Egmont - 4

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Egmont. Eh nun! einen kleinen Hinterhalt. Jeder Wein setzt Weinstein
in den Fässern an mit der Zeit. Oranien ist doch noch eine bessere
Unterhaltung für sie und eine immer neue Aufgabe. Er hat sich in den
Kredit gesetzt, daß er immer etwas Geheimes vorhabe; und nun sieht sie
immer nach seiner Stirne, was er wohl denken, auf seine Schritte, wohin
er sie wohl richten möchte.
Klärchen. Verstellt sie sich?
Egmont. Regentin, und du fragst?
Klärchen. Verzeiht, ich wollte fragen: ist sie falsch?
Egmont. Nicht mehr und nicht weniger als jeder, der seine Absichten
erreichen will.
Klärchen. Ich könnte mich in die Welt nicht finden. Sie hat aber auch
einen männlichen Geist, sie ist ein ander Weib als wir Nähterinnen und
Köchinnen. Sie ist groß, herzhaft, entschlossen.
Egmont. Ja, wenn's nicht gar zu bunt geht. Diesmal ist sie doch ein
wenig aus der Fassung.
Klärchen. Wieso?
Egmont. Sie hat auch ein Bärtchen auf der Oberlippe, und manchmal einen
Anfall von Podagra. Eine rechte Amazone!
Klärchen. Eine majestätische Frau! Ich scheute mich, vor sie zu treten.
Egmont. Du bist doch sonst nicht zaghaft--Es wäre auch nicht Furcht, nur
jungfräuliche Scham.
Klärchen (schlägt die Augen nieder, nimmt seine Hand und lehnt sich an
ihn).
Egmont. Ich verstehe dich! liebes Mädchen! du darfst die Augen
aufschlagen. (Er küßt ihre Augen.)
Klärchen. Laß mich schweigen! Laß mich dich halten! Laß mich dir in
die Augen sehen, alles drin finden, Trost und Hoffnung und Freude und
Kummer. (Sie umarmt ihn und sieht ihn an.) Sag' mir! Sage! ich begreife
nicht! bist du Egmont? der Graf Egmont? der große Egmont, der so viel
Aufsehn macht, von dem in den Zeitungen steht, an dem die Provinzen
hängen?
Egmont. Nein, Klärchen, das bin ich nicht.
Klärchen. Wie?
Egmont. Siehst du, Klärchen!--Laß mich sitzen!--(Er setzt sich, sie
kniet sich vor ihn auf einen Schemel, legt ihre Arme auf seinen Schoß und
sieht ihn an.) Jener Egmont ist ein verdrießlicher, steifer, kalter
Egmont, der an sich halten, bald dieses, bald jenes Gesicht machen muß;
geplagt, verkannt, verwickelt ist, wenn ihn die Leute für froh und
fröhlich halten; geliebt von einem Volke, das nicht weiß, was es will;
geehrt und in die Höhe getragen von einer Menge, mit der nichts
anzufangen ist; umgeben von Freunden, denen er sich nicht überlassen darf;
beobachtet von Menschen, die ihm auf alle Weise beikommen möchten;
arbeitend und sich bemühend, oft ohne Zweck, meist ohne Lohn.--O laß mich
schweigen, wie es dem ergeht, wie es dem zu Mute ist. Aber dieser,
Klärchen, der ist ruhig, offen, glücklich, geliebt und gekannt von dem
besten Herzen, das auch er ganz kennt und mit voller Liebe und Zutrauen
an das seine drückt. (Er umarmt sie.) Das ist dein Egmont!
Klärchen. So laß mich sterben! Die Welt hat keine Freuden auf diese!

Vierter Aufzug.

Strasse.
Jetter. Zimmermeister.
Jetter. He! Pst! He, Nachbar, ein Wort!
Zimmermeister. Geh deines Pfads, und sei ruhig.
Jetter. Nur ein Wort. Nichts Neues?
Zimmermeister. Nichts, als daß uns vom neuem zu reden verboten ist.
Jetter. Wie?
Zimmermeister. Tretet hier ans Haus an! Hütet Euch! Der Herzog von
Alba hat gleich bei seiner Ankunft einen Befehl ausgehen lassen, dadurch
zwei oder drei, die auf der Straße zusammen sprechen, des Hochverrats
ohne Untersuchung schuldig erklärt sind.
Jetter. O weh!
Zimmermeister. Bei ewiger Gefangenschaft ist verboten, von Staatssachen
zu reden.
Jetter. O unsre Freiheit!
Zimmermeister. Und bei Todesstrafe soll niemand die Handlungen der
Regierung mißbilligen.
Jetter. O unsre Köpfe!
Zimmermeister. Und mit großem Versprechen werden Väter, Mütter, Kinder,
Verwandte, Freunde, Dienstboten eingeladen, was in dem Innersten des
Hauses vorgeht, bei dem besonders niedergesetzten Gerichte zu offenbaren.
Jetter. Gehn wir nach Hause.
Zimmermeister. Und den Folgsamen ist versprochen, daß sie weder an Leibe,
noch Ehre, noch Vermögen einige Kränkung erdulden sollen.
Jetter. Wie gnädig! War mir's doch gleich weh, wie der Herzog in die
Stadt kam. Seit der Zeit ist mir's, als wäre der Himmel mit einem
schwarzen Flor überzogen und hinge so tief herunter, daß man sich bücken
müsse, um nicht dran zu stoßen.
Zimmermeister. Und wie haben dir seine Soldaten gefallen? Gelt! das ist
eine andre Art von Krebsen, als wir sie sonst gewohnt waren.
Jetter. Pfui! Es schnürt einem das Herz ein, wenn man so einen Haufen
die Gassen hinab marschieren sieht. Kerzengerad, mit unverwandtem Blick,
ein Tritt, so viel ihrer sind. Und wenn sie auf der Schildwache stehen
und du gehst an einem vorbei, ist's, als wenn er dich durch und durch
sehen wollte, und sieht so steif und mürrisch aus, daß du auf allen Ecken
einen Zuchtmeister zu sehen glaubst. Sie thun mir gar nicht wohl. Unsre
Miliz war doch noch ein lustig Volk; sie nahmen sich was heraus, standen
mit ausgegrätschten Beinen da, hatten den Hut überm Ohr, lebten und
ließen leben; diese Kerle aber sind wie Maschinen, in denen ein Teufel
sitzt.
Zimmermeister. Wenn so einer ruft: "Halt!" und anschlägt, meinst du,
man hielte?
Jetter. Ich wäre gleich des Todes.
Zimmermeister. Gehn wir nach Hause.
Jetter. Es wird nicht gut. Adieu.
(Soest tritt dazu.)
Soest. Freunde! Genossen!
Zimmermeister. Still! Laßt uns gehen!
Soest. Wißt ihr?
Jetter. Nur zu viel!
Soest. Die Regentin ist weg.
Jetter. Nun gnad' uns Gott!
Zimmermeister. Die hielt uns noch.
Soest. Auf einmal und in der Stille. Sie konnte sich mit dem Herzog
nicht vertragen; sie ließ dem Adel melden, sie komme wieder. Niemand
glaubt's.
Zimmermeister. Gott verzeih's dem Adel, daß er uns diese neue Geißel
über den Hals gelassen hat. Sie hätten es abwenden können. Unsre
Privilegien sind hin.
Jetter. Um Gottes willen nichts von Privilegien! Ich wittre den Geruch
von einem Exekutionsmorgen; die Sonne will nicht hervor, die Nebel
stinken.
Soest. Oranien ist auch weg.
Zimmermeister. So sind wir denn ganz verlassen!
Soest. Graf Egmont ist noch da.
Jetter. Gott sei Dank! Stärken ihn alle Heiligen, daß er sein Bestes
thut; der ist allein was vermögend.
(Vansen tritt auf.)
Vansen. Find' ich endlich ein paar, die noch nicht untergekrochen sind?
Jetter. Thut uns den Gefallen und geht fürbaß.
Vansen. Ihr seid nicht höflich.
Zimmermeister. Es ist gar keine Zeit zu Komplimenten. Juckt Euch der
Buckel wieder? Seid Ihr schon durchgeheilt?
Vansen. Fragt einen Soldaten nach seinen Wunden! Wenn ich auf Schläge
was gegeben hätte, wäre sein Tage nichts aus mir geworden.
Jetter. Es kann ernstlicher werden.
Vansen. Ihr spürt von dem Gewitter, das aufsteigt, eine erbärmliche
Mattigkeit in den Gliedern, scheint's.
Zimmermeister. Deine Glieder werden sich bald wo anders eine Motion
machen, wenn du nicht ruhst.
Vansen. Armselige Mäuse, die gleich verzweifeln, wenn der Hausherr eine
neue Katze anschafft! Nur ein bißchen anders; aber wir treiben unser
Wesen vor wie nach, seid nur ruhig.
Zimmermeister. Du bist ein verwegener Taugenichts.
Vansen. Gevatter Tropf! Laß du den Herzog nur gewähren. Der alte Kater
sieht aus, als wenn er Teufel statt Mäuse gefressen hätte und könnte sie
nun nicht verdauen. Laßt ihn nur erst; er muß auch essen, trinken,
schlafen wie andere Menschen. Es ist mir nicht bange, wenn wir unsere
Zeit recht nehmen. Im Anfange geht's rasch; nachher wird er auch finden,
daß in der Speisekammer unter den Speckseiten besser leben ist und des
Nachts zu ruhen, als auf dem Fruchtboden einzelne Mäuschen zu erlisten.
Geht nur, ich kenne die Statthalter.
Zimmermeister. Was so einem Menschen alles durchgeht! Wenn ich in
meinem Leben so etwas gesagt hätte, hielt' ich mich keine Minute für
sicher.
Vansen. Seid nur ruhig. Gott im Himmel erfährt nichts von euch Würmern,
geschweige der Regent.
Jetter. Lästermaul!
Vansen. Ich weiß andere, denen es besser wäre, sie hätten statt ihres
Heldenmuts eine Schneiderader im Leibe.
Zimmermeister. Was wollt Ihr damit sagen?
Vansen. Hm! den Grafen mein' ich.
Jetter. Egmont! Was soll der fürchten?
Vansen. Ich bin ein armer Teufel und könnte ein ganzes Jahr leben von
dem, was er in einem Abende verliert. Und doch könnt' er mir sein
Einkommen eines ganzen Jahres geben, wenn er meinen Kopf auf eine
Viertelstunde hätte.
Jetter. Du denkst dich was Rechts. Egmonts Haare sind gescheiter als
dein Hirn.
Vansen. Red't Ihr! Aber nicht feiner. Die Herren betrügen sich am
ersten. Er sollte nicht trauen.
Jetter. Was er schwätzt! So ein Herr!
Vansen. Eben weil er kein Schneider ist!
Jetter. Ungewaschen Maul!
Vansen. Dem wollt' ich Eure Courage nur eine Stunde in die Glieder
wünschen, daß sie ihm da Unruh' machte und ihn so lange neckte und juckte,
bis er aus der Stadt müßte.
Jetter. Ihr redet recht unverständig; er ist so sicher wie der Stern am
Himmel.
Vansen. Hast du nie einen sich schneuzen gesehn? Weg war er!
Zimmermeister. Wer will ihm denn was thun?
Vansen. Wer will? Willst du's etwa hindern? Willst du einen Aufruhr
erregen, wenn sie ihn gefangen nehmen?
Jetter. Ah!
Vansen. Wollt ihr Eure Rippen für ihn wagen?
Soest. Eh!
Vansen (sie nachäffend). Ih! Oh! Uh! Verwundert euch durchs ganze
Alphabet. So ist's und bleibt's! Gott bewahre ihn!
Jetter. Ich erschrecke über Eure Unverschämtheit. So ein edler,
rechtschaffener Mann sollte was zu befürchten haben?
Vansen. Der Schelm sitzt überall im Vorteil. Auf dem
Armensünderstühlchen hat er den Richter zum Narren; auf dem Richterstuhl
macht er den Inquisiten mit Lust zum Verbrecher. Ich habe so ein
Protokoll abzuschreiben gehabt, wo der Kommissarius schwer Lob und Geld
von Hofe erhielt, weil er einen ehrlichen Teufel, an den man wollte, zum
Schelmen verhört hatte.
Zimmermeister. Das ist wieder frisch gelogen. Was wollen sie denn
heraus verhören, wenn einer unschuldig ist?
Vansen. O Spatzenkopf! Wo nichts heraus zu verhören ist, da verhört man
hinein. Ehrlichkeit macht unbesonnen, auch wohl trotzig. Da fragt man
erst recht sachte weg, und der Gefangene ist stolz auf seine Unschuld,
wie sie's heißen, und sagt alles geradezu, was ein Verständiger verbärge.
Dann macht der Inquisitor aus den Antworten wieder Fragen, und paßt ja
auf, wo irgend ein Widersprüchelchen erscheinen will; da knüpft er seinen
Strick an, und läßt sich der dumme Teufel betreten, daß er hier etwas zu
viel, dort etwas zu wenig gesagt, oder wohl gar aus Gott weiß was für
einer Grille einen Umstand verschwiegen hat, auch wohl irgend an einem
Ende sich hat schrecken lassen: dann sind wir auf dem rechten Weg! Und
ich versichre euch, mit mehr Sorgfalt suchen die Bettelweiber nicht die
Lumpen aus dem Kehricht, als so ein Schelmenfabrikant aus kleinen,
schiefen, verschobenen, verrückten, verdrückten, geschlossenen, bekannten,
geleugneten Anzeichen und Umständen sich endlich einen strohlumpenen
Vogelscheu zusammenkünstelt, um wenigstens seinen Inquisiten in effigie
hängen zu können. Und Gott mag der arme Teufel danken, wenn er sich noch
kann hängen sehen.
Jetter. Der hat eine geläufige Zunge.
Zimmermeister. Mit Fliegen mag das angehen. Die Wespen lachen Eures
Gespinstes.
Vansen. Nachdem die Spinnen sind. Seht, der lange Herzog hat euch so
ein rein Ansehn von einer Kreuzspinne; nicht einer dickbäuchigen, die
sind weniger schlimm, aber so einer langfüßigen, schmalleibigen, die vom
Fraße nicht feist wird und recht dünne Fäden zieht, aber desto zähere.
Jetter. Egmont ist Ritter des Goldnen Vließes; wer darf Hand an ihn
legen? Nur von seinesgleichen kann er gerichtet werden, nur vom gesamten
Orden. Dein loses Maul, dein böses Gewissen verführen dich zu solchem
Geschwätz.
Vansen. Will ich ihm darum übel? Mir kann's recht sein. Es ist ein
trefflicher Herr. Ein paar meiner guten Freunde, die anderwärts schon
wären gehangen worden, hat er mit einem Buckel voll Schläge verabschiedet.
Nun geht! Geht! Ich rat' es euch selbst. Dort seh' ich wieder eine
Runde antreten; die sehen nicht aus, als wenn sie so bald Brüderschaft
mit uns trinken würden. Wir wollen's abwarten, und nur sachte zusehen.
Ich hab' ein paar Nichten und einen Gevatter Schenkwirt; wenn sie von
denen gekostet haben, und werden dann nicht zahm, so sind sie ausgepichte
Wölfe.

Der Culenburgische Palast. Wohnung des Herzogs von Alba.
Silva und Gomez begegnen einander.
Silva. Hast du die Befehle des Herzogs ausgerichtet?
Gomez. Pünktlich. Alle tägliche Runden sind beordert, zur bestimmten
Zeit an verschiedenen Plätzen einzutreffen, die ich ihnen bezeichnet habe;
sie gehen indes, wie gewöhnlich, durch die Stadt, um Ordnung zu erhalten.
Keiner weiß von dem andern; jeder glaubt, der Befehl gehe ihn allein an,
und in einem Augenblick kann alsdann der Cordon gezogen und alle Zugänge
zum Palast können besetzt sein. Weißt du die Ursache dieses Befehls?
Silva. Ich bin gewohnt, blindlings zu gehorchen. Und wem gehorcht
sich's leichter als dem Herzoge, da bald der Ausgang beweist, daß er
recht befohlen hat?
Gomez. Gut! Gut! Auch scheint es mir kein Wunder, daß du so
verschlossen und einsilbig wirst wie er, da du immer um ihn sein mußt.
Mir kommt es fremd vor, da ich den leichteren italienischen Dienst
gewohnt bin. An Treue und Gehorsam bin ich der Alte; aber ich habe mir
das Schwätzen und Räsonnieren angewöhnt. Ihr schweigt alle und laßt es
euch nie wohl sein. Der Herzog gleicht mir einem ehrnen Turm ohne Pforte,
wozu die Besatzung Flügel hätte. Neulich hört' ich ihn bei Tafel von
einem frohen freundlichen Menschen sagen: er sei wie eine schlechte
Schenke mit einem ausgesteckten Branntweinzeichen, um Müßiggänger,
Bettler und Diebe herein zu locken.
Silva. Und hat er uns nicht schweigend hierher geführt?
Gomez. Dagegen ist nichts zu sagen. Gewiß! Wer Zeuge seiner Klugheit
war, wie er die Armee aus Italien hierher brachte, der hat etwas gesehen.
Wie er sich durch Freund und Feind, durch die Franzosen, Königlichen und
Ketzer, durch die Schweizer und Verbundnen gleichsam durchschmiegte, die
strengste Mannszucht hielt, und einen Zug, den man so gefährlich achtete,
leicht und ohne Anstoß zu leiten wußte!--Wir haben was gesehen, was
lernen können.
Silva. Auch hier! Ist nicht alles still und ruhig, als wenn kein
Aufstand gewesen wäre?
Gomez. Nun, es war auch schon meist still, als wir herkamen.
Silva. In den Provinzen ist es viel ruhiger geworden; und wenn sich noch
einer bewegt, so ist es, um zu entfliehen. Aber auch diesem wird er die
Wege bald versperren, denk' ich.
Gomez. Nun wird er erst die Gunst des Königs gewinnen.
Silva. Und uns bleibt nichts angelegener, als uns die seinige zu
erhalten. Wenn der König hierher kommt, bleibt gewiß der Herzog und jeder,
den er empfiehlt, nicht unbelohnt.
Gomez. Glaubst du, daß der König kommt?
Silva. Es werden so viele Anstalten gemacht, daß es höchst
wahrscheinlich ist.
Gomez. Mich überreden sie nicht.
Silva. So rede wenigstens nicht davon. Denn wenn des Königs Absicht ja
nicht sein sollte, zu kommen, so ist sie's doch wenigstens gewiß, daß man
es glauben soll.
(Ferdinand, Albas natürlicher Sohn.)
Ferdinand. Ist mein Vater noch nicht heraus?
Silva. Wir warten auf ihn.
Ferdinand. Die Fürsten werden bald hier sein.
Gomez. Kommen sie heute?
Ferdinand. Oranien und Egmont.
Gomez (leise zu Silva). Ich begreife etwas.
Silva. So behalt' es für dich.
(Herzog von Alba.)
(Wie er herein- und hervortritt, treten die andern zurück.)
Alba. Gomez!
Gomez (tritt vor). Herr!
Alba. Du hast die Wachen verteilt und beordert?
Gomez. Aufs genaueste. Die täglichen Runden--
Alba. Genug. Du wartest in der Galerie. Silva wird dir den Augenblick
sagen, wenn du sie zusammenziehen, die Zugänge nach dem Palaste besetzen
sollst. Das übrige weißt du.
Gomez. Ja, Herr! (Ab.)
Alba. Silva!
Silva. Hier bin ich.
Alba. Alles, was ich von jeher an dir geschätzt habe, Mut,
Entschlossenheit, unaufhaltsames Ausführen, das zeige heut'.
Silva. Ich danke Euch, daß Ihr mir Gelegenheit gebt, zu zeigen, daß ich
der Alte bin.
Alba. Sobald die Fürsten bei mir eingetreten sind, dann eile gleich,
Egmonts Geheimschreiber gefangen zu nehmen. Du hast alle Anstalten
gemacht, die übrigen, welche bezeichnet sind, zu fahen?
Silva. Vertraue auf uns. Ihr Schicksal wird sie, wie eine
wohlberechnete Sonnenfinsternis, pünktlich und schrecklich treffen.
Alba. Hast du sie genau beobachten lassen?
Silva. Alle; den Egmont vor andern. Er ist der einzige, der, seit du
hier bist, sein Betragen nicht geändert hat. Den ganzen Tag von einem
Pferd aufs andere, ladet Gäste, ist immer lustig und unterhaltend bei
Tafel, würfelt, schießt und schleicht nachts zum Liebchen. Die andern
haben dagegen eine merkliche Pause in ihrer Lebensart gemacht; sie
bleiben bei sich; vor ihrer Thüre sieht's aus, als wenn ein Kranker im
Hause wäre.
Alba. Drum rasch! eh' sie uns wider Willen genesen.
Silva. Ich stelle sie. Auf deinen Befehl überhäufen wir sie mit
dienstfertigen Ehren. Ihnen graut's; politisch geben sie uns einen
ängstlichen Dank, fühlen, das Rätlichste sei, zu entfliehen. Keiner wagt
einen Schritt, sie zaudern, können sich nicht vereinigen; und einzeln
etwas Kühnes zu thun, hält sie der Gemeingeist ab. Sie möchten gern sich
jedem Verdacht entziehen, und machen sich immer verdächtiger. Schon seh'
ich mit Freuden deinen ganzen Anschlag ausgeführt.
Alba. Ich freue mich nur über das Geschehene, und auch über das nicht
leicht; denn es bleibt stets noch übrig, was uns zu denken und zu sorgen
gibt. Das Glück ist eigensinnig, oft das Gemeine, das Nichtswürdige zu
adeln und wohlüberlegte Taten mit einem gemeinen Ausgang zu entehren.
Verweile, bis die Fürsten kommen; dann gieb Gomez die Ordre, die Straßen
zu besetzen, und eile selbst, Egmonts Schreiber und die übrigen gefangen
zu nehmen, die dir bezeichnet sind. Ist es gethan, so komm hierher und
meld' es meinem Sohne, daß er mir in den Rat die Nachricht bringe.
Silva. Ich hoffe diesen Abend vor dir stehn zu dürfen.
Alba (geht nach seinem Sohne, der bisher in der Galerie gestanden).
Silva. Ich traue mir es nicht zu sagen; aber meine Hoffnung schwankt.
Ich fürchte, es wird nicht werden, wie er denkt. Ich sehe Geister vor
mir, die still und sinnend auf schwarzen Schalen das Geschick der Fürsten
und vieler Tausende wägen. Langsam wankt das Zünglein auf und ab; tief
scheinen die Richter zu sinnen; zuletzt sinkt diese Schale, steigt jene,
angehaucht vom Eigensinn des Schicksals, und entschieden ist's. (Ab.)
Alba (mit Ferdinand hervortretend). Wie fandst du die Stadt?
Ferdinand. Es hat sich alles gegeben. Ich ritt, als wie zum
Zeitvertreib, Straß' auf, Straß' ab. Eure wohlverteilten Wachen halten
die Furcht so angespannt, daß sie sich nicht zu lispeln untersteht. Die
Stadt sieht einem Felde ähnlich, wenn das Gewitter von weitem leuchtet:
man erblickt keinen Vogel, kein Tier, als das eilend nach einem Schutzorte
schlüpft.
Alba. Ist dir nichts weiter begegnet?
Ferdinand. Egmont kam mit einigen auf den Markt geritten; wir grüßten
uns; er hatte ein rohes Pferd, das ich ihm loben mußte. "Laßt uns eilen,
Pferde zuzureiten; wir werden sie bald brauchen!" rief er mir entgegen.
Er werde mich noch heute wiedersehn, sagte er, und komme auf Euer
Verlangen, mit Euch zu ratschlagen.
Alba. Er wird dich wiedersehn.
Ferdinand. Unter allen Rittern, die ich hier kenne, gefällt er mir am
besten. Es scheint, wir werden Freunde sein.
Alba. Du bist noch immer zu schnell und wenig behutsam; immer erkenn'
ich in dir den Leichtsinn deiner Mutter, der mir sie unbedingt in die
Arme lieferte. Zu mancher gefährlichen Verbindung lud dich der Anschein
voreilig ein.
Ferdinand. Euer Wille findet mich bildsam.
Alba. Ich vergebe deinem jungen Blute dies leichtsinnige Wohlwollen,
diese unachtsame Fröhlichkeit. Nur vergiß nicht, zu welchem Werke ich
gesandt bin, und welchen Teil ich dir dran geben möchte.
Ferdinand. Erinnert mich, und schont mich nicht, wo Ihr es nötig haltet.
Alba (nach einer Pause). Mein Sohn!
Ferdinand. Mein Vater!
Alba. Die Fürsten kommen bald, Oranien und Egmont kommen. Es ist nicht
Mißtrauen, daß ich dir erst jetzt entdecke, was geschehen soll. Sie
werden nicht wieder von hinnen gehn.
Ferdinand. Was sinnst du?
Alba. Es ist beschlossen, sie festzuhalten.--Du erstaunst! Was du zu
thun hast, höre; die Ursachen sollst du wissen, wenn es geschehn ist.
Jetzt bleibt keine Zeit, sie auszulegen. Mit dir allein wünscht' ich das
Größte, das Geheimste zu besprechen; ein starkes Band hält uns
zusammengefesselt; du bist mir wert und lieb; auf dich möcht' ich alles
häufen. Nicht die Gewohnheit zu gehorchen allein möcht' ich dir
einprägen; auch den Sinn, auszudenken, zu befehlen, auszuführen wünscht'
ich in dir fortzupflanzen; dir ein großes Erbteil, dem Könige den
brauchbarsten Diener zu hinterlassen; dich mit dem Besten, was ich habe,
auszustatten, daß du dich nicht schämen dürfest, unter deine Brüder zu
treten.
Ferdinand. Was werd' ich dir nicht für diese Liebe schuldig, die du mir
allein zuwendest, indem ein ganzes Reich vor dir zittert.
Alba. Nun höre, was zu thun ist. Sobald die Fürsten eingetreten sind,
wird jeder Zugang zum Palaste besetzt. Dazu hat Gomez die Ordre. Silva
wird eilen, Egmonts Schreiber mit den Verdächtigsten gefangen zu nehmen.
Du hältst die Wache am Thore und in den Höfen in Ordnung. Vor allen
Dingen besetze diese Zimmer hierneben mit den sichersten Leuten; dann
warte auf der Galerie, bis Silva wiederkommt, und bringe mir irgend ein
unbedeutend Blatt herein, zum Zeichen, daß sein Auftrag ausgerichtet ist.
Dann bleib' im Vorsaale, bis Oranien weggeht; folg' ihm; ich halte
Egmont hier, als ob ich ihm noch was zu sagen hätte. Am Ende der Galerie
fordre Oraniens Degen, rufe die Wache an, verwahre schnell den
gefährlichsten Mann; und ich fasse Egmont hier.
Ferdinand. Ich gehorche, mein Vater. Zum erstenmal mit schwerem Herzen
und mit Sorge.
Alba. Ich verzeihe dir's; es ist der erste große Tag, den du erlebst.
(Silva tritt herein.)
Silva. Ein Bote von Antwerpen. Hier ist Oraniens Brief! Er kommt nicht.
Alba. Sagt' es der Bote?
Silva. Nein, mir sagt's das Herz.
Alba. Aus dir spricht mein böser Genius. (Nachdem er den Brief gelesen,
winkt er beiden, und sie ziehen sich in die Galerie zurück. Er bleibt
allein auf dem Vorderteile.) Er kommt nicht! Bis auf den letzten
Augenblick verschiebt er, sich zu erklären. Er wagt es, nicht zu kommen!
So war denn diesmal wider Vermuten der Kluge klug genug, nicht klug zu
sein!--Es rückt die Uhr! Noch einen kleinen Weg des Seigers, und ein
großes Werk ist gethan oder versäumt, unwiederbringlich versäumt; denn es
ist weder nachzuholen, noch zu verheimlichen. Längst hatt' ich alles
reiflich abgewogen und mir auch diesen Fall gedacht, mir festgesetzt, was
auch in diesem Falle zu thun sei; und jetzt, da es zu thun ist, wehr' ich
mir kaum, daß nicht das Für und Wider mir aufs neue durch die Seele
schwankt.--Ist's rätlich, die andern zu fangen, wenn er mir
entgeht?--Schieb' ich es auf, und lass' Egmont mit den Seinigen, mit so
vielen entschlüpfen, die nun, vielleicht nur heute noch, in meinen Händen
sind? So zwingt dich das Geschick denn auch, du Unbezwinglicher? Wie
lang gedacht! Wie wohl bereitet! Wie groß, wie schön der Plan! Wie nah
die Hoffnung ihrem Ziele! Und nun im Augenblick des Entscheidens bist du
zwischen zwei Übel gestellt; wie in einen Lostopf greifst du in die
dunkle Zukunft; was du fassest, ist noch zugerollt, dir unbewußt, sei's
Treffer oder Fehler! (Er wird aufmerksam, wie einer, der etwas hört, und
tritt ans Fenster.) Er ist es! Egmont!--Trug dich dein Pferd so leicht
herein, und scheute vor dem Blutgeruche nicht und vor dem Geiste mit dem
blanken Schwert, der an der Pforte dich empfängt?--Steig ab!--So bist du
mit dem einen Fuß im Grab! und so mit beiden!--Ja, streichl' es nur,
und klopfe für seinen mutigen Dienst zum letztenmale den Nacken ihm.--Und
mir bleibt keine Wahl. In der Verblendung, wie hier Egmont naht, kann er
dir nicht zum zweitenmal sich liefern!--Hört!
Ferdinand und Silva (treten eilig herbei).
Alba. Ihr thut, was ich befahl; ich ändre meinen Willen nicht. Ich
halte, wie es gehn will, Egmont auf, bis du mir von Silva die Nachricht
gebracht hast. Dann bleib' in der Nähe. Auch dir raubt das Geschick das
große Verdienst, des Königs größten Feind mit eigener Hand gefangen zu
haben. (Zu Silva.) Eile! (Zu Ferdinand.) Geh ihm entgegen! (Alba
bleibt einige Augenblicke allein und geht schweigend auf und ab.)
(Egmont tritt auf.)
Egmont. Ich komme, die Befehle des Königs zu vernehmen, zu hören,
welchen Dienst er von unserer Treue verlangt, die ihm ewig ergeben bleibt.
Alba. Er wünscht vor allen Dingen Euern Rat zu hören.
Egmont. Über welchen Gegenstand? Kommt Oranien auch? Ich vermutete ihn
hier.
Alba. Mir thut es leid, daß er uns eben in dieser wichtigen Stunde fehlt.
Euern Rat, Eure Meinung wünscht der König, wie diese Staaten wieder zu
befriedigen. Ja, er hofft, Ihr werdet kräftig mitwirken, diese Unruhen
zu stillen und die Ordnung der Provinzen völlig und dauerhaft zu gründen.
Egmont. Ihr könnt besser wissen als ich, daß schon alles genug beruhigt
ist, ja noch mehr beruhigt war, eh' die Erscheinung der neuen Soldaten
wieder mit Furcht und Sorge die Gemüter bewegte.
Alba. Ihr scheint andeuten zu wollen, das Rätlichste sei gewesen, wenn
der König mich gar nicht in den Fall gesetzt hätte, Euch zu fragen.
Egmont. Verzeiht! Ob der König das Heer hätte schicken sollen, ob nicht
vielmehr die Macht seiner majestätischen Gegenwart allein stärker gewirkt
hätte, ist meine Sache nicht zu beurteilen. Das Heer ist da, er nicht.
Wir aber müßten sehr undankbar, sehr vergessen sein, wenn wir uns nicht
erinnerten, was wir der Regentin schuldig sind. Bekennen wir! Sie
brachte durch ihr so kluges als tapferes Betragen die Aufrührer mit
Gewalt und Ansehn, mit Überredung und List zur Ruhe und führte zum
Erstaunen der Welt ein rebellisches Volk in wenigen Monaten zu seiner
Pflicht zurück.
Alba. Ich leugne es nicht. Der Tumult ist gestillt, und jeder scheint
in die Grenzen des Gehorsams zurückgebannt. Aber hängt es nicht von
eines jeden Willkür ab, sie zu verlassen? Wer will das Volk hindern,
loszubrechen? Wo ist die Macht, sie abzuhalten? Wer bürgt uns, daß sie
sich ferner treu und unterthänig zeigen werden? Ihr guter Wille ist
alles Pfand, das wir haben.
Egmont. Und ist der gute Wille eines Volks nicht das sicherste, das
edelste Pfand? Bei Gott! Wann darf sich ein König sicherer halten, als
wenn sie alle für einen, einer für alle stehn? Sicherer gegen innere und
äußere Feinde?
Alba. Wir werden uns doch nicht überreden sollen, daß es jetzt hier so
steht?
Egmont. Der König schreibe einen General-Pardon aus, er beruhige die
Gemüter; und bald wird man sehen, wie Treue und Liebe mit dem Zutrauen
wieder zurückkehrt.
Alba. Und jeder, der die Majestät des Königs, der das Heiligtum der
Religion geschändet, ginge frei und ledig hin und wieder! Lebte den
andern zum bereiten Beispiel, daß ungeheure Verbrechen straflos sind?
Egmont. Und ist ein Verbrechen des Unsinns, der Trunkenheit nicht eher
zu entschuldigen, als grausam zu bestrafen? Besonders, wo so sichre
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