Das Leben und der Tod des Königs Lear - 3

Total number of words is 4114
Total number of unique words is 1446
36.9 of words are in the 2000 most common words
49.6 of words are in the 5000 most common words
55.8 of words are in the 8000 most common words
Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
O! laß mich nicht wahnwizig werden, nicht wahnwizig, gütiger
Himmel! Erhalte mich gelassen, ich möchte nicht wahnwizig seyn.
(Ein Ritter kömmt.) Sind die Pferde fertig?
Ritter.
Ja, Mylord.
Lear.
Komm, Junge.
(Sie gehen ab.)


Zweyter Aufzug.

Erster Auftritt.
(Ein Schloß des Grafen von Gloster.)
(Edmund und Curan treten von verschiedenen Seiten auf.)

Edmund.
Glük zu, Curan!
Curan.
Und euch, Sir. Ich bin bey euerm Vater gewesen, und habe ihm
angesagt, daß der Herzog von Cornwall und Regan seine Gemahlin,
heute bey ihm übernachten werden.
Edmund.
Wie kömmt das?
Curan.
Das weiß ich nicht; ihr habt ohne Zweifel gehört was Neues vorgeht--
ich meyne Neuigkeiten, die ins Ohr geflüstert werden; denn es sind
noch Heimlichkeiten.
Edmund.
Ich weiß nichts; ich bitte euch, was ist es?
Curan.
Habt ihr nichts von einem vermuthlichen Krieg zwischen den Herzogen
von Cornwall und Albanien gehört?
Edmund.
Nicht ein Wort.
Curan.
So könnt ihr euch beizeiten anschiken. Lebet wohl, Sir.
(Gehen ab.)

Zweyter Auftritt.

Edmund.
Der Herzog auf die Nacht hier! desto besser! ja das Beste! Das
webt sich selbst mit Gewalt in mein Geschäfte ein. Mein Vater hat
Wachen ausgestellt, sich meines Bruders zu bemächtigen; und ich
habe nur noch eine Kleinigkeit zu verrichten--Kürze und Glük!--
Bruder, ein Wort, kommt herunter; Bruder, sag ich--
(Edgar kömmt.) Mein Vater wacht--O Sir, flieht diesen Ort. Es ist
verrathen worden, wo ihr verborgen seyd; ihr habt izt den Vortheil
der Nacht--Habt ihr nichts wider den Herzog von Cornwall
gesprochen? Er kömmt noch diese Nacht hieher, in gröster Eile, und
Regan mit ihm; habt ihr nichts zum Besten seiner Parthey wider den
Herzog von Albanien gesprochen? Besinnet euch!
Edgar.
Ich kan euch versichern, kein Wort.
Edmund.
Ich höre meinen Vater kommen. Verzeihet mir--aus Verstellung muß
ich meinen Degen gegen euch ziehen.--Ziehet, stellet euch als ob
ihr euch vertheidiget--Nun ist es genug, weichet--kommt meinem
Vater zuvor--
(laut)
Licht, he! holla!
(leise)
Flieht, Bruder--
(laut)
Fakeln!
(leise)
lebet wohl!
(Edgar flieht.)
Ein wenig Blut würde die Meynung erweken, daß ich einen härtern
Stand gehabt hätte,
(er verwundet sich am Arm.)
Ich habe Trunkenbolde gesehen, die nur zum Scherz mehr gethan
haben als diß;
(laut)
Vater, Vater! Haltet ihn! Haltet ihn! Will mir niemand helfen?

Dritter Auftritt.
(Gloster und Bediente mit Fakeln.)

Gloster.
Nun, Edmund, wo ist der Bösewicht?
Edmund.
Hier stund er im Finstern, sein blosses Schwerdt in der Hand, und
murmelte verfluchte Zauberwörter um den Mond zu beschwören, seinem
Vorhaben günstig zu seyn--
Gloster.
Aber wo ist er dann?
Edmund.
Sehen Sie, Mylord, ich blute.
Gloster.
Wo ist der Bösewicht, Edmund?
Edmund.
Dahinaus floh' er, Mylord, wie er sahe daß es unmöglich war--
Gloster.
Verfolgt ihn, fort, sezt ihm nach!--daß es unmöglich war--Was?
Edmund.
Mich zu bereden, Euer Gnaden zu ermorden; sondern ich ihm entgegen
hielt, daß die rächenden Götter alle ihre Donnerkeile auf
Vatermörder schiessen, und mit wie vielen und grossen Pflichten ein
Sohn seinem Vater verbunden sey--Kurz, Mylord, da er sah' wie sehr
ich seinem unnatürlichen Vorhaben entgegenstund, fiel er mich in
gröster Wuth an, da ich mich nichts weniger versah', und verwundete
mich am Arm; wie er aber merkte, daß meine billig aufgebrachte
Lebensgeister, kühn auf die Gerechtigkeit meiner Sache, sich seinem
Angriff entgegensezten, oder vielleicht weil ihn der Lerm den ich
machte, erschrekte, floh' er plözlich davon.
Gloster.
Laßt ihn fliehen: in diesem Land kan er nicht bleiben, ohne
gefangen zu werden, und nicht gefangen werden, ohne seinen Lohn zu
bekommen. Der Herzog, mein Herr, mein würdiger Gebieter und Gönner,
kommt diese Nacht; unter seinem Namen, will ich ausruffen lassen,
daß derjenige, der ihn findet, und den meuchelmördrischen Buben zu
seiner Straffe einliefert, unsern Dank, und wer ihn verbirgt, den
Tod zum Lohn haben soll.
Edmund.
Als ich ihn von seinem Vorhaben abmahnte, und ihn so entschlossen
fand, es zu vollbringen, drohte ich ihm zulezt mit heftigen
Ausdrüken ihn zu verrathen--Du unverständiger Bastard, antwortete
er mir, meynst du wenn ich gegen dir stünde, irgend eine Meynung,
die man von deiner Treue, Tugend oder Rechtschaffenheit gefaßt
haben kan, würde deinen Worten Glauben verschaffen, wenn ich läugne,
wie ich thun werde, und wenn du auch meine eigne Handschrift
aufweisen würdest! Ich wollte machen, daß alles deinem Antrieb,
deinen geheimen Absichten und verdammten Ränken beygemessen würde;
und du müßtest einen Dummkopf aus der Welt machen, wenn sie nicht
denken sollte, die Vortheile die du von meinem Tode hättest, seyen
stark genug dich anzuspornen, ihn zu suchen.
Gloster.
O! unerhörter verhärtetet Bösewicht!--Er wollte seinen Brief
ableugnen?--Nein, ich hab ihn nicht gezeugt.--Höre, des Herzogs
Trompeten! Ich weiß nicht warum er kömmt--Alle Häven will ich
sperren--Der Lasterbube soll nicht entrinnen--Das muß mir der
Herzog bewilligen; auch will ich sein Bildniß allenthalben
umherschiken, damit das ganze Königreich die nöthige Kenntniß von
ihm habe; und von allen meinen Ländereyen, will ich dich, mein
getreuer und natürlicher Sohn, erbfähig zu machen wissen.

Vierter Auftritt.
(Cornwall, Regan und Gefolge.)

Cornwall.
Wie geht's, mein edler Freund? Seit ich hier angelangt bin,
welches doch nur eben izt ist, hab ich seltsame Neuigkeiten gehört.
Regan.
Wenn sie wahr sind, so fällt alle Rache zu kurz, die den
Übelthäter verfolgen kan; wie befindet ihr euch, Mylord?
Gloster.
O, Madam, mein altes Herz ist gebrochen, in Stüken zerschlagen!
Regan.
Wie? Meines Vaters Taufpathe;* der, dem mein Vater den Namen gab,
euer Edgar?
{ed.-* Hier vergißt der Poet mit einer ihm sehr gewöhnlichen
Distraction, daß seine Personen Heiden sind.}
Gloster.
O Lady, Lady, die Schaam möchte es verbergen können!
Regan.
War er etwann ein Gespiel von den lüderlichen Rittern, die meinen
Vater bedienen?
Gloster.
Ich weiß es nicht, Gnädige Frau; es ist zu arg, zu arg!
Edmund.
Ja, Gnädige Frau, er war von dieser Cameradschaft.
Regan.
Kein Wunder also, wenn er so schlimme Dinge vornahm; sie sind es,
die ihn zur Ermordung des alten Mannes aufgemuntert haben, um seine
Einkünfte mit ihm verprassen zu können. Ich habe eben diesen Abend
von meiner Schwester genaue Nachrichten von ihnen erhalten, und mit
solchen Umständen, daß wenn sie kommen, sich in meinem Haus
aufzuhalten, ich nicht daheim seyn werde.
Cornwall.
Noch ich, das versichre ich dich, Regan. Ich höre, Edmund, daß ihr
euerm Vater eine grosse Probe von kindlicher Liebe gegeben habt.
Edmund.
Es war meine Pflicht, Mylord.
Gloster.
Er entdekte seine boshaften Anschläge, und bekam diesen Stoß von
ihm, wie ihr sehet, da er sich bemühete ihn abzuhalten.
Cornwall.
Wird er verfolgt?
Gloster.
Ja, mein gütiger Lord.
Cornwall.
Wenn er ertappt wird, so soll jedermann seinetwegen ausser Furcht
gesezt werden: Bedient euch hierinn aller meiner Gewalt nach euerm
eignen Gefallen. Was euch betrift, Edmund, dessen Tugend und
kindliche Treue sich in dieser Probe selbst empfiehlt, Ihr sollt
der Unsrige seyn; Gemüther von so vollkommner Zuverlässigkeit haben
wir am meisten nöthig; wir bemächtigen uns hiemit Eurer Dienste.
Edmund.
Aufs wenigste, werde ich Euer Gnaden getreulich dienen.
Gloster.
Ich danke Euer Gnaden.
Cornwall.
Ihr wißt nicht, warum wir euch diesen Besuch machen--
Regan.
Bey so ungewohnter Zeit, und in der finstersten Nacht;--Umstände,
edler Gloster, von einigem Gewicht, worinn wir euers Raths bedürfen,
veranlasen uns. Unser Vater, unsre Schwester, haben beyde über
Zwistigkeiten geschrieben, die ich am füglichsten aus euerm Hause
beantworten zu können glaubte; die verschiedenen Boten erwarten von
hier, abgefertiget zu werden. Ihr, unser guter alter Freund,
helfet zu unsrer Beruhigung, und ertheilet euern nöthigen Rath zu
unsern Angelegenheiten, welche augenblikliche Besorgung erfodern.
Gloster.
Ich bin zu Dero Diensten, Madame; Euer Gnaden sind höchlich
willkommen.
(Sie gehen ab.)

Fünfter Auftritt.
(Kent und der Haushofmeister der Lady Gonerill treten von
verschiedenen Seiten auf.)

Hofmeister.
Einen guten Abend, Freund; bist du hier vom Hause?
Kent.
Ja.
Hofmeister.
Wo können wir unsre Pferde abstellen?
Kent.
Im Koth.
Hofmeister.
Sey so gut und sag mir's, wenn du mich liebst.
Kent.
Ich liebe dich nicht.
Hofmeister.
So frag ich auch nichts nach dir.
Kent.
Wenn ich dich kreuzweise gebunden in Lipsbury hätte, ich wollte
dich lehren nach mir zu fragen.
Hofmeister.
Warum begegnest du mir so, der ich dich nicht einmal kenne?
Kent.
Ich kenne dich, Bursche.
Hofmeister.
Wofür kennst du mich dann?
Kent.
Für einen Schlingel, einen Schurken, einen Tellerleker, einen
niederträchtigen, hochmüthigen, holen, bettlermässigen, drey-
rokichten, schmuzigen, lumpichten Schurken, einen weißleberichten,
maußköpfigen Schurken, einen Huren-Sohn von einem glasaugichten,
überdienstfertigen, abgefeimten Galgenschwengel; einen, der eine
Kupplerin seyn würde, um jemanden einen Dienst zu thun, und der
nichts anders ist als eine Composition von einem Spizbuben, einem
Bettler, einer Memme und einem Hurenwirth, und der Sohn und Erbe
einer Bastard-Hündin; einen den ich prügeln will, bis du wie ein
kleiner Junge weinst, wofern du nur eine einzige Sylbe von diesem
deinem Titel läugnest.
Hofmeister.
Wie? was für ein ungeheurer Kerl bist du, einen Menschen so zu
schimpfen, den du nicht kennst, und der dich nicht kennt?
Kent.
Und was für ein ausgeschämter Raker bist du, zu läugnen, daß du
mich kennst? Ist es schon zwey Tage, seitdem ich dir ein Bein
unterschlug, und dich vor dem König prügelte? Zieht vom Leder, ihr
Schurke; wenn es schon Nacht ist, so scheint doch der Mond; ich
will machen, daß er durch euch hindurch scheinen soll; ihr
Hurensohn von einem rakermässigen Bartkrazer, zieht.
Hofmeister.
Fort, ich habe nichts mit dir zu thun.
Kent.
Zieht, ihr Halunke! Ihr kommt mit Briefen wider den König, und
nehmt des Püppchens (Vanitas) Parthey wider die Majestät ihres
Vaters; zieht, ihr Lumpenhund, oder ich will eure Beine dermassen
rösten--zieht, sage ich, hieher, Schurke--
Hofmeister.
Hülfe! ho! Mörder! Mörder! Hülfe!
Kent.
Wehr dich, du Sclave! Steh, Galgenschwengel, steh, du
mausköpfichter Sclave, wehre dich.
(Er prügelt ihn.)
Hofmeister.
Hülfe, ho! Mörder! Mörder!--

Sechster Auftritt.
(Edmund, Cornwall, Regan, Gloster und Bediente.)

Edmund.
Was giebts hier? Was habt ihr mit einander?--Hinweg--

Kent.
Mit euch, Herr Bube, wenn es euch beliebt; kommt, ich will euch
trillen; hieher, junger Herr!
Gloster.
Waffen? Schwerdter? Was sind das für Händel hier?
Cornwall.
Haltet Frieden, so lieb euch euer Leben ist; der ist des Todes, der
noch einmal schlägt; was ist die Sache?
Regan.
Es sind die Abgeschikten von unsrer Schwester, und vom König.
Cornwall.
Was ist euer Zwist? redet.
Hofmeister.
Ich kan kaum Athem holen, Mylord.
Kent.
Kein Wunder, da ihr eure Dapferkeit so angespornt habt; ihr
hasenfüssiger Schurke! Die Natur sagt sich von allem Antheil an
dir los; ein Schneider machte dich.
Cornwall.
Du bist ein seltsamer Bursche--ein Schneider einen Menschen machen!
Kent.
Ich, Mylord, ein Schneider, ein Steinmez, oder ein Mahler, könnten
ihn nicht so schlecht gemacht haben, wenn er auch nur zwo Stunden
in der Arbeit gewesen wäre.
Cornwall.
Aber sagt, worüber euer Zank entstanden?
Hofmeister.
Der alte Jauner, Mylord, dessen Leben ich aus Achtung für seinen
grauen Bart gesparet habe,--
Kent.
Du Hurensohn von einem Zet; du unnöthiger Buchstabe! Mylord, wenn
ihr mir Erlaubniß geben wollt, so will ich diesen ungereiterten
Galgenschwengel in einem Mörsel stossen, und die Mauer eines
Secrets mit ihm anstreichen. Meinen grauen Bart sparen--du
Bachstelze!
Cornwall.
Halt ein, Flegel! du viehischer Schurke--kennst du keine Ehrfurcht?
Kent.
Ja, Sir, aber Zorn hat ein Privilegium.
Cornwall.
Warum bist du zornig?
Kent.
Daß solch ein Sclave wie dieser, ein Schwerdt tragen soll, der
keinen ehrlichen Blutstropfen im Leib hat; solche lächelnde
Schurken wie dieser, beissen oft, gleich den Razen, die heiligen
Knoten entzwey, die zu verflochten sind um aufgelöst zu werden;
schmeicheln jeder Leidenschaft die ihre Herren dahinreißt, schütten
Öl in die Flamme, und Eis in ihren Kaltsinn; verneinen, bejahen,
und drehen ihren Eisvogels-Schnabel nach jedem veränderlichen
Lüftchen ihrer Gebieter; als Leute, die gleich den Hunden nichts
wissen, als andern nachzulauffen. Daß die Pest ein solch
epileptisches Gesicht!--Ihr lächelt zu meinen Reden als ob ich ein
Narr sey! Ihr Gänse, hätte ich euch auf der Ebne von Salisbury,
ich wollte euch schnatternd bis heim nach Camelot* treiben.
{ed.-* Diß war der Ort, wo, nach den Romanzen, König Arthur sein
Hoflager im Westen hatte; und es scheint also dieses eine
Anspielung auf irgend eine sprüchwörtliche Redensart in den alten
Ritterbüchern zu seyn.}
Cornwall.
Bist du aberwizig, alter Bursche?
Gloster.
Wie kamet ihr aus? Sagt uns das.
Kent.
Es ist keine solche Antipathie in der Natur, als die meinige gegen
einen solchen Schlingel.
Cornwall.
Warum nennst du ihn einen Schlingel? was ist sein Vergehen?
Kent.
Ich kan seine Figur nicht leiden.
Cornwall.
Vielleicht die meinige, oder dieser oder dessen hier nicht besser.
Kent.
Herr, meine Art ist aufrichtig zu seyn: Ich habe zu meiner Zeit
bessere Gesichter gesehen, als auf irgend einer Schulter stehen,
die ich diesen Augenblik vor mir habe.
Cornwall.
Diß ist einer von den Burschen, die, wenn sie etwann einmal wegen
einer Brüskerie gelobt worden, eine verdrießliche Grobheit
affectieren, und sich von allen Gesezen des eingeführten Wohlstands
los machen--"Er kan nicht schmeicheln, er--ein ehrlicher Mann muß
aufrichtig seyn, er muß die Wahrheit reden; wollen sie sich's
gefallen lassen, gut; wo nicht, so ist er aufrichtig." Diese Art
von Spizbuben kenn ich, die unter dieser Aufrichtigkeit oft mehr
Arglist und schlimmere Absichten verbergen, als zwanzig solcher
seidenen untertauchenden Hofschranzen, die so subtil in Ausdehnung
ihrer Pflichten sind.
Kent.
Mylord, in vollem Ernst, und nach der lautersten Wahrheit, unter
der Nachsicht euers grossen Aspects, dessen Einfluß, gleich der
Crone von stralendem Feuer auf der wallenden Stirne des Phöbus--
Cornwall.
Was willt du mit diesem Galimathias?
Kent.
Eine Sprache fahren lassen, die ihr so übel empfehlet: Ich weiß,
Mylord, daß ich kein Schmeichler bin; der, der euch in einer ganz
platten Sprache betrogen hat, ist ein platter Spizbube, welches ich
nicht seyn will, wenn ich mir gleich dadurch euern Unwillen
zuziehen sollte.
Cornwall (zum Hofmeister).
Was habt ihr ihm denn zu Leide gethan?
Hofmeister.
Nicht das mindeste, Mylord. Es gefiel dem König seinem Herrn,
unlängst mich wegen eines Mißverstands zu schlagen; sogleich nahm
er sich der Sache an, um dem Unwillen seines Herrn zu schmeicheln,
unterschlug mir ein Bein, verspottete und beschimpfte mich, da ich
zu Boden lag, und wurde von dem König gelobt, daß er einen Mann
anfiel, der aus Respect sich nicht zu wehren begehrte; und von
dieser dapfern That aufgemuntert, zog er hier wieder gegen mich.
Kent.
Es ist keiner von diesen Schlingeln und Memmen, der nicht den Ajax
zu seinem Muster mache.
Cornwall.
Schafft Fuß-Stöke herbey. Du starrköpfiger alter Schurke, du
ehrwürdiger Großsprecher, wir wollen dich lehren--

Kent.
Herr, ich bin zu alt zum lernen; fodert eure Fuß-Stöke nicht für
mich; ich diene dem König; ihr würdet wenig Ehrerbietung und eine
zu verwegne Bosheit gegen die höchste Person meines Herrn verrathen,
wenn ihr seinen Abgeordneten in den Stok legen würdet.
Cornwall.
Fuß-Stöke herbey! So wahr ich Leben und Ehre habe, er soll darinn
sizen bis Mittag.
Regan.
Bis Mittag! Bis Nacht, Mylord, und alle übrige Nächte dazu.
Kent.
Wie, Madame, wenn ich euers Vaters Hund wäre, ihr könntet mir nicht
so begegnen!
Regan.
Sir, weil ihr meines Vaters Spizbube seyd, so will ich.
Cornwall.
Das ist ein Bursche von eben der Gattung, wovon unsre Schwester
spricht. Kommt, bringt die Fuß-Stöke.
Gloster.
Euer Gnaden lassen sich erbitten, es nicht zu thun. Sein Vergehen
ist groß, und der gute König, sein Herr, wird ihn deswegen
bestraffen; die Straffe, die ihr vorhabet, ist von einer Art, daß
nur die schlechteste und niedrigste Art von Elenden, wegen
Mausereyen und dergleichen pöbelhaften Unfugen, damit bestraft
werden. Der König muß es übel nehmen, daß er in seinem
Abgeschikten so schlecht geachtet würde--
Cornwall.
Ich will das verantworten.
Regan.
Meine Schwester kan es noch weit übler nehmen, daß ihr Edelmann
wegen Ausrichtung ihrer Befehle so mißhandelt werden soll--Legt
seine Beine hinein.
(Kent wird in den Stok gelegt.)
Kommt, Mylord, wir wollen gehen.
(Regan und Cornwall gehen ab.)

Siebender Auftritt.

Gloster.
Ich bin deinetwegen bekümmert, guter Freund; aber es ist des
Herzogs Wille so, der, wie alle Welt weiß, sich keinen Einhalt thun
läßt. Ich will für dich bitten.
Kent.
Ich bitte euch, thut es nicht, Sir. Ich habe lange gewacht und
gewandert; einen Theil der Zeit kan ich ausschlaffen, und den
übrigen will ich verpfeiffen. Eines ehrlichen Manns Glük kan
endlich müde Füsse kriegen. Ich wünsche euch einen guten Morgen.
Gloster.
Der Herzog ist hierinn zu tadeln; es wird übel aufgenommen werden.
(Geht ab.)
Kent.
Du guter König must izt das alte Sprüchwort erfahren: Du kommst aus
des Himmels Segen in die warme Sonne. Komm näher, du Signal-Feuer
für diese Unterwelt, damit ich bey deinen hülfreichen Stralen
diesen Brief durchlesen könne:
(indem er den Mond ansieht)
Niemand sieht mehr Wunder als der Elende--Ich kenne ihn, er ist
von Cordelia, die höchstglüklicher Weise von meinem verdunkelten
Lauf benachrichtiget worden. Ich werde in diesem ungebührlichen
Zustand Zeit finden, darauf zu denken, wie unser Verlust ersezt
werden könne; ihr müden und ausgemachten Augen, bedient euch des
Vortheils, diese schändliche Wohnung nicht zu sehen. Gute Nacht,
Glük; lächle noch einmal, dann dreh' dein Rad.
(Er entschläft.)
(Die Scene verwandelt sich in einen Wald.)
(Edgar tritt auf.)
Edgar.
Ich habe mich selbst ausruffen gehört, und bin, Dank sey einer
glüklichen Höle in einem Baum, der Jagd entgangen. Kein Seehaven
ist frey, kein Ort, wo nicht Wachen und ungewöhnliche
Aufmerksamkeit auf meine Ertappung warten. Da ich nicht entrinnen
kan, will ich mir auf eine andre Art helfen, und bin entschlossen,
die niedrigste und armseligste Gestalt anzunehmen, die nur immer
die Dürftigkeit ersinnen kan, den verachteten Menschen näher zum
Vieh herab zu sezen. Mein Gesicht will ich mit Schmuz entstellen,
meine Lenden mit Binden umwikeln, mein Haar in Knoten schlingen,
und mit dargebotner Naktheit, den Winden und den Verfolgungen des
Wetters Troz bieten. Die Dörfer zeigen mir ein Muster an den
Tollhaus-Bettlern, die mit heulenden Stimmen, in ihre gefühllose,
abgestorbene, nakte Arme, Nädeln, hölzerne Pfriemen, Nägel und
Rosmarin-Zweige schlagen, und in diesem entsezlichen Aufzug, vor
kleinen Pacht-Höfen, armen Bauerhütten, Schaaf-Hürden und Mühlen,
bald durch mondsüchtige Flüche, bald durch Gebete, der
Mildthätigkeit der Leute Gewalt anthun. Armer Turlupin*! Armer
Tom! Das ist izt etwas--als Edgar bin ich nichts.
{ed.-* Im vierzehnten Jahrhundert entstand eine Art von Zigäunern,
Turlupins genannt, eine Brüderschaft von nakenden Bettlern die in
Europa auf und ab lieffen; dem ungeachtet hat die Römische Kirche
sie mit dem Kezer-Namen beehrt, und würklich einige von ihnen zu
Paris verbrannt. Was sie aber für eine Art von Religionisten
gewesen, sehen wir aus Genebrards Nachricht von ihnen, (Turelupini
Cynicorum sectam suscitantes, de nuditate pudendorum & publico
coitu.) In der That nichts anders, als eine Art Tollhaus-Narren.
Warbürton.}

{ed.-Bei Wieland folgt, wie schon in der englischen Ausgabe von
Warburton, der neunte Auftritt auf den siebenten.}

Neunter Auftritt.
(Die Scene verwandelt sich wieder in des Grafen von Gloster Schloß.)
(Lear, Narr, und ein Ritter.)

Lear.
Das ist wunderlich, daß sie von Hause abreisen, ohne mir meinen
Boten zurük zu schiken.
Ritter.
So viel ich erfahren habe, war die Nacht vorher noch kein Gedanke
an diese Entfernung.
Kent.
Heil dir, mein edler Meister!
Lear.
Ha! machst du deine Schmach zu deinem Zeitvertreib?
Kent.
Nein, Mylord.
Narr.
Ha, ha! er trägt verzweifelte Kniebänder; Pferde werden am Kopf
gebunden, Hunde und Bären am Hals, Affen um die Lenden, und
Menschen an den Beinen; wenn ein Mann gar zu lustig auf den Beinen
ist, so trägt er hölzerne Unterstöke.
Lear.
Wer ist der, der deinen Plaz so sehr mißkennt, dich hieher zu sezen?
Kent.
Es ist Er und Sie, euer Sohn und eure Tochter.
Lear.
Nein.
Kent.
Ja.
Lear.
Nein, sag ich.
Kent.
Ich sage, Ja.
Lear.
Beym Jupiter, schwör ich, Nein!
Kent.
Bey Juno, schwör ich, Ja.
Lear.
Das hätten sie sich nicht unterstanden; sie konnten, sie wollten es
nicht thun; das ist ärger als Mord, die Ehrerbietung gegen mich so
gewaltthätig zu verlezen. Sage mir, so schnell als möglich,
wodurch du eine solche Begegnung verdienen, oder was sie dazu
bringen konnte, dich so mißzuhandeln, da du von uns kamest?
Kent.
Mylord, als ich Ihnen in Ihrem Hause, Eurer Hoheit Briefe
überreichte, kam, eh ich noch vom Boden, wo mich die Ehrfurcht
knien hieß, aufgestanden war, ein rauchender Postillion an, der
ganz beschwizt und halb athemlos einen Gruß von Gonerill seiner
Gebieterin keuchte, und Briefe übergab, die sogleich, ohne auf die
meinige Acht zu haben, überlesen wurden; dem Inhalt derselben
zufolge, liessen sie sogleich ihre Leute aufbieten, die Pferde
fertig halten, befahlen mir ihnen zu folgen und zu warten, bis es
ihnen gelegen sey mir zu antworten, und gaben mir kalte Blike. Da
ich nun hier den andern Boten antraf, dessen Willkomm (wie ich
merkte) den meinigen vergiftet hatte, und sah', daß es eben der
Gesell war, der sich lezthin so unartig gegen Eu. Hoheit aufführte,
so zog ich, weil ich mehr Mannheit als Wiz bey mir hatte, den
Degen gegen ihn; er brachte mit seinem zaghaften Geschrey das Haus
in Bewegung, und euer Sohn und eure Tochter fanden dieses Vergehen
der Schmach würdig, die ich hier erdulde.
Lear.
O! wie schwillt diese Mutter zu meinem Herzen auf! Herunter
(hysterica passio!) Du klimmender Kummer, dein Element ist unten;
wo ist diese Tochter?
Kent.
Bey dem Grafen, Mylord, hier drinnen.
Lear.
Folget mir nicht--bleibt hier zurük--
(Er geht ab.)
Ritter.
Verbrachet ihr sonst nichts, als was ihr da gesagt habet?
Kent.
Nichts. Wie kömmts, daß der König in so kleiner Anzahl anlangt?
Narr.
Wenn du um dieser Frage willen in den Stok gesezt worden wärest, so
hättest du es wol verdient.
Kent.
Warum, Narr?
Narr.
Man muß dich zu einer Ameise in die Schule thun, zu lernen, daß man
im Winter nicht arbeitet. Alle die ihrer Nase folgen, werden von
ihren Augen geleitet, die Blinden ausgenommen; und unter zwanzig
Nasen ist nicht eine die den nicht röche, der stinkt. Wenn ein
grosses Rad einen Hügel herunter lauft, so laß es unaufgehalten,
oder es bricht dir den Hals, wenn du ihm nachlaufst; wenn es aber
aufwärts geht, so laß dich von ihm nachziehen. Wenn ein weiser
Mann dir einen bessern Rath giebt, so gieb mir meinen wieder zurük;
ich möchte nicht, daß ihm jemand andrer folgte als ein Spizbube, da
ihn ein Narr giebt.

Zehnter Auftritt.
(Lear und Gloster treten auf.)

Lear.
Sie wollen nicht mit mir reden? sie sind unpäßlich, sie sind müde,
sie haben die ganze Nacht durch gereißt? Blosse Ausflüchte!
Anzeigen von Empörung und Abtrünnigkeit. Bring mir eine bessre
Antwort--

Gloster.
Mein theurer Lord, Ihr kennet die feurige Gemüthsart des Herzogs!
Wie unbeweglich und fest er in seinen Entschliessungen ist--
Lear.
Rache! Pest! Tod! Verderben! feurig? was feurige Gemüthsart?
Wie? Gloster, ich will mit dem Herzog von Cornwall und seinem
Weibe reden.
Gloster.
Gut, Mylord, so habe ich sie berichtet.
Lear.
Sie berichtet? Verstehst du mich, Mann?
Gloster.
Ja, mein Gnädiger Lord.
Lear.
Der König will mit Cornwallen reden, der Vater will mit seiner
Tochter reden; befiehlt ihr, ihm aufzuwarten--Sind sie dessen
berichtet?--Mein Athem! Mein Blut!--Feurig? der feurige Herzog?
Sagt dem heissen Herzog, ich--Nein! izt noch nicht; es mag seyn,
daß er nicht wohl ist. Krankheit verabsäumt immer alle Pflichten,
an die unsre Gesundheit gebunden ist; wir sind nicht wir selbst,
wenn die unterligende Natur der Seele mit dem Leib zu leiden
befiehlt. Ich will Geduld haben; ich war zu hastig, die Laune
eines Kranken dem Gesunden zur Last zu legen.--Verwünscht sey mein
Zustand!--Aber wofür sollte er hier sizen? Diese Handlung
überführt mich, daß ihre Entfernung von Hause nur ein Kunstgriff
ist. Gebt mir meinen Diener los--Geht, sagt dem Herzog und seinem
Weib, ich wolle mit ihnen sprechen, izt gleich; sagt ihnen, sie
sollen kommen und mich anhören, oder ich will vor ihrer Kammerthüre
die Trommel schlagen lassen, bis sie schreyt, schlaft zu Tod.
Gloster.
Ich wollte, es wäre alles gut zwischen euch.
(Geht ab.)
Lear.
O! mein Herz, mein schwellendes Herz! herunter!
Narr.
Schrey ihm zu, Nonkel, wie das Küchen-Mädchen den Älen, die sie
lebendig in die Pastete gethan hatte; sie schlug sie mit einem
Steken ernstlich auf die Nasen und schrie, zu Boden mit euch, ihr
Muthwilligen, zu Boden! Es war ihr Bruder, der aus lauter
Gütigkeit gegen sein Pferd Butter an sein Heu that.

Eilfter Auftritt.
(Cornwall, Regan, Gloster und Bediente, zu den vorigen.)

Lear.
Ich wünsche euch beyden einen guten Morgen.
Cornwall.
Euer Gnaden sind willkommen.
(Kent wird losgemacht.)
Regan.
Ich bin erfreut Eu. Hoheit zu sehen.
Lear.
Regan, ich denke, ihr seyd es, ich weiß die Ursachen warum ich es
denke; wenn du nicht erfreut wärest, ich wollte mich im Grab von
deiner Mutter als einer Ehebrecherin scheiden.
(Zu Kent.)
O! seid ihr frey? Ein andermal hievon. Geliebte Regan, deine
Schwester ist nichts: O Regan, sie hat ihre Undankbarkeit gleich
einem Geyer hier
(er zeigt auf sein Herz)
angefesselt, an meinem Herzen zu nagen. Ich kan kaum mit dir
reden; du kanst nicht glauben, mit was für einer ausgearteten
Bosheit--o Regan! --
Regan.
Ich bitte euch, Mylord, habet Geduld; ich hoffe, ihr wisset weniger
ihren Werth zu schäzen, als sie ihre Pflicht zu vergessen.
Lear.
Sagst du? Wie ist das?
Regan.
Ich kan nicht denken, meine Schwester sollte nur im mindesten ihre
Schuldigkeit beyseite sezen. Wenn sie vielleicht die
You have read 1 text from German literature.
Next - Das Leben und der Tod des Königs Lear - 4
  • Parts
  • Das Leben und der Tod des Königs Lear - 1
    Total number of words is 4149
    Total number of unique words is 1462
    38.3 of words are in the 2000 most common words
    49.9 of words are in the 5000 most common words
    55.9 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Das Leben und der Tod des Königs Lear - 2
    Total number of words is 4227
    Total number of unique words is 1417
    38.4 of words are in the 2000 most common words
    49.5 of words are in the 5000 most common words
    54.8 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Das Leben und der Tod des Königs Lear - 3
    Total number of words is 4114
    Total number of unique words is 1446
    36.9 of words are in the 2000 most common words
    49.6 of words are in the 5000 most common words
    55.8 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Das Leben und der Tod des Königs Lear - 4
    Total number of words is 4288
    Total number of unique words is 1548
    35.4 of words are in the 2000 most common words
    47.8 of words are in the 5000 most common words
    52.7 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Das Leben und der Tod des Königs Lear - 5
    Total number of words is 4122
    Total number of unique words is 1457
    37.6 of words are in the 2000 most common words
    49.5 of words are in the 5000 most common words
    55.5 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Das Leben und der Tod des Königs Lear - 6
    Total number of words is 4208
    Total number of unique words is 1549
    36.9 of words are in the 2000 most common words
    48.7 of words are in the 5000 most common words
    53.7 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Das Leben und der Tod des Königs Lear - 7
    Total number of words is 4179
    Total number of unique words is 1369
    39.2 of words are in the 2000 most common words
    53.4 of words are in the 5000 most common words
    58.9 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Das Leben und der Tod des Königs Lear - 8
    Total number of words is 377
    Total number of unique words is 222
    62.5 of words are in the 2000 most common words
    72.6 of words are in the 5000 most common words
    77.1 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.