Deutsche Humoristen, 6. Band (von 8) - 5

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Stern am Himmel um diese Zeit nicht gesehn; und nun poltert mir die
Lieschen die Menschen zusammen! -- Ja, richtig, da kommen sie schon mit
angepoltert! -- Nun, morgen wird die ganze Stadt sagen, ich wär nicht
recht gescheut. -- Jetzt, der erst Gesell, der die Tür aufmacht, sein
der Herr Doktor Lehr. »Ei, um Gottes wille, wie kommen Sie daher?« --
»Ei, wie ich eben in Wagen steigen will bei der Frau Schaket, die eben
mit einem kleinen Sohn niedergekommen sind, da kommt Ihr Hausjungfer
Lieschen Hals über Kopf daher gerennt, und im Vorbeirenne frägt sie,
ob ich nicht wollt die schöne Kett sehen, die Ihne der König von
Preußen mit eigne Hände hat um den Hals gehängt!« -- Ei, die Lieschen
ist ja imstand und redet die ganz Stadt auf, um die Kett zu sehn, und
morgen werden die Leut sagen, ich war nicht recht gescheut! -- Nun,
weil der Doktor Lehr in Bewundrung über meine Kette dastehn, so kommen
die andern nachgepoltert, die all von der Lieschen und ihrer Neugierd
wieder aus dene Betten getrummelt waren, und ich hat nicht weniger wie
zehn Personen im Zimmer und ein fürchterlich Geschnatter! Ich sagt
aber nichts und ließ sie gucken und Glossen machen und aß ruhig meine
Kirschen auf, und mit der letzte Kirsch da sagt der Doktor Lehr: »Nun
werd ich meine Kindbetterin, noch eh ich nach Haus fahr, besuchen, und
werd von der golderne Kett noch erzählen!« -- »O«, sag ich, »schicke
Sie mir nicht auch noch die Stadthebamm übern Hals!« -- Jetzt, kaum
war der Doktor Lehr fort, so empfehle sich auch die Nachbarsleut und
bedanke sich, und ich mach meine Entschuldigungen, daß die Lieschen
ohne mein Wille sie hat wieder aus den Betten geholt, sie gaben aber
dem Lieschen ganz recht! -- Nun, wie sie der Tür drauß waren und ich
hör die Haustür gehn, war ich froh, daß ich endlich bei mir allein
war. Aber da knistert was an der Tür! -- Mein Schrecken! -- ich denk,
da ist am End heimlich ein Spitzbub hereingeschlichen, ich schrei um
Hilf, ich will eben ans Fenster springen und die Nachbarsleut wieder
herbeirufen, die noch nicht weit sein könne, da ich die Absätz von ihre
Schuh deutlich in der Fern widerhallen hör auf dem Straßenpflaster.
Aber da kommt ja wahrhaftig die Frau Ahleder herein, die Stadthebamm,
und sagt, der Herr Doktor Lehr hätts ihr gesagt, ich hätts erlaubt,
daß sie noch dürft komme und die goldern Kett sehn! -- »Ja«, sag ich,
»Frau Ahleder, sehe Sie nach Gefallen, aber ich bitt Sie um Gottes
willen, sagen Sies heut niemand wieder, damit ich doch noch einen
Teil von der Nachtruh genießen kann!« -- Nun, die war auch die letzt
Nachtvisit, aber acht Tag hintereinander strömte alle Leut zu mir, und
ich mußte viele alte Bekanntschafte erneuern und viel neue machen wegen
der Kett und mußt meine Geschicht von alle Seite erzähle, wo ich dann
unendlich viel Variation dabei angebracht hab und hab denen besuchende
Neugierigen einem jeden noch apart mit eingeflochten, was ich meint,
daß ihm not wär zu bedenken. Den ersten Tag war ich durchgewitscht
ins Kirschenwäldchen, da sind sie mir ja all nachkommen zu Fuß und zu
Wagen, und das ganze Kirschenwäldchen war gestopft voll Zuhörer, und
die Gassenbuben haben Spalier gemacht um mich herum, und ich mußt eine
Prachterzählung machen, und ich wärs beinah satt geworden, ich war
froh, wie sich der erst Sturm gelegt hatte. Nun, heunt hab ich wieder
einmal die alt Geschichte mit besonderm Pläsier aufgewärmt, und ich
hoffe, daß sie Euch wird eingeleuchtet haben.
[Illustration]


[Illustration]


Friedrich Theodor Vischer:
Die Tücke des Objekts.

Vorbemerkung des Herausgebers.
Der nachfolgende Abschnitt ist dem großen, humoristisch-satirischen
Reiseroman »Auch Einer« entnommen, den Vischer im Jahre 1879
veröffentlichte. Eine Fülle geistsprühender Aphorismen, scharf
pointierte Betrachtungen über alle Dinge in Kunst und Leben ranken
in bunten Verschlingungen in diesem Buch, das mit derbem Behagen
und kräftigem Humor einen Menschen schildert, den Reisebekannten
A. E. (Auch Einer), der sich der Tücke des Objekts, d. h. der
Widerwärtigkeiten all der kleinen, störenden, an sich unbedeutenden
Zufallsdinge des Alltags nicht erwehren kann. Auf einer Reise in
die Schweiz macht der Dichter die Bekanntschaft des sonderbaren
Helden. Gleich in der ersten Nacht, die sie im selben Hotel Wand an
Wand verleben, lernt der Dichter aus dem Munde des Herrn A. E. die
widerwärtige Tücke des Objekts kennen. Vischer erzählt:
[Illustration]

Ich konnte lang nicht einschlafen, hörte meinen Wandnachbar in sein
Zimmer treten, sich auskleiden und zu Bett legen. Das Haus war so
hörsam, daß selbst das Nagen einer Maus im Nebenzimmer meinem Ohre
nicht entging. Den unbekannten Bewohner desselben hielt ich für
längst eingeschlafen, als ich die Worte vernahm: »Ach es fängt an.«
Es war die Stimme meines armen Verkälteten. Was denn auch wirklich
anfing, war ein scharfes Husten und häufiges starkes Räuspern und
Spucken, das, von tiefen Seufzern unterbrochen, zu meiner eignen Qual
wohl eine Stunde dauerte, dann aber einem fürchterlichen Schnarchen
Platz machte, das im ganzen Register einer Orgel sich hin und her
bewegte, oft von stoßenden, plötzlich abschnappenden Tönen und bangen
Pausen unterbrochen, worin der musikalische Schläfer nach Atem zu
ringen schien. Ich hätte ernstlich für seine Lunge gefürchtet, wenn
nicht seine Gesichtsfarbe, gewölbte Brust, Energie der Bewegungen,
wie ich sie während des Tags beobachtet hatte, eine ausdauernde
Widerstandskraft verbürgt hätten. Endlich schlief ich doch selbst
ein, freilich nur, um sehr früh geweckt zu werden und zwar durch ein
Auf- und Abgehen meines Nachbars, das mit Geräuschen wechselte, aus
denen ich auf ein ungeduldiges Suchen in Schubladen, auf Tischen, in
allen Geräten des Zimmers schließen mußte. Das Laufen, Stöbern wurde
immer heftiger, ein Selbstgespräch, das diese wilden Bewegungen zuerst
leis begleitete, wurde lauter und lauter und ging dann in wütende
Ausrufungen, endlich in einen Hagel von Flüchen über, die in der Tat
nicht christlich, vielmehr türkisch, ja heidnisch zu nennen waren
und von einem wütenden Stampfen und Wettern begleitet wurden. Ich
hielt es nicht mehr aus, der Mensch schien mir rein toll geworden, ich
kleidete mich flüchtig an, klopfte an seiner Tür und trat, in meiner
Aufregung die Form vernachlässigend, ins Zimmer, ohne auf das »Herein«
zu warten. Mit zornsprühenden Augen, hochrot im Gesicht, fuhr der
Bewohner auf mich zu, er schien mich an der Kehle packen zu wollen;
plötzlich aber faßte er sich, stand unbewegt vor mir, sah mich mit
durchdringendem Blick an und sagte ruhig streng: »Mein Herr, Sie führt
ein Bildungsbedürfnis hier herein.« Es war mit meinem Gewissen nicht
sonderlich bestellt, denn ich hatte doch eine Formverletzung begangen;
dies machte mich wehrlos, ganz kleinlaut sagte ich: »Ja«, und fragte
nun, was er denn aber ums Himmels willen eigentlich habe. A. E. -- so
wollen wir meinen Reisebekannten von nun an der Kürze halber nennen
-- fiel jetzt wieder in seinen Wutzustand und schrie mit Donnerlaut:
»Meine Brille, meine Brille! Die Canaille hat sich wieder einmal
verkrochen -- vom Schlüssel, dem kleinen Teufel, vorerst nicht zu
reden!«
»Also Ihre Brille suchen Sie? Ist dies Objekt es wert, daß man in
solche Wut gerate? Kennen Sie denn auch gar keine Geduld?«
Er wollte gegen mich auffahren, faßte sich aber auch diesmal wieder,
sah mich an und sagte: »Schraubenschlüssel? Pfropfzieher?«
»Was soll das?«
»Nun, neulich träumte mir schrecklicherweise, ich habe eine Frau;
ich lachte sie aus, daß sie die Zeitung unaufgeschnitten lese und
jahrelang eine Schublade dulde, die nicht geht. Hierauf hielt sie
mir eine Geduldpredigt und verlangte, ich solle zur Übung dieser
Tugend an meinem Rock statt Knopflöcher und Knöpfe Schrauben und
Schraubenmütter tragen, die sich ja ganz elegant von blau angelaufenem
Metall herstellen ließen, oder auch Pfröpfe, und ich könnte jedesmal,
wenn ich den Rock öffnen wolle, jene mit einem Schraubenschlüssel,
diese mit einem Pfropfzieher aufmachen. -- O was! ein Weib ist fähig,
über einen Schrank einen Teppich so zu legen, daß er über die oberste
Schublade überhängt und, so oft diese gezogen und geschlossen wird,
sich einklemmt! Mein Herr, das Weib hat +Zeit+ für den Kampf mit dem
Racker Objekt, sie +lebt+ in diesem Kampf, er ist ihr Element; ein Mann
darf und soll keine Zeit hiefür haben, er braucht seine Geduld auf für
das, was der Geduld +wert+ ist. Über die Zumutung, beides zu verwenden
an das Unwerte, kann, darf, soll er wüten! Sie können doch wissen,
daß die elenden Objekte, diese Igel, diese Nickel, sich nie lieber
einhaken, als wenn wir die höchste Eile haben, etwas fertig zu bringen,
was nötig und vernünftig ist! Elender Bettel, nichtswürdiger Knopf oder
Knäuel eines Bündels, Lorgnettenschnur, die sich um meinen Westenknopf
wickelt, just, wenn es auf der Eisenbahn aufs äußerste eilt, einen
klein gedruckten Fahrplan nachzusehen, ich hab' ja keine Zeit, keine
Zeit für euch! Und wenn ich tausend Blutigel an die Ewigkeit setze, sie
ziehen mir nicht eine Sekunde Zeit für euch heraus!«
»Was nützt aber die Wut?«
»O geistlos! Hat es Luther nichts genutzt -- falls von Nutzen die Rede
sein soll -- wenn er den Teufel fortschalt? Wißt ihr denn nichts von
Entlastung der armen Seele? Von der köstlichen Arznei, die im Fluchen
liegt?«
Der böse Geist kam mit neuer Gewalt über ihn, er schoß wütend im Zimmer
hin und her und ergoß eine Flut von Schimpfwörtern auf die arme Brille.
Ich suchte inzwischen am Boden herum; ich hob ein paar Hemden weg, die
blank, aber zerzaust umherlagen, und mein Blick fiel auf ein Mausloch
in einem Bretterspalt; ich glaubte, darin etwas schimmern zu sehen,
strengte meine Augen an, die sich einer guten Sehkraft erfreuen, und
die Entdeckung war gemacht; ich nahm den schwergeärgerten Mann leicht
am Arm und deutete schweigend auf die Stelle. Er stierte hin, erkannte
die vermißten Gläser und begann: »Sehen Sie recht hin! Bemerken Sie
den Hohn, die teuflische Schadenfreude in diesem rein dämonischen
Glasblick? Heraus mit dem ertappten Ungeheuer!«
Es war nicht leicht, die Brille aus dem Loch zu ziehen, die Mühe stand
wirklich im Mißverhältnis zum Werte des Gegenstands, endlich war es
gelungen, er hielt sie in die Höhe, ließ sie von da fallen, rief mit
feierlicher Stimme: »Todesurteil! ~Supplicium!~« hob den Fuß und
zertrat sie mit dem Absatz, daß das Glas in kleinen Splittern und Staub
umherflog.
»Ja, jetzt haben Sie aber ja keine Brille,« sagte ich nach einer Pause
des Staunens.
»Wird sich finden, diese Teufelsbestie wenigstens hat ihre Strafe
für jahrelange unbeschreibliche Bosheit. Kommen Sie, da, sehen Sie«
Er zog seine Uhr heraus; es war eines der ordinärsten, in der Tat
gemeinsten Produkte der horologischen Industrie, ganz Zwiebel. »Statt
dieses redlichen, treuen Wesens«, fuhr er fort, »fungierte früher eine
goldene Repetieruhr, die, ich kann es sagen, ihr Stück Geld gekostet
hatte; sie vergalt dieses Opfer jahraus jahrein mit Tücken jeder Art,
ging nie recht, benutzte arglistig jede Gelegenheit, zu fallen, sich
zu verstecken, Gläser zerbrachen so viele, daß es mich bald an den
Bettelstab gebracht hätte, endlich setzte sie sich mit dem Haken der
goldenen Uhrenkette in Einverständnis, in Verschwörung. Mit den Haken,
mein Herr, hat es nämlich eine eigne Bewandtnis. Das Tendenziöse,
was im Objekt überhaupt liegt -- darüber wäre einiges zu sagen, mein
Herr, aber das ist von langer Hand -- das Tendenziöse spricht sich
so offenkundig in der Galgenphysiognomie der Haken aus, daß man im
Umgang mit diesen hämischen Gesichtern leicht unvorsichtig wird; man
denkt: dich kenne ich ja, dich verrät deine griffige, vor sich selbst
warnende Bildung, du wirst mich nicht überlisten; eben darüber wird
man im Gegenteil fahrlässig. Ganz umgekehrt verhält es sich bei so
manchen andern Objekten. Wer sollte zum Beispiel einem simplen Knopf
seine Verruchtheit ansehen? Aber ein solcher Racker hat mir neulich
folgenden Possen gespielt. Ich ließ mich gegen alle meine Grundsätze
zur Teilnahme an einem Hochzeitsschmaus verleiten; eine große silberne
Platte, bedeckt mit mehrerlei Zuspeisen, kam vor mich zu stehen; ich
bemerkte nicht, daß sie sich etwas über den Tischrand heraus gegen
meine Brust hergeschoben hatte; einer Dame, meiner Nachbarin, fällt die
Gabel zu Boden, ich will sie aufheben, ein Knopf meines Rockes hatte
sich mit teuflischer List unter den Rand der Platte gemacht, hebt
sie, wie ich schnell aufstehe, jäh empor, der ganze Plunder, den sie
trug, Saucen, Eingemachtes aller Art, zum Teil dunkelrote Flüssigkeit,
rollt, rumpelt, fließt, schießt über den Tisch, ich will noch retten,
schmeiße eine Weinflasche um, sie strömt ihren Inhalt über das weiße
Hochzeitkleid der Braut zu meiner Linken, ich trete der Nachbarin
rechts heftig auf die Zehen; ein andrer, der helfend eingreifen will,
stößt eine Gemüseschüssel, ein dritter sein Glas um -- o, es war ein
Hallo, ein ganzes Donnerwetter, kurz ein echt tragischer Fall: die
zerbrechliche Welt alles Endlichen überhaupt schien in Scherben gehen
zu wollen; mich ergreift die Stimmung des Erhabenen, ich fasse zunächst
eine Champagnerflasche, trete ans Fenster, öffne es, schwinge sie
empor, der Bräutigam fällt mir in den Arm, ich erzürne mich, es gibt
bös Blut, die Braut war ohnedies halb ohnmächtig, kurz -- ich mag nicht
weiter erzählen, denn nun wurde die Sache komisch.«
»Ernst, wollen Sie sagen?«
Er staunte mich an wie einen Menschen, der alle gesunden Begriffe
verwirrt; ich verzichtete auf weiteres Eingehen und bat ihn, das
Trauerspiel von Haken und Uhr zu vollenden.
»Ja so, ja, also: der Haken schlich in einer Nacht über das Tischchen,
worauf ich die Uhr achtsam gelegt, leise hinüber nach dem Bett,
nestelte sich in eine Naht des Kissenüberzugs ein, das Kissen war mir
überflüssig, ich hob es rasch und warf es an das Fußende des Bettes,
die Uhr nun natürlich mit; in einem prächtigen Bogen schwang sie sich
an die Wand und fiel mit zersplittertem Glase nieder. Es war genug. Ich
zertrat sie feierlich wie diese Verbrecherin von Brille, der Kobold gab
dabei einen Ton von sich, einen Pfiff wie eine verfolgte Maus, ich kann
schwören, daß es ein Laut war, der nicht im Umfange der physikalischen
Natur liegt. Nun, dann habe ich mir hier diese bescheidene Zeigerin
der Zeit um niederträchtig geringes Geld gekauft; betrachten Sie die
Gute: bemerken Sie den Ausdruck von Biederkeit in diesen schlichten
Zügen; seit zwanzig Jahren dient sie mir -- unberufen, unberufen! --
treu und ehrlich, ja, ich kann sagen, nicht +einen+ Verdruß hat sie mir
bereitet. Die goldene Uhrenkette hat jetzt mein Bedienter, der Haken
wurde zu schmachvollem Tod in der Kloake verdammt, und ich trage meine
redliche Zwiebel an dieser sanftgearteten seidenen Schnur; Johann, der
muntre Seifensieder.«
A. E. war während dieser Darstellung, in deren Breite er sich zu
gefallen schien, ganz ruhig geworden und fuhr gelassen fort:
»Jetzt das übrige! Die übrige Geschichte dieser schwarzen Morgenstunde!
»Zuerst springen an drei Hemden die Knöpfchen ab, da ich sie anziehen
will. Ja, ja, so ein Hemdknopf! Ein Bär stellt sich ehrlich zum Kampf;
ich weiß, was ich zu tun, wie ich meine Waffe anzuwenden habe; einen
hundertjährigen Eichbaum kann ich mit Kraft und Ausdauer umhauen; aber
der Knirps! Ich soll Kraft anwenden, denn die Bestie will absolut
nicht durchs Knopfloch, und ich soll sie zugleich ebensosehr gar nicht
anwenden, sondern ganz fein und leicht mit den Fingerspitzen arbeiten,
und indem ich mich placke, schinde, abrackere, foltere, töte, das
Widersprechende zu leisten -- o lustig! springt die Schmachkanaille
erst recht ab! Die Teufel nehmen Besitz vom Weibe, uns dies Scheußliche
zu bereiten. Ich habe es von glaubwürdigen, wahrheitliebenden und
besonnenen Ehemännern: wegen der Hemdknöpfchen heiratet man, und dann
ist es erst recht nichts damit. -- Weiter! -- Nur im Vorbeigehen will
ich anführen, daß mich zuerst beim Ankleiden ein höchst ränkesüchtiges
Armloch gute fünf Minuten lang insultiert hat -- dabei blieb ich aber
noch ganz ruhig -- denn ich kann mich beherrschen, mein Herr! Nun aber
sehen Sie diesen Schlüssel« -- er zog einen kleinen Schlüssel hervor,
der wohl zu seiner Reisetasche gehörte -- »und sodann diesen Leuchter!«
-- er hielt mir den metallenen Leuchter umgekehrt vors Auge, so daß
ich in die Höhlung seines Fußes sah -- »was glauben, was denken, was
sagen Sie?«
»Ja, was weiß denn ich?«
»Stark eine halbe Stunde lang habe ich heute morgen diesen Schlüssel
gesucht -- es war zum Rasendwerden, da finde ich ihn endlich, sehen
Sie, so!« Er legte den Schlüssel auf das Tischchen am Bett, stellte den
Leuchter darauf; der Schlüssel fand just, wie ausgemessen, Platz unter
dem Leuchterfuß.
»Wer kann nun daran denken, wer auf die Vermutung kommen, wer so
übermenschliche Vorsicht üben, solche Tücke des Objekts zu vermeiden!
Und dazu lebe ich! An solches hündische Suchen muß ich meine arme,
kostbare Zeit verschwenden! Suchen, suchen, und wieder suchen! Man
sollte nicht sagen: so und so lang hat A. oder B. gelebt, nein:
gesucht! -- Und ich bin sehr, sehr pünktlich, glauben Sie mir das!« --
»Jawohl ist das Leben ein Suchen,« sagte ich mit einem Seufzer, der
scheinen konnte, den Mühen des Lebens zu gelten, während er in Wahrheit
von der Langeweile ausgepreßt war, da die breite Beschäftigung mit dem
Bagatell mich denn doch zu ermüden begann. Daher denn auch die flache
Bemerkung selbst, die nur um jeden Preis nach einem Inhalt abzulenken
suchte.
Ich kam schlecht an. »So, mein Herr, symbolisch?« sagte er. »Und das
soll dann tiefer sein! Ah! O!«
»Nun, was denn?«
»Sehen Sie, mein Herr, suchen im bildlichen Sinn, darüber, daß das
Leben so ein Suchen ist, darüber klage ich nicht, darüber sollen Sie
nicht seufzen. Das Moralische versteht sich immer von selbst. Ein
rechter Kerl sucht, strebt und beschwert sich nicht darüber, sondern
ist glücklich in diesem Unglück der aufsteigenden und nie anlangenden
Linie des Lebens. Das ist unser oberes Stockwerk. Aber die Zugabe, die
Hundenot gleichzeitig im untern Stockwerk des Lebens -- davon ist die
Rede. Da ist also zum Beispiel das Suchen, das so toll, so nervös,
so wahnsinnig macht. Man verfällt ja dabei immer in den Theismus.
Der liebe Gott, der oben herunterschaut, der die Haare auf unserm
Haupte zählt, der mich nun stundenlang meine Brille suchen sieht --
er sieht ja auch die Brille, weiß recht gut, wo sie liegt -- ist es
zum Ertragen, nun denken zu müssen, wie er lachen muß? -- Allgütiges
Wesen! Meinen Sie, ein solches würde ferner den Katarrh zulassen?
Leben -- Suchen -- Spucken! Da sagen die törichten Menschen von einem
Ausgedienten, von einem Erlösten, von dem sie meinen, er gehe als Geist
um, er spuke! Dummes Zeug, aus hat er gespuckt! O, wir sind geboren, zu
suchen, Knoten aufzudröseln, die Welt mit Hühneraugen anzusehen, und
ach! zu niesen, zu husten und zu spucken! Der Mensch mit seines Hauptes
gewölbter Welt, mit dem strahlenden Auge, dem Geist, der in die Tiefen
und Weiten blitzt, mit dem Fühlen, das mit Silberschwingen zum Himmel
aufsteigt, mit der Phantasie, die ihres Feuers goldene Ströme ausgießt
über Berg und Tal und sterblich Menschenbild zum Gott erklärt, mit dem
Willen, dem blanken Schwert in der Hand, zu schlichten, zu richten, zu
bezwingen, mit der frommen Geduld zu pflanzen, zu pflegen, zu wachen,
daß der Baum des Lebens wachse, gedeihe und Himmelsfrucht jeder sanften
Bildung trage, der Mensch mit der Engelsgestalt des ewig Schönen im
ahnenden, sehnenden Busen -- ja, dieser Mensch verwandelt in einen
schleimigen Mollusken, zur klebrigen Auster erniedrigt, ein Magazin,
ein Schandschlauch für vergärenden Drüsensaft, eine Schneuzmaschine,
im Hals ein zackig Kratzeisen, ein Nest von Teufeln, die mit feinen
Nadeln nächtelang am Kehlkopf kitzeln, die Augen trübe, das Hirn dumpf,
stumpf, verstört, der Nerv giftig gereizt, und dabei erst nicht als
Kranker geltend, noch geschont -- und da soll es einen Gott --!«
Hier geriet mein Gottesleugner in ein Niesen und Husten so
teilnahmwerter Art, daß ich eine Bemerkung, die mir auf der Zunge lag:
der Katarrh sei denn doch nicht der gewöhnliche Zustand des Menschen,
gern unterdrückte; ich konnte freilich ohnedies ahnen, daß ich schlecht
damit gefahren wäre. Dagegen wollte ich mich doch nicht enthalten, als
der Paroxismus zu Ende war, vorzubringen: »Aber was machen Sie denn,
wenn Sie ernstlich, schwer krank sind?«
A. E. war inzwischen daran, sich reisefertig zu machen, wurde über
einem Hindernis, das sich an der Rückseite seiner Beinkleider zu
befinden schien, noch einmal sichtlich aufgeregt, trat plötzlich hart
vor mich, machte straff wie ein Soldat rechtsum kehrt und schrie sehr
laut und schroff: »Hier!«
Ganz verdutzt, als ich nun so breit seinen Rücken vor mir hatte, dachte
ich, ob denn dies der Anfang des versprochenen Bildungsunterrichts sein
solle; er ließ mir ziemlich Zeit zur Betrachtung, bis der Aufschluß
kam: »Sehen Sie die Lappen am Hüftgurt? sind fünfmal, sage fünfmal beim
Schneider gewesen vor der Abreise; zuerst zu lang oder zu weit, dann
wieder zu kurz oder zu eng, dann beides noch einmal so -- nun? wie
steht's mit der Theologie?«
Ich verstand jetzt, daß ich sehen sollte, wie die Lappen einander zu
nah angenäht waren, die Gürtung also nicht genug angezogen werden
konnte; er war zufrieden, als ich mein Verständnis kund gab, und nun
schien der Sturm ausgetobt zu haben. Meine vorige Bemerkung fiel ihm
jetzt wieder ein.
»Was haben Sie von recht Kranksein gesagt? Nun, das ist ja Geduld wert.
Das Moralische versteht sich immer von selbst.«
Er hatte inzwischen seine Reisetasche gepackt, wobei er, wie ich
bemerkte, sehr geschickt zu Werke ging; es galt, viele Kleinigkeiten
in engen Raum zusammenzufügen, und er brachte es ganz nett zustande;
Ungeschicklichkeit, das sah ich, konnte nicht die Ursache des
Kriegszustandes sein, in dem er mit dem Bagatell sich befand. Er
sagte mir nun, er wolle seine Reise auf der Axenstraße am See zu Fuß
fortsetzen. Leicht konnte er sich denken, daß ich wahrscheinlich
ebendasselbe vorhabe, der Gedanke eines Zusammenwanderns lag, da wir
denn doch schon Bekannte waren, nahe genug, aber es fiel ihm nicht
ein, auch nur einen Wink zu geben, der entfernt einer Einladung
gleichgesehen hätte. Ich dachte, er erwarte, daß ich mich ihm erst
vorstelle, und begann: »Erlauben Sie, es ist doch wohl Zeit, daß ich
mich Ihnen --«
Er unterbrach mich: »Bitte, danke, lieber nicht -- verzeihen Sie, es
ist nicht Maske, nicht Geheimtuerei von mir, gewiß nicht, liebe aber,
auf der Reise wenigstens, alles klar, frei. Name und Stand macht
Nebengedanken, führt auf Namen-Etymologie und dergleichen, wir sind
eben jeder ein Ich, eine Person oder, wie Fischart sagt, seelhaftes
Lebwesen; wir befinden uns besser so.«
Ich war nun schon im Zuge, dem wunderlichen Kauz nichts übel zu nehmen,
und da, wie ich gestehe, meine Neugierde nach Namen und Stand eben
auch nicht groß ist, so ließ ich mir's unschwer gefallen, daß ich auch
nicht erfahren sollte, wen ich eigentlich vor mir habe. Ich reichte auf
der Schwelle die Hand zum Abschied, und A. E. wollte sie eben nehmen,
als ihm einfiel, daß er doch erst frühstücken sollte; dieses Werk
wenigstens noch gemeinsam zu verrichten, dagegen schien er denn doch
nichts zu haben, und so stieg ich mit ihm in die »~salle à manger~«
hinab.
[Illustration]
Beim Eintreten bemerkte ich, daß er einen ängstlich suchenden Blick
nach den vier Ecken des Saales, und zwar auf den Fußboden, warf;
der Blick kehrte beruhigt zurück, als er in der vierten ein kleines
Gerät bemerkte, das hustenden Menschen erwünscht sein mag; mit
höchst gemütlichem Tone sagte er: »Der Saal ist doch ganz ordentlich
möbliert,« und von da schien eine erträglich gute Laune bei ihm
einzutreten. Das Frühstück stand nach Art der Schweizer Gasthöfe in
diesen Frühstunden stets bereit, und A. E. -- nachdem er Honig und
Butter heftig weggeschoben hatte -- griff rüstig zu, ich desgleichen.
Wir waren allein im Saale, doch bald trat ein dritter Reisender ein.
Es war ein Mann von gesetzten Jahren, er trug ein Staubhemd von
ungebleichter Leinwand mit einem kleinen, über die Schultern hängenden
Kragen und auf dem Rücken einen nicht ungewichtigen Leinwandtornister,
auf seiner Stirn lag ein bemerklicher Wanderschweiß, man sah, er hatte
diesen Morgen schon einige Stunden zurückgelegt; er legte seine Last
ab, stellte den soliden, bauschigen Regenschirm in eine Ecke, nicht
ohne ihn mit einem Blick zu betrachten, der eine innere Zufriedenheit
mit dem gediegenen und nützlichen Gerät ausdrückte, begab sich rasch
an den Tisch, setzte sich an sein andres Ende, rückte sich den Stuhl
recht nahe, zog eine Brille hervor, besah sich, was aufgesetzt war,
schien mit der Vollständigkeit der Dinge, die zu einem englischen
Frühstück gehören, sehr einverstanden und begann mit dem vollen
Ausdruck einer Seele, die sich bewußt ist, daß ihr Leib sein Frühstück
redlich verdient habe, die genußverheißende Arbeit des Schneidens
und Butterstreichens. Es war leicht zu ersehen, daß der Mann dem
Gelehrtenstande angehören mußte, und seine etwas bleiche Gesichtsfarbe
legte den Schluß nahe, daß er zu jener Gattung der Gebirgsreisenden
gehören möge, die durch starke Fußmärsche in Ferien einzubringen
suchen, was sie durch sitzende Lebensart das Jahr hindurch ihrem
Organismus Leides zufügen müssen.
A. E., der inzwischen die Eßlust gestillt, schien zum Abmarsch keine
besondere Eile zu haben, steckte sich gemächlich eine Zigarre an
und begann zu mir: »Sie geben also zu, daß die Physik eigentlich
Metaphysik ist, Lehre vom Geisterreich. Das heißt, ich vermute, daß
Sie es zugeben, wiewohl ich es Ihnen philosophisch eigentlich noch
nicht begründet habe, denn was Sie sicherlich bereits erkannt haben,
das ist die allgemeine Tendenziosität, ja Animosität des Objekts, des
sogenannten Körpers, was die bisherige Physik geistlos mit Namen wie:
Gesetz der Schwere, Statik und dergleichen bezeichnet hat, während es
vielmehr aus Einwohnung böser Geister herzuleiten ist.«
Der Fremde hatte inzwischen einen länglichen Brotlaib höchst
kunstgerecht wie man es wohl im »Kurmärker und die Picarde«
vom preußischen Landwehrmann verrichten sieht, der Länge nach
entzweigeschnitten und war eben beschäftigt, die Butter schön und
glatt wie mit einem Modellierholz aufzustreichen; er hielt bei diesen
Worten einen Augenblick inne, warf unter den buschigen Brauen einen
sonderbaren Blick nach uns herüber und fuhr dann nachdenklich in seinem
plastischen Geschäfte fort, indem er öfters mit einem Ausdruck von
Staunen und Ironie den Kopf hin und her wiegte. Es kam mir der Gedanke,
ob A. E. auf ihn berechne. Es schien entschieden nicht. Er hatte auf
den Eintretenden nur einen raschen Blick geworfen, freilich einen
scharf erfassenden, denn sein Auge pflegte zu blicken, als wäre eine
fest greifende Hand darin, doch nicht ein Zeichen ließ vermuten, daß er
sich weiter um den Unbekannten kümmere.
»Animos,« fuhr er fort, -- »haben Sie denn auch nur schon beobachtet,
wie das fallende Papierblatt uns verhöhnt? Sind sie nicht wahrhaft
graziös, die Spottbewegungen, womit es hin und her flattert? Sagt nicht
jeder Zug mit blasiert eleganter Frivolität: doch noch gewonnen!? O,
das Objekt lauert. Ich setze mich nach dem Frühstück frisch, wohlgemut
an die Arbeit, ahne den Feind nicht. Ich tunke ein, zu schreiben,
schreibe: ein Härchen in der Feder, damit beginnt es. Der Teufel will
nicht heraus, ich beflecke die Finger mit Tinte, ein Flecken kommt aufs
Papier -- dann muß ich ein Blatt suchen, dann ein Buch und so weiter,
und so weiter, kurz, der schöne Morgen ist hin. Von Tagesanbruch bis
in die späte Nacht, solang irgend ein Mensch um den Weg ist, denkt
das Objekt auf Unarten, auf Tücke. Man muß mit ihm umgehen, wie der
Tierbändiger mit der Bestie, wenn er sich in ihren Käfig gewagt hat;
er läßt keinen Blick von ihrem Blick und die Bestie keinen von seinem;
was man da von der moralischen Gewalt des Menschenblickes vorbringt,
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