Höxter und Corvey: Erzählung - 7

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dem Rathause ein weiteres bereden. Ihr Leute, wer von euch will diese
Leiche vor die Mauer schaffen?«
Da ging ein Murren durch die rohe Gesellschaft in der Schlafkammer des
Sergeanten vom Regiment Fougerais, und es kam die verdrossene
Entgegnung:
»Dazu ruft die Gildemeister auf oder ladet sie Euch selber auf den
Buckel.«
Es wurde Raum im Gemach und Platz auf der Treppe; vergeblich hatte sich
schon seit einiger Zeit der Bruder Heinrich von Herstelle nach seinem
Studenten umgesehen. Im richtigen Augenblicke erschien dieser wieder auf
der Schwelle, des Meisters Samuel zitterndes Weib, die Siphra, vor sich
herschiebend:
»Jetzt laßt das Heulen, Mutter. Die Kinder schaffe ich Euch auch, und
wenn's den Trost vollkommen macht, den Alten gleichfalls. Da, hebt das
arme Mädchen auf und sprecht zu ihr. Euer Haus liegt nieder, also nehmt
hier Quartier und richtet Euch ein; es wird Euch niemand mehr stören.
Höxter geht zuletzt doch auch zu Bett, also haltet Eure Totenwacht.«
Vernunft! -- Wenn einer in dieser Nacht in Höxter an der Weser Vernunft
gesprochen hatte, so war das der Tod gewesen.
Die gute Munizipalstadt Huxar benutzte in dieser Nacht nicht mehr ihre
Judenschaft, um einen politischen Widerhaken in das Fleisch des Stiftes
Corvey und des Bistums Münster zu schlagen. Wir wären vollkommen zu
Ende, wenn wir nicht aus vielfacher Erfahrung wüßten, daß der
hochgünstige Leser deutschen Geblütes sich so leicht nicht zufrieden
gibt.
Im großen Refektorium der berühmten Benediktiner-Abtei Corvey sah's um
diese frühe Morgenzeit wunderlich aus. Nachdem der Vater Adelhardus von
Bruch von seinem Bogenfenster aus den Feuerschein über Höxter zur Genüge
beobachtet und glossiert hatte, täuschte er das Vertrauen des Subpriors
Herrn Florentius von dem Felde nicht. Behaglich schaudernd hatte er an
seine geistlichen Brüder in der rauhen Winternacht gedacht, und bei der
Heimkehr hatte des Stiftes Armada wirklich ihr Warmbier in den
dampfenden Krügen auf den langen Eichentafeln aufgetischt gefunden; dazu
die Öfen in Glühhitze und den Cellarius item und bereit, jegliches Lob
von Prior und Probst bescheidentlich, aber seines Wertes bewußt,
entgegenzunehmen.
Nun lag die Abtei zum zweiten Male in den Federn, aber der Vater
Adelhardus hatte sich noch größer erzeigt: er war nicht mit den andern
zu Bett gestiegen; einsam und allein hatte er inmitten der Halle, gerade
unter der großen Kupferlampe, Stand gehalten und auf seinen Sohn
Heinrich gewartet.
»In ihrer Selbstsucht sind sie hingegangen, nach genossenem Guten; mich
aber soll er finden, so er ^labente lingua^, mit lechzender Zunge,
anlangt!« Und der Bruder Henricus hatte seinen geistlichen Vater auf
seinem Posten gefunden, nachdem er mit seiner Schar den Pförtner zum
zweiten Male herausgeschellt hatte; und jetzo wollten wir, wir hätten
des weißen Papieres noch so viel vor uns als zu Anfang dieser echten und
rechten Geschichte, denn mit dem Bruder Henricus kam nun doch der Bruder
Studio gen Corvey, und sie schüttelten einander die Hände über dem
Tisch, der Pater Kellermeister und Meister Lambert Tewes.
Erst um fünf Uhr morgens dann hatte der Cellarius geseufzt:
»^Molliter, molliter!^ sachte, o sachte, mein Kind!« und die Warnung war
vonnöten gewesen, denn es war eben der Studente, der ihn zu Bette
brachte; -- und an des Kellermeisters Tür küßten sie einander, und der
Vater Adelhard schluchzte:
»Nach Wittenberg willt du, mein Junge? Junge, was willt du in
Wittenberg? -- Bleibe bei mir -- eine Bi-bli-_ooo_-thek haben wir auch,
-- ich will sie dir morgen zeigen; -- bleibe du in Corvey, mein braves
Kind -- ich zeige dir auch den Keller.«
»Na, alter Bursch, dieses wollen wir beschlafen. Seht Ihr aber, Pater
Henrice, so haben uns die Götter nach ihrem Ratschluß, dem Ihr schnöde
ins Angesicht sprangt, doch diesen Hafen zubereitet!«
Der Bruder Heinrich von Herstelle aber hatte das Haupt geschüttelt, als
er vor seiner Zellentür sein hussitisch Schwert gegen die Wand lehnte:
»Es ist nur eine gewesen, die den Hafen in dieser Nacht in Höxter oder
in Corvey erreicht hat.«
Der gute alte Mönch trug noch immer den Handschuh Justs von Burlebecke
an seiner linken Hand; jetzt zog er ihn ab und schlang ihn in den Griff
der Hussitenwaffe; er nahm das alte Angedenken nicht mit in seine Zelle.
Dem Studenten wies er ein Bett an, und zehn Minuten später sägte, sang
und raspelte Lambert, wie im Wettkampf mit ganz Corvey, Horen und Metten
zu gleicher Zeit. Da raschelte es im Abteihofe in einem Reisighaufen;
fürsichtig schob sich ein scharfbeschnäbeltes, rotkämmig Haupt hervor,
der eine Hahn, den der Gallier übriggelassen, das heißt, der dem
Küchenmesser sich entzogen hatte, wagte sich halb verhungert zum ersten
Mal aus seinem Versteck, schwang sich auf die Höhe des Reisigs und
krähete: Da horchte der Vater Adelhardus im tiefen Schlafe auf, -- und
es war [eine>>ein] neuer Tag geworden, gerade so grau und winterlich
stürmisch wie der letztvergangene.
In Höxter hielt das hebräische Völklein der toten Leah die Leichenwacht,
und die Weiber sangen den Trauergesang und sprachen der Simeath Trost
zu. Der Meister Samuel aber hatte noch ein anderes zu schaffen. Er war
mit Hammer, Säge und Axt beschäftigt, die Tür des Hauses der
Kröppel-Leah wieder einzurichten. Der Herd war bereits notdürftig in
Ordnung gebracht, und es flackerte auch schon ein Feuerchen darauf und
sang das Wasser in einem Kesselchen. Durch die Fenster zog freilich noch
immer der Wind; wenn jemand im siebenzehnten Jahrhundert in Deutschland
schwer zu beschaffen war, so war das der Glaser.
Ehrn Helmrich Vollbort saß eingeschlossen in seinem Studierstüblein,
welches nach dem Garten zu gelegen war und seine Scheiben noch
unversehrt hatte. Wahrlich ein Mann, so saß der Pfarrherr von Sankt
Kilian inmitten seines Rüstzeugs und spitzte scharfe Keile zum
Eintreiben in die Paragraphen und Fugen des drohenden Gnaden- und
Segen-Rezesses Christoph Bernhards von Galen, Bischofs zu Münster und
Administrators von Corvey, der eben mit dem französischen Louis Krieg
gegen Holland führte und gern das Seinige tat und riet, so beiläufig
Kolmar französisch zu machen. -- Der Bürgermeister von Höxter aber hub
eben an, die Gassen seiner Stadt nach dem französischen Abmarsch zu
kehren: -- er, Herr Thönis Merz, hatte des guten Exempels halber selber
einen Besen genommen und den zweiten Herrn Wigand Säuberlich höflich in
die Hand genötigt.
Nach Mittag inspizierte der Corveysche Gubernator und bischöflich
Münstersche Hauptmann Herr Meyer wieder einmal die Wacht am Brucktore
und warf spähende, argwöhnische Blicke über den Fluß nach dem
verdächtigen, nebeligen jenseitigen Ufer; er traute dem
Oberstwachtmeister Noht immer noch nicht, und dieser heimtückische Nebel
war ihm äußerst unbehaglich. Der alte Fluß rauschte und grollte wie
gestern über die zertrümmerte Brücke fort; doch ein neuer Fährmann war
bestellt worden und zwängte seinen Weg, keuchend, wie gestern Hans
Vogedes den Wassern ab.
Der Fährkahn schwamm auf der Weser, und in ihm stand, mit einer
Scholarenzehrung des Stifts Corvey in der Tasche und seinen Horaz unter
dem Arm, der Student Lambert Tewes und schwang den Hut dem Bruder
Henricus zu, der dem tollen Lateiner wohlwollend nachwinkte. Der Student
ging doch nach Wittenberg, obgleich er den Keller des Vaters Adelhardus
kennen gelernt hatte.
Nun trat eben der Hauptmann zu dem Bruder Heinrich von Herstelle, ihn zu
begrüßen; und der Bruder wendete sich zu ihm und sagte:
Ȇber Sie ist noch geredet im Konvent, Herr Gubernator. Man wird Sie bei
erster passender Gelegenheit Seiner fürstlichen Gnaden von Münster zur
Promotion vorschlagen, zum Avancement.«
Da lächelte der Hauptmann gerührt und meinte:
»Ein Gnadengehalt, vielleicht mit dem Titul Major, wäre mir wohl das
Annehmlichste. Ich bin und bleibe ein halber Mensch seit der verfluchten
Trommelgeschichte.«
Der alte, tapfere Mönch zuckte die Achseln und blickte wieder seinem
Freunde Herrn Lambert nach.
Zu dem sagte eben, als der Kahn drüben ans Ufer stieß, der Fährmann:
»Du willst also doch nochmalen in das gelehrte Wesen hinein, Tewes? Tu's
nicht; laß dir raten, bleib in Höxter. Wir stehen alle zu dir und machen
dich seinerzeit zum Burgemeister, du passest uns ganz und gar auf den
Leib.«
Da lachte der Student und zitierte noch einmal den Flaccus, doch jetzt
nicht in schlechten Reimen, sondern, wie er meinte, in guter poetischer
Prosa, selber verwundert ob des klassisch-melodischen Tonfalls:
»Unsinn trieb ich lange genug und tappte im Irrsal; ging um die Kirche
herum, ein Verächter der Götter und Menschen. Doch nun wend' ich das
Segel und rückwärts steur' ich bedenklich.«
»Na, noch ist's Zeit,« brummte der Fährmann, »besinn dich, Lambert. Es
ist nichts Kleines, Bürgermeister von Höxter!«
»Für heute lassen wir den alten Merz in Ruhe auf seinem kurulischen
Lehnstuhl, Jochen,« rief der Student, dem Schiffer die Hand drückend,
»dem Herrn Onkel und der Frau Tante möchte ich freilich schon das
Vergnügen und die Überraschung gönnen. Weißt du was? -- Ich komme
wieder!«
Damit sprang er ans Ufer und ging raschen Schrittes auf Lüchtringen zu.
Ich komme wieder! das wird oft und leicht gesagt. Dieser Helmstedter
Studiosus der Rechtsgelahrtheit ist zwei Jahre nach der Krönung des
ersten Königs in Preußen als Professor der Beredsamkeit zu Halle
gestorben, und sein Horatius soll sich in den vierziger Jahren des
achtzehnten Jahrhunderts in der Bibliothek des ersten Professors der
Ästhetik, Alexander Gottlieb Baumgarten, wiedergefunden haben.


Anmerkungen zur Transkription

Der Originaltext ist in Fraktur gesetzt. Hervorhebungen, die im
Original g e s p e r r t sind, wurden mit Unterstrichen wie _hier_
gekennzeichnet. Fremdsprachige Textstellen, die im Original in Antiqua
gesetzt sind, wurden ^so^ markiert.
Offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert wie hier aufgeführt
(vorher/nachher):
[S. 13]:
... Der Bruder Hinricus lächelte ein wenig. ...
... Der Bruder Henricus lächelte ein wenig. ...
[S. 60]:
... Bei allem diesen Getön entschlummerte nach den geistigen ...
... Bei allem diesem Getön entschlummerte nach den geistigen ...
[S. 143]:
... uns fandet. Helfet dem unschudigen Kinde, der kleinen ...
... uns fandet. Helfet dem unschuldigen Kinde, der kleinen ...
[S. 154]:
... Der Pfarrherr von Sankt Kilan stand mit untergeschlagenen ...
... Der Pfarrherr von Sankt Kilian stand mit untergeschlagenen ...
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