Deutsche Humoristen, 6. Band (von 8) - 3

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es zu geschehen pflegt, wenn Großes im Werke. -- Jäger! es gibt mehr
Dinge im Himmel und auf Erden, als unsere Weisheit sich träumt, das
hört' ich einmal auf dem Theater einen melancholischen Prinzen sagen,
der ganz schwarz ging und sich vor einem ganz in grauen Pappendeckel
gekleideten Mann sehr fürchtete. -- Jäger! -- es ist gestern irgend
etwas Erstaunliches geschehen, das die Exzellenz nach Hause trieb. Der
Fürst ist bei dem Professor gewesen, vielleicht äußerte er das und das
-- irgend ein hübsches Reformchen -- und da ist nun der Minister gleich
drüber her, läuft aus der Verlobung heraus und fängt an zu arbeiten
für das Wohl der Regierung. -- Ich hört's gleich am Schnarchen; ja
Großes, Entscheidendes wird geschehen. -- O Jäger -- vielleicht lassen
wir alle über kurz oder lang uns wieder die Zöpfe wachsen! -- Doch,
teurer Freund, lassen Sie uns hinabgehen und als treue Diener an der
Türe des Schlafzimmers lauschen, ob Se. Exzellenz auch noch ruhig im
Bette liegen und die inneren Gedanken ausarbeiten.«
Beide, der Kammerdiener und der Jäger, schlichen sich hin an die Türe
und horchten. Zinnober schnurrte und orgelte und pfiff durch die
wundersamsten Tonarten. Beide Diener standen in stummer Ehrfurcht, und
der Kammerdiener sprach tiefgerührt: »Ein großer Mann ist doch unser
gnädiger Herr Minister!« --
Schon am frühsten Morgen entstand unten im Hause des Ministers
ein gewaltiger Lärm. Ein altes erbärmlich in längst verblichenen
Sonntagsstaat gekleidetes Bauerweib hatte sich ins Haus gedrängt und
dem Portier angelegen, sie sogleich zu ihrem Söhnlein, zu Klein Zaches
zu führen. Der Portier hatte sie bedeutet, daß Se. Exzellenz der Herr
Minister von Zinnober, Ritter des grüngefleckten Tigers mit zwanzig
Knöpfen, im Hause wohne, und niemand von der Dienerschaft Klein Zaches
heiße oder so genannt werde. Da hatte das Weib aber ganz toll jubelnd
geschrieen, der Herr Minister Zinnober mit zwanzig Knöpfen, das sei
eben ihr liebes Söhnlein, der Klein Zaches. Auf das Geschrei des
Weibes, auf die donnernden Flüche des Portiers war alles aus dem ganzen
Hause zusammengelaufen, und das Getöse wurde ärger und ärger. Als der
Kammerdiener hinabkam, um die Leute auseinander zu jagen, die Se.
Exzellenz so unverschämt in der Morgenruhe störten, warf man eben das
Weib, die alle für wahnsinnig hielten, zum Hause heraus.
Auf die steinernen Stufen des gegenüberstehenden Hauses setzte sich
nun das Weib hin und schluchzte und lamentierte, daß das grobe Volk
da drinnen sie nicht zu ihrem Herzens-Söhnlein, zu dem Klein Zaches,
der Minister geworden, lassen wolle. Viele Leute versammelten sich
nach und nach um sie her, denen sie immer und immer wiederholte, daß
der Minister Zinnober niemand anders sei, als ihr Sohn, den sie in der
Jugend Klein Zaches geheißen; so daß die Leute zuletzt nicht wußten, ob
sie die Frau für toll halten oder gar ahnen sollten, daß wirklich was
an der Sache.
Die Frau wandte nicht die Augen weg von Zinnobers Fenster. Da schlug
sie mit einem Mal eine helle Lache auf, klopfte die Hände zusammen und
rief jubelnd überlaut: »Da ist er -- da ist er, mein Herzensmännlein
-- mein kleines Koboltchen -- Guten Morgen, Klein Zaches! -- Guten
Morgen, Klein Zaches!« -- Alle Leute guckten hin, und als sie den
kleinen Zinnober gewahrten, der in seinem gestickten Scharlachkleide,
das Ordensband des grüngefleckten Tigers umgehängt, vor dem Fenster
stand, das hinabging bis an den Fußboden, so daß seine ganze Figur
durch die großen Scheiben deutlich zu sehen, lachten sie ganz übermäßig
und lärmten und schrieen: »Klein Zaches -- Klein Zaches! Ha, seht
doch den kleinen geputzten Pavian -- die tolle Mißgeburt -- das
Wurzelmännlein -- Klein Zaches! Klein Zaches!« -- Der Portier, alle
Diener Zinnobers rannten hinaus, um zu erschauen, worüber das Volk denn
so unmäßig lachte und jubiliere. Aber kaum erblickten sie ihren Herrn,
als sie noch ärger als das Volk im tollsten Gelächter schrieen: »Klein
Zaches -- Klein Zaches -- Wurzelmann -- Däumling -- Alraun!« --
Der Minister schien erst jetzt zu gewahren, daß der tolle Spuk auf der
Straße niemand anderm gelte, als ihm selbst. Er riß das Fenster auf,
schaute mit zornfunkelnden Augen hinab, schrie, raste, machte seltsame
Sprünge vor Wut -- drohte mit Wache -- Polizei -- Stockhaus und Festung.
Aber je mehr die Exzellenz tobte im Zorn, desto ärger wurde Tumult und
Gelächter, man fing an, mit Steinen -- Obst -- Gemüse, oder was man
eben zur Hand bekam, nach dem unglücklichen Minister zu werfen -- er
mußte hinein! --
»Gott im Himmel«, rief der Kammerdiener entsetzt, »aus dem Fenster
der gnädigen Exzellenz guckte ja das kleine abscheuliche Ungetüm
heraus -- was ist das? -- wie ist der kleine Hexenkerl in die Zimmer
gekommen?« -- Damit rannte er hinauf, aber so wie vorher fand er das
Schlafkabinett des Ministers fest verschlossen. Er wagte leise zu
pochen! -- Keine Antwort! --
Indessen war, der Himmel weiß auf welche Weise, ein dumpfes Gemurmel im
Volke entstanden, das kleine lächerliche Ungetüm dort oben sei wirklich
Klein Zaches, der den stolzen Namen Zinnober angenommen und sich durch
allerlei schändlichen Lug und Trug aufgeschwungen. Immer lauter und
lauter erhoben sich die Stimmen. »Hinunter mit der kleinen Bestie --
hinunter -- klopft dem Klein Zaches die Ministerjacke aus -- sperrt ihn
in den Käfig -- laßt ihn für Geld sehen auf dem Jahrmarkt! -- Beklebt
ihn mit Goldschaum und beschert ihn den Kindern zum Spielzeug! --
Hinauf -- hinauf!« -- Und damit stürmte das Volk an gegen das Haus.
Der Kammerdiener rang verzweiflungsvoll die Hände. »Rebellion -- Tumult
-- Exzellenz -- machen Sie auf -- retten Sie sich!« -- so schrie er;
aber keine Antwort, nur ein leises Stöhnen ließ sich vernehmen.
Die Haustüre wurde eingeschlagen, das Volk polterte unter wildem
Gelächter die Treppe herauf.
»Nun gilt's,« sprach der Kammerdiener und rannte mit aller Macht an
gegen die Türe des Kabinetts, daß sie klirrend und rasselnd aus den
Angeln sprang. -- Keine Exzellenz -- kein Zinnober zu finden! --
»Exzellenz -- gnädigste Exzellenz -- vernehmen Sie denn nicht die
Rebellion? -- Exzellenz -- gnädigste Exzellenz, wo hat Sie denn der --
Gott verzeih mir die Sünde, wo geruhen Sie sich denn zu befinden?«
So schrie der Kammerdiener in heller Verzweiflung durch die Zimmer
rennend. Aber keine Antwort, kein Laut, nur der spottende Widerhall
tönte von den Marmorwänden. Zinnober schien spurlos, tonlos
verschwunden. -- Draußen war es ruhiger geworden, der Kammerdiener
vernahm die tiefe klangvolle Stimme eines Frauenzimmers, die zum Volke
sprach und gewahrte durchs Fenster blickend, wie die Menschen nach und
nach leise miteinander murmelnd das Haus verließen, bedenkliche Blicke
hinaufwerfend nach den Fenstern.
»Die Rebellion scheint vorüber«, sprach der Kammerdiener, »nun wird die
gnädige Exzellenz wohl hervorkommen aus ihrem Schlupfwinkel.«
Er ging nach dem Schlafkabinett zurück, vermutend, dort werde der
Minister sich doch wohl am Ende befinden.
Er warf spähende Blicke rings umher, da wurde er gewahr, wie aus einem
schönen silbernen Henkelgefäß, das immer dicht neben der Toilette
zu stehen pflegte, weil es der Minister als ein teures Geschenk des
Fürsten sehr wert hielt, ganz kleine dünne Beinchen hervorstarrten.
»Gott -- Gott«, schrie der Kammerdiener entsetzt, »Gott! -- Gott! --
täuscht mich nicht alles, so gehören die Beinchen dort Sr. Exzellenz
dem Herrn Minister Zinnober, meinem gnädigen Herrn!« -- Er trat
heran, er rief, durchbebt von allen Schauern des Schrecks, indem er
herabschaute: »Exzellenz -- Exzellenz -- um Gott, was machen Sie -- was
treiben Sie da unten in der Tiefe!«
Da aber Zinnober still blieb, sah der Kammerdiener wohl die Gefahr
ein, in der die Exzellenz schwebte und daß es an der Zeit sei, allen
Respekt beiseite zu setzen. Er packte den Zinnober bei den Beinchen
-- zog ihn heraus! -- Ach tot -- tot war die kleine Exzellenz!
Der Kammerdiener brach aus in ein lautes Jammern; der Jäger, die
Dienerschaft eilte herbei, man rannte nach dem Leibarzt des Fürsten.
Indessen trocknete der Kammerdiener seinen armen unglücklichen Herrn
ab mit saubern Handtüchern, legte ihn ins Bette, bedeckte ihn mit
seidenen Kissen, so daß nur das kleine verschrumpfte Gesichtchen
sichtbar blieb.
Hinein trat nun das Fräulein von Rosenschön, Sie hatte erst, der Himmel
weiß auf welche Art, das Volk beruhigt. Nun schritt sie zu auf den
entseelten Zinnober, ihr folgte die alte Liese, des kleinen Zaches
leibliche Mutter. -- Zinnober sah in der Tat hübscher aus im Tode, als
er jemals in seinem ganzen Leben ausgesehen. Die kleinen Äugelein waren
geschlossen, das Näschen sehr weiß, der Mund zum sanften Lächeln ein
wenig verzogen, aber vor allen Dingen wallte das dunkelbraune Haar in
den schönsten Locken herab. Über das Haupt hin strich das Fräulein den
Kleinen, und in dem Augenblick blitzte in mattem Schimmer ein roter
Streif hervor.
»Ach«, sprach die alte Liese, »ach du lieber Gott, das ist ja doch wohl
nicht mein kleiner Zaches, so hübsch hat +der+ niemals ausgesehen. Da
bin ich doch nun ganz umsonst nach der Stadt gegangen und Ihr habt mir
gar nicht gut geraten, mein gnädiges Fräulein!« --
»Murrt nur nicht, Alte«, erwiderte das Fräulein, »hättet Ihr nur meinen
Rat ordentlich befolgt, und wäret Ihr nicht früher, als ich hier
war, in dies Haus gedrungen, alles stünde für Euch besser. -- Ich
wiederhole es, der Kleine, der dort tot im Bette liegt, ist gewiß und
wahrhaftig Euer Sohn, Klein Zaches!«
»Nun«, rief die Frau mit leuchtenden Augen, »nun, wenn die kleine
Exzellenz dort wirklich mein Kind ist, so erb' ich ja wohl all' die
schönen Sachen, die hier rings umherstehen, das ganze Haus mit allem,
was drinnen ist?«
»Nein«, sprach das Fräulein, »das ist nun ganz und gar vorbei, Ihr habt
den rechten Augenblick verfehlt, Geld und Gut zu gewinnen. -- Euch
ist, ich habe es gleich gesagt, Euch ist nun einmal Reichtum nicht
beschieden.« --
»So darf ich«, fuhr die Frau fort, indem ihr die Tränen in die Augen
traten, »so darf ich denn nicht wenigstens mein armes kleines Männlein
in die Schürze nehmen und nach Hause tragen? -- Unser Herr Pfarrer hat
so viel hübsche ausgestopfte Vögelein und Eichkätzchen, der soll mir
meinen Klein Zaches ausstopfen lassen, und ich will ihn auf meinen
Schrank stellen, wie er da ist im roten Rock mit dem breiten Bande und
dem großen Stern auf der Brust, zum ewigen Andenken!« --
»Das ist«, rief das Fräulein beinahe unwillig, »das ist ein ganz
einfältiger Gedanke, das geht ganz und gar nicht an!« --
Da fing das Weib an zu schluchzen, zu klagen, zu lamentieren. »Was
hab' ich«, sprach sie, »nun davon, daß mein Klein Zaches zu hohen
Würden, zu großem Reichtum gelangt ist! -- Wär' er nur bei mir
geblieben, hätt' ich ihn nur aufgezogen in meiner Armut, niemals wär'
er in jenes verdammte silberne Ding gefallen, er lebte noch, und ich
hätt' vielleicht Freude und Segen von ihm gehabt. Trug ich ihn so herum
in meinem Holzkorb, Mitleiden hätten die Leute gefühlt und mir manches
schöne Stücklein Geld zugeworfen, aber nun« --
Es ließen sich Tritte im Vorsaal vernehmen, das Fräulein trieb die
Alte hinaus mit der Weisung, sie solle unten vor der Türe warten, im
Wegfahren wolle sie ihr ein untrügliches Mittel vertrauen, wie sie all'
ihre Not, all' ihr Elend mit einem Mal enden könne.
Nun trat Rosabelverde noch einmal dicht an den Kleinen heran und sprach
mit der weichen bebenden Stimme des tiefen Mitleids:
»Armer Zaches! -- Stiefkind der Natur! -- ich hatt' es gut mit
dir gemeint! -- Wohl mocht' es Torheit sein, daß ich glaubte, die
äußere schöne Gabe, womit ich dich beschenkt, würde hineinstrahlen
in dein Inneres und eine Stimme erwecken, die dir sagen müßte, du
bist nicht der, für den man dich hält, aber strebe doch nur an, es
dem gleich zu tun, auf dessen Fittichen du Lahmer, Unbefiederter
dich aufschwingst! -- Doch keine innere Stimme erwachte. Dein
träger toter Geist vermochte sich nicht emporzurichten, du
ließest nicht nach in deiner Dummheit, Grobheit, Ungebärdigkeit
-- Ach! -- wärst du nur ein geringes Etwas weniger, ein kleiner
ungeschlachteter Rüpel geblieben, du entgingst dem schmachvollen
Tode! -- Prosper Alpanus hat dafür gesorgt, daß man dich jetzt im
Tode wieder dafür hält, was du im Leben durch meine Macht zu sein
schienst. Sollt' ich dich vielleicht gar noch wiederschauen als
kleiner Käfer -- flinke Maus oder behende Eichkatze, so soll es
mich freuen! -- Schlafe wohl, Klein Zaches!« --
Indem Rosabelverde das Zimmer verließ, trat der Leibarzt des Fürsten
mit dem Kammerdiener herein.
»Um Gott«, rief der Arzt, als er den toten Zinnober erblickte und sich
überzeugte, daß alle Mittel, ihn ins Leben zu rufen, vergeblich bleiben
würden, »um Gott, wie ist das zugegangen, Herr Kämmerer?«
»Ach«, erwiderte dieser, »ach, lieber Herr Doktor, die Rebellion
oder die Revolution, es ist all' eins, wie Sie es nennen wollen,
tobte und hantierte draußen auf dem Vorsaale ganz fürchterlich. Se.
Exzellenz, besorgt um ihr teures Leben, wollten gewiß in die Toilette
hineinflüchten, glitschten aus und« --
»So ist«, sprach der Doktor feierlich und bewegt, »so ist er aus Furcht
zu sterben gar gestorben!«
Die Tür sprang auf und herein stürzte Fürst Barsanuph mit verbleichtem
Antlitz, hinter ihm her sieben noch bleichere Kammerherren.
»Ist es wahr, ist es wahr?« rief der Fürst; aber sowie er des Kleinen
Leichnam erblickte, prallte er zurück und sprach, die Augen gen Himmel
gerichtet, mit dem Ausdruck des tiefsten Schmerzes: »O Zinnober!« --
Und die sieben Kammerherren riefen dem Fürsten nach: »O Zinnober!« und
holten, wie es der Fürst tat, die Schnupftücher aus der Tasche und
hielten sie sich vor die Augen.
»Welch ein Verlust«, begann nach einer Weile des lautlosen Jammers
der Fürst, »welch ein unersetzlicher Verlust für den Staat! -- Wo
einen Mann finden, der den Orden des grüngefleckten Tigers mit zwanzig
Knöpfen mit +der+ Würde trägt, als mein Zinnober! -- Leibarzt, und Sie
konnten mir +den+ Mann sterben lassen! -- Sagen Sie -- wie ging das
zu, wie mochte das geschehen -- was war die Ursache -- woran starb der
Vortreffliche?« --
Der Leibarzt beschaute den Kleinen sehr sorgsam, befühlte manche
Stellen ehemaliger Pulse, strich das Haupt entlang, räusperte sich
und begann: »Mein gnädigster Herr! Sollte ich mich begnügen auf
der Oberfläche zu schwimmen, könnte sagen, der Minister sei an dem
gänzlichen Ausbleiben des Atems gestorben, dies Ausbleiben des Atems
sei bewirkt durch die Unmöglichkeit Atem zu schöpfen, und diese
Unmöglichkeit wieder nur herbeigeführt durch das Element, durch den
Humor, in den der Minister stürzte. Ich könnte sagen, der Minister sei
auf diese Weise einen humoristischen Tod gestorben, aber fern von mir
sei diese Seichtigkeit, fern von mir die Sucht, alles aus schnöden
physischen Prinzipen erklären zu wollen, was nur im Gebiet des rein
Psychischen seinen natürlichen unumstößlichen Grund findet. -- Mein
gnädigster Fürst, frei sei des Mannes Wort! -- Den ersten Keim des
Todes fand der Minister im Orden des grüngefleckten Tigers mit zwanzig
Knöpfen!« --
»Wie«, rief der Fürst, indem er den Leibarzt mit zornglühenden Augen
anfunkelte, »wie! -- was sprechen Sie? -- der Orden des grüngefleckten
Tigers mit zwanzig Knöpfen, den der Selige zum Wohl des Staats mit so
vieler Anmut, mit so vieler Würde trug? -- +der+ Ursache seines Todes?
-- Beweisen Sie mir das, oder -- Kammerherren, was sagt Ihr dazu?«
»Er muß beweisen, er muß beweisen, oder« -- riefen die sieben blassen
Kammerherren, und der Leibarzt fuhr fort:
»Mein bester gnädigster Fürst, ich werd' es beweisen, also kein
+oder+! -- Die Sache hängt folgendermaßen zusammen: Das schwere
Ordenszeichen am Bande, vorzüglich aber die Knöpfe auf dem Rücken,
wirkten nachteilig auf die Ganglien des Rückgrats. Zu gleicher Zeit
verursachte der Ordensstern einen Druck auf jenes knotige fadigte
Ding zwischen dem Dreifuß und der oberen Gekröspulsader, das wir das
Sonnengeflecht nennen, und das in dem labyrinthischen Gewebe der
Nervengeflechte prädominiert. Dies dominierende Organ steht in der
mannigfaltigsten Beziehung mit dem Cerebralsystem, und natürlich war
der Angriff auf die Ganglien auch diesem feindlich. Ist aber nicht die
freie Leitung des Cerebralsystems die Bedingung des Bewußtseins, der
Persönlichkeit, als Ausdruck der vollkommensten Vereinigung des Ganzen
in einem Brennpunkt? Ist nicht der Lebensprozeß die Tätigkeit in beiden
Sphären, in dem Ganglien- und Cerebralsystem? -- Nun! genug, jener
Angriff störte die Funktionen des psychischen Organism. Erst kamen
finstre Ideen von unerkannten Aufopferungen für den Staat durch das
schmerzhafte Tragen jenes Ordens usw., immer verfänglicher wurde der
Zustand, bis gänzliche Disharmonie des Ganglien- und Cerebralsystems
endlich gänzliches Aufhören des Bewußtseins, gänzliches Aufgeben
der Persönlichkeit herbeiführte. Diesen Zustand bezeichnen wir aber
mit dem Worte +Tod+! -- Ja, gnädigster Herr! -- der Minister hatte
bereits seine Persönlichkeit aufgegeben, war also schon mausetot, als
er hineinstürzte in jenes verhängnisvolle Gefäß. -- So hatte sein
Tod keine physische, wohl aber eine unermeßlich tiefe psychische
Ursache.« --
»Leibarzt«, sprach der Fürst unmutig, »Leibarzt, Sie schwatzen
nun schon eine halbe Stunde, und ich will verdammt sein, wenn ich
eine Silbe davon verstehe. Was wollen Sie mit Ihrem Physischen und
Psychischen?«
»Das physische Prinzip«, nahm der Arzt wieder das Wort, »ist die
Bedingung des rein vegetativen Lebens, das psychische bedingt dagegen
den menschlichen Organism, der nur in dem Geiste, in der Denkkraft das
Triebrad der Existenz findet.«
»Noch immer«, rief der Fürst im höchsten Unmut, »noch immer verstehe
ich Sie nicht, Unverständlicher!«
»Ich meine«, sprach der Doktor, »ich meine, Durchlauchtiger, daß das
Physische sich bloß auf das rein vegetative Leben ohne Denkkraft, wie
es in Pflanzen stattfindet, das Psychische aber auf die Denkkraft
bezieht. Da diese nun im menschlichen Organism vorwaltet, so muß der
Arzt immer bei der Denkkraft, bei dem Geist anfangen und den Leib nur
als Vasallen des Geistes betrachten, der sich fügen muß, sobald der
Gebieter es will.«
»Hoho!« rief der Fürst, »hoho Leibarzt, lassen Sie das gut sein! --
Kurieren Sie meinen Leib und lassen Sie meinen Geist ungeschoren, von
dem habe ich noch niemals Inkommoditäten verspürt. Überhaupt, Leibarzt,
Sie sind ein konfuser Mann, und stünde ich hier nicht an der Leiche
meines Ministers und wäre gerührt, ich wüßte, was ich täte! -- Nun
Kammerherren! vergießen wir noch einige Zähren hier am Katafalk des
Verewigten und gehen wir dann zur Tafel.«
Der Fürst hielt das Schnupftuch vor die Augen und schluchzte, die
Kammerherren taten desgleichen, dann schritten sie alle von dannen.
Vor der Türe stand die alte Liese, welche einige Reihen der
allerschönsten goldgelben Zwiebeln über den Arm gehängt hatte, die man
nur sehen konnte. Des Fürsten Blick fiel zufällig auf diese Früchte. Er
blieb stehen, der Schmerz verschwand aus seinem Antlitz, er lächelte
mild und gnädig, er sprach: »Hab' ich doch in meinem Leben keine solche
schöne Zwiebeln gesehen, die müssen von dem herrlichsten Geschmack
sein. Verkauft Sie die Ware, liebe Frau?«
»O ja«, erwiderte Liese mit einem tiefen Knix, »o ja, gnädigste
Durchlaucht, von dem Verkauf der Zwiebeln nähre ich mich dürftig,
so gut es gehn will! -- Sie sind süß wie purer Honig, belieben Sie,
gnädigster Herr?«
Damit reichte sie eine Reihe der stärksten glänzendsten Zwiebeln dem
Fürsten hin. Der nahm sie, lächelte, schmatzte ein wenig und rief dann:
»Kammerherren! geb' mir einer einmal sein Taschenmesser her.« Ein
Messer erhalten, schälte der Fürst nett und sauber eine Zwiebel ab und
kostete etwas von dem Mark.
»Welch ein Geschmack, welche Süße, welche Kraft, welches Feuer!« rief
er, indem ihm die Augen glänzten vor Entzücken, »und dabei ist es mir,
als säh' ich den verewigten Zinnober vor mir stehen, der mir zuwinkte
und zulispelte: kaufen Sie -- essen Sie diese Zwiebeln, mein Fürst --
das Wohl des Staats erfordert es!« -- Der Fürst drückte der alten Liese
ein paar Goldstücke in die Hand, und die Kammerherren mußten sämtliche
Reihen Zwiebeln in die Taschen schieben. Noch mehr! -- er verordnete,
daß niemand anderes die Zwiebellieferung für die fürstlichen Dejeuners
haben sollte, als Liese. So kam die Mutter des Klein Zaches, ohne
gerade reich zu werden, aus aller Not, aus allem Elend, und gewiß war
es wohl, daß ihr ein geheimer Zauber der guten Fee Rosabelverde dazu
verhalf.
Das Leichenbegängnis des Ministers Zinnober war eins der prächtigsten,
das man jemals in Kerepes gesehen: der Fürst, alle Ritter des
grüngefleckten Tigers folgten der Leiche in tiefer Trauer. Alle Glocken
wurden gezogen, ja sogar die beiden Böller, die der Fürst behufs der
Feuerwerke mit schweren Kosten angeschafft, mehrmals gelöst. Bürger --
Volk -- alles weinte und lamentierte, daß der Staat seine beste Stütze
verloren und wohl niemals mehr ein Mann von dem tiefen Verstande, von
der Seelengröße, von der Milde, von dem unermüdlichen Eifer für das
allgemeine Wohl, wie Zinnober, an das Ruder der Regierung kommen werde.
In der Tat blieb auch der Verlust unersetzlich; denn niemals fand
sich wieder ein Minister, dem der Orden des grüngefleckten Tigers mit
zwanzig Knöpfen so an den Leib gepaßt haben sollte, wie dem verewigten
unvergeßlichen Zinnober.
[Illustration]


[Illustration]


Bettina von Arnim:
Die Reise nach Darmstadt

Vorbemerkung des Herausgebers:
Diese kleine liebenswürdige Geschichte der Bettina von Arnim
ist ihrer berühmten im Jahre 1849 erschienenen Schrift »Dies
Buch gehört dem König« entnommen, die eine Reihe »der Erinnerung
abgelauschter Gespräche und Erzählungen von 1807« enthält. Das
Buch umschließt im wesentlichen sozialpolitisch reformatorische
Anschauungen der Bettina von Arnim, die sie sämtlich der alten Frau
Rat, Goethes Mutter, in den Mund legt. Eingeschachtelt in diese
heute wenig mehr interessierenden sozialpolitischen Betrachtungen
ist die köstliche Erzählung von der plötzlichen Reise der Frau
Rat nach Darmstadt, wo sie von der Königin Luise von Preußen mit
großen Ehrungen empfangen wurde. Indem Bettina von Arnim die
Schilderung dieser Begegnung durch Goethes Mutter selbst geschehen
läßt, gelingt es ihr, im lebendigen Frankfurter Dialekt, die feine
Klugheit, die herzhafte Urwüchsigkeit und die sonnig lächelnde
Heiterkeit der Frau Rat auf das anschaulichste aufzuzeichnen.
[Illustration]

Die Frau Rat erzählt:
Es war an einem recht sommerlichen Tag; ich denk nach, was aus dem
lieben Sonnenschein all werden soll, den ich da so mutterselig allein
in mich fressen muß: -- es wird Mittag, die Türmer blasen derweil den
Ablaß meiner Sünden vom Katharinenturm herunter. -- In dieser Welt, wo
Böses und Gutes oft in so herzlicher Umarmung einander am Busen liegen,
da haben irdische und himmlische Angelegenheiten gar einen künstlichen
Verkehr; an so einem melancholischen Feiertag, da verschmäht der Teufel
auch eine falsche Trompet nicht, um den Menschen aus seinem geduldigen
Seelenheil herauszublasen; opfre den Verdruß, den du davon spürst,
Gott auf, und die Kreide von der Rechnungstafel deiner Sünden ist
heruntergewischt, denn lieber als das Sündegestöhn, was falscher klingt
als die Sünd selber, will Gott den Teufel falsch blasen hören. Die
Langeweil ist nun ganz apart an einem Sonntag in der Stadt Frankfurt,
aber gar an so einem lange staubige Sommertag, wo man sich in die Sonn
stellt und denkt wie ein angezünd't Licht am hellen Tag: »Vor was bist
du da? -- Alles kann bestehn ohne dich!« oder: »Alles geht ja doch
konfus«, und mit dem Zweifel, ob der blaue Dunst da oben wohl doch der
Himmel sein könnt, streckt man sich am End seiner Erdentage aus den
Erdensorgen heraus mit den Himmelssorgen auf dem Herzen und bedenkt
nicht, daß alle Sorge Irrtum ist.
An so einem langweiligen Tag also, wie der Türmer wirklich in einer
der Musik sehr mißgünstigen Stimmung in die Stadt herunterblies --
ich meint als, wenn mir der jung Wein nur nicht auf dem Faß säuerlich
wird -- eine rauhe Halsarie wie heut, und die Sonn schien mir auf die
Nas, daß ich nießen mußt, und die Lieschen bekomplimentiert mich da
drüber, da schellts -- ich ruf: »Guck einmal, wers ist.« -- »Ei, es ist
der Frau Bethmann ihr Bedienter; ob Sie wollte heunt Nachmittag mit
ins Kirschenwäldchen fahren?« -- Ei was? -- Ei freilich! Was werd ich
nicht wollen fahren an diesen einzigen Pläsierort, vor allen schönen
Orten in ganz Deutschland, wo die Kirschen wie die schönste Rubinen
im smaragdnen Blätterschmuck an den Bäumen hängen, wo die Frankfurter
Sonnenstrahlen ein Goldnetz durchwirken und der Himmel sein blaues Zelt
mit silbernen Wolken drüber spannt.
Jetzt sag ich: »Wir wollen präzis zwölf Uhr essen, dann wird
alles zurechtgemacht zum Abend, wann ich heim komm; da wird meine
Wasserflasche hingestellt, das Bett zurecht gemacht, damit mir die
Zeit vergeht, bis die Füchserchen angetrabt komme, dann setz ich meine
Haub auf, bloß die mit den Spitzen.« -- »Ei, wollen Sie net die mit
den Sternblume aufsetzen, die steht schöner!« -- »Nein, die will ich
nicht aufsetzen, man muß bescheiden sein in der schönen Natur und sie
nicht überstrahlen wollen, es gelingt einem doch nicht. Was meint sie
denn, daß so ein Kranz von papierne Blume zu sagen hätt da draußen
auf der grünen Wies? Ei, ich setz den Fall, ich könnt der Stadtherd
begegnen, so könnt mich ja der Brummelochs mit einem einzige Maul voll
Dotterblume, die er vom Weidanger mit seiner lange Zung in einem Hui
zusammenrafft und wegschnappt, in die größt Beschämung versetze, daß er
frißt und verdaut, was die Frau Rat in Papier nachgemacht zum Putz auf
dem Kopf trägt.« -- Jetzt ohne weiter Federlesen die Spitzehaub eweil
auf der grünen Bouteille aufgepflanzt, dann die Filethandschuh ohne
Daumen, daß ich sie nicht brauch auszuziehen beim Kirschenessen, das
Körbchen nehm ich mit, daß ich kann Kirschen mitbringen -- die kleine
schwarze Salopp und den Sonneparaplü, denn um die jetzig Sommerzeit
kommt häufig so ein klein erquicklich Regenschauerchen mitten durch den
Sonnenschein. Da lachts und flennts zu gleicher Zeit am Himmel.
Nun ist alles in Ordnung -- so wird der Tisch gedeckt und aufgetragen
-- denn zwölf Uhr ist schon vorbei. »Was gibts heut?« -- »Brühsupp«. --
»Fort mit, ich mag keine.« -- »Aber Frau Rat, Ihne Ihr Magen!« -- »Aber
ich will keine Supp, sag ich; komm sie mir nicht an so einem schöne
Sommertag mit ihren Magensorgen an, -- was gibts noch?« -- »Stockfisch,
aufgewärmt von gestern, und Kartoffel.« -- »Den Stockfisch laß mir
vor der Nase weg, der paßt nit zu meiner Stimmung; ich mag mir keinen
Stockfischgeruch in den Vorgeschmack aufdampfen lassen, den ich von
dem Blumenduft drauß auf der Wies schon in Gedanken genieß; aber die
Kartoffel bring sie, an denen verunreinigt man die erhabenen Gedanken
nicht, die könnt so ein indischer Priester in seiner Verzückung
ungestört genieße. -- Ich glaub gewiß, die sind aus dem Manna gewachse,
das vom Himmel fiel, wie die Juden in der Wüst in der Hungersnot waren,
das war so ein verzettelter Mannasame, aus dem sind dann die Kartoffeln
gewachsen, die vor aller Hungersnot bewahren. Ja, damals hatten die
Juden noch eine Wüst, wo sie sich niederlassen konnten; jetzt ist keine
Wüst mehr da, und wann die närrische Häns nicht fliegen lerne wie die
Raubvögel, daß sie als manchmal auf eine vorüberfahrende Segelstang
sich könne setzen wie die Zugvögel, so weiß ich nicht, wo sie werden
bleiben, in der Wüste waren sie nit so gierig; hätten sie damals alles
verschlungen, so wär kein himmlischer Mannasamen übrig geblieben, und
ich wüßt nicht, was ich heut essen sollt, und jetzt geb nur künftig
ohne Widerred allemal dem Betteljud zwei Kreuzer, so oft er kommt. Denn
wir könne den Juden das nicht genug Dank wissen, daß wir Kartoffeln
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