Deutsche Humoristen, 6. Band (von 8) - 7

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lediggesprochen. Die Rubrik »Signalement« war unausgefüllt geblieben;
selbst der ~item~: »Besondere Kennzeichen« hatte den Beamten zu keiner
naheliegenden Notiz veranlassen können. Mit diesem Talismann hätte
freilich Tante Moritz allen künftigen Anforderungen des Kriegsministers
entgegentreten können, wenn dieser noch einmal Anspruch auf die
friedliche Amazone hätte erheben wollen.
Natürlich vergingen damals die Krämpfe wieder, und die gute Tante hat
in der Folge manche schwerere Krankheit zu bestehen gehabt, bis endlich
eine sie ganz ablöste und aller Konskriptionsgefahr entrückte. Mit dem
gegilbten und verbleichten Nachlasse der braven alten Jungfer, aus
dem ich eine ganze Lebensgeschichte von kleinen Freuden und großen
Entbehrungen, ein standhaft durchgerungenes Dasein von Armut und Ehre
herauslesen mußte, habe ich auch den Militärentlassungsschein geerbt,
den ich als ein Andenken an die gute alte Zeit, an die selige Tante, an
den Großonkel mit dem Haarbeutel und an die verdrehte Polizei meiner
Vaterstadt noch immer aufbewahre.
[Illustration]


[Illustration]


Henry F. Urban:
Der Eishund

Hört die Geschichte von dem kleinen häßlichen, gelben Eishund, der
es auf merkwürdige Weise zu einem hervorragenden und vornehmen Hunde
brachte! Den ganzen Tag war er hungrig und frierend, denn es war
Winter, in New York herumgelaufen. In der fünften Avenue wichen ihm
die aristokratischen Hunde der Dollarköniginnen aus und bemerkten
naserümpfend: »Welch ein vulgärer Köter, welch ein Vagabund! Er
wird ein Ende mit Schrecken nehmen!« Dann war er bei Anbruch der
Dunkelheit in den kahlen, düsteren Park gekommen, und dann war er
plötzlich irgendwo hinuntergefallen, auf eine harte, eisige, weite
Fläche. Das war wohl das Ende, dachte er. Aber es wurde Tag, ein Tag
voll Sonnenlicht, und er lebte immer noch. Er befand sich auf einem
gefrorenen Wasserbecken, das Trinkwasser für die New Yorker enthielt.
Es bildete ein riesiges, längliches Viereck und war von steinernen
Böschungen eingefaßt. Nirgends konnte er heraus. An einer Stelle
erblickte er zwei Menschen. Das waren Pat Flaherty und Fred Kaiser,
die beiden Parkpolizisten. Sie standen an dem eisernen Geländer des
Wasserbeckens, schüttelten die Köpfe und blinzelten mit den Augen, weil
auf Schnee und Eis die Sonne sprühte.
»Da ist ja der kleine Köter noch immer auf dem Wasserbecken!« sagte
Flaherty. »Er war schon gestern dort.«
»Wahrscheinlich ist er die steile Böschung heruntergerutscht!« meinte
Kaiser. »Heraus kann er nicht wieder; es wird Zeit, daß wir ihn fangen.
Sonst verhungert er oder ersäuft, denn es taut. Ich werde mal sehen, ob
ich ihn fangen kann.«
»Gib acht, Fred!« warnte ihn Flaherty. »Das Eis ist schon dünn an
manchen Stellen.«
Aber schon war Kaiser etwas seitwärts von dem Aussichtsturm über die
Einfassung geklettert. Hier ersetzten Felsen die künstliche Böschung
und erlaubten ihm einen bequemen Abstieg auf das Eis. Er prüfte erst
vorsichtig das Eis und versicherte sich, daß es ihn trug, denn er wog
225 Pfund. Aber es schien ihm doch klüger, die Operationen zunächst
nicht soweit vom Ufer zu beginnen. Also pfiff er dem kleinen Köter der
weit drüben über das Eis trabte. Der Köter blieb stehen und wandte den
Kopf nach dem Polizisten. Kaiser pfiff nur noch verlockender. Doch der
Köter kam nicht. Er mißtraute den Menschen, insonderheit Polizisten.
Ihre Stiefel waren schwerer und härter als andre Stiefel.
»Es nutzt nichts!« rief ihm Flaherty lachend zu. »Du mußt auf das Eis
hinaus!«
Rutschend und gleitend, prüfend die Augen auf das Eis heftend, bewegte
sich Kaiser über die glatte Fläche.
»Es ist fest!« rief er Flaherty zu und lief etwas zuversichtlicher. Als
er dem Köter nahe war, pfiff er und lockte er von neuem -- abermals
umsonst. Der Köter ergriff die Flucht. Es war ein ausgesucht häßlicher
Hund mit graugelben zottigen Haaren. Sein Kopf erinnerte Kaiser an das
Bild eines Geigenvirtuosen, das er mal in einer Zeitung gesehen hatte.
Nun lief Kaiser hinter dem Hunde her. Immer, wenn er ihm etwas näher
kam, bog der Hund scharf zur Seite und Kaiser schlitterte geradeaus.
Einmal verlor der dicke Polizist den Halt, setzte sich auf das Eis,
daß es krachte, und rutschte noch ein Stück darüber hin. Vom Ufer her
erscholl Gelächter. Dort hatten sich ein Dutzend neugierige Leute
gesammelt und beobachteten die Jagd. Kaiser raffte sich auf, holte
seinen Helm, klopfte sich die Kleidung rein und marschierte über das
Eis zurück. Auf halbem Wege kam ihm Flaherty entgegen.
»Fred«, sagte Flaherty, »einer schafft's nicht. Wir wollen's zusammen
versuchen. Wir jagen ihn in eine Ecke des Beckens, und dort fangen wir
ihn.«
Das leuchtete Fred ein. Von rechts und links näherten sie sich langsam
dem Köter und scheuchten ihn nach der einen Ecke des Beckens. Sie
glaubten schon, sie hätten ihn. Doch er sauste plötzlich in weitem
Bogen um Flaherty herum und entwischte. Noch einmal versuchten die
beiden ihr Glück, doch ohne Erfolg. Keuchend und pustend begaben sie
sich ans Ufer. Dort hatten sich immer mehr Menschen angesammelt, um die
fröhliche Hatz zu beobachten. Man bestürmte die beiden Polizisten mit
Fragen, was es mit dem Hund auf sich habe, wie er auf das Eis gekommen
sei. Flaherty und Kaiser meinten, sie wüßten es selber nicht. Der Köter
sei zweifellos ein Vagabund. Die Damen bedauerten sein trauriges Los
und fragten, ob es denn kein Mittel gäbe, das arme Tier aus seiner
schrecklichen Lage zu befreien. Der eine schlug dies vor, der andere
das. Inzwischen war auch Bubbles, der unvermeidliche Berichterstatter,
zufällig des Weges gekommen. Er erkannte, daß die Geschichte ein
gefundenes Fressen für ihn sei, und beschloß, das weitere abzuwarten.
Ein Parkfeger hatte einen glänzenden Einfall. Man müßte einige lange
Bretter holen, meinte er, und sie vom Eis auf die Felsen neben dem
Aussichtsturm legen. Dann müßten ihrer mehrere den Hund auf die Bretter
zutreiben. Sobald er diese erblickte, würde er zweifellos merken, daß
hier ein Ausweg für ihn sei, und über die Bretter ans Ufer laufen,
wo er mit Leichtigkeit gefangen werden könnte. Den beiden Polizisten
schien der Vorschlag nicht übel, und sie versprachen, das Nötige für
den Nachmittag zu veranlassen. Damit entfernten sie sich, und da sonst
niemand etwas unternahm, zerstreute sich die Menge.
Am Nachmittag waren fast dreimal soviel Leute um das Wasserbecken
versammelt als am Vormittag. Die Kunde von dem Eishund, wie sie
ihn nannten, hatte sich rasch verbreitet. Auch Bubbles, der
Berichterstatter, war wieder da, samt dem Photographen seines Blattes.
Sehr bald kam ein Lastwagen der Parkbehörde mit Brettern und Holzböcken
angefahren. Auch Kaiser und Flaherty und noch andere Polizisten kamen,
um den Feldzug gegen den Eishund zu leiten und die Menge in Ordnung zu
halten.
»Das wird der reine Zirkus!« bemerkte der dicke Flaherty lachend zu
Kaiser.
»Merkwürdig«, entgegnete Kaiser, »welche Unmasse Maulaffen es in
New-York gibt, sowie es etwas zu sehen gibt. Und sei es nur ein Köter
auf dem Eise.«
Die Holzböcke wurden neben dem Aussichtsturm auf das Eis gestellt und
dann die Bretter darüber gelegt. Dann begaben sich die vier Parkfeger
auf das Eis und näherten sich dem Köter, der sie mit einem Ausdruck
höchsten Argwohns herankommen sah. Bald war wieder die schönste
Hetzjagd im Gange. Dreimal trieben sie ihn unter dem Jubel der Menge
auf die Bretter zu, doch der Köter schoß jedesmal daran vorüber. Völlig
erschöpft gaben die vier endlich die Jagd auf und stiegen wieder ans
Ufer, um sich zu verschnaufen.
»So ein dummes Luder!« knurrte Flaherty und warf dem Köter einen
giftigen Blick zu. Der saß mitten auf dem Eise, ganz außer Atem, aber
stolz wie ein siegreicher Toreador in der Arena. Es sah zu lächerlich
aus. Das Publikum wollte sich schief lachen. Teufel -- das war wirklich
ein herrlicher Ulk! Und er kostete keinen Cent. Plötzlich erschienen
drei Studenten auf dem Eise. Sie hatten Schlittschuhe an. Offenbar
glaubten sie, daß die Schlittschuhe ihnen den Erfolg sichern müßten.
Pfeilschnell sausten sie auf den Köter zu. Aber der war noch schneller.
Einmal hatten sie ihn fast. Doch zwei von den Studenten liefen so
heftig aufeinander, daß es knallte und sie wie der Blitz auf das Eis
flogen. Unter dem wiehernden Gelächter der Zuschauer verschwanden sie.
Eine Weile konnte sich der Köter verpusten. Und immer noch schwoll die
Menschenmenge. Kleine Jungens begannen schon mit leeren Seifenkisten
zu handeln, auf denen man warm und trocken stehen und über die Menge
hinwegsehen konnte. Verkäufer von Bonbons und gerösteten Kastanien
machten gute Geschäfte. Bubbles, der Berichterstatter, photographierte,
daß der Gummisack am Apparat dampfte. Wer würde der nächste sein, der
den Kampf mit dem wundervollen Eishund wagte?
Das war Kakadu-Bill, der ehemalige Kuhjunge aus dem Westen, der jetzt
in New York Kellner war. Er behauptete, der Meisterlassowerfer von
Amerika zu sein und Roosevelt in dieser schönen Kunst unterrichtet zu
haben, als er noch als unbekannter Rauhreiter die Prärie durchstreifte.
Kakadu-Bill habe er als Kuhjunge geheißen, weil er der einzige
Kuhjunge in Arizona war, der einen Kakadu hatte. Kakadu-Bill hatte
sich einen langen Strick verschafft und versprach, den Köter innerhalb
fünf Minuten zu fassen. Eine Kleinigkeit sei's. Als er auf dem Eise
erschien, brachten ihm die entzückten Zuschauer eine Ovation.
»Der wird's fertig bringen!« sagten sie.
Kakadu-Bill ging vollkommen kunstgerecht zu Werke. Er trabte, immer
den Lasso schwingend, im Kreise um den Eishund, der ruhig auf den
Hinterbeinen saß und erstaunt Kakadu-Bill zusah. Er war sich offenbar
nicht klar, was dessen sonderbares Benehmen bedeutete. Immer enger zog
Kakadu-Bill den Kreis und plötzlich pfiff der Lasso durch die Luft und
schlug klatschend auf die Stelle, wo der Eishund eben noch gesessen
hatte, aber nicht mehr saß. Als Kakadu-Bill das Hohngelächter der Menge
vernahm, stieß er einen gräßlichen Fluch aus, wickelte seinen Lasso
wieder auf und jagte abermals hinter dem Eishund her. Aber er kam
einer dünnen Stelle im Eise zu nahe und brach durch das Eis. Am Ufer
herrschte gewaltige Aufregung. »Er ertrinkt!« riefen einige. Die Damen
kreischten und sahen sich nach hübschen jungen Herren um, denen sie
ohnmächtig in die Arme fallen könnten. Zum Glück war es da nicht tief,
und Kakadu-Bill fiel nur bis über die Kniee ins Wasser. Das kühlte
sein wildwestliches Jagdfieber jedoch dermaßen ab, daß er hastig aus
dem Wasser herauspatschte und samt seinem Lasso so schnell wie möglich
verduftete. -- Nun schien keiner mehr Lust zu haben, sein Glück zu
versuchen.
»Er wird wahrscheinlich von selber am Abend oder früh am nächsten
Morgen über die Bretter ans Land finden!« sagten die Polizisten und
ersuchten die Menge weiterzugehen.
»Aber er verhungert unterdessen!« meinte eine reizende junge Dame.
»Oder er ertrinkt, wenn es weiter taut! Das wäre sehr unappetitlich. Es
ist unser Trinkwasser!«
»Wir werfen ihm etwas Fleisch aufs Eis!« versicherten die Polizisten.
»Und ein paar Tage hält das Eis noch!«
»Die Vorstellung ist aus!« rief ein vorwitziger Bengel. »Morgen
vormittag wird sie fortgesetzt!« Und langsam entfernten sich die Leute.
Am nächsten Morgen war die seltsame Geschichte von dem berühmten
Eishund mit Abbildungen in Bubbles Zeitung. Zu Fuß, zu Pferde und zu
Wagen kam halb New York, um den berühmten Eishund zu sehen. Gott sei
Dank! -- da war er noch. Es hatte wirklich noch mehr getaut und niemand
wagte sich aufs Eis. Niemand? Ein Held, ein einziger Held scheute sich
nicht, eines erbärmlichen kleinen Köters wegen sein Leben aufs Spiel
zu setzen. Ein kleiner kugelrunder deutscher Bäcker aus der Avenue A,
mit rosaroten Backen, war der Held. Er hatte ein ganz neues Verfahren.
Er war schon am Tage vorher dagewesen, hatte das Schlachtfeld in
Augenschein genommen und war mit der geheimnisvollen Bemerkung
fortgegangen, das sei ein eklatanter Fall, wo Moltkesche Strategie
allein Erfolg verspreche. Denn er sei Sergeant in der deutschen Armee
gewesen und mit Waldersee in China. Mit dieser Strategie also war er
jetzt gekommen. Ohne Frage hatte seine Strategie etwas Ungewöhnliches,
Geniales. Als Hilfsmittel brachte er dreierlei Dinge mit: einen
Dachshund mit fürchterlich krummen Beinen, eine lange dünne Leine und
einen riesigen Schinkenknochen, der an der Leine befestigt war. Als
er mit diesen drei Dingen auf dem Eise erschien, stieß Bubbles, der
Berichterstatter, ein indianisches Freudengeheul aus. Das Publikum
schrie Hurra, Flaherty aber wandte sich an Kaiser und sagte:
»Kaiser, ist es wahr, daß Moltke mit Dachshunden und Schinkenknochen
gearbeitet hat?«
Ein anderer fragte seinen Nachbar, wer eigentlich der Dachshund und
wer der Bäcker sei. Wahrhaftig -- von weitem sahen sie sich ähnlich,
wegen der krummen Beine. Man war aufs äußerste gespannt, wie nun
die Moltkesche Strategie sich betätigen werde. Sie betätigte sich
wie folgt. Der kugelrunde Bäcker rollte sich auf den gelben Köter
zu, der freundlich bellte und mit dem Schwanz wedelte, als er einen
vierbeinigen Kameraden erblickte. Diese beiden, der Mann und der
Dachshund, machten unzweifelhaft einen friedlichen Eindruck auf den
Eishund. Nun schleuderte der Bäcker plötzlich seinen Schinkenknochen,
aber nicht nach dem Köter hin, sondern seitwärts. Sofort stürzte
sich der krummbeinige Dackel mit fliegenden Ohren auf den Knochen und
suchte ihn seinem Herrn zu entreißen. Der jedoch hielt ihn mit der
Leine fest. Das ärgerte Prinz. So hieß nämlich der Dackel. Knurrend
und keifend zog er aus Leibeskräften an dem Knochen, ebenso kräftig
zog der Bäcker daran. Der Eishund war eitel Entzücken. Mit lustigem
Gebell sprang er unausgesetzt um den Dackel herum, dabei begehrliche
Blicke auf den Knochen werfend. Himmel -- war das ein Knochen! Und ein
Duft ging von dem Knochen aus, daß ihm der leere Magen in dem dürren
Leib vor Freude hüpfte. Wenn er diesen Knochen erwischen könnte! Er
kam ein wenig näher. Aber Prinz schnarrte ihn so grimmig an, daß er
furchtsam zurückwich. Nun zog der Bäcker stärker und stärker, bis er
Prinz ganz nahe hatte. Dann sagte er: »Artig, Prinz!« und Prinz ließ
schweren Herzens den Knochen fahren. Jetzt kugelte sich der Bäcker
mit lächerlicher Geschwindigkeit davon, den Knochen immer hinter sich
herschleifend. Prinz und der gelbe Köter folgten. Der Bäcker gab acht,
daß sie den Knochen nicht erwischten. Eine Weile trieb er's so. Dann
schleuderte er den Knochen dem gelben Köter zu, der ihn heißhungrig
erschnappte. Nun begann dasselbe Spiel, das der Bäcker mit Prinz
getrieben hatte. Näher und näher zog er den Knochen mit dem gelben
Köter daran, während Prinz mit entrüstetem Bellen um den Nebenbuhler
herumsprang. Immer näher kam der Köter und jetzt -- ein Griff, er hatte
ihn, samt dem Knochen. Er nahm ihn unter den Arm und verließ mit ihm,
gefolgt von Prinz, unter dem brausenden Hurra der Zuschauer das Eis.
»Was hältst du von Moltke?« fragte jetzt Kaiser den dicken Flaherty.
»Es ist ein Sedan, ein vollkommenes Sedan!« gestand Flaherty voll
Bewunderung. »Jetzt verstehe ich den Krieg von Siebzig!«
Der Bäcker hatte noch kaum über die Bretter das Ufer bestiegen,
da war er schon von Bubbles Gehilfen dreimal photographiert,
mitsamt Prinz. Die Leute umringten ihn und beglückwünschten ihn und
bewunderten den Eishund, der mit scheuen Blicken, aber immer noch
seinen Schinkenknochen zwischen den Zähnen, unter des Bäckers Arm saß.
Zwischendurch mußte der Bäcker Bubbles Rede und Antwort stehen, wo er
herkomme und so weiter. Man erfuhr, daß er Waldersees Liebling gewesen
sei. Na ja, da hatte er die Moltkesche Strategie gelernt -- kein
Wunder! Einer erzählte es dem andern. Der Bäcker mußte seine Wohnung
angeben. Dann gestatteten ihm die Polizisten, den Eishund nach Hause zu
nehmen.
Und der Eishund war nun ein gemachter Hund -- sozusagen. Feine Damen
kamen Tag um Tag in Kutschen zu dem tapferen Bäcker gefahren und
wollten den berühmten Hund sehen. Eine alte reiche Dame erstand ihn, da
ihn niemand beanspruchte, von dem Bäcker für 25 Dollars und nahm ihn in
ihr Haus, wo er den Namen Teddy erhielt, dem Präsidenten Roosevelt zu
Ehren, und ein Leben voller Wonne führte.
»Und das alles,« spöttelten die vornehmen Hunde aus der Fünften Avenue,
»weil er das Glück hatte, in das Trinkwasserbecken im Park zu fallen.
Zu albern!«
Das ist die Geschichte von dem Eishund.
[Illustration]


[Illustration]


Ludwig Thoma:
Besserung

Wie ich in die Ostervakanz gefahren bin, hat die Tante Fanny gesagt:
»Vielleicht kommen wir zum Besuch zu deiner Mutter. Sie hat uns so
dringend eingeladen, daß wir sie nicht beleidigen dürfen.«
Und Onkel Pepi sagte, er weiß es nicht, ob es geht, weil er so viel
Arbeit hat, aber er sieht es ein, daß er den Besuch nicht mehr
hinausschieben darf. Ich fragte ihn, ob er nicht lieber im Sommer
kommen will, jetzt ist es noch so kalt, und man weiß nicht, ob es nicht
auf einmal schneit. Aber die Tante sagte: »Nein, deine Mutter muß böse
werden, wir haben es schon so oft versprochen.« Ich weiß aber schon,
warum sie kommen wollen; weil wir auf Ostern das Geräucherte haben und
Eier und Kaffeekuchen, und Onkel Pepi ißt so furchtbar viel. Daheim
darf er nicht so, weil Tante Fanny gleich sagt, ob er nicht an sein
Kind denkt.
Sie haben mich an den Postomnibus begleitet, und Onkel Pepi hat
freundlich getan und hat gesagt, es ist auch gut für mich, wenn er
kommt, daß er den Aufruhr beschwichtigen kann über mein Zeugnis.
Es ist wahr, daß es furchtbar schlecht gewesen ist, aber ich finde
schon etwas zum Ausreden. Dazu brauche ich ihn nicht.
Ich habe mich geärgert, daß sie mich begleitet haben, weil ich mir
Zigarren kaufen wollte für die Heimreise, und jetzt konnte ich nicht.
Der Fritz war aber im Omnibus und hat zu mir gesagt, daß er genug
hat, und wenn es nicht reicht, können wir im Bahnhof in Mühldorf noch
Zigarren kaufen.
Im Omnibus haben wir nicht rauchen dürfen, weil der Oberamtsrichter
Zirngiebl mit seinem Heinrich darin war, und wir haben gewußt, daß er
ein Freund vom Rektor ist und ihm alles verschuftet.
Der Heinrich hat ihm gleich gesagt, wer wir sind. Er hat es ihm in das
Ohr gewispert, und ich habe gehört, wie er bei meinem Namen gesagt hat:
»Er ist der Letzte in unserer Klasse und hat in der Religion auch einen
Vierer.«
Da hat mich der Oberamtsrichter angeschaut, als wenn ich aus einer
Menagerie bin, und auf einmal hat er zu mir und zum Fritz gesagt:
»Nun, ihr Jungens, gebt mir einmal eure Zeugnisse, daß ich sie mit dem
Heinrich dem seinigen vergleichen kann.«
Ich sagte, daß ich es im Koffer habe, und er liegt auf dem Dache vom
Omnibus. Da hat er gelacht und hat gesagt, er kennt das schon. Ein
gutes Zeugnis hat man immer in der Tasche. Alle Leute im Omnibus haben
gelacht, und ich und der Fritz haben uns furchtbar geärgert, bis wir in
Mühldorf ausgestiegen sind.
Der Fritz sagte, es reut ihn, daß er nicht gesagt hat, bloß die
Handwerksburschen müssen dem Gendarm ihr Zeugnis hergeben. Aber es war
schon zu spät. Wir haben im Bahnhof Bier getrunken, da sind wir wieder
lustig geworden und sind in die Eisenbahn eingestiegen.
Wir haben vom Konduktör ein Rauchkupee verlangt und sind in eines
gekommen, wo schon Leute darin waren. Ein dicker Mann ist am Fenster
gesessen, und an seiner Uhrkette war ein großes silbernes Pferd.
Wenn er gehustet hat, ist das Pferd auf seinem Bauch getanzt und hat
gescheppert. Auf der anderen Bank ist ein kleiner Mann gesessen mit
einer Brille, und er hat immer zu dem Dicken gesagt »Herr Landrat«, und
der Dicke hat zu ihm gesagt »Herr Lehrer«. Wir haben es aber auch so
gemerkt, daß er ein Lehrer ist, weil er seine Haare nicht geschnitten
gehabt hat.
Wie der Zug gegangen ist, hat der Fritz eine Zigarre angezündet und den
Rauch auf die Decke geblasen, und ich habe es auch so gemacht.
Eine Frau ist neben mir gewesen, die ist weggerückt und hat mich
angeschaut, und in der anderen Abteilung sind die Leute aufgestanden
und haben herübergeschaut. Wir haben uns furchtbar gefreut, daß sie
alle so erstaunt sind, und der Fritz hat recht laut gesagt, er muß sich
von dieser Zigarre fünf Kisten bestellen, weil sie so gut ist.
Da sagte der dicke Mann: »Bravo, so wachst die Jugend her,« und der
Lehrer sagte: »Es ist kein Wunder, was man lesen muß, wenn man die
verrohte Jugend sieht.«
Wir haben getan, als wenn es uns nichts angeht, und die Frau ist immer
weitergerückt, weil ich so viel ausgespuckt habe. Der Lehrer hat so
giftig geschaut, daß wir uns haben ärgern müssen, und der Fritz sagte,
ob ich weiß, woher es kommt, daß die Schüler in der ersten Lateinklasse
so schlechte Fortschritte machen, und er glaubt, daß die Volksschulen
immer schlechter werden. Da hat der Lehrer furchtbar gehustet, und der
Dicke hat gesagt, ob es heute kein Mittel nicht mehr gibt für freche
Lausbuben.
Der Lehrer sagte, man darf es nicht mehr anwenden wegen der falschen
Humanität, und weil man gestraft wird, wenn man einen bloß ein bißchen
auf den Kopf haut.
Alle Leute im Wagen haben gebrummt: »Das ist wahr«, und die Frau neben
mir hat gesagt, daß die Eltern dankbar sein müssen, wenn man solchen
Burschen ihr Sitzleder verhaut. Und da haben wieder alle gebrummt, und
ein großer Mann in der anderen Abteilung ist aufgestanden und hat mit
einem tiefen Baß gesagt: »Leider, leider gibt es keine vernünftigen
Öltern nicht mehr.«
Der Fritz hat sich gar nichts daraus gemacht und hat mich mit dem Fuß
gestoßen, daß ich auch lustig sein soll. Er hat einen blauen Zwicker
aus der Tasche genommen und hat ihn aufgesetzt und hat alle Leute
angeschaut und hat den Rauch durch die Nase gehen lassen.
Bei der nächsten Station haben wir uns Bier gekauft und wir haben
es schnell ausgetrunken. Dann haben wir die Gläser zum Fenster
hinausgeschmissen, ob wir vielleicht einen Bahnwärter treffen.
Da schrie der große Mann: »Diese Burschen muß man züchtigen,« und der
Lehrer schrie: »Ruhe, sonst bekommt ihr ein paar Ohrfeigen!« Der Fritz
sagte: »Sie können's schon probieren, wenn Sie eine Schneid haben.« Da
hat sich der Lehrer nicht getraut, und er hat gesagt: »Man darf keinen
mehr auf den Kopf hauen, sonst wird man selbst gestraft.« Und der
große Mann sagte: »Lassen Sie es gehen, ich werde diese Burschen schon
kriegen.«
Er hat das Fenster aufgemacht und hat gebrüllt: »Konduktör, Konduktör!«
Der Zug hat gerade gehalten, und der Konduktör ist gelaufen, als wenn
es brennt. Er fragte, was es gibt, und der große Mann sagte: »Die
Burschen haben Biergläser zum Fenster hinausgeworfen. Sie müssen
arretiert werden.«
Aber der Konduktör war zornig, weil er gemeint hat, es ist ein Unglück
geschehen, und es war gar nichts.
Er sagte zu dem Mann: »Deswegen brauchen Sie doch keinen solchen
Spektakel nicht zu machen.« Und zu uns hat er gesagt: »Sie dürfen
es nicht tun, meine Herren.« Das hat mich gefreut, und ich sagte:
»Entschuldigen Sie, Herr Oberkonduktör, wir haben nicht gewußt, wo wir
die Gläser hinstellen müssen, aber wir schmeißen jetzt kein Glas nicht
mehr hinaus.« Der Fritz fragte ihn, ob er keine Zigarre nicht will,
aber er sagte, nein, weil er keine so starken nicht raucht.
Dann ist er wieder gegangen, und der große Mann hat sich hingesetzt und
hat gesagt, er glaubt, der Konduktör ist ein Preuße. Alle Leute haben
wieder gebrummt, und der Lehrer sagte immer: »Herr Landrat, ich muß
mich furchtbar zurückhalten, aber man darf keinen mehr auf den Kopf
hauen.«
Wir sind weitergefahren, und bei der nächsten Station haben wir uns
wieder ein Bier gekauft. Wie ich es ausgetrunken habe, ist mir ganz
schwindlig geworden, und es hat sich alles zu drehen angefangen.
Ich habe den Kopf zum Fenster hinausgehalten, ob es mir nicht besser
wird. Aber es ist mir nicht besser geworden, und ich habe mich stark
zusammengenommen, weil ich glaubte, die Leute meinen sonst, ich kann
das Rauchen nicht vertragen.
Es hat nichts mehr geholfen, und da habe ich geschwind meinen Hut
genommen.
Die Frau ist aufgesprungen und hat geschrien, und alle Leute sind
aufgestanden, und der Lehrer sagte: »Da haben wir es.« Und der große
Mann sagte in der anderen Abteilung: »Das sind die Burschen, aus denen
man die Anarchisten macht.«
Mir ist alles gleich gewesen, weil mir so schlecht war. Ich dachte,
wenn ich wieder gesund werde, will ich nie mehr Zigarren rauchen und
immer folgen und meiner lieben Mutter keinen Verdruß nicht mehr machen.
Ich dachte, wieviel schöner möchte es sein, wenn es mir jetzt nicht
schlecht wäre, und ich hätte ein gutes Zeugnis in der Tasche, als daß
ich jetzt den Hut in der Hand habe, wo ich mich hineingebrochen habe.
Fritz sagte, er glaubt, daß es mir von einer Wurst schlecht geworden
ist.
Er wollte mir helfen, daß die Leute glauben, ich bin ein
Gewohnheitsraucher.
Aber es war mir nicht recht, daß er gelogen hat.
Ich war auf einmal ein braver Sohn und hatte einen Abscheu gegen die
Lüge.
Ich versprach dem lieben Gott, daß ich keine Sünde nicht mehr tun
wollte, wenn er mich wieder gesund werden läßt. Die Frau neben mir hat
nicht gewußt, daß ich mich bessern will, und sie hat immer geschrien,
wie lange sie den Gestank noch aushalten muß.
Da hat der Fritz den Hut aus meiner Hand genommen und hat ihn zum
Fenster hinausgehalten und hat ihn ausgeleert. Es ist aber viel auf
das Trittbrett gefallen, daß es geplatscht hat, und wie der Zug in der
Station gehalten hat, ist der Expeditor hergelaufen und hat geschrien:
»Wer ist die Sau gewesen? Herrgottsakrament, Konduktör, was ist das für
ein Saustall?«
Alle Leute sind an die Fenster gestürzt und haben hinausgeschaut, wo
das schmutzige Trittbrett gewesen ist. Und der Konduktör ist gekommen
und hat es angeschaut und hat gebrüllt: »Wer war die Sau?« -- Der große
Herr sagte zu ihm: »Es ist der nämliche, der mit den Bierflaschen
schmeißt, und Sie haben es ihm erlaubt.« -- »Was ist das mit den
Bierflaschen?« fragte der Expeditor. -- »Sie sind ein gemeiner Mensch,«
sagte der Konduktör, »wenn Sie sagen, daß ich es erlaubt habe, daß er
mit die Bierflaschen schmeißt.« -- »Was bin ich?« fragte der große
Herr. -- »Sie sind ein gemeiner Lügner,« sagte der Konduktör, »ich
habe es nicht erlaubt.« -- »Tun Sie nicht so schimpfen,« sagte der
Expeditor, »wir müssen es mit Ruhe abmachen.«
Alle Leute im Wagen haben durcheinander geschrien, daß wir solche
Lausbuben sind, und daß man uns arretieren muß. Am lautesten hat der
Lehrer gebrüllt, und er hat immer gesagt, er ist selbst ein Schulmann.
Ich habe nichts sagen können, weil mir so schlecht war, aber der
Fritz hat für mich geredet, und er hat den Expeditor gefragt, ob man
arretiert werden muß, wenn man auf einem Bahnhofe eine giftige Wurst
kriegt. Zuletzt hat der Expeditor gesagt, daß ich nicht arretiert
werde, aber, daß das Trittbrett gereinigt wird, und ich muß es
bezahlen. Es kostet eine Mark. Dann ist der Zug wieder gefahren, und
ich habe immer den Kopf zum Fenster hinausgehalten, daß es mir besser
wird.
In Endorf ist der Fritz ausgestiegen, und dann ist meine Station
gekommen. Meine Mutter und Ännchen waren auf dem Bahnhof und haben mich
erwartet. Es ist mir noch immer ein bißchen schlecht gewesen und ich
habe so Kopfweh gehabt.
Da war ich froh, daß es schon Nacht war, weil man nicht gesehen hat,
wie ich blaß bin. Meine Mutter hat mir einen Kuß gegeben und hat
gleich gefragt: »Nach was riechst du, Ludwig?« Und Ännchen fragte: »Wo
hast du deinen Hut, Ludwig?« Da habe ich gedacht, wie traurig sie sein
möchten, wenn ich ihnen die Wahrheit sage, und ich habe gesagt, daß ich
in Mühldorf eine giftige Wurst gegessen habe, und daß ich froh bin,
wenn ich einen Kamillentee kriege.
Wir sind heimgegangen, und die Lampe hat im Wohnzimmer gebrannt, und
der Tisch war aufgedeckt. Unsere alte Köchin Theres ist hergelaufen,
und wie sie mich gesehen hat, da hat sie gerufen: »Jesus Maria, wie
schaut unser Bub aus? Das kommt davon, weil Sie ihn so viel studieren
lassen, Frau Oberförster.«
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