Keltische Knochen/Gedelöcke: Erzählungen - 2

Total number of words is 4127
Total number of unique words is 1606
37.5 of words are in the 2000 most common words
50.5 of words are in the 5000 most common words
55.8 of words are in the 8000 most common words
Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
bei _jedem_ Wetter zum Rudolfsturm hinaufklettern werde.
Knurrend nahm Zuckriegel sein Gaunerbuch wieder vom Boden auf, zu einem
weitern Zugeständnis in bezug auf diese so mühsam errichtete ^treuga
Dei^ ließ er sich nicht herab. Daß der fromme Dichter in diesem
Augenblick ins Zimmer hüpfte, trug mehr als alles übrige dazu bei, die
Gemüter zur Ruhe zu bringen; der besänftigende Zauber der Poesie trat
einmal wieder so recht klar zutage.
Roderich von der Leine war sehr naß, so naß, daß er sich am besten
selbst auf die Leine zum Trocknen gehängt hätte. Aber er dachte nicht
daran. Seine Sehorgane rollten in dem bekannten schönen Wahnsinn; auch
er hielt seine Brieftasche in der Hand, und es tröpfelte aus ihr. Die
Geburt war vollendet, der Verfasser der Lebensblüten hatte seine Linzer
Erlebnisse unter dem Einfluß des erfrischenden Gestäubes des Hallstädter
Mühlbachs in Reime gebracht; Zuckriegel stöhnte schwer.
Ich stellte den Professor Steinbüchse und den Dichter einander vor, und
der Professor offenbarte eine neue Unähnlichkeit mit dem Prosektor; er
war höflich, er war duldsam, ja er war sogar zuvorkommend gegen den
Poeten und bat ihn herzlich, sich doch ja nicht durch seine Gegenwart
abhalten zu lassen, sein Gedicht vorzutragen. Vielleicht war und tat er
das alles nur, weil er die Grimassen, das Schnauben, Achselzucken, all
die kläglichen Windungen Zuckriegels bemerkte und deutete.
»Ja, lesen Sie, tragen Sie vor,« sagte ich, nicht ohne den Spuren des
Professors zu folgen.
»Würde es nicht besser sein, wenn Sie erst den Anzug wechselten?!«
seufzte Zuckriegel. »Sie können sich leicht sehr arg erkälten, Herr
Krautworst. Es wäre doch recht schade, wenn Sie durch jugendliche
Unbesonnenheit sich selbst um-, und die Nachwelt um Ihre noch
unerschaffenen unsterblichen Werke brächten.«
Da die weißen Gewänder noch immer naß in der Küche am Herde hingen, so
hätte Rodrigo sich nur in das Kostüm Adams werfen können, wenn er den
zärtlichen, besorglichen Ratschlägen Zuckriegels hätte Folge geben
wollen. Die innere Aufregung hob ihn übrigens über alle rheumatischen,
katarrhalischen Befürchtungen hinweg:
Den hohen Göttern war er eigen,
Ihm durft nichts Irdisches sich nahn.
»Wollen Sie nicht wenigstens andere Strümpfe anziehen? ich würde sehr
dazu raten. Junge Dichter sind so schon sehr zu Kongestionen nach dem
Cerebralsystem geneigt,« sagte Zuckriegel in wahren Flötentönen.
Der Dichter schüttelte nur zerstreut das Haupt; er blätterte heftig in
seinem Notizbuche.
»Nun denn, in drei Teufels Namen, so lassen Sie's laufen!« schnauzte
Zuckriegel, zum Äußersten und um seine Kosten in Hinsicht auf die vorige
Höflichkeit und Milde gebracht.
Roderich von der Leine wendete sich zu uns:
»Haben Sie bereits den Mühlbach gesehen, meine Herren?«
»Nein,« sagte ich, und auch Steinbüchse hatte noch nicht das Vergnügen
gehabt.
»Sie müssen ihn sehen!« rief emphatisch der Poet. »Originell, --
romantisch im höchsten Grade. Da ist ein alter dunkler Bogen mit einer
Nische und einem Bilde, einem Bilde des heiligen -- wenn ich nicht irre,
des heiligen Sebastian drin; ich habe über zwei Stunden dort gestanden.«
»Den Mühlbach sah ich nicht; Sie aber sah ich, liebster Freund, wollte
Sie jedoch nicht stören.«
Dankend neigte Roderich das Haupt gegen mich, dann aber fuhr er mit der
Brieftafel ruckartig gegen die Nase und begann, anfangs schüchtern, dann
aber immer mutiger, mit den bekannten Seitenblicken auf die
Zuhörerschaft:
»Grau verschleiert schaun die Berge
Auf die fremde Stadt herein,
Unablässig rieselt's nieder,
Und ich gähne kläglich drein.«
»Grade wie ich!« knurrte Zuckriegel, der die verdrießliche Nase wieder
in seinen Avé-Lallemant gesteckt hatte.
»Gott, o Gott, ach woll es wenden,
Gott, Erbarmen habe du!
Sende mir in diesem Trübsal
Einen deiner Engel zu!«
»Mir auch! ich bitte dringend!« seufzte Zuckriegel.
»Goldgelockt, mit blauen Augen,
Schlank und weiß von Angesicht
Laß ihn sein, um mich zu trösten; --
Flügel, -- Flügel braucht er nicht.«
»Ich aber könnte sie gebrauchen!« seufzte Zuckriegel.
»Von dem Dome summt die Glocke,
Und die frommen Christen schleichen
Durch den Schmutz der Stadt zur Messe;
Gott, o Gott, laß dich erweichen!«
»Was solch ein Mensch doch alles verlangt. Selber kennt er kein
Mitleid,« brummte Zuckriegel.
»Einen Engel send hernieder
Oder einen Sonnenstrahl,
Lasse mich nicht untergehen
Hier in dieser Jammerqual!«
»Auch mich nicht; ich flehe inständigst darum!« sagte Zuckriegel; der
Dichter aber machte uns darauf aufmerksam, daß sein Gedicht durch feine
Einschnitte gegliedert sei, daß nunmehr eine neue Bilderreihe anhebe. Er
fuhr fort:
»Bläulich ringelnd, sanft verwehend
Schwindet der Zigarre Duft;
Unablässig rieselt's nieder,
Und ich schnappe wild nach Luft.«
Zuckriegel ächzte: »Ich nicht weniger.«
»Aus dem Fenster halben Leibes
Häng' ich jetzt und hör' die Tropfen
Drunten in der engen Gasse
Auf die Regenschirme klopfen.«
Zuckriegel wußte ganz genau, auf was _er_ am liebsten klopfen würde.
»Und das Auge schläfrig müde,
An dem Hause gegenüber,
Von dem Keller bis zum Dache,
Kriecht's hinauf und senkt sich wieder.«
Zuckriegels Auge kroch auch unheilverkündend an dem Poeten in die Höhe
und senkte sich erst wieder, als jener weiter sprach:
»An des Metzgers Tür dem Hammel,
Ausgeweidet, halbzerfetzt,
Ach, wie gleicht ihm schauderhaftig
Meine arme Seele jetzt!«
Zuckriegel brummte: »Ein schauderhaftiger Vers, sonst aber der einzige,
der bis jetzt meine ganze Billigung hat.« Laut rief er: »Herr
Krautworst, ich mache Ihnen mein Kompliment über Ihre Kenntnis des
menschlichen Innern. Bitte, tragen Sie die letzten Reime noch einmal
vor; -- wem glich Ihre arme Seele in jenem denkwürdigen Moment und
Seelenzustande?«
»Abteilung drei!« sagte Roderich von der Leine, den Prosektor
verachtend.
»Hinter hohen Spiegelscheiben
In dem blanken Messingbauer
Kreischt ein grüner Papageie
Und erweckt mir neue Schauer.«
»Aber es scheint doch eine gute Schule gewesen zu sein!« akkompagnierte
Zuckriegel.
»Eine Dam in rotem Sammet
Füttert ihn mit Zuckerbrocken.
^Merci!^ kreischt er, klettert, flattert: --
Alle meine Pulse stocken;
Denn ein neues Bild ist er mir
Aus dem wildbewegten Leben;
Denn mit Flattern, Mercisagen
Hab' auch ich mich abgegeben.«
Die Verachtung Zuckriegels stieg zu einem solchen Grade, daß er sie
während der folgenden Verse nur noch durch Gesten, die nahe an
Verrenkungen grenzten, auszudrücken vermochte.
»Und 'ne Dam in rotem Sammet
Reicht' auch mir einst Süßigkeiten;
^Merci! merci!^ rasend werd' ich,
Denk' ich heute jener Zeiten.
O du grüner Papagoye
In dem blanken Silberringe,
Häng dich auf an deiner Kette:
Sauer werden süße Dinge.«
»Sehr!« seufzte Zuckriegel und fügte mit wahrhaft sezierenden Blicken
hinzu: »Ja, wenn er sich nur hängen wollte!«
»Vierte Abteilung!« sagte der Dichter.
»Und von neuem schläfrig gähnend,
Heb' ich jetzt die Augenlider;
Hoch und höher schweift das Auge,
Nah dem Dache haftet's wieder.
Nah dem Dache -- Gott, was seh' ich?
Gott, o Gott, kann's möglich sein?
In des Regens trostlos Plätschern
Schießt ein Sonnenstrahl herein!
Nah dem Dach ein offen Fenster,
Ganz von Bohnenblüt umwoben!
Gott, o Gott, du hast gerettet!
Dank dir, Dichtergott dort oben!«
»Meine Komplimente an ihn,« grunzte Zuckriegel, »aber er hätte etwas
Besseres tun können.«
»Nah dem Dach ein offen Fenster,
Und darin ein Engelsköpfchen,
Blaue Augen, weiße Arme,
Rosig Mündlein, goldne Zöpfchen!
Nah dem Dach der ganze Himmel;
O wie fern dem Erdenschmutz!
Nah dem Dach die ewge Wonne!
Schöne Heilge, deinen Schutz,
Deinen süßen Schutz erfleh' ich, --
Nicht mit Winken -- kaum mit Blicken;
Schöne Heilge, schöne Selge,
Willst du nicht hernieder nicken?«
»Sie wäre doch rein verrückt, wenn sie dem Narren den Gefallen täte!«
grunzte Zuckriegel, sich ganz in die Situation versetzend.
»Ach, sie hebt sich von dem Sitze;
Elfenhaft, im Blütenkranz,
Um den Mund ein Engellächeln
Steht sie hold im Sonnenglanz.
Alle Teufel! Tod und Hölle!
Gott, o Gott, was soll das wieder?
Schönster Engel! Süße Heilige!
Gott, sie läßt den Vorhang nieder.«
»Brava! Brava!« schrie Zuckriegel, grinsend in die Hände klatschend;
doch mit einem triumphierenden Blick auf ihn sprach Roderich von der
Leine:
»Abteilung fünf!« und der Prosektor versank wieder hinter dem deutschen
Gaunertum.
»Unablässig rauscht's herunter,
Und ich seufze klagend drein;
Grau verschleiert sehn die Berge
Auf die fremde Stadt herein.
Und das rote Reisehandbuch
Greif' ich auf und sink' zurück
Schwer und mit gelösten Gliedern
In den Sessel, und der Blick
Sucht die Stelle, wo es lautet:
>Linz ist eine schöne Stadt,
Die schlecht Pflaster, einige Menschen
Und auch ein Theater hat.<
Linz, o Linz am Donaustrande,
Ewig, Linz, gedenk' ich dein;
Deinem Ruhme und Theater
Will ich diese Verse weihn.
Linz, o Linz am Donaustrande,
Linz in Oberösterreich,
Denk' ich deiner, wird das Auge
Feucht, und wird das Herze weich.
Jener weiße, kleine Vorhang
Vor dem Fenster nah dem Dach, --
Denk' ich sein, was wird da alles
In dem dummen Herzen wach!
Alle Götter und Göttinnen
Sind dem Dichter stets zur Seit,
Geben ihm durch Blut und Flammen,
Durch den Regen das Geleit.
Jenen weißen, kleinen Vorhang,
Liebchen, Liebchen, laß ihn zu;
In der holden Götterdämmrung,
Liebchen, lieblicher bist du!«
Bedeutungsvoll klappte der Dichter seine feuchte Brieftasche zusammen,
und es begab sich etwas, das einem Wunder glich. Zuckriegel warf das
Buch vom deutschen Gaunertum zum zweitenmal auf den Boden, doch diesmal
nicht im Zorn. Er erhob sich, schritt auf den Poeten los, drückte ihm
mit verdächtiger Zärtlichkeit die Hand und sagte nun wiederum in seinem
Flötenton:
»Herr Krautworst, ist dieses Poem wirklich von Ihnen? Haben Sie wirklich
das selbst gemacht, Sie jugendlicher Heinrich Heine, oder wie der Mensch
heißt?! In der Tat, wenn Ihre bis jetzt mir leider gänzlich unbekannten
Kneipenblüt -- nein, Lebensblüten sämtlich aus ähnlichem Stoff
zugeschnitten und verarbeitet sind, so bitte ich Sie höflichst, mir ein
Freiexemplar derselben zu schicken. Hier ist meine genauere Adresse --
portofrei, wenn ich so frei sein darf, Sie darum zu ersuchen. Wenn
später einmal die Rückenmarksdarre --«
»Herr,« schrie Roderich jetzt außer sich vor Zorn, »Herr, ich bin so
frei, Sie zu ersuchen, mich ungeschoren zu lassen; Ihre Unverschämtheit
überschreitet allmählich alle Grenzen!«
»Ruhig, ruhig, mein junger Freund,« lächelte Zuckriegel, »Sie haben
freilich ein treffliches Gedicht hervorgebracht. Genial! Ein
funkensprühendes kleines Meisterwerk! Unser Lob muß Ihnen sehr
schmeichelhaft sein; aber ich bitte, sehen Sie nicht zu verachtend von
der Höhe, auf welche unsere Bewunderung Sie erhebt. Ich weiß, daß dem
^furor poeticus^ etwas zu gut zu halten ist; in unserer Abteilung für
Geistesabwesende hatten wir --«
Professor Steinbüchse und ich erkannten zu gleicher Zeit, daß es die
höchste Zeit sei, einzuschreiten. Wir überhäuften den Dichter mit
ernstgemeinten und eben so ernst ausgesprochenen Lobeserhebungen. Ich
machte ihn außerdem noch darauf aufmerksam, wie der Poet im schönen
kalten Egoismus die Menschen nur als einen Ton, der für ihn zum Kneten
und Formen geschaffen sei, ansehen müsse. Ich überzeugte ihn, daß der
Prosektor nur als »Stoff«, niemals als »beleidigen könnendes« Wesen für
ihn Bedeutung und Inhalt haben könne; -- Roderich von der Leine maß
seinen Wert an Zuckriegels Unwert, und in erträglicher Harmonie aßen wir
vier für einander geschaffene Charaktere zu Nacht. Aber nach Tisch erhob
sich eine ungeheuerliche Schwierigkeit.
Als wir uns nämlich nach unsern Schlafgemächern erkundigten, verkündigte
der Hospes, daß er uns nur zwei Kammern zur Verfügung stellen könne, und
daß die Herren sich drein finden müßten, zu zwei und zwei in einem
Zimmer zu schlafen; die Betten aber seien ausgezeichnet und ließen
nichts zu wünschen übrig; beide Kammern seien auch nur durch eine Wand
voneinander getrennt und hätten beide die Aussicht auf den See.
»Worauf ich huste!« sagte Zuckriegel. »Herr Krautworst, wir beide
schlafen zusammen, -- und am liebsten unter einer Decke. Wir haben uns
noch nicht völlig gegeneinander ausgesprochen und werden nunmehr die
angenehmste Gelegenheit dazu haben; ich pflege gewöhnlich erst gegen
Morgen einzuschlummern.«
Roderich sah auf den Prosektor wie die böse Stiefmutter auf das Faß voll
scharfer Nägel und Ottern, in welches sie gesteckt werden sollte.
Entsetzen, Abscheu, Ekel und Angst malten sich in seinen weichen Zügen.
»Wir übernachten natürlich zusammen,« flüsterte ich ihm zu. »Sie sollen
gerächt werden, wie Sie es nur wünschen können; Steinbüchse und
Zuckriegel werden zusammengepackt.«
Der Dichter drückte mir gerührt unter dem Tische die Hand und verließ
ihn -- nämlich den Tisch -- so eilig als möglich, um für mich und sich
unter dem Vorleuchten des Wirtes Besitz von dem einen Schlafgemach zu
ergreifen.
»Na, Professor, so müssen wir beide doch wohl zusammenkriechen, ich
rieche es,« sagte Zuckriegel, einen hohnlächelnden Blick auf mich
schießend. »Wir wollen aber die süßen Hoffnungen dieser beiden jungen
Männer zuschanden machen; wir wollen den abgeschlossenen
Waffenstillstand nicht brechen; schnarchen wollen wir.«
»Versteht sich,« sprach Steinbüchse, vollkommen von der Festigkeit
seines Willens und Charakters überzeugt. »Ich denke einen guten Schlaf
zu tun,« setzte er mit Wallensteinschem Glauben an die Sterne hinzu, und
ich gestehe, daß ich mit Bedauern anfing, an den Vorsatz der zwei
Gelehrten zu glauben.
Wir wünschten uns gegenseitig eine angenehme Nachtruhe, und als ich mein
Schlafgemach erreichte, fand ich den Verfasser der Lebensblüten bereits
behaglich in seinem Federbett eingekapselt. Nur sein mit einem roten
seidenen Tuch umwickeltes unsterbliches Haupt sah aus dem Kissen hervor.
»Was beginnen sie? Sind sie zu Bett?« fragte er.
»Jeder hat noch ein Glas Punsch bestellt. Ich fürchte, die Nacht wird
ruhiger vergehen, als wir hoffen.«
»Ich glaube an das Gegenteil; -- schlafen Sie wohl, liebster Freund; ich
will Sie wecken, wenn's Zeit ist.«
»Meinen besten Dank im voraus. Gute Nacht!«
Dumpf hörte ich noch im ersten Schlummer den Dichter zitieren:
»^Quam iuvat immites ventos audire cubantem,^
^Et dominam tenero detinuisse sinu;^« --
aber ich ruhte, »vom Geplätscher in den Schlaf gerauscht«, zu sicher, um
die üppigen lateinischen Schulreminiszenzen Roderichs noch weiter zu
verfolgen; der See und der Regen übten denselben beruhigenden Einfluß
auf mich, wie der letztere einst auf den Elegiker Albius Tibullus.
Wie lange ich geschlafen hatte, weiß ich nicht; aber mir hatte schon
längere Zeit geträumt wie dem Ritter Don Quixote, daß ich mich im Lager
des Agramant befinde und gleich dem König Sobrino berufen sei, die
ausgebrochene Verwirrung zu lösen, als ich plötzlich durch das Geflüster
Roderichs von der Leine geweckt wurde:
»Liebster Freund! bester Freund! Sie haben sich! Sie liegen sich in den
Haaren! Horchen Sie! Hören Sie! ah!«
Eben noch hörte ich Messer Ludovico Ariosto beim Schreiben seines
rasenden Rolands lachen und sah ihn sich den dünnen Bart streichen; nun
lag ich wieder beim Seeauer am Hallstädter See im warmen Bett, eine
Stunde nach Mitternacht, hörte den Regen vor dem Fenster, sah beim
trüben Schimmer des Nachtlichts den hannoveranischen Dichter aufrecht
auf seinem Lager sitzen und vernahm hinter der dünnen Bretterwand der
Kammer ein Kampfgetöse, das nur von dem Aufeinanderfahren der Geister
Steinbüchses und Zuckriegels herrühren konnte.
Wie viele Gläser Punsch die beiden Trefflichen noch getrunken hatten,
mußte die Rechnung des folgenden Tages ausweisen; jedenfalls hatten sie
genug und warfen sich die Knochen der Kelten und Germanen in einer Weise
an die Köpfe, welche den unbefangenen Lauscher ergötzten, aber den
befangenen, wie Roderich von der Leine, aufs höchste entzücken mußte.
Ob die beiden Helden bereits im Zank die Kammer beschritten hatten, oder
ob der gelehrte Zwist sich erst von den Betten aus angesponnen hatte,
weiß ich nicht; Rodrigo behauptete das erstere; ich jedoch kann nicht
recht daran glauben; denn Zuckriegel war nicht der Mann, der sich ruhig
auf den Rücken legte, ehe er den Gegner darauf hingestreckt hatte, und
Steinbüchse, wenn auch in andern Dingen etwas weicher, milder,
menschlicher, gab dem anatomischen Vorschneider auf dem Felde der
Wissenschaft an hartnäckiger Behauptung seiner Meinungen wenig oder
nichts nach.
Jetzt fühlte ich mich nicht mehr berufen, als Vermittler einzuschreiten,
sondern vergnügte mich königlich, und das Gesicht des Verfassers der
Lebensblüten in der gedämpften Beleuchtung des Nachtlichtes war auch der
Betrachtung wert.
Diesmal vernahmen die Horcher hinter der Wand nicht ihre eigene Schande;
die beiden bepunschten Mitglieder der ^universitas litterarum^ sagten
sich die entsetzlichsten Grobheiten mit wahrhaft klassischer Naivität.
Je schwieriger es für sie wurde, sich gegenseitig zu überbieten, desto
genialer wurden ihre Eräußerungen, und kein Wort des einen war zu hoch,
daß nicht der andere ein noch höheres darauf setzte. Sie spuckten sich
moralisch ins Gesicht, und ich bin überzeugt, daß Zuckriegel mehrmals
nur um die Breite eines Haares von dem Schicksal, auf Jahrmärkten vor
einem moritätlichen Orgelbilde abgesungen zu werden, entfernt war.
»Jetzt beißt er in den Bettpfosten! So wahr ich lebe, bester Freund, er
beißt vor Wut in den Bettpfosten!« jauchzte der fromme Dichter in
verhaltener Lust.
»Und der andere hat sich die Decke in den Mund gestopft. Wahrhaftig,
lieber Freund, sie werden beide morgen am Gallenfieber krank liegen,
wenn wir nicht mit dem Stiefelknecht an die Wand klopfen.«
»Um alles in der Welt nicht!« bat der Poet. »Stören Sie ihre Kreise
nicht! Gallenfieber? Bah, sehen Sie nur in die Jahrbücher für
Philologie, in ihre medizinischen Zeitschriften. Sie können viel
vertragen, ohne Schaden an ihrer Gesundheit zu leiden. Hören Sie nur, da
geht der Berliner wieder ins Zeug. So ist's recht! Faß ihn, Professor --
drauf! drauf! Hurrah, der Hieb saß! Das nenne ich ausgeschmiert!«
Ein Gepolter hinter der Wand folgte auf und unterbrach den Jubel des
Dichters; auf das Gepolter erscholl ein dumpf dröhnender Fall, mit
beiden Füßen fuhren Roderich und ich diesseits aus unseren Betten; denn
nun schien es doch wieder Menschen- und Christenpflicht geworden zu
sein, das Blutvergießen zu verhindern. Aber eine höhere Macht war
bereits eingeschritten.
Wohl sang Professor Steinbüchse aus Berlin ^Io triumphe^; doch Prosektor
Zuckriegel faßte ihn nicht mit seinem guten Gebiß an der Kehle. Wohl war
Prosektor Zuckriegel vom Lager aufgesprungen, um den Gegner zu packen;
doch der Geist besiegte den Geist, der wackere Anatom hatte viel zu viel
Punsch getrunken; er maß den Boden seiner ganzen Länge nach und
schnarchte wie ein Kind an der Brust seiner Mutter, nur etwas lauter.
Noch fünf Minuten gluckste der Professor triumphierend, dann
entschlummerte auch er, alle Register seines Nasen-, Kehlkopf- und
Gaumen-Systems ziehend. Nun hielten die beiden Würdigen doch das sich
selber und mir gegebene Versprechen; sie schnarchten, allein erst nach
dem Kampfe.
Diesseits der Wand horchten wir noch eine Weile, aber da das Sägen,
Blasen und Raspeln immer regelmäßiger, wenn auch nicht melodischer
wurde, so überließen auch wir uns dem balsamischen Schlaf. Roderich
entschlief mit einem Ach der unsäglichsten Befriedigung. So war Zeus'
Wille für heute vollendet; wie sich aber die Dinge am nächsten
Morgen gestalten sollten, das lag ebenfalls auf dem Schoß des
Wolkenversammlers. -- Warum regnete er uns fest am Hallstädter See? --
Ich hatte mir vorgenommen, früh wieder aufzuwachen, um beim ersten
Erscheinen Zuckriegels und Steinbüchses zugegen zu sein und pflichtmäßig
als höflicher und auch jüngerer Mann mich nach der Nachtruhe der beiden
Herren zu erkundigen. Als ich aber die Augen aufschlug, merkte ich, daß
auch ich meine moralischen Kräfte gleich den beiden Gelehrten ein wenig
überschätzt hatte, und als ich halbbekleidet zum Fenster eilte, um mich
auch durch den Augenschein zu überzeugen, daß der Regen noch nicht zu
Ende sei, erblickte ich zu meinem höchsten Erstaunen unter zwei
Regenschirmen vier graue Beine, welche einander entgegen vor dem
Gartenpavillon auf- und abliefen. Und als der Wind zu gleicher Zeit aus
den Regenschirmen zwei Tulpen bildete, da sah ich mit zweifelnder
Verwunderung, daß sie es waren -- sie -- Zuckriegel und Professor
Steinbüchse.
Der Dichter suchte höchstwahrscheinlich in seinem tiefen Morgenschlummer
einen Reim auf Mensch; denn er stöhnte fürchterlich und griff ängstlich
mit krampfhaftem Zucken der Hände auf der Bettdecke umher. Ich fühlte
mich nicht berufen, ihm aus dem Dilemma zu helfen; in beflügelter Eile
machte ich Toilette, um mich den beiden grauen Lustwandlern im Garten
anzuschließen und zu erkunden, welch ein Geist diese Peripatetiker nach
solcher stürmischen Nacht in solcher Weise neben- und gegeneinander am
nebelverhangenen Ufer des Hallstädter Sees auf- und abführte.
Ich eilte die Treppe hinab, rief nach dem morgendlichen Kaffee, trat
dann, ebenfalls unter aufgespanntem Regenschirm, in den Garten und
schloß mich mit unbefangenster Miene den zwei Weltweisen an, um ihnen
das, was ich ihnen freilich nicht geben konnte, zu bieten, nämlich einen
guten Morgen.
Sie sahen verstört, übernächtig und verdrießlich genug aus: aber
bewundern mußte sie jeder denkende Mensch; und ich, der ich für jedes
geniale Sichfinden in die Stunde und ihre Verhältnisse einen feinen und
freien Blick habe, ich fühlte plötzlich eine Achtung für sie, von
welcher ich bis dahin keinen Begriff gehabt hatte.
Wie sank Roderichs von der Leine kleinliche, aber unversöhnliche
Gereiztheit vor der wahrhaft großartigen Charakterentfaltung dieser
beiden Männer der Wissenschaft auf ihr rechtes Maß herab! Zuckriegel und
Steinbüchse hatten sich auch gegenseitig gereizt, hatten sich schöne
Dinge gesagt; aber was war ihre Persönlichkeit gegenüber den hohen
Zwecken ihres Daseins am Hallstädter See? Die gelehrten Leidenschaften,
welche nächtlicherweise die Seelen der zwei streitbaren Helden so
furchtbar gegeneinander empört hatten, lagen geduckt, so weit es möglich
war, am Boden. Die spirituosen Wolken, welche das Gehirn der Kämpfer
füllten, hatten sich bis auf einen leichten, schleierartigen Dunst
verzogen; Zuckriegel war zu groß, die Brausche seiner Stirn an dem
Professor zu rächen, und Steinbüchse aus Berlin war zu geistig-klar, um
sich zu erinnern, daß er um Mitternacht ein »blödsinniger Esel« genannt
worden sei. Von den Erinnerungen des letzten Tages und der vergangenen
Nacht waren nur die vertraulichen Mitteilungen der behaglichen
Abendstunden, als der Punsch noch nicht gewirkt hatte, übrig geblieben:
Steinbüchse hatte Zuckriegel ins Ohr geflüstert, daß auch er gekommen
sei, um auf dem Leichenacker des unbekannten Volkes am Rudolfsturm sich
nach »etwas Brauchbarem umzusehen«, und im Fall man es nicht willig,
billig oder gegen gute Worte ablassen werde, sich »seines gelehrten
Rechtes« zu bedienen. Da nun des Professors Blick mehr auf bronzene
Fibulae, Nadeln, Schwertgriffe und Pfeilspitzen gerichtet war, der
Prosektor aber nur Knochen, Knochen, Knochen für seine Sammlung
gebrauchen konnte, so kamen die beiden lüsternen Gemüter einander hier
in keiner Weise ins Gehege. Sie hatten sich also über ihren dampfenden
Gläsern innigst die Hände geschüttelt, und um einander die Jagd nicht zu
verderben, gegenseitig geschworen, nur in Gemeinschaft darauf ausgehen
zu wollen, und sich in allen Fährlichkeiten des Unternehmens mit
Beredsamkeit, List, ja mit Gewalt gegenseitig beizustehen. Die Vorgänge
der Nacht konnten an diesem Feldzugsplane nichts ändern, und so liefen
die gelehrten Verschwörer nach eingenommenem Kaffee im Garten am See auf
und ab, und sahen sich bei jedem neuen Vorüberstreifen mit finstern
Blicken und Widerwillen, aber doch ohne Mordlust an.
Um neun Uhr wollte man aufbrechen zu diesem neuen Argonautenzug, Raub
der Helena oder Raubzug ohne Umschweife. Es schlug eben acht, ich hatte
also vollkommen Zeit, in Behaglichkeit ebenfalls Kaffee zu trinken und
das Erwachen des Poeten zu erwarten.
Gegen halb neun Uhr erschien Roderich von der Leine, dieses Mal wieder
in seinem weißen Kostüm. Jetzt hing der karrierte Anzug auf der Leine am
Küchenherde, und wurde von vielen Gebirgsbewohnern, die in ebengenannter
Küche sonst nichts zu suchen hatten, angestarrt, betastet und grinsend
bewundert.
Die Begrüßung zwischen dem Dichter und den beiden andern Herren hatte
ihre Reize für den aufmerksamen Beobachter; aber Zuckriegel hatte seine
Galle und Bosheit in der Nacht so reichlich ausgeströmt, daß er am
frühen Morgen verhältnismäßig matt war; seine Stimmung war ungefähr die
einer Brillenschlange, welcher der fromme, aber schlaue Hindu einen
Flanellappen vor die Zähne geworfen hat, und welche ihr Gift daran
losgeworden ist. Als ich jedoch dem trefflichen Jüngling Hannovers meine
Absicht, die beiden Gelehrten auf ihrem gefahrvollen, aber ruhmreichen
Wege zu begleiten, mitteilte, da fuhr er, ohne der Zuckriegelschen
Mildigkeit zu trauen, erschreckt vom Stuhle auf, warf ihn und den
Milchtopf um, zog mich in einen Winkel und flüsterte:
»Ich bitte, ich beschwöre Sie! Was wollen Sie tun? Bleiben Sie bei mir,
gehen Sie nicht mit diesen zwei seelenlosen Ungeheuern. Ich habe es mir
überlegt, man kann Hallstadt nicht verlassen, ohne den Schleierfall, den
Sprattenfall, den Waldbachstrub gesehen und einen entzückten Blick auf
den Dachstein und das Karlseisfeld geworfen zu haben. Man würde uns
auslachen, wenn wir ohne diese Erinnerung heimkehrten; -- ich flehe Sie
an, rennen Sie nicht in Ihr Verderben, gehen Sie mit mir; ich habe Ihnen
noch so vieles zu sagen, wir sympathisieren so vortrefflich miteinander.
Auf dem Wege nach dem Rudolfsturm regnet es ebenso sehr wie im
Echerntal, o kommen Sie mit mir!«
Wenn mich etwas dazu hätte bringen können, den glänzenden Fußstapfen des
göttlichen Sängers zu folgen, so wäre es die letzte so unbeschreiblich
wahre Bemerkung gewesen. Aber mein Entschluß stand fest; ich wollte mich
lieber auf dem Wege nach den unbekannten Knochen als nach dem
Waldbachstrub auswaschen lassen. Ich ziehe überhaupt der schönen Natur
eine schöne Menschenseele weit vor, und um Zuckriegels und Steinbüchses
Gesellschaft an diesem Morgen hätte ich alle landschaftlichen
Herrlichkeiten des Salzkammergutes samt dem himmlichsten Sonnenscheine
mit tausend Freuden fahren lassen, und alle Singvögel und frommen Tiere
des Waldes gratis zugegeben.
Ich entzog mich also mit bedächtigem Hauptschütteln den umschlingenden
Armen des Verfassers der Lebensblüten und sagte:
»Teuerster Freund, ich kann Sie nicht zwingen, uns zu folgen, aber ich
wollte, ich könnte es. Wann wird Ihnen ein besserer Stoff zu einem
Lustspiel wieder vor die Füße laufen?«
Roderich von der Leine stutzte, sah auf, sah auf mich, sah auf die
beiden Gelehrten, welche eben in grimmiger Entschlossenheit ihre
Reisetaschen packten und Platz für ihre Beute darin ließen; -- einen
Augenblick glaubte ich, sein Schicksal an das unsrige gebunden zu haben;
aber im nächsten Moment sank er wieder in sich zusammen und seufzte:
»Ich kann es nicht! Ich vermag es nicht! Ich kann _diesen_ Menschen
You have read 1 text from German literature.
Next - Keltische Knochen/Gedelöcke: Erzählungen - 3
  • Parts
  • Keltische Knochen/Gedelöcke: Erzählungen - 1
    Total number of words is 4114
    Total number of unique words is 1632
    38.3 of words are in the 2000 most common words
    49.6 of words are in the 5000 most common words
    54.8 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Keltische Knochen/Gedelöcke: Erzählungen - 2
    Total number of words is 4127
    Total number of unique words is 1606
    37.5 of words are in the 2000 most common words
    50.5 of words are in the 5000 most common words
    55.8 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Keltische Knochen/Gedelöcke: Erzählungen - 3
    Total number of words is 4212
    Total number of unique words is 1713
    34.5 of words are in the 2000 most common words
    46.4 of words are in the 5000 most common words
    52.2 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Keltische Knochen/Gedelöcke: Erzählungen - 4
    Total number of words is 4327
    Total number of unique words is 1664
    34.5 of words are in the 2000 most common words
    46.4 of words are in the 5000 most common words
    52.1 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Keltische Knochen/Gedelöcke: Erzählungen - 5
    Total number of words is 4316
    Total number of unique words is 1651
    34.4 of words are in the 2000 most common words
    46.0 of words are in the 5000 most common words
    51.6 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Keltische Knochen/Gedelöcke: Erzählungen - 6
    Total number of words is 3862
    Total number of unique words is 1419
    34.9 of words are in the 2000 most common words
    44.7 of words are in the 5000 most common words
    50.9 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.