Deutsche Humoristen, 6. Band (von 8) - 4

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essen.« -- Nun war das Essen noch nicht all, es kam noch eine
gebratne Taub. -- Ich hatte Appetit, fliegt mir grad eine lebendige
Taub vors Fenster und rucksert mir lauter Vorwürf ins Herz. Ich fahr
ins Kirschenwäldchen, und das arme Tier mit verschränkte Flügel, mit
denen es sich hätt können in alle Weltfreude schwingen, liegt in der
Bratpfann. Der Christ jagt die halb Natur durch den Schlund, damit er
auf der Erd kann bleibe, um sein Seelenheil zu befördern, und dann
macht ers grad verkehrt. -- Nun kurz, der Vorwurf von der Taub am
Fenster lastet mir auf dem Herzen, ich kann keinen Bissen essen. --
Die Taub wird unberührt wieder in die Speiskammer gestellt; ich ziehe
mich derweil an, um der Ungeduld etwas weiß zu machen, die Spitzehaub
wird von der Bouteille herunter genommen, aufgesetzt, und die Nachtmütz
wird drauf gestülpt, damit ich sie heut abend, wenn ich nach Haus komm,
gleich auswechsle kann, noch eh Licht kommt; das ist so meine alte
Gewohnheit.
Nun sitz ich da mit meinem Sonnenschirm in der Hand, im besten Humor,
und lach die Lieschen aus, mit ihrer Angst wegen meinem leeren Magen.
Ich guck auf die Uhr -- der Wagen kommt gerappelt; den alten Johann,
ein ganz gescheuter Kerl, hör ich schon an seinem gewohnten Gange
die Trepp herauf kommen. -- »Lieschen, geschwind lauf sie hinaus,
auf den Vorplatz an die Tür, ehs schellt.« Da schellts schon, die
Lieschen macht die Tür auf, da steht ein goldbordierter Herr mit einem
dreieckigen Hut und guckt mir ins Gesicht, und mein alter Johann kommt
hinten nach. -- Ich sag zu dem fremde Wundertier: »Sie sind wohl einen
unrechten Weg gangen!« -- und will mich an ihm vorbeimachen; aber weil
er sagt: »Ich bin geschickt von Ihro Majestät der Frau Königin von
Preußen an die Frau Rätin Goethe«, so guck ich ihn an, ob er wohl nicht
recht gescheut wär -- »Und«, fährt er fort, »die königlich Equipage
werden um zwei Uhr kommen, um die Frau Rätin nach Darmstadt abzuholen;
mit Ihrer Majestät sollen Sie den Tee trinken im Schloßgarten!« -- Ich
sag: »Johann! Jetzt hör er einmal, was das vor Sachen sind! Wenn einem
eine Bomeranz aus dem blauen Himmel grad auf die Nas fällt, da soll man
gleich sein Verstand bei der Hand haben und sie auffangen, das will
viel heißen!« -- Ei, wem hatt ich denn die Kontenance zu verdanken als
bloß dem Johann? Der stellt sich an die Seit aus lauter Respekt vor dem
unvorhergesehenen Ereignis und guckt mich so feierlich an, daß ich mich
gleich besinn, was ich mir und der Einladung schuldig bin; ich guck ihn
mit einem Feuerblick an, daß der Kerl in sich geht, denn er war nah
dran, zu lachen. Ich sag: »Mein Herr Kammerherr, oder was Sie vor ein
höflicher Beamter sein mögen, rennen Sie nur wieder spornstreichs zur
Frau Königin und melden, die Frau Rat werden ihrerseits die Ehre haben,
die von der Frau Königin ihr zugedachte Auszeichnung anzunehmen. Und
machen Sie nur, daß die Kutsch hübsch akkurat kommt, damit ich auch
nicht zu spät komm, da das Warten und Wartenlassen meine Sach nicht
ist.« -- Dabei macht ich so große Augen, daß der preußisch Hoflakei
gewiß seine Verwundrung wird gehabt haben über den besondern Schlag
Madamen aus der freien Reichsstadt Frankfurt. Man muß seine Zuflucht
nehmen zu allerlei Künsten, um seine Würde zu behaupten. Wer kann sonst
Religion in die Menschen bringen? Daß so ein Hofschranz Respekt hätte
vor einem Bürger, dazu ist er einmal verdorben; da muß man auf Mittel
denke, wie er den Kopf ganz verliert und nicht weiß, was er dazu sagen
soll. Da fiel mir der Türklopper ein von unserm Aderlaßmännchen, dem
Herrn +Unser+; das ist so ein Löwenfratz, wie sie an Salomon seinem
Thronsessel zur Verzierung angebracht sind. Den mach ich nach; --
damit jag ich meinen Herold in die Flucht; er nimmt die Bein an den
Hals und rennt die Trepp herunter. Ich bleib stockstill stehn, die
Lieschen bleibt stehn, der Johann rührt sich nicht vom Fleck, bis wir
die Haustür zumachen hören. »Frau Rat«, sagt der Johann, »Sie werden
also jetzt unmöglich ins Kirschenwäldchen fahren, und da werd ich dann
bestelle, warum Sie nicht mit könne fahren?« -- »Ja, lieber Johann, und
bestell ers doch gleich im Vorbeigehen beim Perückenmacher Heidenblut,
der soll gleich kommen, und erzähl ers unterwegs alle Leut, so was muß
stadtbekannt werden.« -- »Ja, das ist gewiß«, sagt der Johann, »und
wenn mir nur das Herz nit bersten wird, bis ich heraus geplatzt bin
dermit« -- fort ist der Johann. -- Nun guck ich mein Lieschen an; die
steht vor mir wie nicht recht gescheut und zittert an alle Glieder.
»Ei, Lieschen«, sprech ich voll Verwunderung, »wie kommt es, daß ihr
die Haub hinderst der vörderst sitzt, das war doch vorher nicht.«
-- Und ich weiß nicht, wie das möglich war! Es ist doch wunderlich,
wie bei überraschende Gelegenheiten die Spukgeister sich allerlei
Schabernack erlauben mit solchen Leut, die der Sach nicht gewachsen
sind. Das war nun mein Lieschen wirklich nicht. Sie konnts nicht
finden, weder Zwickelstrümpf noch Schuh noch sonst ein Kleidungsstück,
kein Rock konnt sie mir ordentlich über den Kopf werfen. Wenn ich nun
auch den Kopf verloren hätt, ich wär nicht fertig geworden. Jetzt sag
ich: »Bring sie mir einmal die gebratne Taub wieder herein, denn ich
verspür über die königlich Geschicht ein schreiende Hunger. Und nun
schmeiß sie die Nachthaub von der Bouteille herunter -- ich werd auch
noch meiner Seel den ganzen Stockfisch herunter fressen. Nun schenk
sie mir ein Glas Wein ein, ich muß Feuer in den Adern haben.« Der
Perückenmacher war gleich herbei; über die unbegreiflich Nachricht hat
er in seinem stumme Erstaune mich aufgedonnert, und nun mußt er mir die
Haub aufsetze mit den Sternblumen. Es war ein Heidenpläsier, fingerdick
Schmink hat er mir aufgelegt. »Die Frau Rat sehn superb aus,« sagt der
Herr Heidenblut. Und die Liesche stand wie eine Gans vor mir, als ob
sie mich nicht mehr kennte. -- Nu, wir verbringe noch so ein Zeitchen
vor dem Spiegel, links die Lieschen mit der verkehrte Haub, denn die
hat sie noch nicht Zeit gehabt herum zu kriegen, rechts der Herr
Heidenblut mit dem Kamm hinterm Ohr, ganz verzückt in mein Lockenbau,
ich in der Front mit einem feuerfarbne Schlepprock mit doppelte
Florspitzen, Diamantbracelett, echte Perlen um den Hals, ein Schlupp
von Diamante vorgesteckt. Nun, es war zum Malen, die drei Personagen
da aus dem Spiegel herauslachen zu sehen. Wir wurden ganz lustig und
dachten nicht, wie die Zukunft mir auf den Hals gerückt kommt. Wenn
ich doch an all die charmante Witze vom Heideblut mich noch erinnern
könnt, er mußt sich hinstellen, und ich macht mein Probekompliment vor
ihm; er verstehts. Er frisiert ja die allerhöchste Theaterprinzesse. --
Da kommts aber wie ein Sturm angerennt und hält still vor der Haustür.
Rutsch -- vier Pferd und zwei Lakaie hinten drauf noch ohne den
Kutscher. -- Jetzt kommen sie herbei gestolpert, faßt mich ein jeder
unterm Arm und tragen mich schwebend in die Kutsch. Schad, daß die
Fahrt nicht mit meine vier Pferd durch die Bockheimergass geht am Haus
vom Herrn Bürgermeister vorbei -- aber das Glück bescherte mir unser
Herrgott noch, denn kaum biege wir im volle Trab um die Eck, stoßen
wir auf die Bürgermeisterskutsch mit samt dem Herrn Bürgermeister von
Holzhausen drin, mit seine zwei Lakaien hinten drauf mit ihre alte
abgelebte Haarbeutel, -- ich auch -- aber meine Haarbeutel waren ganz
neu. In vollem Rand fahren wir vorbei am Herrn Bürgermeister, ich grüß
feierlich mit dem Fächer und hab das Pläsier, zu sehn, daß mein Herr
von Holzhausen im Wagen sitzen, versteinert, und sehn mich nicht mit
ihre Glotzaugen; er streckt den Kopf heraus, aber umsonst, wir flogen
wie der Wind vorbei.
Sollt ich nun alle Gedanken erzählen, die mir auf meiner Reis bis
Darmstadt eingefallen sind, so müßt ich lügen, denn ich war so zu
sagen auf einer Schaukel, die schlecht in Schwung gebracht war, bald
flog ich dort hinaus, bald wieder nach der andren Seit, bald dreht
sich alles mit mir im Durmel herum, dann dacht ich wieder, wie ichs
alles meinem Sohn wollte schreiben, und da fing mir das Herz an zu
klopfen. Ich konnts vor Ungeduld nicht behaglich finden in der Kutsch
-- ich fing an, die Kastanienbäum zu zählen in der Allee, ich wollt
probieren, ob ichs könnt bis hundert bringe, aber ich bracht keine
zehn Bäum zusammen, da waren meine Gedanken wieder wo anders. Einmal
kam mir ein gescheuter Gedanken, ich dacht, was hab ich dervon? ist
mir die Geschicht angenehm? -- sollt sie mir nur noch ein einzig Mal
wieder begegnen, da würd ich mich schon besinne, daß sie mir langweilig
wär. Was war das heunt morgen vor eine Komödie, was ist mir vor eine
Hitz in den Kopf gestiegen und nun steck ich in einer zweifelhaften
Unbequemlichkeit -- wo ich da hingeh zu fremde Leut, die gar nicht dran
denke, wer da angerumpelt kommt. -- -- »Ohne Kurage kein Genie,« hat
mein Sohn immer gesagt, und will ich oder nicht, so muß ich doch einmal
die höfliche Schmach auf mich nehmen, mit gesundem Mutterwitz dort in
dem Fürstensaal vor einer eingebildten Welt zu paradieren und bloß für
eine Fabelerscheinung mich betrachten zu lassen. Ja, die Welt steht
auf einem Fuß, wo keiner an die Wirklichkeit vom andern glaubt und sich
doch selber vergnügt fühlt, wenn er nur von so einem Scheinheiligen
bescheinigt ist.
Nun, alleweil kamen wir wie ein Sturmwind angerasselt, ganz
erschrocken, daß ich schon da bin, wie ich eben vor Ungeduld mein,
es wird nie dazu kommen. Ich steig aus, die Bediente renne wie ein
Lauffeuer vor mir weg. Ei, ich kann da nicht wie eine Lerch mich ihnen
nachschwingen, ich seh den Augenblick kommen, wo ich weder Bediente
noch Weg mehr finden kann. Ich hatt mich ein bißchen versäumt gehabt,
die Krumplen aus meinem Staatskleid herauszuschütteln, da waren sie
unterdessen in einer Allee verschwunden wie ein paar Irrlichter; wir
waren auseinanderkommen. Ich geh so dem Gehör nach, immer im Kreis
ums Hofgezwitscher herum, immer näher, bis ich endlich aus meinem
Schattenreich heraus unter den aufgepolsterte Hoftroß trete. Ich hielt
mich im Hintergrund mit meinen Beobachtungsgaben, grad wie ein General
bei einer Position, die er dem Feind abluxen will. Denn überraschen laß
ich mich nicht, Mut hab ich, womit ich den Leuten, wenn sie den Kopf
verlieren, ihn oft wieder zurecht gesetzt hab. Ja, bei Gelegenheiten,
von denen eine Frau keinen Verstand zu haben behaupt wird, da steht
als dem Mann derselbig ihm allein zugemessne Verstand still, daß
er wehklagt: »Ach, was fangen wir an?« -- Da antwort die Frau und
schlägt den Nagel auf den Kopf. -- Die Welt wird immer hinkend bleiben,
wenn der Verstand auf dem Mann seiner Seit hinüber hinkt, mit dem er
die verrückte Weltangelegenheiten so schwermütig hinter sich drein
schleppt. Was batts den große Weltgeist, daß er das Eheprinzip in sich
trägt, wenn der männliche Verstand ein Hagestolz bleibt. -- Also die
erst Bemerkung, die ich mach in den mich umgebenden Hofzirkel, ist die,
daß meine amarantfarbne Schleppe nicht grad ein guter Passepartout
ist, denn nicht Ich mit meinem Vierundzwanzigpfünderblick, nicht meine
Person wird mit neugierigen Augen betracht, nein, die wird übergesehn,
aber meine Falbelas, meine Taille, meine Frangen, von unten herauf,
immer höher und höher werd ich scharf examiniert, bis sie endlich zur
Florfontange kommen, wo die Sternblumen drauf gepflanzt waren, da
halten sie an und entdecken, daß auch ein Gesicht mit kommen war; da
prallen sie wie der Blitz auseinander und melden meine Erscheinung der
Frau Königin. Die kommt mit einem ehrfurchtsvoll gehaltnen Schritt
auf mich los, ich -- gleich salutiere mit einem Feuerblicke vom erste
Kaliber, und nun mache alle Leut Platz, und die Frau Königin wie eine
schöne Götternymph führt mich an ihrer Hand, und der Wind spielt in
dem schneehagelweiße Faltengewand und ein Lockenpaar, das spielt an auf
jeden Tritt, den sie tut, und die blendende Stirn und die wunderschön
blaßrote Farb von ihrem Gesicht, und der freundlich Mund, der ganz voll
allerlei Geflüster mich anspricht. Verstanden hab ichs nicht, ich war
durmlich von Vergnügen und konnt auch nichts weiter vorbringen als:
»Hochgeschätzter Augenblick und liebwerteste Gegenwart und wundernswert
vor Götter und vor Menschen --« und wie sie erst die Kett vom Hals sich
losmacht und hängt sie mir um, und der ganze Hofkreis trippelt und
guckt. Ich hab innerlich den Apoll und den Jupiter angerufen, diese
menschenbegreifende Götter sollen mir beistehn, daß ich vernünftig
bleib und nicht alles um mich her für wunderliche Tiere halt, denn
alle diese vornehmen Hofchargen kamen mir vor wie ein heraldischer
Tierkreis. Löwen, Büffel, Pfaue, Paviane, Greife; aber auf ein Gesicht,
das menschlich schön zu nennen wär, besinn ich mich nicht. Das mag
davon herkommen, weil diese Menschengattung mehr eine Art politischer
Schrauben oder Radwerk an der Staatsmaschine und keine rechte Menschen
sind. Harthörig, hartherzig, kurzsichtig, stolz und eigensinnig Volk,
und es gehört immer der Zufall und ein Verdienst um sie, absonderlich
aber ihre eigne Laune dazu, und noch gar viel andre Künste, um von
ihnen bemerkt und gehört zu werden. Schreien und Poltern oder gar
Recht haben hilft gar nichts bei ihnen, ja, besonders das Recht haben,
das kommt der politische Staatsmaschine ihrer hochtragenden Nas immer
in die Quer. »+Was soll das heißen, daß man mit seim Recht an die
widerrennen tut?+« -- Sollte das Schicksal diese Nas ausersehen haben,
daß sie drauf falle, das wär kein Schaden; darum muß man ihr Platz
machen. Ja, von solchen ist kein christlich Gesinnung zu erwarten,
das ist übrig. Man soll seines Bestallungsbriefes an die Natur sich
erinnern, wenn man was mit ihne zu verhandeln hat, damit man an der
doppel-schneidig-weltbürgerliche Politur nicht auch mit seinen edleren
Gesinnungen als ausglitscht. Das fehlte noch, daß man wie ein Lauskerl
vor sich selber dasteht und darf nicht in den Spiegel gucken vom eignen
Gewissen. --
Solche Gedanke hatte ich in dem Tierkreis, wo die Ordensbänder und
Stern und goldblitzende Staatsröck rund um mich herum blinkerten wie
im Traum, und wie im Traum dacht ich: wenn ich König wär, ich hielt
mir eine aparte Insel vor das heraldische Tiervolk, da könnten sie so
fortleben, bis sie sterben wollten, aber mir jederzeit unter den Füßen
herum zu grabeln, daß man alle Augenblicke über sie stolpern müßt, das
litt ich nicht.
Nun, während ich über den Darmstädter Tierkreis meine Glossen
mach, wovon ein nicht unbedeutender Teil mit besterntem Bauch,
mit übereinander schielenden Blicken und überlegenden Mienen des
Menschenwohls da unter der Herd herumstolpern, spür ich deutlich,
daß ich in dem Verwunderungsstrudel dagesessen hatte wie ein
Schaf. Ich schäme mich, daß ich sollte mit einem so unscheinbare
Antlitz die freie Reichsstadt vertreten, ich such mir eine andere
Physiognomie aus, den Frankfurter Adler. No! -- wie der Adler, wenn
er Donner und Blitz bewacht, so sitz ich da, und die lieb Sonn, ohne
Urlaub zu nemme, setzt sich auf den Reisefuß und ging hinter denen
schöne Linde bergab spazieren, und der Mond kam herauf, auf den mit
allerlei poetische Spekulatione angespielt wurde, ich mußt lachen
über die empfindungsvolle Tonarte, in welche die Gesellschaft da
überging. Nun, ich kann nicht alles aus dem Gedächtnis hervorkrame.
Ich schwieg in meiner stolze Position still, denn kein Mensch hatte
mir ein Wort zu sagen, seit die Paradeszen vorbei war. Ich machte
daher meine olympische Adlersmiene ohne Unterbrechung fort, und da
war auch nicht ein Augenblick, wo ich mir nachgegeben hätt und hätt
meinen Alletagsgesicht auch nur erlaubt durchzublinzeln. -- Auf
emal! schlägt mir ein Trompetegeschmetter durchs Ohr, ich fahr aus
einem tiefen Schlaf, in dem ich aller Herrlichkeiten, der um mich
her vorgingen, vergessen, träume dem Herrn Heideblut und der Jungfer
Lieschen meine erlebte Abenteuer zu erzähle, und ganz vergnügt bin,
daß alles überstande ist. -- Ja, der vermeint Adler hat den Kopf in
sein Spitzekragen gesteckt und war unbewußt seiner entschlummert über
dem viele Geschwärm von alle bedeutungsvolle Momente, die mir da in
eim Hui ins Alltagsleben hereingestoben kamen, und ich, als in der
Meinung, meinen olympischen Götterglanz fortzubehaupten, fall aus der
Roll heraus und in Schlaf. Mit natürliche Dinge wars zugegangen; denk
sich einer die verschiedene Motionen, dene ich vom frühen Morgen an
ausgesetzt gewesen war; es war ja alles wie ein Traum, wars da ein
Wunder, daß ichs am End für ein Traum hielt und ruhig weiter schlief?
-- Und die Nachtdämmerung -- und ich saß ja da für gar keine weitere
Geschäfte, als bloß Betrachtung anzustelle, was doch die Parze vor
eigensinnige Begebenheiten einem in den Lebensfaden einspinne. No! --
Als ich mit einem Schrecke durch alle Eingeweide aufwach, hat sich die
Szen verändert, das Gebüsch wirft keinen Schatten mehr auf den leeren
Platz, weil alles Tageslicht gewichen war, der Trompetenstoß, der
mich von meinem tiefe Schlaf auferweckt hatte, war aus dem Tanzsaal
erschallt, wo helle Fackeln brenne, wo die ganze Hofnympheschar in
einem schwebende Tanz mit dene heraldische Cavaliere herumhüppen;
aus den unterirdische Kellerhäls dampft ein köstlicher Speisegeruch;
in denen sieht man die Herrn Köche mit weißen Zipfelmützen munter
und allert Fett in das Feuer werfe, daß es hell aufflackert; die
Champagnerflasche hört man im Plotonfeuer losknalle und die Frau Rat,
die zu diesem Göttermahl feierlichst eingeholt waren mit vier weiße
Schimmel, die sitzen unter einem Vogelkirschbäumche, welche Frucht man
bekanntlich nicht esse kann, und spüren Hunger.
Die Nacht war eingebrochen, und ich, unbekannt mit der Hofetikett, und
doch mit einem Schicklichkeitsgefühl, was vielleicht grad aus grader,
herzlicher Aufrichtigkeit den entgegengesetzte Weg hätt eingeschlagen
von dem, was statuiert wär, ich stand in der Klemm, wie ich mich zu
verhalten hätt, aber ich wurde sehr bald herausgerissen. Die gute Frau
Königin hat mich in all dem Trubel nicht vergessen. Wie sie ihren
ersten Tanz ausgemacht hat, da sieht sie sich um nach mir, und wie
sie mich nicht finden kann, da gibt sie gleich Order. Das konnt ich
durch die Fensterscheiben bemerken; -- kaum hat sie nach mir gefragt,
da laufen die Kammerherren, die Lakaien durch den ganzen Saal im
Kringel herum, um mich zu finden. Aber, dacht ich, sucht ihr nur. --
Wie sie mich nicht finden können, da fällt ihnen doch ein, daß ich
vielleicht könnt im Garten geblieben sein. Nun kommen sie heraus und
verteilen sich in alle Regionen; ich drück mich dicht bei der Tür
an die Wand, denn im Garten wollt ich mich nicht finden lassen, da
hätt ich mich zu sehr geschämt. Nun dacht ich, jetzt ist der wichtige
Moment, da muß ich einen energischen Streich machen und mich auf gut
Glück wieder ins Meer stürzen, unter die Hofwogen, und mich da um
die Wett mit denen aufbauschen. Wie also ein Hoflakai wie ein Schuß
Pulver von der Tür abblitzt in den Garten hinaus, um mich im Gebüsch
zu suchen, so fahr ich an dem blinde Hans vorbei, grad in den Saal
herein, wo mir glücklicherweis alle Leut den Rücken drehten. -- Ach!!
-- Gott sei Dank!! -- Denn das Herzklopfen, was ich nach überstandner
Katastrophe empfand -- nun, -- wer sich das denken kann! -- bis ich
mich so allmählich wieder beruhigte. -- Denk sich einer, wenn die
Windbeutel, die Kammerherren und Kammerdiener, da die Frau Rat unter
dem Vogelkirschbäumchen gefunden hätten und hätten mit ihre Windlichter
mir unter mein schlafend Angesicht geleucht. Nein, ich frag alle gute
Freund, ob einer sich das gewünscht hätt? -- Antwort: Nein! -- Aber
was man sich nicht wünscht, das soll man andern nicht gönnen. Ich auch
hab mirs nicht gewünscht und hätts meinem Feind nicht gegönnt.
Wie ich mich etwas erleichtert fühlte, so rückte ich allmählich
hinter den vielen Leuten hervor, die an der Tür standen, und kam so
ganz nah an die Frau Königin heran; die winkt mir, und nun kommen die
Kammerjäger von ihrer Jagd durchs Buschwerk zurück und wollen eben mein
Verschwinden melden, da sehn sie zu ihrer Verwundrung, wie ich eben
mit denen Prinzen von Gotha, noch ein paar ganz jungen Bürschercher,
Bekanntschaft mach. Die erzählen von meinem Sohn, weil sie ihn sehr
gut kenne vom Weimarer Hof, und ich erzähl auch mein Bestes, und das
war eine ganz vergnügte halbe Stund, wo ich mich ganz mit meinem
Schicksal wieder aussöhnte. Auch hatte sich meine Verlegenheit nach
und nach beschwichtigt über meine Toilette, denn ich hatte mir gleich
vorgenommen gehabt, nur in keinen von denen großen hell erleuchtete
Wandspiegel zu gucken; das war gar nicht so leicht. -- Daß, wenn
allenfalls was an mir in Unordnung geraten wär, daß ich nicht auch noch
+den+ Schreck auf mein gepreßt Herz laden müßt, weil aber die Leut all
ganz vernünftig mich ansehn und keiner eine zum Lachen gestimmte Miene
macht, da wag ich's und tu einen Seitenblick und finde mich nicht nur
ganz menschlich, sondern ich gefalle mir auch sehr wohl mit meinem
kuraschierten Aug, das da thront über alle verkehrte Eingebildheiten,
mit dem sie mich rund umher zu überschauen meinten. Ich schaute auf
sie wieder herab, wie ein Wetterdach, das sie in Schutz genommen hat
gegen den erfrischenden Regen und den kühlenden Wind, dem sie sich
auszusetzen Bedenken tragen, und so ließ ich sie mich umirren mit ihren
nichtssagende Blicke, als bloß wie dürres Laub, was im Wind dahinfliegt.
Die gute Frau Königin sah mirs an, daß es Zeit wär, mich zu entlassen;
sie nahm da mein Dank recht freundlich auf und erinnert mich an die
Zeiten, wo sie in meinem Haus unter meinem Schutz gewohnt hatte und
tausend lustige Spielstunden in meinem Hof sich gemacht. --
Da ich nun entlassen war, so kam gleich wieder so ein dienender Geist
von morgens früh und frägt mich, ob ich vielleicht den Wagen bestellen
wollt lassen? -- »Nichts lieber wie das«, sag ich, »bester Freund,
verdienen Sie sich einen Lohn im Himmel, und helfen Sie mir über die
königlich Schwell hinüber in mein bürgerlich Dasein.« Wie ich nun
wieder im Wagen saß, wer war froher wie ich? -- Ich hatte vor allen
überraschenden Verlegenheiten und Sorgen gar nicht können an meine
goldne Kett denken; jetzt beguck ich sie im Mondschein, und sie machte
mir doch großes Pläsier. -- Denn alle Auszeichnungen, die mir werden,
das weiß ich, die hab ich doch meinem Sohn zu danken, und wie soll das
eine Mutter nicht freuen? --
Ja, es war eine pläsierliche Fahrt in der Kastanienallee heimwärts.
Alle Baumschatten flogen im Vorbeifahren mir über meine geblendeten
Augen, die ganz in tiefen Gedanken mit der in den Mondstrahlen
blinkenden Kett sich beschäftigten.
Es muß ein Weltengeist geben, der alle wahre und kräftig natürliche
Gefühle nicht in den Lüften verschwirren läßt. So ein Seufzer aus dem
Mutterherzen, auf der Darmstädter Chaussee, ist nicht dort geblieben
als irrender Geist herumzuschweifen. Er wird sein Ziel gefunden
haben, auch war mein Herz ganz feurig, und ich dacht, so wird auch
heut nacht die Frau Königin eine vergnügliche Ahnung von mir haben,
daß sie mich hat so in einen feurigen Rapport gesetzt mit meinem
Sohn, daß ich ihn da im Mondschein zwischen dem Baumgeflüster vor mir
schweben sehe, und kann die schönste Rede führen mit ihm, weil da
allerlei Meldungswürdiges mir begegnet ist. Ach was man sich nicht vor
unschuldige Unmöglichkeiten einbilden kann! -- Aber Muttergefühl ist
eine Wünschelrut, die schlägt in allen weiblichen Herzen an. Und die
Frau Königin auch wird nicht ohne Absicht das Verdienst als Mutter in
mir belohnt haben, sie wird gedacht haben: wenn sie doch auch so ein
Sohn möcht zur Welt bringen, der diese mit seiner Unsterblichkeit könnt
ausfüllen. -- So ein Wunsch ist kein schlecht Gebet für eine erhabne
Landesmutter -- er begreift das Wohl des ganzen Menschengeschlechts in
sich und es kann erhört werden, eben weil es der Müh wert ist so zu
beten, so lohnt es auch dem Schicksalsgott die Erfüllung. -- -- --
Frankfurter Bürgertum ist der best Adel, der sich bis jetzt noch in
alle Zeiten Respekt erworben hat. Welcher Staat kann sich des rühmen?
Nun, ich kann Euch sagen, als ich in der Nacht vors Tor kam, so freut
ich mich über die Maßen: »Sie müssen die Sperr bezahlen!« -- »Königlich
Equipage!« ruft der Lakai vom Bock herunter. -- Schildwach ruft:
»Heraus!« -- »Ei was!« sag ich, »freilich will ich die Sperr bezahlen.
Stecken Sie Ihnen Ihr Seitengewehr ein, Herr Leutnant, ich bins nur und
sonst niemand!« -- »Ei, um so besser, vor Ihnen präsentiere mer das
Gewehr mit Vergnüge.« -- Nun, als wir durch den Orkus durchgerumpelt
waren und endlich vor meinem Haus stillhalten, so kommt mir ein ganzer
Trupp von Basen und Vettern entgegen gestürzt. -- Ich sag: »Ei, was
wollt ihr dann? -- Es ist nachtschlafende Zeit!« -- »Ach, Gott seis
gedankt, daß wir Sie wieder vor unsern Augen sehen, lieb Frau Rat;
wir hatten gedacht, Sie wären arretiert! Die Jungfer Lieschen hat uns
in große Ängste zusammen getrummelt, es wär eine Order kommen von
Ihre Königliche Majestät von Preußen, grad wie Sie hätten wollen ins
Kirschenwäldchen fahren mit der Frau Bethmann; und kaum daß Sie sich
hätten was anziehen können, so wären Sie mit Eskorte von drei Mann
in einem zuenen Wagen mit vier Pferd forttransportiert worden. Und
so sitzen wir hier schon drei Stund und wissen nicht, was wir sollen
anfangen, und eben wollten wirs dem Herrn Bürgermeister melden, und wir
wären Ihnen nachgeeilt, aber die Jungfer hatte den Ort vergessen, wo
Sie waren hintransportiert worden.« -- --
»Nun, um Gotteswillen! Was sind das vor Sachen! -- Das Rätsel will
ich Euch morgen lösen; heunt will ich Euch nur eins sagen, daß die
Jungfer Lieschen eine Hahlgans ist, und ich seh wohl ein jetzt, daß ihr
die Haub heunt morgen nicht verkehrt auf dem Kopf gesessen hat, daß
ihr aber der Kopf verkehrt unter der Haub sitzt, davor will ich Euch
stehn. Ich bedank mich übrigens vor die Teilnahme; und wenn Sie einmal
arretiert werde sollten, so werd ich auch mein Bestes tun, Sie wieder
einzuholen. Übrigens, wer meine große Abenteuer genauer will erfahren,
der muß morgen kommen, heunt sind die Tore gesperrt.« --
Nun, wie ich die gute Nachbarn los war -- so mach ich der Lieschen erst
Vorwürf, wie sie so dumm könnt sein und mir die Leut über den Hals
trummelt.
Nun nehm ich meine Sternblumenhaub vom Kopf herunter und stülp sie über
die Bouteille. Die hat heunt was mit mir erlebt -- ich eröffne meine
Enveloppe, die Lieschen erstarrt vor der goldnen Kett! -- Sie macht
mir Vorwürf, daß ich nicht gleich hab vor den Nachbarn, die um meine
Abwesenheit waren in Sorgen gewesen, meinen Mantel aufgemacht. »Und«,
sagt sie, »das war einmal nichts, daß die Frau Rat nicht gleich es
gesagt haben, und morgen bei Tag wird das lang so kein Effekt machen.«
-- »Nun!« sag ich, »es ist nun emal geschehen, nun wollen wir uns ins
Negligé werfen und ins Bett legen und von denen viele Strabatzen uns
ausruhen!« --
Nun kommts endlich so weit, daß ich im Bett liege. -- Die Frau Bethmann
haben einen Korb mit den schönsten Kirsche mitgebracht aus dem
Kirschenwäldchen, und wenn mirs recht wär, so wollte sie mir zulieb
morgen noch einmal mit mir hinfahren. »Ei, freilich ist mir das recht!
Jetzt stell sie mir die treffliche Herzkirschen an mein Bett und die
Wasserflasche dabei, so werd ich wie eine Prinzeß mirs wohl sein lassen
und die ganze Nacht Kirschen fressen.« --
Aber die Lieschen hat keine Ruh, sie persuadiert mir noch über die weiß
Nachtjack die goldne Kett um den Hals -- und nun bewundert sie und
bedauert, daß es die Nachbarn von rechts und links und gegenherüber
nicht gesehn haben! »Nun!« sag ich, »schweig sie mit ihrem Lamento, es
ist emal vorbei; hätt ich ehnder dran gedacht, so hätt ichs freilich
ihne zeigen können, es würde sie im ersten Augenblick, wo sie noch
den Schreck in alle Glieder hatten über meine bewußte Arretierung,
noch mehr gefreut und überrascht haben!« -- »Ach!« ruft die Lieschen,
»die hab ich gleich wieder beisammen, es ist ja nit weit hin!« und eh
ich ihr auf ihre Dummheit Kontraorder geben kann, klappt sie mit ihre
Pantoffel die Trepp hinunter, ich hör die Haustür gehn, ich lieg da in
der Nachtjack im Bett mit meiner goldne Kett, mit meine Kirschen; ich
denk: Was soll das werden, alle Leut liegen um ein Uhr in der Nacht im
tiefsten Schlaf; seit wieviel Jahr hat ein gesunder Frankfurter die
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