Keltische Knochen/Gedelöcke: Erzählungen - 6

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Auf einer Bastion der Festung, von welcher aus man eine weite Aussicht
über den Swinesund, die Stadt und die Berge hatte, stand an ein
Wallgeschütz gelehnt der Kommandant, und neben ihm sein Regimentsdoktor
Herr Snorro Skalholt der Isländer; während eine Schildwacht, ohngefähr
zwanzig Schritte ab, mit geschulterter Muskete auf und nieder ging.
Beide, der Gouverneur wie der Feldscherer, gähnten sehr, und dann sprach
der Herr von Knorpp:
»Daß man am Abend, wann man die Nachtmütze über die Ohren ziehet, seine
Kinnladen noch beieinander findet, ist doch ein Mirakul, Meister Snorro;
und wann man hier vom Parapet herunterguckt, pfui Teufel, man möchte der
ganzen zahmen, lumpigen, lausigen Welt auf den Kopf speien. Aus Wams und
Hosen möchte man fahren vor Ungeduld! 's war doch eine andere Zeit, als
vor dreizehn Jahren der tolle Karl sein Hauptquartier da drüben zu
Tistedalen hatte.«
»Gebe Er Frieden, Kommandante; was hilft Ihm der Skandal und Lärmen? Die
Jahre ziehen einem jeden zu seiner Zeit die Stiefeln aus,« sagte der
Isländer. »Sollte doch vermeinen, Er hab' der wilden Wirtschaft genug
gehabt in den dreißig Jahren, welche hindurch Er mich hinter sich
fortschleppt! Man wird eben alt und kahl und -- ^plus le singe s'élève,
plus il découvre^ -- Ihr wisset wohl, was. ^Sat, satis!^ was fehlet dem
bescheidenen, friedlichen Sinn und Gemüt allhier auf dieser hochgelobten
königlichen dänischen jungfräulichen Feste Friedrichsstein? Lasse Er mir
und lasse Er ihm selber Ruhe, das Postschiff kommt heut auch von
Christiania, und ich für mein Teil verlange nicht mehr von dem ^theatro
mundi^ zu erfahren, als was es uns in seinem Neuigkeitensacke
mitbringt.«
»Jawohl, das Postschiff, das ist auch solch ein leidig Labsal,« brummte
der Oberst. »Was spinnen und haspeln sie anders, als ihre elende
pragmatische Sanktion! Wann der richtige Tanz darob beginnt, Meister
Snorro, werden wir zwei beide wohl still genug liegen. Na, wie ist's mit
dem Schiffe, Mann?«
Diese letzte Frage galt der Schildwacht, welche salutierend den Kolben
der Muskete auf den Boden stieß und prompt rapportierte:
»Lief vor einer Viertelstunde allbereits in den Fjord!«
»^Bon^,« sagte der Kommandant, »steiget hernieder, Doktor, ich glaub',
wir haben für diesmal genug von diesem angenehmlichen ^point de vue^;
man kennt die Kuriosität zur Genüge. Was gibt es, Korporal?«
Der aus dem Innern der Festung emporsteigende Unteroffizier richtete
sich ordonnanzmäßig und griff an den Hut:
»Hab' dem Herrn Gouverneur zu vermelden, daß von der Stadt ein Subjektum
sich heraufgeschleppt hat, so mit dem Boot von Christiania angelangt
sein will, und am Tor in Ohnmächtigkeit verfallen ist. Sitzet miserabel
jetzt in der Kommandantur, winselt nach dem Herrn Gouverneur, -- halten
zu Gnaden, ein erbarmungswürdig Stück Menschheit, -- nennet sich
Monsieur David Bleichfeld, und --«
Mit offenem Munde blickte der Korporal Peter Pomperson seinem
Vorgesetzten und dem Doktor Skalholt nach.
»Bleichfeld?! Gedelöcke?!« hatte der Oberst geschrien, und schon hallten
seine Schritte in dem nächsten bedeckten Wege, und der Isländer folgte
ihm im Trabe auf den Fersen.
Gegen alle soldatische Würde langten in hastiger Atemlosigkeit die
beiden Herren in der Behausung des Gouverneurs an, und David Bleichfeld,
der Famulus des weiland Kurators Jens Pedersen Gedelöcke, wankte ihnen
entgegen, wahrlich ein Bildnis des Jammers und aller Perdition des
Leibes und der Seele!
In Lappen und Fetzen hing dem Armen sein schwarz Schulmeisterhabit um
die Knochen, im Frost schlugen die Knie aneinander, der bitterste Mangel
starrte aus den geröteten, tief eingesunkenen Augen, und zu einem
grimmen Hohn ward der Versuch der ausgemergelten Kreatur, dem Obristen
und dem Doktor Skalholt entgegenzulächeln. Abermals sank der Exfamulus
David Bleichfeld in Schwachheit zusammen.
»Packt ihn!« rief der Isländer. »Greifet dem Jammer sanfte unter die
Arme, Herr von Knorpp! Ins Bett mit ihm! Den Grütztopf ans Herdfeuer,
^agite, agite^! Das nennet man ^in extremis^ sein! He, he, he, Meister
Bleichfelde, haben sie Euch das Fell über die Ohren gezogen? Habt Ihr
Haare gelassen? Greifet zu, Herr Kommandante, habet Ihr Euch nicht
gleich vorgestellet, daß es also kommen werde? Es ist ein bös Ding, in
der Wespen Nest zu greifen, und es ist doch ein gut Ding um diese
sichere und edle Feste Friedrichsstein. Bringet den Narren zu Bett, Herr
Obrister von Knorpp!«

VII. Von dem Teufel, dem Herrn Polizeimeister und Seiner glorwürdigen
königlichen Majestät, Christiano dem Sechsten.
Erst am folgenden Tage hatte sich der Famulus insoweit erholet, daß er,
durch Kissen unterstützet, aufrecht im Bett sitzen und seine kläglichen
Erlebnisse seit dem zweiten Ostertage dem Gouverneur von Friedrichshall
und dem trefflichen Doktor Snorro Skalholt kommunizieren konnte.
»O meine lieben Herren,« seufzte er, »wie sind die Wasser über meinem
Haupte zusammengegangen, wie haben sie mich geducket in die Tiefe!«
»Und die allmächtige Bibliotheka?« fragte der Kommandant.
»Ist versunken mit allem, was an Fleisch und Philosophie, Mut und
Lebendigkeit an mir war, und ist nichts übrig geblieben, als was
Messieurs vor Ihnen sehen; -- horch, was war das?«
»Der Wind im Schornstein und des Kapitäns Storlands zahmer Bär. Fürchtet
Euch nicht vor Gespenstern; man fordert denenselben schon am Tor die
Parol ab. Referier Er weiter, Famulissime; nehme Er sich aber fortan
Seinen eigenen Weg und Seine Zeit --«
»Und nehme Er noch einen Schluck Schiedam,« fügte der Doktor bei; und
David Bleichfeld ließ das Gesicht in die Hände sinken; befolgte dann
auch des Herrn Skalholt räsonnabeln Rat und erzählte weiter; hatte aber
seinen eigenen Weg doch nicht ganz für sich allein: wie es denn auch von
dem Obristen Benediktus von Knorpp nicht zu verlangen war, daß er
während der lamentabeln Historia stillsitze und sich mit Wort und
Gebärde nicht rege.
»Herr Gouverneur und Herr Doktor,« sprach der Famulus, »es ist wohl das
beste, daß ich dem Faden nach erzähle; mein Gedächtnis ist gar schwach
geworden durch die übermenschliche Trübsal und große Verfolgung; aber so
wird sich wohl eins aus dem andern geben: wo lieget der Kurator Herr
Jens Pedersen Gedelöcke begraben, Herr Obrister?«
»Auf dem Garnisonskirchhof vor dem Ostertor,« antwortete der Gefragte;
aber der Famulus schüttelte sich fast den Kopf ab; der Kommandant fuhr
mit einem sehr bedenklichen Fluch in die Höhe, und der Feldscher rückte
mit Gekrach seinen Stuhl näher an das Bett und horchte mit weit
vorgestrecktem Halse.
»Jawohl auf dem Garnisonskirchhof!« winselte der Famulus. »Ein jeglich
alt Weib hatte den Teufel, so den Herrn Kuratorem fortgeführet, rumoren
hören in der Nacht; ein schweflicht Leuchten war über die Stadt
hingezogen, und das Gewässer im Kallebrostrand wie im Sund hat gesiedet
und gebrodelt wie die Suppe im Hafen. Vom Drei-Kronen-Fort aus hatte man
den Bösen auf einem schwarzen Gaul hoch in der Luft gesehen, und den
Herrn Kuratorem hatte er wie einen Sack vor sich über den Sattelknopf
geworfen, und bis nach Schoonen hinüber konnte man den feurigen
Hufschlag in den Wolken verfolgen. Das war gut, und wenig war dagegen zu
sagen, und ich lag im Fieber in meinem Kämmerlein, und die Wittib mit
dem Kind und alles Gesinde war vom Hause geflohen, ich hatt' es allein
mit dem Mutz, des seligen Herrn Kater. Und das Fieber hatte mich, und
war ich wie der Vogel Strauß, so den Kopf in den Sand stecket, und hatte
eine große Furcht. Das Volk in der Gasse stund zu Haufen, steckte die
Köpfe zusammen, flüsterte und deutete mit den Fingern, und als ihr
Herren vielleicht mit Skagen in Sicht segeltet, da klopften der
geistliche und weltliche Arm ^a tempo^ an meine verriegelte Tür, und der
Herr Polizeimeister kam in Persona, begleitet von Herrn Hieronymus
Moekel und dem Küster Jesse Brägge; da war ich wie der Maulwurf auf dem
Spaten! Sie drangen herein im Namen königlicher Majestät und riefen Wehe
über mich im Namen ^summi episcopi^ und in ihrem eigenen Namen, und Ihn,
Herr Obrister von Knorpp, und Ihn, Herr Snorro, hätten sie gar zu gerne
zurückgehabt; aber ich hab' den Kelch allein saufen müssen bis zur
Hefen. Die halbe Stadt Kopenhagen ist vors Verhör gezogen, und die
geistlichen Herren haben natürlich das letzte und das höchste Wort
gehabt und klar dargetan, daß Jens Pedersen Gedelöcke nicht als ein
gläubiger Christ, sondern als ein ungläubiger Jud gestorben sei, daß ihm
nicht gebühre ein christlich Begräbnis, und also ist das Zeugenverhör
und Gutachten vom hochlöblichen Polizeigericht Königlicher Majestät
untertänigst unterbreitet, und am Dreiundzwanzigsten Maji ist
Königlicher Majestät allergnädigste Resolution dem Herrn Polizeimeister
zugestellet worden.«
»Da haben wir's! Himmel und Hölle, jetzt sehe ich es kommen! O
Gedelöcke, Gedelöcke!« schrie der Obrist.
»O Mynheer van der Tromp, welch ein gutes Los ist Euch zuteil worden!«
sprach grinsend der isländische Doktor. »Weiter, weiter, Monsieur
Bleichfelde, auch ich sehe es kommen, und es brauet dick in der Höhe.
Wäre dem Herrn Ludovico Holbergio nicht der Fuchsschwanz hintenan
gebunden, er könnte ein fein Stücklein darüber in Reime bringen.«
»Und am fünfundzwanzigsten Maji,« fuhr der Famulus fort, »bei
Sonnenaufgang holten sie mich herfür aus dem Loch und stießen mich mit
den Kolben durch die Gassen, und ganz Kopenhagen schwarmete vor, zur
Seiten und hinterher, schrie Zeter und warf nach mir mit Kot und
Steinen. Da hatten nach allergnädigstem hohen königlichen Befehl der
Herr Polizeimeister die Ältesten der jüdischen Nation zu ihme
beschieden, und wurde ihres Volkes eine Menge von denen Polizeibedienten
und Stadtwächtern zusammengeholet aus ihren Häusern, Schulen und
Synagogen, und mußten sie auch die Trauerkutschen zahlen. Deren hielten
eine Menge vor dem Polizeihaus, und als nun das neue Leichgeleit
beieinander war, da zogen sie mich in die erste Kutsch als fürnehmsten
Pullatum oder Leidträger, und der Juden Älteste setzeten sie zu zwei
oder drei in die nachfolgenden Wagen mit Polizeibedienten zur Wacht
untermenget. Dann führete die Miliz mit Ober- und Untergewehr die junge
Judenschaft nach, und mit einer besonderen Wacht kam der Fuhrmann, so
mit uns den Herrn Kuratorem zum Garnisonskirchhof fuhr; der
Scharfrichter zu Pferde und seine Knechte mit dem Schinderkarren
beschlossen den Zug. So zogen wir wieder zum Ostertor hinaus, und als
wir auf dem Kirchhof ankamen, da war der Herr Polizeimeister schon
angelanget, und es marschierte ein Kommando Grenadiers unter einem
Oberoffizier heran. Da wurden drei Kreise um das Grab geschlossen, so
wir unserm Freund und Patron dem Kurator Jens Pedersen Gedelöcke gemacht
hatten; der erste von den Grenadiers, der zweite von den Wächtern mit
ihren Morgensternen, der dritte und Hauptkreis von denen Beamten und
Offizieren. Und wie alles in der Ordnung war, da wurde unter
Trommelschlag das Gewehr präsentiert und vom Polizeimeister
allergnädigste hohe königliche Resolution verlesen, wie daß Jens
Pedersen Gedelöcke, der, obwohl vorhero ein Christ, als ein Jude starb,
nicht würdig und wert sei, auf christlichem Gottesacker zu ruhen unter
denen christlichen Kriegesleuten, und daß er, Jens Pedersen Gedelöcke,
derowegen von den Ältesten der jüdischen Nation sollte wiederum
aufgegraben, nach ihrem eigenen Kirchhof transportieret und daselbsten
von neuem beigesetzt werden; -- mit Hilfe des Scharfrichters und seiner
Knechte, wann sie -- die Juden -- es nicht alleine verrichten könnten
und wollten. Da wurden die Schaufeln dem Rabbiner vor die Füße auf das
Grab geworfen, und wie es geschrieben stand, ist es geschehen, der Sarg
ist aufgewühlet und mit Hammer und Zange eröffnet, und sie haben mich
herzugerissen, den Leichnam zu erkennen, und unter Hohn und Spott,
Lachen und Geschrei, ist der Kurator fortgetragen bis zu dem jüdischen
Leichenwagen, so auf vieles Flehen und Bitten anstatt des
Schinderkarrens zugestanden war. Nun mußte der Rabbi als fürnehmster
Sorgmann hinter dem Wagen gehen, dann trieben sie paarweise das andere
verspottete Volk nach dem Alter, und die Miliz und die Polizeibeamten
schritten zur Seiten, auf daß keiner ausweiche, und die Wächter mit den
Morgensternen beschlossen den Kondukt. So ist mein teurer Herr zum
zweiten Male beigesetzet worden auf dem Judenkirchhof und sein Testament
kassieret. In böser Krankheit hab' ich im Spital gelegen, und als ich
des Bewußtseins wieder mächtig war, haben sie mich mit Schande aus der
Stadt gejaget, und in Christiania hab' ich wieder krank gelegen, und nun
bin ich hier --«
»Heule Er nicht, Bleichfelde,« sprach der Obriste Benediktus von Knorpp,
welchem die Pfeife längst ausgegangen war. »Wir wollen Ihn schon wieder
auf die Beine bringen; was aberst den Jens Pedersen betrifft, so möcht'
ich selbsten grad heraus heulen; denn niemalen sind vier so anständige
und wackere Gesellen, wie er und ich, und Er, Meister David, und Er,
Doktor Snorro, so heillos und miserabel abgetrumpfet und mit der Nasen
in den Sumpf gestoßen worden! O Gedelöcke, Gedelöcke; -- was saget Er,
Snorro?«
Ehe der isländische Doktor seine Opinion kundmachen konnte, wurde die
Tür aufgerissen, und wieder stand der Korporal Peter Pomperson da, griff
an den Hut und rapportierte --

VIII. Zum Beschluß:
»Vermelde dem Herrn Gouverneur zu Gnaden, daß wiederum ein Subjektum von
der Stadt heraufgestiegen ist. Kam mit dem Schoner Margareth von
Göthaborg, sitzet mit seinem Sack und mit Zähneklappen auf der Trepp und
nennet sich mit seinen Namen Henrich Israel, weiland der Juden Vorsinger
zu Kopenhagen.«
Dieses Mal tat der Doktor Snorro einen langen Pfiff; der Famulus David
Bleichfeld schnellte gleich einem Lachs aus seinen Kissen auf, und der
Obrist von Knorpp ächzte:
»Herein, herein, ich lasse alles über mich ergehen, und wo man mich in
meinen Sünden vergraben wird, ist mir auch einerlei: Marsch, Korporal,
bringe Er den Juden.«
Der Korporal trat ab, und nach einer Minute vernahm man draußen ein
Zerren und Schlurfen und eine weinerliche Stimme, so sich höchlichst
entschuldigte der großen Störung und Molesten halber; dann wurde die
Türe zum zweiten Male geöffnet, und von der kräftigen Faust Peter
Pompersons vorgestoßen, flog der Meister Henrich Israel in das Gemach:
»Gott Abrahams und Jakobs, welch ein Schicksal!«
Es vermag aber keine Feder das gegenseitige Anstarren zu schildern.
»Seid Ihr es? Seid Ihr's im Fleisch und Gebein, Meister Israel?« rief
der Exfamulus. »Wie sehet Ihr aus? Wer hat denn Euch also mitspielen
können? ^Eheu, eheu^, welch ein Schauspiel, welch eine Wehmut!«
»Meine eigene Mutter möcht' mich wohl nicht wiedererkennen; -- was haben
die Herren nötig, -- feine Seif', Haarband, den Zopf zu wickeln? Tausend
Lieblichkeiten; -- soll ich aufmachen den Kasten? soll ich aufbinden den
Sack?«
»Wer schicket Ihn dergestalt durch das Land?« fragte der Doktor
Skalholt. »Was ist aus seinem Vorsingertum worden? wer hat Ihn also in
den Klauen gehabt?«
Des armen Teufels Standhaftigkeit hielt nicht länger; in lautes Weinen
brach der wandernde Krämer Henrich Israel aus, und mit Händeringen rief
er:
»Bin ich noch länger Vorsinger an der Synagog' zu Kopenhagen, wie ich es
bin gewesen an die zwanzig Jahr? Nein, ich bin es nicht. Der arme Jüd
hungert und friert auf der Landstraß'; sie haben ihn ausgestoßen um den
Kurator Jens Pedersen Gedelöcke; sie haben ihm den Ehrenrock ausgezogen
und ihm den Bettelsack angehängt. Gott meiner Väter, weil er ein
Gelehrter im Tempel war und Bescheid wußt' im Gesetz und reden konnt'
darüber, haben sie ihn gestoßen vom Stuhl und seinem Gesang ein Ende
gemachet --«
»Hoho, ich riech's, ich riech's,« rief der Kommandant, »da haben wir das
Schwanzende! Auf Ihn, Henrich Israel, ist's zu allerletzten ausgegangen,
und weilen er mit dem Kurator den Mosen und die Propheten traktieret und
ihm vorgesungen hat, hat seine Nation Ihm den Greuel in den Schuh
geschoben, und ist über Ihn hergefallen mit den Fingernägeln! Denn
sintemalen nun der Jens begraben lieget auf der Jüden Kirchhof --«
»Lieget er begraben auf der Jüden Kirchhof?« schrie der Meister Israel
im höchsten und kläglichsten Diskant. »Mit nichten lieget er auf der
Jüden Kirchhof! Auf dem freien Felde liegt er, und das Vieh weidet über
seinem Grabe.«
Der Exfamulus hatte seine Bettdecke von sich geschleudert und stand mit
den nackten Füßen auf dem Boden; der Obriste Benediktus von Knorpp hatte
seine tönerne Pfeife an die Wand geworfen und hielt den Exvorsinger an
der Gurgel; der isländische Doktor Snorro Skalholt aber -- griff ruhig
nach dem Krug Schiedammer und sprach mit Gelassenheit:
»^Simplex sigillum veri^, sagte mein Freund, Herr Hermann Boerhavius zu
Leyden; verzähle Er weiter, Monsieur Israel.«
Mit einem tiefen Seufzer hatte der Obrist die Kehle des unglücklichen
Hebräers losgelassen und war kraftlos auf den nächsten Stuhl gefallen;
der Famulus des weiland Kurators Jens Pedersen Gedelöcke hatte die Füße
von den kalten Platten wieder in die Höhe und die Decke über sich
gezogen; der Exvorsinger von Kopenhagen sprach mit Zittern weiter:
»Bin ich nicht gekommen deshalb über Fels und Wasser, durch die Wüste
und den Wald, zu sagen, wie es ausgegangen ist mit dem Herrn Kuratore?
Mein, wie konnten sie ihn lassen liegen unter ihren Vätern, da er doch
nicht ein Jüd war, sondern ein christlicher Mann, wie es keinen bessern
gab im Königreich Dänemark und Norwegen?! Wohl haben sie mich
aufgegriffen, um daß ich den Spott über sie gebracht hätt', und sind
über mir zu Gericht gesessen, weilen mich der Verstorbene für seinen
Freund hielt und mit mir das Gesetz und die Zeremonien beredete. Es war
ein groß Wehklagen und Wimmern in unserm Volk ob der Unreinigkeit, so
auf es geleget war; und alt und jung hat im Sack und in der Asche
gesessen bei Tag und Nacht und zum Herrn geflehet, wie die Väter vordem
fleheten gegen den Antiochus, gegen Assyria und Babylon, gegen den König
aus dem Land Chitim und die Stadt Rom. Und der Gott Abrahams hat den
Jammer angesehen und sein Volk erlöset aus der Schmach um hundert
Dukaten, die hat man erleget an den Konvent, so auch das Seidenhaus
genennet ist. Ist um solche hundert Dukaten eine neue Resolution
ergangen, des Sinnes, daß, weilen auch die Jüden des weiland Kuratoris
Jens Pedersen Gedelöcken Leichnam nicht wollten, sie ihn zum zweiten Mal
wieder aufgraben dörften und zum dritten Mal ihn beisetzen zweihundert
Schritte von ihrem Totenacker auf dem allgemeinen Feld. Haben die
Rabbiner und Ältesten mich herfürgezogen aus dem Winkel und mir die
Schaufeln auf die Schulter geleget und mich hingeführet zu dem Ort der
Unreinigkeit; da hab' ich mit Tränen die steinichte Erd aufgegraben, und
mit Stricken ist der vermoderte Sarg aufgezogen und dann zum dritten Mal
verscharret. Da hat die Stadt wiederum ihr Gaudium gehabt; ich aber bin
mit Tränen hinausgegangen aus der Gemeinde, und sie haben mir
nachgespieen in das Elend. Ich bin ausgestoßen worden aus der
Gemeinschaft meines Volkes; wenn ich läge, wo der Herr Kurator lieget,
so würde es besser um mich bestellet sein.«
»Hat einer hierzu noch irgend etwas zu sagen?« rief der Doktor Snorro
Skalholt, und als niemand den Mund auftat, sprach er selber:
»Wenn ich in Bedacht nehme, wie alt der Mensch werden kann, ohne
aufzuhören, ein Esel zu sein, so möchte ich mir selber zu einem Greuel
werden. Da bin ich jung geworden zu Reikiawik im alten, klugen Island,
und war auch meine Frau Mutter eine merkwürdig gescheite Frau. Da hab'
ich studieret mit dem weltberühmten Boerhavius zu Leyden auf der
glorreichsten Universität, und sie haben mir ins Testimonium
geschrieben, daß es nichts Geringes sei um mein Ingenium, hab' mir auch
sonsten zu Paris, Bologna und in Teutschland mit Finessen, Schlauheit
und guter Kapazität fortgeholfen; bin mit offenem Aug' an die dreißig
Jahr hinter diesem hier gegenwärtigen Herrn Benediktus von Knorpp, ^pro
tempore^ Gouverneur von Friedrichshall, hergezogen, einerlei ob zur
Viktoria oder Retirade. Hab' mir fortgeholfen bis zu dem heutigen Tage,
sintemalen ich mich immer ans Messer gehalten hab' und niemalen an die
Fiduz auf die Menschheit. O Jens Pedersen Gedelöcke, wie hat die
Narrheit dem Snorro Skalholt das Bein gestellet! Pardauz, da stolpert
der Tropf über deinen Leichnam und schlägt hin auf die kluge Nase, daß
es krachet. Ja, der kluge, kluge Snorro Skalholt, dem Mynheer van der
Tromp und ganz Holland nicht zu viel waren, wie hat er sich durch Ihn
und für Ihn übertölpeln lassen, Herr Gedelöcke! O Kommandante, wie sind
sie über uns gekommen, Christen und Juden, der Herr Hieronymus Moekel
wie Meister Jakob Jakobson, der Oberrabbiner! Pfui, Pfui, das ist noch
siebenmal schlimmer denn die Bataille bei Helsingborg, wo wir so wacker
vor dem Stenbock liefen; -- was saget Er jetzo zu diesem stillen Winkel
hinter den Leuten, Obrister von Knorpp? Hat Er Lust, seine fürwitzige
Nase noch einmal hinauszuschieben in die Welt nach solcher Blamage?«
»Tornea und Wardoehuus wären mir lieber!« stöhnte der Gouverneur von
Friedrichshall. »O Jens, Jens, o Jens Pedersen Gedelöcke, du magst wohl
lachen da drüben; aber unsereinem wird's doch schwarz vor den Augen, und
wer nicht rabiat wird, wie der alte Benedikt Knorpp, der setzet sich in
die Jammerecke wie dort der David, oder ziehet mit Winseln durch das
Land, wie der dort mit dem Bettelsack. Holla, an die Gewehre; auf Schloß
Friedrichsstein bin ich Gouverneur, und wer sich hinter mich stellet,
der soll fürs erste fein sicher stehen. O Gedelöcke, Gedelöcke, es war
doch ein lustiger Sommertag in Rosenborg-Have; -- rücke Er an den Tisch,
Monsieur Henrich Israel, stelle Er den Stock hinter den Ofen; -- o Jens
Pedersen Gedelöcke, wer lange lebt, kann vieles erleben; schiebe Er den
Krug herzu, Meister Snorro, die Welt will einmal Fangball spielen, und
wir können's nicht hindern; morgen geb' ich's ihm ^manu propria^
schriftlich, daß er mit meinem abgelegten Pelz nach Seiner Kunst und
Begierde anfangen mag, was Ihm beliebet!«
Hierauf sah der isländische Feldscherer Snorro Skalholt zum ersten Mal
in dieser Historie aus wie ein Mensch; und mit sonderbarer
Vergnüglichkeit schmunzelnd sprach er:
»Kommandante, da hat er doch endlich einmal einen verständigen Einfall!
Hätt's Ihme fast nicht mehr zugetrauet.«


Anmerkungen zur Transkription

Der Originaltext ist in Fraktur gesetzt. Hervorhebungen, die im
Original g e s p e r r t sind, wurden mit Unterstrichen wie _hier_
gekennzeichnet. Fremdsprachige Textstellen, die im Original in Antiqua
gesetzt sind, wurden ^so^ markiert.
Einfache Anführungszeichen wurden durch ">" und "<" ersetzt.
Offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert wie hier aufgeführt
(vorher/nachher):
[S. 15]:
... Baedecker, daß in Hallstadt weder Pferd noch- ...
... Baedecker, daß in Hallstadt weder Pferd noch ...
[S. 18]:
... und tränenvolle Mittelung machte, wie genannter ...
... und tränenvolle Mitteilung machte, wie genannter ...
[S. 25]:
... Die Kochen schwimmen nicht fort, und ich kann warten. ...
... Die Knochen schwimmen nicht fort, und ich kann warten. ...
[S. 27]:
... einander vor, und der Profsseor offenbarte eine neue ...
... einander vor, und der Professor offenbarte eine neue ...
[S. 28]:
... wechselten?! seufzte Zuckriegel. »Sie können sich ...
... wechselten?!« seufzte Zuckriegel. »Sie können sich ...
[S. 31]:
... Auch mich nicht; ich flehe inständigst darum!« sagte ...
... »Auch mich nicht; ich flehe inständigst darum!« sagte ...
[S. 42]:
... Don Quixote, , daß ich mich im Lager des Agramant ...
... Don Quixote, daß ich mich im Lager des Agramant ...
[S. 50]:
... Um neun Uhr wolllte man aufbrechen zu diesem ...
... Um neun Uhr wollte man aufbrechen zu diesem ...
[S. 58]:
... ab -- halten Sie ihre Aufmerksakeit nur einen kurzen ...
... ab -- halten Sie ihre Aufmerksamkeit nur einen kurzen ...
[S. 63]:
... Maid schug den Deckel des Kastens zurück, mit ...
... Maid schlug den Deckel des Kastens zurück, mit ...
[S. 87]:
... uns sodann ihre treffliche Opinion mitteilen. ...
... uns sodann ihre treffliche Opinion mitteilen.« ...
[S. 96]:
... Paraphrasen, Noten und Zitaten. Da er ein recht gegelehrter ...
... Paraphrasen, Noten und Zitaten. Da er ein recht gelehrter ...
[S. 101]:
... kauerten verschüchtert um den Küchenherd, und Madam ...
... kauerten verschüchtert um den Küchenherd, und Madame ...
[S. 104]:
... »Herr Kuratore,« sprach der Famulus; ich liebe ...
... »Herr Kuratore,« sprach der Famulus; »ich liebe ...
[S. 107]:
... 1731 sein Wort war, und ging mit dem Gefühl, als ...
... 1731 sein Wort wahr, und ging mit dem Gefühl, als ...
[S. 115]:
... »Weiß Er, David Bleichfeld, was er mir hier schreibt? ...
... »Weiß Er, David Bleichfeld, was er mir hier schreibt?« ...
[S. 118]:
... »Gut Freund, Meister Snorro Skaholt! Steige Er ...
... »Gut Freund, Meister Snorro Skalholt! Steige Er ...
[S. 118]:
... »Herunter mir dir, Island!« schrie der Kriegsmann. ...
... »Herunter mit dir, Island!« schrie der Kriegsmann. ...
[S. 119]:
... in die Schlachtlinie gerückt, und Er, Skaholt, lasse Er ...
... in die Schlachtlinie gerückt, und Er, Skalholt, lasse Er ...
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