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Keltische Knochen/Gedelöcke: Erzählungen - 5

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  als ob ihm ein eiskalter Teller auf den Magen gedrücket werde, hinüber
  in eine bessere Welt, um vor einer andern Stelle als dem dänischen
  Oberkonsistorio und dem Kopenhagener Polizeimeister und obern und untern
  Publiko von seinem Leben, Taten und Meinungen Rechenschaft zu geben. Er
  ersoff, verstockt wie Pharao, elendig im Roten Meere seiner Sünden, wie
  der Pastor Hieronymus Moekel sagte. Er zeigte, daß er zur richtigen Zeit
  seinen Abtritt zu nehmen wußte, wie der Professor Ludwig Holberg mit
  einem noch vieles andere sagenden Achselzucken bemerkte. Er schlug sich
  dreimal an die Brust und rief: »Ich weiß, daß ein allmächtiger Gott
  ist!« und verschied -- wie Monsieur David Bleichfeld später auf dem
  Polizeiamt berichtete.
  Nun weiß man aus der Geschichte, daß um die Stunde, da der großmächtige,
  grausame Tyrann und verruchte Königsmörder Olivier Cromwellius, so sich
  auch den Protektor von England heißen ließ, den Atem verhauchte, ein
  erschrecklich Unwetter sich erhob, welches viele Fensterscheiben und
  Schornsteine zerschlug, auch manchen Baum umwarf und sonst vielerlei
  betrübtes Unheil anrichtete: um die neunte Abendstunde des ersten
  Ostertages 1731, als der Kurator Gedelöcke seine Rechnung abschloß,
  entstand nur ein trockenes Wehen, das kaum den Staub und die Abfälle in
  den Gassen von Kopenhagen umherwirbelte, aber späterhin so gut wie das
  engelländische Sturmwetter zu den »Zeichen« gerechnet wurde. Es rasselte
  der Wind ein wenig an dem Fenster, als klopfe eine Hand an die Scheiben.
  »So lasse ich dich dem, welchem du angehören willst, Jens Pedersen
  Gedelöcke!« rief der Prediger von der Dreifaltigkeitskirche und
  entfernte sich mit seinem Küster Jesse Brägge; das Gesinde stürzte fort,
  die Frau verbarg sich mit dem Töchterlein in ihrem Gemache. Niemand
  harrte bei dem toten Manne aus, als sein Famulus und sein Kater, welcher
  letztere später natürlich ebenfalls zu den »Zeichen« gezählt wurde. Und
  als David Bleichfeld eine halbe Stunde nach dem Tode des Patrons in sein
  Kämmerlein hinaufstieg, um aus dem verborgensten Schubfach seines
  Schreibpultes das an den Herrn Obristen von Knorpp gerichtete Schreiben
  des Kurators hervorzunehmen, hielt der Kater die Leichenwache fürs erste
  ganz allein.
  Mehr instinktartig und mechanisch, als in klarer Überlegung dessen, was
  geschehen müßte, richtete der Famulus den letzten Auftrag seines Herrn
  aus; aber selbst die Gewißheit, nur der letzten Grille des Verstorbenen
  Vorschub zu leisten, würde ihn auf seinem Wege nicht aufgehalten haben.
  Er verließ das Haus und trug das versiegelte Papier in beiden Händen vor
  sich her durch die finstern Gassen. An einer Ecke traf er auf die
  ehrwürdigen Herren von der Trinitatis- und der Frauenkirche, welchen ein
  Diener mit der Laterne vorleuchtete. Sie hielten den Verstörten an und
  sprachen, indem sie eine längere Zeit hindurch an seiner Seite
  schritten, heftig und hitzig auf ihn ein, ohne daß er sie anfangs
  verstand. Als er aber allmählich ihre Meinung und die Wege, welche sie
  gingen, begriff, da schob er das Schreiben Gedelöckes hastig in die
  Brusttasche und knöpfte mit zitternden Fingern jeden Knopf darüber zu;
  noch hastiger nahm er sodann seinen Abschied von den zwei Pastören und
  beschleunigte seine Schritte dergestalt, daß er fast gänzlich außer Atem
  vor der Wohnung des Obristen Benediktus von Knorpp anlangte und vor
  übermächtiger Aufregung und Mangel an Luft kaum imstande war, daselbst
  Einlaß zu begehren und seinen Namen zu nennen.
  Da stand er denn auf dem Hausflur und murmelte: »Ah, so ist es gemeint!
  so ist es -- o, ich konnte es mir denken! o, Jens Pedersen Gedelöcke! o,
  Herr Kurator! o, mein guter, guter Herr und Patron!« und aus dem obern
  Gestock des Hauses drang ein rauher kriegerischer Gesang herab, welcher
  sein erschüttert Gemüte auch wenig kräftigte und festigte. Nun führte
  ihn eine uralte, hexenartige Dienstmagd die Treppe hinauf; nun trat er
  aus der Kühle in die Hitze, nun stand er zwischen gepackten
  Soldatenkoffern in einem dichten Nebel von Tabaksqualm, und das Lied von
  der Schlacht bei Kiöge paßte fürtrefflich zu dem Manne, so in hohen
  schwedischen Stiefeln, mit der Tonpfeife im Munde zwischen dem Fenster
  und dem hohen Steinkrug auf dem Tische hin- und herschritt und jedesmal,
  wann er die Nase und den Schnauzbart in dem Kruge versenkte, wußte, was
  er tat.
  »Der Herr Obrister sind heute mittag von Altona angelanget und gehen
  übermorgen mit dem Regiment nach Frederikshall,« hatte die
  Wirtschafterin auf der Treppe dem Famulo mitgeteilt, und der Herr
  Obrister kommandierten sich selber »Halt!« und »Front«, standen
  stocksteif vor dem Boten des Kurators Jens Pedersen Gedelöcke und
  schnarrten:
  »^Bonsoir^, Monsieur Bleichfeld; ist Er's denn, oder ist Er's nicht? Bei
  allem, was lebet, wie siehet Er aus, Herr Studio! Ist Ihm der General
  Stenbock, der König Karl oder der Teufel selbst begegnet? Was bringet Er
  mir von Sich oder Seinem Herrn?«
  »Der Herr Kurator lassen sich dem Herrn Obristen allergehorsamst
  rekommandieren; -- vor einer Stunde sind Sie sanft entschlafen.«
  »Halt!« schrie der Kriegsmann, beide Hände wie Klauen dem
  zusammenknickenden Famulus auf die Schulter schlagend, und ihm die
  scharfe dünne Habichtnase so nahe als möglich unter die Augen rückend:
  »Ruhe im Glied! Was hat Er gesaget, Monsieur?«
  Der Famulus wiederholte stotternd seine Nachricht, die hellen Tränen
  liefen ihm dabei jetzo über die hagern Backen, und der Kriegsmann ließ
  seine Schulterblätter frei, leerte im jähen Schrecken und Schmerz seinen
  Krug bis zum Grunde, setzte sich auf den nächsten Holzschemel und
  seufzte in tiefster Zerknirschung:
  »O David Bleichfeld, das verdirbt mir mehr als diesen Abend! O
  Bleichfelde, mit diesem Wort hat Er mir mehr in der Hand zerbrochen, als
  diese tönerne Pfeife, und Famule -- holla -- ich kenne den Jens Pedersen
  -- und ich glaube Ihm noch nicht, Monsieur David! Er ist geschickt
  worden, mich anzulügen zum Willkommen, Kamerade -- sehe Er mir noch mal
  in die Augen.«
  Noch einmal packte der Kriegsmann den Unglücksboten und sah ihm in das
  klägliche Gesicht. Als er ihn aber zum zweiten Male frei ließ, zweifelte
  er nicht länger, sondern seufzte:
  »O Jens, Jens, du halsstarriger, widerborstiger, närrischer Bursch, so
  hast du mir denn den letzten Schabernack gespielt und bist vom Posten
  abgezogen, ohne Losung und Rapport zu hinterlassen. O du
  fahnenflüchtiger Bösewicht, die Hand hättest du wenigstens mir noch
  einmal drücken sollen! Monsieur Bleichfeld, ich sage Ihm, das hat mir
  nicht geschwanet, daß ich zu einem solchen Feste aus Holstein einrücken
  solle. O Jens, eine solche Freundschaft wie die unsrige ist nie erhöret
  worden, und nimmer haben zwo menschliche Kreaturen in solchem Hader,
  Ekel und Widerwillen miteinander gelebet, denn wir zwei beide! Monsieur
  Bleichfeld, seit wir uns vor unserer Väter Türen zu Helsingör um Ball
  und Kreisel die Köpfe blutig schlugen, seit wir in Rosenborg-Have Anno
  1695 um die Mamsell Spegelmann einander in die Haare gerieten, sind wir
  wie zwo Zwillingsbrüder gewesen und haben kein Jahr verstreichen lassen,
  ohne uns gegenseitig aufs Eis zu führen, und nun ist er fortgegangen,
  Meister Bleichfeld, und hat seinen alten Kumpan allein im dänischen
  Dreck gelassen! Ich habe schon längst in Altona auf seine diesjährige
  Schnurre gewartet; aber solches geht doch über allen Spaß, -- ohne ein
  Aviso, -- ohne ein Wort zum Abschied --«
  »Nicht ohne ein Wort zum Abschied, Herr Obrister!« rief der Famulus, das
  Schreiben seines Patrons hervorziehend. »Dieses ist für Euch, Herr von
  Knorpp, und mir auf die Seele gebunden. Leset und lasset mich Eurer
  Opinion, Eures Rates und Trostes genießen; es ist seine letzte Meinung
  also gewesen.«
  Mit eilfertiger, ein wenig zitternder Hand hatte der Oberst nach dem
  wohlversiegelten Brief gegriffen, ihn mehrfach von jeder Seite beaugt
  und endlich erbrochen.
  Da saß er am Tisch, die Skriptur auf Armeslänge von sich abhaltend, und
  das wechselnde Spiel der Muskeln auf seinem runzligen, zähen,
  verwetterten Ledergesicht war wohl eines feinen und gewandten
  holländischen Pinsels würdig. Betrübnis, Erstaunen, Zornigkeit und helle
  Wut zerrten in solcher blitzesschnellen Folge Stirn und Nase,
  Schnauzbart, Kinn, Backen und Mundwinkel durcheinander, daß der
  kummerbelastete Famulus ob des mirakulosen Anblicks betroffen Schritt
  für Schritt zurücktrat, und zuletzt, als der Kriegsmann mit einem wilden
  Fluch und einem donnernden Faustschlag auf den Tisch verkündete, daß
  dieses das Tollste und Heilloseste sei, was ihm seit dem Travendahler
  Frieden vorgekommen, -- wie von dem Faustschlag selber getroffen
  zusammenfuhr und schier in sich selber verschwand.
  »Weiß Er, David Bleichfeld, was er mir hier schreibt?« schrie der Obrist
  und brüllte, als der Famulus den Kopf schüttelte: »Er wendet sich an
  mich und an Ihn, Davide, um sechs ungehobelte Bretter und ein stilles
  Loch in der Erde! Er weiß, was für schwarzes Gevögel ihm über dem Kopfe
  fliegt und herabstoßen will! Wir beide sollen ihn begraben, Monsieur,
  bei Nacht und Nebel, still und fein säuberlich, Monsieur. Er hat uns
  seinen armen stinkenden Leichnam vermacht, Meister David Bleichfeld.
  Seinem Hausdrachen trauet er nicht über die Gasse und noch viel weniger
  bis auf den Kirchhof, und was den ehrwürdigen Herrn Hieronymus Moekel
  anbetrifft, so -- -- Himmel und Hölle, bei allen Gruben, an denen ich je
  auf einem dänischen ^champ de bataille^ gestanden habe, Jens Pedersen
  Gedelöcke, es soll geschehen, wie du es wünschest, und sollte ich das
  Haus mit meinen Füsilieren im Sturm nehmen müssen!«
  Auch der Famulus las nunmehro das Schreiben des Kurators und rief
  sodann: »O Herr Obrister, er hat recht, und Eile tut wahrlich not! Der
  Herr Oberprediger von Trinitatis ist freilich schon auf dem Wege, ein
  hochehrwürdiges Konsistorium ist bereits zusammenberufen, und was die
  Dunkelheit dieser Nacht gebiert, das wird am Morgen gar schön und propre
  daliegen --«
  »Und übermorgen segeln wir auf alt Norge!« rief der Kriegsmann, den
  Dreimaster auf die Perücke stülpend; »Gewehr über! Marsch auf der ganzen
  Linie! O Jens, Jens, wie magst du von deiner Wolke herablachen, denn
  also hast du mich in deinem ganzen Leben noch nicht zum Narren gehalten;
  aber wer zuletzt lacht, -- ach Gott, es ist eine elende, nichtsnutzige
  Welt, marsch, Meister David, lasse Er die schwarzen Vögel nur zu Haufen
  fliegen; wir holen meinen Regimentsfeldscher Herrn Snorro Skalholt aus
  seinem Garnisonsspital; dann können wir ihnen die Volte zu drei
  schlagen, und, Monsieur David Bleichfeld, wann Er übermorgen mit mir und
  meinem Regiment an Bord des Själland gehen will, so soll Er mir
  hochwillkommen sein, und zu überlegen wär's!«
  »Jawohl, zu überlegen wär's!« seufzte der Famulus; aber der Gedanke an
  das Testament des Kurators Gedelöcke, an die herrliche Bibliothek und
  die zweitausend dänischen Reichstaler legte sich ihm wie ein spanischer
  Reiter in den Weg; mit einem Ruck der Verzweiflung zog er den Hut in die
  Stirn, folgte unsicheren Schrittes dem Kriegsmann, welcher bereits die
  Treppe hinunterstapfte, und fand sich zwanzig Minuten später vor dem
  Spital der Kopenhagener Garnison unter dem Fenster des isländischen
  Doktors, welches der lange Oberst, auf den Zehen stehend mit dem
  Stockknopf grad erreichte.
  »Wach ist er; aber Danziger Goldwasser ist auch ein liebliches
  Getränke,« sprach der Herr von Knorpp. »Da werden wir ihm doch wohl die
  Scheibe einschlagen müssen. Hallo, holla, da ist er!«
  Auf das wiederholte Gepoch wurde mit einem grimmigen Getöse das Fenster
  in der Höhe aufgerissen, und, beleuchtet von einer flackernden Kerze,
  schob sich der dickste Kopf der dänischen Monarchie in die Nacht vor.
  »Ist das nicht wie ein Nordlicht?« fragte der Oberst, seinen Ellenbogen
  dem Begleiter in die Seite stoßend. »Gut Freund, Meister Snorro
  Skalholt! Steige Er hernieder, Kamarado, man hat eine Arbeit für Ihn!«
  »^Eheu, dux legionarius!^« schnarrte die Erscheinung im Fenster, das
  zerwühlte, flachsartige Haar zurechtschüttelnd. »Seid Ihr es, Herr von
  Knorpp? Was habet Ihr für Euern Gehorsamsten? Mit oder ohne Messer,
  Obrister?«
  »Herunter mit dir, Island!« schrie der Kriegsmann. »Das weitere wird man
  dir schon auf dem Wege sagen!« Das Fenster schloß sich; der Doktor
  Snorro Skalholt trat in die Gasse und erfuhr, um was es sich handle.
  Fürderhin lachte er nur von Zeit zu Zeit grimmig in den Bart und rieb
  sich die Hände unter dem Mantel. Bereit, auch das Äußerste für ihre
  Pflicht zu nehmen, erreichten die drei Verbündeten das Haus des Kurators
  Jens Pedersen Gedelöcke.
  
  V. Von dem isländischen Regimentsfeldscherer Herrn Snorro Skalholt und
  von Mynheer van der Tromp, weiland zu Leyden.
  »Halt!« kommandierte wiederum der Obrist. »In keinem Scharmützel, in
  keinem Treffen bin ich mit einem solchen Gefühl im Magen in die
  Schlachtlinie gerückt, und Er, Skalholt, lasse Er das abscheuliche
  Gegrunz und Gelach; hätt' Er den Gedelöcke gekannt, wie wir, es würde
  Ihme auch schwüler ums Herz sein.«
  »He, he, he, ich lache nicht über den Herrn Kurator, ^monsieur le
  colonel^; mich lächert Mynheer van der Tromp, den wir zu Leyden stahlen
  zur Ehre der Wissenschaft. Lasset mich sehen, -- Lemort, Hotton,
  Boerhave und ich teilten uns in ihn; -- ja, ja, die drei andern sind als
  große ^lumina^, als weltberühmte Lichter ausgegangen, und ich bin ein
  armer Feldscher worden; aber was hat der Mensch von aller Gloria, wann
  er tot ist? ^Barbati praecedant^, marschiere Er voran, Herr von Knorpp,
  doch trete Er leise auf: Mevrouw van der Tromp bot fünfhundert
  holländische Dukaten dem, so ihr ihres Eheliebsten Leib retourniere, und
  wir loffen schier an der Wand hinauf vor Ärger; denn wir hatten ihn
  allbereits verwürfelt und ausgeteilet, jeglichem nach seiner Fortun.«
  »Das ist ja eine recht jokose Historia, Meister Snorro,« sprach der
  Oberst Benediktus. »Courage, Monsieur Bleichfeld!«
  »Eine recht jokose Historia!« murmelte der Famulus und schoß in die
  halbgeöffnete Haustür, in welcher niemand ihm und seinen Begleitern
  entgegentrat.
  »Niemand zu sehen und zu hören?« sagte der Obrister. »Wahrlich, das
  siehet öde und kalt aus. O Jens, Jens, du hast uns sonsten hier in
  anderer Weise salutieret! Haben sie denn alle Reißaus genommen? Brr, im
  Schwedenlager vor Frederikshall, Anno Achtzehn konnt's nicht kühler
  sein; -- o Gedelöcke, Gedelöcke, was ist aus deinem lustigen Quartier
  geworden!«
  Nichts regte sich in dem großen weitläuftigen Hause. Auf einer
  Treppenstufe stand eine schwelende Küchenlampe, und dem Famulo schlugen
  die Knie aneinander vor innerlichem Frost, als er die Hand nach dieser
  Lampe ausstreckte, um den beiden Herren den Weg zu zeigen. Auch in dem
  obern Gestock rührte und regte sich nichts, außer den Mäusen hinter dem
  Wandgetäfel; die Tür des Sterbezimmers stand gleich der Haustür ein
  wenig geöffnet, doch brannte kein Licht in dem Gemache, und die kleine
  qualmende Flamme, welche David Bleichfeld auf Armeslänge zitternd
  vortrug, schien die Finsternis nur dichter und undurchdringlicher zu
  machen.
  »Nun, Mann, da wir soweit sind, so rücket weiter,« sagte der Oberst,
  doch nicht mit der gewohnten rauhen Kommandostimme. »Die Toten beißen
  nicht, und den Lebendigen kann man die Zähne weisen; -- da!«
  Der isländische Regimentsdoktor hatte den zaudernden Famulus durch einen
  jähen Stoß in das Gemach gedrängt; der Schein der Lampe fiel über das
  Bett des Kurators, und aus dem Lehnstuhl neben dem Bette erhob sich
  fauchend der Kater Mutz und sah mit grünleuchtenden, wilden Augen auf
  die Eintretenden. Unter dem weißen Laken, so man über den Leichnam
  geworfen hatte, guckte nur der rote Zipfel der Nachtmütze Gedelöckes
  hervor; der Lichtschein tanzte über dem Tische mit den Arzneigläsern,
  Schalen und Bechern; auf der spanischen Wand grinsten die bunten
  Chinesen wie phantastische Kobolde, und in dem kuriosen Gezweig schienen
  die kuriosen Vögel in dämonischer Lustigkeit mit den Flügeln zu
  schlagen. Schon aber hatte Herr Snorro Skalholt die Leinwand von dem
  Gesicht des Toten gezogen, und während die beiden andern noch in
  Betrübnis und Grauen bewegungslos standen, betastete er mit
  gierig-kundiger Hand den Leichnam, wandte sich um und sprach:
  »Herr Obrister von Knorpp, der Mann spielt Euch sicher keinen Possen
  mehr.«
  »Ich wüßte nichts, so mir schwerer einginge!« seufzte der Oberst. »O
  Jens, Jens, das gehet noch über die Mamsell Spegelmann im Garten zu
  Rosenborg, -- ah, bah, hab' ich damals meinen Willen gehabt, so sollst
  du jetzo den deinigen haben, Jens Pedersen Gedelöcke! Vorwärts im
  Schritt; -- gebet Euer Wort dazu, Ihr Herren!«
  »Messieurs sind also fest entschlossen, mit hier vorliegendem Korpus
  ^per fas et nefas^ denen, so ein mehreres Recht daran haben möchten, die
  ^elatio^, will sagen, die Leichaustragung vor der Nase hinweg
  vorzunehmen?« fragte der Doktor Snorro, sich von der Inspektion des
  Leichnams aufrichtend.
  »^Per fas et nefas^, es war seine Meinung, und es soll so geschehen!«
  rief schluchzend der Famulus, und der Oberst von Knorpp streifte stumm,
  mit grimmigem Ernst, die weiten Ärmelaufschläge zurück, zu jedem
  Anpacken mit Fäusten und Zähnen bereit.
  »So ist mein Avis,« sagte der Regimentsfeldscher, »die Herren halten
  allhier gute Wacht mit Ober- und Untergewehr; ich aber bringe vom Spital
  die Vespillones, will sagen, meine Bahrträger. Da gehen wir dann mit dem
  Herrn Kurator fein still und sittsam die Treppe hinunter, machen an der
  Tür dem Haus unser Kompliment, und hab' ich ihn, will sagen, den Herrn
  Kuratorem, im Spital, so --«
  Der Doktor brach ab und zeigte nur sein Gebiß; der Herr von Knorpp und
  Herr David Bleichfeld gaben nickend ihre Beistimmung kund, jedoch mit
  der geheimen Reservation einer kleinen Unterschiedlichkeit zwischen den
  allerletzten Schicksalen Mynheers van der Tromp und des Kurators Jens
  Pedersen Gedelöcke. Auf den Zehen schlich der Isländer aus dem Zimmer;
  der Obrister setzte sich zu Häupten des Lagers nieder, und der Famulus
  hielt Wacht an der Tür, nachdem er vorher noch eine Wachskerze, die er
  auf einem Nebentische fand, angezündet hatte. Schnurrend aber ging der
  Kater jetzo, nachdem er sich überzeugt hatte, daß Freunde seines toten
  Herren gekommen waren, von einem der beiden Männer zu dem andern und
  rieb knisternd sein Fell an ihren Schienbeinen und Waden, bis er
  plötzlich ganz ^improviso^ mit einem Satz dem Obristen auf das Knie
  sprang und gravitätisch daselbst seinen Posten behauptete. Hätte der
  Kurator sich aufrichten und einen Blick in das weite, dunkle Gemach, auf
  den rotröckigen Herrn Benedikt von Knorpp, den schwarzen,
  bleichgesichtigen, zähneklappernden David Bleichfeld und den Mutz werfen
  können, er würde dessen gewiß merkwürdiglich froh geworden sein.
  Von Zeit zu Zeit unterbrach ein langes Geseufz, ein dumpferes Knurren
  und Brummen des Kriegsmannes die Stille der Nacht. Der Wind zischte vor
  den Fenstern, es rieselte der Ruß im Schornstein hernieder, einmal wurde
  draußen auf dem Gange eine Tür schnell geöffnet und noch schneller
  wieder zugeschlagen.
  »Da lob' ich mir jeglichen Posten über jeder Flattermine,« murmelte der
  Obrister, und der Famulus lobte noch manche andere Dinge und Zustände,
  welche behaglicher waren, als dieses mitternächtliche Harren auf den
  isländischen Doktor Snorro Skalholt und seine Bahrträger. Endlich um
  zwölf Uhr weniger zehn Minuten legte der Herr von Knorpp die Hand ans
  Ohr, und David schlich zum Fenster und flüsterte:
  »Da sind sie! der Himmel sei gepriesen!«
  »Amen!« sprach der Obrist. Taktmäßige Schritte mehrerer Männer ertönten
  in der stillen Gasse und hielten vor dem Hause des weiland Kurators
  Gedelöcke an.
  »Courage, Famulissime!« flüsterte der Herr von Knorpp. »Jetzo fasset
  einmal all Euern dänischen Heldenmut zusammen; denket an den ehrwürdigen
  Herrn Hieronymus Moekel und das hochehrwürdige königliche Konsistorium;
  nehmt das Licht und haltet es hoch, ich nehme den Kurator! Courage, Jens
  Pe -- wollte ich sagen David Bleichfeld! O Jens, Jens Pedersen
  Gedelöcke, ich hab' schon manch einen also aufgegriffen vom Feld, aber
  keinen mit mehr Ärgernis und Jammer als dich! Komm, Alter, es war doch
  ein ander Ding, als wir in Rosenborg-Have uns im Sonnenschein unsere
  Meinung und die Mamsell Spegelmann um die Köpfe schlugen!«
  Er hatte während dieser Stoßseufzer das Leinentuch fest um den Leichnam
  geschlagen und erhob denselben nun mit einem wilden Ruck von dem Pfühle.
  Im höchsten Schrecken fuhr David Bleichfeld gegen die Wand, und
  zischend, mit emporgesträubtem Pelz, schoß der Kater auf und sah mit
  allen Zeichen des Entsetzens von einem hohen Eckschrank seinem toten
  Herrn nach.
  »Horch, Island auf der Treppen! Hinaus, Monsieur, in des Satans Namen!
  -- Leuchtet vor, -- Courage!« rief der Obrist, keuchend unter seiner
  absonderlichen Last; der Famulus riß die Tür auf, und der Herr von
  Knorpp sprang mit dem Leichnam auf den Korridor hinaus. In demselben
  Momento aber wurde auch die Tür der Frau Mette am Ende des Ganges
  geöffnet, und eine Magd, ein Teebrett mit Tassen und Töpfen in den
  Händen tragend, trat herfür, um einen Augenblick versteinert die
  verwunderliche Gruppe anzustarren und mit dem nicht ungerechtfertigten
  gellenden Gekreisch: »Er holt ihn! er holt ihn! er hat ihn! Der Teufel!
  der böse Feind! der Teufel holt den Herrn! der Teufel holt den Herrn
  Kurator!« zu Boden zu stürzen. Auf sie und die Trümmer ihres Porzellans
  sank mit eben solchem Geschrei die herzugeeilte trauernde Wittib.
  »Da haben wir's, Jens Gedelöcke, da hast du's! drin sind wir! Vorwärts,
  Monsieur Bleichfeld. Zehntausend finnische Nordlichter, wird das morgen
  einen Lärm geben in der Stadt Kopenhagen! Greift zu, Herr Snorro, und
  vorwärts im Galopp!«
  »Ja, vorwärts im Galopp, das sagte Hermann Boerhave auch, als wir
  Mynheer van der Tromp durch die Hoftür zwängten,« murmelte der Isländer.
  »^De drommel^, das war im Jahr Neunundachtzig, Obrister!«
  Der Famulus sagte nichts; denn zuletzt trug er doch am schwersten an dem
  Gewicht seines guten toten Patrons. Wie Frau und Magd im obern Stockwerk
  des Hauses, so schrien nun Knecht und Köchin im Erdgeschoß auf und
  stürzten im fernsten Winkel übereinander; aber vor der Tür warteten ein
  Gefreiter und vier Füsiliere mit der Spitalbahre: »Viktoria, heran ihr
  Leute!« rief der isländische Feldscher. »Packt auf und sehet euch nicht
  um; greift aus, Herr von Knorpp, greift aus, Monsieur Bleichfeld, in
  meinem Quartier mögen wir das weitere besprechen.«
  Schnell nahmen die Träger die Bahre auf, und im eilenden Laufe wurde der
  Leib des Kurators Jens Pedersen Gedelöcke durch die Gassen geführet.
  Weit ausschreitend, eröffnete der Obriste Herr Benediktus von Knorpp den
  Zug, und der Famulus mit dem Isländer beschlossen ihn. Scheu wich zur
  Seite, wer dem gespenstischen Wesen begegnete, und mehr als ein guter
  Kopenhagener Bürger, an welchem das »Ding« vorübergefahren war, sprach
  nachhero mit absonderlicher Inbrunst sein Vaterunser und zog die
  Bettdecke hoch über die Nase hinauf. Am andern Morgen in der grauesten
  Frühe, vor Eröffnung der Festungstore, rasselte ein Fuhrmannswagen gegen
  das Ostertor heran, und ein tief in seinen Mantel gehüllter Mann wies
  dem wachthabenden Korporal den Passierzettel vor, worauf die Gitter ohne
  Anstand geöffnet wurden, und das Fuhrwerk ohngehindert seinen Weg durch
  die Osterbrogade fortsetzen durfte. Am Garnisonskirchhof hielt der Wagen
  abermals, drei Männer stiegen herab und trugen mit Hilfe des Fuhrknechts
  einen schlecht gezimmerten königlich dänischen Soldatensarg im tiefsten
  Schweigen durch den dichten Nebel über den Gottesacker zu einer Grube,
  an deren Rand der Totengräber mit seinem Gehilfen bereits wartete.
  Im tiefsten Schweigen wurde der Sarg in die Erde hinabgesenkt; wie die
  drei Männer mit die Stricke gehalten hatten, so griffen sie auch mit zu
  den Schaufeln, und in kürzester Frist war die traurige Arbeit vollendet.
  Nachdem sich die Totengräber entfernt hatten, blieben die drei
  Leidträger allein an dem neuen Grabe; der Famulus des Herrn Kurators
  Jens Pedersen Gedelöcke, David Bleichfeld, schluchzte laut hinter dem
  vorgehaltenen Hute; der isländische Doktor Snorro Skalholt murmelte
  etwas von Mynheer van der Tromp, und der Obriste Herr Benediktus von
  Knorpp drückte mit einem Faustschlag den befiederten Dreimaster tief in
  die Stirn und sprach:
  »So hast du denn wenigstens ein ehrlich Soldatengrab gekriegt, Jens, und
  Gott schenke dir und uns allen eine fröhliche Urständ! Wir haben unser
  Bestes getan, Messieurs, und für jetzt das Beste gewonnen; aber --
  Bleichfelde, nehme Er Vernunft an; gehe Er morgen mit mir und meinen
  Füsilieren nach Norwegen. Bringe Er Seinen eigenen Leichnam in
  Sicherheit, Famule; gehe Er mit uns nach Friedrichshall; die Kommodité
  soll seit der schwedischen Berennung Anno Achtzehn mächtig zugenommen
  haben; ich geb' Ihm meine Parol, auf Fort Güldenlöwe soll Er sitzen wie
  in Abrahams Schoß, und wir wollen lachen über das Krächzen und
  Flügelschlagen jenseits des Wassers.«
  »Seine, meine Bibliotheka!« seufzte der Famulus. »Die zwotausend
  Reichstaler lass' ich hinter mir wie einen Sack Nüsse; aber hat er Raum
  an Bord für ^Opera omnia^ Lutheri, Melanchthonis, Brentii, Walleri,
  Erasmi, Clerici, Calvini, Cocceii, Launoii ...«
  »Hör Er auf, hör Er auf!« schrie der Obrist.
  »Hat er Platz für des Cornelii a Lapide Bibelkommentare, sechszehn
  Folianten? Hat Er --«
  Herr Benediktus von Knorpp hielt sich beide Ohren zu, und stiefelte
  eilig über die Gräber der Kirchhofspforte zu, und verdrießlich folgte
  ihm der isländische Doktor. Der arme Famulus stand allein an dem
  traurigen Grabe des Kurators Jens Pedersen Gedelöcke, schlug die Hände
  zusammen und rief:
  »O mein guter Patron, mein Freund, mein Vater, was werden sie aus mir
  machen? Was soll ich ohne Ihn anfangen in dieser ärgerlichen giftigen
  Welt? O Herr Kurator, Herr Kurator!« Auf den Zaun des Garnisonfriedhofes
  aber legten sich zwei hagere, haarige, knochige Fäuste, eine lange,
  schwarze Gestalt hob sich auf den Zehen, und eine spitzige, gerötete
  Nase roch in den Nebel hinein.
  »Ei, ei! so, so, Monsieur Bleichfeld,« sprach Meister Jesse Brägge, der
  Küster der Trinitatiskirche. »Solches wird man freilich ein Begräbnis
  Jojakims nennen! ^o profanatio^, was werden wir dazu sagen im
  hochwürdigsten Konsistorio! Hat man Ihn, Monsieur? Ei, ei, ei, das war
  freilich ein lieblich Werk und wird einen guten Geruch geben.«
  
  VI. Von der Stadt Friedrichshall, der Feste Friedrichstein und dem
  dänischen Postschiff.
  Im Norwegenschen Amt Smaalehnen, Stift Christiania, an der Mündung des
  Tistedal-Elfs in den Idefjord, Swinesund, liegt die Stadt Friedrichshall
  und daneben auf einem dreihundertundfünfzig Fuß hohen Felsen die in alle
  Zeiten berühmte und berüchtigte Feste Friedrichsstein mit ihren beiden
  Forts Oberberg und Güldenlöwe, vor welchem letztern, wie jedermann weiß,
  in der Nacht vom elften auf den zwölften Dezember 1718 der tapfere König
  Karolus, des Namens der Zwölfte, von einer Falkonetkugel durch den Kopf
  getroffen, das Leben ließ, und Schwedens Macht und Herrlichkeit ein jäh
  und schrecklich Ende nahm. Wir setzen den Fuß auf diesen hochtragischen
  Boden im Herbste des Jahres 1731, als Herr Benediktus von Knorpp
  Kommandante auf Friedrichsstein war, und noch sind nicht alle Spuren der
  schwedischen Belagerung in der öden, felsigen Umgebung verwischt. In
  diesen wenig bevölkerten, rauhen Gegenden hielt es schwer, selbst nur
  das Notwendigste wieder aufzurichten, und überall zeigten noch die
  Rudera verbrannter oder zerschossener Gehöfte, die zu Laufgräben und
  Schanzen aufgewühlte Erde, wie Bellona hier Hof gehalten hatte. Wie
  Trauerflor überzog das dunkle Gewölk den Himmel, mit klagendem Getön
  fuhr der Wind über Land und Sund: immer noch schwebte über den
  schwarzgrünen spiegelnden Wellen, dem düstern regungslosen Felsen und
  den Ruinen das Gespenst des gloriosen, wilden, nutzlosen Daseins, das
  hier in dieser Einöde, nach so gewaltigem Lärm und Leuchten in der Welt,
  in nichts versank; -- noch immer schien die königliche Leiche mit der
  blutigen Stirn unter den Mauern von Güldenlöwe zu liegen, und die
  frostige, graue Landschaft nur die Trauerdekoration des schwedischen
  Niederfalls zu sein.
  
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