Hamlet, Prinz von Dännemark - 4

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heissen, einen Falken von einem Reyger-Nest; allein das gemeine
Volk machte aus (Hern-shaw, (I know a hawk from a hern-shaw)
hand-saw) eine Hand-Säge, vermuthlich, damit die Redensart
possierlicher klinge, wie es vielen Sprüchwörtern zu gehen pflegt.}


Siebende Scene.
(Polonius zu den Vorigen.)

Polonius.
Ich wünsche euch viel Gutes, meine Herren.
Hamlet.
Hört ihr, Güldenstern, und ihr auch; diß grosse Wiegen-Kind, das
ihr hier vor euch seht, ist noch nie aus seinen Windeln gekommen.
Rosenkranz.
Vielleicht ist er zum andern mal drein gekommen, denn man sagt,
alte Leute zweymal Kinder.
Hamlet.
Ich seh es ihm an, daß er kommt, mir von den Comödianten zu
sprechen--Gebt Acht darauf--Ihr habt recht, mein Herr; lezten
Montag früh war es so, in der That.
Polonius.
Gnädiger Herr, ich habe euch was neues zu sagen.
Hamlet.
Gnädiger Herr, ich habe (euch) was neues zu sagen; als Roscius ein
Comödiant zu Rom war--

Polonius.
Die Comödianten sind hier angekommen, Gnädiger Herr.
Hamlet.
Was?
Polonius.
Auf meine Ehre--
Hamlet.
Jeder Comödiant kam also auf seinem Esel--
Polonius.
Die besten Schauspieler in der Welt, es sey nun für Tragödie,
Comödie, Historie, Pastoral, Tragi-Comödie, Comical-Pastoral, oder
was ihr immer wollt; für sie ist Seneca nicht zu schwer, und
Plautus nicht zu leicht. Wenn Wiz und Freyheit das einzige Gesez
sind, so findet man ihres gleichen nicht in der Welt.
Hamlet.
(O Jephta, Richter in Israel)*, was für einen Schaz hast du!
{ed.-* Dieses und was Hamlet dem Polonius antwortet, scheinen
Bruchstüke aus alten Balladen zu seyn.}
Polonius.
Was hatte er für einen Schaz, Gnädiger Herr?
Hamlet.
(Ein' Tochter hatt' er, und nicht mehr,
Ein hübsches Mädchen, das liebt er sehr.)
Polonius (vor sich.)
Immer stekt ihm meine Tochter im Kopf
Hamlet.
Hab' ich nicht recht, alter Jephta?
Polonius.
Wenn ich der Jephta bin, den ihr meynt, Gnädiger Herr, so hab ich
eine Tochter, die ich sehr liebe.
Hamlet.
Nein, das folgt nicht.
Polonius.
Was folgt denn, Gnädiger Herr?
Hamlet.
Was? Zum Exempel,
(Da trug sich zu, wie ich sagen thu--) ihr kennt ja das Liedchen?
Aber da kommen die ehrlichen Leute, die mir heraushelfen--
(Vier oder fünf Schauspieler treten auf.) Willkommen, ihr Herren,
willkommen allerseits--Es freut mich, dich wohl zu sehen--
Willkommen meine guten Freunde--Ha! Alter Freund! Du hast ja
einen hübschen Bart bekommen, seit dem wir uns gesehen haben--wie,
meine hübsche Jungfer, ihr seyd ja um eine Pantoffel-Höhe
gewachsen? Ich will hoffen, daß es eurer schönen Stimme nichts
geschadet haben werde--Ihr Herren, ihr seyd alle willkommen; wir
wollen nur gleich zur Sache--eine hübsche Scene, wenn ich bitten
darf; kommt, kommt; eine kleine Probe von eurer Kunst, eine Rede,
worinn recht viel Affect ist--
1. Schauspieler.
Was für eine Rede, Gnädiger Herr?
Hamlet.
Ich hörte dich einmal eine declamieren, aber auf die Schaubühne kam
sie nicht; wenigstens nicht mehr als einmal; denn das Stük, so viel
ich mich erinnere, gefiel dem grossen Hauffen nicht; es war Stör-
Rogen (Caviar) für den Pöbel; aber, wie ich und andre, deren
Urtheil ich in solchen Sachen traue, es ansahen, war es ein
vortreffliches Stük; viel Einfalt und doch viel Kunst in der Anlage
des Plans, und die Scenen wol disponiert; nichts affectiertes in
der Schreibart; kein Salz, (sagte jemand) in den Worten, um der
Mattigkeit der Gedanken nachzuhelfen; keine Redensarten noch
Schwünge, worinn man statt der redenden Person den sich selbst
gefallenden Autor hört; kurz, ein natürlicher, ungeschminkter Styl,
wie der Kenner sagte. Ich erinnre mich sonderheitlich einer Rede,
die mir vorzüglich gefiel; es war in einem Dialoge des Äneas mit
der Dido, die Stelle, wo er von Priams Tochter sprach. Wenn ihr's
noch im Gedächtniß habt, so fangt bey der Zeile an--Laßt sehen,
laßt sehen--"Der rauhe Pyrrhus, gleich dem Hyrcanischen Tyger"--
Nein, so heißt es nicht--es fangt mit dem Pyrrhus an--"Der rauhe
Pyrrhus, dessen Rüstung, schwarz wie sein unmenschliches Herz,
jener Nacht glich, da er auf Verderben laurend, im Bauch des
fatalen Pferdes verborgen lag, hatte nun die furchtbare Schwärze
seiner Waffen mit einer noch gräßlichern Farbe beflekt; nun ist er
von Kopf zu Fuß ganz blutroth; entsezlich besprizt mit Blut von
Vätern, Müttern, Söhnen, Töchtern, in die düstre Flamme gehüllt,
deren verdammter Schein den Weg schnöder Mörder beleuchtet--So von
Wuth und Hize lechzend, so mit gestoktem Blut überzogen, sucht mit
funkelnden Augen der höllische Pyrrhus den alten Anherrn Priam auf."
Polonius.
Bey Gott, Gnädiger Herr, das war gut declamirt; mit einem guten
Accent, und mit einer geschikten Action.
1. Schauspieler.
Er findet ihn, von Griechen umringt, die er aber mit zu
kurzgeführten Streichen, zurükzutreiben sucht. Sein altes Schwerd,
ungehorsam dem kraftlosen Arm, führt lauter unschädliche Hiebe und
bleibt liegen, wohin es fällt--welch ein Gegner, die Wuth des
daherstürzenden Pyrrhus aufzuhalten, der Wütrich hohlt zu einem
tödtlichen Streich weit aus; aber von dem blossen Zischen seines
blutigen Schwerds fällt der nervenlose Vater zu Boden. Das
gefühllose Ilion selbst schien diesen Streich zu fühlen, seine
flammenden Thürme stürzten ein, und der entsezliche Ruin macht
sogar den Pyrrhus stuzen; denn, seht, sein Schwerd, im Begriff, auf
das milchweisse Haupt des ehrwürdigen Priams herab zu fallen, blieb,
so schien es, in der Luft steken; Pyrrhus stuhnd, wie ein
gemahlter Tyrann, unthätig, dem Unentschloßnen gleich, der zwischen
seinem Willen und dem Gegenstand im Gleichgewicht schwebt; aber, so,
wie wir oft wenn ein Sturm bevorsteht, ein tiefes Schweigen durch
die Himmel wahrnehmen das Rad der Natur scheint zu stehen, die
trozigen Winde schweigen, und unter ihnen liegt der Erdkreis in
banger Todes-Stille; auf einmal stürzt der krachende Donner,
Verderben auf die Gegend herab: So feurt den unmenschlichen Pyrrhus,
nach dieser kleinen Pause, ein plözlicher Sturm von Rachsucht
wieder zur blutigen Arbeit an: Gefühlloser fielen nie die Hämmer
der Cyclopen auf die glühende Masse herab, woraus sie des Kriegs-
Gottes undurchdringliche Waffen schmieden; als nun des Pyrrhus
Schwerdt auf den hülflosen Greisen fällt--Hinaus, hinaus, du Meze,
Fortuna! O ihr Götter alle, vereiniget euch, stehet alle zusammen,
sie ihrer Gewalt zu berauben: Zerbrechet alle Speichen und Felgen
ihres Rades, und rollet die zirkelnde Nabe von dem Hügel des
Himmels bis in den Abgrund der Hölle hinab!
Polonius.
Das ist zu lang.
Hamlet.
Es soll mit euerm Bart zum Barbier--Ich bitte dich, fahre fort; er
muß Wortspiele oder schmuzige Mährchen haben, oder er schläft ein--
Weiter fort, zur Hecuba--
1. Schauspieler.
Aber wer, o wer izt die vermummte Königin gesehn hätte--
Hamlet.
Die vermummte Königin?
Polonius.
Das ist gut, vermummte Königin, ist gut.
Schauspieler.
Wie sie, in Verzweiflung, mit nakten Füssen auf- und nieder rannte,
und weinte, daß die Flammen von ihren Thränen hätten verlöschen
mögen; ein besudelter Lumpe auf diesem Haupt, wo kürzlich noch das
Diadem funkelte; und statt des Königlichen Purpurs ein Bettlaken,
das erste was sie im betäubenden Schreken ergriff, um ihre
schlappen, von häufigem Gebähren ganz ausgemergelte Lenden
hergeworffen; wer das gesehen hätte, würde mit in Gift getauchter
Zunge Verwünschungen gegen das Glük ausgestossen haben--Doch, wenn
die Götter selbst sie gesehen hätten, in dem Augenblik sie gesehen
hätten, da Pyrrhus, mit unmenschlichem Muthwillen, die Glieder
ihres Gemahls vor ihren Augen in kleine Stüke zerhakte, das
ausberstende Geschrey, das sie da machte, würde sie, (es wäre dann,
daß sie von sterblichen Dingen gar nicht gerührt werden,) würde die
brennenden Augen des Himmels in Thränen aufgelöst, und die Götter
in Leidenschaft gesezt haben.
Polonius.
Seht nur, ob er nicht seine Farbe verändert, und ob er nicht
Thränen in den Augen hat? Ich bitte dich, laß es genug seyn.
Hamlet.
Gut, wir wollen den Rest dieser Rede auf ein andermal sparen--Mein
guter Herr,
(zu Polonius)
wollt ihr dafür sorgen, daß diese Schauspieler wohl besorgt
werden? Hört ihr's, laßt ihnen nichts abgehen; es sind Leute, die
man in Acht nehmen muß; sie sind lebendige Chroniken ihrer Zeit; es
wäre euch besser, eine schlechte Grabschrift nach euerm Tod zu
haben, als ihre üble Nachrede, weil ihr lebt.
Polonius.
Gnädiger Herr, ich will ihnen begegnen, wie sie es verdienen.
Hamlet.
Behüt uns Gott, Mann, weit besser! Wenn ihr einem jeden begegnen
wolltet, wie er's verdient, wer würde dem Staup-Besen entgehen?
Begegnet ihnen, wie es eurer eignen Ehre und Würde gemäß ist. Je
weniger sie verdienen, je mehr Verdienst ist in eurer Gütigkeit.
Nehmt sie mit euch hinein.
Polonius.
Kommt, ihr Herren.
(Polonius geht ab.)
Hamlet.
Folget ihm, meine guten Freunde: Morgen wollen wir ein Stük hören--
Hörst du mich, alter Freund, kanst du die Ermordung des Gonzago
aufführen?
Schauspieler.
Ja, Gnädigster Herr.
Hamlet.
So wollen wir's Morgen auf die Nacht haben. Ihr könnt doch, im
Nothfall eine Rede von einem Duzend oder sechszehn Zeilen studieren,
die ich noch aufsezen, und hinein bringen möchte? Könnt ihr nicht?
Schauspieler.
Ja wohl, Gnädigster Herr.
Hamlet.
Das ist mir lieb. Geht diesem Herrn nach, aber nehmt euch in Acht,
daß ihr ihn nicht zum besten habt.
(Zu Rosenkranz und Güldenstern.)
Meine guten Freunde, ich verlasse euch bis diese Nacht; ihr seyd
willkommen in Elsinoor.
Rosenkranz.
Wir empfehlen uns zu Gnaden--
(Sie gehen ab.)


Achte Scene.

Hamlet (allein).
Ja, so behüt euch Gott: endlich bin ich allein--O, was für ein
Schurke, für ein nichtswürdiger Sclave bin ich! Ist es nicht was
ungeheures, daß dieser Comödiant hier, in einer blossen Fabel, im
blossen Traum einer Leidenschaft, soviel Gewalt über seine Seele
haben soll, daß durch ihre Würkung sein ganzes Gesicht sich
entfärbt, Thränen seine Augen füllen, seine Stimme bricht, jeder
Gesichtszug, jedes Gliedmaß, jede Muskel die Heftigkeit der
Leidenschaft, die doch bloß in seinem Hirn ist, mit solcher
Wahrheit ausdrükt--und das alles um nichts? Um Hecuba--Was ist
Hecuba für ihn, oder er für Hecuba, daß er um sie weinen soll? Was
würd er thun, wenn er die Ursache zur Leidenschaft hätte, die ich
habe? Er würde den Schauplaz in Thränen ersäuffen, und mit
entsezlichen Reden jedes Ohr durchbohren; die Schuldigen würden von
Sinnen kommen, und die Schuldlosen selbst wie Verbrecher erblassen--
und ich, träger schwermüthiger Tropf, härme mich wie ein
milzsüchtiger Grillenfänger ab, fühle die Grösse meiner Sache nicht,
und kan nichts sagen--nein, nichts, nichts für einen König, der
auf eine so verruchte Art seiner Crone und seines Lebens beraubt
worden ist!--Bin ich vielleicht eine Memme? Wer darf mich einen
Schurken nennen, mir ein Loch in den Kopf schlagen, mir den Bart
ausrauffen, und ins Gesicht werfen? Wer zwikt mich bey der Nase,
oder wirft mir eine Lüge in den Hals, so tief bis in die Lunge
hinab? Wer thut mir das? Und doch sollt' ich es leiden--Denn es
kan nicht anders seyn, ich bin ein Daubenherziger Mensch, der keine
Galle hat, die ihm seine Unterdrükung bitter mache; wenn es nicht
so wäre, hätte ich nicht bereits alle Geyer der Gegend mit dem
vorgeworfnen Aas dieses Sclaven gemästet? Der blutige kupplerische
Bube! Der gewissenlose, verräthrische, unzüchtige, unbarmherzige
Bösewicht!--Wie, was für eine niederträchtige Geduld hält mich
zurük? Ich, der Sohn eines theuren ermordeten Vaters, von Himmel
und Hölle zur Rache aufgefodert, ich soll wie eine feige Meze, mein
Herz durch Worte erleichtern, wie eine wahre Gassen-Hure in Schimpf-
Worte und Flüche ausbrechen--und es ist Hirn in diesem Schedel! Fy,
der Niederträchtigkeit! Es muß anders werden!--Ich habe gehört,
daß Verbrecher unter einem Schauspiel durch die blosse Kunst des
Poeten und des Schauspielers so in die Seele getroffen worden, daß
sie auf der Stelle ihre Übelthaten bekennt haben. Wenn ein Mord
gleich keine Zunge hat, so muß doch ehe das lebloseste Ding Sprache
bekommen, als daß er unentdekt bleiben sollte. Ich will diese
Comödianten etwas der Ermordung meines Vaters ähnliches vor meinem
Oheim aufführen lassen. Ich will sein Gesicht dabey beobachten;
ich will ihm die Wike bis aufs Fleisch in die Wunde bohren; wenn er
nur erblaßt, so weiß ich was ich zu thun habe. Der Geist, den ich
gesehen habe, kan der Teufel seyn; denn der Teufel hat die Macht
eine gefällige Gestalt anzunehmen; vielleicht mißbraucht er meine
Schwermuth und Trübsinnigkeit (Geister, durch die er eine besondere
Gewalt hat) mich zu einer verdammlichen That zu verleiten. Ich
will einen überzeugendern Grund haben als diese Erscheinung; und im
Schauspiel soll die Falle seyn, worinn ich das Gewissen des Königs
fangen will.

Dritter Aufzug.

Erste Scene.
(Der Pallast.)
(Der König, die Königin, Polonius, Ophelia, Rosenkranz,
Güldenstern, und Herren vom Hofe treten auf.)

König.
Ihr habt also nicht von ihm herausbringen können, was die Ursache
ist, warum er in den schönsten Tagen seines Lebens in diese
stürmische und Gefahr-drohende Raserey gefallen?
Rosenkranz.
Er gesteht, daß er sich in einem ausserordentlichen Gemüths-
Zustande fühle; aber was die Ursache davon sey, darüber will er
sich schlechterdings nicht herauslassen.
Güldenstern.
Auch giebt er nirgends keine Gelegenheit, wo man ihn ausholen
könnte, und wenn man würklich ganz nahe dabey zu seyn glaubt, ihn
zum Geständniß seines wahren Zustands zu bringen, so hat er, seiner
vorgeblichen Tollheit ungeachtet, doch List genug, sich immer
wieder aus der Schlinge zu ziehen.
Königin.
Empfieng er euch freundlich?
Rosenkranz.
Mit vieler Höflichkeit.
Güldenstern.
Doch so, daß man die Gewalt die er seinem Humor anthun mußte, sehr
deutlich merken konnte.
Rosenkranz.
Mit Fragen war er sehr frey, aber überaus zurükhaltend, wenn er auf
die unsrigen antworten sollte.
Königin.
Schluget ihr ihm keinen Zeitvertreib vor?
Rosenkranz.
Gnädigste Frau, es begegnete von ungefehr, daß wir unterwegs auf
eine Schauspieler-Gesellschaft stiessen; von dieser sagten wir ihm,
und es schien, als ob er eine Art von Freude darüber hätte: Sie
befinden sich würklich bey Hofe, und (wie ich glaube,) haben sie
bereits Befehl, diese Nacht vor ihm zu spielen.
Polonius.
Es ist nichts gewissers, und er ersucht Eure Majestäten, Zuschauer
dabey abzugeben.
König.
Von Herzen gern, es erfreut mich ungemein, zu hören, daß er so gut
disponiert ist. Erhaltet ihn bey dieser Laune, meine guten Freunde,
und seyd darauf bedacht, daß er immer mehr Geschmak an dergleichen
Zeitvertreib finde.
Rosenkranz.
Wir wollen nichts ermangeln lassen, Gnädigster Herr.
(Sie gehen ab.)
König.
Liebste Gertrude, verlaßt ihr uns auch; wir haben heimliche
Anstalten gemacht, daß Hamlet hieher komme, damit er Ophelien, als
ob es von ungefehr geschähe, hier antreffe. Ihr Vater und ich
wollen einen solchen Plaz nehmen, daß wir, ungesehn, Zeugen von
allem was zwischen ihnen vorgehen wird, seyn, und also durch uns
selbst urtheilen können, ob die Liebe die Ursache seines Trübsinns
ist oder nicht.
Königin.
Ich gehorche euch; und an meinem Theil, Ophelia, wünsch' ich, daß
eure Reizungen die glükliche Ursach von Hamlets Zustande seyn mögen:
Denn das würde mir Hoffnung machen, daß eure Tugend ihn, zu euer
beyder Ehre, wieder auf den rechten Weg bringen würde.
Ophelia.
Gnädigste Frau, ich wünsch' es so.
(Die Königin geht ab.)
Polonius.
Ophelia, geht ihr hier auf und ab--Gnädigster Herr, wenn es
beliebig ist, wollen wir uns hier verbergen--
(Zu Ophelia.)
Thut, als ob ihr in diesem Buche leset; damit das Ansehn einer
geistlichen Übung eure Einsamkeit beschönige. Es begegnet nur gar
zu oft, daß wir mit der andächtigsten Mine und der frömmsten
Gebehrde an dem Teufel selbst saugen.
König (vor sich.)
Das ist nur gar zu wahr. Was für einen scharfen Geissel-Streich
giebt diese Rede meinem Gewissen! Die Wangen einer Hure durch
Kunst mit betrügerischen Rosen bemahlt, sind nicht häßlicher unter
ihrer Schminke, als meine That unter der schönen Larve meiner Worte--
O schwere Bürde!
Polonius.
Ich hör' ihn kommen; wir wollen uns entfernen, Gnädigster Herr.
(Alle, bis auf Ophelia gehen ab.)



Zweyte Scene.
(Hamlet tritt auf, mit sich selbst redend.)

Hamlet.
Seyn oder nicht seyn--Das ist die Frage--Ob es einem edeln Geist
anständiger ist, sich den Beleidigungen des Glüks geduldig zu
unterwerfen, oder seinen Anfällen entgegen zu stehen, und durch
einen herzhaften Streich sie auf einmal zu endigen? Was ist
sterben?--Schlafen--das ist alles--und durch einen guten Schlaf
sich auf immer vom Kopfweh und allen andern Plagen, wovon unser
Fleisch Erbe ist, zu erledigen, ist ja eine Glükseligkeit, die man
einem andächtiglich zubeten sollte--Sterben--Schlafen--Doch
vielleicht ist es was mehr--wie wenn es träumen wäre?--Da stekt der
Haken--Was nach dem irdischen Getümmel in diesem langen Schlaf des
Todes für Träume folgen können, das ist es, was uns stuzen machen
muß. Wenn das nicht wäre, wer würde die Mißhandlungen und Staupen-
Schläge der Zeit, die Gewaltthätigkeiten des Unterdrükers, die
verächtlichen Kränkungen des Stolzen, die Quaal verschmähter Liebe,
die Schicanen der Justiz, den Übermuth der Grossen, ertragen, oder
welcher Mann von Verdienst würde sich von einem Elenden, dessen
Geburt oder Glük seinen ganzen Werth ausmacht, mit Füssen stossen
lassen, wenn ihm frey stühnde, mit einem armen kleinen Federmesser
sich Ruhe zu verschaffen? Welcher Taglöhner würde unter Ächzen
und Schwizen ein mühseliges Leben fortschleppen wollen?--Wenn die
Furcht vor etwas nach dem Tode--wenn dieses unbekannte Land, aus
dem noch kein Reisender zurük gekommen ist, unsern Willen nicht
betäubte, und uns riehte, lieber die Übel zu leiden, die wir
kennen, als uns freywillig in andre zu stürzen, die uns desto
furchtbarer scheinen, weil sie uns unbekannt sind. Und so macht
das Gewissen uns alle zu Memmen; so entnervet ein blosser Gedanke
die Stärke des natürlichen Abscheues vor Schmerz und Elend, und die
grössesten Thaten, die wichtigsten Entwürfe werden durch diese
einzige Betrachtung in ihrem Lauf gehemmt, und von der Ausführung
zurükgeschrekt--Aber sachte!--wie? Die schöne Ophelia?--Nymphe,
erinnre dich aller meiner Sünden in deinem Gebete.
Ophelia.
Mein Gnädiger Prinz, wie habt ihr euch diese vielen Tage über
befunden?
Hamlet.
Ich danke euch demüthigst; wohl--
Ophelia.
Gnädiger Herr, ich habe verschiedne Sachen zum Andenken von euch,
die ich euch gerne zurükgegeben hätte; ich bitte euer Gnaden, sie
bey dieser Gelegenheit zurük zu nehmen.
Hamlet.
Ich? ich wißte nicht, daß ich euch jemals was gegeben hätte.
Ophelia.
Ihr wißt es gar wohl, Gnädiger Herr, und daß ihr eure Geschenke mit
Worten, von so süssem Athem zusammengesezt, begleitet habt, daß sie
dadurch einen noch grössern Werth erhielten. Da sich dieser Parfüm
verlohren hat, so nehmt sie wieder zurük. Geschenke verliehren für
ein edles Gemüth ihren Werth, wenn das Herz des Gebers geändert ist.
Hamlet.
Ha, ha! Seyd ihr tugendhaft?
Ophelia.
Gnädiger Herr--
Hamlet.
Seyd ihr schön?
Ophelia.
Was sollen diese Fragen bedeuten?
Hamlet.
Das will ich euch sagen. Wenn ihr tugendhaft und schön seyd, so
soll eure Tugend nicht zugeben, daß man eurer Schönheit
Schmeicheleyen vorschwaze.
Ophelia.
Machen Schönheit und Tugend nicht eine gute Gesellschaft mit
einander aus, Gnädiger Herr?
Hamlet.
Nicht die beste; denn es wird allemal der Schönheit leichter seyn,
die Tugend in eine Kupplerin zu verwandeln, als der Tugend, die
Schönheit sich ähnlich zu machen. Das war ehmals ein paradoxer Saz,
aber in unsern Tagen ist seine Wahrheit unstreitig--Es war eine
Zeit, da ich euch liebte.
Ophelia.
In der That; Gnädiger Herr, ihr machtet mich's glauben.
Hamlet.
Ihr hättet mir nicht glauben sollen. Denn Tugend kan sich unserm
alten Stamme nie so gut einpfropfen, daß wir nicht noch immer einen
Geschmak von ihm behalten sollten. Ich liebte euch nicht.
Ophelia.
Desto schlimmer, daß ich so betrogen wurde.
Hamlet.
Geh in ein Nonnenkloster. Warum wolltest du eine Mutter von
Sündern werden? Ich bin selbst keiner von den Schlimmsten; und
doch könnt' ich mich solcher Dinge anklagen, daß es besser wäre,
meine Mutter hätte mich nicht zur Welt gebracht. Ich bin sehr
stolz, rachgierig, ehrsüchtig, zu mehr Sünden aufgelegt, als ich
Gedanken habe sie zu namsen, Einbildungs-Kraft sie auszubilden, und
Zeit sie zu vollbringen. Wozu sollen solche Bursche, wie ich bin,
zwischen Himmel und Erde herumkriechen? Wir sind alle ausgemachte
Taugenichts; traue keinem von uns--Geh in ein Nonnen-Kloster--Wo
ist euer Vater?
Ophelia.
Zu Hause, Gnädiger Herr.
Hamlet.
Laß die Thür hinter ihm zuschliessen, damit er den Narren nirgends
als in seinem eignen Hause spielen könne--Adieu.
Ophelia.
O hilf ihm, Gütiger Himmel!
Hamlet.
Wenn du einen Mann nimmst, so will ich dir diesen Fluch zur Mitgift
geben--Sey so keusch wie Eis, so rein wie Schnee, du wirst doch der
Verläumdung nicht entgehen--Geh in ein Nonnen-Kloster--Adieu--Oder
wenn du es ja nicht vermeiden kanst, so nimm einen Narren; denn
gescheidte Leute wissen gar zu wohl, was für Ungeheuer ihr aus
ihnen macht.--In ein Nonnen-Kloster, sag ich und das nur bald:
Adieu.
Ophelia.
Ihr himmlischen Mächte, stellet ihn wieder her!
Hamlet.
Ich habe auch von eurer Mahler-Kunst gehört; eine feine Kunst!
Gott hat euch ein Gesicht gegeben, und ihr macht euch ein anders.
Ihr verhunzt unserm Herrn Gott sein Geschöpf durch eure tändelhafte
Manieren, durch eure Ziererey, euer affektiertes Stottern, euern
tanzenden Gang, eure kindische Launen; und seyd unwissend genug
euch auf diese Armseligkeiten noch wer weiß wie viel einzubilden.
Geh, geh, ich will nichts mehr davon, es hat mich toll gemacht.
Ich meyne, keine Heyrathen mehr! Diejenigen die nun einmal
verheyrathet sind, alle bis an einen, mögen leben; die übrigen
sollen bleiben wie sie sind. In ein Nonnen-Kloster, geh.
(Hamlet geht ab.)
Ophelia.
O was für ein edles Gemüth ist hier zu Grunde gerichtet! Das Aug
eines Hofmanns, die Zunge eines Gelehrten, der Degen eines Helden!
Die Erwartung, die blühende Hoffnung des Staats! Der Spiegel,
worinn sich jeder besah, der gefallen wollte; das Modell von allem
was groß, schön und liebenswürdig ist, gänzlich, gänzlich
zernichtet! Ich unglükselige! Die einst den Honig seiner
Schmeicheleyen, die Musik seiner Gelübde so begierig in mich sog;
und izt sehen muß, wie der schönste Geist, gleich einem verstimmten
Glokenspiel, lauter falsche, mißklingende Töne von sich giebt, und
diese unvergleichliche Tugend-Blühte in finstrer Schwermuth
hinwelkt! O! wehe mir! daß ich leben mußte, um zu sehen, was ich
gesehen habe.


Dritte Scene.
(Der König und Polonius treten auf.)

König.
Liebe, sagt ihr? Nein, sein Gemüth ist von ganz andern Dingen
eingenommen, und was er sagte, ob es gleich ein wenig seltsam klang,
war auch nicht Wahnwiz. Es liegt ihm etwas im Gemüth, worüber
seine Melancholie brütend sizt, und ich besorge es möchte
gefährlich seyn, es zeitig werden zu lassen. Es ist mir in der
Geschwindigkeit ein Mittel beygefallen, wie diesem Übel vorgebogen
werden kan. Ich will ihn ohne Aufschub nach England schiken, um
den Tribut zu fodern, der uns zurükgehalten wird: Vielleicht, daß
die See-Luft, ein anders Land und andre Gegenstände, diese böse
Materie zerstreuen mögen, die sich in seinem Herzen gesezt, und
sein Gehirn mit schwarzen Vorstellungen angefüllt hat, denen er
nachhängt, und darüber in diesen seltsamen Humor verfallen ist.
Was denkt ihr davon?
Polonius.
Es wird eine gute Wirkung thun. Und doch glaub ich noch immer, daß
verachtete Liebe die erste Quelle und Ursach dieser Schwermuth
gewesen--Wie steht's, Ophelia? Ihr habt nicht nöthig uns zu
erzählen, was Prinz Hamlet sagte; wir haben alles gehört--
(Ophelia geht ab.)
Gnädigster Herr, handelt nach euerm Gefallen; wenn es euch aber
nicht entgegen ist, so laßt die Königin seine Frau Mutter nach der
Comödie in einer geheimen Unterredung einen Versuch machen, die
Ursache seines Grams von ihm zu erfahren; laßt sie mit der Sprache
gerad gegen ihn herausgehen; und ich will mich, wenn ihr's für gut
anseht, an einen Ort stellen, wo ich alles was sie mit einander
reden, hören kan. Will er sich nicht erklären, so schikt ihn nach
England, oder verwahrt ihn sonst irgendwo; was eure Klugheit das
rathsamste finden wird.
König.
Wir wollen es so machen--Wahnwiz ist an den Grossen allemal was
verdächtiges das man nicht unbewacht lassen soll.
(Sie gehen ab.)
(Hamlet mit zween oder dreyen Schauspielern tritt auf.)
Hamlet.
Sprecht eure Rede, ich bitte euch, so wie ich sie euch vorgesagt
habe, mit dem natürlichen Ton und Accent, wie man im gemeinen Leben
spricht. Denn wenn ihr das Maul so voll nehmen wolltet, wie manche
von unsern Schauspielern zu thun pflegen, so wäre mir eben so lieb,
wenn der Ausruffer meine Verse hersagte. Und sägt auch die Luft
nicht so mit eurer Hand, sondern macht es manierlich; denn selbst
in dem heftigsten Strom, Sturm und Wirbelwind einer Leidenschaft
müßt ihr eure Bewegungen so gut in eurer Gewalt haben, daß sie
etwas edels und anständiges behalten. O, es ist mir in der Seele
zuwider, wenn ich einen breitschultrichten Lümmel in einer grossen
Perüke vor mir sehe, der eine Leidenschaft zu Fezen zerreißt, und
um pathetisch zu seyn, sich nicht anderst gebehrdet, als wie ein
toller Mensch; aber gemeiniglich sind solche Gesellen auch nichts
anders fähig als Lerm und seltsame unnatürliche Gesticulationen zu
machen. Ich könnte einen solchen Burschen prügeln lassen, wenn er
die Rolle eines Helden kriegt, und einen Dragoner in der Schenke
daraus macht; Herodes selbst ist nur ein Kind dagegen. Ich bitte
euch, nehmt euch davor in Acht.
Schauspieler.
Dafür stehe ich Euer Gnaden.
Hamlet.
Indessen müßt ihr auch nicht gar zu zahm seyn; in diesem Stüke muß
eure Beurtheilungs-Kraft euer Lehrmeister seyn. Laßt die Action zu
den Worten, und die Worte zur Action passen, mit der einzigen
Vorsicht, daß ihr nie über die Grenzen des Natürlichen hinausgehst--
Denn alles Übertriebne ist gegen den Endzwek der Schauspieler-
Kunst, der zu allen Zeiten, von Anfang und izt, nichts anders war
und ist, als der Natur gleichsam einen Spiegel vorzuhalten, der
Tugend ihre eigne wahre Gestalt und Proportion zu zeigen, und die
Sitten der Zeit, bis auf ihre kleinsten Züge und Schattierungen
nach dem Leben gemahlt darzustellen. Wird hierinn etwas
übertrieben, oder auch zu matt und unter dem wahren Leben gemacht,
so kan es zwar die Unverständigen zum Lachen reizen; aber
Vernünftigen wird es desto anstössiger seyn; und das Urtheil von
diesen soll in euern Augen allemal ein ganzes Theater voll von
jenen überwiegen. Ich kenne Schauspieler, und sie wurden von
gewissen Leuten gelobt (so sehr man loben kan,) die ihre Rollen so
abscheulich heulten, sich so ungebehrdig dazu spreißten, daß ich
dachte, irgend einer von der Natur ihren Tagwerks-Jungen habe
Menschen machen wollen, und sie seyen ihm nicht gerathen; so
abscheulich-grotesk ahmten sie die menschliche Natur nach.
Schauspieler.
Ich hoffe, wir haben diesen Unform so ziemlich bey uns abgeschaft.
Hamlet.
O, schaft ihn durchaus ab. Und denen, die eure lustigen Bauren
machen sollen, schärfet ein, daß sie nicht mehr sagen sollen, als
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