Keltische Knochen/Gedelöcke: Erzählungen - 4

Total number of words is 4327
Total number of unique words is 1664
34.5 of words are in the 2000 most common words
46.4 of words are in the 5000 most common words
52.1 of words are in the 8000 most common words
Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
aller gottseligen Leute nicht so leicht dazu zu bringen, in solchem
Falle einen Spezialbefehl ergehen zu lassen; er war ein feiner, lustiger
und polierter Herr, welcher seine Freude am Leben hatte, und jeglichen
Untertan für das Heil seiner Seele selber sorgen ließ. Wie konnte er,
der sogar das Privilegium für das erste dänische Nationaltheater gab und
den »politischen Kannegießer« selbst darin belachte, welcher von seinen
französischen Komödianten mit sehr merkwürdigem Gusto den Tartüffe des
Monsieur Molière agieren ließ, -- dazu gebracht werden, einem Untertan
ins Haus zu rücken, weil die Nachbarschaft behauptete: der Mann
verrichte seine Andacht mit Gebärden, Neigungen des Hauptes und in einem
leinenen Kragen, welche dem lutherischen christlichen Ritus und
Zeremonial ein Greuel seien? Er tat's nicht, und der Kurator blieb in
dem, was er tat, und dem, was er unterließ, insoweit unangefochten; aber
es war ein Glück für ihn -- Herrn Jens Pedersen Gedelöcke, -- daß er, --
als königliche Majestät in dem Jahre 1730 das Zeitliche segnete, über
jegliche Anfechtung sich ebenfalls schleunigst erhob. Herr Christianus
des Namens der Sechste stieg auf den dänischen Thron, der »dänischen
Komödie Leichenbegängnis« wurde aufgeführt; die dänische Welt veränderte
in jeder Weise ihr Gesicht; doch das ist unsere Geschichte.

II. Von den Herren Doktores Primus ^et^ Sekundus, imgleichen der Frau
Mette Gedelöcke und dem ehrwürdigen Herrn Hieronymus Moekel von der
Trinitatiskirche.
Es war an einem Nachmittag im unfreundlichen Monat Februar des Jahres
1731, als zwei Ärzte, zu gleicher Zeit eilends herbeibeschieden, vor der
Tür des Kurators anlangten und beim gegenseitigen Anblick die
perückenbedeckten Häupter erhoben und jenes Lächeln erzwangen, welches
so viel schwerer zu prästieren ist, als ein Fußtritt oder ein
Faustschlag. Die Namen der beiden Herren sind unsern genauesten
Nachforschungen entgangen; so wollen wir denn jenen, der in einer Sänfte
durch die strömenden Regenfluten heranschwankte, den Doktor Primus, und
jenen, welcher in seiner stattlichen Karosse eine halbe Minute später
anlangte, den Doktor Sekundus nennen. Sie waren beide glänzende Lichter
in ihrer Kunst und Wissenschaft, und es war eine Freude, ihren gelahrten
Diskussionen zuzuhören, vorausgesetzt, daß der Hörer ihnen nicht selber
die Zunge zu zeigen hatte. Wenn Herr Jens Pedersen Gedelöcke sie beide
zu sich gebeten hatte, so konnte dies für ein Zeichen genommen werden,
daß es freilich zum Schlimmsten und Letzten gekommen sei, denn er wußte
sonst ziemlich genau, was er tat; es fand sich aber, daß sie nicht auf
seine eigene Einladung kamen.
Die beiden gelehrten Herren begrüßten einander auf dem Hausflur des
Kurators, wie es sich schickte, mit einem ^bonus dies, Collega!^ einem
^Serviteur!^ und ^quid agis?^ --, neigeten längere Zeit an der untersten
Stufe der Treppe um den Vortritt die Häupter gegeneinander, hoben und
senkten deprezierend die Achseln und schritten sodann in gleicher Linie
nebeneinander aufwärts zum Zimmer des Patienten, vor dessen Türe sie
Madame mit betrübtem Kompliment in Empfang nahm, und zwar mit dem Finger
auf dem Munde, zum Zeichen, daß Fürsicht und Stillschweigen das erste
sei, was sie von den Herren erbitte. Aus dem Krankenzimmer vernahm man
einen merkwürdigen Gesang, und auf den Zehen schreitend führte die Frau
Mette Gedelöcke die beiden Doktoren in ein Nebengemach, allwo sie zu
ihrer nicht geringen Verwunderung den Pfarrherrn der Trinitatiskirche,
Herrn Hieronymus Moekel, in tiefes kummervolles Nachsinnen und in einen
sehr großen Armstuhl versunken, bereits vorfanden. Da geschah wiederum
jenes würdige und zierliche Begrüßen, welches von dem achtzehnten
Jahrhundert zu solcher Blüte und Vollkommenheit gebracht worden ist,
dessen Wissenschaft und Ausübung aber im neunzehnten Säkulum leider
verloren ging und im zwanzigsten vielleicht wiedergefunden wird. Die
beiden hochpreislichen Fakultäten taten einander alle gebührenden Ehren
an, während die hochbetrübte Hausfrau mit dem Nastuch vor den Augen dazu
knixte und sich mit Wimmern und Geschluchz um die große Ehre und
Hilfsbereitschaft, so ihr und ihrem Hause von den Herren erwiesen
wurden, einmal über das andere bedankte. Erst als der Sitte und dem
^decoro^ in jeder Weise genug getan war, konnte, unter fortwährendem
Horchen auf den fremdartigen Gesang hinter der Wand, die Konversation
auf das Wichtigere geleitet werden, und der Doktor Primus tat dieses,
indem er bemerkte:
»Brauche ich Madame leider kaum zu befragen, wie es dem Herrn
Eheliebsten am heutigen Tage ergehe. Solches ist das rechte Wetter, die
^salia^ zu koagulieren, solches ist die Witterung derer Podagristen;
aber der Herr Kollega werden mir beifallen, wenn ich Madame die
Versicherung gebe, daß der Patienten Ungebärdigkeit nicht das Schlimmste
ist, was der Medikus auf seinem Wege zu sehen und hören wünschet. Und
Madame darf sich keine unnötigen Sorgen machen, des Herrn Kollegen
Sekundi ^Tinctura solis^ wird auch heut schon das Acidum obtundieren;
der Herr Ehegemahl befindet sich in guter Hand.«
»Die da sündigen, werden dem Arzt in die Hände fallen,« sprach der Herr
Hieronymus, das Haupt mit drohender Betrübnis senkend, während die
Doktoren schnell die Köpfe in die Höhe warfen, und der gelahrte Herr
Sekundus die Gelegenheit nahm, mit einer neuen tiefen Reverenz sich bei
Seiner Ehrwürden nach dem Verlauf des jüngsten Konsistorialessens und
der darauf erfolgten Indigestion zu erkundigen, worauf Herr Hieronymus
das Gespräch abermals näher zum Zweck führte:
»Messieurs belieben doch Platz zu behalten. Madame hat uns zu einer
wichtigen Konsultation zusammenberufen in dieses Haus, allwo leider der
Arzt des Leibes und der Arzt der unsterblichen Seele zu gleicher Zeit zu
tun haben. Wahrlich, Madame hat als ein fromm christlich Eheweib
gehandelt und ihre Bürde mit Tränen auf sich genommen. Dieses ist ein
Haus worden, dessen Lieblichkeit zu übelm Geruch sich wandelte, ein
Haus, dessen Tür belagert ist von unheiligen Geistern, so mit
Zähnefletschen, Schweifringeln und Schlagen, mit verhaltenem Gebell und
Geheul bei Tag und Nacht Einlaß begehren, löblicher Stadt und allem
christlich lutherischen Volk zum Skandalum, zum allerschrecklichsten
Ärgernis. Ja, die Herren wissen bereits, daß der böse Feind allbereits
eingedrungen ist und neben dem Lager des Hausherrn sitzet und sich über
ihn beuget und die Zähne mit Triumph blecket. Es klinget ein
absonderlicher Sang in unser Ohr; aber Madame möge reden, und Messieurs
mögen hören und uns sodann ihre treffliche Opinion mitteilen.«
»Ich bitte!« fiel der Doktor Primus vorerst dazwischen. »Es ist vor
allem weitern die Frage zu stellen, ob wir hieher berufen seien als
Medici oder als Theologi? Was saget der Herr Kollega?«
»Ich stimme dem Herrn Kollega bei und stelle mit ihm dieselbe Frage.«
»Messieurs,« rief der Pfarrherr mit großem Ernst, »wir sind hier in der
dänischen Stadt Kopenhagen, allwo kein Inquisitionsgericht Sitzung hält
über die Meinungen, doch weiß hochehrwürdiges königliches Konsistorium
sich auch verpflichtet vor Gott und Seiner Majestät, unserm königlichen
Herrn Christian dem Sechsten. Man spreche, wie man zu sprechen weiß; es
wird an andern liegen, die Conclusiones zu ziehen.«
»Ihr Herren, ihr liebe Herren,« jammerte die Frau Mette, »in ganz
Kopenhagen, auf ganz Seeland gibt's keine unglücklichere, geschlagenere
Seele, denn meine. Sie weisen in der Kirche und in den Gassen mit den
Fingern auf mich: >Sehet, da gehet das Weib des christlichen Juden!< --
ich weiß mir am Ende nicht mehr zu helfen, und kann's nur ertragen, weil
mich der Herr Jesus Christus darzu erschaffen hat. Ich bin von
lutherischen frommen Eltern allhier geboren, und mein Mann ist aus
Helsingör und auch von christlichen Eltern geboren, solches ist ja von
der Kanzel abgelesen bei unserer Trauung. Ich will auch in meinem
lutherischen Glauben sterben; aber die Zungen der Leute bringen mich vor
der Zeit um, und -- drinnen liegt er, und der Juden Vorsänger, Meister
Henrich Israel, sitzet neben seinem Bett und muß ihm psalmodieren, und
es wird von Tage zu Tage schlimmer, wie er mit seiner ewigen Seligkeit
umgehet, und kein christlich Wort mehr annehmen will, und mit den
Rabbinern und jüdischen Schriftgelehrten mehr Gemeinschaft pflegt als
mit seinem ehrlichen Eheweibe, so ihm doch bei Tag und Nacht den Fuß in
Wolle schlagen und des Herrn Doktors Sekundi preiswürdige Medikamente
eingeben muß. Ich habe es getragen, getragen, getragen; aber es hat
alles sein Ende, und so habe ich es zuletzt zum Herrn Hieronymus Moekel
von Trinitatis getragen, und vor seiner Weisheit, Tugend und
Gottesfürchtigkeit meine Last abgeleget --«
»Und Madame hat gar wohl daran getan,« fiel der Pfarrherr wieder ein;
»und die Herren belieben wohl Achtung zu geben und auf jenen Gesang
hinter der Wand mit Bedacht zu horchen. Wahrlich, es handelt sich hier
darum, christliche Gemeinschaft der Heiligen und ein reines Evangelium
vor einem großen und unersetzlichen Schaden und einem stinkenden
Ärgernis zu bewahren. Messieurs haben den Herrn Kuratorem dem Leibe nach
in allen frühern ^Morbis^ und Hinfälligkeiten behandelt; nunmehro aber
handelt es sich um eines angesehenen und wohlbekannten Mannes besseres
Teil, und die Herren mögen wohl in Obacht nehmen, daß ihr Wort gewogen
wird vor einem hochwürdigen Konsistorio, vor königlicher Majestät
erhabenem Thron und zuletzt droben mit der allerletzten Wagschale. So
sprechen denn die Herren und sagen, ob der Kurator Herr Jens Pedersen
Gedelöcke ^mentis compos^, bei gesunden Sinnen sei und ein verlorener,
verruchter Sünder, einer so die Schafe lässet und sich zu den Böcken
gesellet; -- oder ob ihn des Herrn Hand mit Wahnsinn geschlagen und nur
das Irrenhaus mit einem Hirntollen abzurechnen habe?!«
»Herr Hieronymus und liebwerte Madame,« sprachen beide Doktoren mit
bedächtigem Kopfneigen; »es ist unsere feste Überzeugung und Meinung,
daß der Herr Jens Pedersen Gedelöcke nur am Podagra laborieret, und daß,
wenn es, was der Himmel verhüten möge, zum Schlimmsten gehen sollte,
viel mehr Expektanz vorhanden ist, die Krankheit steige ihm in den
Magen, denn in den Kopf; als welchen letzteren es nach unserer
Bekanntschaft in dieser erleuchteten Stadt Kopenhagen kaum einen zweiten
gleich hellen gibt.«
»So ist dieses Haus auserlesen, für alle Zeiten im feurigen Lichte des
Verderbens zu scheinen!« rief der geistliche Herr mit erhobenen Händen;
»und von dem Manne hinter der Wand wird's heißen:
Die, so den großen Gott und seiner Botschaft spotten,
Verschlingt der Schwefelpfuhl wie Kor- und Satans Rotten!
Es ist der Juden Vorsinger, Henrich Israel, so ihm jetzo seine
Leibstücklein vorpfeifet, -- wahrlich ein Psalm für einen, so in der
reinen Lehre geboren, erzogen und aufgewachsen ist. Wehe, wer wird ihm
singen, wenn die Seele den körperlichen Leib verlassen hat? O Frau,
Fraue, wahrlich ist Ihr ein schwer Schicksal auferlegt worden!«
Der ehrwürdige Herr redete sich in immer größere Emotion, die Frau Mette
rang mit Wimmern und Winseln die Hände, und beide Doktoren hatten das
Kinn auf den Stockknopf gestützt und starrten ins Graue. Da schwieg die
Stimme Judäas, und still ward's auch im betrübten Konklave, als ein
hager und gelb Gesicht sich in die leise geöffnete Tür schob und ein
breiter Mund sich vernehmen ließ:
»Madame, der Herr Kurator wünscht die pläsierliche Kompanie, so allhier
bei Ihr versammelt ist, auch bei sich zu bekomplimentieren!«
Sotane Visage eignete Herrn David Bleichfeld, dem Famulo des Herrn
Pedersen Gedelöcke, und zog sich ebenso schnell zurück, als sie sich
langsam vorgeschoben hatte.

III. Von dem Famulo Herrn David Bleichfeld.
In einem ziemlich großen, dunkelgrün ausgeschlagenen Gemach stand das
Bett des Kurators, zu Häupten vor allem bösen Zugwind durch eine
spanische Wand geschirmet, auf welcher allerlei chinesisches Volk Tee
trank, auch in Gartenhäusern sich erlustierte oder mit großen
Sonnenschirmen spazieren ging. Von dem Kurator selber erblickte man
wenig mehr, als die mächtige Zipfelmütze, das rote, indische Tuch, mit
welchem die Stirn umwunden war, und die blaue Nase, welche eine nicht
geringe Ähnlichkeit mit der einer dänischen Bulldogge hatte, deren
Konterfei dem Bett gegenüber an der Wand zu sehen war. Beim Eintritt der
Gattin, des geistlichen Herrn und der beiden Ärzte erhob sich die Nase
um ein weniges; der Famulus schob dem Kranken noch ein Kissen unter den
Kopf, worauf die hohe Nachtmütze mit recht freundlichem Nicken den
Besuch begrüßte, und der Kurator sprach:
»Ei guten Tag Messieurs; ich gratuliere mir zu dieser schönen
Gesellschaft. Davide, setze Er Stühle; ^mon coeur^, frage, womit wir
aufwarten können; ein Gläschen spanischen Weines wird eine
Annehmlichkeit um diese Zeit des Tages sein, wie ich selber eine häufige
Erfahrung davon habe.«
Der Doktor Primus räusperte sich mit einem würdigen Lächeln, und der
Doktor Sekundus klärte seine Kehle auf dieselbe Weise, allein Herr
Hieronymus sprach mit abwehrender Handbewegung:
»Wir danken dem Herrn Kuratori, doch gelüstet unserer Zunge nicht nach
irdischem Wohlschmack. Diese zwo Herren führt ihr leiblicher und mich
mein geistlicher Beruf hieher.«
»Ei, ei,« sagte Jens Pedersen Gedelöcke. »Ehrwürden verpflichtet mich
immer mehr; doch -- was saget ^mon coeur^, meine Eheliebste? Welch einen
Beruf wendet sie für?«
»O Jens!« rief die Frau Mette, »du weißt, daß es immerdar nur meine
Liebe und meine Sorge für dein irdisch und ewig Heil ist, welche mich
bei dir festhält!«
»Ei, ei, ei!« wiederholte der Kurator und setzte hinzu: »Davide, was
stehet Er und gaffet! Sein Gesicht wird dummer von Tag zu Tage; -- lasse
er den Hispanischen bringen, die Herren Doktores werden mir nicht den
Trost in meinem Jammer versagen.«
»Man muß denen Patienten ihren Willen lassen, Herr Hieronymus,« sprach
der Doktor Sekundus mit einem freundlichen Lächeln zum Pastor der
Trinitatiskirche, und der Doktor Primus sah dem Famulo mit einem
beifälligen Kopfneigen bis zur Türe nach. Dann, als der Wein gekommen
war, ein jeglicher, -- selbst der Pfarrherr -- sein Spitzglas auf dem
Knie hielt, und David Bleichfeld wiederum das Zimmer verlassen hatte,
erhob sich der Kurator Gedelöcke auf den linken Ellenbogen, blickte im
Kreise umher und verglich im Innersten die drei schwarzen Herren und die
in ein trübes Grau gekleidete Gattin mit drei Raben und einer ältlichen
Mantelkrähe, und sich selber in seinem Leiden mit einem podagristischen
Mops, welcher sich bewußt war, was er im Leben genoß, und deshalb die
Kondolenzvisite mit Geduld und Humor annehmen konnte. Mit großer Gewalt,
Beredsamkeit und Salbung rückte Ehrn Hieronymus Moekel von der
Trinitatiskirche dem wunderlichen Heiligen auf den Leib, und die Frau
Mette begleitete jeglichen Angriff mit leisem Gewimmer und lautem
Beifall; die beiden Ärzte aber hielten sich mehr passiv und an den
Spanischen, bis sich der Kampf auf ein Terrain wälzte, das weniger
Gelegenheit gab, sich zu kompromittieren. Was den Famulus David
Bleichfeld anbetraf, so stund derselbe draußen vor der Türe, hatte seine
lange dürre Gestalt rechtwinklig eingeklappt und wechselte mit dem Auge
und dem Ohr vor dem Schlüsselloch und begleitete das Spiel im Innern des
Gemaches außerhalb desselben mit den verwunderlichsten Grimassen, Gesten
und den allerkuriosesten Paraphrasen, Noten und Zitaten. Da er ein recht
gelehrter Mensch war und seinen Herrn liebte, so wollen wir uns mit dem
begnügen, was er aus der Unterhaltung der andern abzog; sintemalen es
auch wohl nicht lohnen würde, ein jedes Wort der Konversation dem
eiligen, atemlosen Publiko von neuem vor die Nase zu rücken.
»Philister über dir, Simson!« murmelte der Horcher an der Wand. »Heißa,
jetzt haben sie ihn zwischen den Kneifzangen, wie den Stürzebecher auf
dem Markt zu Hamburg. Horch, da ist der Pfarrherr schon auf dem Wege gen
Damaskon, und das Gleichnis vom schnaubenden Saulo passet wie die Faust
aufs Auge. Drauf, ^pro libertate christiana^, gebt es ihm, Herr
Kuratore. Ha, ha, an den Tod gläubet Ihr, sintemalen er alle Eure
Vorfahren verschlucket hat? Ein hohes Konsistorium hätte es Euch nicht
zugetraut, aber ein alter Heide und Ägyptier bleibt Ihr doch und nehmet
Eure Gerippe auf Eure Gastmähler nur deshalb mit, um bei ihrem Anblick
desto vergnügter das Leben zu genießen! Noch ein Gläschen Alikante, Herr
Doktor Primus? Ist es keine ^ratio theologica^, daß man die, so in der
christlichen Kirche christlich gelebet, auch in der Versammlung der
Kirchen, welche der Tempel ist, ehrlich begrabe? O Gedelöcke, Gedelöcke,
du willst nicht durch die Gewölbe und Steinplatten verdampfen und
jeglicher frommen Nase zum Ärgernis und Leibesschaden werden?! O
Gedelöcke, welch ein heidnischer Jud bist du, da es dir einerlei ist, ob
die Auferweckung der Auferstehung vorgehe: ist es dir nicht bekannt, daß
geschrieben stehet: ^resuscitatio est causa resurrectionis?^ -- Also um
9976 Meilen ist das Firmament jüngsthin eingesunken, Herr Doktor
Sekundus? -- Das ist freilich ein erfreulich Zeichen des kommenden
Jüngsten Gerichtes; aber Er ist doch ein heimlicher Jude, Herr Jens
Pedersen Gedelöcke, und wird dahin fahren, wohin Ihn der Herr Hieronymus
von der Dreifaltigkeit dirigieret. O, ruchlose Seele, ist die Hölle
nicht so heiß, wie man sie machet? Gedelöcke, Gedelöcke, wie hast du den
rechten Weg verfehlet mit deinem metaphorischen Feuer; -- wo Rauch ist,
Apokalypse, vierzehntes Kapitel am zehnten und elften Vers -- da ist
auch Flamme -- Lukas im sechzehnten Stück, Vers vierundzwanzig! Was
soll's nunmehro mit unserm Meister Henrich Israel? O ha, anjetzo fangen
wir an und ziehen erst die rechten Register. O Gedelöcke, o Herr
Kuratore, jetzt geht's mit Ihme um die Ecke und kopfüber in den Pfuhl
der Verdammnis; einen guten Stilum magst du schreiben, mit dem Mund
magst du spitz und scharf auf den rechten Fleck zufahren; aber besser
wär's dir doch gewesen, so du nicht der Gelehrten, Weltweisen und
verführerischen Rabbinen Schriften studieret hättest, sondern bei der
lautern Milch des Evangelii geblieben wärest! Das ist keine Sache für
einen gläubigen Christen, daß er seinen Braten immerdar beim jüdischen
Schlachter einkaufe; wer aber das Schwein und alles, was von ihm kommet,
verachtet, der mag sich wahren, daß er nicht selber --«
Der Famulus schnellte im jachen Schreck zurück und in die Höhe; im
Gemache seines Herrn hatte sich urplötzlich ein gewaltiger Tumult
erhoben. Stühle wurden mit Gepolter zurückgeschoben; die Glocke des
Kurators läutete gellend Sturm; die Stimme der Madame mischte sich
schneidend in das dumpfe Gebrumm der Mediziner und den rollenden
geistlichen Donner: Gedelöckes Stimme aber klang klar gleich einem
Trompetenstoß durch die Schlacht:
»Davide! Davide! wo steckt Er? Davide, eile Er herbei; komme Er seinem
geschlagenen Herrn zu Hilfe, Davide, Davide!«
Mit einem Sprunge stand der Gerufene im Krankenzimmer.
»Drauf, Davide,« schrie der Kurator. »Führe Er die Herren die Treppe
hinunter, und sorge Er, daß niemand Schaden leide. Da -- da, bei Moses
und allen großen und kleinen Propheten, bei der schönen Judith und dem
grausamen Feldhauptmann Holofernes, beim Bel zu Babel, beim Drachen zu
Babel, bei der keuschen Susanne im Bade, die Herren werden's verzeihen,
daß ich ihnen nur meine Nachtmütze auf den Weg mitgebe.«
Herr Jens Pedersen Gedelöcke saß hochrot und tiefblau vor Ärger und
Aufregung im Bett und ließ seinem Worte die Tat im nämlichen Moment
folgen. In bedrohlichster Nähe flog die Zipfelmütze des Kranken an der
Nase des Pastors vorüber, und Herr Hieronymus Moekel erhob die Hände, um
den Himmel zum Zeugen dieser Verruchtheit aufzurufen, schüttelte den
Staub von den Füßen und verließ das Haus des Kurators mit dem festen
Entschluß, draußen noch einige Worte in dieser Angelegenheit zu reden.
Die beiden Ärzte folgten dem Beispiele des geistlichen Herrn, nachdem
noch der Doktor Sekundus in seiner Eigenschaft als Haus- und Leibarzt
des Kurators versucht hatte, eine versöhnlichere Stellung ihm gegenüber
einzunehmen. Die Frau Mette verschloß sich mit ihren Krämpfen und
Konvulsionen in ihr Kämmerlein, und der heillose Sünder und Verächter
jedes menschlichen und göttlichen Rechtes, Jens Pedersen Gedelöcke, ließ
sich von seinem Famulus die Kissen zurechtschieben und sprach
tiefaufatmend:
»Schenke Er Ihm auch ein Glas Spanischen ein, Davide, daß ich doch Einen
anständlichen Menschen derer Gottesgabe genießen sehe. Tausend
lappländische Donnerwetter!«
»Ihr zeitliches und ewigliches Heil und Wohlsein, Herr Kurator!« sprach
der Famulus, mit tonloser Gravität das gefüllte Glas an die Lippen
führend.
»Ich danke Ihm, Monsieur Bleichfeld,« sagte Gedelöcke. »Hoffentlich hat
Er nach Seiner Gewohnheit an der Tür das Notwendige erhorchet; -- Herr
Ludovikus hat keine bessere Komödie aufführen lassen, und Er hat's
gratis gehabt, Davide. Ei, ei -- riechet Er noch den Schwefel? -- hat
der Pfaff mir eingeheizt, wie der König Nebukadnezar den drei Männern im
feurigen Ofen! Jetzt sage Er mir selber, Davide, bin ich ein Jud oder
keiner? Ich will Ihm alles glauben.«
»Ich halte Ihn so wenig für einen Juden, Monsieur, als für den
Verfertiger der Berleburger Bibel oder sonst einen Chiliasten!« sprach
der Famulus mit Überzeugung. -- --
Der Regen fuhr in immer heftigeren Strömen hernieder; im Innern des
Hauses des Kurators Gedelöcke vernahm man keinen Laut. Die Mägde und der
Knecht kauerten verschüchtert um den Küchenherd, und Madame mit ihrem
Töchterlein rührte sich nicht; -- auf den großen Sturm war das tiefste
Schweigen gefolgt. Ein schwarzer Kater stieg wie der Geist des Hauses
langsam vom Bodenraum herab, schritt über den Gang und kratzte oder
klopfte vielmehr an der Türe des Kurators.
»Öffne Er dem Mutz, Davide,« sagte Herr Jens; »das Vieh wird auch
kommen, um wegen der Emotion und des Tumultes zu kondolieren. Hierher,
mein Kater, mein guter Kerl, ja, ja, es ist eine tugendsame und fromme
Welt. Ja, ja, mein armer Mutz, die Totenkäuze waren da, und es stehet
dahin, wie lange Er mir noch den Magen wird wärmen dürfen.«
Mit Geschnurr sprang der Schwarze auf das Bett seines Herrn, der ihm
ganz zärtlich den Pelz streichelte, und als das Tier sich zum
behaglichen Schlummer zusammengerollt hatte, plötzlich recht ernsthaft
gegen seinen Famulus begann:
»Davide, es ist eine alte Geschichte und nicht viel Besonderes daran;
aber Er weiß, was ich an Ihm getan habe; wie ich Ihn von der Gasse in
mein Haus nahm, Ihn wärmte, kleidete und fütterte und Ihm seine Kollegia
umsonsten verschaffte. Ich weiß auch, daß Er mir zugetan ist von ganzem
Herzen, und Ihm ist's nicht unbekannt, welch ein Trost mir Seine
längliche Figur und hohe Sapienz zu jeder Zeit gewesen ist. Zur
Lustigkeit ist Er nie geneiget gewesen; also wird Er auch anjetzt wohl
ein bedächtiges Wort mit Ihme reden lassen. Famule, es ist aus und zu
Ende mit dem königlich dänischen Untertan Jens Pedersen Gedelöcke, und
der Kurator überläßt der Welt Cura und Gaudium denen, so nach ihm
kommen. Ihm, Davide, habe ich meine Bibliotheka und zweitausend
Reichstaler vermacht. Madame und das Kind werden das Ihrige erhalten --
lasse Er das Heulen, Davide! der Meister Henrich Israel ist ja gar
nichts gegen Ihn! -- meine Seele gebe ich dem, welcher sie dem Erdenkloß
einblus; was den Erdenkloß selber aber anbetreffen mag, das ist in
diesem mit meinem Handsiegel pitschierten Skriptum enthalten, und lege
ich solches mit Vertrauen in Seine Hände, auf daß Er es, sobald der
Kurator Gedelöcke, Sein alter Patron, abgelaufen ist, und Zeiger und
Pendulum still stehen, an die richtige Adresse abliefert. Was darauf zu
tun ist, das wird sich finden, und mag auch Er, Davide, Seine Stimme ^in
consilio^ haben als ein treuer Diener und ein prudenter Kopf. Den Mutz
vermache ich Ihm auch und weiß, daß Er fein lieblich mit ihm umgehen und
sich keine Winterkappe aus seinem Pelz machen lassen wird. Nun gebe Er
mir auch ein Glas Spanischen, einem jeglichem, so etwas dagegen zu sagen
weiß, zum Trotz; -- ^pereat materia peccans cum titulo pleno!^ Lege Er
mir die Kissen zurecht, und lasse Er mich ein Stündlein allein; wenn der
Mensch es also kühl gegen den Magen heraufsteigen spüret, so hat er so
mancherlei zu bedenken, daß ihm seine allerbesten Freunde zum Überfluß
werden mögen.«
»Herr Kuratore,« sprach der Famulus; »ich liebe Ihn von ganzem Herzen
und von ganzer Seele; Er ist mir mehr als ein Vater gewesen, und sein
Vermächtnis rühret mich mehr als zu sagen ist. Ich verhoffe, daß ich Ihm
noch lange Jahre mit Kopf und Hand und Herzen, mit der Feder und mit dem
Maule zu Diensten sein darf; diesen Brief aber werde ich zur richtigen
Stunde, wenn es nicht anders sein kann, an den Herrn Obristen von Knorpp
abgeben, verlasse Er sich drauf.«
»^Optime!^« sprach Gedelöcke, das Gesicht der Wand zukehrend. »Es ist
eine kuriose Welt; bestelle Er mein Kompliment an den Benediktus,
Davide; das Regiment ist auf dem Marsch von Altona her.«

IV. Von dem Herrn Obristen Benediktus von Knorpp.
Von den soeben beschriebenen Stunden an flossen natürlich nunmehr alle
die verschiedenen bedenklichen Gerüchte über den Kurator in der einen
entsetzlichen Gewißheit von der grausamen, abscheulichen und verruchten
Apostasie des Mannes zusammen, und mit schauderndem Wohlbehagen sah ihm
die Stadt Kopenhagen in die Fenster. Nun kamen die absonderlichsten
Histörchen zu Haufen hervor wie die Regenwürmer beim Laternenschein, und
hundert Leute, welche den Kurator in ihrem Leben nicht gesehen hatten,
erinnerten sich an Dinge und Worte aus jeder Epoche seines Daseins, die
wohl geeignet waren, die allgemeine christliche Betrübnis zu begründen
und zu steigern. Die Herren Doktores segneten ihren abtrünnigen
Patienten nach jeglicher Krankenvisite; denn wenn auch ihre Kunst sie
dann und wann im Stiche lassen mochte, Jens Pedersen Gedelöcke ging
ihnen nimmer aus, und wie nützlich und annehmlich ein solcher stets
frischer Gesprächsstoff sein mag, das weiß der wohl, so selber eines
solchen in seinem Beruf bedürftig ist. Auch der ehrwürdige Hieronymus
zog nach bestem Vermögen seinen Vorteil aus dem halsstarrigen
rationalistischen Sünder und wußte ihn an jedem Sonntag in seiner
Trinitatiskirche in einer andern und stets feurigeren Beleuchtung als
abschreckend Exempel auf die Kanzel zu bringen, und fand nur einen Dorn
an der Rose, nämlich den frommen Eifer der Kollegen, so den Kuratorem zu
eigenem Gebrauch entlehnten, ohne das ^ius primae possessionis^ im
geringsten zu achten. Was den Famulus David Bleichfeld anbetraf, so
konnte derselbe nicht mehr über die Gasse gehen, ohne daß sich Mann und
Weib an seinen Mantel oder Rockschoß hingen, um ihn mit Fragen,
Kopfschütteln und guten Ratschlägen bis aufs äußerste zu torquieren.
Im Hause selber hockte Frau Mette im Sack und in der Aschen, hielt ihr
Töchterlein zwischen den Knien, genoß wie die Stadt Kopenhagen den
kitzelnden Schauder des unerhörten Zustandes und nahm dazwischen in
zerknirschter Gehobenheit die wunderlichsten Kondolenzbesuche an. Es
kamen Leute aus den höchsten wie aus den niedrigsten Ständen zu ihr:
gottesfürchtige Kammerherrn und Hofdamen vom erleuchteten Hofstaat
Seiner Majestät des Königs Christians des Sechsten; theologisierende
Geheimeräte, mystische Schuster, wohlmeinende Bürgerfrauen, besonders
aber viele Pastorenwitwen mit den gedruckten oder ungedruckten Predigten
ihrer Seligen, also mehr als ein inspiriertes Waschweib. Die hohe und
niedere Geistlichkeit hielt das Haus blockiert, wie der Türk den Russen
Anno Eilf am Pruth; im Schoß der Universität summte und brummte es wie
in einem Bienenkorb, der sich zum Ausschwärmen rüstet, und es war kein
Teetopf, kein Bierkrug und keine Bettgardine, hinter welchen nicht das
^Pro^ und ^Contra^ in Sachen Gedelöcke mit Eifer abgewogen wurde.
Gedelöcke selber verbiß seine leiblichen Schmerzen hinter verriegelter
Tür, ließ sich von seinem getreuen Famulo das Buch Koheleth, welches wir
den »Prediger« Salomonis nennen, vorlesen, schlug noch einen Hauptsturm
der Kopenhagener Prediger ab und machte am ersten Ostertage des durch
ihn so denkwürdigen Jahres 1731 sein Wort wahr, und ging mit dem Gefühl,
You have read 1 text from German literature.
Next - Keltische Knochen/Gedelöcke: Erzählungen - 5
  • Parts
  • Keltische Knochen/Gedelöcke: Erzählungen - 1
    Total number of words is 4114
    Total number of unique words is 1632
    38.3 of words are in the 2000 most common words
    49.6 of words are in the 5000 most common words
    54.8 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Keltische Knochen/Gedelöcke: Erzählungen - 2
    Total number of words is 4127
    Total number of unique words is 1606
    37.5 of words are in the 2000 most common words
    50.5 of words are in the 5000 most common words
    55.8 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Keltische Knochen/Gedelöcke: Erzählungen - 3
    Total number of words is 4212
    Total number of unique words is 1713
    34.5 of words are in the 2000 most common words
    46.4 of words are in the 5000 most common words
    52.2 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Keltische Knochen/Gedelöcke: Erzählungen - 4
    Total number of words is 4327
    Total number of unique words is 1664
    34.5 of words are in the 2000 most common words
    46.4 of words are in the 5000 most common words
    52.1 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Keltische Knochen/Gedelöcke: Erzählungen - 5
    Total number of words is 4316
    Total number of unique words is 1651
    34.4 of words are in the 2000 most common words
    46.0 of words are in the 5000 most common words
    51.6 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Keltische Knochen/Gedelöcke: Erzählungen - 6
    Total number of words is 3862
    Total number of unique words is 1419
    34.9 of words are in the 2000 most common words
    44.7 of words are in the 5000 most common words
    50.9 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.