Hamlet, Prinz von Dännemark - 2

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Glaubt mir, nicht mehr, liebe Schwester. Wir nehmen in unsrer
Jugend nicht nur an Grösse und Stärke zu; die Seele wächßt mit, und
ihre innerliche Verrichtungen und Pflichten dehnen sich mit ihrem
Tempel aus. Vielleicht liebt er euch izt aufrichtig, mit der
reinen Zuneigung eines noch unverdorbnen Herzens: Aber ihr müßt
bedenken, daß, sobald er seine Grösse in Erwägung ziehen wird,
seine Neigung nicht mehr in seiner Gewalt ist: Denn er selbst hangt
von seiner Geburt ab; er darf nicht für sich selbst wählen, wie
gemeine Leute: Die Sicherheit und das Wohl des Staats hängt an
seiner Wahl, und daher muß sich seine Wahl nach der Stimme und den
Wünschen des Körpers, wovon er das Haupt ist, bestimmen. Wenn er
also sagt, er liebe euch, so kömmt es eurer Klugheit zu, ihm in so
weit zu glauben, als er nach seiner Geburt und künftigen Würde,
seinen Worten Kraft geben kan; und das ist nicht mehr, als wozu er
die Einwilligung des Königs erhalten kan. Überleget also wol, was
für einen grossen Verlust eure Ehre leiden kan, wenn ihr seinem
lokenden Gesang ein zu leichtgläubiges Ohr verleihet; entweder ihr
verliehrt euer Herz, oder sein Ungestüm, den zulezt nichts mehr
zurükhalten wird, sieget gar über eure Keuschheit. Fürchtet es,
Ophelia, fürchtet es, meine theure Schwester; steuret einer noch
unschuldigen Neigung, die so gefährlich ist, und überlaßt euch
nicht dem Strom schmeichelnder Wünsche. Das gefälligste Mädchen
ist verschwenderisch genug, wenn sie ihre keusche Schönheit dem
Mond entschleyert: Die Tugend selbst ist vor den Bissen der
Verläumdung nicht sicher; nur allzu oft frißt ein verborgner Wurm
die Kinder des Frühlings, bevor ihre Knospen sich entwikelt haben;
und mengender Meel-Thau ist nie mehr zu besorgen als im Thauvollen
Morgen der Jugend. Seyd also vorsichtig; hier giebt Furcht die
beste Sicherheit; die Jugend hat einen Feind in sich selbst, wenn
sie auch keinen von aussen hat.
Ophelia.
Ich werde diese guten Erinnerungen zu immer wachsamen Hütern meines
Herzens machen. Aber, mein lieber Bruder, macht es ja nicht, wie
manche ungeheiligte Seelen-Hirten, die euch den engen und
dornichten Pfad zum Himmel weisen, indessen daß sie selbst, ihrer
eignen Lehren uneingedenk, in ruchloser Freyheit auf dem breiten
Frühlings-Wege der Üppigkeit dahertraben.
Laertes.
O, davor seyd unbekümmert.


Sechste Scene.
(Polonius zu den Vorigen.)

Laertes.
Ich halte mich zulang auf--Aber hier kommt mein Vater: Desto besser;
ich werde seinen Abschieds-Segen gedoppelt erhalten.
Polonius.
Du bist noch hier, Laertes! Zu Schiffe, zu Schiffe, mein Sohn; der
Wind schwellt eure Segel schon, und man wartet auf euch. Hier,
empfange meinen Segen,
(Er legt seine Hand auf Laertes Haupt)
und diese wenigen Lebens-Regeln, womit ich ihn begleite, schreib
in dein Gedächtniß ein. Gieb deinen Gedanken keine Zunge, und wenn
du je von unregelmässigen überrascht wirst, so hüte dich wenigstens,
sie zu Handlungen zu machen: Sey gegen jedermann leutselig, ohne
dich mit jemand gemein zu machen: Hast du bewährte Freunde gefunden,
so hefte sie unzertrennlich an deine Seele; aber gieb deine
Freundschaft nicht jeder neuausgebruteten, unbefiederten
Bekanntschaft preiß. Hüte dich vor den Gelegenheiten zu Händeln;
bist du aber einmal darinn, so führe dich so auf, daß dein Gegner
nicht hoffen könne, dich ungestraft zu beleidigen. Leih' dein Ohr
einem jeden, aber wenigen deinen Mund; nimm jedermanns Tadel an,
aber dein Urtheil halte zurük. Kleide dich so kostbar als es dein
Beutel bezahlen kan, aber nicht phantastisch; reich, nicht
comödiantisch: Denn der Anzug verräth oft den Mann, und in
Frankreich pflegen Leute von Stand und Ansehen sich gleich dadurch
anzukündigen, daß sie sich mit Geschmak und Anstand kleiden. Sey
weder ein Leiher noch ein Borger; denn durch Leihen richtet man oft
sich selbst und seinen Freund zu Grunde; und borgen untergräbt das
Fundament einer guten Haushaltung. Vor allem, sey redlich gegen
dich selbst, denn daraus folget so nothwendig als das Licht dem
Tage, daß du es auch gegen jedermann seyn wirst. Lebe wohl, mein
Sohn; mein Segen befruchte diese Erinnerungen in deinem Gemüthe!
Laertes.
Ich beurlaube mich demüthigst von euch, Gnädiger Herr Vater.
Polonius.
Du hast hohe Zeit; geh, deine Bediente warten--

Laertes.
Lebet wohl, Ophelia, und erinnert euch dessen was ich gesagt habe.
Ophelia.
Es ist in mein Gedächtniß verschlossen, und ihr sollt den Schlüssel
dazu mit euch nehmen.
Laertes.
Lebet wohl.
(Er geht ab.)
Polonius.
Was sagte er denn zu euch, Ophelia?
Ophelia.
Mit Eu. Gnaden Erlaubniß, etwas, das den Prinzen Hamlet angieng.
Polonius.
Wahrhaftig, ein guter Gedanke! Ich habe mir sagen lassen, daß er
euch seit einiger Zeit ziemlich oft allein gesprochen habe, und daß
ihr ihm einen sehr freyen Zutritt verstattet, und geneigtes Gehör
gegeben habt. Wenn es so ist, (wie es mir dann von sichrer Hand
zukommt) so muß ich euch sagen, daß ihr euch selbst nicht so gut
versteht, als es meiner Tochter und eurer Ehre geziemt. Was ist
denn zwischen euch? Sagt mir die reine Wahrheit.
Ophelia.
Gnädiger Herr Vater, er hat mir zeither verschiedene Erklärungen
von seiner Zuneigung gemacht.
Polonius.
Von seiner Zuneigung? He! Ihr sprecht wie ein junges Ding, das
noch keine Erfahrung von dergleichen gefährlichen Dingen hat.
Glaubt ihr denn seine Erklärungen, wie ihr es nennt?
Ophelia.
Ich weiß nicht was ich denken soll, Herr Vater.
Polonius.
Potz hundert! Das will ich dich lehren; denk du seyst ein
Kindskopf, daß du seine Erklärungen für baar Geld genommen hast, da
sie doch falsche Münze sind. Du must bessere Sorge zu dir selbst
haben, oder ich werde wenig Freude an dir erleben--
Ophelia.
Gnädiger Herr Vater, er bezeugt zwar eine heftige Liebe zu mir,
aber in Ehren--
Polonius.
Ja, in Thorheit solltest du sagen; geh, geh--
Ophelia.
Und hat seine Worte durch die feyrlichsten und heiligsten Schwüre
bekräftiget.
Polonius.
Ja, Schlingen, um Schnepfen zu fangen. Ich weiß wie
verschwendrisch das Herz in Schwüre aussprudelt, wenn das Blut in
Flammen ist. Mein gutes Kind, du must diese Aufwallungen nicht für
wahres Feuer halten; sie sind wie das Wetterleuchten an einem
kühlen Sommer-Abend, sie leuchten ohne Hize, und verlöschen so
schnell als sie auffahren. Von dieser Stunde an seyd etwas
sparsamer mit dem Zutritt zu eurer Person; sezt eure Conversationen
auf einen höhern Preiß als einen Befehl, daß man euch sprechen
wolle. Was den Prinzen Hamlet betrift, so glaubt so viel von ihm,
daß er jung ist; und daß er sich mehr Freyheit herausnehmen darf,
als der Wolstand euch zuläßt. Mit einem Wort, Ophelia, trauet
seinen Schwüren nicht; desto weniger, je feyrlicher sie sind; sie
hüllen sich, gleich den Gelübden, die oft dem Himmel dargebracht
werden, in Religion ein, um desto sichrer zu betrügen. Einmal für
allemal: Ich möchte nicht gern, deutlich zu reden, daß du nur einen
einzigen deiner Augenblike in den Verdacht seztest, als wißtest du
ihn nicht besser anzuwenden, als mit dem Prinzen Hamlet Worte zu
wechseln. Merk dir das, ich sag dir's; und geh in dein Zimmer.
Ophelia.
Ich will gehorsam seyn, Gnädiger Herr Vater.
(Sie gehen ab.)



Siebende Scene.
(Verwandelt sich in die Terrasse vor dem Palast.)
(Hamlet, Horatio und Marcellus treten auf.)

Hamlet.
Die Luft schneidt entsezlich; es ist grimmig kalt.
Horatio.
Es ist eine beissende, scharfe Luft.
Hamlet.
Wie viel ist die Gloke?
Horatio.
Ich denke, es ist bald zwölfe.
Marcellus.
Nein, es hat schon geschlagen.
Horatio.
Ich hörte es nicht: Es ist also nah um die Zeit, da der Geist zu
gehen pflegt.
(Man hört eine kriegrische Musik hinter der Scene.)
Was hat das zu bedeuten, Gnädiger Herr?
Hamlet.
Der König hält Tafel, und verlängert den Schmaus, wie es scheint,
in die tiefe Nacht, und so oft er den vollen Becher mit Rhein-Wein
auf einen Zug ausleert, verkündigen Trompeten und Kessel-Pauken den
Sieg, den Seine Majestät davon getragen hat.
Horatio.
Ist das so der Gebrauch?
Hamlet.
Ja, zum Henker, das ist es; aber nach meiner Meynung, ob ich gleich
ein Dähne und zu diesem Gebrauch gebohren bin, ein Gebrauch der mit
größrer Ehre gebrochen als gehalten wird. Diese taumelnden Trink-
Gelage machen uns in Osten und Westen verächtlich, und werden uns
von den übrigen Völkern als ein National-Laster vorgeworffen: Sie
nennen uns Säuffer, und sezen schweinische Beywörter dazu, die uns
wenig Ehre machen; und in der That, der Ruf worinn wir deßwegen
stehen, nimmt unsern Thaten, so groß und rühmlich sie sonst sind,
ihren schönsten Glanz. In diesem Stüke geht es oft ganzen Völkern
wie einzelnen Leuten, welche um irgend eines Natur-Fehlers willen,
als etwann wegen der angebohrnen Obermacht eines gewissen
Temperaments (woran sie doch keine Schuld haben, da sich niemand
seine ursprüngliche Anlage selber auswählen kan,) welches sie
manchmal durch den Zaun der Vernunft durchbrechen macht; oder wegen
irgend einer angewöhnten Manier, einer Grimasse oder so etwas,
welches mit dem eingeführten Wohlstand einen allzugrossen Absaz
macht--ich sage, daß solche Leute um eines einzigen solchen Fehlers
willen, es mag nun seyn, daß die Natur oder ein Zufall Schuld daran
habe, sich's gefallen lassen müssen, ihre guten Eigenschaften, so
groß und zahlreich sie immer seyn mögen, in dem Urtheil der Welt
abgewürdiget zu sehen. (Der Geist tritt auf.)
Horatio.
Hier, Gnädiger Herr; seht, es kommt.
Hamlet.
Ihr Engel und himmlischen Mächte alle, schüzet uns! Du magst nun
ein guter Geist oder ein verdammter Kobolt seyn, du magst
himmlische Lüfte oder höllische Dämpfe mit dir bringen, und in
wohlthätiger oder schädlicher Absicht gekommen seyn; die Gestalt
die du angenommen hast, ist so ehrwürdig, daß ich mit dir reden
will. Ich will dich Hamlet, ich will dich meinen König, meinen
Vater nennen: O, antworte mir; laß mich nicht in einer Unwissenheit,
die mir das Leben kosten würde: Sage, warum haben deine
geheiligten Gebeine ihr Behältniß durchbrochen? Warum hat das Grab,
worein wir dich zu deiner Ruhe bringen sahen, seinen schweren
marmornen Rachen aufgethan, um dich wieder auszuwerfen? Was mag
das bedeuten, daß du, ein todter Leichnam, in vollständiger Rüstung
den Mondschein wieder besuchst, um die Nacht mit Schreknissen zu
erfüllen, und unser Wesen auf eine so entsezliche Art mit Gedanken
zu erschüttern, die über die Schranken unsrer Natur gehen.
(Der Geist winkt dem Hamlet.)
Horatio.
Es winkt euch, mit ihm zu gehen, als ob es euch etwas allein zu
sagen habe.
Marcellus.
Seht, wie freundlich es euch an einen entferntern Ort winkt: Aber
geht ja nicht mit ihm.
Horatio (Den Hamlet zurükhaltend.)
Nein, um alles in der Welt nicht.
Hamlet.
Weil es nicht reden will, so will ich ihm folgen.
Horatio.
Das thut nicht, Gnädiger Herr.
Hamlet.
Und warum nicht? Wofür sollt' ich mir fürchten? Mein Leben ist
mir um eine Stek-Nadel feil, und was kan es meiner Seele thun, die
ein unsterbliches Wesen ist wie es selbst?--Es winkt mir wieder weg--
ich will ihm folgen--
Horatio.
Und wie dann, Gnädiger Herr, wenn es euch an die Spize des Felsens
führte, der sich dort über die See hinaus bükt, und dann eine noch
fürchterlichere Gestalt annähme, welche euern Verstand verwirren
und in sinnloser Betäubung euch in die Tiefe hinunter stürzen
könnte? Denket an diß! Der Ort allein, ohne daß noch andere
Ursachen dazu kommen dürfen, könnte einem, der so viele Faden tief
in die See hinab schaute, und sie von unten herauf so gräßlich
heulen hörte, einen Anstoß von Schwindel geben.
Hamlet.
Es winkt mir noch immer: Geh nur voran, ich will dir folgen.
Marcellus.
Wir lassen euch nicht gehen, Gnädiger Herr.
Hamlet.
Zurük mit euern Händen!
Marcellus.
Laßt euch rathen, ihr sollt nicht gehen.
Hamlet.
Mein Verhängniß ruft; seine Stimme macht jede kleine Ader in diesem
Körper so stark, als den Nerven des Nemeischen Löwens: Er ruft mir
noch immer: Laßt eure Hände von mir ab, ihr Herren--
(Er reißt sich von ihnen los.)
Beym Himmel, ich will ein Gespenst aus dem machen, der mich halten
will--Weg, sag ich--Geht--Ich will mit dir gehen--
(Hamlet und der Geist gehen ab.)
Horatio.
Seine Einbildung ist so erhizt, daß er nicht weiß was er thut.
Marcellus.
Wir wollen ihm folgen; bey einer solchen Gelegenheit wär' es wider
unsre Pflicht, gehorsam zu seyn.
Horatio.
Das wollen wir--Was wird noch endlich daraus werden?
Marcellus.
Es muß ein verborgnes Übel im Staat von Dännemark liegen.
Horatio.
Der Himmel wird alles leiten.
Marcellus.
Fort, wir wollen ihm nachgehen.
(Sie gehen ab.)



Achte Scene.
(Verwandelt sich in einen entferntern Theil der Terrasse.)
(Der Geist und Hamlet treten wieder auf.)

Hamlet.
Wohin willt du mich fuhren? Rede; ich gehe nicht weiter.
Geist.
Höre mich an.
Hamlet.
Das will ich.
Geist.
Die Stunde rükt nah herbey, da ich in peinigende Schwefel-Flammen
zurükkehren muß.
Hamlet.
Du daurst mich, armer Geist!
Geist.
Bedaure mich nicht, sondern höre aufmerksam an, was ich dir
entdeken werde.
Hamlet.
Rede, ich bin schuldig, zu hören--
Geist.
Und zu rächen, was du hören wirst.
Hamlet.
Was?
Geist.
Ich bin der Geist deines Vaters, verurtheilt eine bestimmte Zeit
bey Nacht herum zu irren, und den Tag über eng eingeschlossen in
Flammen zu schmachten, bis die Sünden meines irdischen Lebens
durchs Feuer ausgebrannt und weggefeget sind. Wäre mirs nicht
verboten, die Geheimnisse meines Gefängnisses zu entdeken, ich
könnte eine Erzählung machen, wovon das leichteste Wort deine Seele
zermalmen, dein Blut erstarren, deine zwey Augen, wie Sterne, aus
ihren Kreisen taumeln, deine krause dichtgedrängte Loken trennen,
und jedes einzelne Haar wie die Stacheln des ergrimmten Igels
emporstehen machen würde: Aber diese Scenen der Ewigkeit sind nicht
für Ohren von Fleisch und Blut--Horch, horch, o horch auf! Wenn du
jemals Liebe zu deinem Vater getragen hast--
Hamlet.
O Himmel!
Geist.
So räche seine schändliche, höchst unnatürliche Ermordung.
Hamlet.
Ermordung?
Geist.
Jeder Mord ist höchst schändlich; aber dieser ist mehr als
schändlich, unnatürlich, und unglaublich.
Hamlet.
Eile, mir den Thäter zu nennen, damit ich schneller als die Flügel
der Betrachtung oder die Gedanken der Liebe, zu meiner Rache fliege.
Geist.
So bist du, wie ich dich haben will; auch müßtest du gefühlloser
seyn, als das fette Unkraut, das seine Wurzeln ungestört an Lethe's
Werft verbreitet, wenn du nicht in diese Bewegung kämest. Nun,
Hamlet, höre. Es ist vorgegeben worden, eine Schlange habe mich
gestochen, da ich in meinem Garten geschlaffen hätte. Mit dieser
erdichteten Ursach meines Todes ist ganz Dännemark hintergangen
worden: Aber wisse, edelmüthiger Jüngling, die Schlange, die deinen
Vater zu tode stach, trägt izt seine Krone.
Hamlet.
O, meine weissagende Seele! Mein Oheim?
Geist.
Ja, dieser ehrlose blutschändrische Unmensch verführte durch die
Zauberey seines Wizes, und durch verräthrische Geschenke (o!
verflucht sey der Wiz und die Geschenke, welche die Macht haben, so
zu verführen,) das Herz meiner so tugendhaft scheinenden Königin.
O Hamlet, was für ein Abfall war das! Von mir, dessen Liebe, in
unbeflekter Würde Hand in Hand mit dem Ehe-Gelübde gieng, so ich
ihr gethan hatte--zu einem Elenden abzufallen, dessen natürliche
Gaben gegen die meinigen nicht einmal in Vergleichung kamen!
Allein, so wie die Tugend sich niemals verführen lassen wird, wenn
das Laster gleich in himmlischer Gestalt käme, sie zu versuchen; so
würde die Unzucht, und wenn sie an einen stralenden Engel
angeschlossen wäre, sich nicht enthalten können, selbst in einem
himmlischen Bette ihre heißhungrige Lust an Luder-Fleisch zu büssen.
Doch sachte! Mich däucht, ich wittre die Morgen-Luft--Ich muß
kurz seyn. Ich lag, wie es nachmittags immer meine Gewohnheit war,
unter einer Sommer-Laube in meinem Garten, und schlief unbesorgt,
als dein Oheim sich ingeheim mit einer Phiole voll Gift
herbeyschlich, welches eine so gewaltsame Wirkung thut, daß es
schnell wie Queksilber alle Adern durchdringt, und das sonst
flüssige und gesunde Blut gerinnen macht, wie Milch wenn etwas
Saures darein gegossen wird; dieses Gift schüttete er mir in die
Ohren, und es wirkte so gut, daß es mir eine plözliche
Schwindeflechte verursachte, die meinen ganzen Leib mit einem
ekelhaften Aussaz überzog, und in einem Augenblik in ein gräßliches
Scheusal verwandelte. Solchergestalt wurde ich dann schlafend,
durch die Hand eines Bruders, auf einmal des Lebens, der Krone und
meiner Königin beraubt; mitten in meinen Sünden weggerissen, ohne
Vorbereitung, ohne Sacrament, ohne Fürbitte; eh ich meine Rechnung
gemacht, mit allen meinen Vergehungen beladen, zur Rechenschaft
fortgeschikt. O, es ist entsezlich, entsezlich, höchst entsezlich!
Wenn du einen Bluts-Tropfen von mir in deinen Adern hast, so duld'
es nicht; laß das Königliche Bette von Dännemark nicht zu einem
Tummel-Plaz der Üppigkeit und blutschändrischer Unzucht gemacht
werden. Doch, so strenge du auch immer diese Greuel-That rächen
magst, so befleke deine Seele nicht mit einem blutigen Gedanken
gegen deine Mutter; überlaß sie dem Himmel und dem nagenden Wurm,
der in ihrem Busen wühlet. Lebe wohl! Der Feuer-Wurm kündigt den
herannahenden Morgen an, und beginnt sein unwesentliches Feuer
auszustralen. Adieu, adieu, adieu--Gedenke meiner, Sohn!
(Er verschwindet.)
Hamlet.
O du ganzes Heer des Himmels! O Erde! Und was noch mehr?--Soll
ich auch noch die Hölle aufruffen?--O Fy, halte dich, mein Herz!
Und ihr, meine Nerven, werdet nicht plözlich alt, sondern traget
mich aufrecht--Deiner gedenken? Ja, du armer unglüklicher Geist,
so lange das Gedächtniß in diesem betäubten Rund
(er schlägt an seinen Kopf)
seinen Siz behalten wird!--Deiner gedenken? Ja, ja, ich will sie
alle von der Tafel meines Gedächtnisses wegwischen, alle diese
alltägliche läppische Erinnerungen, alles was ich in Büchern
gelesen habe, alle andern Ideen und Eindrüke, welche Jugend und
Beobachtung darinn eingezeichnet haben; ich will sie auslöschen,
und dein Befehl allein, unvermischt mit geringerer Materie, soll
den ganzen Raum meines Gehirns ausfüllen. Ja, beym Himmel!--O!
abscheuliches Weib! O Bösewicht, Bösewicht, lächelnder verdammter
Bösewicht!--Meine Schreib-Tafel--ich will es niederschreiben--daß
einer lächeln und immer lächeln, und doch ein Bösewicht seyn kan--
wenigstens weiß ich nun, daß es in Dännemark so seyn kan--
(Er schreibt.)
So, Oheim, da steht ihr; izt zu meinem Wortzeichen; es ist: Adieu,
adieu, gedenke meiner: Ich hab' es beschworen--


Neunte Scene.
(Horatio und Marcellus treten auf.)

Horatio.
Gnädiger Herr, Gnädiger Herr--
Marcellus.
Prinz Hamlet--
Horatio.
Der Himmel schüze ihn!
Marcellus.
Amen!
Horatio.
Holla, ho! ho! Gnädiger Herr--
Hamlet.
Hillo, ho, ho; Junge; komm, Vogel, komm--

Marcellus. Horatio.
Wie geht es, Gnädiger Herr? Was habt ihr Neues gehört?
Hamlet.
O, Wunderdinge!
Horatio.
Entdekt sie uns, Gnädiger Herr.
Hamlet.
Nein, ihr würdet es ausbringen.
Horatio.
Ich nicht, Gnädiger Herr, beym Himmel!
Marcellus.
Ich auch nicht, Gnädiger Herr.
Hamlet.
Nun, sagt mir denn einmal, könnte sich ein Mensch zu Sinne kommen
lassen--Aber wollt ihr schweigen?
Beyde.
Ja, beym Himmel, Gnädiger Herr.
Hamlet.
Es wohnt nirgends im ganzen Dännemark kein Bösewicht, der nicht ein
ausgemachter Schurke ist.
Horatio.
Es braucht keinen Geist, Gnädiger Herr, der aus seinem Grabe
aufstehe, uns das zu sagen.
Hamlet.
Richtig, so ist's; ihr habt recht; und also ohne weitere Umstände,
hielt ich für rathsam, daß wir einander die Hände geben und
scheiden; ihr, wohin euch eure Geschäfte und Absichten weisen,
(denn jedermann hat seine Geschäfte und Absichten, wie es geht) und
was mich selbst betrift, ich will beten gehen.
Horatio.
Gnädiger Herr, das sind nichts als wunderliche und schnurrende
Reden.
Hamlet.
Es ist mir leid, daß sie euch beleidigen, herzlich leid; in der
That, herzlich.
Horatio.
Die Rede ist von keiner Beleidigung, Gnädiger Herr.
Hamlet.
Ja, bey Sanct Patriz! Die Rede ist hier von einer Beleidigung,
Gnädiger Herr, und von einer schweren, das glaubt mir. Was diese
Erscheinung hier betrift--Es ist ein ehrlicher Geist, das kan ich
euch sagen: Aber euer Verlangen zu wissen was zwischen uns
vorgegangen ist, das übermeistert so gut ihr könnet. Und nun,
meine guten Freunde, wenn wir Freunde, Schul- und Spieß-Gesellen
sind, so gewährt mir eine einzige arme Bitte.
Horatio.
Was ist es, Gnädiger Herr?
Hamlet.
Saget niemanden nichts von dem, was ihr heute Nacht gesehen habt.
Beyde.
Wir versprechen es Euer Gnaden.
Hamlet.
Das ist nicht genug, ihr müßt mir's zuschwören.
Horatio.
Auf meine Treu, Gnädiger Herr, ich will nichts sagen.
Marcellus.
Ich auch nicht, Gnädiger Herr, bey meiner Treue.
Hamlet.
Schwört auf mein Schwerdt.
Marcellus.
Wir haben ja schon geschworen, Gnädiger Herr.
Hamlet.
Auf mein Schwerdt sollt ihr schwören, in der That.
Der Geist (ruft hinter der Bühne:)
Schwört.
Hamlet.
Ha, ha, Junge, sagst du das? Bist du noch da?--Kommt, kommt, ihr
hört ja was der Bursche dahinten sagt--Schwört!
Horatio.
Was sollen wir dann beschwören, Gnädiger Herr?
Hamlet.
Daß ihr niemals von dem was ihr gesehen habet, reden wollt.
Schwört bey meinem Schwerdt.*
{ed.-* Eine Anspielung auf die Gewohnheit der alten Dähnen, auf ihr
Schwerdt zu schwören, wenn sie den feyrlichsten Eid thun wollten.
Sehet den Bartholinus, (de Causis contemp. mort. apud Dan.)
Warburton.}
Geist
Schwört!
Hamlet.
Hier und überall? So wollen wir uns einen andern Plaz suchen.
Kommt hieher, ihr Herren, leget eure Hände nochmals auf mein
Schwerdt, und schwört, daß ihr gegen niemand sagen wollt, was ihr
gehört habt. Schwört bey meinem Schwerdt.
Geist.
Schwört bey seinem Schwerdt.
Hamlet.
Wolgesprochen, alter Maulwurf, kanst du so schnell in den Boden
arbeiten? Das heiß' ich einen geschikten Schanz-Gräber!--Noch ein
wenig weiter weg, gute Freunde.
Horatio.
O Tag und Nacht, aber das ist ausserordentlich seltsam.
Hamlet.
Eben darum, weil es euch so fremd vorkommt, so heißt es als einen
Fremdling willkommen. Mein guter Horatio, es giebt Sachen im
Himmel und auf Erden, wovon sich unsre Philosophie nichts träumen
läßt. Aber kommt; schwört mir, wie zuvor, daß ihr niemals (so wahr
euch Gott gnädig sey!) So seltsam und widersinnisch ich mich auch
immer anstellen und betragen mag (wie ich, vielleicht, künftig vor
gut befinden könnte, zu thun) daß ihr, wenn ihr mich alsdann sehen
werdet, niemals durch eine solche Stellung der Arme, oder ein
solches Kopfschütteln, oder durch irgend eine geheimnisvolle
abgebrochne Redensart, als gut--wir wissen was wir wissen--oder,
wir könnten, wenn wir wollten--oder, wenn wir reden möchten--oder,
es könnte wol vielleicht--oder andere solche zweideutige
Andeutungen zu erkennen geben wollet, daß ihr mehr von mir wisset
als andre; das schwört mir, als euch der Himmel in eurer höchsten
Noth helfen wolle! Schwört!
Geist.
Schwört!
(Sie schwören.)
Hamlet.
Gieb dich zur Ruh, gieb dich zur Ruh, unglüklicher Geist. So, ihr
Herren; ich empfehle und überlasse mich euch wie ein Freund seinen
Freunden, und was ein so armer Mann als Hamlet ist, thun kan, euch
seine Liebe und Freundschaft auszudrüken, das soll, ob Gott will,
nicht fehlen. Wir wollen gehen, aber immer eure Finger auf dem
Mund, ich bitte euch: Die Zeit ist aus ihren Fugen gekommen; o!
unseliger Zufall! daß ich gebohren werden mußte, sie wieder
zurecht zu sezen! Nun, kommt, wir wollen mit einander gehen.
(Sie gehen ab.)


Zweyter Aufzug.

Erste Scene.
(Ein Zimmer in Polonius Hause.)
(Polonius und Reinoldo treten auf.)

Polonius.
Übergieb ihm dieses Geld und diese Papiere.
Reinoldo.
Ich werde nicht ermangeln, Gnädiger Herr.
Polonius.
Es würde überaus klug von euch gehandelt seyn, ehrlicher Reinold,
wenn ihr euch vorher, eh ihr zu ihm geht, nach seiner Aufführung
erkundigen würdet.
Reinoldo.
Das war auch mein Vorsaz, Gnädiger Herr.
Polonius.
Meiner Treu, das war ein guter Gedanke; ein sehr guter Gedanke.
Seht ihr, Herr, zuerst erkundiget euch, was für Dähnen in Paris
seyen, und wie, und wer, und wie bemittelt, und wo sie sich
aufhalten, und was sie für Gesellschaft sehen, und was sie für
einen Aufwand machen; und findet ihr aus ihren Antworten auf diese
Präliminar-Fragen, daß sie meinen Sohn kennen, so kommt ein wenig
näher; stellt euch, als ob ihr ihn so von weitem her kenntet--zum
Exempel, so--Ich kenne seinen Vater und seine Freunde, und zum
Theil, ihn selbst--Merkt ihr was ich damit will, Reinoldo?
Reinoldo.
Ja, sehr wohl, Gnädiger Herr.
Polonius.
Und zum Theil ihn selbst--Doch könnt ihr hinzu sezen--nicht sehr
genau; aber wenn es der ist, den ich meyne, so ist er ein ziemlich
wilder junger Mensch--Solchen und solchen Ausschweiffungen ergeben--
Und da könnt ihr über ihn sagen, was ihr wollt; doch nichts was
seiner Ehre nachtheilig seyn könnte; auf das müßt ihr wol Acht
geben; aber wol solche gewöhnliche Excesse von Muthwillen und
Wildheit, welche gemeiniglich Gefährten der Jugend und Freyheit zu
seyn pflegen--
Reinoldo.
Als wie Spielen, Gnädiger Herr--
Polonius.
Ja, oder trinken, fluchen, Händel machen, den Weibsbildern
nachlaufen--So weit dürft ihr schon gehen.
Reinoldo.
Aber das würde ja seiner Ehre nachtheilig seyn.
Polonius.
Das nicht, wenn ihr euch in den Ausdrüken ein wenig vorsehet: Ihr
müßt eben nicht so weit gehen, und ihn beschuldigen, daß er ein
öffentlicher Huren-Jäger sey, das ist nicht meine Meynung; ihr müßt
so von seinen Fehlern reden, daß sie für Fehler der Freyheit,
Ausbrüche eines feurigen Blutes, einer noch ungebändigten Jugend-
Hize, die allen jungen Leuten gemein sind, angesehen werden können.
Reinoldo.
Aber, warum, Gnädiger Herr--
Polonius.
Warum ihr das thun sollt?
Reinoldo.
Ja, Gnädiger Herr, das wollt' ich fragen.
Polonius.
Gut, Herr, das will ich euch sagen; es ist ein Kunstgriff, Herr,
und, beym Element, ich denke einer von den feinen. Seht ihr, wenn
ihr meinem Sohn dergleichen kleinen Fehler beyleget, daß man denken
kan, es sey ein junger Bursche, der ein wenig im Machen mißgerathen
sey--versteht ihr mich, so wird derjenige, mit dem ihr in
Conversation seyd, und den ihr gern ausholen möchtet, wenn er den
jungen Menschen, von dem die Rede ist, gelegenheitlich etwann einer
oder der andern von vorbesagten Ausschweiffungen sich schuldig
machen, gesehen hat, so zählt darauf, daß er sich folgender massen
gegen euch herauslassen wird: Mein werther Herr, oder Herr
schlechtweg, oder mein Freund, oder wie er dann sagen mag--
Reinoldo.
Sehr wohl, Gnädiger Herr--
Polonius.
Und dann, Herr, thut er das--thut er--was wollt ich sagen--Ich
wollte da was sagen--wo blieb ich?
Reinoldo.
Bey dem, wie er sich gegen mich herauslassen würde--
Polonius.
Wie er sich herauslassen würde--ja, meiner Six--er würde sich so
herauslassen--Ich kenne den jungen Herrn, ich sah ihn gestern oder
vorgestern, oder einen andern Tag mit dem und dem; und wie ihr sagt,
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