Deutsche Humoristen, 6. Band (von 8) - 2

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Danziger Goldwasser. Als er nun hinkam in Mondscheins Haus, fand er im
Vorsaal unter mehreren angenehmen diplomatischen Herren den kleinen
Zinnober, der auf seinen Stock gestemmt ihn mit seinen Äugelein
anfunkelte und ohne sich weiter an ihn zu kehren, eine gebratene
Lerche ins Maul steckte, die er soeben vom Tische gemaust. Sowie der
Fürst den Kleinen erblickte, lächelte er ihn gnädig an und sprach zum
Minister: »Mondschein! was haben Sie da für einen kleinen, hübschen
verständigen Mann in Ihrem Hause? -- Es ist gewiß derselbe, der die
wohl stilisierten und schön geschriebenen Berichte verfertigt, die
ich seit einiger Zeit von Ihnen erhalte?« -- »Allerdings, gnädigster
Herr«, erwiderte Mondschein. »Mir hat das Geschick ihn zugeführt
als den geistreichsten, geschicktesten Arbeiter in meinem Büreau.
Er nennt sich Zinnober, und ich empfehle den jungen herrlichen Mann
ganz vorzüglich Ihrer Huld und Gnade, mein bester Fürst! -- Erst seit
wenigen Tagen ist er bei mir.« -- »Und eben deshalb«, sprach ein junger
hübscher Mann, der sich indessen genähert, »und eben deshalb hat,
wie Ew. Exzellenz zu bemerken erlauben werden, mein junger kleiner
Kollege noch gar nichts expediert. Die Berichte, die das Glück hatten,
von Ihnen, mein durchlauchtigster Fürst, mit Wohlgefallen bemerkt zu
werden, sind von mir verfaßt.« -- »Was wollen Sie!« fuhr der Fürst ihn
zornig an. -- Zinnober hatte sich dicht an den Fürsten geschoben und
schmatzte, die Lerche verzehrend, vor Gier und Appetit. -- Der junge
Mensch war es wirklich, der jene Berichte verfaßt, aber: »Was wollen
Sie«, rief der Fürst, »Sie haben ja noch gar nicht die Feder angerührt?
-- Und daß Sie dicht bei mir gebratene Lerchen verzehren, so daß, wie
ich zu meinem großen Ärger bemerken muß, meine neue Kasimirhose bereits
einen Butterfleck bekommen, daß Sie dabei so unbillig schmatzen,
ja! -- alles das beweiset hinlänglich Ihre Untauglichkeit zu jeder
diplomatischen Laufbahn! -- Gehen Sie fein nach Hause und lassen Sie
sich nicht wieder vor mir sehen, es sei denn, Sie brächten mir eine
nützliche Fleckkugel für meine Kasimirhose. -- Vielleicht wird mir dann
wieder gnädig zu Mute!« Dann zum Zinnober: »Solche Jünglinge, wie Sie,
werter Zinnober, sind eine Zierde des Staats und verdienen ehrenvoll
ausgezeichnet zu werden! -- Sie sind Geheimer Spezialrat, mein Bester!«
-- »Danke schönstens«, schnarrte Zinnober, indem er den letzten Bissen
hinunterschluckte, und sich das Maul wischte mit beiden Händchen,
»danke schönstens, ich werd' das Ding schon machen, wie es mir zukommt.«
»Wackres Selbstvertrauen«, sprach der Fürst mit erhobener Stimme,
»wackres Selbstvertrauen zeugt von der innern Kraft, die dem würdigen
Staatsmann innewohnen muß!« Und auf diesen Spruch nahm der Fürst ein
Schnäpschen Goldwasser, welches der Minister selbst ihm darreichte und
das ihm sehr wohl bekam. -- Der neue Rat mußte Platz nehmen zwischen
dem Fürsten und Minister. Er verzehrte unglaublich viel Lerchen und
trank Malaga und Goldwasser durcheinander und schnarrte und brummte
zwischen den Zähnen, und hantierte, da er kaum mit der spitzen Nase
über den Tisch reichen konnte, gewaltig mit den Händchen und Beinchen.
Als das Frühstück beendigt, riefen beide, der Fürst und der Minister:
»Es ist ein englischer Mensch, dieser Geheime Spezialrat!« --
[Illustration]

Wie der Geheime Spezialrat Zinnober in seinem Garten frisiert wurde
und im Grase ein Taubad nahm. -- Der Orden des grüngefleckten
Tigers. -- Glücklicher Einfall eines Theaterschneiders.
Der Professor Mosch Terpin schwamm in lauter Wonne, »Konnte«, sprach er
zu sich selbst, »konnte mir denn etwas Glücklicheres begegnen, als daß
der vortreffliche Geheime Spezialrat in mein Haus kam als Studiosus?
-- Er heiratet meine Tochter -- er wird mein Schwiegersohn, durch ihn
erlange ich die Gunst des vortrefflichen Fürsten Barsanuph und steige
nach auf der Leiter, die mein herrliches Zinnoberchen hinaufklimmt.
-- Wahr ist es, daß es mir oft selbst unbegreiflich vorkommt, wie
das Mädchen, die Candida, so ganz und gar vernarrt sein kann in den
Kleinen. Sonst sieht das Frauenzimmer wohl mehr auf ein hübsches
Äußere, als auf besondere Geistesgaben, und schaue ich denn nun
zuweilen das Spezialmännlein an, so ist es mir, als ob er nicht ganz
hübsch zu nennen -- sogar -- ~bossu~ -- still -- ßt -- ßt -- die Wände
haben Ohren. -- Er ist des Fürsten Liebling, wird immer höher steigen
-- höher hinauf, und ist mein Schwiegersohn!« --
Mosch Terpin hatte recht, Candida äußerte die entschiedenste Neigung
für den Kleinen und sprach, gab hie und da einer, den Zinnobers
seltsamer Spuk nicht berückt hatte, zu verstehen, daß der Geheime
Spezialrat doch eigentlich ein fatales mißgestaltetes Ding sei,
sogleich von den wunderschönen Haaren, womit ihn die Natur begabt.
Niemand lächelte aber, wenn Candida also sprach, hämischer, als der
Referendarius Pulcher.
Dieser stellte dem Zinnober nach auf Schritten und Tritten, und hierin
stand ihm getreulich der Geheime Sekretär Adrian bei, eben derselbe
junge Mensch, den Zinnobers Zauber beinahe aus dem Büreau des Ministers
verdrängt hätte, und der des Fürsten Gunst nur durch die vortreffliche
Fleckkugel wieder gewann, die er ihm überreichte.
Der Geheime Spezialrat Zinnober bewohnte ein schönes Haus mit einem
noch schöneren Garten, in dessen Mitte sich ein mit dichtem Gebüsch
umgebener Platz befand, auf dem die herrlichsten Rosen blühten. Man
hatte bemerkt, daß allemal den neunten Tag Zinnober bei Tagesanbruch
leise aufstand, sich, so sauer es ihm werden mochte, ohne alle Hilfe
des Bedienten ankleidete, in den Garten hinabstieg und in den Gebüschen
verschwand, die jenen Platz umgaben.
Pulcher und Adrian, irgend ein Geheimnis ahnend, wagten es in einer
Nacht, als Zinnober, wie sie von seinem Kammerdiener erfahren, vor
neun Tagen jenen Platz besucht hatte, die Gartenmauer zu übersteigen
und sich in den Gebüschen zu verbergen.
Kaum war der Morgen angebrochen, als sie den Kleinen daherwandeln
sahen, schnupfend und prustend, weil ihm, da er mitten durch ein
Blumenbeet ging, die tauigten Halme und Stauden um die Nase schlugen.
Als er auf den Rasenplatz bei den Rosen angekommen, ging ein
süßtönendes Wehen durch die Büsche, und durchdringender wurde der
Rosenduft. Eine schöne verschleierte Frau mit Flügeln an den Schultern
schwebte herab, setzte sich auf den zierlichen Stuhl, der mitten unter
den Rosenbüschen stand, nahm mit den leisen Worten: »Komm, mein liebes
Kind,« den kleinen Zinnober und kämmte ihm mit einem goldnen Kamm sein
langes Haar, das den Rücken hinabwallte. Das schien dem Kleinen sehr
wohlzutun, denn er blinzelte mit den Äugelein und streckte die Beinchen
lang aus, und knurrte und murrte beinahe wie ein Kater. Das hatte wohl
fünf Minuten gedauert, da strich noch einmal die zauberische Frau mit
einem Finger dem Kleinen die Scheitel entlang, und Pulcher und Adrian
gewahrten einen schmalen, feuerfarb glänzenden Streif auf dem Haupte
Zinnobers. Nun sprach die Frau: »Lebe wohl, mein süßes Kind! -- Sei
klug, sei klug, so wie du kannst!« -- Der Kleine sprach: »Adieu,
Mütterchen, klug bin ich genug, du brauchst mir das gar nicht so oft zu
wiederholen.«
Die Frau erhob sich langsam und verschwand in den Lüften. --
Pulcher und Adrian waren starr vor Erstaunen. Als nun aber Zinnober
davonschreiten wollte, sprang der Referendarius hervor und rief laut:
»Guten Morgen, Herr Geheimer Spezialrat! Ei, wie schön haben Sie
sich frisieren lassen« Zinnober schaute sich um und wollte, als er
den Referendarius erblickte, schnell davonrennen. Ungeschickt und
schwächlich auf den Beinen, wie er nun aber war, stolperte er und fiel
in das hohe Gras, das die Halme über ihn zusammenschlug und er lag im
Taubade. Pulcher sprang hinzu und half ihm auf die Beine, aber Zinnober
schnarrte ihn an: »Herr, wie kommen Sie hier in meinen Garten! scheren
Sie sich zum Teufel!« Und damit hüpfte und rannte er, so rasch er nur
vermochte, hinein ins Haus.
Pulcher schrieb dem Balthasar diese wunderbare Begebenheit und
versprach, seine Aufmerksamkeit auf das kleine zauberische Ungetüm zu
verdoppeln. Zinnober schien über das, was ihm widerfahren, trostlos. Er
ließ sich zu Bette bringen und stöhnte und ächzte so, daß die Kunde,
wie er plötzlich erkrankt, bald zum Minister Mondschein, zum Fürsten
Barsanuph gelangte.
Fürst Barsanuph schickte sogleich seinen Leibarzt zu dem kleinen
Liebling.
»Mein vortrefflichster Geheimer Spezialrat«, sprach der Leibarzt, als
er den Puls befühlt, »Sie opfern sich auf für den Staat. Angestrengte
Arbeit hat Sie aufs Krankenbett geworfen, anhaltendes Denken Ihnen
das unsägliche Leiden verursacht, das Sie empfinden müssen. Sie sehen
im Antlitz sehr blaß und eingefallen aus, aber Ihr wertes Haupt glüht
schrecklich! -- Ei, ei! -- doch keine Gehirnentzündung? Sollte das Wohl
des Staates dergleichen hervorgebracht haben? Kaum möglich! -- Erlauben
Sie doch!«
Der Leibarzt mochte wohl denselben roten Streif auf Zinnobers Haupte
gewahren, den Pulcher und Adrian entdeckt hatten. Er wollte, nachdem
er einige magnetische Striche aus der Ferne versucht, den Kranken
auch verschiedentlich angehaucht, worüber dieser merklich mauzte und
quinkelierte, nun mit der Hand hinfahren über das Haupt, und berührte
dasselbe unversehens. Da sprang Zinnober schäumend vor Wut in die Höhe
und gab mit seinem kleinen Knochenhändchen dem Leibarzt, der sich
gerade ganz über ihn hingebeugt, eine solche derbe Ohrfeige, daß es im
ganzen Zimmer widerhallte.
»Was wollen Sie«, schrie Zinnober, »was wollen Sie von mir, was
krabbeln Sie mir herum auf meinem Kopfe! Ich bin gar nicht krank, ich
bin gesund, ganz gesund, werde gleich aufstehen und zum Minister fahren
in die Konferenz; scheren Sie sich fort!« --
Der Leibarzt eilte ganz erschrocken von dannen. Als er aber dem Fürsten
Barsanuph erzählte, wie es ihm ergangen, rief dieser entzückt aus: »Was
für ein Eifer für den Dienst des Staats! -- welche Würde, welche Hoheit
im Betragen! -- welch ein Mensch, dieser Zinnober!«
»Mein bester Geheimer Spezialrat,« sprach der Minister Prätextatus
von Mondschein zu dem kleinen Zinnober, »wie herrlich ist es, daß Sie
Ihrer Krankheit nicht achtend in die Konferenz kommen. Ich habe in der
wichtigen Angelegenheit mit dem Kakatukker Hofe eine Memoire entworfen
-- +selbst+ entworfen, und bitte, daß +Sie+ es dem Fürsten vortragen,
denn Ihr geistreicher Vortrag hebt das Ganze, für dessen Verfasser mich
dann der Fürst anerkennen soll.« -- Das Memoire, womit Prätextatus
glänzen wollte, hatte aber niemand anders verfaßt, als Adrian.
Der Minister begab sich mit dem Kleinen zum Fürsten. -- Zinnober zog
das Memoire, das ihm der Minister gegeben, aus der Tasche, und fing
an zu lesen. Da es damit aber nun gar nicht recht gehen wollte und er
nur lauter unverständliches Zeug murrte und schnurrte, nahm ihm der
Minister das Papier aus den Händen und las selbst.
Der Fürst schien ganz entzückt, er gab seinen Beifall zu erkennen,
ein Mal über das andere rufend: »Schön -- gut gesagt -- herrlich --
treffend!« --
Sowie der Minister geendet, schritt der Fürst geradezu los auf den
kleinen Zinnober, hob ihn in die Höhe, drückte ihn an seine Brust,
gerade dahin, wo ihm (dem Fürsten) der große Stern des grüngefleckten
Tigers saß und stammelte und schluchzte, während ihm häufige Tränen aus
den Augen flossen: »Nein! -- solch ein Mann -- solch ein Talent! --
solcher Eifer -- solche Liebe -- es ist zu viel -- zu viel!« -- Dann
gefaßter: »Zinnober! -- ich erhebe Sie hiermit zu meinem Minister!
-- Bleiben Sie dem Vaterlande hold und treu, bleiben Sie ein wackrer
Diener der Barsanuphe, von denen Sie geehrt -- geliebt werden.« Und
nun sich mit verdrießlichem Blick zum Minister wendend: »Ich bemerke,
lieber Baron von Mondschein, daß seit einiger Zeit Ihre Kräfte
nachlassen. Ruhe auf Ihren Gütern wird Ihnen heilbringend sein! --
Leben Sie wohl!« --
Der Minister von Mondschein entfernte sich, unverständliche Worte
zwischen den Zähnen murmelnd und funkelnde Blicke werfend auf Zinnober,
der sich, nach seiner Art sein Stöckchen in den Rücken gestemmt, auf
den Fußspitzen hoch in die Höhe hob und stolz und keck umherblickte.
»Ich muss,« sprach nun der Fürst, »ich muß Sie, mein lieber Zinnober,
gleich Ihrem hohen Verdienst gemäß auszeichnen; empfangen Sie daher aus
meinen Händen den Orden des grüngefleckten Tigers!«
Der Fürst wollte ihm nun das Ordensband, das er sich in der
Schnelligkeit von dem Kammerdiener reichen lassen, umhängen; aber
Zinnobers mißgestalteter Körperbau bewirkte, daß das Band durchaus
nicht normalmäßig sitzen wollte, indem es sich bald ungebührlich
heraufschob, bald ebenso hinabschlotterte.
Der Fürst war in dieser sowie in jeder andern solchen Sache, die
das eigentlichste Wohl des Staats betraf, sehr genau. Zwischen dem
Hüftknochen und dem Steißbein, in schräger Richtung drei Sechzehnteil
Zoll aufwärts vom letztern, mußte das am Bande befindliche
Ordenszeichen des grüngefleckten Tigers sitzen. Das war nicht
herauszubringen. Der Kammerdiener, drei Pagen, der Fürst legten Hand
an, alles Mühen blieb vergebens. Das verräterische Band rutschte hin
und her, und Zinnober begann unmutig zu quäken: »Was hantieren Sie doch
so schrecklich an meinem Leibe herum, lassen Sie doch das dumme Ding
hängen, wie es will, Minister bin ich doch nun einmal und bleib' es!« --
»Wofür,« sprach nun der Fürst zornig, »wofür habe ich denn Ordensräte,
wenn rücksichts der Bänder solche tolle Einrichtungen existieren, die
ganz meinem Willen entgegenlaufen? -- Geduld, mein lieber Minister
Zinnober! bald soll das anders werden!«
Auf Befehl des Fürsten mußte sich nun der Ordensrat versammeln, dem
noch zwei Philosophen, sowie ein Naturforscher, der eben vom Nordpol
kommend durchreiste, beigesellt wurden, um über die Frage, wie auf die
geschickteste Weise dem Minister Zinnober das Band des grüngefleckten
Tigers anzubringen, zu beratschlagen. Um für diese wichtige Beratung
gehörige Kräfte zu sammeln, wurde sämtlichen Mitgliedern aufgegeben,
acht Tage vorher nicht zu denken; um dies besser ausführen zu können
und doch tätig zu bleiben im Dienste des Staats, aber sich indessen mit
dem Rechnungswesen zu beschäftigen. Die Straßen vor dem Palast, wo die
Ordensräte, Philosophen und Naturforscher ihre Sitzung halten sollten,
wurden mit dickem Stroh belegt, damit das Gerassel der Wagen die
weisen Männer nicht störe, und ebendaher durfte auch nicht getrommelt,
Musik gemacht, ja nicht einmal laut gesprochen werden in der Nähe des
Palastes. Im Palast selbst tappte alles auf dicken Filzschuhen umher,
und man verständigte sich durch Zeichen.
Sieben Tage hindurch vom frühesten Morgen bis in den späten Abend
hatten die Sitzungen gedauert, und noch war an keinen Beschluß zu
denken.
Der Fürst, ganz ungeduldig, schickte einmal über das andere hin und
ließ ihnen sagen, es solle in des Teufels Namen ihnen doch endlich
etwas Gescheutes einfallen. Das half aber ganz und gar nichts.
Der Naturforscher hatte soviel als möglich Zinnobers Natur erforscht,
Höhe und Breite seines Rücken-Auswuchses genommen und die genaueste
Berechnung darüber dem Ordensrat eingereicht. Er war es auch, der
endlich vorschlug, ob man nicht den Theaterschneider bei der Beratung
zuziehen wolle.
So seltsam dieser Vorschlag erscheinen mochte, wurde er doch in der
Angst und Not, in der sich alle befanden, einstimmig angenommen.
Der Theaterschneider Herr Kees war ein überaus gewandter, pfiffiger
Mann. Sowie ihm der schwierige Fall vorgetragen worden, sowie er
die Berechnungen des Naturforschers durchgesehen, war er mit dem
herrlichsten Mittel, wie das Ordensband zum normalmäßen Sitzen gebracht
werden könne, bei der Hand.
An Brust und Rücken sollten nämlich eine gewisse Anzahl Knöpfe
angebracht und das Ordensband daran geknöpft werden. Der Versuch
gelang über die Maßen wohl.
Der Fürst war entzückt und billigte den Vorschlag des Ordensrates,
den Orden des grüngefleckten Tigers nunmehro in verschiedene Klassen
zu teilen, nach der Anzahl der Knöpfe, womit er gegeben wurde. Z. B.
Orden des grüngefleckten Tigers mit zwei Knöpfen -- mit drei Knöpfen
usw. Der Minister Zinnober erhielt als ganz besondere Auszeichnung, die
sonst kein anderer erlangen könne, den Orden mit zwanzig brillantierten
Knöpfen, denn gerade zwanzig Knöpfe erforderte die wunderliche Form
seines Körpers.
Der Schneider Kees erhielt den Orden des grüngefleckten Tigers mit
zwei goldnen Knöpfen, und wurde, da der Fürst ihn seines glücklichen
Einfalls ungeachtet für einen schlechten Schneider hielt und sich
daher nicht von ihm kleiden lassen wollte, zum Wirklichen Geheimen
Groß-Kostümierer des Fürsten ernannt. --
[Illustration]

Wie Fürst Barsanuph hinter den Kaminschirm trat und den
Generaldirektor der natürlichen Angelegenheiten kassierte. --
Zinnobers Flucht aus Mosch Terpins Hause.
In dem mit hundert Kerzen erleuchteten Saal stand der kleine
Zinnober im scharlachroten gestickten Kleide, den großen Orden des
grüngefleckten Tigers mit zwanzig Knöpfen umgetan, Degen an der Seite,
Federhut unterm Arm. Neben ihm die holde Candida bräutlich geschmückt,
in aller Anmut und Jugend strahlend. Zinnober hatte ihre Hand gefaßt,
die er zuweilen an den Mund drückte und dabei recht widrig grinste und
lächelte. Und jedesmal überflog dann ein höheres Rot Candidas Wangen,
und sie blickte den Kleinen an mit dem Ausdruck der innigsten Liebe.
Das war denn wohl recht graulich anzusehen, und nur die Verblendung,
in die Zinnobers Zauber alle versetzte, war schuld daran, daß man
nicht, ergrimmt über Candidas heillose Verstrickung, den kleinen
Hexenkerl packte und ins Kaminfeuer warf. Rings um das Paar im Kreise
in ehrerbietiger Entfernung hatte sich die Gesellschaft gesammelt. Nur
Fürst Barsanuph stand neben Candida und mühte sich, bedeutungsvolle
gnädige Blicke umher zu werfen, auf die indessen niemand sonderlich
achtete. Alles hatte nur Auge für das Brautpaar und hing an Zinnobers
Lippen, der hin und wieder einige unverständliche Worte schnurrte,
denen jedesmal ein leises Ach! der höchsten Bewunderung, das die
Gesellschaft ausstieß, folgte.
Es war an dem, daß die Verlobungsringe gewechselt werden sollten. Mosch
Terpin trat in den Kreis mit einem Präsentierteller, auf dem die Ringe
funkelten. Er räusperte sich -- Zinnober hob sich auf den Fußspitzen
so hoch als möglich, beinahe reichte er der Braut an den Ellbogen. --
Alles stand in der gespanntesten Erwartung -- da lassen sich plötzlich
fremde Stimmen hören, die Türe des Saales springt auf, Balthasar dringt
ein, mit ihm Pulcher -- Fabian! -- Sie brechen durch den Kreis -- »Was
ist das, was wollen die Fremden?« ruft alles durcheinander. --
Fürst Barsanuph schreit entsetzt: »Aufruhr -- Rebellion -- Wache!«
und springt hinter den Kaminschirm. -- Mosch Terpin erkennt den
Balthasar, der dicht bis zum Zinnober vorgedrungen, und ruft: »Herr
Studiosus! -- Sind Sie rasend -- sind Sie von Sinnen? -- wie können
Sie sich unterstehen, hier einzudringen in die Verlobung! -- Leute --
Gesellschaft -- Bediente, werft den Grobian zur Türe hinaus!« --
Aber ohne sich nur im mindesten an irgend etwas zu kehren, hat
Balthasar schon eine Lorgnette hervorgezogen und richtet durch dieselbe
den festen Blick auf Zinnobers Haupt. Wie vom elektrischen Strahl
getroffen, stößt Zinnober ein gellendes Katzengeschrei aus, daß der
ganze Saal widerhallt. Candida fällt ohnmächtig auf einen Stuhl; der
eng geschlossene Kreis der Gesellschaft stäubt auseinander. -- Klar vor
Balthasars Augen liegt der feuerfarbglänzende Haarstreif, er springt zu
auf Zinnober -- faßt ihn, +der+ strampelt mit den Beinchen und sträubt
sich und kratzt und beißt.
»Angepackt -- angepackt!« ruft Balthasar; da fassen Fabian und Pulcher
den Kleinen, daß er sich nicht zu regen und zu bewegen vermag, und
Balthasar faßt sicher und behutsam die roten Haare, reißt sie mit einem
Ruck vom Haupte herab, springt an den Kamin, wirft sie ins Feuer,
sie prasseln auf, es geschieht ein betäubender Schlag, alle erwachen
wie aus dem Traum. -- Da steht der kleine Zinnober, der sich mühsam
aufgerafft von der Erde, und schimpft und schmäht und befiehlt, man
solle die frechen Ruhestörer, die sich an der geheiligten Person des
ersten Ministers im Staate vergriffen, sogleich packen und ins tiefste
Gefängnis werfen! Aber einer fragt den andern: »Wo kommt denn mit einem
Mal der kleine purzelbäumige Kerl her? -- Was will das kleine Ungetüm?«
-- Und wie der Däumling immerfort tobt und mit den Füßchen den Boden
stampft und immer dazwischen ruft: »Ich bin der Minister Zinnober --
ich bin der Minister Zinnober -- der grüngefleckte Tiger mit zwanzig
Knöpfen!« da bricht alles in ein tolles Gelächter aus. Man umringt den
Kleinen, die Männer heben ihn auf und werfen sich ihn zu wie einen
Fangball; ein Ordensknopf nach dem andern springt ihm vom Leibe -- er
verliert den Hut -- den Degen, die Schuhe. -- Fürst Barsanuph kommt
hinter dem Kaminschirm hervor und tritt hinein mitten in den Tumult.
Da kreischt der Kleine: »Fürst Barsanuph -- Durchlaucht -- retten Sie
Ihren Minister -- Ihren Liebling! -- Hilfe -- Hilfe -- der Staat ist in
Gefahr -- der grüngefleckte Tiger -- Weh -- weh!« -- Der Fürst wirft
einen grimmigen Blick auf den Kleinen und schreitet dann rasch vorwärts
nach der Türe. Mosch Terpin kommt ihm in den Weg, den faßt er, zieht
ihn in die Ecke und spricht mit zornfunkelnden Augen: »Sie erdreisten
sich, Ihrem Fürsten, Ihrem Landesvater hier eine dumme Komödie
vorspielen zu wollen? -- Sie laden mich ein zur Verlobung Ihrer Tochter
mit meinem würdigen Minister Zinnober, und statt meines Ministers finde
ich hier eine abscheuliche Mißgeburt, die Sie in glänzende Kleider
gesteckt? -- Herr, wissen Sie, daß das ein landesverräterischer Spaß
ist, den ich strenge ahnden würde, wenn Sie nicht ein ganz alberner
Mensch wären, der ins Tollhaus gehört? -- Ich entsetze Sie des Amts als
Generaldirektor der natürlichen Angelegenheiten und verbitte mir alles
weitere Studieren in meinem Keller! -- Adieu!«
Damit stürmte er fort.
Aber Mosch Terpin stürzte zitternd vor Wut los auf den Kleinen, faßte
ihn bei den langen struppigen Haaren und rannte mit ihm hin nach dem
Fenster: »Hinunter mit dir«, schrie er, »hinunter mit dir, schändliche
heillose Mißgeburt, die mich so schmachvoll hintergangen, mich um alles
Glück des Lebens gebracht hat!«
Er wollte den Kleinen hinabstürzen durch das geöffnete Fenster, doch
der Aufseher des zoologischen Kabinetts, der auch zugegen, sprang mit
Blitzesschnelle hinzu, faßte den Kleinen und entriß ihn Mosch Terpins
Fäusten. »Halten Sie ein,« sprach der Aufseher, »halten Sie ein, Herr
Professor, vergreifen Sie sich nicht an fürstlichem Eigentum. Es ist
keine Mißgeburt, es ist der ~Mycetes Belzebub~, ~Simia Belzebub~, der
dem Museo entlaufen.« »~Simia Belzebub -- Simia Belzebub!~« ertönte
es von allen Seiten unter schallendem Gelächter. Doch kaum hatte der
Aufseher den Kleinen auf den Arm genommen und ihn recht angesehen,
als er unmutig ausrief: »Was sehe ich! -- das ist ja nicht ~Simia
Belzebub~, das ist ja ein schnöder häßlicher Wurzelmann! Pfui! -- pfui!«
Und damit warf er den Kleinen in die Mitte des Saals. Unter dem lauten
Hohngelächter der Gesellschaft rannte der Kleine quiekend und knurrend
durch die Türe fort -- die Treppe hinab -- fort, fort nach seinem
Hause, ohne daß ihn ein einziger von seinen Dienern bemerkt.
Währenddessen, daß sich dies alles im Saale begab, hatte sich Balthasar
in das Kabinett entfernt, wo man, wie er wahrgenommen, die ohnmächtige
Candida hingebracht. Er warf sich ihr zu Füßen, drückte ihre Hände an
seine Lippen, nannte sie mit den süßesten Namen. Sie erwachte endlich
mit einem tiefen Seufzer, und als sie den Balthasar erblickte, da rief
sie voll Entzücken: »Bist du endlich -- endlich da, mein geliebter
Balthasar! Ach, ich bin ja beinahe vergangen vor Sehnsucht und
Liebesschmerz! und immer erklangen mir die Töne der Nachtigall, von
denen berührt der Purpurrose das Herzblut entquillt!« --
Nun erzählte sie, alles, alles um sich her vergessend, wie ein böser
abscheulicher Traum sie verstrickt, wie es ihr vorgekommen, als habe
sich ein häßlicher Unhold an ihr Herz gelegt, dem sie ihre Liebe
schenken müssen, weil sie nicht anders gekonnt. Der Unhold habe sich zu
verstellen gewußt, daß er ausgesehen wie Balthasar; und wenn sie recht
lebhaft an Balthasar gedacht, habe sie zwar gewußt, daß der Unhold
nicht Balthasar, aber dann sei es ihr wieder auf unbegreifliche Weise
gewesen, als müsse sie den Unhold lieben, eben um Balthasars willen.
Balthasar klärte ihr nur so viel auf, als es geschehen konnte, ohne
ihre ohnehin aufgeregten Sinne ganz und gar zu verwirren. Dann folgten,
wie es unter Liebesleuten nicht anders zu geschehen pflegt, tausend
Versicherungen, tausend Schwüre ewiger Liebe und Treue. Und dabei
umfingen sie sich und drückten sich mit der Inbrunst der innigsten
Zärtlichkeit an die Brust und waren ganz und gar umflossen von aller
Wonne, von allem Entzücken des höchsten Himmels.
[Illustration]

Verlogenheit eines treuen Kammerdieners. -- Wie die alte Liese
eine Rebellion anzettelte und der Minister Zinnober auf der Flucht
ausglitschte. -- Auf welche merkwürdige Weise der Leibarzt des
Fürsten Zinnobers jähen Tod erklärte. -- Wie Fürst Barsanuph sich
betrübte, Zwiebeln aß, und wie Zinnobers Verlust unersetzlich blieb.
Der Wagen des Ministers Zinnober hatte beinahe die ganze Nacht
vergeblich vor Mosch Terpins Hause gehalten. Ein Mal über das andere
versicherte man dem Jäger, Se. Exzellenz müßten schon lange die
Gesellschaft verlassen haben; der meinte aber dagegen, das sei ganz
unmöglich, da Se. Exzellenz doch wohl nicht im Regen und Sturm zu
Fuß nach Hause gerannt sein würden. Als nun endlich alle Lichter
ausgelöscht und die Türen verschlossen wurden, mußte der Jäger zwar
fortfahren mit dem leeren Wagen, im Hause des Ministers weckte er
aber sogleich den Kammerdiener und fragte, ob denn ums Himmels willen
und auf welche Art der Minister nach Hause gekommen. »Se. Exzellenz«,
erwiderte der Kammerdiener leise dem Jäger ins Ohr, »Se. Exzellenz
sind gestern eingetroffen in später Dämmerung, das ist ganz gewiß --
liegen im Bette und schlafen. -- Aber! -- o mein guter Jäger! -- wie --
auf welche Weise! -- ich will Ihnen alles erzählen -- doch Siegel auf
den Mund -- ich bin ein verlorner Mann, wenn Se. Exzellenz erfahren,
daß ich es war, auf dem finstern Korridor! -- ich komme um meinen
Dienst, denn Se. Exzellenz sind zwar von kleiner Statur, besitzen
aber außerordentlich viel Wildheit, alterieren sich leicht, kennen
sich selbst nicht im Zorn, haben noch gestern eine schnöde Maus, die
durch Se. Exzellenz Schlafzimmer zu hüpfen sich unterfangen, mit dem
blankgezogenen Degen durch und durch gerannt. -- Nun gut! -- Also
in der Dämmerung nehme ich mein Mäntelchen um und will ganz sachte
hinüberschleichen ins Weinstübchen zu einer Partie Tric-Trac, da
schurrt und schlurrt mir etwas auf der Treppe entgegen und kommt mir
auf dem finstern Korridor zwischen die Beine und schlägt hin auf den
Boden und erhebt ein gellendes Katzengeschrei und grunzt dann wie -- o
Gott -- Jäger! -- halten Sie das Maul, edler Mann, sonst bin ich hin!
-- kommen Sie ein wenig näher -- und grunzt dann, wie unsere gnädige
Exzellenz zu grunzen pflegt, wenn der Koch die Kälberkeule verbraten
oder ihm sonst im Staate was nicht recht ist.«
Die letzten Worte hatte der Kammerdiener mit vorgehaltener Hand ins Ohr
gesprochen. Der Jäger fuhr zurück, schnitt ein bedenkliches Gesicht und
rief: »Ist es möglich!« --
»Ja«, fuhr der Kammerdiener fort, »es war unbezweifelt unsere gnädige
Exzellenz was mir auf dem Korridor durch die Beine fuhr. Ich vernahm
nun deutlich, wie der Gnädige in den Zimmern die Stühle heranrückte und
sich die Türe eines Zimmers nach dem andern öffnete, bis er in seinem
Schlafkabinett angekommen. Ich wagt' es nicht nachzugehen, aber ein
paar Stündchen nachher schlich ich mich an die Türe des Schlafkabinetts
und horchte. Da schnarchten die liebe Exzellenz ganz auf die Weise, wie
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