Das Leben und der Tod des Königs Lear - 5

Total number of words is 4122
Total number of unique words is 1457
37.6 of words are in the 2000 most common words
49.5 of words are in the 5000 most common words
55.5 of words are in the 8000 most common words
Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
genöthiget habe, die Leute welche sie im Schlaf zu drüken pflegt,
in Ruhe zu lassen. Diese Begebenheit ist aus der Legende dieses
Heiligen genommen, der deswegen als ein Schuzpatron wider den Alp
angeruffen zu werden verdiente, so wie diese Reime als eine Art
von Beschwörung wider die vermeynte Nachtfrau von dem gemeinen
Volke gebraucht wurden.

Siebender Auftritt.
(Gloster kömmt mit einer Fakel.)

Lear.
Wer ist der?
Kent.
Wer ist hier? was sucht ihr?
Gloster.
Wer seyd ihr selbst? wie heißt ihr?
Edgar.
Der arme Tom, der den schwimmenden Frosch ißt, die Kröte, die Mauer-
Eidexe, und die Wasser-Eidexe, der in der Wuth seines Herzens, wenn
der böse Feind raset, Kühfladen für Salat ißt, alte Razen und todte
Hunde verschlukt, und den grünen Mantel des stehenden Sumpfes
trinkt, der von Haus zu Haus gepeitscht, in den Stok gesezt und
eingesperrt wird; der drey Kleider für seinen Rüken gehabt hat,
sechs Hemder für seinen Leib, ein Pferd zum reiten, und einen Degen
zum tragen;
Aber Razen und Mäuse und solche Waar,
Sind nun Tom's Speise seit sieben Jahr.
Gloster.
Wie, hat Eure Hoheit keine bessere Gesellschaft?
Edgar.
Der Fürst der Finsterniß ist ein Edelmann; er heißt Modo und Mahu.
Gloster.
Unser Fleisch und Blut, Mylord, ist so sehr verdorben, daß es die
hasset, die es gezeugt haben.
Edgar.
Tom friert!
Gloster.
Kommet mit mir, Mylord; meine Treue kan mir nicht zulassen, eurer
Töchter grausamen Befehlen in allem zu gehorchen. Ob sie mir
gleich eingeschärft haben, meine Thüren zu verrigeln, und euch der
Willkuhr dieser tyrannischen Nacht zu überlassen, so hab ich es
doch gewagt euch aufzusuchen, um euch an einen Ort zu bringen, wo
Feuer und etwas zu essen bereit ist.
Lear.
Zuerst laßt mich mit diesem Philosophen reden; was ist die Ursache
vom Donner?
Kent.
Mein gütiger Lord, nehmet sein Erbieten an, geht in das Haus.
Lear.
Ich will ein Wort mit diesem gelehrten Thebaner hier reden: Was ist
euer Studium?
Edgar.
Dem bösen Feind auszuweichen, und Ungeziefer zu tödten.
Lear.
Laßt uns euch ein Wort in Geheim fragen.
Kent.
Sezt ihm stärker zu mit euch zu gehen, Mylord; sein Verstand fängt
an in Unordnung zu kommen.
Gloster.
Kanst du ihn tadeln? Seine Töchter suchen seinen Tod.--Ach! der
gute Kent! Er sagte, so würd' es gehen; der arme verbannte Mann!
Du sagst, der König wird wahnsinnig; ich kan dir sagen, Freund, ich
bin selbst wahnsinnig; ich hatte einen Sohn, (denn izt ist er aus
meinem Herzen verbannet) er stand mir nach dem Leben, erst kürzlich,
ganz neuerlich; ich liebte ihn, Freund, kein Vater hat jemals
seinen Sohn mehr geliebt; dir die Wahrheit zu sagen, der Schmerz
hat meinen Verstand angegriffen. Was für eine Nacht ist diß!--
(zu Lear.)
Ich bitte eure Hoheit--
Lear.
O, ich bitte euch um Vergebung, Sir.
(zu Edgar)
Edler Philosoph, eure Gesellschaft.
Edgar.
Tom friert.
Gloster.
Hinein, Bursche, in die Hütte; wärme dich.
Lear.
Kommt, wir wollen alle hinein.
Kent.
Diesen Weg, Mylord.
Lear.
Mit ihm; ich will immer bey meinem Philosophen bleiben.
Kent (zu Gloster.)
Mein gütiger Lord, seyd ihm zu Willen, laßt ihn den Burschen
mitnehmen.
Gloster.
Nehmt ihr ihn mit.
Kent.
Komm mit, Bursche, mit uns.
Lear.
Komm, du guter Athenienser.
Gloster.
Keine Worte, keine Worte, husch!
Edgar.
Kind Roland kam zum finstern Thurm etc.*
{ed.-* Der Name (Infant) wurde in den alten ritterlichen Zeiten denen
jungen Leuten von Stande gegeben, eh sie zu würklichen Rittern
geschlagen wurden. Das was Edgar hier sagt, ist vermuthlich der
Anfang einer ins alte Englische übersezten Romanze, wo der
Übersezer das Wort (Infant) durch Kind gegeben.}
(Sie gehen ab.)

Achter Auftritt.
(Die Scene verwandelt sich in Glosters Schloß.)
(Cornwall. Edmund.)

Cornwall.
Ich will Rache haben, eh ich dieses Haus verlasse.
Edmund.
Ich darf kaum daran denken, Mylord, was man urtheilen wird, daß ich
die Natur der Treue gegen euch Plaz machen heisse.
Cornwall.
Nun merke ich, daß es nicht bloß euers Bruders schlimme Gemüthsart
war, was ihn seinen Tod suchen machte.--Es war vielleicht ein zur
Rache gereiztes Verdienst, welches nicht ausstehen konnte, von
einem niederträchtigen Vater vernachlässigst zu werden.
Edmund.
Wie unglüklich ist mein Stern, daß ich bereuen muß gerecht zu seyn.
Hier ist der Brief, wovon er mir sagte; er entdekt ihn als einen
heimlichen Anhänger der Französischen Parthey. O Himmel! möchte
entweder diese Verrätherey nicht seyn, oder ich nicht der Entdeker!
Cornwall.
Folget mir zu der Herzogin.
Edmund.
Wenn der Inhalt dieses Papiers wahr ist, so habt ihr sehr viel zu
thun.
Cornwall.
Er mag wahr oder falsch seyn, so hat er dich zum Grafen von Gloster
gemacht. Suche deinen Vater auf, damit seine Bestraffung vollzogen
werden könne.
Edmund (vor sich.)
Wenn ich finde daß er dem König Vorschub thut, so wird der Verdacht
desto stärker--
(laut.)
Ich will fortfahren euch die Treue zu beweisen, Mylord, die ich
meinem Oberherrn schuldig bin, so schmerzlich auch der Kampf
zwischen Schuldigkeit und Natur ist.
Cornwall.
Ich bin von deiner Treue überzeugt, und du sollt in meiner Liebe
einen theurern Vater finden.
(Sie gehen ab.)

Neunter Auftritt.
(Eine Stube in einem Meyer-Hofe.)
(Kent und Gloster treten auf.)

Gloster.
Hier ist es besser als unter freyem Himmel, nehmt es mit Dank an;
ich will besorgt seyn euch so viel Vorschub zu thun, als ich kan--
ich werde bald wieder bey euch seyn.
(Geht ab.)
Kent.
Alle Kräfte seines Verstandes haben seiner Ungeduld weichen müssen;
die Götter belohnen euer mitleidiges Herz. (Lear, Edgar und Narr.)
Edgar.
Frateretto ruft mir und erzählt mir, Nero sey ein Angel-Fischer im
Pfuhl der Finsterniß. Betet in Unschuld und hütet euch vor dem
bösen Feind.
Narr.
Sey so gut, Nonkel, und sag mir, ist ein wahnwiziger Mann ein
Edelmann oder ein Bauer?
Lear.
Ein König, ein König.
Narr.
Nein, er ist ein Bauer, der einen Edelmann zum Sohn hat; denn das
ist ein wahnwiziger Bauer, der seinen Sohn für einen Edelmann
ansieht.
Lear*.
{ed.-* Hier folgen in der ersten Ausgabe etliche Reden im
tollhäusischen Geschmak, welche Shakespearevermuthlich selbst in
den folgenden weggelassen hat; und welche, wenn es auch möglich
wäre sie zu übersezen, den wenigsten Lesern dieser Mühe würdig
scheinen würden. Die lezte, welche Lear sagt, ist die einzige, in
der man den Shakespearewieder erkennt.}
--Laßt sie Regan anatomiren--Seht, was in ihrem Herzen ausgebrütet
wird--Ist irgend eine Ursache in der Natur, die solche harte Herzen
macht? Euch, Sir, unterhalt' ich für einen von meinen Hundert; nur
steht mir der Schnitt euerer Kleider nicht an; man sollte denken,
sie wären persianisch; aber laßt sie ändern. (Gloster kommt zurük.)
Kent.
Nun, mein gütiger Lord, legt euch hier und ruhet eine Weile.
Lear.
Macht kein Getöse, macht kein Getöse, zieht die Vorhänge. So, so,
wir wollen morgen früh zum Nacht-Essen gehen.
Narr.
Und ich will des Mittags zu Bette gehen.
Gloster.
Kommt hieher, Freund; wo ist der König, mein Herr?
Kent.
Hier, Sir, aber beunruhigt ihn nicht; sein Verstand ist dahin.
Gloster.
Guter Freund, ich bitte dich, nimm ihn in deine Arme; (ich habe
etwas von einem Anschlag wider sein Leben gehört;) es ist eine
Sänfte bereit, trag ihn hinein, und eile nach Dover, Freund, wo du
beydes, Aufnahm und Schuz, finden wirst. Nimm deinen Herrn auf die
Schultern; wenn du nur eine halbe Stunde säumest, so ist sein Leben
und deines und eines jeden, der ihn vertheidigen wollte, unfehlbar
verlohren. Fort, mache fort, nimm ihn auf deine Schultern, und
folge mir; ich will dir einen Wegweiser mitgeben--
Kent.
Die unterdrukte Natur schläft. Diese Ruhe möchte ein Balsam für
deine verwundeten Sinnen gewesen seyn, die, wie ich besorge, ohne
eine günstige Veränderung der Umstände, unheilbar sind. Komm,
(zum Narren)
hilf deinen Herrn hinweg tragen, du must nicht zurük bleiben.
Gloster.
Kommt, kommt, hinweg.
(Sie tragen den König fort.)
Edgar (bleibt allein.)
Wenn wir Bessere als wir sind mit unsern Übeln beladen sehen, so
vergessen wir beynahe unsers eignen Elends. Wer allein leidet,
leidet am meisten am Gemüth, indem er mit Menschen umgeben ist, die
von seinen Übeln frey, durch den beleidigenden Anblik ihrer
Glükseligkeit seine Pein verdoppeln. Wie leicht, wie erträglich
scheint mir mein Unglük zu seyn, da der König von gleichem Ungemach
gedrükt wird! Er hat Kinder, wie ich einen Vater habe--Hinweg, Tom--
begegne diese Nacht was will, wenn nur der König unversehrt
entkömmt--
(Edgar geht ab.)

Zehnter Auftritt.
(Cornwall, Regan, Gonerill, Edmund und Bediente.)

Cornwall.
Eilet unverzüglich zu euerm Gemahl und zeigt ihm diesen Brief; die
französische Armee ist angeländet; sucht den Verräther Gloster.
Regan.
Laßt ihn auf der Stelle aufhängen.
Gonerill.
Reißt ihm die Augen aus.
Cornwall.
Überlasset ihn nur meinem Unwillen. Edmund, leistet unsrer
Schwester Gesellschaft; die Rache die wir an euerm verräthrischen
Vater zu nehmen genöthiget sind, leidet eure Gegenwart nicht.
Überzeuget den Herzog zu dem ihr gehet, von der Nothwendigkeit
einer schleunigen Kriegs-Zurüstung--wir haben die gleiche
Obliegenheit; unsre Couriers sollen ein ununterbrochnes Verständniß
unter uns erhalten. Lebet wohl, liebe Schwester; lebet wohl,
Mylord von Gloster. (Der Haushofmeister kömmt.) Wie gehts? wo ist
der König?
Hofmeister.
Mylord von Gloster hat ihn von hier hinweggebracht. Fünf oder
sechs und dreissig von seinen Rittern, welche sehr hizig nach ihm
fragten, haben ihn vor der Pforte angetroffen, und sind nebst
einigen von des Lords Angehörigen mit ihm nach Dover abgegangen, wo
sie sich rühmen, wohlbewaffnete Freunde zu haben.
Cornwall.
Hohlet Pferde für eure Gebieterin.
Gonerill.
Lebet wohl, mein liebster Lord, und meine Schwester.
(Gonerill und Edmund gehen ab.)
Cornwall.
Edmund, lebe wohl--Geht, sucht den Verräther Gloster; bindet ihn
wie einen Dieb, und bringt ihn vor uns: Wir können ihm zwar ohne
die Förmlichkeiten der Justiz das Leben nicht nehmen; aber dennoch
soll unsre Macht unserm Zorn eine Gefälligkeit erweisen, welche die
Leute tadeln mögen ohne sie verhindern zu können.

Eilfter Auftritt.
(Gloster wird von einigen Bedienten hereingebracht.)

Cornwall.
Wer ist hier? der Verräther?
Regan.
Der undankbare Fuchs! Er ists.
Cornwall.
Bindet ihm seine hagern Arme fest zusammen.
Gloster.
Was meynen Euer Gnaden damit? Meine guten Freunde, bedenket daß
ihr meine Gäste seyd; spielet mir keinen schlimmen Streich, Freunde.
Cornwall.
Bindet ihn, sag ich.
(Sie binden ihn.)
Regan.
Fester, fester! du nichtswürdiger Verräther.
Gloster.
Unbarmherzige Lady, ich bin kein Verräther.
Cornwall.
An diesen Lehnstuhl bindet ihn. Nichtswürdiger, du sollt finden--

Gloster.
Bey den mitleidigen Göttern, das ist höchst unwürdig gehandelt, mir
so den Bart auszurauffen.
Regan.
So weiß, und so ein Verräther!
Gloster.
Boshafte Lady, diese Haare, die du meinem Kinn raubest, werden
lebendig werden und dich anklagen; ich bin euer Wirth, ihr solltet
euch schämen, so mit räuberischen Händen mein gastfreundliches
Gesicht zu zerrauffen! Was wollt ihr aus mir machen?
Cornwall.
Saget, Sir, was für Briefe hattet ihr lezthin aus Frankreich?
Regan.
Antwortet gerade zu, denn wir wissen die Wahrheit schon.
Cornwall.
Und was für ein Bündniß hattet ihr mit den Verräthern, die erst
kürzlich in dem Königreich angeländet sind?
Regan.
In wessen Hände schiktet ihr den mondsüchtigen König? Redet!
Gloster.
Ich habe einen Brief, worinn von blossen Muthmassungen die Rede ist,
und der von jemanden kam, der neutral, und nicht von einer
feindlichen Parthey ist.
Cornwall.
Ausflüchte--
Regan.
Und falsch.
Cornwall.
Wo hast du den König hingeschikt?
Gloster.
Nach Dover.
Regan.
Warum nach Dover? War dir nicht bey Gefahr deines Lebens verboten--
Cornwall.
Warum nach Dover? Laßt ihn zuerst auf das antworten.
Gloster.
Ich bin an den Pfahl gebunden, und muß nun den Anfall aushalten.
Regan.
Warum nach Dover?
Gloster.
Weil ich nicht sehen wollte, daß deine grausamen Nägel seine alten
Augen auskrazten, noch daß deine grimmige Schwester ihre Bären-
Klauen in sein gesalbtes Fleisch einhakte. Von einem solchen Sturm,
wie sein kahles Haupt in Hölle-schwarzer Nacht aushalten mußte,
hätte die kochende See bis an den Himmel aufbrausen, und die
gestirnten Feuer auslöschen mögen. Und doch, das arme alte Herz!
half er dem Himmel regnen. Hätten Wölfe in dieser entsezlichen
Nacht vor deinem Thor geheulet, du würdest dem Pförtner befohlen
haben, sie zu öffnen; die grausamsten Thiere wurden vor Schreken
mild--Aber ich werd es noch sehen, wie die geflügelte Rache solche
Kinder überfallen wird.
Cornwall.
Sehen sollt du es niemals. Kerls, haltet den Stuhl; auf diese
deine Augen will ich meinen Fuß sezen.
(Gloster wird auf den Boden gelegt, und Cornwall tritt ihm das eine
von seinen Augen aus.)
Gloster.
Wer so lange zu leben gedenkt bis er alt wird, gebe mir einige
Hülfe--O grausam! O! ihr Götter!
Regan.
Eine Seite möcht' es der andern vorrüken; das andere auch.
Cornwall.
Wenn ihr Rache sehet--
Ein Bedienter.
Haltet ein, Mylord, ich habe euch von meiner Kindheit an gedient,
aber keinen bessern Dienst hab ich euch nie gethan, als izt, da ich
euch bitte, einzuhalten.
Regan.
Was ist das, du Hund?
Bedienter.
Wenn ihr einen Bart an euerm Kinn trüget, so wollt' ich es mit euch
aufnehmen--
(indem er sieht, daß Cornwall den Degen gegen ihn zieht:)
Wie? was habt ihr im Sinn?
Cornwall.
Nichtswürdiger Bube--
Bedienter.
Nun so kommt dann, weil ihr mich so herausfodert--
(Sie fechten, Cornwall wird verwundet.)
Regan.
Gieb mir dein Schwerdt--ein Sclave soll sich so auflehnen?
(Sie ersticht ihn.)
Bedienter.
O! ich bin erschlagen--Mylord, ihr habt noch ein Auge übrig, um
Unglük über ihm zu sehen--O! --
(Er stirbt.)
Cornwall.
Wir wollen ihm zuvorkommen; aus, nichtswürdige Sulz--
(Er tritt das andre Aug auch aus.)
Gloster.
Ganz finster und hülflos--Wo ist mein Sohn Edmund? Edmund, fache
alle Funken der Natur an, diese greuliche That zu rächen.
Regan.
Hinaus, verräthrischer Hund! du rufst einem, der dich verabscheuet;
Edmund war's, der uns deine Verräthereyen entdekte; er ist zu gut,
Mitleiden mit dir zu haben.
Gloster.
O meine Thorheiten!--So wurde Edgar fälschlich angeklagt! Ihr
mitleidigen Götter, vergebet mir das, und segnet ihn!
Regan.
Geht, führt ihn vor das Thor hinaus, und laßt ihn seinen Weg nach
Dover durch den Geruch finden.
(Gloster wird weggeführt.)
Wie stehts, Mylord, wie seht ihr so übel aus?
Cornwall.
Ich habe einen Stoß bekommen; folget mir, Lady; Stosset diesen
auglosen Buben hinaus--werft diesen Sclaven auf den Mist--Regan,
ich verblute; dieser Stoß kommt sehr zur Unzeit--
Regan.
Gebt mir euern Arm--
(Sie gehen ab.)
1. Bedienter.
Wenn es diesem Mann wohl geht, so will ich mir um keines Bubenstüks
willen bange seyn lassen.
2. Bedienter.
Wenn Sie lange lebt, und am Ende so stirbt wie andre Leute, so
werden alle Weiber zu Ungeheuern werden.
1. Bedienter.
Wir wollen dem alten Grafen nachlaufen, und irgend einen Bettler
suchen, der ihn führe--
2. Bedienter.
Geh du, ich will etwas Flachs und Eyer-Weiß hohlen, es auf seine
blutenden Augen zu legen. Nun, der Himmel helf ihm!
(Gehen ab.)


Vierter Aufzug.

Erster Auftritt.
(Ein freyes Feld.)

Edgar (tritt auf)
Immer besser so, und wissen daß man verachtet wird, als immer
verachtet und geschmeichelt werden. Das ärmste, niedrigste,
verworrenste Geschöpf lebt immer in Hoffnung, und hat nichts zu
befürchten. Klägliche Veränderungen treffen nur die Glüklichsten.
Wer nichts verliehren kan, kan immer lachen. Willkommen dann, du
unkörperliche Luft, der Unglükliche, den du unter den Elendesten
hinunter geweht hast, ist deinen Stürmen nichts mehr schuldig.
(Gloster tritt auf, von einem alten Manne geführt.) Aber wer kommt
hier? Mein Vater, von einem fremden Manne geführt?--Welt, Welt, o
Welt!--Und doch, wenn deine seltsamen Abwechslungen dich nicht
verhaßt machten, wo ist der Greiß welcher sterben wollte?
Der alte Mann.
O mein guter Lord, ich bin euer Pachter und euers Vaters Pachter
gewesen, diese achzig Jahre.
Gloster.
Gehe, gehe deinen Weg, guter Freund, geh, dein Beystand kan mir
nichts nüzen, und dir könnt' er schädlich seyn.
Der Alte.
Ihr könnt ja euern Weg nicht sehen.
Gloster.
Ich habe keinen Weg, und bedarf also keiner Augen; ich strauchelte,
da ich noch sah. Wie wahr ist es, was uns die Erfahrung so oft
lehrt, unsre Mittelmässigkeit ist unsre Sicherheit, und selbst was
wir entbehren, beweißt, daß wir es nicht nöthig haben--O theurer
Sohn Edgar, unglüklicher Gegenstand des Zorns deines betrogenen
Vaters, möcht ich nur leben dich in meinen Armen zu fühlen, dann
wollt' ich sagen, ich habe wieder Augen.
Der Alte.
Wie? wer ist der?
Edgar.
Ihr Götter, wer kan sagen, ich bin der Elendeste? Ich bin elender
als ich jemals war.
Der Alte.
Es ist der arme tolle Tom.
Edgar.
Und doch kan ich noch elender werden; das Ärgste ist noch nicht,
so lang man noch sagen kan, das ist das Ärgste.
Der Alte.
Guter Freund, wo gehst du hin?
Gloster.
Ist es ein Bettelmann?
Der Alte.
Ein Thor und ein Bettler zugleich.
Gloster.
Er hat noch einige Vernunft, sonst könnt' er nicht betteln. In dem
Sturm der lezten Nacht sah ich einen solchen Burschen, der mich
denken machte, der Mensch sey ein Wurm. Mein Sohn kam mir dabey in
den Sinn; und doch war er damals fern von meinem Herzen. Seitdem
hab ich mehr gehört. Was Fliegen für muthwillige Knaben sind, sind
wir den Göttern; sie tödten uns zu ihrem Zeitvertreib.
Edgar.
Gott helf dir, Meister.
Gloster.
Ist das der nakende Bursche?
Der Alte.
Ja, Mylord.
Gloster.
Geh doch, oder wenn du mir zu lieb eine Meile oder zwoo uns nach
Dover zuvorlauffen willt, so thu es um der alten Liebe willen, und
bring etwas Kleidung für diese nakte Seele, die ich bitten will,
mich zu führen.
Der Alte.
Ach, Mylord, es ist wahnwizig.
Gloster.
Das ist eine böse Zeit, wenn Wahnwizige die Blinden führen; thu was
ich dir gesagt habe, oder vielmehr thu was du willst; alles
überlegt, geh deinen Weg.
Der Alte.
Ich will ihm den besten Anzug bringen, den ich habe; werde daraus
was will.
(Geht ab.)
Gloster.
Hieher, nakter Bursche.
Edgar.
Der arme Tom friert, ich kan es nicht länger verheelen.
Gloster.
Komm hieher, Bursche.
Edgar.
Und doch muß ich; Gott behüte deine lieben Augen, sie bluten.
Gloster.
Kennst du den Weg nach Dover?
Edgar.
Gatter und Zäune, Postweg und Fußsteg: Der arme Tom ist um seine
guten Sinnen gekommen. Gott behüte dich vor dem bösen Feind, alter
Mann. Fünf Feinde sind auf einmal in dem armen Tom gewesen;
Obidicut, der Hureteufel, Hobbididen, der Fürst der Taubheit; Mahu,
des Stehlens, Mohu, des Mordens, und Flibbertigibbet, der Grimassen-
Teufel, der seither die Kammer-Jungfern und Stuben-Mädchen besizt.*
{ed.-* Shakespeare läßt den Edgar in seinen phantastischen Reden
öfters auf eine niederträchtige Betrügerey etlicher Englischen
Jesuiten zielen, die um selbige Zeit in Gesellschaften Stoff zur
Unterredung gab, weil eben damals eine von dem nachmaligen
Erzbischof von York Dr. Harsenet mit grosser Kunst und Stärke
geschriebene Geschichte derselben zum Vorschein kam, unter dem
Titel: Entdekung merkwürdiger Papistischer Betrügereyen, um Ihrer
Majestät Unterthanen von ihrer Pflicht abzuziehen u.s.w. unter
dem Vorwand Teufel auszutreiben, gespielt von Edmunds sonst
Weston genannt, einem Jesuiten, und verschiedenen Römischen
Priestern, seinen boshaften Gesellen. 1603. Diese Jesuitische
Comödie wurde zur Zeit der berühmten Spanischen Armada gegen
England gespielt, und hatte zur Absicht, zu Beförderung des
Spanischen Vorhabens, Proselyten unter dem Pöbel zu machen.
Die vornehmste Scene war in der Familie eines Hrn. Edmund Pekham,
eines Catholiken, wo Marwood, ein Bedienter von Hrn. Anton
Babington, Trayford, ein Bedienter des Hrn. Pekham und drey
Kammer-Mädchen in diesem Hause für besessen ausgegeben, und von
gedachten Priestern in die Cur genommen wurden. Die fünf
barbarischen Teufel, von denen Edgar spricht, sind eben die, von
denen ermeldte fünf dienstbare Personen besessen seyn sollten.
Auszug aus Warbürt. Anmerk.}
Gloster.
Hier, nimm diesen Beutel, du den des Himmels Plagen allen Streichen
des Unglüks ausgesezt haben. Daß ich elend bin, macht dich
glüklicher. Theilet immer so, ihr Götter; Laßt den reichen, von
Überfluß und Wollust berauschten Mann, der euern Schiksalen Troz
bietet, und das Elend seiner Nebengeschöpfe nicht sehen kan, weil
er's nicht fühlt, laßt ihn schleunig eure Allmacht fühlen; so wird
Freygebigkeit den unmässigen Überfluß dämpfen, und ein jeder
Mensch genug haben. Kennst du Dover?
Edgar.
Ja, Herr.
Gloster.
Es ist ein Hügel dort, dessen hoher und überhangender Gipfel
fürchterlich über die angrenzende Tieffe herabsieht. Bring mich
auf die äusserste Spize desselben, und ich will dir etwas geben,
das deinem armseligen Zustand ein Ende machen wird; von dort aus
werd' ich keinen Führer mehr nöthig haben.
Edgar.
Gieb mir deinen Arm, der arme Tom soll dich führen.

Zweyter Auftritt.
(Des Herzogs von Albanien Palast.)
(Gonerill und Edmund.)

Gonerill.
Seyd willkommen, Mylord; mich wundert, daß mein sanftmüthiger Mann
uns nicht entgegen gegangen ist. (Der Hofmeister kömmt.) Nun, wo
ist euer Herr?
Hofmeister.
Gnädige Frau, er ist drinnen; aber so verändert, daß es kaum
glaublich ist; ich sagte ihm, die Feinde seyen angeländet; er
lächelte dazu. Ich sagte ihm, Euer Gnaden kommen wieder an; desto
schlimmer, war seine Antwort. Als ich ihm von Glosters Verrätherey
und von der Treue seines Sohns Nachricht gab, nannte er mich einen
Dummkopf, und sagte mir, ich hätte die schlimme Seite herausgekehrt.
Was ihm am unangenehmsten seyn sollte, scheint ihm zu gefallen;
und was ihm gefallen sollte, beleidigt ihn.
Gonerill (zu Edmund.)
So sollt ihr nicht weiter gehen. Es ist nichts, als die feige
Zaghaftigkeit seines Geistes, welcher nicht Muth genug hat etwas zu
unternehmen: Er wird keine Beleidigung fühlen, die ihn zu einer
Antwort nöthigte. Auf diese Art können unsre Wünsche zur Erfüllung
kommen. Zurük, Edmund, zu meinem Bruder; beschleunige dich, mustre
seine Völker und führe sie an. Hier zu Hause muß ich die Waffen
wechseln, und meinem Manne die Spindel in die Hand geben. Dieser
getreue Diener soll unser Verständniß unterhalten; ihr sollt in
kurzem von mir hören, wenn ihr Herz genug habt zu euerm eignen
Vortheil, den Befehl einer Geliebten zu wagen. Traget diß
(sie giebt ihm ich weiß nicht was,)
sparet die Worte,
(leise)
drehet den Kopf ein wenig--Dieser Kuß, wenn er reden dürfte, würde
deine Lebensgeister in die Höhe treiben--Verstehe mich und lebe
wohl.
Edmund.
Der Eurige bis in den Tod.
Gonerill.
Mein allerliebstes Gloster.
(Edmund geht ab.)
Was für ein Unterscheid ist zwischen Mann und Mann! Du verdienst
die Gunstbezeugungen einer Dame; mein Thor usurpiert meine Person.
Hofmeister.
Gnädige Frau, hier kömmt Mylord. (Der Herzog von Albanien kömmt.)
Gonerill.
Bin ich nicht mehr werth gewesen, als meinem Bedienten zu pfeiffen,
wie ich ankam?
Albanien.
O, Gonerill, ihr seyd den Staub nicht werth, den euch der Wind ins
Gesicht bläßt. Ich fürchte die Folgen eurer Gemüthsart; ein
Geschöpf das seinen Ursprung verachtet, kan sich nicht in seiner
eignen Natur erhalten; der Zweig, der sich selbst von seinem
väterlichen Stamm abreißt, muß verdorren, und zu einem tödtlichen
Gebrauch kommen.*
{ed.-* Eine Anspielung auf den Gebrauch, welchen, der Sage nach, die
Hexen und Zauberer von verdorreten Zweigen zu ihren Bezauberungen
machen sollen. Warbürton.}
Gonerill.
Nichts mehr, welch ein närrisches Gewäsche!
Albanien.
Weisheit und Güte scheinen dem Nichtswürdigen verächtlich;
Tygerthiere, nicht Töchter, was habt ihr gethan? Einen Vater,
einen höchstgütigen alten Mann habt ihr, auf eine höchst
barbarische, höchst unnatürliche Weise, zum Wahnwiz getrieben.
Konnte mein Bruder zulassen, daß ihr es thatet, ein Mann, ein Fürst,
der ihm soviel zu danken hatte? Wahrlich, wenn die Himmel nicht
ungesäumt ihre sichtbar werdenden Geister herabsenden, so
schändliche Übelthaten zu straffen, so muß die Menschheit
nothwendig, gleich den Meer-Ungeheuern, sich selbst aufzehren.
Gonerill.
Du Milchleberichter Mann! der eine Wange für Maulschellen und
einen Kopf für Beleidigungen trägt; der kein Auge hat, den
Unterschied zwischen deiner Ehre und deiner Beschimpfung zu sehen;
der nicht weiß, daß nur Thoren mit Bösewichtern Mitleiden haben,
wenn sie gestraft werden, eh sie ihre Übelthaten ausüben konnten.
Wo ist deine Trummel? Frankreich spreitet seine Fahnen in unserm
ruhigen Land aus; in befiederten Helmen beginnst dein künftiger
Mörder seine Drohungen, während daß du, ein moralischer Narr, still
sizest und rufst: Ach! warum thut er denn das? --
Albanien.
Sieh dich selbst, Teufel! Seine ihm natürliche Häßlichkeit scheint
in einem Teufel nicht so abscheulich, als in einem Weibe.
Gonerill.
O eitler Thor!
Albanien.
Du verwandeltes, ausgeartetes Ding! Schäme dich wenigstens, deine
Bildung mit so ungeheuern Gesinnungen zu schänden! Wenn es sich
für mich schikte, diese Hände dem Trieb meines kochenden Blutes zu
überlassen, sie würden fertig genug seyn dein Fleisch von deinen
Knochen abzureissen--Ob du gleich ein Teufel bist, so schüzt dich
doch die Gestalt eines Weibes--
Gonerill.
Wahrhaftig, eine wolangebrachte Mannheit! (Ein Bote kömmt.)
Bote.
O mein gnädigster Lord, der Herzog von Cornwall ist todt, von
seinem Bedienten erschlagen, da er im Begriff war, Glosters zweytes
Auge auszutreten.
Albanien.
Glosters Augen?
Bote.
Ein in seinem Haus erzogner Bedienter, von Reue durchbohrt,
widersezte sich der That, und zog sein Schwerdt gegen seinen Herrn,
welcher voll Wuth über eine solche Kühnheit, ihn auf der Stelle
tödtete, vorher aber eine Wunde bekam, die ihn nun das Leben
gekostet hat.
Albanien.
Diß zeigt, daß ihr dort oben nicht säumet, ihr himmlischen Richter,
diese unsre unter euern Augen begangne Verbrechen zu rächen. Aber,
O! der arme Gloster! Verlohr er das andre Aug auch?
Bote.
Beyde, beyde, Mylord. Dieses Schreiben, Gnädigste Frau, fodert
eine schleunige Antwort; es ist von eurer Schwester.
Gonerill (vor sich.)
Von einer Seite gefällt mir diß ganz wol. Und doch da sie izt
Wittwe, und mein Gloster bey ihr ist, so könnte leicht das ganze
Gebäude in meiner Phantasie über mein verhaßtes Leben einstürzen--
Auf einer andern Seite ist diese Neuigkeit nicht so reizend--Ich
will lesen und antworten.
(Geht ab.)
Albanien.
You have read 1 text from German literature.
Next - Das Leben und der Tod des Königs Lear - 6
  • Parts
  • Das Leben und der Tod des Königs Lear - 1
    Total number of words is 4149
    Total number of unique words is 1462
    38.3 of words are in the 2000 most common words
    49.9 of words are in the 5000 most common words
    55.9 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Das Leben und der Tod des Königs Lear - 2
    Total number of words is 4227
    Total number of unique words is 1417
    38.4 of words are in the 2000 most common words
    49.5 of words are in the 5000 most common words
    54.8 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Das Leben und der Tod des Königs Lear - 3
    Total number of words is 4114
    Total number of unique words is 1446
    36.9 of words are in the 2000 most common words
    49.6 of words are in the 5000 most common words
    55.8 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Das Leben und der Tod des Königs Lear - 4
    Total number of words is 4288
    Total number of unique words is 1548
    35.4 of words are in the 2000 most common words
    47.8 of words are in the 5000 most common words
    52.7 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Das Leben und der Tod des Königs Lear - 5
    Total number of words is 4122
    Total number of unique words is 1457
    37.6 of words are in the 2000 most common words
    49.5 of words are in the 5000 most common words
    55.5 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Das Leben und der Tod des Königs Lear - 6
    Total number of words is 4208
    Total number of unique words is 1549
    36.9 of words are in the 2000 most common words
    48.7 of words are in the 5000 most common words
    53.7 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Das Leben und der Tod des Königs Lear - 7
    Total number of words is 4179
    Total number of unique words is 1369
    39.2 of words are in the 2000 most common words
    53.4 of words are in the 5000 most common words
    58.9 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Das Leben und der Tod des Königs Lear - 8
    Total number of words is 377
    Total number of unique words is 222
    62.5 of words are in the 2000 most common words
    72.6 of words are in the 5000 most common words
    77.1 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.