sie einem Herrn
gram wurden, fingen sie ihm etwa seinen Sohn und Erben weg, hielten ihn
bei sich, und gaben ihn nur auf die besten Bedingungen heraus. Unsere
Väter waren Leute! Die wußten was ihnen nütz war! Die wußten etwas zu
fassen und fest zu setzen! Rechte Männer! Dafür sind aber auch unsere
Privilegien so deutlich, unsere Freiheiten so versichert.
Seifensieder. Was sprecht Ihr von Freiheiten?
Das Volk. Von unsern Freiheiten, von unsern Privilegien! Erzählt noch
was von unsern Privilegien!
Vansen. Wir Brabanter besonders, obgleich alle Provinzen ihre Vorteile
haben, wir sind am herrlichsten versehen. Ich habe alles gelesen.
Soest. Sagt an.
Jetter. Laßt hören.
Ein Bürger. Ich bitt' Euch.
Vansen. Erstlich steht geschrieben: Der Herzog von Brabant soll uns ein
guter und getreuer Herr sein.
Soest. Gut! Steht das so?
Jetter. Getreu? Ist das wahr?
Vansen. Wie ich euch sage. Er ist uns verpflichtet, wie wir ihm.
Zweitens: Er soll keine Macht oder eignen Willen an uns beweisen, merken
lassen, oder gedenken zu gestatten, auf keinerlei Weise.
Jetter. Schön! Schön! nicht beweisen.
Soest. Nicht merken lassen.
Ein anderer. Und nicht gedenken zu gestatten! Das ist der Hauptpunkt.
Niemanden gestatten, auf keinerlei Weise.
Vansen. Mit ausdrücklichen Worten.
Jetter. Schafft uns das Buch.
Ein Bürger. Ja, wir müssen's haben.
Andere. Das Buch! das Buch!
Ein anderer. Wir wollen zu der Regentin gehen mit dem Buche.
Ein anderer. Ihr sollt das Wort führen, Herr Doktor.
Seifensieder. O die Tröpfe!
Andere. Noch etwas aus dem Buche!
Seifensieder. Ich schlage ihm die Zähne in den Hals, wenn er noch ein
Wort sagt.
Das Volk. Wir wollen sehen, wer ihm etwas thut. Sagt uns was von den
Privilegien! Haben wir noch mehr Privilegien?
Vansen. Mancherlei, und sehr gute, sehr heilsame. Da steht auch: Der
Landsherr soll den geistlichen Stand nicht verbessern oder mehren, ohne
Verwilligung des Adels und der Stände! Merkt das! Auch den Staat des
Landes nicht verändern.
Soest. Ist das so?
Vansen. Ich will's euch geschrieben zeigen von zwei-, dreihundert Jahren
her.
Bürger. Und wir leiden die neuen Bischöfe? Der Adel muß uns schützen,
wir fangen Händel an!
Andere. Und wir lassen uns von der Inquisition ins Bockshorn jagen?
Vansen. Das ist eure Schuld.
Das Volk. Wir haben noch Egmont! noch Oranien! Die sorgen für unser
Bestes.
Vansen. Eure Brüder in Flandern haben das gute Werk angefangen.
Seifensieder. Du Hund! (Er schlägt ihn.)
Andere (widersetzen sich und rufen). Bist du auch ein Spanier?
Ein anderer. Was? den Ehrenmann?
Ein anderer. Den Gelahrten?
(Sie fallen den Seifensieder an.)
Zimmermeister. Ums Himmels willen, ruht! (Andere mischen sich in den
Streit.)
Zimmermeister. Bürger, was soll das?
(Buben pfeifen, werfen mit Steinen, hetzen Hunde an, Bürger stehn und
gaffen, Volk läuft zu, andere gehn gelassen auf und ab, andere treiben
allerlei Schalkspossen, schreien und jubilieren.)
Andere. Freiheit und Privilegien! Privilegien und Freiheit!
(Egmont tritt auf mit Begleitung.)
Egmont. Ruhig! Ruhig, Leute! Was gibt's? Ruhe! Bringt sie aus
einander!
Zimmermeister. Gnädiger Herr, Ihr kommt wie ein Engel des Himmels.
Stille! seht ihr nichts? Graf Egmont! Dem Grafen Egmont Reverenz!
Egmont. Auch hier? Was fangt ihr an? Bürger gegen Bürger! Hält sogar
die Nähe unsrer königlichen Regentin diesen Unsinn nicht zurück? Geht
aus einander, geht an euer Gewerbe. Es ist ein übles Zeichen, wenn ihr
an Werktagen feiert. Was war's?
(Der Tumult stillt sich nach und nach, und alle stehen um ihn herum.)
Zimmermeister. Sie schlagen sich um ihre Privilegien.
Egmont. Die sie noch mutwillig zertrümmern werden--Und wer seid Ihr?
Ihr scheint mir rechtliche Leute.
Zimmermeister. Das ist unser Bestreben.
Egmont. Eures Zeichens?
Zimmermeister. Zimmermann und Zunftmeister.
Egmont. Und Ihr?
Soest. Krämer.
Egmont. Ihr?
Jetter. Schneider.
Egmont. Ich erinnere mich, Ihr habt mit an den Livreen für meine Leute
gearbeitet. Euer Name ist Jetter.
Jetter. Gnade, daß Ihr Euch dessen erinnert.
Egmont. Ich vergesse niemanden leicht, den ich einmal gesehen und
gesprochen habe.--Was an euch ist, Ruhe zu erhalten, Leute, das thut; ihr
seid übel genug angeschrieben. Reizt den König nicht mehr, er hat
zuletzt doch die Gewalt in Händen. Ein ordentlicher Bürger, der sich
ehrlich und fleißig nährt, hat überall soviel Freiheit, als er braucht.
Zimmermeister. Ach wohl! das ist eben unsre Not! Die Tagdiebe, die
Söffer, die Faulenzer, mit Euer Gnaden Verlaub, die stänkern aus
Langerweile, und scharren aus Hunger nach Privilegien, und lügen den
Neugierigen und Leichtgläubigen was vor, und um eine Kanne Bier bezahlt
zu kriegen, fangen sie Händel an, die viel tausend Menschen unglücklich
machen. Das ist ihnen eben recht. Wir halten unsre Häuser und Kasten zu
gut verwahrt; da möchten sie gern uns mit Feuerbränden davon treiben.
Egmont. Allen Beistand sollt ihr finden; es sind Maßregeln genommen, dem
Übel kräftig zu begegnen. Steht fest gegen die fremde Lehre und glaubt
nicht, durch Aufruhr befestige man Privilegien. Bleibt zu Hause; leidet
nicht, daß sie sich auf den Straßen rotten. Vernünftige Leute können
viel thun.
(Indessen hat sich der größte Haufe verlaufen.)
Zimmermeister. Danken Euer Excellenz, danken für die gute Meinung!
Alles, was an uns liegt. (Egmont ab.) Ein gnädiger Herr! der echte
Niederländer! Gar so nichts Spanisches.
Jetter. Hätten wir ihn nur zum Regenten! Man folgt' ihm gerne.
Soest. Das läßt der König wohl sein. Den Platz besetzt er immer mit den
Seinigen.
Jetter. Hast du das Kleid gesehen? Das war nach der neuesten Art, nach
spanischem Schnitt.
Zimmermeister. Ein schöner Herr!
Jetter. Sein Hals wär' ein rechtes Fressen für einen Scharfrichter.
Soest. Bist du toll? Was kommt dir ein?
Jetter. Dumm genug, daß einem so etwas einfällt.--Es ist mir nun so.
Wenn ich einen schönen langen Hals sehe, muß ich gleich wider Willen
denken: der ist gut köpfen.--Die verfluchten Exekutionen! man kriegt
sie nicht aus dem Sinne. Wenn die Bursche schwimmen und ich seh' einen
nackten Buckel, gleich fallen sie mir zu Dutzenden ein, die ich habe mit
Ruten streichen sehen. Begegnet mir ein rechter Wanst, mein' ich, den
säh' ich schon am Pfahl braten. Des Nachts im Traume zwickt mich's an
allen Gliedern; man wird eben keine Stunde froh. Jede Lustbarkeit, jeden
Spaß hab' ich bald vergessen; die fürchterlichen Gestalten sind mir wie
vor die Stirne gebrannt.

Egmonts Wohnung.
(Sekretär an einem Tische mit Papieren, er steht unruhig auf.)
Sekretär. Er kommt immer nicht! und ich warte schon zwei Stunden, die
Feder in der Hand, die Papiere vor mir; und eben heute möcht' ich gern so
zeitig fort. Es brennt mir unter den Sohlen! Ich kann vor Ungeduld kaum
bleiben. "Sei auf die Stunde da," befahl er mir noch, ehe er wegging;
nun kommt er nicht. Es ist so viel zu thun, ich werde vor Mitternacht
nicht fertig. Freilich sieht er einem auch einmal durch die Finger.
Doch hielt' ich's besser, wenn er strenge wäre und ließe einen auch
wieder zur bestimmten Zeit. Man könnte sich einrichten. Von der
Regentin ist er nun schon zwei Stunden weg; wer weiß, wen er unterwegs
angefaßt hat.
(Egmont tritt auf.)
Egmont. Wie sieht's aus?
Sekretär. Ich bin bereit, und drei Boten warten.
Egmont. Ich bin dir wohl zu lang geblieben; du machst ein verdrießlich
Gesicht.
Sekretär. Eurem Befehl zu gehorchen, wart' ich schon lange. Hier sind
die Papiere.
Egmont. Donna Elvira wird böse auf mich werden, wenn sie hört, daß ich
dich abgehalten habe.
Sekretär. Ihr scherzt.
Egmont. Nein, nein. Schäme dich nicht. Du zeigst einen guten Geschmack.
Sie ist hübsch; und es ist mir ganz recht, daß du auf dem Schlosse eine
Freundin hast. Was sagen die Briefe?
Sekretär. Mancherlei, und wenig Erfreuliches.
Egmont. Da ist gut, daß wir die Freude zu Hause haben und sie nicht von
auswärts zu erwarten brauchen. Ist viel gekommen?
Sekretär. Genug, und drei Boten warten.
Egmont. Sag' an! das Nötigste.
Sekretär. Es ist alles nötig.
Egmont. Eins nach dem andern, nur geschwind!
Sekretär. Hauptmann Breda schickt die Relation, was weiter in Gent und
der umliegenden Gegend vorgefallen. Der Tumult hat sich meistens gelegt.
--
Egmont. Er schreibt wohl noch von einzelnen Ungezogenheiten und
Tollkühnheiten?
Sekretär. Ja! Es kommt noch manches vor.
Egmont. Verschone mich damit.
Sekretär. Noch sechs sind eingezogen worden, die bei Verwich das
Marienbild umgerissen haben. Er fragt an, ob er sie auch wie die andern
soll hängen lassen.
Egmont. Ich bin des Hängens müde. Man soll sie durchpeitschen, und sie
mögen gehen.
Sekretär. Es sind zwei Weiber dabei; soll er die auch durchpeitschen?
Egmont. Die mag er verwarnen und laufen lassen.
Sekretär. Brink von Bredas Kompagnie will heiraten. Der Hauptmann hofft,
Ihr werdet's ihm abschlagen. Es sind so viele Weiber bei dem Haufen,
schreibt er, daß, wenn wir ausziehen, es keinem Soldatenmarsch, sondern
einem Zigeuner-Geschleppe ähnlich sehen wird.
Egmont. Dem mag's noch hingehen! Es ist ein schöner junger Kerl; er bat
mich noch gar dringend, eh' ich wegging. Aber nun soll's keinem mehr
gestattet sein, so leid mir's thut, den armen Teufeln, die ohnedies
geplagt genug sind, ihren besten Spaß zu versagen.
Sekretär. Zwei von Euern Leuten, Seter und Hart, haben einem Mädel,
einer Wirtstochter, übel mitgespielt. Sie kriegten sie allein, und die
Dirne konnte sich ihrer nicht erwehren.
Egmont. Wenn es ein ehrlich Mädchen ist, und sie haben Gewalt gebraucht,
so soll er sie drei Tage hinter einander mit Ruten streichen lassen, und
wenn sie etwas besitzen, soll er so viel davon einziehen, daß dem Mädchen
eine Ausstattung gereicht werden kann.
Sekretär. Einer von den fremden Lehrern ist heimlich durch Comines
gegangen und entdeckt worden. Er schwört, er sei im Begriff, nach
Frankreich zu gehen. Nach dem Befehl soll er enthauptet werden.
Egmont. Sie sollen ihn in der Stille an die Grenze bringen und ihm
versichern, daß er das zweite Mal nicht so wegkommt.
Sekretär. Ein Brief von Euerm Einnehmer. Er schreibt: es komme wenig
Geld ein, er könne auf die Woche die verlangte Summe schwerlich schicken;
der Tumult habe in alles die größte Konfusion gebracht.
Egmont. Das Geld muß herbei! er mag sehen, wie er es zusammenbringt.
Sekretär. Er sagt: er werde sein Möglichstes thun, und wolle endlich den
Raymond, der Euch so lange schuldig ist, verklagen und in Verhaft nehmen
lassen.
Egmont. Der hat ja versprochen zu bezahlen.
Sekretär. Das letzte Mal setzte er sich selbst vierzehn Tage.
Egmont. So gebe man ihm noch vierzehn Tage; und dann mag er gegen ihn
verfahren.
Sekretär. Ihr thut wohl. Es ist nicht Unvermögen; es ist böser Wille.
Er macht gewiß Ernst, wenn er sieht, Ihr spaßt nicht.--Ferner sagt der
Einnehmer: er wolle den alten Soldaten, den Witwen und einigen andern,
denen Ihr Gnadengehalte gebt, die Gebühr einen halben Monat zurückhalten;
man könne indessen Rat schaffen; sie möchten sich einrichten.
Egmont. Was ist da einzurichten? Die Leute brauchen das Geld nötiger
als ich. Das soll er bleiben lassen.
Sekretär. Woher befehlt Ihr denn, daß er das Geld nehmen soll?
Egmont. Darauf mag er denken; es ist ihm im vorigen Briefe schon gesagt.
Sekretär. Deswegen thut er die Vorschläge.
Egmont. Die taugen nicht; er soll auf was anders sinnen. Er soll
Vorschläge thun, die annehmlich sind, und vor allem soll er das Geld
schaffen.
Sekretär. Ich habe den Brief des Grafen Oliva wieder hieher gelegt.
Verzeiht, daß ich Euch daran erinnere. Der alte Herr verdient vor allen
andern eine ausführliche Antwort. Ihr wolltet ihm selbst schreiben.
Gewiß, er liebt Euch wie ein Vater.
Egmont. Ich komme nicht dazu. Und unter vielem Verhaßten ist mir das
Schreiben das Verhaßteste. Du machst meine Hand ja so gut nach, schreib'
in meinem Namen. Ich erwarte Oranien. Ich komme nicht dazu, und wünschte
selbst, daß ihm auf seine Bedenklichkeiten was recht Beruhigendes
geschrieben würde.
Sekretär. Sagt mir nur ungefähr Eure Meinung; ich will die Antwort schon
aufsetzen und sie Euch vorlegen. Geschrieben soll sie werden, daß sie
vor Gericht für Eure Hand gelten kann.
Egmont. Gieb mir den Brief. (Nachdem er hineingesehen.) Guter ehrlicher
Alter! Warst du in deiner Jugend auch wohl so bedächtig? Erstiegst du
nie einen Wall? Bliebst du in der Schlacht, wo es die Klugheit anrät,
hinten?--Der treue Sorgliche! Er will mein Leben und mein Glück, und
fühlt nicht, daß der schon tot ist, der um seiner Sicherheit willen lebt.
--Schreib' ihm, er möge unbesorgt sein; ich handle, wie ich soll, ich
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