Höxter und Corvey: Erzählung - 6

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»Der Bösewicht hat sie arg gewürgt. Helft mir, Herr Student, wir wollen
sie auf das Bett tragen. Es ist ein Jammer, daß wir den arzneikundigen
Bruder Briccius hier nicht vorhanden haben. Der würde sie uns in einem
Augenzwinkern wieder aufrecht hinsetzen.«
Herr Lambert Tewes hatte bereits den Kopf der Alten der Simeath aus den
Armen genommen; der Mönch faßte sie an den Füßen, und so trugen die
beiden sie auf das Bett des Sergeanten; der Student mit einem
verstohlenen Seitenblick auf das hübsche zerzauste Judenmädchen.
»Trockne deine Tränen, schwarzlockige Neära,« sagte er gutmütig. »Tu's
mir zu Liebe -- das alte Mütterchen hat in seinem langen Dasein mehr
ausgehalten als solch ein Katzengekrall; -- eure Patriarchen und
Patriarchinnen haben ein verflucht zähes Leben, und Großmutter kommt
diesmal noch sicher darüber weg auch ohne den Bruder Briccius.«
»Ich will es dem edlen Herrn nie vergessen!« rief Simeath nur noch
lauter weinend; und dann beugte sie sich, griff nach der Hand des wilden
Scholaren und wollte eben die Lippen darauf drücken, als Meister Lambert
ihr seine Pfote rasch entzog und ihr einen laut schallenden Kuß auf den
Mund gab.
»So steht's geschrieben in den Legibus der Julia Karolina, und Herr
Mynsinger von Frundeck, der Kanzler, wußte wohl, was er tat, als er den
Paragraphum einschob.«
Errötend trat das junge Kind gegen das Lager der Greisin zurück; der
Mönch hatte wohl ein wenig die Stirn gerunzelt, doch er hatte allzu viel
um die allmählich wieder ins Bewußtsein zurückkommende Kröppel-Leah zu
tun, um allzu genau auf die sonstigen Vorgänge in seiner Umgebung achten
zu können. Mit dem Wasser aus dem Kruge des Vaters Samuel rieb er der
Alten die Schläfen; -- da nieste sie endlich und stieß einen heiseren
Schrei aus, und dann saß sie wirklich aufrecht auf dem Stroh und sah aus
stieren Augen umher. Der rote Schein der niedersinkenden Feuersbrunst
leuchtete noch immer in das Gemach.
»Salzkotter Quartier. Die Liguisten in der Stadt!« stöhnte sie und fiel
zurück, die Hände über die Augen schlagend.
»Sie ist noch nicht ganz bei sich -- das Feuer wirrt sie,« murmelte der
Bruder Henricus gegen den Studenten gewendet. »Sie sieht wieder den
Gründonnerstag von 1634. Wir gaben kein Quartier, weil in Salzkotten uns
keines gegeben worden war.«
Und der Greis legte auch die eine Hand auf die Stirn und stützte sich
mit der anderen gegen die Wand mit den unzüchtigen Zeichnungen des
Regiments Fougerais:
»Herr, Herr, mein Gott, wann kommt der Frieden in deine arme Welt?!« --
Lambert Tewes stand nun ernst genug mit untergeschlagenen Armen da.
»Höxter und Corvey!« sagte er finster. »Meine lutherischen Väter standen
für Stadt und Stift. Die Liga war's, die Höxter in Trümmer legte und
Sankt Viti Sarkophagen zerbrach. Eure fremdländischen Obersten und
Kavaliers waren es, die die Gebeine unter sich verteilten, welche der
Kaiser Ludwig hierher an die Weser getragen hatte.«
»So ist es,« sagte Heinrich von Herstelle. »Das ist die Historia von
Höxter, und ich -- bin Mönch zu Corvey! Ich zog für die Liga; für den
Winterkönig, die schöne Elisabeth und den tollen Christian ritt Just von
Burlebecke, der mit mir aufgewachsen und von meiner Mutter mit mir
erzogen war.«
»Just von Burlebecke!« klang es wie ein Echo von dem Bette her, und
unterstützt von der Enkelin deutete die Greisin mit zitternder,
schwankender Hand auf den Erdboden, wo ihre Erbschaft zerstreut lag.


Dreizehntes Kapitel.

Der Student griff eben seinen Horaz, den er diesmal zum ersten Male in
dieser Historie als unwiderlegbares Argument gebraucht hatte, auf. Das
Buch lag mitten zwischen dem von der Diebeshand zerwühlten Trödel, und
Lambert, drüber hinblickend, rief:
»Bei Merkur und Radamanth, ist das der Köder, der das Geschmeiß anzog?
Mutter Leah, das habt Ihr aus dem Fürstentum Hildesheim auf Eurem alten
Buckel nach Höxter geschleppt? O Moses und all ihr Propheten, wenn der
Titus nicht mehr aus Jerusalem mit sich geführt hätte, so würde das
^spolium^, der Plunder, wahrlich nicht der Mühe gelohnt haben.«
Das war richtig, und einen erfreulichen Eindruck machte die
Schaustellung, die jetzt der Zufall und die Räubertatze bewerkstelligt
hatten, nicht; armselige Wäschestücke, wohlfeile zinnerne oder bleierne
Schaumünzen auf alle möglichen Ereignisse, kaiserliche, schwedische und
französische Viktorien und Niederlagen -- ein halbverbranntes
hebräisches Gebetbuch mit silbernen Beschlägen und sieben Stück
schlechter Löffel! Eine Halskette von böhmischen Glasperlen mit einem
kupfernen Kreuz und ein zusammengedrückter winziger silberner Becher
waren die wertvollsten Gegenstände, eine kupferne Pfanne und ein kleiner
eiserner Kochtopf die umfangreichsten, bis auf die Decke von dem
Sterbelager des Gronauschen jüdischen Mannes.
»Was weißt aber du von Just von Burlebecke, Weib?« rief der Bruder
Henricus bewegt, die Hand der Greisin fassend.
»Ich hielt seinen blutigen Kopf in meinem Schoß hier vor meines Vaters
Tür,« sagte die alte Leah, mit Mühe die Worte hervorstoßend. »Sie hatten
ihm das Roß erschossen, und niemand wollte den schlimmen Feind im Anfang
aufheben. Ach und doch hub damals der Krieg erst an! Da -- da, sucht; er
gab mir ein Angedenken, das ist aus einer Hand bei uns dann in die
andere gekommen. In Gronau hab' ich es wiedergefunden.«
Die Kröppel-Leah fiel wieder zurück auf das Stroh, der Student hielt dem
Benediktiner sein Buch noch einmal hin:
»Was meint Ihr, Reverendissime, jetzt werfe ich's zum übrigen, und wir
fangen das Trödlergeschäft in Kompagnie an. Was leget Ihr aber in den
Handel ein?«
Der greise Mönch stieß ihn nunmehr wirklich von sich; er kniete schon
und suchte auf dem Boden. Mit unsicherer Hand warf er die Lumpen und
Lappen hin und wider und ließ das Küchengeschirr und die erbärmlichen
Raritäten und Kostbarkeiten untereinander erklingen.
»Beim heiligen Vitus,« rief er plötzlich, »das ist meiner seligen Mutter
Werk! Sie gab die Handschuh ihm, als er vor mir auszog. Sie war im
Herzen für die neue Lehre; ich ging für meinen Vater zu den
Kaiserlichen! Das ist Justs Handschuh mit meiner Mutter Spruch: Geh
grad! -- O Frau, o Leah, meine Mutter hat mit ihrer guten Hand die
Goldfäden gezogen!«
Der Bruder Henricus hielt einen Reiterhandschuh, der mit verblaßtem
Golde gestickt war, und nahm hastig, doch gerührt, von neuem die
fieberhafte Hand der alten Jüdin:
»Das hat er Euch gegeben, Leah?«
Die Greisin strich die weißen, durch das Ringen mit dem Räuber gelösten
Haare aus der Stirn und sagte:
»Ich verstehe den gnädigen Herrn Abt nicht.«
Sie war noch immer nicht ganz bei sich, oder die Betäubung trat doch
immer noch von neuem ein.
»Des tollen Herzogs toller Reiter, Just von Burlebecke!« rief der Bruder
Heinrich, sich wieder an den Studenten und die kleine Simeath wendend.
»Er hat noch ein gut und lustig Jahr gehabt; dann ist er bei Stadtloo im
Ernst erschossen, und niemand hat sein blutend Haupt mitleidig in den
Schoß genommen, Leah!«
»Wie war denn das?« murmelte die Alte. »Es ist soviel nachher gekommen
-- der Herr Feldmarschall von Tilly und im Jahre Neunundzwanzig der Herr
Schwede Baudissin -- nein, Neunundzwanzig war's der Tilly wieder und der
Herr von Pappenheim. Der General Graf Baudissin erstürmte Zweiunddreißig
die Stadt. -- -- Dann war der blutige Gründonnerstag -- Vierunddreißig.
Anno Vierzig berannten Seine Exzellenz der Feldzeugmeister Piccolomini
Höxter. Die kamen mit Akkord herein, aber Sechsundvierzig stürmte wieder
der Herr Feldzeugmeister Wrangel; -- wer redete da von dem Herzog
Christian und Just von Burlebecke? Welch ein Jahr schreiben wir heut,
Simeath?«
Das junge Mädchen nannte leise die Zahl, und die fiebernde Greisin
flüsterte mit geschlossenen Augen:
»Gott Abrahams! der Herr ist der Herr der Heeresscharen; Zebaoth ist
sein furchtbarer Name.«
»Das sagte mein Oheim vorhin auch,« meinte der Student, im schaudernden
Unbehagen die Schultern in die Höhe ziehend.
Der Bruder Henricus hatte den Schemel an das traurige Bett der
Kröppel-Leah gerückt und saß nun da nieder, sein rostiges Schwert zu
seinen Füßen.
»Ja, ja,« sagte die Greisin, in ihrem verwirrten Sinn sich
zurückdenkend, »ich erinnere mich wohl. Wir waren jung, und der Krieg
kam eben erst aus dem Böhmerlande zu uns herüber. Mein Vater war der
einzige Jüd, der in Höxter wohnen durfte, und ich ein jung Mädchen,
Simeath. Wir freuten uns noch des Sommers, und der junge Kavalier ritt
mit Lachen in das Stummerigentor. Was trieb mich aus dem Haus? Es ist
einerlei -- ich trocknete ihm mit meinem Sacktüchlein das Blut von der
Stirn. Seine Kriegsgesellen schlugen sich noch mit der Bürgerschaft; er
aber sah mich an und sagte: ^Merci, mademoiselle!^ er wußte ja nicht,
daß ich ein jüdisch Mädchen war. Dann kam der Herr Bürgermeister, und
mich zog mein Vater ins Haus, und meine Mutter schlug mich. Sie hörten
in der Stadt, mit wie großer Macht der Herzog Christian im Anzuge sei,
und da pokulierten sie zusammen auf dem Rathause. Ja, ja, und am Abend,
ehe sie ihn vors Tor geleiteten, kam er auf dem edlen Pferd, das ihm die
Stadt gegeben hatte, vor meines Vaters Haus, und ich saß am Fenster, und
er warf mir seinen Handschuh zu und eine Kußhand und rief: >Denkt an
Just von Burlebecke, Fräulein; er wird Eurer immer lieb gedenken!< Und
doch wußte er da schon, daß ich eine Jüdin sei -- er war aber ein guter
Ritter, und ich habe seiner wirklich oft gedacht. Meine Mutter schlug
mich noch einmal am Abend und mein Vater dazu: denn der Rat hatte die
Reiterzehrung, die er dem guten Ritter verehrte, auf den jüdischen Mann
gelegt. Den Handschuh hab' ich heimlich versteckt, sonst hätten sie ihn
mir mit einem Fluche vor der Nase verbrannt. Dann haben meine Kinder
damit gespielt; es ist ein Wunder, daß er noch da ist; -- meine Kinder
sind tot, dreimal hat mein Haus im Schutt gelegen. Ja, ich hab' des
tapfern Ritters Handschuh von Gronau mitgebracht, o ehrwürdiger Herr,
nehmet ihn und lasset es die Simeath nicht entgelten, daß Ihr ihn bei
uns fandet. Helfet dem unschuldigen Kinde, der kleinen Simeath, durch
diese Nacht!« --
Das alles war mehr geröchelt als gesprochen worden. Die Greisin schwieg
jetzt und atmete im Halbschlaf schwer weiter. Der Greis sprach:
»So ist es, Mutter; wir beide denken noch zurück an die Zeiten des
Friedens. Als meine Mutter diesen Handschuh dem Just aufs Pferd reichte,
da vermeinte freilich noch niemand, daß länger denn ein Menschenalter
durch das deutsche Volk durch einen See von Blut waten werde unter einem
Himmel rot und qualmig von den brennenden Städten!«
»Was kümmert's mich?« schrie die Kröppel-Leah scharf und schrill aus
ihrem Traum heraus. »Meine Väter haben nie Frieden gehabt seit dem
Kaiser Titus. Was kümmert's uns, was ihr gemacht habt aus eurem Lande?
Ich ängste mich um Luft; der Schubjack hat mir die Brust zerschlagen,
doch ich wollte singen in dieser Nacht, wenn die Simeath nicht wäre.«
»Die Großmutter hat recht mit dem guten Kaiser Titus,« flüsterte der
Student dem Kinde zu. »Nun bin ich auch ein Römer -- ^civis Romanus
sum^, und kenne mein Latein, Jungfräulein; aber für uns beide soll das
kein Grund sein, uns die Gesichter zu zerkratzen.«
»O, freundlicher Herr, scherzet jetzt nicht!« rief Simeath, die der
Greisin eben wieder den Wasserkrug an die Lippen setzte.
Leah trank gierig und lange; dann stieß sie den Krug zurück und setzte
sich wieder kräftig auf. Sie wachte nunmehr vollständig und sah hell
umher.
»Laß ihn, Kind! Er tut wohl, daß er sich lachend in die Welt schickt.
Die Zeit schwingt und schwingt; -- auch seine Stunde wird kommen, wo er
mit gerunzelter Stirn auf den schweren Pendul sieht. Ehrwürdiger Herr
Mönch, Sie waren ein Reiter, nun sind Sie ein Bruder zu Corvey -- Ihr
seid auch ein alter Mann; habt Ihr den Frieden gefunden in den Mauern
der großen Abtei?«
Der Bruder Heinrich von Herstelle hatte, die Stirn mit der Hand
stützend, in tiefen Gedanken gesessen, auf die Frage fuhr er auf und
wiederholte sie:
»Den Frieden?«
Er zog wie im Spiel den Handschuh Justs von Burlebecke an; dann sprach
er:
»Den Frieden? -- Geh grad! -- Den Frieden? Weshalb sollt' ich auch den
Frieden zu finden wünschen? Ich bin kein gelehrter Mann, wie hier der
Herr Student, der den heidnischen Philosophum, den Horatius, auswendig
weiß; ich kann's nicht sagen, wie's mir zumute ist. In meiner Jugend
habe ich Freude gehabt am bunten Leben; -- hab' ich denn den Frieden
suchen wollen, als ich ein Mönch wurde? Ja, ja, -- denn bei Sankt Veit,
es wird wohl so sein! Ei ja, dann hab' ich ihn gefunden. Ich bin
freilich ein alter Gesell, und da hab' ich mein Genügen zu Corvey; aber
-- geh grad! -- die Zeiten haben mich gelassen, wie ich war, als ich
anfing, mich zu besinnen in der Welt. Was Blut und Feuer?! Da das uns
vom Herrgott bestimmt war, so mag auch Er -- sein Name sei gepriesen --
die Rechnung beschließen. Sie wird wohl stimmen, sowohl für ihn als für
uns.«
Die Alte lachte rauh:
»Da seid Ihr also auch auf dem Trost, der uns gesungen wird seit den
Tagen des Königs Nebukadnezar. Die Stolzen beugen sich, und der Herr
lacht über sie -- -- -- --«
»Und dieses alles, weil gestern der Lump, der Monsieur Fougerais, von
Höxter abmarschiert ist!« rief jetzt der Student ungeduldig dazwischen.
»Zum Teufel, den Frieden haben wir erst dann, wenn niemand mehr sofort
nach dem Prügel im Winkel greift, wenn er sich darauf gespitzt hat zu
hören: Vivat Doktor Luther! und es ihm vom andern Tisch herkrächzt:
Vivat Clemens der Zehnte -- oder umgekehrt! Der Fougerais ist fort -- --
^Nunc est bibendum, nunc pede libero^
^Pulsanda tellus^ --
das Lied vom Trinken und Tanzen ist zwar schon nach der Schlacht bei
Aktium gesungen und auf den Niederfall der Königin Kleopatra von Ägypten
gemünzt; aber ich münze es häufig auf was anderes, und tausend Jahre
nach mir wird man's auch so halten. Item, man hat Jerusalem mehr als
einmal wieder aufgebaut, Mutter Leah.«
»Doch die Fremden hausen auf der Wohnstätte des Samen Abrahams, junger
Herr. Die Kinder von Juda und Israel irren als ein Spott und Spuk
zerstreut; sie haben keinen Ort mehr, da sie Herren ihres Hauses und
Leibes sind. Auch für Euch ist noch keine Zeit, den Siegestanz zu
tanzen, junger Herr. Wollt Ihr wirklich dem Herrn von Fougerais und dem
großen Marschall Turenne nachsingen und tanzen? Sie haben Höxter leer
genug gemacht.«
»Meines hochwürdigsten Herrn zu Münster glorreiche Verbündete!« murmelte
der Bruder Henricus. »Lasset das Tanzen noch eine Weile, Herr Studente.«
In diesem Augenblicke erfüllte von neuem ein heftiges Getöse die Gasse
und näherte sich dem Hause der Kröppel-Leah.


Vierzehntes Kapitel.

Wann die Hochwasser sich verlaufen haben, dann hängt der Schlamm noch
für lange Zeit an den Büschen und überdeckt Wiesen und Felder, und es
bedarf mehr als eines klaren Regens und heitern Sonnenscheins, um das
Land der Wüstenei wieder zu entledigen. Und wenn die Flut gar in die
Städte und Stuben der Menschen drang, dann ist das, was sie hineintrug
und zurückließ, gleichfalls nicht so bald ausgekehrt und vor die Tore
abgefahren.
In diesen schlechten und stinkenden Tagen sieht aber der Herr mit
Vorliebe auf solche leichte, unverwüstliche Gesellen, die lachend über
den Schmutz weghüpfen und ihre Hand zur Hülfeleistung gern und lachend
da anbieten, wo sich mancher Ehrbare, Wohlweise und Hochansehnliche mit
Ekel und Unlust abwendet und die Sache sich selber überläßt. Der Herr
der Heerscharen hatte nach dem französischen Abzug in Höxter seine
Freude an dem relegierten Helmstedter, Herrn Lambert Tewes.
»Inkommodieren sich Euere exzellenten Liebden nicht,« rief der Student.
»Redet das Beste hinter meinem Rücken von mir; ich werde mich
erkundigen, was für einen neuen Unfug da die alte Bosheit, Meister
Beelzebub, in Huxar ausgebrütet hat. Hab' ich es nicht ein Dutzend Mal
gesagt: -- ^neque tectum neque lectum^, das ist die einzig stichhaltige
Devise für diese Nacht!«
Er sprang hinaus, doch die diesmaligen Hausfriedensbrecher kamen ihm
bereits an der offenen Pforte entgegen, an ihrer Spitze sein Oheim Ehrn
Helmrich Vollbort, der Pfarrherr bei St. Kilian.
Der, Ehrn Helmrich, hatte, während am Bett der Kröppel-Leah über den
Handschuh Justs von Burlebecke gehandelt wurde, in der Stummerigenstraße
sein Zwiegespräch mit dem Bürgermeister Thönis Merz eifrig fortgesetzt
und willige Horcher im erbosten gemeinen Wesen von Huxar gefunden.
»So haben sie wiederum der Stadt Negotien nach ihrem Willen geordnet,
die Herren von Corvey,« hatte er zornig gesprochen. »Wird sich
lutherische Bürgerschaft auch diesmal wieder den Maulkorb selber
überhängen? Lutherisches Kirchenamt wird reden und sich nicht den Mund
verbieten lassen!«
»Wir haben doch auch geredet, Ehrwürden; -- aber was hilft's?« meinte
der Bürgermeister.
»Was es hilft? O ihr närrischen Leute, klingt es euch denn noch nicht
genug in die Ohren von dem Gnaden- und Segen-Rezeß, den euch der von
Galen, so sich Bischof von Münster und euer Landesherr nennt, über
dieselbigen gleich einer Schlafhaube ziehen wird? Behaltet nur das Wort
in der Kehle und die Faust im Sack nach eurer faulen Art und wartet das
nächste Jahr ab. Den Hechtsfang und sonstige schnöde Nichtigkeiten wird
man euch wohl lassen; aber eure Kirchen und Schulen wird man euch vor
den Nasen schließen; dann sehet, ob ihr die Schlüssel mit euren Netzen
wieder auffischen werdet aus dem Fluß.«
»Was sollen wir tun?« rief der Bürgermeister, und -- »Was sollen wir
tun, Ehrwürden?« klang es im Haufen zornig und weinerlich nach.
»Der Herzog --« wollte Herr Thönis Merz schwachmütig von neuem beginnen,
doch der alte eifrige Prediger unterbrach ihn sogleich:
»Redet mir nicht von dem Braunschweiger. Der rückt euch nicht mehr über
die Weser zur Hülfe. Ihr krochet vor ihm, wie ihr vor dem Münsterer
krochet, und sie lachten hinter eurem Rücken über euch. Greifet selber
an und zu, wie und wo ihr könnt, weichet nur zollbreit, rücket immer
wieder zu, Artikul für Artikul; lasset euch das Geringste als das
Höchste sein. Was wollt ihr noch viel verlieren?«
»Das weiß der liebe Gott!« ächzte die lutherische Bürgerschaft von
Höxter.
»Der weiß es und hilft denen, die sich selber helfen wollen,« sprach
Ehrn Helmrich Vollbort feierlich. »Lasset diese Nacht nicht vergehen,
ohne daß ihr euch rührt gegen Corvey. Sie sind heimgezogen und zu Bett,
wir aber sind wachgeblieben. Werfet Panier auf gegen das Stift; fordert
mit heller Stimme, sei es, was es sei; lasset den Kampf nicht schlafen
gehen, wie die Mönche schlafen gegangen sind. Bei Sankt Veit schwören
sie, wir aber rufen den allmächtigen Gott, -- voran gegen Corvey!«
»Sie haben uns der Jüden Geleit genommen; wir aber haben es auf dem
Papier,« meinte zaghaft der Bürgermeister.
»Lasset den Tag nicht dämmern, ohne daß die Abtei sich einem neuen
^Factum, Actum et Gestum^ gegenüber finde; wir sind in dem Kriege, den
sie wollen, und den letzten Frieden wird Gott der Herr machen.«
»Die Jüden aus der Stadt!« schrie gell eine Stimme aus dem Haufen, und
hundertstimmig folgte der Ruf: »Fort mit den Jüden aus Höxter! Unser
Recht! unser Recht! unser Recht!«
Schon drängten sich wütend die Weiber vor:
»Sie standen mit den Franzosen auf du und du! Sehet ihre Häuser, -- sie
blieben unversehrt, während in unseren kein Stuhl und keine Bank heil
blieb! -- Sie zahlten dem Turenne! sie zahlten dem Schandkerl, dem
Fougerais -- sie konnten sich loskaufen, und die hohen Offiziere lagen
bei ihnen und ließen bei uns ihr wüstes Volk nach Belieben hausen. Die
Jüden, die Jüden aus der Stadt! Weg mit den Jüden aus Höxter!«
Nun stehen auch wir abermals einem Faktum gegenüber: das Wort, das in
der lutherischen Bürgerschaft fiel, fand seinen vollen Widerhall in der
katholischen. Zum zweiten Mal in dieser Nacht stürzte sich ganz Höxter
auf seine Juden, und selbst der Gubernator, der Herr Hauptmann Meyer,
ging mit, -- widerwillig freilich; aber sie zogen ihn freundlich, an
jedem Arm einer -- rechts die katholische, links die evangelische
Kirche.
Den Meister Samuel samt seiner Familie nahmen sie von der Gasse vor
seinem brennenden Hause, die zwei oder drei anderen Familien holten sie
zusammen, und so kamen sie im greulichen Gedränge, das elende jammernde
Häuflein halbnackter Menschen in ihrer Mitte, und hielten mit
ohrzerreißendem Lärmen vor dem Hause der Kröppel-Leah, um auch die mit
ihrem Enkelkinde abzurufen und mit den übrigen, Corvey zum Trutz, vor
das Tor zu führen.
Der Mönch war aufgestanden von seinem Schemel und hatte auch das
hussitische Schwert vom Boden wieder aufgegriffen; der Student aber trat
den eindringenden Höxterschen Würdenträgern im Vorgemach entgegen,
kümmerte sich um den Bürgermeister und den Hauptmann gar nicht, nahm
dafür jedoch den Pfarrherrn von Sankt Kilian mit zärtlicher
Unverschämtheit in die Arme und rief:
»^Mon Dieu^, der Herr Onkel -- nach zwei Uhr morgens noch in der
schädlichen Winterluft! Was verschafft mir die Ehre in _meinem_
schlechten Quartier?«
»Fort, Narrenspiel!« sagte der Alte, mit kräftiger Faust den Neffen vor
die Brust schlagend und ihn von sich stoßend.
»Was wünschen die Herren?« fragte der Bruder Henricus von der Schwelle
der Kammer des Sergeanten; und der Gubernator Meyer trat geduckt vor,
mit dem Federhute in der Hand, und stotterte:
»Ehrwürdiger Pater, das Haus und die Gasse ist voll von ihnen -- von den
Unsrigen und Ihrigen. Sie kommen und fordern alle dasselbige. Sie kommen
Arm in Arm gegen die Jüden und wollen sie in dieser Nacht noch vor die
Mauer setzen.«
»Und wir nehmen nur unser Recht, ehrwürdigster Herr Pater,« rief der
Bürgermeister. »Wir haben der Juden Geleit gehabt vor und nach dem Jahre
Vierundzwanzig und sind durch den Frieden auch ^in specie^ dieses
Punktes ganz und gar restituieret. Das weiß man zu Münster wie zu
Corvey, und zu Höxter ist da kein Unterschied des Glaubens. Wir kommen
alle um unser Recht.«
Der Pfarrherr von Sankt Kilian stand mit untergeschlagenen Armen und sah
finster auf den Mönch; der Bruder Henricus aber sah einzig und allein
auf ihn.
»Sie stehen in einem schlimmen Schein, Herr Pastore,« sprach der Mönch.
»Die Flamme des Brandes züngelt noch hinter Ihrem Rücken; hatte dieses
nicht Zeit, bis die Asche und der Schutt dieser Nacht kalt geworden
waren?«
»Ich komme mit den Leuten, die mir in dieser selbigen Nacht das
friedliche Haus stürmten und mit Steinen auf mich und mein Weib warfen.
Ändert es, Herr; -- das ist Höxter und Corvey!«
Es hatte sich während dieses Gesprächs immer mehr des Volkes in das
Gemach eingeschoben. Schrill rief eine Weiberstimme den Namen Leahs und
auf der Straße schrien Hunderte ihn nach. Der Bruder Henricus hatte den
Stadthauptmann zornig am Arm gepackt und schüttelte ihn: »Wo sind Eure
Leute -- sendet einen Boten nach Corvey -- o Sankt Veit und -- Kreuz
Element, bei meiner Reiterehre, der erste, der einen Schritt voran tut,
liegt mit blutiger Platte am Boden! Hier für Corvey! Münster und
Corvey!«
»Höxter und Corvey! Her mit den Jüden! Weg mit den Jüden! Höxter und
Corvey!« schallte es zurück; und nun tat der Student einen Satz fast bis
an die schwarze Decke des Zimmers:
»Höxter und Corvey! Kann ich den Ozean still brüllen und sollte Huxar
nicht stillen?! Bei meiner Burschenehre, wer im Tummel kennt mich als
guten Kameraden und den einzigen Höxteraner mit Grütze im Hirnkasten?
Wollt ihr nun Vernunft annehmen oder nicht? He Wigand -- Wigand
Säuberlich, tu's mir zuliebe und bring mir die Zeter-Liese da vor dir
zur Räson und nach Hause. An die Kröppel-Leah wollt ihr? ^Et tu Brute^,
mein Sohn Hans Rehkop?! Donner und Teufel, seid ihr für Höxter und
Corvey, so bin ich, Lambert Tewes, diesmal für Juda und Israel.
Helmstedt gab mir ^consilium abeundi^, -- Höxter ^relegatio in
perpetuum^, nicht wahr, Herr Onkel? Aber Jerusalem hat mich seit Jahren
ernähret, getränket und gekleidet; -- hier für Juda und Israel, und
wer's gut meint mit Höxter und Corvey, der schreie mit: ^Vivat
Hierosolyma!^«
Nun hatte er die Lacher auf seiner Seite und damit ein Großes gewonnen.
Schon aber hatte er sich im engeren Kreise umher gewandt, und da schlug
er den Bruder Henricus auf die Schulter:
»Wissen Sie noch ein und aus in Höxter, Herr Pater?«
»Sankt Veit!« rief der Mönch, ratlos nach der Decke aufschauend.
»Ihr, Herr Burgemeister?«
»O je, o gütiger Himmel!« ächzte Herr Thönis Merz.
»Ihr, Herr Gubernator?«
»Du hast mich gekannt, ehe mir der braunschweigische Algierer, der Noht,
die Trommel abnahm, Lambert; das ist mein Trost und meine Reputation.
Jetzo gehe ich nur, wie man mich schiebt.«
»So gehet Euren Weg, Herr Oheim,« sprach der Student zu dem Prediger bei
Sankt Kilian, und --
»Ja!« antwortete Ehrn Helmrich Vollbort und trat über die Schwelle in
das Kämmerchen der alten Jüdin.
Vernunft? Wer ist eine Stunde nach der Sündflut imstande, Vernunft
anzunehmen?!


Fünfzehntes Kapitel.

Auf das »Ja« des Predigers hatte der Bruder Henricus die Achseln
gezuckt, aber er war zur Seite getreten und hatte ihm weiter kein
Hindernis in den Weg gelegt. Der Student sagte:
»Nicht einmal ein Citatum aus dem Flacco fällt einem ein.«
Am Bette der Großmutter saß Simeath und blickte angstvoll zu dem
finstern Mann im schwarzen Chorrock auf:
»Großmutter ist eingeschlafen!«
Ehrn Helmrich Vollbort beugte sich über das Stroh und das kümmerliche
Kleiderbündel darauf; dann nahm er die Lampe des Meisters Samuel vom
Tische und ließ den Schein auf das Bett fallen:
»Erhebe dich, Weib. Willst du in dieser elenden Stadt die einzige sein,
die da schläft in dieser Nacht?«
Wahrlich, das war so: die Kröppel-Leah schlief! Da hielt der Bruder
Heinrich von Herstelle die übrigen nicht mehr; -- sie drangen in das
Gemach, so viel ihrer es halten wollte. Lambert Tewes schlug den Arm um
die zitternde Simeath:
»Fürchte dich nicht, Juda hat seit der Makkabäer Zeit keinen bessern
Kavalier gehabt als mich. Das Stift ist zu Bett; treiben sie es noch
weiter, so können auch noch andere Leute als der luthersche und
päpstliche Küster Sturm in Höxter läuten. Machen sie es allzu bunt, so
steht der Besen immer in der Ecke, und wir kehren und fegen mit den
Juden auch Höxter wie Corvey doch noch in die Weser!«
Das war ein freches Wort; aber es war Wahrheit dahinter. Es wurde
gelacht im Haufen, und eine haarige Faust hob einen ansehnlichen
Knotenstock gegen die Decke:
»Immer mit dem Zaunpfahl, Bruder Lambert! Gib du das Feldgeschrei, du
Sakermenter. Es sind genug vorhanden, die endlich Ruhe in der Wirtschaft
haben wollen. Höxter und Corvey in die Weser, und -- Vivat der heilige
Veit am Corveytor! Nimm du das Kommando, Lambert!«
Vernunft!? -- --
Sie machten ein großes Geschrei und schüttelten das schlafende alte
Judenweib an der Schulter. Sie hob noch einmal den Arm, als wolle sie
das Gesicht gegen einen Schlag schützen; aber dann fiel der Kopf schwer
zurück und auch der Arm wieder herab, der Leib streckte sich, und der,
welcher sie an der Schulter gerüttelt hatte, trat betroffen zurück und
rief:
»Zum Donner, die weckt keiner mehr in Höxter und Corvey!«
Da stieß das Kind einen Jammerruf aus und warf sich über die Großmutter,
doch die Großmutter konnte auch auf die arme Simeath nicht mehr achten.
»Sie hat nun freilich die Stadt verlassen, und es war nicht nötig, daß
wir mit Stangen und Schießgewehr kamen, sie zu holen,« sagte der Bruder
Henricus gegen Herrn Helmrich Vollbort gewendet. »Es sind nur Minuten,
da fragte sie mich, ob ich den Frieden gefunden habe.«
Der Pfarrherr von Sankt Kilian antwortete nichts, aber der Bürgermeister
murmelte:
»Selbst Herr Christoph von Galen müßte sie jetzo liegen lassen, wie sie
liegt. Herr Pastore, lasset uns zu den Bürgern sprechen und morgen auf
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