Egmont - 3

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werde mich schon wahren: sein Ansehn bei Hofe soll er zu meinen Gunsten
brauchen und meines vollkommnen Dankes gewiß sein.
Sekretär. Nichts weiter? O, er erwartet mehr.
Egmont. Was soll ich mehr sagen? Willst du mehr Worte machen, so
steht's bei dir. Es dreht sich immer um den einen Punkt: ich soll leben,
wie ich nicht leben mag. Daß ich fröhlich bin, die Sachen leicht nehme,
rasch lebe, das ist mein Glück; und ich vertausch' es nicht gegen die
Sicherheit eines Totengewölbes. Ich habe nun zu der spanischen Lebensart
nicht einen Blutstropfen in meinen Adern, nicht Lust, meine Schritte nach
der neuen bedächtigen Hof-kadenz zu mustern. Leb' ich nur, um auf's
Leben zu denken? Soll ich den gegenwärtigen Augenblick nicht genießen,
damit ich des folgenden gewiß sei? Und diesen wieder mit Sorgen und
Grillen verzehren?
Sekretär. Ich bitt' Euch, Herr, seid nicht so harsch und rauh gegen den
guten Mann. Ihr seid ja sonst gegen alle freundlich. Sagt mir ein
gefällig Wort, das den edeln Freund beruhige. Seht, wie sorgfältig er
ist, wie leis' er Euch berührt.
Egmont. Und doch berührt er immer diese Saite. Er weiß von alters her,
wie verhaßt mir diese Ermahnungen sind; sie machen nur irre, sie helfen
nichts. Und wenn ich ein Nachtwandler wäre, und auf dem gefährlichen
Gipfel eines Hauses spazierte, ist es freundschaftlich, mich beim Namen
zu rufen und mich zu warnen, zu wecken und zu töten? Laßt jeden seines
Pfades gehn; er mag sich wahren.
Sekretär. Es ziemt Euch, nicht zu sorgen; aber wer Euch kennt und liebt
--
Egmont (in den Brief sehend). Da bringt er wieder die alten Märchen auf,
was wir an einem Abend in leichtem Übermut der Geselligkeit und des
Weins getrieben und gesprochen, und was man daraus für Folgen und Beweise
durchs ganze Königreich gezogen und geschleppt habe.--Nun gut! wir haben
Schellenkappen, Narrenkutten auf unsrer Diener Ärmel sticken lassen, und
haben diese tolle Zierde nachher in ein Bündel Pfeile verwandelt; ein
noch gefährlicher Symbol für alle, die deuten wollen, wo nichts zu deuten
ist. Wir haben die und jene Thorheit in einem lustigen Augenblick
empfangen gleich und geboren; sind schuld, daß eine ganze edle Schar mit
Bettelsäcken und mit einem selbstgewählten Unnamen dem Könige seine
Pflicht mit spottender Demut ins Gedächtnis rief; sind schuld--was ist's
nun weiter? Ist ein Fastnachtsspiel gleich Hochverrat? Sind uns die
kurzen bunten Lumpen zu mißgönnen, die ein jugendlicher Mut, eine
angefrischte Phantasie um unsers Lebens arme Blöße hängen mag? Wenn ihr
das Leben gar zu ernsthaft nehmt, was ist denn dran? Wenn uns der Morgen
nicht zu neuen Freuden weckt, am Abend uns keine Lust zu hoffen übrig
bleibt, ist's wohl des An- und Ausziehens wert? Scheint mir die Sonne
heut', um das zu überlegen, was gestern war? und um zu raten, zu
verbinden, was nicht zu erraten, nicht zu verbinden ist, das Schicksal
eines kommenden Tages? Schenke mir diese Betrachtungen; wir wollen sie
Schülern und Höflingen überlassen. Die mögen sinnen und aussinnen,
wandeln und schleichen, gelangen wohin sie können, erschleichen, was sie
können.--Kannst du von allem diesem etwas brauchen, daß deine Epistel
kein Buch wird, so ist mir's recht. Dem guten Alten scheint alles viel
zu wichtig. So drückt ein Freund, der lang unsre Hand gehalten, sie
stärker noch einmal, wenn er sie lassen will.
Sekretär. Verzeiht mir! Es wird dem Fußgänger schwindlig, der einen
Mann mit rasselnder Eile daher fahren sieht.
Egmont. Kind! Kind! nicht weiter! Wie von unsichtbaren Geistern
gepeitscht, gehen die Sonnenpferde der Zeit mit unsers Schicksals
leichtem Wagen durch; und uns bleibt nichts, als mutig gefaßt die Zügel
festzuhalten, und bald rechts, bald links, vom Steine hier, vom Sturze da,
die Räder wegzulenken. Wohin es geht, wer weiß es? Erinnert er sich
doch kaum, woher er kam!
Sekretär. Herr! Herr!
Egmont. Ich stehe hoch, und kann und muß noch höher steigen; ich fühle
mir Hoffnung, Mut und Kraft. Noch hab' ich meines Wachstums Gipfel nicht
erreicht; und steh' ich droben einst, so will ich fest, nicht ängstlich
stehn. Soll ich fallen, so mag ein Donnerschlag, ein Sturmwind, ja ein
selbst verfehlter Schritt mich abwärts in die Tiefe stürzen; da lieg' ich
mit viel Tausenden. Ich habe nie verschmäht, mit meinen guten
Kriegsgesellen um kleinen Gewinst das blutige Los zu werfen; und sollt'
ich knickern, wenn's um den ganzen freien Wert des Lebens geht?
Sekretär. O Herr! Ihr wißt nicht, was für Worte Ihr sprecht! Gott
erhalt' Euch!
Egmont. Nimm deine Papiere zusammen. Oranien kommt. Fertige aus, was
am nötigsten ist, daß die Boten fortkommen, eh' die Thore geschlossen
werden. Das andere hat Zeit. Den Brief an den Grafen laß bis morgen;
versäume nicht, Elviren zu besuchen, und grüße sie von mir.--Horche, wie
sich die Regentin befindet; sie soll nicht wohl sein, ob sie's gleich
verbirgt. (Sekretär ab.)
(Oranien kommt.)
Egmont. Willkommen, Oranien. Ihr scheint mir nicht ganz frei.
Oranien. Was sagt Ihr zu unsrer Unterhaltung mit der Regentin?
Egmont. Ich fand in ihrer Art uns aufzunehmen nichts Außerordentliches.
Ich habe sie schon öfter so gesehen. Sie schien mir nicht ganz wohl.
Oranien. Merktet Ihr nicht, daß sie zurückhaltender war? Erst wollte
sie unser Betragen bei dem neuen Aufruhr des Pöbels gelassen billigen;
nachher merkte sie an, was sich doch auch für ein falsches Licht darauf
werfen lasse; wich dann mit dem Gespräche zu ihrem alten gewöhnlichen
Diskurs: daß man ihre liebevolle, gute Art, ihre Freundschaft zu uns
Niederländern nie genug erkannt, zu leicht behandelt habe, daß nichts
einen erwünschten Ausgang nehmen wolle, daß sie am Ende wohl müde werden,
der König sich zu andern Maßregeln entschließen müsse. Habt Ihr das
gehört?
Egmont. Nicht alles; ich dachte unterdessen an was anders. Sie ist ein
Weib, guter Oranien, und die möchten immer gern, daß sich alles unter ihr
sanftes Joch gelassen schmiegte, daß jeder Herkules die Löwenhaut ablegte
und ihren Kunkelhof vermehrte; daß, weil sie friedlich gesinnt sind, die
Gärung, die ein Volk ergreift, der Sturm, den mächtige Nebenbuhler gegen
einander erregen, sich durch ein freundlich Wort beilegen ließe, und die
widrigsten Elemente sich zu ihren Füßen in sanfter Eintracht vereinigten.
Das ist ihr Fall; und da sie es dahin nicht bringen kann, so hat sie
keinen Weg, als launisch zu werden, sich über Undankbarkeit, Unweisheit
zu beklagen, mit schrecklichen Aussichten in die Zukunft zu drohen, und
zu drohen, daß sie--fortgehn will.
Oranien. Glaubt Ihr dasmal nicht, daß sie ihre Drohung erfüllt?
Egmont. Nimmermehr! Wie oft habe ich sie schon reisefertig gesehn! Wo
will sie denn hin? Hier Statthalterin, Königin; glaubst du, daß sie es
unterhalten wird, am Hofe ihres Bruders unbedeutende Tage abzuhaspeln?
oder nach Italien zu gehen und sich in alten Familienverhältnissen
herumzuschleppen?
Oranien. Man hält sie dieser Entschließung nicht fähig, weil Ihr sie
habt zaudern, weil Ihr sie habt zurücktreten sehn; dennoch liegt's wohl
in ihr; neue Umstände treiben sie zu dem lang verzögerten Entschluß.
Wenn sie ginge? und der König schickte einen andern?
Egmont. Nun, der würde kommen, und würde eben auch zu thun finden. Mit
großen Planen, Projekten und Gedanken würde er kommen, wie er alles
zurecht rücken, unterwerfen und zusammenhalten wolle; und würde heut' mit
dieser Kleinigkeit, morgen mit einer andern zu thun haben, übermorgen
jene Hindernis finden, einen Monat mit Entwürfen, einen andern mit
Verdruß über fehlgeschlagne Unternehmen, ein halb Jahr in Sorgen über
eine einzige Provinz zubringen. Auch ihm wird die Zeit vergehn, der Kopf
schwindeln, und die Dinge wie zuvor ihren Gang halten, daß er, statt
weite Meere nach einer vorgezogenen Linie zu durchsegeln, Gott danken mag,
wenn er sein Schiff in diesem Sturme vom Felsen hält.
Oranien. Wenn man nun aber dem König zu einem Versuch riete?
Egmont. Der wäre?
Oranien. Zu sehen, was der Rumpf ohne Haupt anfinge.
Egmont. Wie?
Oranien. Egmont, ich trage viele Jahre her alle unsere Verhältnisse am
Herzen, ich stehe immer wie über einem Schachspiele und halte keinen Zug
des Gegners für unbedeutend; und wie müßige Menschen mit der größten
Sorgfalt sich um die Geheimnisse der Natur bekümmern, so halt' ich es für
Pflicht, für Beruf eines Fürsten, die Gesinnungen, die Ratschläge aller
Parteien zu kennen. Ich habe Ursach', einen Ausbruch zu befürchten. Der
König hat lange nach gewissen Grundsätzen gehandelt; er sieht, daß er
damit nicht auskommt; was ist wahrscheinlicher, als daß er es auf einem
andern Wege versucht?
Egmont. Ich glaub's nicht. Wenn man alt wird und hat so viel versucht,
und es will in der Welt nie zur Ordnung kommen, muß man es endlich wohl
genug haben.
Oranien. Eins hat er noch nicht versucht.
Egmont. Nun?
Oranien. Das Volk zu schonen und die Fürsten zu verderben.
Egmont. Wie viele haben das schon lange gefürchtet. Es ist keine Sorge.
Oranien. Sonst war's Sorge; nach und nach ist mir's Vermutung, zuletzt
Gewißheit geworden.
Egmont. Und hat der König treuere Diener als uns?
Oranien. Wir dienen ihm auf unsere Art; und unter einander können wir
gestehen, daß wir des Königs Rechte und die unsrigen wohl abzuwägen
wissen.
Egmont. Wer thut's nicht? Wir sind ihm unterthan und gewärtig in dem,
was ihm zukommt.
Oranien. Wenn er sich nun aber mehr zuschriebe und Treulosigkeit nennte,
was wir heißen, auf unsere Rechte halten?
Egmont. Wir werden uns verteidigen können. Er rufe die Ritter des
Vließes zusammen, wir wollen uns richten lassen.
Oranien. Und was wäre ein Urteil vor der Untersuchung? eine Strafe vor
dem Urteil?
Egmont. Eine Ungerechtigkeit, der sich Philipp nie schuldig machen wird;
und eine Thorheit, die ich ihm und seinen Räten nicht zutraue.
Oranien. Und wenn sie nun ungerecht und thöricht wären?
Egmont. Nein, Oranien, es ist nicht möglich. Wer sollte wagen, Hand an
uns zu legen?--Uns gefangen zu nehmen, wär' ein verlornes und fruchtloses
Unternehmen. Nein, sie wagen nicht, das Panier der Tyrannei so hoch
aufzustecken. Der Windhauch, der diese Nachricht über's Land brächte,
würde ein ungeheures Feuer zusammentreiben. Und wo hinaus wollten sie?
Richten und verdammen kann nicht der König allein; und wollten sie
meuchelmörderisch an unser Leben?--Sie können nicht wollen. Ein
schrecklicher Bund würde in einem Augenblick das Volk vereinigen. Haß
und ewige Trennung vom spanischen Namen würde sich gewaltsam erklären.
Oranien. Die Flamme wütete dann über unserm Grabe, und das Blut unsrer
Feinde flösse zum leeren Sühnopfer. Laß uns denken, Egmont.
Egmont. Wie sollten sie aber?
Oranien. Alba ist unterwegs.
Egmont. Ich glaub's nicht.
Oranien. Ich weiß es.
Egmont. Die Regentin wollte nichts wissen.
Oranien. Um desto mehr bin ich überzeugt. Die Regentin wird ihm Platz
machen. Seinen Mordsinn kenn' ich, und ein Heer bringt er mit.
Egmont. Aufs neue die Provinzen zu belästigen? Das Volk wird höchst
schwierig werden.
Oranien. Man wird sich der Häupter versichern.
Egmont. Nein! Nein!
Oranien. Laß uns gehen, jeder in seine Provinz. Dort wollen wir uns
verstärken; mit offner Gewalt fängt er nicht an.
Egmont. Müssen wir ihn nicht begrüßen, wenn er kommt?
Oranien. Wir zögern.
Egmont. Und wenn er uns im Namen des Königs bei seiner Ankunft fordert?
Oranien. Suchen wir Ausflüchte.
Egmont. Und wenn er dringt?
Oranien. Entschuldigen wir uns.
Egmont. Und wenn er darauf besteht?
Oranien. Kommen wir um so weniger.
Egmont. Und der Krieg ist erklärt, und wir sind die Rebellen. Oranien,
laß dich nicht durch Klugheit verführen; ich weiß, daß Furcht dich nicht
weichen macht. Bedenke den Schritt.
Oranien. Ich hab' ihn bedacht.
Egmont. Bedenke, wenn du dich irrst, woran du schuld bist: an dem
verderblichsten Kriege, der je ein Land verwüstet hat. Dein Weigern ist
das Signal, das die Provinzen mit einmal zu den Waffen ruft, das jede
Grausamkeit rechtfertigt, wozu Spanien von jeher nur gern den Vorwand
gehascht hat. Was wir lange mühselig gestillt haben, wirst du mit einem
Winke zur schrecklichsten Verwirrung aufhetzen. Denk' an die Städte, die
Edeln, das Volk, an die Handlung, den Feldbau, die Gewerbe! und denke
die Verwüstung, den Mord!--Ruhig sieht der Soldat wohl im Felde seinen
Kameraden neben sich hinfallen; aber den Fluß herunter werden dir die
Leichen der Bürger, der Kinder, der Jungfrauen entgegenschwimmen, daß du
mit Entsetzen dastehst, und nicht mehr weißt, wessen Sache du verteidigst,
da die zu Grunde gehen, für deren Freiheit du die Waffen ergriffst. Und
wie wird dir's sein, wenn du dir still sagen mußt: Für meine Sicherheit
ergriff ich sie.
Oranien. Wir sind nicht einzelne Menschen, Egmont. Ziemt es sich, uns
für Tausende hinzugeben, so ziemt es sich auch, uns für Tausende zu
schonen.
Egmont. Wer sich schont, muß sich selbst verdächtig werden.
Oranien. Wer sich kennt, kann sicher vor- und rückwärts gehen.
Egmont. Das Übel, das du fürchtest, wird gewiß durch deine That.
Oranien. Es ist klug und kühn, dem unvermeidlichen Übel entgegenzugehn.
Egmont. Bei so großer Gefahr kommt die leichteste Hoffnung in Anschlag
Oranien. Wir haben nicht für den leisesten Fußtritt Platz mehr; der
Abgrund liegt hart vor uns.
Egmont. Ist des Königs Gunst ein so schmaler Grund?
Oranien. So schmal nicht, aber schlüpfrig.
Egmont. Bei Gott! man thut ihm unrecht. Ich mag nicht leiden, daß man
unwürdig von ihm denkt! Er ist Karls Sohn und keiner Niedrigkeit fähig.
Oranien. Die Könige thun nichts Niedriges.
Egmont. Man sollte ihn kennen lernen,
Oranien. Eben diese Kenntnis rät uns, eine gefährliche Probe nicht
abzuwarten.
Egmont. Keine Probe ist gefährlich, zu der man Mut hat.
Oranien. Du wirst aufgebracht, Egmont.
Egmont. Ich muß mit meinen Augen sehen.
Oranien. O, sähst du diesmal nur mit den meinigen! Freund, weil du sie
offen hast, glaubst du, du siehst. Ich gehe! Warte du Albas Ankunft ab,
und Gott sei bei dir! Vielleicht rettet dich mein Weigern. Vielleicht,
daß der Drache nichts zu fangen glaubt, wenn er uns nicht beide auf
einmal verschlingt. Vielleicht zögert er, um seinen Anschlag sicherer
auszuführen; und vielleicht siehest du indes die Sache in ihrer wahren
Gestalt. Aber dann schnell! schnell! Rette! rette dich!--Leb' wohl!
--Laß deiner Aufmerksamkeit nichts entgehen: wie viel Mannschaft er
mitbringt, wie er die Stadt besetzt, was für Macht die Regentin behält,
wie deine Freunde gefaßt sind. Gieb mir Nachricht--Egmont--
Egmont. Was willst du?
Oranien (ihn bei der Hand fassend). Laß dich überreden! Geh mit!
Egmont. Wie? Thränen, Oranien?
Oranien. Einen Verlornen zu beweinen, ist auch männlich.
Egmont. Du wähnst mich verloren?
Oranien. Du bist's. Bedenke! Dir bleibt nur eine kurze Frist. Leb'
wohl! (Ab.)
Egmont. (allein). Daß andrer Menschen Gedanken solchen Einfluß auf uns
haben! Mir wär' es nie eingekommen; und dieser Mann trägt seine
Sorglichkeit in mich herüber.--Weg!--Das ist ein fremder Tropfen in
meinem Blute. Gute Natur, wirf ihn wieder heraus! Und von meiner Stirne
die sinnenden Runzeln wegzubaden, giebt es ja wohl noch ein freundlich
Mittel.

Dritter Aufzug.
Palast der Regentin.
Margarete von Parma.
Regentin. Ich hätte mir's vermuten sollen. Ha! Wenn man in Mühe und
Arbeit vor sich hinlebt, denkt man immer, man thue das Möglichste; und
der von weitem zusieht und befiehlt, glaubt, er verlange nur das Mögliche.
--O die Könige!--Ich hätte nicht geglaubt, daß es mich so verdrießen
könnte. Es ist so schön zu herrschen!--Und abzudanken?--Ich weiß nicht,
wie mein Vater es konnte; aber ich will es auch.
(Machiavell erscheint im Grunde.)
Regentin. Tretet näher, Machiavell. Ich denke hier über den Brief
meines Bruders.
Machiavell. Ich darf wissen, was er enthält?
Regentin. So viel zärtliche Aufmerksamkeit für mich, als Sorgfalt für
seine Staaten. Er rühmt die Standhaftigkeit, den Fleiß und die Treue,
womit ich bisher für die Rechte Seiner Majestät in diesen Landen gewacht
habe. Er bedauert mich, daß mir das unbändige Volk so viel zu schaffen
mache. Er ist von der Tiefe meiner Einsichten so vollkommen überzeugt,
mit der Klugheit meines Betragens so außerordentlich zufrieden, daß ich
fast sagen muß, der Brief ist für einen König zu schön geschrieben, für
einen Bruder gewiß.
Machiavell. Es ist nicht das erste Mal, daß er Euch seine gerechte
Zufriedenheit bezeigt.
Regentin. Aber das erste Mal, daß es rednerische Figur ist.
Machiavell. Ich versteh' Euch nicht.
Regentin. Ihr werdet.--Denn er meint, nach diesem Eingange: ohne
Mannschaft, ohne eine kleine Armee werde ich immer hier eine üble Figur
spielen. Wir hätten, sagt er, unrecht gethan, auf die Klagen der
Einwohner unsre Soldaten aus den Provinzen zu ziehen. Eine Besatzung,
meint er, die dem Bürger auf dem Nacken lastet, verbiete ihm durch ihre
Schwere, große Sprünge zu machen.
Machiavell. Es würde die Gemüter äußerst aufbringen.
Regentin. Der König meint aber, hörst du?--Er meint, daß ein tüchtiger
General, so einer, der gar keine Raison annimmt, gar bald mit Volk und
Adel, Bürgern und Bauern fertig werden könne;--und schickt deswegen mit
einem starken Heere--den Herzog von Alba.
Machiavell. Alba?
Regentin. Du wunderst dich?
Machiavell. Ihr sagt: er schickt. Er fragt wohl, ob er schicken soll?
Regentin. Der König fragt nicht; er schickt.
Machiavell. So werdet Ihr einen erfahrnen Krieger in Euren Diensten
haben.
Regentin. In meinen Diensten? Rede g'rad' heraus, Machiavell.
Machiavell. Ich möcht' Euch nicht vorgreifen.
Regentin. Und ich möchte mich verstellen. Es ist mir empfindlich, sehr
empfindlich. Ich wollte lieber, mein Bruder sagte, wie er's denkt, als
daß er förmliche Episteln unterschreibt, die ein Staatssekretär aufsetzt.
Machiavell. Sollte man nicht einsehen?--
Regentin. Und ich kenne sie inwendig und auswendig. Sie möchten's gern
gesäubert und gekehrt haben: und weil sie selbst nicht zugreifen, so
findet ein jeder Vertrauen, der mit dem Besen in der Hand kommt. O, mir
ist's, als wenn ich den König und sein Conseil auf dieser Tapete gewirkt
sähe.
Machiavell. So lebhaft?
Regentin. Es fehlt kein Zug. Es sind gute Menschen drunter. Der
ehrliche Rodrich, der so erfahren und mäßig ist, nicht zu hoch will und
doch nichts fallen läßt, der gerade Alonzo, der fleißige Freneda, der
feste Las Vargas und noch einige, die mitgehen, wenn die gute Partei
mächtig wird. Da sitzt aber der hohläugige Toledaner mit der ehrnen
Stirne und dem tiefen Feuerblick, murmelt zwischen den Zähnen von
Weibergüte, unzeitigem Nachgeben, und daß Frauen wohl von zugerittenen
Pferden sich tragen lassen, selbst aber schlechte Stallmeister sind, und
solche Späße, die ich ehemals von den politischen Herren habe mit
durchhören müssen.
Machiavell. Ihr habt zu dem Gemälde einen guten Farbentopf gewählt.
Regentin. Gesteht nur, Machiavell: In meiner ganzen Schattierung, aus
der ich allenfalls malen könnte, ist kein Ton so gelbbraun, gallenschwarz,
wie Albas Gesichtsfarbe, und als die Farbe, aus der er malt. Jeder ist
bei ihm gleich ein Gotteslästerer, ein Majestätsschänder; denn aus
diesem Kapitel kann man sie alle sogleich rädern, pfählen, vierteilen und
verbrennen.--Das Gute, was ich hier gethan habe, sieht gewiß in der Ferne
wie nichts aus, eben weil's gut ist.--Da hängt er sich an jeden Mutwillen,
der vorbei ist, erinnert an jede Unruhe, die gestillt ist; und es wird
dem Könige vor den Augen so voll Meuterei, Aufruhr und Tollkühnheit, daß
er sich vorstellt, sie fräßen sich hier einander auf, wenn eine flüchtig
vorübergehende Ungezogenheit eines rohen Volks bei uns lange vergessen
ist. Da faßt er einen recht herzlichen Haß auf die armen Leute; sie
kommen ihm abscheulich, ja wie Tiere und Ungeheuer vor; er sieht sich
nach Feuer und Schwert um, und wähnt, so bändige man Menschen.
Machiavell. Ihr scheint mir zu heftig, Ihr nehmt die Sache zu hoch.
Bleibt Ihr nicht Regentin?
Regentin. Das kenn' ich. Er wird eine Instruktion bringen.--Ich bin in
Staatsgeschäften alt genug geworden, um zu wissen, wie man einen
verdrängt, ohne ihm seine Bestallung zu nehmen.--Erst wird er eine
Instruktion bringen, die wird unbestimmt und schief sein; er wird um sich
greifen, denn er hat die Gewalt; und wenn ich mich beklage, wird er eine
geheime Instruktion vorschützen; wenn ich sie sehen will, wird er mich
herumziehen; wenn ich darauf bestehe, wird er mir ein Papier zeigen, das
ganz was anders enthält; und wenn ich mich da nicht beruhige, gar nicht
mehr thun, als wenn ich redete.--Indes wird er, was ich fürchte, gethan,
und was ich wünsche, weit abwärts gelenkt haben.
Machiavell. Ich wollt', ich könnt' Euch widersprechen.
Regentin. Was ich mit unsäglicher Geduld beruhigte, wird er durch Härte
und Grausamkeiten wieder aufhetzen; ich werde vor meinen Augen mein Werk
verloren sehen, und überdies noch seine Schuld zu tragen haben.
Machiavell. Erwarten's Eure Hoheit.
Regentin. So viel Gewalt hab' ich über mich, um stille zu sein. Laß ihn
kommen; ich werde ihm mit der besten Art Platz machen, eh' er mich
verdrängt.
Machiavell. So rasch diesen wichtigen Schritt?
Regentin. Schwerer, als du denkst. Wer zu herrschen gewohnt ist, wer's
hergebracht hat, daß jeden Tag das Schicksal von Tausenden in seiner Hand
liegt, steigt vom Throne wie ins Grab. Aber besser so, als einem
Gespenste gleich unter den Lebenden bleiben und mit hohlem Ansehn einen
Platz behaupten wollen, den ihm ein anderer abgeerbt hat und nun besitzt
und genießt.

Klärchens Wohnung.
Klärchen. Mutter.
Mutter. So eine Liebe wie Brackenburgs hab' ich nie gesehen; ich glaubte,
sie sei nur in Heldengeschichten.
Klärchen (geht in der Stube auf und ab, ein Lied zwischen den Lippen
summend).
Glücklich allein
Ist die Seele, die liebt.
Mutter. Er vermutet deinen Umgang mit Egmont; und ich glaube, wenn du
ihm ein wenig freundlich thätest, wenn du wolltest, er heiratete dich
noch.
Klärchen (singt).
Freudvoll
Und leidvoll,
Gedankenvoll sein;
Langen
Und bangen
In schwebender Pein;
Himmelhoch jauchzend,
Zum Tode betrübt;
Glücklich allein
Ist die Seele, die liebt.
Mutter. Laß das Heiopopeio.
Klärchen. Scheltet mir's nicht; es ist ein kräftig Lied. Hab' ich doch
schon manchmal ein großes Kind damit schlafen gewiegt.
Mutter. Du hast doch nichts im Kopfe als deine Liebe. Vergäßest du nur
nicht alles über das eine. Den Brackenburg solltest du in Ehren halten,
sag' ich dir. Er kann dich noch einmal glücklich machen.
Klärchen. Er?
Mutter. O ja! es kommt eine Zeit!--Ihr Kinder seht nichts voraus und
überhorcht unsre Erfahrungen. Die Jugend und die schöne Liebe, alles hat
sein Ende; und es kommt eine Zeit, wo man Gott dankt, wenn man irgendwo
unterkriechen kann.
Klärchen (schaudert, schweigt und fährt auf). Mutter, laßt die Zeit
kommen wie den Tod. Dran vorzudenken ist schreckhaft!--Und wenn er kommt!
Wenn wir müssen--dann--wollen wir uns gebärden, wie wir können.--Egmont,
ich dich entbehren!--(In Thänen.) Nein, es ist nicht möglich, nicht
möglich.
(Egmont in einem Reitermantel, den Hut ins Gesicht gedrückt.)
Egmont. Klärchen!
Klärchen (thut einen Schrei, fährt zurück). Egmont! (Sie eilt auf ihn
zu.) Egmont! (Sie umarmt ihn, und ruht an ihm.) O du Guter, Lieber,
Süßer! Kommst du? bist du da?
Egmont. Guten Abend, Mutter!
Mutter. Gott grüß' Euch, edler Herr! Meine Kleine ist fast vergangen,
daß Ihr so lang ausbleibt; sie hat wieder den ganzen Tag von Euch geredet
und gesungen.
Egmont. Ihr gebt mir doch ein Nachtessen?
Mutter. Zu viel Gnade. Wenn wir nur etwas hätten.
Klärchen. Freilich! Seid nur ruhig, Mutter; ich habe schon alles darauf
eingerichtet, ich habe etwas zubereitet. Verratet mich nicht, Mutter!
Mutter. Schmal genug.
Klärchen. Wartet nur! Und dann denk' ich: wenn er bei mir ist, hab' ich
gar keinen Hunger; da sollte er auch keinen großen Appetit haben, wenn
ich bei ihm bin.
Egmont. Meinst du?
Klärchen (stampft mit dem Fuße, und kehrt sich unwillig um).
Egmont. Wie ist dir?
Klärchen. Wie seid Ihr heute so kalt! Ihr habt mir noch keinen Kuß
angeboten. Warum habt Ihr die Arme in den Mantel gewickelt, wie ein
Wochenkind? Ziemt keinem Soldaten noch Liebhaber, die Arme eingewickelt
zu haben.
Egmont. Zu Zeiten, Liebchen, zu Zeiten. Wenn der Soldat auf der Lauer
steht und dem Feinde etwas ablisten möchte, da nimmt er sich zusammen,
faßt sich selbst in seine Arme und kaut seinen Anschlag reif. Und ein
Liebhaber--
Mutter. Wollt Ihr Euch nicht setzen? es Euch nicht bequem machen? Ich
muß in die Küche; Klärchen denkt an nichts, wenn Ihr da seid. Ihr müßt
fürlieb nehmen.
Egmont. Euer guter Wille ist die beste Würze. (Mutter ab.)
Klärchen. Und was wäre denn meine Liebe?
Egmont. So viel du willst.
Klärchen. Vergleicht sie, wenn Ihr das Herz habt.
Egmont. Zuvörderst also. (Er wirft den Mantel ab und steht in einem
prächtigen Kleide da.)
Klärchen. O je!
Egmont. Nun hab' ich die Arme frei. (Er herzt sie.)
Klärchen. Laßt! Ihr verderbt Euch. (Sie tritt zurück.) Wie prächtig!
da darf ich Euch nicht anrühren.
Egmont. Bist du zufrieden? Ich versprach dir, einmal spanisch zu kommen.
Klärchen. Ich bat Euch zeither nicht mehr drum; ich dachte, Ihr wolltet
nicht.--Ach und das goldne Vließ!
Egmont. Da siehst du's nun.
Klärchen. Das hat dir der Kaiser umgehängt?
Egmont. Ja, Kind! und Kette und Zeichen geben dem, der sie trägt, die
edelsten Freiheiten. Ich erkenne auf Erden keinen Richter über meine
Handlungen, als den Großmeister des Ordens mit dem versammelten Kapitel
der Ritter.
Klärchen. O, du dürftest die ganze Welt über dich richten lassen.--Der
Sammet ist gar zu herrlich, und die Passementarbeit! und das Gestickte!
--Man weiß nicht, wo man anfangen soll.
Egmont. Sieh dich nur satt.
Klärchen. Und das goldne Vließ! Ihr erzähltet mir die Geschichte und
sagtet: es sei ein Zeichen alles Großen und Kostbaren, was man mit Müh'
und Fleiß verdient und erwirbt. Es ist sehr kostbar--ich kann's deiner
Liebe vergleichen.--Ich trage sie ebenso am Herzen--und hernach--
Egmont. Was willst du sagen?
Klärchen. Hernach vergleicht sich's auch wieder nicht.
Egmont. Wieso?
Klärchen. Ich habe sie nicht mit Müh' und Fleiß erworben, nicht verdient.
Egmont. In der Liebe ist es anders. Du verdienst sie, weil du dich
nicht darum bewirbst--und die Leute erhalten sie auch meist allein, die
nicht darnach jagen.
Klärchen. Hast du das von dir abgenommen? Hast du diese stolze
Anmerkung über dich selbst gemacht? du, den alles Volk liebt?
Egmont. Hätt' ich nur etwas für sie gethan! könnt' ich etwas für sie
thun! Es ist ihr guter Wille, mich zu lieben.
Klärchen. Du warst gewiß heute bei der Regentin?
Egmont. Ich war bei ihr.
Klärchen. Bist du gut mit ihr?
Egmont. Es sieht einmal so aus. Wir sind einander freundlich und
dienstlich.
Klärchen. Und im Herzen?
Egmont. Will ich ihr wohl. Jedes hat seine eignen Absichten. Das thut
nichts zur Sache. Sie ist eine treffliche Frau, kennt ihre Leute, und
sähe tief genug, wenn sie auch nicht argwöhnisch wäre. Ich mache ihr
viel zu schaffen, weil sie hinter meinem Betragen immer Geheimnisse sucht,
und ich keine habe.
Klärchen. So gar keine?
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