Soll die plattdeutsche Sprache gepflegt oder ausgerottet werden? - 3

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Witze, sie stehen alle in einem kleinen grobloͤschpapiernen Buch mit
feinen Holzschnitten, das jaͤhrlich in diesem Jahre gedruckt wird. Es
tritt darin auf „der Ruͤbezahl der Luͤneburger Haide,“ der Repraͤsentant
des niedersaͤchsischen Volkshumors, der geniale Till und ruͤlpst auf die
anmuthigste Weise lauter Witze vor sich hin, die aus einer Zeit stammen,
wo das Volk nur den groben Wanst, dagegen die Ritterschaft den Arm, die
Geistlichkeit den Kopf des Staatsungeheuers repraͤsentirte.
Oder was zieht ihr vor an der plattdeutschen Sprache? Ich weiß die
Antwort nur zu gut, „sie macht uns Spaß[7]; sie ist uns gemuͤthlich.“
Chorus von Goͤttingen, Rostock, Greifswalde, Kiel, sie macht uns Spaß,
sie ist uns gemuͤthlich, es wird uns wohl dabei! Auch in Jena,
Heidelberg, Berlin, Bonn, wohin wir kommen und wo unserer zwei bis drei
beisammen sind, da ist sie mitten unter uns. Sie gehoͤrt mit zum Wesen
der norddeutschen Landsmannschaft und das waͤre kein braver Holsat oder
Meklenburger, oder Oldenburger, der nicht wenigstens drei Plattituͤden
am Leibe haͤtte, plattes (Muͤtze) auf dem Kopf, plattes (Mappe) unter'm
Arm und das liebe Platt im Munde.
O Jugend, akademische, Bluͤthe der Norddeutschen, sei nicht so duftlos.
Dufte etwas nach dem Geist der Alten — ich meine nicht deiner eigenen —
bethaue deine Bluͤthen und Blaͤtter mit etwas Naß aus der Hippokrene,
durchdringe sie mit etwas Oel aus der Lampe der Philosophie, empfinde,
fuͤhle wenigstens nur die heiße Thraͤne des Unmuts und des Schmerzes,
die der Genius deines Vaterlands auf dich herabtraͤufelt.
O Jugend, akademische, ihm ist uͤbel, wenn dir wohl ist. Mephistopheles
freilich lacht und spoͤttelt dazu und wenn er dich in Auerbachs Keller
platt und wohlbehaglich sitzen sieht so ruft er seinem Begleiter zu:
Da siehst du nun, wie leicht sich es leben läßt?
Dem Völkchen da wird jeder Tag zum Fest.
Wie hat sich seit den Tagen des Faustus die Welt veraͤndert, was ist
nicht alles in den letzten 30, in den letzten 13, in den letzten 3
Jahren geschehen und dieses Voͤlkchen ist noch immer das alte geblieben?
Wo kommt es her? Wo geht es hin?
Es gibt Ausnahmen, wie sollte es nicht. Aber ich spreche, wie immer in
dieser Schrift, vom großen Haufen, und der ist auf unsern Universitaͤten
noch immer der alte Stamm und das Plattdeutsche seine hartnaͤckigste
Wurzel.
Es hat fast den Anschein, als muͤßte der Bauer erst mit gutem Beispiel
vorangehn und die Sprache der Bildung gegen den Dialekt der Rohheit
eintauschen, ehe der Student sich dazu entschließt.
Wie noͤthig thaͤte es Manchem, um auch nur den aͤußern Schein seines
Standes im Gespraͤch und Umgang mit Gebildeten zu retten. Ich schaͤme
mich's zu sagen, welche Erfahrungen ich gemacht habe.
Wie noͤthig aber thut es Jedem, sich unablaͤssig in einer Sprache zu
bewegen, die ihm erst zu der Herrschaft uͤber sein Wissen verhelfen
soll; wie noͤthig Jedem, sich einer Sprache zu entschlagen, welche diese
Herrschaft mißgoͤnnt und streitig macht, welche wie das lichtlose dumpfe
Chaos dicht hinter seiner aufzubauenden Welt lauert.
Ohnehin fordert die hochdeutsche Sprache Uebung, viel Uebung. Sie faͤllt
Einem nicht so in den Mund, wie dem Franzosen das franzoͤsische. Das
Talent sich fertig und gelaͤufig auszudruͤcken, ist immer noch ein
selteneres, am seltensten in Nord-Deutschland. Sprache und Gedanke,
Sprache und Gelehrsamkeit stehen haͤufig im ungeheuersten
Mißverhaͤltniß. Fern sei es von mir, den bloßen Fluß der Worte, die
Geschwaͤtzigkeit als eine Tugend zu preisen. Aber diese Wortangst, diese
Wortplage, die so viele Sprechende befaͤllt, dieses Stottern, Ringen,
Raͤdern und Braͤchen, das am Ende oft doch nur etwas Verschrobenes oder
Triviales zu Tage foͤrdert, das alles deutet bei unsern Gelehrten auf
eine klaͤgliche Unangemessenheit zwischen todtem Studiren und lebendigem
Umtausch hin.
Von dieser Seite betrachtet zeigt sich der geruͤgte Uebelstand auf
norddeutschen Universitaͤten im haͤßlichsten Licht. Der tuͤchtigste Kopf
kann sich kaum vor der Masse des Fertigen, Vorgedachten, Positiven
erwehren, das so regelmaͤßig wie der Rinnenguß einer Wassermuͤhle Tag
fuͤr Tag auf ihn eindringt. Es gehoͤren elastische Denkfibern,
gluͤckliches Gedaͤchtniß (auch gluͤckliches Vergessen) und vor allem
Freundesgespraͤche dazu, um die ewige Nothwehr mit Erfolg fortzusetzen
und das heiligste Gut der Persoͤnlichkeit, das Stoffbeherrschende,
selbstbewußte, selbstdenkende Ich siegreich davonzutragen. Vor allem
Freundesgespraͤche, sage ich. Einsames Lernen, stilles Sammeln,
Betrachten, Denken sind nothwendig; aber wer nicht spricht, erstickt,
wird verwirrt, chaotisch und das eben ist der geistige Zustand der
meisten jener Gelehrten, deren Sprechen ich so eben als Sprachangst und
Sprachplage bezeichnet habe.
Mit welchen Farben soll ich den barocken, laͤcherlich traurigen
Geisteszustand einer plattdeutschen Studentenmasse schildern. _Ochsen_
nennt sie selbst die mechanische Arbeit, die sie zum Behuf des Examens
taͤglich vornimmt. Jeden Tag schiebt sie fleißig ihren Karren Pandekten,
Dogmatik u.s.w. in die Scheune ihres Gedaͤchtnisses.
Liegt da das taͤgliche Pensum zu Hauf, so spannt sie sich aus, laͤßt's
liegen, wo es liegt und — wird gemuͤthlich, plattdeutsch.
_Humaniora_, erfrischende, belebende, hoͤher hinantreibende Vortraͤge,
hoͤrt sie nicht, oder bekommt sie nicht zu hoͤren, da leider an vielen
Orten die _Humaniora_ nur als Antiquitaͤten gelesen werden.
Klingt es nicht manchmal als Ironie, wenn der Bauer seinen Sohn, oder
des Amtmanns, Schulzen, einen Studeermakergesellen nennt? — O
norddeutsche, studirende Jugend, nimm das platt aus dem Munde!
* * * * *
Bis hierher hatte ich das Niedergeschriebene einem Freunde vorgelesen.
Ich fragte diesen um sein Urtheil. Ich bin uͤberrascht, sagte er nach
einigem Zoͤgern: Ich habe uͤber den Einfluß der plattdeutschen Sprache
bisher nicht weiter nachgedacht, und das moͤgte wohl der Fall mit den
meisten kuͤnftigen Lesern dieser Bogen sein. Nichts destoweniger habe
ich diesen Einfluß dunkel und unangenehm empfunden; er macht, besonders
wenn man aus dem Suͤden zuruͤckkehrt, einen aͤhnlichen Eindruck, wie die
veraͤnderte Athmosphaͤre, die fahle Luft und das haͤufige Regenwetter
des Nordens. Man findet sich darein, wie in ein nothwendiges Naturuͤbel.
Allein mit der Sprache ist es wol ein Anderes. Sie haben Recht, wenn Sie
einmal fruͤher aͤußerten, man muͤsse sich selbst gegen das Nothwendige,
das der physischen oder moralischen Ordnung angehoͤrt, in Position
setzen. Sie haben mir, darf ich sagen, ordentlich die Brust erleichtert,
indem Sie mich auf einen bestimmten Landesfeind aufmerksam machen, mit
dessen Vertilgung das Feld fuͤr die norddeutsche Civilisation gewonnen
scheint. Das wird und muß nach Lesung Ihrer Schrift, das Gefuͤhl aller
Patrioten sein, denen es in dieser Zeit wie Alpdruͤcken auf dem Herzen
liegt. O wohl! o wohl! Die plattdeutsche Sprache ist das absolute
Hemmniß des oͤffentlichen Lebens, der Bildung und Humanitaͤt in
Niedersachsen. So lange diese Sprache dem gemeinen Leben angehoͤrt,
werden, wie bisher, Mastochsen, Gaͤnsebruͤste und westphaͤlische
Schinken die Hauptprodukte unserer Civilisation bleiben. Gegen die
Civilisation selbst macht die plattdeutsche Sprache nicht allein
gleichguͤltig, sondern tuͤckisch und feindselig gestimmt. Warum ist das
nicht laͤngst zur Sprache gebracht, Gegenstand des allgemeinsten und
lebhaftesten Interesses geworden.
Sie vergessen, sagte ich, daß Voß, Harms, Scheller, Baͤrmann und andere
wackere Maͤnner die Theilnahme des Publikums fuͤr diese Sprache, selbst
fuͤr eine Literatur in derselben, haben in Anspruch nehmen wollen.
Ich weiß, erwiederte er, ich habe unter andern den „_Bloottuͤgen_,“ den
Henrik von Zuͤphten vom Pastor Harms gelesen. Damals dachte ich nichts
anderes dabei, als daß so ein plattdeutsches Buch unbequem und schwer zu
lesen und wahrscheinlich noch unbequemer zu schreiben sei.
Was den Henrik von Zuͤphten betrift, bemerkte ich dagegen, so scheint
mir der Verfasser einen Ungeheuern Mißgriff in der Wahl des Stoffes
gethan zu haben. Ich schaͤtze die alten Dithmarsen sehr hoch. Sie waren
ein tapferer, unbezaͤhmlicher, ordentlich nach Freiheit und
Unabhaͤngigkeit duͤrstender Menschenschlag, Bauern zu Pferde mit dem
Schwerdt in der Hand, die Schweizer des Nordens oder vielmehr Wittekinds
und seiner Sachsen ungebeugte und ungebrochene Enkel bis in's
fuͤnfzehnte und sechszehnte Jahrhundert hinein. Nur weiß ich nicht, ob
ein lutherischer Pfarrer von Heute, selbst wenn er geborner Dithmarse
ist, einer so durchaus heidnischen Mannheit Gerechtigkeit widerfahren
lassen kann; denn obwol die dithmarsische Groͤße und Freiheit in
christliche Zeiten fiel und die Verehrung der Jungfrau Maria in diesem
Lande gerade hoͤher getrieben wurde, als, wie es scheint, andeswo im
Norden, so erhielt doch der hochfahrende und kampflustige Sinn der
Einwohner durch sie nur eine sehr schwache christliche Faͤrbung und wol
schwerlich hat die Brust eines mutigen Dithmarsers aus Furcht vor dem
Himmel, der Geistlichkeit oder eigener Gewissenszartheit christliche
Demuth dem Muth uͤbergeordnet, wie man solches in den Ritterbuͤchern des
Mittelalters liest. Doch mag es damit sein, wie es will; ich muß
bekennen, daß ich uͤberhaupt keinen Geistlichen zum Geschichtschreiber
wuͤnsche, speziell nicht zum Dithmarsischen. Was mir aber auffiel, war,
daß Pastor Harms sich grade einen Moment aus der dithmarsischen
Geschichte gewaͤhlt hatte zur plattdeutschen Darstellung, der auf so
schneidende Weise mit der altvaͤterischen, derben Bonhommie, die er
dieser Sprache im Eingang nachruͤhmt, im Kontrast steht: der
Maͤrtyrertod des ersten lutherischen Predigers in Dithmarsen. Diese
kalte Wuth, dieser Hohn menschlichen Gefuͤhls, diese Spurlosigkeit alles
Barmherzigen, womit hier der arme Mann einem langsamen und
schauderhaften Tode uͤberliefert wird, macht nicht nur an sich einen
boͤsen Fleck in der dithmarsischen Geschichte aus, sondern erinnert auch
sehr zur Unzeit, daß diese beste Zucht niedersaͤchsischer Maͤnner, die
Dithmarsen, von jeher neben ihrer Tapferkeit und eisernen Sitte, mit
asiatischer Barbarei an Gefuͤhllosigkeit gegen Feind und Freund
gewetteifert haben, was den allerdings wol auf eine derbe und rohe, aber
keineswegs auf so eine „alte und gemuͤthliche“ Sprache hindeutet, wie's
so etwa von einem unserer friedlichen und gutmuͤthigen Philister
heutiger Zeit verstanden wird. — Fuͤgen Sie noch hinzu, sagte hierauf
mein Freund, daß das Dithmarsen der Gegenwart, das noch ganz und gar
plattdeutsch ist, und wo auch noch wirklich das beste platt[8]
gesprochen wird, weder in moralischer noch in gesellschaftlicher
Beruͤhrung ein sehr glaͤnzendes Lob auf dasselbe zuzulassen scheint. Die
Armuth, Trunkfaͤlligkeit, die ungeheure Zahl der veruͤbten Mordbraͤnde
in Dithmarsen deuten auf einen sehr versunkenen sittlichen und
buͤrgerlichen Zustand. Eben er, der mit herrlichem Eifer fuͤr die
Verbreitung religioͤser und moralischer Lebensflammen erfuͤllte Pastor
Harms hat in patriotischen Schriften seinen Schmerz daruͤber
ausgesprochen. Was kann er aber, sage ich jetzt mit vollster
Ueberzeugung, von der Mithuͤlfe einer Sprache erwarten, welche aller
Mittheilung unbesiegliche Schranken entgegenstellt und das wahre Grab
des hoͤheren Leben ist. Es staͤnde zu wuͤnschen, daß ein dithmarsischer
Patriot den nachteiligen Einfluß der Sprache auf die Fortschritte der
Civilsation und selbst auf die schoͤnere Humanitaͤt einer
ausgezeichneten Einzelbildung aus der Allgemeinheit Ihrer Schrift
uͤbertragen moͤge auf Dithmarsen und die Dithmarsen, wie sie sind und
was sie vermoͤge ihrer Sprache sind und nur sein koͤnnen.
Ihr Wunsch ist der meinige, ich werde ihn, wie uͤberhaupt unser
Gespraͤch, vor's Publikum bringen, und zwar als integrirenden Theil
meines Aufsatzes. Denn, glauben Sie mir, ohne Ihr Hinzukommen wuͤrde ich
mich nie zur Herausgabe desselben bestimmt haben.
Sie scherzen, oder wollen etwas sagen, was mir nicht klar ist.
Hoͤren Sie nur und urtheilen Sie selbst. Ich habe bisher darzustellen
gesucht, daß die plattdeutsche Sprache sowol an sich unfaͤhig sei, die
Keime der Civilisation zu fassen als auch, so lange sie taͤgliche
Umgangssprache in Niedersachsen bliebe, alles Bemuͤhen zur Civilisation
durch das Mittel der hochdeutschen Sprache vereiteln muͤsse. Ich habe
diese Wahrheit nicht allein auf die unteren Kreise beschraͤnkt, ich habe
fuͤhlbar zu machen gesucht, wie ohne unterliegende allgemeine
Volksbildung, auch die hoͤhere Bildung des Einzelnen gefaͤhrdet sei und
zum Beispiel die Extreme auf der jetzigen Leiter unserer Kultur, Bauer
und Student oder Studirter, sich in demselben rohen und bildunglosen
Medium wieder beruͤhren. Habe ich, wie ich meine und getrost der
oͤffentlichen Stimme uͤberlasse, dieses mit unabweisbarer
Handgreiflichkeit nachgewiesen, so werde ich allerdings der
Uebereinstimmung aller Patrioten in der Behauptung gewiß sein, es sei
nicht wuͤnschenswerth, daß die ohnehin aussterbende und vermodernde
plattdeutsche Sprache, gehegt und gepflegt werde, es sey im Gegentheil
wuͤnschenswerth, daß sie sich je eher je lieber aus dem Reiche der
Lebendigen verliere. Und somit waͤre denn im verhofften guten Fall hie
und da eine Meinung, eine Ansicht uͤber das Wuͤnschenswerthe und nicht
Wuͤnschenswerthe in dieser Angelegenheit oͤffentlich angeregt. Aber
sagen Sie mir, was ist eine Privat-Meinung, die einen frommen Wunsch zur
Folge hat, im Angesicht eines oͤffentlichen Gegenstandes, oder
Widerstandes, der nichts meint und wuͤnscht, der nur so eben sich seiner
breiten Fuͤße bedient, um seine plumpe und gedankenlose Existenz durch
alle Meinungen hindurch zu schieben und sich trotz aller Meinungen auf
den Beinen zu behaupten, bis er etwa von selbst umfaͤllt, Meinungen und
Ansichten haben wir im Ueberfluß, vortrefliche. Woran fehlt's? Am
Korporativen der Meinung, welches die oͤffentliche Meinung ist, welche
die That mit sich fuͤhrt. Wuͤrde ich sonst, wenn ich nicht das
fruchtlose Hin- und Hermeinen des Publikums zu gut kennte, mir die
Beantwortung der ironischen Frage aufgelegt haben, ob man den
wuͤnschenswerthen Untergang der Sprache ruhig sich selbst und der Zeit
uͤberlassen oder etwas dafuͤr thun, denselben moͤglichst beschleunigen
solle? Sie sehen aber wol, daß es mir damit nicht Ernst gewesen sein
kann; denn bringt die wahre und lebhafte Darstellung eines großen Uebels
nicht unmittelbar und fuͤr sich das Gegenstreben, den Wunsch und das
Umsehen nach Mitteln zur Abstellung desselben hervor, so ist alles
weitere Reden und Zureden rein uͤberfluͤssig, falls es nicht, wie bei
manchen Maaßregeln gegen die Cholera, mit aͤußerm Zwang und
obrigkeitlichem Befehl verbunden ist.
Ich weiß aber nicht, was mir sagt, daß Sie im Auffassen dieser
Angelegenheit der Repraͤsentant von sehr vielen Norddeutschen sind. Die
Wahrheit hat auf Sie ihren vollen Eindruck nicht verfehlt, Sie freuen
sich, ihren allgemeinen truͤben Mißmuth einem bestimmten Feind
gegenuͤbergestellt zu sehen, Sie sinnen auf Mittel, ihn anzugreifen, Sie
halten ein allgemeines lebhaftes und daher wirksames Interesse als
durchaus in der Sache begruͤndet.
So ist es, erwiederte mein Freund. Und ich glaube, auch darin irren Sie
nicht, wenn Sie mich nach Ihrem Ausdruck fuͤr den Repraͤsentanten einer
sehr namhaften Zahl und Klasse von Norddeutschen halten. Bedenken Sie
nur allein den Stand des Schullehrers, der Jahr aus Jahr ein an der
plattdeutschen Jugend sich fruchtlos abquaͤlt und gleichsam tagtaͤglich
Wasser ins Faß der Danaiden schoͤpft. Ihm vor allen wird ihre Schrift
neuen Muth und Anstoß geben. Das Hauptmittel, davon sind Sie ohne
Zweifel auch uͤberzeugt, liegt in den Haͤnden dieser Maͤnner.
Aber, fuͤgte er fragend hinzu, welchen Schluß geben Sie ihrer Arbeit?
Ich denke doch, Sie lassen, wenn auch die zweite Frage billig
ausfaͤllt, die dritte nicht ganz unbeantwortet. Welche Mittel halten Sie
fuͤr die Ausrottung der plattdeutschen Sprache fuͤr die wirksamsten? Mir
und meinen Kollegen, wie gesagt, liegt vorzuͤglich daran.
Ich trug meinem Freunde darauf den folgenden Abschnitt vor, bemerkte
aber, daß ich von ihm selbst oder von einem Genossen seines Standes
etwas Erschoͤpfenderes in dieser Hinsicht verhoffte.
* * * * *
Wer aber soll helfen gegen das Plattdeutsche im Volk? Wie kann dem
Hochdeutschen geholfen werden?
Wer? Alle Welt, nur der Staat nicht. Was der Staat gegen das
plattdeutsche und fuͤr das Hochdeutsche thun konnte, hat er gethan,
indem er jene aus der Kirche verbannt und sie vom Gerichtshofe
ausschloß.
Wer diese Schrift verbreitet, sie selbst oder ihre Ideen, wer sie
oͤffentlich angreift oder vertheidigt, wer ihr neue Gesichtspunkte
hinzufuͤgt, deren es noch so viele giebt, wer die bereits aufgestellten
modificirt, rektificirt, _der hilft, er mag wollen oder nicht_; denn er
hilft eine oͤffentliche Meinung bilden. Beleuchtet dieses gedankenlose
Monstrum, Hannoverisches Platt, Meklenburgisches Platt und wie es sich
uͤberall nennt, von hinten oder von vorne, von der besten oder von der
schlechtesten Seite, beleuchtet es nur, und glaubt mir, jedes Licht uͤbt
eine chemische Zerstoͤrung auf sein Volumen aus. Besprecht es, besprecht
es nur und seid uͤberzeugt, jedes Wort im Guten oder Boͤsen ist ein
Zauberbann, der ihm einen Fuß seines Gebietes verengt.
Das ist das Schoͤne mit der guten Sache und der oͤffentlichen Meinung
und der neuen Zeit; wenn die drei einmal in Bewegung sind und sich auch
nicht suchen, so verfehlen sie sich doch nicht.
Ja, ich zweifle nicht, die oͤffentliche Meinung wird sich bilden und sie
wird grollen, wie ich, mit dem Plattdeutschen und das Grollen wird uͤber
die Koͤpfe unserer Bauern hinfahren und wird — ansteckend sein.
Die Ansteckung ist die Hauptkraft der oͤffentlichen Meinung und das
Wunderbarste an ihr.
Die wichtigsten Exekutoren der legislativen Gewalt oͤffentlicher Meinung
sind aber in unserm Fall unstreitig die Schullehrer, insbesondere die
auf dem Lande. Auf den Grad des Anteils, der Einsicht, des guten Willens
dieser großen, nuͤtzlichen, im Stillen wirkenden Klasse von
Staatsbuͤrgern, deren Einfluß auf die Bildung der Landleute bedeutend
groͤßer ist, als der Pastoraleinfluß, kommt unendlich viel an.
Fassen diese, wie es ihnen zukommt und wie zu erwarten, die Sache der
Civilisation mit Eifer auf, durchdringen sie sich von der Nothwendigkeit
einer ununterbrochenen Attake auf das Plattdeutsche, stehen sie, wie es
ihre Gewohnheit ist, beharrlich auf ihrem Stuͤck, so will ich sehen,
welche wundergleiche Veraͤnderung dieses schon im Ablauf von zehn Jahren
in einem Verhaͤltniß von Hoch zu Platt hervorbringen wird.
Ihre Hauptaufgabe waͤre, dahin zu streben, das Hochdeutsche
_vertraulicher_ und _herzlicher_ zu machen — ein Weg, der nur durch die
_Fertigkeit_ und _Unbekuͤmmertheit der Zunge_ hindurchgeht. Ihre Arbeit
ist in der Schule, in den Familien, vor der Kommuͤne. Was die _Schule_
betrift, so wuͤrde ich den Rath geben, in den ersten Schuljahren die
Kinder weder zum Schreiben noch zum Lesen anzuhalten, nur zum Sprechen.
Das Warum leuchtet ein. Auch die Aelteren muͤßten haͤufiger mit Sprech-
und Denkuͤbungen beschaͤftigt werden — welche Gelegenheit zugleich auf
den Verstand und durch diesen gegen die plattdeutsche Sprache zu wirken,
in welcher dem Knaben von Haus aus alle fruͤhere Vorurtheile und
Dummheiten eingepropft sind. Besondere Ruͤcksicht verdienen die
Maͤdchen. Ihre Gemuͤther sind weicher, empfaͤnglicher, ihr Organ,
gewoͤhnlich auch ihr Verstand leichter zu bilden und — sie sollen einmal
Muͤtter, Hausfrauen, das heißt auf dem Lande, fuͤr das juͤngste
Geschlecht im Hause alles in allem werden. Auch im _aͤlterlichen Hause_
bleibt viel zu wirken, besonders auf Hausfrauen und aͤltere Toͤchter;
der heiterste, zwangloseste Gesellschafter ist hier der beste, er
bringt bald ein unterhaltendes Buch (kurze und erbauliche Geschichten,
keine langweilige faselnde), bald einen interessanten Gegenstand zur
Erzaͤhlung mit, eine Anekdote aus der Zeitgeschichte, oder meinentwegen
einen Fall aus der Nachbarschaft, dem Dorfe mit, der, wie er versichert,
sich im Plattdeutschen nicht ausnimmt. _Fuͤr die ganze Komuͤne_ ist er
wirksam durch Einfuͤhrung periodischer Blaͤtter, Zeitungen, auf
gemeinschaftliche Kosten zu halten und regelmaͤßig in Versammlung der
Maͤnner vorzulesen, allenfalls durch aͤltere, der Konfirmation
entgegengehende Knaben, _als beneidete und ehrenvolle Belohnung_ ihrer
Fortschritt im Lesen und Sprechen des Hochdeutschen.
Ich deute nur an, aber ich komme mir vor, ich wuͤßte es auch
auszufuͤhren als Schullehrer auf dem Lande, und Tausende besser als ich.
So viel ist gewiß, waͤre ich Schullehrer, so wuͤrde ich fuͤr's Erste nur
ein Ziel kennen: mein Dorf zu verhochdeutschen.
Leeres Stroh wuͤrde ich glauben zu dreschen, so lange nicht die Garbe
der hochdeutschen Sprache und Bildung mir auf dem freien Felde waͤchst.
Eine Buͤrgerkrone wuͤrde ich glauben verdient zu haben, wenn man mir im
Alter nachruͤhmte: er hat diesen Flecken, sein Dorf, das sonst so
dunkle, dumpfe, plattdeutsche Nest, mit der Kette der Civilisation in
Kontakt gesetzt durch Ausrottung der plattdeutschen und Einfuͤhrung der
Bildungssprache Deutschlands.

Fußnoten:
[1] Doch auch mit Ausnahme gewisser oͤrtlicher und provinzieller
Variationen, wie in Hamburg, Westphalen, Dithmarsen, wo selbst die
Gebildeten, von deren Aussprache hier eigentlich die Rede ist, sich der
Lokaltinten nicht enthalten.
[2] Die Hexenprozesse, die mit wenig zahlreichen Ausnahmen erst nach Der
Reformation und Hauptsaͤchlich im protestantischen Norddeutschland
gefuͤhrt wurden und denen ein Glaube an den Einfluß boͤser Geister zu
Grunde lag, den Luther, in melancholischen Anfaͤllen selbst oft mit dem
persoͤnlich ihm erscheinenden Teufel ringend, nur zu sehr genaͤhrt
hatte, _diese Hexenprozesse haben Deutschland im 17ten Jahrhundert
vielleicht mehr Menschen gekostet, als Spanien die Inquisition._
[3] Reineke de Vos ist von hollaͤndischer und franzoͤsischer Abkunft,
wenn auch die Maͤhrchen von Fuchs und andern Thieren urspruͤnglich in
Deutschland sowol, als in Frankreich in Schwang gingen. Die
plattdeutsche Uebersetzung scheint niemals Volksbuch gewesen zu sein,
obgleich sie sehr gelungen ist; man koͤnnte sie den Schwanengesang
dieser Sprache nennen.
[4] Wollte ich zu diesem, wie gesagt, naturrohen Bilde ein mehr dem
Spiel der Phantasie angehoͤriges hinzufuͤgen, so vergliche ich den
bloßen Lese- und Schreibunterricht unserer Landkinder mit der Unvernunft
und Thorheit eines Ackermannes, der seinem Acker die Instrumente zur
Bearbeitung, Spaten und Pflug, zur Selbstbearbeitung hinwirft.
[5] Was koͤnnte ich anfuͤhren, wollte ich von der niedrigsten Klasse
norddeutscher Staͤdte sprechen, die sich, wie der Hamburger Poͤbel in
Schnapps und unreinstem Plattdeutsch waͤlzt.
[6] Wo willst Du hin, fragte Jemand einen Meklenburgischen Scholaren,
der gerade auf den Postwagen stieg. Die Antwort war: Na Rostock, ik will
mi op de Wissenschaften leggen.
[7] Weniger Spaͤße.
[8] Doch nicht rein, sondern mit friesischen Woͤrtern untermischt.
* * * * *
Von demselben Verfasser sind bei uns erschienen:
_Wienbarg_, _Dr._ L.,
Holland in den Jahren 1831 und 32, 2 Bde. 8,
833-34. 2 Thlr. 16 Gr.
---- ---- Jason. Episches Gedicht nach Pindar. Uebersetzt,
bevorredet und erlaͤutert; mit einem
Zueignungsgedicht an Jason Sabalkansky. 8. 830.
4 Gr.
---- ---- Paganini's Leben und Charakter nach Schottky. Mit
Paganini's Bildnis. gr. 8. 830. 12 Gr.

Unter der Presse befindet sich:
---- ---- aͤsthetische Feldzuͤge. Dem jungen Deutschland
gewidmet. 8.
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