Pole Poppenspäler: Novelle - 4

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Als sie das sagte, war es mir, als leuchte aus dunkler Tiefe meine Heimat
zu mir auf; ich sah die zärtlichen Augen meiner Mutter, das feste ehrliche
Antlitz meines Vaters. "Ach, Lisei", sagte ich, "wo ist denn jetzt mein
Vaterhaus! Es ist ja alles öd und leer."
Lisei antwortete nicht; sie gab mir nur die Hand und blickte mich mit
ihren guten Augen an.
Da war mir, als hörte ich die Stimme meiner Mutter sagen: "Halte diese
Hand fest und kehr mit ihr zurück, so hast du deine Heimat wieder!"--und
ich hielt die Hand fest und sagte: "Kehr du mit mir zurück, Lisei, und laß
uns zusammen versuchen, ein neues Leben in das leere Haus zu bringen, ein
so gutes, wie es die geführt haben, die ja auch dir einst lieb gewesen
sind!"
"Paul", rief sie, "was meinst du? I versteh di nit."
Aber ihre Hand zitterte heftig in der meinen, und ich bat nur: "Ach, Lisei,
versteh mich doch!"
Sie schwieg einen Augenblick. "Paul", sagte sie dann, "i kann nit von
mei'm Vaterl gehen."
"Der muß ja mit uns, Lisei! Im Hinterhause, die beiden Stübchen, die
jetzt leer stehen, da kann er wohnen und wirtschaften; der alte Heinrich
hat sein Kämmerchen dicht daneben." Lisei nickte. "Aber Paul, wir sind
landfahrende Leut. Was werden sie sagen bei dir daheim?"
"Sie werden mächtig reden, Lisei!"
"Und du hast nit Furcht davor?"
Ich lachte nur dazu.
"Nun", sagte Lisei, und wie ein Glockenlaut schlug es aus ihrer Stimme,
"wenn du sie hast--i hab schon die Kuraschi!"
"Aber tust du's denn auch gern?"
"Ja, Paul, wenn i 's nit gern tät"--und sie schüttelte ihr braunes
Köpfchen gegen mich--, "gel, da tät i 's nimmermehr!"
"Und, mein Junge", unterbrach sich hier der Erzähler, "wie einen bei
solchen Worten ein Paar schwarze Mädchenaugen ansehen, das sollst du nun
noch lernen, wenn du erst ein Stieg Jahre weiter bist!"
"Ja, ja", dachte ich, "zumal so ein Paar Augen, die einen See ausbrennen
können!"
"Und nicht wahr", begann Paulsen wieder, "nun weißt du auch nachgerade,
wer das Lisei ist."
"Das ist die Frau Paulsen!" erwiderte ich. "Als ob ich das nicht längst
gemerkt hätte! Sie sagt ja noch immer "nit" und hat auch noch die
schwarzen Augen unter den feingepinselten Augenbrauen."
Mein Freund lachte, während ich mir im stillen vornahm, die Frau Paulsen,
wenn wir ins Haus zurückkämen, doch einmal recht darauf anzusehen, ob noch
das Puppenspieler-Lisei in ihr zu erkennen sei.--"Aber", fragte ich, "wo
ist denn der alte Herr Tendler hingekommen?"
"Mein liebes Kind", erwiderte mein Freund, "wohin wir schließlich alle
kommen. Drüben auf dem grünen Kirchhof ruht er neben unserem alten
Heinrich; aber es ist noch einer mehr in sein Grab mit hineingekommen; der
andre kleine Freund aus meiner Kinderzeit. Ich will dir's wohl erzählen;
nur laß uns ein wenig hintenaus gehen; meine Frau könnte nachgerade einmal
nach uns sehen wollen, und sie soll die Geschichte doch nicht wieder hören."
Paulsen stand auf, und wir gingen auf den Spazierweg hinaus, der auch hier
hinter den Gärten der Stadt entlangführt. Nur wenige Leute kamen uns
entgegen; denn es war schon um die Vesperzeit.
"Siehst du"--begann Paulsen seine Erzählung wieder--, "der alte Tendler
war derzeit mit unserem Verspruch gar wohl zufrieden; er gedachte meiner
Eltern, die er einst gekannt hatte, und er faßte auch zu mir Vertrauen.
Überdies war er des Wanderns müde; ja, seit es ihn in die Gefahr
gebracht hatte, mit den verworrensten Vagabunden verwechselt zu werden,
war in ihm die Sehnsucht nach einer festen Heimat immer mehr
heraufgewachsen. Meine gute Meisterin zwar zeigte sich nicht so
einverstanden; sie fürchtete, bei allem guten Willen möge doch das Kind
des umherziehenden Puppenspielers nicht die rechte Frau für einen
seßhaften Handwerksmann abgeben.--Nun, sie ist seit lange schon bekehrt
worden!--Und so war ich denn nach kaum acht Tagen wieder hier, von den
Bergen an die Nordseeküste, in unserer alten Vaterstadt. Ich nahm mit
Heinrich die Geschäfte rüstig in die Hand und richtete zugleich die beiden
leerstehenden Zimmer im Hinterhause für den Vater Joseph ein.--Vierzehn
Tage weiter--es strichen eben die Düfte der ersten Frühlingsblumen über
die Gärten--, da kam es die Straße heraufgebimmelt. "Meister, Meister!"
rief der alte Heinrich, "sie kommen, sie kommen!" Und da hielt schon das
Wägelchen mit den zwei hohen Kisten vor unserer Tür. Das Lisei war da,
der Vater Joseph war da, beide mit muntern Augen und roten Wangen; und
auch das ganze Puppenspiel zog mit ihnen ein; denn ausdrückliche Bedingung
war es, daß dies den Vater Joseph auf sein Altenteil begleiten solle. Das
kleine Fuhrwerk dagegen wurde in den nächsten Tagen schon verkauft.
Dann hielten wir die Hochzeit; ganz in der Stille; denn Blutsfreunde
hatten wir weiter nicht am Ort; nur der Hafenmeister, mein alter
Schulkamerad, war als Trauzeuge mit zugegen. Lisei war, wie ihre Eltern,
katholisch; daß aber das ein Hindernis für unsere Ehe sein könne; ist uns
niemals eingefallen. In den ersten Jahren reiste sie wohl zur österlichen
Beichte nach unserer Nachbarstadt, wo, wie du weißt, eine katholische
Gemeinde ist; nachher hat sie ihre Kümmernisse nur noch ihrem Mann
gebeichtet.
Am Hochzeitsmorgen legte Vater Joseph zwei Beutel vor mir auf den Tisch,
einen größeren mit alten Harzdritteln, einen kleinen voll Kremnitzer
Dukaten.
"Du hast nit danach fragt, Paul!" sagte er. "Aber so völlig arm is doch
mein Lisei dir nit zubracht. Nimm's! i brauch's allfurt nit mehr."-Das
war der Sparpfennig, von dem mein Vater einst gesprochen, und er kam jetzt
seinem Sohne beim Neubeginn seines Geschäfts zu ganz gelegener Zeit.
Freilich hatte Liseis Vater damit sein ganzes Vermögen hingegeben und sich
selbst der Fürsorge seiner Kinder anvertraut; aber er war dabei nicht
müßig; er suchte seine Schnitzmesser wieder hervor und wußte sich bei den
Arbeiten in der Werkstatt nützlich zu machen.
Die Puppen nebst dem Theater-Apparat waren in einem Verschlage auf dem
Boden des Nebenhauses untergebracht. Nur an Sonntagnachmittagen holte er
bald die eine, bald die andere in sein Stübchen herunter, revidierte die
Drähte und Gelenke und putzte oder besserte dies und jenes an den selben.
Der alte Heinrich stand dann mit seiner kurzen Pfeife neben ihm und ließ
sich die Schicksale der Puppen erzählen, von denen fast jede ihre eigene
Geschichte hatte; ja, wie es jetzt herauskam, der so wirkungsvoll
geschnitzte Kasper hatte einst für seinen jungen Verfertiger sogar den
Brautwerber um Liseis Mutter abgegeben. Mitunter wurden zur besseren
Veranschaulichung der einen oder andern Szene auch wohl die Drähte in
Bewegung gesetzt; Lisei und ich haben oftmals draußen an den Fenstern
gestanden, die schon aus grünem Weinlaub gar traulich auf den Hof
hinausschauten; aber die alten Kinder drinnen waren meist so in ihr Spiel
vertieft, daß ihnen erst durch unser Beifallklatschen die Gegenwart der
Zuschauer bemerklich wurde.--Als das Jahr weiterrückte, fand Vater Joseph
eine andere Beschäftigung; er nahm den Garten unter seine Obhut, er
pflanzte und erntete, und am Sonntage wandelte er, sauber angetan,
zwischen den Rabatten auf und ab, putzte an den Rosenbüschen oder band
Nelken und Levkojen an feine selbstgeschnitzte Stäbchen.
So lebten wir einig und zufrieden; mein Geschäft hob sich mehr und mehr.
Über meine Heirat hatte unsere gute Stadt sich ein paar Wochen lebhaft
ausgesprochen; da aber fast alle über die Unvernunft meiner Handlungsweise
einig waren und dem Gespräche so die gedeihliche Nahrung des Widerspruches
vorenthalten blieb, so hatte es sich bald selber ausgehungert.
Als es dann abermals Winter wurde, holte Vater Joseph an den Sonntagen
auch wieder die Puppen aus ihrem Verschlage herunter, und ich dachte nicht
anders, als daß in solchem stillen Wechsel der Beschäftigung ihm auch
künftig die Jahre hingehen würden. Da trat er eines Morgens mit gar
ernsthaftem Gesichte zu mir in die Wohnstube, wo ich eben allein an meinem
Frühstück saß. "Schwiegersohn", sagte er, nachdem er sich wie verlegen
ein paarmal mit der Hand durch seine weißen Haarspießchen gefahren war,
"ich kann's doch nit wohl länger ansehn, daß ich alleweil so das
Gnadenbrot an euerm Tische soll essen."
Ich wußte nicht, wo das hinaus sollte, aber ich fragte ihn, wie er auf
solche Gedanken komme; er schaffe ja mit in der Werkstatt, und wenn mein
Geschäft jetzt einen größeren Gewinn abwerfe, so sei dies wesentlich der
Zins seines eigenen Vermögens, das er an unserem Hochzeitsmorgen in meine
Hand gelegt habe.
Er schüttelte den Kopf. Das reiche alles nicht; aber eben jenes kleine
Vermögen habe er zum Teil einst in unserer Stadt gewonnen; das Theater sei
ja noch vorhanden, und die Stücke habe er auch alle noch im Kopfe.
Da merkte ich's denn wohl, der alte Puppenspieler ließ ihm keine Ruhe;
sein Freund, der gute Heinrich, genügte ihm nicht mehr als Publikum, er
mußte einmal wieder öffentlich vor versammeltem Volke seine Stücke
auffuhren.
Ich suchte es ihm auszureden; aber er kam immer wieder darauf zurück. Ich
sprach mit Lisei, und am Ende konnten wir nicht umhin, ihm nachzugeben.
Am liebsten hätte nun freilich der alte Mann gesehen, wenn Lisei wie vor
unserer Verheiratung die Frauenrollen in seinen Stücken gesprochen hätte;
aber wir waren übereingekommen, seine dahin zielenden Anspielungen nicht
zu verstehen; für die Frau eines Bürgers und Handwerksmeisters wollte sich
das denn doch nicht ziemen.
Zum Glück--oder, wie man will, zum Unglück--war derzeit ein ganz
reputierliches Frauenzimmer in der Stadt, die einst bei einer
Schauspielertruppe als Souffleuse gedient hatte und daher in derlei Dingen
nicht unbewandert war. Diese--Kröpel-Lieschen nannten sie die Leute von
wegen ihrer Kreuzlahmheit--ging sofort auf unser Anerbieten ein, und bald
entwickelte sich am Feierabend und an den Sonntagnachmittagen die
lebhafteste Tätigkeit in Vater Josephs Stübchen. Während vor dem einen
Fenster der alte Heinrich an den Gerüststücken des Theaters zimmerte,
stand vor dem andern zwischen frisch angemalten Kulissen, die von der
Zimmerdecke herunterhingen, der alte Puppenspieler und exerzierte mit
Kröpel-Lieschen eine Szene nach der andern. Sie sei ein dreimal gewürztes
Frauenzimmer, versicherte er stets nach solcher Probe; nicht einmal die
Lisei hab es so schnell kapiert; nur mit dem Singen ginge es nit gar so
schön; sie grunze mit ihrer Stimme immer in der Tiefe, was für die schöne
Susanne, die das Lied zu singen habe, nicht eben harmonierlich sei.
Endlich war der Tag der Aufführung festgesetzt. Es sollte alles möglichst
reputierlich vor sich gehen; nicht auf dem Schützenhofe, sondern auf dem
Rathaussaale, wo auch die Primaner um Michaelis ihre Redeübungen hielten,
sollte jetzt der Schauplatz sein; und als am Sonnabendnachmittage unsere
guten Bürger ihr frisches Wochenblättchen auseinanderfalteten, sprang
ihnen in breiten Lettern die Anzeige in die Augen:
"Morgen Sonntagabend sieben Uhr auf dem Rathaussaale Marionetten-Theater
des Mechanicus Joseph Tendler hieselbst. Die schöne Susanna, Schauspiel
mit Gesang in vier Aufzügen."
Es war aber damals in unserer Stadt nicht mehr die harmlose schaulustige
Jugend aus meinen Kinderjahren; die Zeiten des Kosakenwinters lagen
dazwischen, und namentlich war unter den Handwerkslehrlingen eine arge
Zügellosigkeit eingerissen; die früheren Liebhaber unter den Honoratioren
aber hatten ihre Gedanken jetzt auf andere Dinge. Dennoch wäre vielleicht
alles gutgegangen, wenn nur der schwarze Schmidt und seine Jungen nicht
gewesen wären."-Ich fragte Paulsen, wer das sei, denn ich hatte niemals
von einem solchen Menschen in unserer Stadt gehört.
"Das glaub ich wohl", erwiderte er, "der schwarze Schmidt ist schon vor
Jahren im Armenhaus verstorben; damals aber war er Meister gleich mir;
nicht ungeschickt, aber lüderlich in seiner Arbeit wie im Leben; der
sparsame Verdienst des Tages wurde abends in Trunk und Kartenspiel vertan.
Schon gegen meinen Vater hatte er einen Haß gehabt, nicht allein, weil
dessen Kundschaft die seinige bei weitem überstieg, sondern schon aus der
Jugend her, wo er dessen Nebenlehrling gewesen und wegen eines schlechten
Streiches gegen ihn vom Meister fortgejagt worden war. Seit dem Sommer
hatte er Gelegenheit gefunden, diese Abneigung in erhöhtem Maße auch auf
mich auszudehnen; denn bei der damals hier neu errichteten Kattunfabrik
war, trotz seiner eifrigen Bemühung um dieselbe, die Arbeit an den
Maschinen allein mir übertragen worden, infolgedessen er und seine beiden
Söhne, die bei dem Vater in Arbeit standen und diesen an wüstem Treiben
womöglich überboten, schon nicht verfehlt hatten, mir ihren Verdruß durch
allerlei Neckereien kundzugeben. Ich hatte indessen jetzt keine Gedanken
an diese Menschen.
So war der Abend der Aufführung herangekommen. Ich hatte noch an meinen
Büchern zu ordnen und habe, was geschah, erst später durch meine Frau und
Heinrich erfahren, welche zugleich mit unserem Vater nach dem Rathaussaale
gingen.
Der Erste Platz dort war fast gar nicht, der Zweite nur mäßig besetzt
gewesen; auf der Galerie aber hatte es Kopf an Kopf gestanden.--Als man
vor diesem Publikum das Spiel begonnen, war anfänglich alles in der
Ordnung vorgegangen; die alte Lieschen hatte ihren Part fest und ohne
Anstoß hingeredet.--Dann aber kam das unglückselige Lied! Sie bemühte
sich vergebens, ihrer Stimme einen zarten Klang zu geben; wie Vater Joseph
vorhin gesagt hatte, sie grunzte wirklich in der Tiefe. Plötzlich rief
eine Stimme von der Galerie: "Höger up, Kröpel-Lieschen! Höger up!" Und
als sie, diesem Rufe gehorsam, die unerreichbaren Diskanttöne zu
erklettern strebte, da scholl ein rasendes Gelächter durch den Saal.
Das Spiel auf der Bühne stockte, und zwischen den Kulissen heraus rief die
bebende Stimme des alten Puppenspielers: "Meine Herrschaft'n, i bitt
g'wogentlich um Ruhe!" Kasperl, den er eben an seinen Drähten in der Hand
hielt und der mit der schönen Susanna eine Szene hatte, schlenkerte
krampfhaft mit seiner kunstvollen Nase.
Neues Gelächter war die Antwort. "Kasperl soll singen!"--"Russisch!
Schöne Minka, ich muß scheiden!"--"Hurra für Kasperl!"--"Nichts doch;
Kasperl sein' Tochter soll singen!"--"Jawohl, wischt euch 's Maul! Die
ist Frau Meisterin geworden, die tut's halt nimmermehr!"
So ging's noch eine Weile durcheinander. Auf einmal flog, in
wohlgezieltem Wurfe, ein großer Pflasterstein auf die Bühne. Er hatte die
Drähte des Kasperls getroffen; die Figur entglitt der Hand ihres Meisters
und fiel zu Boden.
Vater Joseph ließ sich nicht mehr halten. Trotz Liseis Bitten hat er
gleich darauf die Puppenbühne betreten.--Donnerndes Händeklatschen,
Gelächter, Fußtrampeln empfing ihn, und es mag sich freilich seltsam genug
präsentiert haben, wie der alte Mann, mit dem Kopf oben in den Soffitten,
unter lebhaftem Händearbeiten seinem gerechten Zorne Luft zu machen suchte.
--Plötzlich, unter allem Tumult, fiel der Vorhang, der alte Heinrich hatte
ihn herabgelassen.--Mich hatte indes zu Hause bei meinen Büchern eine
gewisse Unruhe befallen; ich will nicht sagen, daß mir Unheil ahnte, aber
es trieb mich dennoch fort, den Meinigen nach.--Als ich die Treppe zum
Rathaussaal hinaufsteigen wollte, drängte eben die ganze Menge von oben
mir entgegen. Alles schrie und lachte durcheinander. "Hurra! Kasper is
dod! Lott is dod. Die Kamedie ist zu End!"--Als ich aufsah, erblickteich die
schwarzen Gesichter der Schmidt-Jungen über mir. Sie waren
augenblicklich still und rannten an mir vorbei zur Tür hinaus; ich aber
hatte für mich jetzt die Gewißheit, wo die Quelle dieses Unfugs zu suchen
war.
Oben angekommen, fand ich den Saal fast leer. Hinter der Bühne saß mein
alter Schwiegervater wie gebrochen auf einem Stuhl und hielt mit beiden
Händen sein Gesicht bedeckt. Lisei, die auf den Knien vor ihm lag,
richtete sich, da sie mich gewahrte langsam auf. "Nun, Paul", fragte sie,
mich traurig ansehend, "hast du noch die Kuraschi?"
Aber sie mußte wohl in meinen Augen gelesen haben, daß ich sie noch hatte;
denn bevor ich noch antworten konnte, lag sie schon an meinem Halse. "Laß
uns nur fest zusammenhalten, Paul!" sagte sie leise.--Und siehst du!
Damit und mit ehrlicher Arbeit sind wir durchgekommen.--Als wir am andern
Morgen aufgestanden waren, da fanden wir jenes Schimpfwort "Pole
Poppenspäler"--denn ein Schimpfwort sollte es ja sein--mit Kreide auf
unsere Haustür geschrieben. Ich aber habe es ruhig ausgewischt, und als
es dann später noch ein paarmal an öffentlichen Orten wieder lebendig
wurde, da habe ich einen Trumpf daraufgesetzt; und weil man wußte, daß ich
nicht spaße, so ist es danach still geworden.--Wer dir es jetzt gesagt hat,
der wird nichts Böses damit gemeint haben; ich will seinen Namen auch
nicht wissen.
Unser Vater Joseph aber war seit jenem Abend nicht mehr der alte.
Vergebens zeigte ich ihm die unlautere Quelle jenes Unfugs und daß
derselbe ja mehr gegen mich als gegen ihn gerichtet gewesen sei. Ohne
unser Wissen hatte er bald darauf alle seine Marionetten auf eine
öffentliche Auktion gegeben, wo sie zum Jubel der anwesenden Jungen und
Trödelweiber um wenige Schillinge versteigert waren; er wollte sie niemals
wiedersehen.-Aber das Mittel dazu war schlecht gewählt; denn als die
Frühlingssonne erst wieder in die Gassen schien, kam von den verkauften
Puppen eine nach der andern aus den dunkeln Häusern an das Tageslicht.
Hier saß ein Mädchen mit der heiligen Genoveva auf der Haustürschwelle,
dort ließ ein Junge den Doktor Faust auf seinem schwarzen Kater reiten; in
einem Garten in der Nähe des Schützenhofes hing eines Tages der Pfalzgraf
Siegfried neben dem höllischen Sperling als Vogelscheuche in einem
Kirschbaum. Unserem Vater tat die Entweihung seiner Lieblinge so weh, daß
er zuletzt kaum noch Haus und Garten bei uns verlassen mochte. Ich sah es
deutlich, daß dieser übereilte Verkauf an seinem Herzen nagte, und es
gelang mir, die eine und die andere Puppe zurückzukaufen; aber als ich sie
ihm brachte, hatte er keine Freude daran; das Ganze war ja überdies
zerstört. Und, seltsam, trotz aller aufgewendeten Mühe konnte ich nicht
erfahren, in welchem Winkel sich die wertvollste Figur von allen, der
kunstreiche Kasperl, verborgen halte. Und was war ohne ihn die ganze
Puppenwelt!
Aber vor einem andern, ernsteren Spiel sollte bald der Vorhang fallen.
Ein altes Brustleiden war bei unserem Vater wieder aufgewacht, sein Leben
neigte sich augenscheinlich zu Ende. Geduldig und voll Dankbarkeit für
jeden kleinen Liebesdienst lag er auf seinem Bette. "Ja, ja", sagte er
lächelnd und hob so heiter seine Augen gegen die Bretterdecke des Zimmers,
als sähe er durch dieselbe schon in die ewigen Fernen des Jenseits, "es is
scho richtig g'wesn: mit den Menschen hab' ich nit immer könne firti
werd'n; da drobn mit den Engeln wird's halt besser gehn; und--auf alle
Fäll, Lisei, i find ja doch die Mutter dort."--Der gute kindliche Mann
starb; Lisei und ich, wir haben ihn bitterlich vermißt; auch der alte
Heinrich, der ihm nach wenigen Jahren folgte, ging an seinen noch übrigen
Sonntagnachmittagen umher, als wisse er mit sich selber nicht wohin, als
wolle er zu einem, den er doch nicht finden könne.
Den Sarg unseres Vaters bedeckten wir mit allen Blumen des von ihm selbst
gepflegten Gartens; schwer von Kränzen wurde er auf den Kirchhof
hinausgetragen, wo unweit von der Umfassungsmauer das Grab bereitet war.
Als man den Sarg hinabgelassen hatte, trat unser alter Propst an den Rand
der Gruft und sprach ein Wort des Trostes und der Verheißung; er war
meinen seligen Eltern stets ein treuer Freund und Rater gewesen; ich war
von ihm konfirmiert, Lisei und ich von ihm getraut worden. Ringsum auf
dem Kirchhofe war es schwarz von Menschen; man schien von dem Begräbnisse
des alten Puppenspielers noch ein ganz besonderes Schauspiel zu erwarten.
--Und etwas Besonderes geschah auch wirklich; aber es wurde nur von uns
bemerkt, die wir der Gruft zunächst standen. Lisei, die an meinem Arme
mit hinausgegangen war, hatte eben krampfhaft meine Hand gefaßt, als jetzt
der alte Geistliche dem Brauche gemäß den bereitgestellten Spaten ergriff
und die erste Erde auf den Sarg hinabwarf. Dumpf klang es aus der Gruft
zurück. "Von der Erden bist du genommen!" erscholl jetzt das Wort des
Priesters; aber kaum war es gesprochen, als ich von der Umfassungsmauer
her über die Köpfe der Menschen etwas auf uns zufliegen sah. Ich meinte
erst, es sei ein großer Vogel; aber es senkte sich und fiel grade in die
Gruft hinein. Bei einem flüchtigen Umblick--denn ich stand etwas erhöht
auf der aufgeworfenen Erde--hatte ich einen der Schmidt-Jungen sich hinter
die Kirchhofmauer ducken und dann davonlaufen sehen, und ich wußte
plötzlich, was geschehen war. Lisei hatte einen Schrei an meiner Seite
ausgestoßen, unser alter Propst hielt wie unschlüssig den Spaten zum
zweiten Wurfe in den Händen. Ein Blick in das Grab bestätigte meine
Ahnung: oben auf dem Sarge, zwischen den Blumen und der Erde, die zum Teil
sie schon bedeckte, da hatte er sich hingesetzt, der alte Freund aus
meiner Kinderzeit, Kasperl, der kleine lustige Allerweltskerl.--Aber er
sah jetzt gar nicht lustig aus; seinen großen Nasenschnabel hatte er
traurig auf die Brust gesenkt; der eine Arm mit dem kunstreichen Daumen
war gegen den Himmel ausgestreckt; als solle er verkünden, daß, nachdem
alle Puppenspiele ausgespielt, da droben nun ein anderes Stück beginnen
werde.
Ich sah das alles nur auf einen Augenblick, denn schon warf der Probst die
zweite Scholle in die Gruft: "Und zur Erde wieder sollst du werden!"--Und
wie es von dem Sarg hinabrollte, so fiel auch Kasperl aus seinen Blumen in
die Tiefe und wurde von der Erde überdeckt.
Dann mit dem letzten Schaufelwurf erklang die tröstliche Verheißung: "Und
von der Erden sollst du auferstehen!"
Als das Vaterunser gesprochen war und die Menschen sich verlaufen hatten,
trat der alte Propst zu uns, die wir noch immer in die Grube starrten.
"Es hat eine Ruchlosigkeit sein sollen", sagte er, indem er liebreich
unsere Hände faßte. "Laßt uns es anders nehmen! In seiner Jugendzeit,
wie ihr es mir erzähltet, hat der selige Mann die kleine Kunstfigur
geschnitzt, und sie hat einst sein Eheglück begründet; später, sein ganzes
Leben lang, hat er durch sie, am Feierabend nach der Arbeit, gar manches
Menschenherz erheitert, auch manches Gott und den Menschen wohlgefällige
Wort der Wahrheit dem kleinen Narren in den Mund gelegt;--ich habe selbst
der Sache einmal zugeschaut, da ihr noch beide Kinder waret.--Laßt nur das
kleine Werk seinem Meister folgen; das stimmt gar wohl zu den Worten
unserer Heiligen Schrift! Und seid getrost; denn die Guten werden ruhen
von ihrer Arbeit."
--Und so geschah es. Still und friedlich gingen wir nach Hause; den
kunstreichen Kasperl aber, wie unsern guten Vater Joseph, haben wir
niemals wiedergesehen.--Alles das", setzte nach einer Weile mein Freund
hinzu, "hat uns manches Weh bereitet; aber gestorben sind wir beiden
jungen Leute nicht daran. Nicht lange nachher wurde unser Joseph uns
geboren, und wir hatten nun alles, was zu einem vollen Menschenglück
gehört. An jene Vorgänge aber werde ich noch jetzt Jahr um Jahr durch den
ältesten Sohn des schwarzen Schmidt erinnert. Er ist einer jener ewig
wandernden Handwerksgesellen geworden, die, verlumpt und verkommen, ihr
elendes Leben von den Geschenken fristen, die nach Zunftgebrauch auf ihre
Ansprache die Handwerksmeister ihnen zu verabreichen haben. Auch an
meinem Hause geht er nie vorbei."
Mein Freund schwieg und blickte vor sich in das Abendrot, das dort hinter
den Bäumen des Kirchhofs stand; ich aber hatte schon eine Zeitlang über
der Gartenpforte, der wir uns jetzt wieder näherten, das freundliche
Gesicht der Frau Paulsen nach uns ausblicken sehen. "Hab ich's nit denkt!"
rief sie, als wir nun zu ihr traten. "Was habt ihr wieder für ein
Langes abzuhandeln? Aber nun kommt ins Haus! Die Gottsgab steht auf dem
Tisch; der Hafenmeister is auch schon da; und ein Brief vom Joseph und der
alt Meisterin! Aber was schaust mi denn so an, Bub?"
Der Meister lächelte. "Ich hab ihm was verraten, Mutter. Er will nun
sehen, ob du auch richtig noch das kleine Puppenspieler-Lisei bist!"
"Ja, freili!" erwiderte sie, und ein Blick voll Liebe flog zu ihrem Mann
hinüber. "Schau nur richti zu, Bub! Und wenn du es nit kannst
find'n--der da, der weiß es gar genau!"
Und der Meister legte schweigend seinen Arm um sie. Dann gingen wir ins
Haus zur Feier ihres Hochzeitstages.
Es waren prächtige Leute, der Paulsen und sein Puppenspieler-Lisei.
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