Höxter und Corvey: Erzählung - 4

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geben könne, und an ihnen -- den Höxterschen »^Dames^« -- hatte der
Helmstedter ^Relegatus^, Herr Lambert Tewes, vor allem sein Vergnügen.
Meister Lambert, von seinem harten Lager in der Schenke zum heiligen
Veit auffahrend, wie beschrieben, schob den Horatius, der ihm als
Kopfkissen gedient hatte, in die Tasche und sprang vor die Tür der
Schenke. Wir haben auch bereits dem Leser mitgeteilt, daß diese Kneipe
am Corveytor, also ein wenig entfernt vom Mittelpunkte der Stadt, lag.
Demnach war es still in der Umgegend; der ausgebrochene Tumult wütete
mehr in der Mitte der Stadt, und weitbeinig verfügte sich der Student
dorthin.
»Was würde mir nun das beste Federbett nebst Schlafrock und Pantuffeln
geholfen haben? Was hilft es nunmehro dem Herrn Oheim, daß er die
Zipfelkappe über die edlen Ohren zog? Muß er nicht auch heraus? Er muß!
Ja, ja, wieder hat es sich gezeigt, daß die Bank das einzig richtige
Lager für die Zeitumstände ist. ^Paratus sum!^ und hinein mit Lust und
Mut in des Säkulums Pläsier und Jokosität. Ein einziger Jammer ist es
nur, daß man hier nicht rufen kann: Bursche 'raus! wie unter den
Fittichen der hochgelobten Julia Karolina.«
Es ging auch ohne das. Von einem heftigen Zulauf des Pöbels mitgezogen,
tauchte er, natürlich mit dem altbekannten ^Quo, quo scelesti ruitis^,
jedoch ohne das diesmal in deutsche Reime zu bringen, zuerst vor der
lutherischen Pfarrei aus dem wüsten Schwall auf und schwang sich auf
einen Prellstein; natürlich nur, um besser sehen zu können, was man
eigentlich mit den lieben Verwandten im Sinne habe.
»Sieh, sieh!« sagte er, und die Szene war in der Tat recht kuriös zu
betrachten. Die katholischen ^Huxarienses^ stürmten die lutherische
Pfarrei und waren natürlich zuerst auf die Frau Pastorin gestoßen, die
von der Pforte ihres Hauses aus, mit dem Besen in der Hand, den tollen
Haufen fürs erste noch mit merkwürdigem Erfolg bekämpfte. Über sein Weib
weg sprach der ehrwürdige Herr mit hocherhobenen Armen Vernunft und
dieses ganz vergeblich; -- sein Küster war's, der im Turm von St. Kilian
am Glockenseil hing und für die Augsburgische Konfession um Hülfe
läutete, während von St. Nikolaus herüber das Geläut kam, das für den
zehnten Klemens -- Altieri -- sich an die städtischen Auktoritäten, das
Stift Corvey, den Bischof von Münster und den dunkeln, stürmischen
Nachthimmel wandte.
Sie hatten Fackeln mitgebracht, die Tumultuanten, um ja an keinen Stein
auf ihrem Wege zu stoßen. Bei dem flackernden Lichtschein beobachtete
der Student alles ganz genau, hielt sich jedoch seinerseits vorsichtig
so viel als möglich im Schatten.
»^Coraggio, chère tante^,« jauchzte er. »Siehest du, Freund Säuberlich,
das heißt man eine treffliche Quart. Pariere den! ... Hui, der saß
wieder, gerade auf dem Schnabel. Siehst du, mein Sohn, da hast du dein
Maul voll von dem französischen Nachlaß in den Gossen von Höxter! ^O
papae^, schlägt die Papissa eine gute Klinge oder besser einen saftigen
Besen!«
Das tat sie; allein zuletzt half es doch wenig gegen den übermächtigen
Andrang. Sie wich, und wäre die Päpstin Johanna an ihrer Stelle gewesen,
so würde die auch gewichen sein. Der Student auf seinem Steine drückte
die Faust auf die Milz:
»Was fällt er ihr denn in die Parade? Soll das Wort hie mehr helfen als
die Tat der Heldin? ^Retro retrorsum, Domine Pastor^, halten Sie sich
nicht auf! Herr Onkel, -- da, da!«
Es war ungefähr so. Der würdige Herr von St. Kilian hatte eingesehen,
daß hier sein Wort von so schlechtem Nutzen sei als der Besen seines
Ehegesponses. Er hatte den Arm der Gattin erfaßt und zog sie rückwärts
die Treppenstufen hinauf in die Pforte des Hauses. Hinter ihnen drein
brüllte der Haufen, hinter ihnen drein lachte der schadenfrohe Neffe:
»Holla, es ist nicht das erste Mal heute, daß Ihr sie einem vor der Nase
zuschlagt und den Riegel vorschiebt! So habt Ihr es denn, wie Ihr es
gewollt habt!«
^Contra aegida Palladis ruere^, mit dem Kopf gegen die Schürze der
Weisheit stoßen, nannte er's dann, als die Vordersten der erbosten
Bande, von den Hintersten geschoben, mit den Stirnen gegen die
verrammelte Pforte anrannten. Das Höxter des Jahres 1673 ließ die
Knüppel fallen und griff zu den Steinen.
Es flog der erste gegen die lutherische Pfarrei, ihm folgte das erste
Dutzend. Noch einen kurzen Augenblick zeigte sich Dominus Helmrich
Vollbort am Fenster, dann verschwand er im Innern des Hauses. Die
geistliche Frau hielt sich einen Augenblick länger; jedoch die
Ochsenaugen zersplitterten um sie her. Sie verschwand gleicherweise,
während, wie der Pater Adelhardus sich ausgedrückt haben würde, die
^infestatio cum bombardis^, das Bombardieren fortdauerte. Und in dem
Augenblicke, wo die Not am größesten wurde, verstummte der angstvolle
Hülferuf vom Turm; eine Handvoll biederer Höxteranischer Stadtinsassen
hatte die Tür des heiligen Kilianus, durch welche der Küster
eingeschlüpft war, erbrochen, hatte den Küster am Werk und am Seil
gefunden, und -- jetzt läutete er nicht mehr, sondern aber es wurde auf
ihm geläutet; er bekam Prügel, entsetzliche Prügel.
Zerreißen, um an zwei Orten zugleich sein zu können, konnten wir uns
leider nicht, aber daß die Katzenmusik, welche die lutherischen
Huxarienser zu Ehren des französischen Abmarsches den Minoriten bei St.
Niklas besorgten, nicht geringer ausfiel als die bei St. Kilian, das
können wir auf unser Wort und unsere Ehre versichern! Die katholische
Pfarrei litt nicht weniger von den Freunden unseres Freunds Lambert
Tewes als die lutherische; das Schauspiel war das nämliche dort wie
hier. Es fiel in Wort und Werk nichts daneben, und der einzige Trost für
die Herren bei St. Niklas am Klaustor lag einzig und allein in dieser
bösen Nacht darin, daß es den »Herren von der andern Seite« gerade so
ergehe: ein leidiger Trost ist eben auch ein Trost.
Wäre es nunmehr nicht unsere Pflicht, nach dem Burgemeister zu laufen?
Durchaus nicht, denn er kommt am letzten Ende doch immer ganz von
selber, und so auch jetzt, und zwar begleitet von den Ältesten und
Würdigsten der Gemeinde.
Ächzend kam er, Thönis Merz der Bürgermeister, und mit ihm die andern:
Kaspar Albrecht der Senator und Jobs Tielemann und Heinrich Kreckler und
Hans Jakob zum Dahle, und Hans Freisen und Hans Sievers und Hans Tropen
und Hans Heinrich Wulf und Heinrich Voßkuhl und Adam Sievers, die
Dechanten von den Gilden und Konrad Kahlfuß der Gemeinheit Meister! Sie
erschienen, um Ordnung zu stiften, und etwas Großes war das auch gar
nicht, wenigstens an dem Orte, an welchem sie jeweilig auftraten.
»De Burgemester!« krächzte eine Stimme im Haufen, und sofort kam ein
Schwanken und dann ein Erstarren in die wogende Flut. Kopfüber stürzten
die Angreifer von den Treppenstufen des Pfarrhauses hinunter,
auseinander stob der Pöbel, und der Konsul stieß dem Senator den
Ellenbogen in die Seite und sprach:
»Gevatter, was habe ich gesagt?!«
Ob es aber mehr darauf, was er gesagt hatte, oder was der Herr Pfarrer
und die Frau Pfarrerin jetzo sagten, ankam, das wollen wir dahingestellt
sein lassen. Wer da sagt: Racha! der ist des Rats schuldig; und es wurde
dergleichen ausgerufen; -- sehen wir zu, wo derweilen unser Helmstedter
geblieben ist. --
Wenn das erboste katholische Volk bei St. Kilian auseinander gelaufen
war, so war's danach freilich noch nicht ruhig nach Hause und ins Stroh
gegangen, sondern im Lauf durch die Gassen St. Niklas zu.
Leichtfüßig war der Student von seinem Eckstein heruntergesprungen. Er
hatte alles hier in Obacht genommen, was ihn interessieren konnte, doch
die Blüte des Spaßes pflückte er nun erst ab.
Der Platz vor der Pfarrerwohnung war leer. In der wieder geöffneten Tür
standen heftig gestikulierend der Onkel und die Tante, auf den
Treppenstufen der Bürgermeister mit der Hand auf der Brust, am Fuße der
Treppe in einem Halbkreis der Chor der Senatoren, Patrizier, Tribunen
und Gilden-Hauptleute. Gravitätisch schritt jetzt Herr Lambert Tewes aus
der Dunkelheit hervor, in das Licht der Laterne, die der Gemeinheit
Meister Konrad Kahlfuß trug, hinein, zog höflich den Hut, verbeugte sich
tief und richtete an die Herrschaften das, was achtzig Jahre später die
Literaturbriefe, wenn sie Herrn Dusch vornahmen, »mit unsern galanten
Briefstellern die Courtoisie nennen.« Dann schritt er langsam querüber
in die nächste Gasse und lief, sobald er der entrüsteten ^Auctoritas^
aus den Augen war, so schnell ihn die Füße trugen, dem Tumult bei St.
Nikolaus zu:
»Wer fürchtet des Skythen, des Parthiers Wut,
Wer scheuet Germaniens greuliche Brut?
Nun sitzt man geruhig beim fröhlichen Schmaus,
Es schändet kein Frevler des Biedermanns Haus!«
Hiemit, das heißt mit diesem heitern, wenn auch nicht völlig
zutreffenden Zitat aus der fünften Ode des vierten Buches der Lieder des
Quintus Horatius Flaccus kam er an bei den Minoriten am Klaustor und
wiederum ganz im richtigen Augenblick.


Neuntes Kapitel.

Ganz zur richtigen Zeit, denn eben schwieg die katholische Sturmglocke,
und bekam der katholische Küster gleichfalls Prügel. In ganz Höxter aber
hatte Lambertus keinen bessern Bekannten als Jordan Hunger, den
katholischen Küster; dieser ging noch über den Fährmann Hans Vogedes,
den Korporal Polhenne und Seine Hochedelgeboren Herrn Wigand Säuberlich,
der mit dem Studenten dem Onkel Vollbort durch die Schule gelaufen war
und wie er, Meister Tewes, auf keiner Seite Partei nahm, sondern auf
jeder nur sein Vergnügen.
Dieses Vergnügen war nunmehr vor der Pfarrwohnung der von Christoph
Bernhard bei St. Nikolaus eingesetzten Minoriten im vollen Gange. Der
von St. Kilian herströmende katholische Haufen fiel dem lutherischen
beim heiligen Niklas nicht in den Arm, sondern in die Arme. Im letzten
Grunde hatten sie alle nur den einzigen Zweck, Unheil zu stiften, und
das verrichteten sie denn auch, und zwar ohne jegliche Courtoisie. Das
Steinbombardement auf die Fenster der katholischen Herren wurde ebenso
kräftig unterhalten, wie das auf die Fenster des Onkels Vollbort.
»Sieh, sieh!« sagte auch hier wieder der Studente fröhlich; doch eben,
als er sich von neuem auf den Prellstein schwingen wollte, faßte ihn ein
Weib am Rockschoß, zog ihn zurück und zeterte:
»Um Jesu Christi willen, Herr Magister, sie haben meinen Mann
totgeschlagen! Er liegt unter den Glocken, und sie tanzen auf ihm
herum!«
»^O mon dieu!^« rief der Consiliatus. »Ist Sie es, Gevatterin? ^Mon
dieu^, und er war doch so gut Freund mit dem Fougerais bei unserm
letzten Disput!«
»Dafür haben sie ihn auch windelweich geschlagen, und er liegt unter
seinem Seil. O Lambert, kommt und helft mir, laßt Euren besten Kameraden
nicht umkommen. Sie sagen, das Stift sei auf dem Wege hierher; aber was
hilft das mir, wenn sie mir meinen Mann vorher zunichte gemacht haben.
Das leiden wir nun um Corvey!«
»Höxter und Corvey!« jauchzte der Student, und dann ließ er sich von der
Küsterin den Glocken von Sankt Nikolaus nur zu gern zu ziehen. Der Spaß
war ihm in dieser Nacht eben überall in Huxar.
Weggelaufen war der unglückselige Monsieur Jordan nicht aus seinem
Turmgewölbe während der Zeit, daß sein Weib hingegangen war, die
barbarische Welt um Hülfe anzuschreien. Er lag unter seinem baumelnden
Seile noch da, wie ihn seine nichtswürdigen Feinde und seine brave
Gattin verlassen hatten, mit der Nase im Staube. Seine Schultern
zuckten, er zappelte mit den Füßen und ächzte jämmerlich.
Mit der Nase im Staube! und der Student wußte sofort ein Zitat aus dem
Horaz und trug natürlich dasselbe dem Unglücklichen, Geschlagenen erst
lateinisch und sodann in freier deutscher Übersetzung vor:
»So stürzet der Tannbaum mit donnerndem Hall,
So liegt nun der Küster nach furchtbarem Fall!
Im Blachfeld des Teukrers, dem Feinde zum Raub,
Druckt itzt Don Bravatscho die Nas' in den Staub!«
»Hu,« winselte der Küster von Sankt Niklas, »bist du's, Lambert? Ist
meine Frau auch da? Hu, dreht mich um -- um Gottes Barmherzigkeit
sachte! vorsichtig, sachte. Die Teukrer, oder wie das Dorf heißt, waren
es nicht; der Teufel vergelte es den Höxterschen Bösewichtern, die mich
um der Kirche willen so greulich zugerichtet haben. O, o, o, das ist
viel schlimmer als die letzte Schlacht um die Bosseborner Laterne --
weißt du, Lambert, die vor drei Jahren, in der du auch einen Prügel
führtest, obgleich es dich als lutherschen Ketzer gar nichts anging.«
Der Student hatte den Armen weich und vorsichtig unter den Armen gefaßt,
während die Frau Küsterin die Füße gehoben hatte, um den halb Geräderten
auf den Rücken zu legen; aber der Küster hatte zu seinem Schaden sein
letztes Wort hervorgestöhnt.
Als Herr Lambert Tewes von der letzten Bosseborner Laternenschlacht
hörte, ließ er sofort los und streckte, um einem ganz andern Gefühl als
seinem Mitgefühl Luft zu machen, die ausgespreiteten Hände hoch in die
Luft.
Mit einem lauten Aufschrei fiel der Küster wieder auf das Gesicht; doch
lustkreischend schrie der Student:
»Bei den unsterblichen Göttern, die Bosseborner Laternenschlacht! Ei
freilich, Jordan, von dorther bist du's schon gewohnt, den Mund voll der
ernährenden Erde zu nehmen. Du kriegtest wahrlich dein gut Teil ab von
der Prügelsuppe in der Küsterschlacht.«
»Aber es war doch eben eine Küsterschlacht!« winselte Jordan Hunger,
»eine katholische Küsterschlacht! wir schlugen uns doch nur unter uns
selber um die Ehre Gottes; aber diesmal --«
Er vermochte es nicht, seinen Satz zu Ende zu bringen; jedoch der
Student nahm ihm das Wort tröstend ab:
»Sei nur still, Alter, das Martyrtum ist auch um so größer.«
»Hu, das brauchst du mir wahrlich nicht zu sagen,« stöhnte der Märtyrer,
und während man ihn von neuem umwendet und fürs erste mühsam in eine
sitzende Stellung bringt, können wir unseren Lesern mitteilen, was es
mit der Bosseborner Laterne auf sich hat.
Heute geht das Ding als eine Sage um, mit welcher sie Die von Bosseborn
vom Dorfvorsteher bis zum letzten Kossaten bei jeglicher passenden
Gelegenheit bis aufs Blut, wie die eine Redensart, oder bis zum
Schwarzwerden, wie die andere heißt, ärgern. Sie, die Bosseborner
nämlich, sollen, von einer Hochzeit nach Hause ziehend, ihren Weg
durchaus nicht mehr gefunden haben, sondern arg in Gestrüpp, Sumpf und
Moor verloren gegangen sein. Da soll denn der Küster, der Nüchternste in
der Gemeine (Sokrates beim Symposion Platonis!) ihnen geleuchtet haben,
und zwar auf absonderliche Art. Man sagt, er habe einen Einfall gehabt,
selber ein Licht unter den Umständen; er habe den Hemdenschwanz hinten
aus den Hosen gezogen und niederhängen lassen, und der habe hell genug
durch die Nacht geschienen, um der Bauernschaft als Laterne zu nützen.
So sei der Küster von Bosseborn vorangeschwanket, ihm nach der
Vorsteher, dem nach der Gemeinderat und dem wieder die torkelnde gemeine
Bauernschar, im Gänsemarsche alles -- einer hinter dem andern -- ein
ewig memorabler Zug bis ins Dorf hinein.
Die Geschichte ist gut; wenn ihr nur so wäre! Aber die Sache hat einen
ganz andern und viel ernsthaftern Angang.
»Wann kompt in Sommer Sanktus Veit,
So endert sich beid Tag und Zeit.
Dem schlaff geht zu, dem Wachen ab,
Wie sich das alter neigt zum Grab,
Und wer dan hat der pfenning viel,
Der mach sich auff zu diesem ziel,
Und wander hin wol nach Sankt Veit,
Ihr kann man werden leichtlich queid --«
singt bei Hans Letzner ein »rechter erfahrener Landtkündiger«; und von
der großen Prozession nach Corvey auf Sankt-Vitus-Tag stammt die
Laternenfrage her, sowie jede Schlacht, die an dem Tage darum geschlagen
wurde; vorzüglich aber die des Jahres Siebenzig, welche eine der
hartnäckigsten und blutigsten war, infolge der Indulgenz, die Seine
Heiligkeit Papst Clemens IX. kurz vor seinem seligen Abscheiden auf den
Tag für dasmal gelegt hatte.
Nun war es aber ein alt Herkommen, daß die jüngste Pfarrei den
feierlichen Zug eröffne, -- das Ältere und Würdigere folgte, der Reihe
nach; und also -- sollten Die von Bosseborn voran »mit der Laterne« und
wollten's natürlich den Ovenhäusern zuschieben, die ihnen folgten: ^hinc
illae lacrimae!^ Denen von Ovenhausen gingen nach Die von Fürstenau,
diesen die Boedexer, diesen die Amelunger, diesen Die von Wehrden und
Jakobsberge. Dann zogen Ottbergen und Bruchhausen, nachher kam das Dorf
Stahle, nachher Die von Albaxen, Brenckhausen, Lüchtringen und
Godelheim. Zuletzt aber kam dicht vor den Reliquien des Heiligen die
Stadt Höxter mit ihrer Stadtmusik, zusammen mit den Corveyern. Noch
hinter dem heiligen Veit zog das Kapitel auf, sowie der
braunschweigische Gesandte mit einem kleinen Abtsstab in der mit einem
Velum bedeckten Hand (auch nach der Reformation und als Protestant!), er
wurde geleitet vom Corveyer Marschall. Den Beschluß machte das
Venerabile unter einem Baldachin, den die Höxternschen Nobiles trugen,
-- und Jordan Hunger, der Küster von Sankt Nikolaus, war im Jahre 1670
Küster zu Bosseborn gewesen und hatte die Bosseborner Laterne, d. h. die
Kirchenfahne seines Dorfes tragen sollen -- --
»Wie mancher kompt gar weis' und klug,
Im Heimgehn er einen Narren trug.
Mancher kompt daher ganz Sinnreich,
Und geht weg ganz bös und grimmich.
Ihr viel da kommen frisch und gesundt,
Da gehn sie heim in Todt verwundt,
Oder sonst gefallen, geschlagen --«
singt der erfahrene »Landtkündiger« weiter, und so war es. Sie schlugen
sich jedesmal wacker um die Bosseborner Laterne; und wenn Bosseborn und
Ovenhausen zwischen sich den Streit begannen, so war kein Dorf, das
zurückbleiben wollte, sondern sie fielen alle drein und aufeinander.
Ohne das gab es kein Sankt-Vitus-Fest zu Corvey, und weder das Kapitel
noch der braunschweigische Gesandte konnten das geringste da tun, außer
daß sie es abermals fertig brachten, daß auch das nächste Mal Bosseborn
wieder die »Bosseborner Laterne« trug.
Doch während wir hier das Krumme gerade machten und der Wahrheit zu
ihrem Rechte verhalfen, tobt der Mutwillen viehisch fort in Höxter, wird
der zerschlagene Meister Jordan Hunger von seinem heulenden Weib und
vergnügten Freunde nach seinem Bette geschleift und -- -- zieht eine
andere Prozession langsam heran. Letzterer wenden wir uns jetzt zu und
treffen sie auf dem Wege, den vorhin der Bruder Henricus zur Abtei
beschritten hatte. Der Bruder Henricus maß diesen Weg jetzt zurück, er
befand sich mit an der Spitze dieses Zuges, der von Corvey kam. Er war
ein Kriegsmann gewesen in seiner Jugend, und sein Prior, Herr Nikolaus
von Zitzewitz, hielt sich an ihm und ließ ihn nicht von seiner Seite.
Dicht hinter ihm hielt sich der Subprior Florentius von dem Felde und
der Probst Ferdinandus von Metternich. Den guten Vater Adelhard, den
Cellarius, hatte man seiner Unbehülflichkeit halben in diesen
gefährlichen Nöten zu Hause gelassen, um dort Ordnung zu halten.
Die Abtei zog heldenhaft nach der Stadt, um sich selber Nachricht über
die Vorfälle dort zu holen, da »^impie et nefarie^« ruchloser- und
leichtfertigerweise niemand gekommen war, um ihr solche zu bringen.
Aber Corvey konnte nicht anders; Corvey mußte auf den Plan! Die Abtei,
eben in ihren »Rechten« durch den fremdländischen Helfer, den größesten
der französischen Feldherren, gegenüber der rebellischen Bürgerschaft
von Huxar und dem braunschweigischen Schutzherrn gekräftigt, mußte alles
daran setzen, daß ihr die soeben nach langem Streite endlich einmal
wieder fester gepackte Obergewalt nicht von neuem aus den Händen gleite.
Es galt, Höxter gegen jeglichen Feind oder Aufrührer festzuhalten, und
so zog das Stift in Waffen gegen die Munizipalstadt. Unter Umständen
verstand es Herr Christoph Bernhard von Galen, merkwürdig böse Gesichter
zu schneiden, und Corvey wußte das und kannte das.
Die Lärmglocke, die Bruder Heinrich von Herstelle gezogen hatte, war
gehört worden. Die Klostermannschaft war in die Rüstung gefahren, die
Herren Benediktiner hatten sich ^taliter qualiter^ selber gewaffnet, und
die waffenfähige Mannschaft des nächst, aber am andern Ufer der Weser
gelegenen Dorfes Lüchtringen war in Kähnen über den Fluß gekommen, um
der Abtei zu Hülfe zu eilen. Die Prioren und sonstigen Vorgesetzten
gingen natürlich nur im geistlichen Habit, doch manch rüstiger Frater
und Pater hatte mutig und freiwillig die Büchse oder Halbpike auf die
Schulter genommen und vermaß sich, Heldentaten zu tun, von denen der
Chronist von Corvey noch nach Jahrhunderten zu erzählen haben sollte.
Der Kriegerischste aber in der ganzen geistlich-weltlichen Heerschar war
doch Bruder Henricus, der sicher und männlich, trotz seinem hohen Alter,
mit einem gewaltigen Schwerte ging, das wahrscheinlich beim Übergang der
Hussiten über die Weser im Kloster stehen geblieben war; -- der Zug sah
mehr auf ihn als auf die im Fackelschein voranflatternde Sturmfahne mit
dem Bilde des heiligen Dionys. Der heilige Patron trug seinen Kopf nur
unterm Arm, der Bruder Heinrich dagegen den seinigen noch wacker auf den
Schultern.
»Meinen Segen nimmst du mit, mein Sohn; komme mir aber auch ja gesund
und vergnügt wieder,« hatte beim Abschied am Klostertor der Vater
Adelhardus zu ihm gesprochen und ihn dabei ganz zärtlich auf die
Schulter geklopft.
Nun waren sie auf dem zerfahrenen und zerwühlten Wege, den wir vorhin
geschildert haben, mit der Parole: Sankt Vitus! und dem Feldgeschrei:
^Abbatia urbi imperat!^ Corvey über Höxter! Nun gerieten sie in die
Sümpfe, die Löcher und unter die harten Feldsteine, -- nun hielten sie,
um Atem zu schöpfen -- und nun ächzten sie wieder weiter.
»Bruder von Metternich, das ist eine Nacht, um Anathema zu sagen!«
stöhnte der Prior einmal über das andere. »Was ist deine Meinung?«
»Der Gerechte siehet vor seine Füße und gehet den Weg, den ihn der Herr
schickt.«
»^Bene, bene!^ Wie dunkel aber die Nacht ist! Hätten wir doch ein
jeglicher eine Laterne anstatt der Fackeln mit uns genommen! Nun hört
auch das Stürmen vom Turm gar auf, Henrice.«
»Es ist vielleicht doch nur ein schlechter Gassenlärm gewesen, und die
Tummelanten haben des Spaßes genug und gehen zu Bett.«
»Und wir sind heraus und hier mitten im Felde? ^O corpus Christi^, der
Bann auf ihre Häupter! -- Fort, voran, ihr alle, wahrlich, man soll
Corvey nicht ungestraft hohnnecken; ^abbatia urbi imperat^, da ist das
Corveytor! Ruft: Sankt Vitus! und laßt uns einziehen!«
Nach einem mehr als halbstündigen Marsche waren sie jetzt wirklich vor
diesem Tore von Höxter angelangt; allein das Einziehen ging so leicht
nicht. Fürs erste fand das Stift die Tür verschlossen, obgleich es
selber die Schlüssel dazu hatte -- freilich in den Händen seines
tapfern, oben schon benannten Hauptmanns Meyer, den wir ebenfalls von
Person kennen lernen werden.
»Lasset uns anpochen,« sprach der Subprior.
»Das wird viel helfen, der Graben ist dazwischen,« murmelte der Propst.
»So lasset den Zinkenisten von Corvey hertreten, Sohn Heinrich! Er soll
sich den Hals zersprengen; aber uns den Pförtner auf die Mauer schaffen.
Das ist eine scheußliche Nacht!« grollte der Prior.
Das alte Stift hatte seinen Trompeter mitgebracht, und er blies, -- er
blies und blies sich halb die Lunge heraus, bis sein Blasen von der
gewünschten Wirkung war.
Endlich, endlich flimmerten Laternen auf der Mauer, und dann rasselte
die Brücke unter dem alten Torturm herunter; mit dem Hute in der Hand,
von seinen Laternenträgern begleitet, wackelte der Hauptmann Meyer
eilfertig und atemlos hervor, den Prior und das Stift zu begrüßen: ein
freundlicher, ältlicher Herr, rötlichen Angesichts, breitbäuchig und
behäglich, auch einer der besten Freunde des Pater Cellarius, Adelhardus
von Bruch.
Höchst verdrießlich empfingen ihn für diesmal die übrigen Würdenträger
des Stiftes.
»Sie sind wirklich mit Degen und Feldbinde da, Monsieur?« schrie der
Prior. »Weshalb kommen Sie nicht auch im Schlafrock und denen
Pantuffeln, mein Herr Hauptmann? Aus dem Bett kommen Sie ja doch! Bei
Sankt Veit, Herr, es geht lustig zu in Höxter. Die Sturmglocke bringt
das ganze Land in Aufruhr, und der Herr Kapitän drehen sich auf die
andere Seite und geruhen weiter zu ruhen. Wo steckt Ihr mit Euren
Leuten, Meyer? Hat man Euch dazu der Stadt Obhut zum zweiten Male
anvertrauet?«
Der bischöflich Münstersche Befehlshaber ließ dieses und noch eine Reihe
ähnlicher Vorwürfe und Fragen wie das Hochwasser aus einem aufgezogenen
Schütt über sich hingehen. Erst als der Prior von Corvey mit seinem Atem
zu Ende war, verantwortete er sich oder fing wenigstens an, sich zu
verantworten.
»Aus dem warmen Bett komme ich nicht, Hochwürden, sondern von den
Wesermauern am Brucktor, allwo ich seit angehobenem Tumult auf den Noht
gepasset habe nach meinem Eid und meiner Pflicht.«
»Auf den Noht?!«
»Ja, Hochwürden, auf des Herzogen Rudolf Augusten Oberstwachtmeister
Noht!«
»Sankt Veit und Corvey, aber weshalb denn gerade auf den?«
»Wer anders hat uns denn diesen Aufruhr angerichtet als der? Aber beim
Teufel, hat er mir einmal meine Trommel genommen, zum zweiten Male soll
er sie nicht in die Tatzen kriegen, und wenn er sich noch so verstohlen
über die Weser schliche!«
Bei Fackelschein und Laternenlicht sah sich der Prior, Herr Nikolaus von
Zitzewitz, verzweiflungsvoll und zweifelnd auf den Gesichtern seines
Gefolges um. Sie grinsten alle, und Bruder Heinrich von Herstelle lachte
sogar. Es blieb dem Prior von Corvey nichts anderes übrig, als sich
fußstampfend von neuem an den biedern Hauptmann zu wenden.
»Aber um Gottes willen, was läuteten sie denn Sturm? wer zog die Glocken
und warum?«
»Ja, sehet, Herr Prior,« sagte der tapfere Kapitän gemütlich, »da treten
Sie doch näher und sehen selber! Was uns betrifft, so sind wir, seit der
Lärm anging, unter den Waffen und auf der Mauer. In das Handgemenge habe
ich den Korporal Polhenne hineingeschickt, doch der kann auch nichts
ausrichten. Es geht eben wieder einmal durcheinander, Ratz, Katz und
Ketzer, und unsere sind auch dabei. In allen Pfarreien haben sie zu
Ehren des hohen französischen Abmarsches die Fenster eingeschmissen, und
alle Küster haben sie ganz oder halb totgeschlagen. Doch damit sind sie
auch zu Ende, und eben gehen sie, Ketzer und Katholiken, in christlicher
Eintracht über die Juden.«
»Und dabei steht der Mensch, lehnt sich auf die Ellenbogen und guckt vom
Brucktor aus in die Nacht und über die Weser nach dem Oberstwachtmeister
Noht aus!« ächzte der Prior, die Hände über dem Kopfe zusammenschlagend.
»Seine Trommel?! seine Trommel! Herrgott und Sankt Veit, sollte man da
nicht wünschen, daß zehn Jahre lang die Trommel auf ihm selber
geschlagen würde?«
»Ich rate nun doch, daß wir schleunigst in Höxter einrücken,« meinte
jetzo Bruder Heinrich von Herstelle, und der Prior, ganz und gar nicht
wie ein geistlicher Hirt, Vater und Berater kommandierte wütend:
»Marsch!«
So zog das Stift in die Stadt und nahm auch seinen Hauptmann wieder mit
hinein.


Zehntes Kapitel.

»Nun auf die Juden!« Wer bei Sankt Niklas das Wort zuerst in die
durcheinander tobende und im Unheil gemeinschaftliche Sache und
Brüderschaft machende katholische und lutherische Menge warf, ist
niemals historisch klar geworden. Wir haben unseren Freund, den Fährmann
Hans Vogedes, im Verdacht. Gegen die Juden ging es; -- hier war das
^tertium comparationis^, wie der Helmstedter relegierte junge Weltweise
sich ausdrückte, richtig gefunden. Der Pöbel hatte sich zuerst gegen das
Haus des Meisters Samuel gewälzt, und Lambert Tewes war ihm
selbstverständlich auch dorthin gefolgt.
»Ein unsterblich heroisch Poem werde ich schreiben und Professor der
Eloquenz in Helmstedt werden. Bei Venus und Mars, die alten Perücken
dort sollen mir nicht ohne Strafe das Consilium gegeben haben; als ein
kaiserlich gekröneter Dichter will ich sterben! Diese trojanische
Blutnacht haben mir die Götter eigens zubereitet. Es sei ihnen Dank
gesagt!«
So schrie er, und sein Horaz schlug ihm im Laufen an die Schenkel. Wir
wenden uns und sehen, wie die Kröppel-Leah und die kleine Simeath diese
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